Das Wirtschaftsimperium der Deutschen Arbeitsfront 1933 bis 1945 Geschichte der Gegenwart Herausgegeben von Frank Bösch und Martin Sabrow Band 3 Rüdiger Hachtmann Das Wirtschaftsimperium Der Deutschen Arbeitsfront 1933 – 1945 WALLSTEIN VERLAG Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Wallstein Verlag, Göttingen 12 www.wallstein-verlag.de Vom Verlag gesetzt aus der Adobe Garamond Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf Umschlagfotos: (o.) Am 2.5.1933 besetzen SA- und NSBO-Mitglieder die Berliner Hauptverwaltung der Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten des ADGB. Bundesarchiv Berlin Bild 183-R70485. (u.) Robert Ley am 9.10.1940 vor Arbeitern (vermutlich) der Vulkan-Werft/Stettin. Fotograf: Heinrich Hoffmann. Bayerische Staatsbibliothek (hoff 33025). Druck und Verarbeitung: Hubert & Co, Göttingen isbn (Print) 978-3-8353-1037-7 ISBN (eBook, pdf ) 978-3-8353-2239-4 Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Rahmen- und Ausgangsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . 47 1.1. Gesamtwirtschaftliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . 1.2. Die Enteignung der linken Arbeiterbewegung – ein eigentumsrechtlicher Präzedenzfall . . . . . . . . . . . . . 47 57 2. Das Dach des Konzerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3. Die Banken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3.1. Nationalsozialistische Bankenpolitik . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Banken, die aufgelöst, verkauft oder gar nicht erst gegründet wurden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Die Bank der Deutschen Arbeit – Arbeiter-Sparkasse und Instrument der »Arisierung« . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Die NS-Bewegung und das Geldinstitut der DAF . . . . . . . 3.5. Expansion über die Grenzen des »Altreiches« hinaus . . . . . . 3.6. Auch die Arbeitsbank: ein »Koloß auf tönernen Füßen« . . . . 93 100 105 122 152 182 4. Die Versicherungsgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 4.1. Rahmenbedingungen und die Stellung von Volksfürsorge und Deutschem Ring in ihrer Branche . . . . . . . . . . . . . 190 4.2. Eine Erbschaft der katholischen Gewerkschaften wird liquidiert: die kurze Geschichte der »Deutschen Lebensversicherung« unter dem Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 4.3. Die Volksfürsorge (bis 1938) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 4.4. Die Volksfürsorge ab 1938/39 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 4.5. Der Deutsche Ring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 4.6. Die Expansion des Deutschen Rings ab 1938 . . . . . . . . . . 255 4.7. Die Gründung der »Deutsche Sachversicherungs AG« und der »Versicherungsring der Deutschen Arbeit GmbH« als Konzerndach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 5. Die Verlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 5.1. Eine politiknahe Branche – die Rahmenbedingungen . . . . . . 268 5.2. Erbstücke des DHV: die Hanseatische Verlagsanstalt und der Langen-Mül­ler-Verlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 5.3. Der Zentralverlag der DAF, die Büchergilde Gutenberg und weitere Organisationsverlage . . . . . . . . . . . . . . . . 297 inhalt 5.4. Konkurrenzen, Konflikte – und das Scheitern der Bemühungen um Verschmelzung der Verlage zu einem Konzern . . . . . . . 316 5.5. Expansion und »Fronteinsatz«: Die DAF-Verlage im Krieg . . . 322 5.6. Die Privatisierung des Langen-Müller-Verlages und der Hanseatischen Verlagsanstalt . . . . . . . . . . . . . . 356 6. Von den Konsumgenossenschaften zum Deutschen Gemeinschafts­werk . . . . . . . . . . . . . . . 369 6.1. Die Konsumgenossenschaften bis zum Mai 1933 . . . . . . . . 6.2. 1933 bis 1940: Vergebliche Versuche, die Hegemonie über die Verbrauchergenossenschaften zu erlangen . . . . . . . 6.3. Die Gründung des »Deutschen Gemeinschaftswerkes« . . . . . 6.4. Expansion und Untergang des »Deutschen Gemeinschaftswerkes« . . . . . . . . . . . . . . . 369 372 394 412 7. Wohnungsgenossenschaften, Bau- und Siedlungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 7.1. »Sozialisierung von unten« – die linke Wohnungs- und Baugenossenschaftsbewegung bis 1933 . . . . . . . . . . . . . . 7.2. Die Wohnungs- und Baugesellschaften der Arbeitsfront bis Kriegsbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3. »Sozialer Wohnungsbau« in der ersten Kriegshälfte . . . . . . . 7.4. Auf dem Weg zum marktbeherrschenden Baukonzern – Neugründung und Tätigkeitsfelder reichsweit aktiver Unternehmen (ab 1941) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5. Vergebliche Improvisation: der Baukonzern in den letzten Kriegsjahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6. Selbst im Wohnungsbau: Kriegsfordismus . . . . . . . . . . . 425 428 444 453 475 487 8. Fahrzeug- und Schiffsbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 8.1. Das Volkswagenwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 8.2. Traktoren, Schiffe und Treibstoff . . . . . . . . . . . . . . . . 512 9. Das Personal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 9.1. Die ›einfachen‹ Belegschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 9.2. Zum spezifischen Typus des leitenden Managers in DAF-Unterneh­men . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 6 inhalt 10.Selbstverständnis, Struktur und Praxis des Mammutkonzerns und seiner Protagonisten Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 10.1.Ein schwer überschaubarer Koloss . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.Strukturelle Spezifika und politische Funktionen . . . . . . . . 10.3.Politik, Ökonomie – und Rassismus: zu den Markenzeichen des Konzerns . . . . . . . . . . . . . . 10.4.Klassifizierung und kategoriale Einordnung . . . . . . . . . . 556 564 579 591 11. Spuren nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 11.1. Was blieb von den Unternehmen und ihren Protagonisten? . . 599 11.2. Keine Renaissance sozialistischer Milieus nach 1945 – auch ein Erfolg der DAF und ihrer Unternehmenspolitik . . . . 611 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621 Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658 Archivalische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687 7 Einleitung Fällt der Name »Deutsche Arbeitsfront« oder auch kurz »DAF«, denkt man an die riesige und mit 1942 schließlich gut 25 Millionen Mitgliedern mitgliederstärkste – und infolgedessen auch finanzkräftigste – Organisation des Dritten Reiches. Die Umstände der Gründung dieser NS-Massenor­ga­nisation sind einigermaßen bekannt: Am 2. Mai 1933 besetzten Schlägertrupps der SA und der »Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation« (NSBO) die Gewerkschaftshäuser und besiegelten damit das Ende der Weimarer Arbeiterbewegung. Wenige Tage später wurde die DAF aus der Taufe gehoben. Sie schien die Nachfolge der bis 1933 bestehenden, in politische Richtungen gespaltenen Arbeitnehmerverbände anzutreten, entwickelte sich dann jedoch in eine ganz andere Richtung. Ziemlich unbekannt ist hingegen, dass die DAF einen riesigen Unternehmenskom­plex besaß, der auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkrieges ungefähr zweihunderttausend Arbeitnehmer beschäftigte und einen Umsatz von grob zwei Mrd. RM im Jahr machte. Wenn der gigantische Konzern der Arbeitsfront weitgehend unbemerkt geblieben ist, dann vor allem aus zwei Gründen: Zum einen war das Unternehmenskonglomerat über so viele Branchen verstreut und derart verschachtelt, dass selbst besser informierten Zeitgenossen die Gesamtdimensionen dieses Konzerns verborgen blieben. Zum anderen war die DAF eine politische Organisation und eine der Herrschaftssäulen der NS-Diktatur. Dass sie auch die Eigen­tümerin eines riesigen Wirtschaftsimperiums war, schien demgegenüber von untergeordneter Bedeutung zu sein. Dabei wirft gerade dieser Aspekt – eine herausragende politische Organisation, die über einen bereits in seinen quantitativen Dimensionen kaum überschaubaren Konzern verfügte – Fragen auf, die die NS-Forschung seit langem bewegen und auch die vorliegende Darstellung prägen: In welchem Verhältnis standen ab 1933 Politik und Privatökonomie zueinander? Warum beschränkten sich die Partei bzw. deren Vorfeldorganisationen wie die DAF nicht auf die politische Sphäre, warum wurden sie darüber hinaus in Unternehmerfunktionen tätig? Welche Folgen hatte dies für die gesamtwirtschaftlichen Konstellationen? Setzten die Arbeitsfront und andere NS-Organisationen und -institutionen, die sich gleichfalls privatwirtschaftlich engagierten, dadurch sukzessive marktwirtschaftliche Mechanismen außer Kraft – oder perpetuierten sie diese umgekehrt gerade dadurch, dass sie zum Eigentümer von Wirtschaftsunternehmen wurden, die sich privater Konkurrenz stellen mussten? Mit Blick auf die Arbeitsfront drängt sich außerdem z. B. die Frage auf, warum diese sich nicht darauf beschränkte, lediglich den Komplex an Unternehmen und Genossenschaften zu erhalten, der ihr aus dem Besitz der Gewerkschaften zugefallen war. Warum setzten die Protagonisten der DAF vielmehr alles daran, ihren Konzern gleich in einer ganzen Reihe von Branchen – im Bau- und Wohnungs­ 9 einleitung wesen, im Bank- und Versicherungsgewerbe, im Verlagswesen und Buchhandel, im Einzelhandel, im Fahrzeug- und Schiffsbau sowie perspektivisch in weiteren Wirtschaftszweigen – in eine marktbeherrschende Stellung zu hieven? Der Verweis darauf, dass die DAF das Erbe der Unternehmen, der Immobilien und des sonstigen Vermögens der Weimarer Richtungsgewerkschaften und Angestelltenverbände antrat und dieses Erbe mit den scheinbar unerschöpflichen Geldquellen, über die die mitgliederstärkste Organisation des Dritten Reiches verfügte, mehren konnte, greift als Antwort auf die Frage nach dem Warum des privatwirtschaftlichen Engagements dieser Organisation zu kurz. Denn die Rivalen der Arbeitsfront und ihres Leiters Robert Ley, unter ihnen so hochkarätige Institutionen wie das Reichswirtschafts-, das Reichsarbeits- und das Reichsfinanzministerium oder auch der »Stellvertreter des Führers«, bestanden (wie zu zeigen sein wird) darauf, dass die DAF mindestens Teile ihres Konzerns an private Interessenten abgab oder liquidierte – und sich möglichst überhaupt jeglichen wirtschaftlichen Engagements enthielt. Ley und seine Arbeitsfront ließen all diese Versuche ungerührt an sich abperlen. Warum? Weshalb waren die Protagonisten der DAF so begierig, einen Konzern aufzubauen, der es an Größe schließlich mit der IG Farben, den Vereinigten Stahlwerken, den Siemens-Unternehmen oder auch den Hermann-Göring-Werken aufnehmen konnte? In der Führung der Gesamtorganisation Deutsche Arbeitsfront saßen keine ehemaligen Unternehmer und Industriemanager, die in ihrem alten Metier wieder aktiv werden wollten, sondern (so sahen sie sich selbst) »blutige Laien«. Die Protagonisten der Arbeitsfront waren Personen, die von einem ausgeprägten politischen Machtwillen getrieben waren. Welche politischen Ziele verfolgten sie mit ihrem wirtschaftlichen Engagement? Es ist evident, dass eine Darstellung des Konzerns der Arbeitsfront ohne eine Diskussion des Verhältnisses von Politik und Ökonomie im Dritten Reich nicht auskommt. Die Untersuchung von Funktion und Struktur des Wirtschaftsimperiums der DAF sowie des Selbstverständnisses seiner Protagonisten erlaubt es, diese zentrale Debatte der NS-Forschung in veränderter Perspektive aufzunehmen und neue Schlaglichter zu setzen. Die damit zusammenhängenden Fragen trieben im Übrigen bereits die Zeitgenossen um. Maßgebliche politische Akteure der Zeit waren höchst unsicher, wie sie mit den DAF-Unternehmen umgehen sollten. Nicht nur gesamtwirtschaftlich werfen Existenz und Expansion dieses schwer überschaubaren Unternehmenskomplexes im Besitz einer mächtigen NSOrganisation zahlreiche Fragen auf. Auch die Binnenkonstellationen des Konzerns und die Beziehungen der Unternehmensvorstände zum Eigentümer waren durch ein eigenartiges Spannungsverhältnis von Politik und Ökonomie geprägt. Das Wirtschaftsimperium der Arbeitsfront war in hohem Maße politiknah. Es ist geradezu der Prototyp eines ›Partei-Unternehmens‹. Wer die schiere Größe und das rasante Wachstum des DAF-Konzerns erklären sowie nachvollziehen will, warum konkurrierende Unternehmen auf diesen »mächtigen Block« und seinen »außerordentlichen Betätigungsdrang«1 mit scheelem Blick schauten, 1 Zitat aus einer kritischen Stellungnahme des Vorstandsmitglieds der Allianz und Leiters 10 einleitung muss deshalb immer auch die politische Organisation Deutsche Arbeitsfront und Ambitionen wie Selbstverständnis ihres Leiters Robert Ley im Auge behalten. Bereits an dieser Stelle ist es unumgänglich, einen kurzen Blick auf Grundzüge, auf den Charakter der Arbeitsfront zu werfen. Denn es waren maßgeblich die eigentümlichen Strukturen, Handlungsmuster und Zielsetzungen des Eigentümers, die auch das Binnenleben des Konzerns und sein Auftreten auf den verschiedenen Märkten sowie Konkurrenten gegenüber erklären. Die Deutsche Arbeitsfront: ein charismatischer Verwaltungsstab Von der Masse ihrer Mitglieder her war die Arbeitsfront eine Arbeitnehmer­ organisation. Dennoch war sie keine Gewerkschaft, sondern politisch wie organisationsstrukturell etwas völlig anderes. Was aber war sie? Auf diese Frage hat die bisherige Forschung keine eindeutige Antwort gefunden. Sie hat erstaunt oder fasziniert die verschiedenen Aufgaben und Tätigkeitsfelder der Arbeitsfront aufgelistet, ist jedoch dabei gescheitert, die DAF selbst in ein konsistentes Organisationsmodell zu fassen und ihre Binnenstruktur wie die ihr eigene Dynamik plausibel zu erklären. Dies ging den im Dritten Reich lebenden Zeitgenossen kaum anders. Diese standen gleichfalls erstaunt, oft genug misstrauisch, manchmal erschrocken vor dem wild wuchernden Gebilde, das den Namen »Deutsche Arbeitsfront« trug.2 Die großen Schwierigkeiten, die DAF als Organisation mit den bekannten Kategorien der Verbandssoziologie und des Institutionenrechts zu fassen, ist einer der Gründe, warum es gewieften Ministerialbeamten und ebenso führenden Nationalsozialisten nicht gelang, ein seit 1936/37 heftig debattiertes »Gesetz über die Deutsche Arbeitsfront« zu ver­abschieden. Auch die Diskussion um den Konzern der DAF, die Schwierigkeiten, ihn in eine der herkömmlichen kategorialen Schubladen unterzubringen, ist von diesem Problem gekennzeichnet, wie denn der institutionelle Eigentümer eigentlich einzuordnen sei. Auch die NS-Historiographie tat und tut sich schwer, für die Arbeitsfront ein angemessenes Modell zu entwickeln. Dabei hat Max Weber im Rahmen seiner Theorie der »charismatischen Herrschaft« mit dem Modell des »charismatischen Verwaltungsstabs« ein Konzept bereitgestellt, das es erlaubt, viele der Eigentümlichkeiten der Arbeitsfront kategorial und begrifflich besser zu fassen. Folgt man Weber, fußt »charismatische Herrschaft« auf »charismatischen Verwaltungs­ der Reichsgruppe Versicherungen, Eduard Hilgard, zur DAF-Versicherungsgruppe von Anfang Dez. 1936. Hilgard war ab 1934 der wohl wichtigste Mann dieses europaweit größten Versicherungskonzerns und bis 1945 eine der wirtschafts­politisch einflussreichsten Persönlichkeiten während der NS-Diktatur. Zum Hintergrund des Zitats vgl. Kapitel 4, S. 194. 2 Vgl. Rüdiger Hachtmann (Hg.), Ein Koloss auf tönernen Füßen. Das Gutachten des Wirtschaftsprüfers Karl Eicke über die Deutsche Arbeitsfront vom 31. Juli 1936, München 2006, Einleitung: S. 9-94, hier bes. S. 18-25. 11 einleitung stäben« oder »charismatischen Verbänden«,3 als der neben dem »charismatischen Herrn« und den »charismatischen Jüngern« dritten kategorialen Säule dieses eigentümlichen Herrschaftstypus. Charismatische Verwaltungsstäbe unterstehen (in Weber’schen Termini) »charismatischen Jüngern«, die ihrerseits dem »charismatischen Herrscher« in blindem Glauben verpflichtet sind und dessen Sendung mit missionarischem Eifer in ›die Welt‹ hinaustragen. Wie sehr sich Ley (ohne das Weber’sche Konzept zu kennen) in der Rolle des »charismatischen Jüngers« sah, der seinem charismatischen »Führer« bedingungslos folgte, machte er deutlich, als er sich und andere hochrangige Repräsentanten der Hitler-Diktatur als »fanatische Apostel« bezeichnete,4 die »auf dieser Erde allein an Adolf Hitler« glaubten, der vom »Herrgott berufen« sei, »unser Volk« zu führen, damit dieses seine »hohe Mission in der Welt erfüllen« könne.5 Die eigentümliche Figur des »charismatischen Jüngers« oder »fanatischen Apostels« prägt Struktur und Handlungsmuster des »charismatischen Verwaltungsstabes«, dem dieser vorsteht. So wenig wie der »Führer« und seine Apostel lassen sich auch die »charismatischen Verwaltungsstäbe« von bürokratischen Verfahrenszwängen und klassisch-verwal­tungs­tech­ni­schen Kontrollmechanismen bremsen. Sie stülpen, so Weber, »alle Heiligkeitsbegriffe geradezu um«; »alle Regel und Tradition« sind ihnen fremd und feind.6 Sie markieren das »gerade Gegenteil bürokratischer Herrschaft«. Ihre Existenz führe allerdings, folgt man Weber, »nicht etwa [zu] einem Zustand amorpher Strukturlosigkeit«. Sie 3 Was hier lediglich kurz umrissen wird, ist an anderer Stelle ausführlicher skizziert. Vgl. ebd., bes. S. 75-92; ders., Chaos und Ineffizienz in der Deutschen Arbeitsfront. Ein Evaluierungsbericht aus dem Jahr 1936, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VZG) 53/2005, Heft 1, S. 43-78, hier bes. S. 67-76; ders., »Neue Staatlichkeit« im NS-System – Überlegungen zu einer systematischen Theorie des NS-Herrschaftssystems und ihrer Anwendung auf die mittlere Ebene der Gaue, in: Jürgen John/Horst Möller (Hg.), Die NS-Gaue – regionale Mittelinstanzen im zentralistischen »Führerstaat«?, München 2007, S. 56-79, bes. S. 61 f.; ders., Elastisch, dynamisch und von katastrophaler Effi­ zienz – Anmerkungen zur Neuen Staatlichkeit des Nationalsozialismus, in: Wolfgang Seibel/Sven Reichardt (Hg.), Der prekäre Staat. Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M./New York 2011, S. 29-73. 4 So z. B. in: Robert Ley, Hei lewet noch – der alte Feind! In: Der Angriff vom 26. Juni 1941. 5 Ders., Soldaten der Arbeit, Berlin 1938, S. 115 f. In ganz ähnlichen Formulierungen legte Ley dieses ›Glaubensbekenntnis‹ zum »Führer« und zum »nationalsozialistischen Glauben« häufig ab. So z. B. 1937, als er das Wohnungs- und Siedlungswerk der DAF ankündigte: »Auf dieser Erde glaube ich allein an Adolf Hitler und ich halte den Nationalsozialismus für den allein seligmachenden Glauben und glaube, dass Adolf Hitler vom Herrgott im Himmel, der uns führt und segnet, uns gesandt worden ist.« Ley, o.J. (1936/37), in: BA Berlin, R 3901, Nr. 20715, Bl. 136. 6 Zitate: Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Studienausgabe (fünfte, revidierte Ausgabe, besorgt von Johannes Winckelmann), Tübingen 1972, S. 657 ff. Vgl. außerdem ders., Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hg. von Johannes Winckelmann, Tübingen 1985, S. 475-488. 12 einleitung seien vielmehr durch eine eigene, von gewöhnlichen Formen der Verwaltung grundsätzlich zu unterscheidende Struktur charakterisiert.7 Statt durch überpersönliche Amtswege, wie sie für die bürokratische Herrschaft typisch ist, sei charismatische Herrschaft durch eine starke Personalisierung der Politik gekennzeichnet, in den Worten Leys: »Erst der Mensch und dann die Akten«.8 Kennzeichnend für das Handeln charismatischer Verwaltungsstäbe ist außerdem – entsprechend der Willkür der Entscheidungen des »charismatischen Herrschers« – ein vom relativen Eigenwillen der »charismatischen Jünger« geprägter, »unkontrollierter Voluntarismus« der Verwaltungsstäbe, der deren Handeln tendenziell unberechenbar mache. Die internen Organisationsbeziehungen seien infolgedessen »jeweils ad hoc regelungs- und definitionsbedürftig«.9 Es ist eine Eigentümlichkeit »charismatischer Herrschaft«, dass sie nicht zu einem Dauerzustand gefrieren kann, sondern ihre Existenz durch fortdauernde politischgesell­schaftliche Dynamik und unerwartete Wendungen sichern muss. »Charismatische Herrschaft« hat sich in »außeralltäglichen« Ereignissen immer neu zu beweisen. Geschieht dies nicht, gelangen vielmehr »die Interessen des ökonomischen Alltags zur Übermacht«,10 verliert sie sukzessive ihren »charismatischen« Charakter. Sie wandelt sich zu »bürokratischer« oder »traditionaler« Herrschaft, sofern sie nicht durch Krieg oder einen revolutionären Umsturz verschwindet. Hinzu tritt, dass »charismatische Herrschaft« nicht voraussetzungslos ist. Sie basiert auf den vorgefundenen historischen Bedingungen, in Deutschland 1933 also auf einer hochindustrialisierten, kapitalistisch organisierten Volkswirtschaft, deren zentrale Bestandteile, die Unternehmen, auch nach der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten11 »rational« oder »bürokratisch« organisiert blieben, d. h. strukturell in gewisser Weise eine Art Gegengewicht zur »charismatischen Herrschaft« bildeten. Von den »kapitalistischen Betrieben«, nach Weber die »reinste« Form »legaler Herrschaft«,12 geht ein besonders starker Sog in Richtung »Veralltäglichung« und damit Aufhebung »charismatischer Herrschaft« aus. Damit ist ein Spannungsfeld zwischen der Arbeitsfront als politischer Organisation und ihren Unternehmen markiert. Welche Friktionen bildeten sich vor diesem Hintergrund zwischen beiden Seiten aus? Wie entluden sich diese Spannungen? Bildete sich vielleicht ein Unternehmenstypus heraus, der zumindest einige der 7 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 659. 8 Ley, Soldaten der Arbeit, S. 9. 9 So in Anlehnung an Weber: Maurizio Bach, Die charismatischen Führerdiktaturen. Drittes Reich und italienischer Faschismus im Vergleich ihrer Herrschaftsstrukturen, Baden-Baden 1990, S. 24. 10 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 660. 11 Tatsächlich handelte es sich bei der Installierung des Präsidialkabinetts Hitlers 1933 im Kern um eine Machtübergabe, die freilich von einer gleichzeitigen Machteroberung der Nazis begleitet war. Obwohl der Begriff »Machtergreifung« deshalb problematisch ist, wird er im Folgenden als inzwischen üblich gewordene stehende Redewendung benutzt. Zur Etymologie des Begriffes vgl. Norbert Frei, »Machtergreifung«. Anmerkungen zu einem historischen Begriff, in: VZG, 31/1983, S. 136-145. 12 Vgl. Weber, Drei Typen, S. 476. 13 einleitung Merkmale aufwies, wie sie hier als typisch für »charismatische Verwaltungsstäbe« umrissen wurden? Oder waren sie wie ›normale‹ Wirtschaftsunternehmen, also vor allem »bürokratisch« organisiert? Die Art und Weise, wie sich die Nähe zur politischen Macht im Selbstverständnis, in der Struktur und im Handeln der Unternehmen niederschlug, konnte je nach den Spezifika der Branche, der politischen Funktion, die die Arbeitsfront-Führung dem jeweiligen Konzernteil zumaß, oder auch der Vorgeschichte des jeweiligen Unternehmens erheblich differieren. Dennoch lassen sich bestimmte Grundzüge mehr oder minder ausgeprägt für alle Säulen des DAF-Wirtschaftsimperiums feststellen. Einige wichtige Aspekte sind bereits an dieser Stelle anzureißen. Der DAF-Konzern als »volksgemeinschaftlicher Dienstleister« Nach dem Willen Hitlers sollte die Arbeitsfront eine »wirkliche Volks- und Leistungsgemeinschaft aller Deutschen« aufbauen.13 Diese sybillinisch anmutende Formel zielte in erster Linie auf die Arbeiterschaft als Adressaten. Diese war nicht nur die mit Abstand stärkste Sozialschicht der deutschen Bevölkerung. Sie hatte darüber hinaus bis 1933 die Bataillone des politischen Hauptfeindes der Nationalsozialisten, der sozialdemokratischen und der kommunistischen Arbeiterbewegung, gestellt. Die zentrale Aufgabe der Arbeitsfront bestand nun darin, die dahinterstehenden potentiell systemgefähr­denden Einstellungen zu entschärfen und auch in den proletarischen Schichten sukzessive nationalsozialistische Werte zu verankern. Die NS-Organisation sollte unter dem Primat des Bellizismus möglichst alle Arbeitnehmer zu pflichteifrigen und leistungsstarken »schaffenden Volksgenossen« umerziehen. Das wäre kaum möglich gewesen, wenn sich die Arbeitsfront nur auf die Rolle eines »Sklaventreibers«14 beschränkt hätte. Die DAF wie das Regime generell setzten keineswegs nur auf Zwang und Einschüchterung, sondern mindestens ebenso auf unterschiedlichste Formen von Anreizen und ›positiven‹ Angeboten, in der Absicht, mit diesen Lockungen bisher eher distanzierte Bevölkerungskreise zu integrieren und zu korrumpieren. Die DAF wurde dadurch nicht zu einer »Dienstleistungsorganisation« im ›klassischen‹ Sinne, wie kirchliche Wohlfahrtsverbände oder auch die Gewerkschaften und deren Suborganisationen. Dazu waren die repressiven und selektierenden Seiten der Arbeitsfront gerade ihren Mitgliedern gegenüber – de facto 13 Verordnung Hitlers vom 24. Okt. 1934. Dieser Führer-Befehl wurde zwar nicht im Reichsgesetzblatt abgedruckt; er findet sich im Wortlaut jedoch in der überregionalen Tagespresse sowie zahlreichen Zeitschriften und wurde auch in der Folgezeit wiederholt publiziert, nicht zuletzt in den einschlägigen Periodika der DAF. Vgl. außerdem Thomas Blanke u. a. (Hg.), Kollektives Arbeitsrecht. Quellentexte zur Geschichte des Arbeitsrechtes in Deutschland, Bd. 2: 1933 bis zur Gegenwart, Reinbek 1975, S. 67 f. 14 So Franz L. Neumann, Mobilisierung der Arbeit in der Gesellschaftsordnung des Natio­nalsozialismus (1942), in: ders., Wirtschaft, Staat, Demokratie. Aufsätze 19301934, hg. von Alfons Söllner, Frankfurt a. M. 1978, S. 255-289, hier: S. 269. 14 einleitung die gesamte deutsche Arbeitnehmerschaft – zu stark ausgeprägt sowie ihr autoritärer und entmündigender Charakter zu offensichtlich. Aber die Arbeitsfront wies auch Eigenschaften einer Dienstleistungsorganisation auf – genauer, Kennzeichen einer Konformität fordernden, gleichzeitig alle »Gemeinschafts-« und »Rassefremden« exkludierenden Dienstleistungsorganisation. Sie stellte selektive Anreize bereit, die jene beanspruchen konnten, die bereit waren, sich in den Dienst der »Volksgemeinschaft« zu stellen und den NS-Rassekriterien entsprachen.15 Bekannte ›Dienstleistungen‹, oder besser: ›Lockangebote‹, waren der von der »Nationalsozialistischen Gemeinschaft ›Kraft durch Freude‹« (KdF) offerierte Massentourismus und zahlreiche weitere, aus der Sicht der Zeitgenossen durchaus attraktive Kultur- und Freizeitangebote. Die Arbeitsfront hatte in ihrer Rolle als volksgemeinschaftlicher Dienstleister aber noch mehr im Köcher. Nicht zuletzt ihre Unternehmen nutzte die DAF, um dem Regime und auch der eigenen Organisation innerhalb der Arbeitnehmerschaft Resonanz zu verschaffen. Die vielfältigen sozialen Produkte und Dienstleistungen, wie sie der DAF-Konzern im ›Angebot‹ hatte, also gesunde Wohnungen, Versicherungen oder Konten zu günstigen Konditionen, preiswerte Bücher, der Volkswagen und vieles andere mehr, sollten den deutschen »Volksgenossen« für den Nationalsozialismus einnehmen. Ob und in welchem Maße der DAF als politischer Organisation eine solche zunächst »negative« und schließlich »positive Integration«16 der Arbeitnehmerschaft in die »Volksgemeinschaft« gelang, kann hier nicht ausführlicher thematisiert werden und muss einer geplanten Gesamtdarstellung der Geschichte der Arbeitsfront vorbehalten bleiben. Gleichwohl sind an dieser Stelle einige Hinweise auf neuere konzeptionelle Ansätze unabdingbar.17 Michael Wildt und 15 In dieser Hinsicht unterschied sich die DAF nicht grundsätzlich (bzw. im Wesentlichen ›nur‹ durch die Aufnahme des Exklusionskriteriums »Rasse«) von großen, auf dem Prinzip der Zwangsmitgliedschaft basierenden Gewerkschaften. Vgl. Mancur Olsen, Die Logik des kollektiven Handelns. Kollektivgüter und die Theorie der Gruppe (3. Aufl.), Tübingen 1992, S. 71 ff.; ferner Siegenthaler, Geschichte und Ökonomie, S. 276-301. 16 Der zum Verständnis der Arbeitnehmerpolitik des NS-Regimes wichtige Begriff ist in die NS-Geschichte durch Günther Morsch (Arbeit und Brot. Studien zur Lage, Stimmung, Einstellung und Verhalten der deut­schen Arbeiterschaft 1933-1936/37, Frankfurt a. M. usw. 1993, hier: S. 10 f.) eingeführt worden. Er geht zurück auf Dieter Groh, Negative Integration und revolutionärer Attentismus. Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkrieges, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1973, S. 36 ff. Vgl. auch Hachtmann, Koloss, S. 15 f. (und die dort genannte ältere Literatur). 17 Dass es problematisch ist, den Terminus »Volksgemeinschaft« angesichts seiner eng mit dem Nationalsozialismus verknüpften Begriffstradition zur analytischen Kategorie der NS-Forschung zu machen, sei wenigstens angemerkt – so sehr an dem hier nur angedeuteten Konzept die Weiterung des analytischen Blickes über die Ideologie hinaus auf die soziale Praxis und die Affirmation des Nationalsozialismus durch breite Bevölkerungsschichten überzeugt. Zur Etymologie des Begriffs und seiner inflationären Verwendung bereits in der Weimarer Republik vgl. Michael Wildt, Volksgemeinschaft 15 einleitung andere haben die »Volksgemeinschaft« in das Zentrum ihrer Untersuchungen gestellt – und zwar »Volksgemeinschaft« nicht in erster Linie als NS-Ideologem, sondern als Ordnungskonzept und als soziale Praxis. Die »Volksgemeinschaft« blieb bis 1945 zwar eine diffuse Vision, allerdings eine, die das soziale Ordnungsgefüge des Dritten Reiches prägte und »auf die Formierung einer leistungs­ orientierten und hierarchisch gegliederten Gesellschaft mit den Mitteln der Erziehung der ›Gutgearteten‹ und der ›Ausmerze‹ der angeblich ›Ungearteten‹« zielte, wie Detlev Peukert vor dreißig Jahren formuliert hat.18 Dieser Aspekt einer systematischen Inklusion der »Volksgenossen« und einer ebenso systematischen Exklusion von »Gemeinschaftsfremden« ist – gerade auch für unseren Untersuchungs­gegenstand – zentral. Das Kriterium »gemeinschaftsfremd« war variabel und konnte politisch oder rassistisch definiert werden. Menschen, die auf der politischen Ebene als »gemeinschaftsfremd« stigmatisiert wurden, blieb die Chance zur Konversion. Sofern sie sich dem NS-Regime gegenüber passiv verhielten, auf aktive Opposition verzichteten und als »rassisch rein« klassifiziert wurden, galten selbst sozialistische Arbeiter als integrationsfähig; ihre Exklusion war relativ. Sie konnten von »Gemeinschaftsfremden« zu »Volksgenossen« werden; dass sie oft weiterhin misstrauisch beäugt wurden, ändert daran grundsätzlich nichts. Dieser Aspekt, die relative Offenheit der »Volksgemeinschaft« selbst für (frühere) politische Gegner, war von erheblicher Bedeutung für die ehemals gewerkschaftlichen Unternehmen und Genossenschaften – und deren Vorstände, Angestellte, Mitglieder sowie Kundschaft. Antisemitismus und Rassismus als Grenzlinien der »Volksgemeinschaft« Nach rassistischen Kriterien als »gemeinschaftsfremd« klassifizierten Menschen, d. h. vor allem den deutschen Juden, war hingegen eine Aufnahme in die »Volksgemeinschaft« definitiv versperrt, gleichgültig zu welchen Anpassungsleistungen sie bereit waren. Dieser Aspekt bestimmte ebenfalls maßgeblich die Geschäftspolitik des DAF-Unternehmenskomplexes. Der Antisemitismus war dem Konzern seit Mai 1933 eingeschrieben. Denn die DAF als politische Organisation entwickelte sich – neben der SA und der NSDAP – schon bald zu einem treibenden, aktivistischen Element, das maßgeblich verantwortlich dafür war, dass jüdische Angestellte und Arbeiter unter oft entwürdigenden Umständen auf die Straße gesetzt wurden, lange bevor der als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919 bis 1939, Hamburg 2007, S. 26 ff., 54 ff. Zur nationalsozialistischen Begriffstradition seit Anfang der zwanziger Jahre: ebd., S. 64 ff. Vgl. außerdem Frank Bajohr/Michael Wildt (Hg.), Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 2009. 18 So Detlev Peukert, Volksgenossen und Gemeinschafts­fremde. Anpassung, Ausmerze und Aufbegehren unter dem Nationalsozialismus, Köln 1982, S. 295. Auf ihn bezieht sich auch Wildt (Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung, S. 13). 16 einleitung NS-Staat die Entlassung von Juden durch förmliche Gesetze oder Verordnungen vorschrieb. Ley und die DAF-Führung gehörten zu den aggressivsten anti- semitischen Scharfmachern und setzten ihre Organisation dafür ein, dass Juden auch im gesellschaftlichen Raum systematisch entrechtet wurden.19 Die ehemals gewerkschaftlichen Unternehmen wurden von der Arbeitsfront schon bald auf diese, auf eine rassisch homogene »Volksgemeinschaft« hin orientierte Exkludierungspraxis verpflichtet – so deren Protagonisten diese nicht bereits selbst, aus Überzeugung, vorweggenommen hatten. Es war nur logisch, dass jüdische Arbeitnehmer frühzeitig entlassen wurden. Wie aber gingen die DAF-Unternehmen mit ihrer jüdischen Kundschaft um? Schafften sie hier Präzedenzfälle, die andere Unternehmen zwangen nachzuziehen, wollten diese nicht als »Judenfreunde« stigmatisiert werden? Welche Rolle spielten Unternehmen der Arbeitsfront, z. B. die Bank der Deutschen Arbeit, bei der mit dem Euphemismus »Arisierung« umschriebenen Enteignung der Juden? War das DAF-Geldinstitut hier besonders aktiv, oder lassen sich im Vergleich zu anderen Banken kaum Unterschiede feststellen? Der nationalsozialistische Rassismus prägte Ökonomie wie Politik ­nachhaltig, weit über den Antisemitismus hinaus. Angehörige vor allem osteuropäischer Völker galten, abgestuft, gleichfalls als minderwertig. Spätestens nach dem Überfall auf Polen und mit dem Vorrücken der Wehrmacht weiteten auch die DAF-Unter­nehmen ihre Aktivitäten auf den »neuen Osten« aus. Wie gingen sie mit den Angehörigen der rassistisch diskriminierten Völker um, mit ihnen als Arbeitskräften, vor allem aber als (potentiellen) Kunden? Selektierten sie die europäische Bevölkerung in den besetzten Gebieten und verbündeten Staaten als (potentielle) Kundschaft entsprechend den ideologischen Konzepten der Nationalsozialisten? Oder waren vor dem Hintergrund des unternehmerischen Ziels einer Umsatzsteigerung und Profitmaximierung um jeden Preis letztlich alle gleich, unabhängig davon, welcher Nation sie angehörten? Auch das Dienstleistungs- und Integrationsmotiv ist im Zusammenhang mit der Okkupation immer größerer Teile Europas durch deutsches Militär in veränderter Perspektive aufzunehmen: Suchten sich die DAF-Unter­nehmen über die »Volksdeutschen« hinaus auch gegenüber anderen, etwa gegenüber den als »rassisch verwandt« geltenden Flamen und Niederländern, als ›Dienstleister‹ zu profilieren? In welcher Weise konfligierte das rassistisch und in den Anfangsjahren auch politisch segregierende ›Dienstleistungs‹-Motiv mit dem profanen Ziel der Gewinnmaximierung und Umsatzsteigerung? Kam es vor diesem Hintergrund zu Friktionen zwischen betriebswirtschaftlich denkenden Unternehmensvorständen und den in erster Linie auf politische Ziele orientierten DAF-Verantwort­ 19 Vgl. exemplarisch Dieter Ziegler, Die Verdrängung der Juden aus der Dresdner Bank 1933 – 1938, in: VZG 47/1999, S. 187-216, bes. S. 205; ders., Die Dresdner Bank und die deutschen Juden, München 2006, bes. S. 60 ff. – oder auch, exemplarisch für zahl­ reiche Lokalstudien, Wolf Gruner, Judenverfolgung in Berlin 1933-1945. Eine Chronologie der Behördenmaßnahmen in der Reichshauptstadt, Berlin 2009, z. B. S. 97, 108 u.ö. 17 einleitung li­chen? Oder waren die Spannungen zwischen politisch-rassistischen Prämissen und ökonomischen Zielsetzungen gar nicht so stark, weil der Rassismus und eine entsprechende Praxis – auch für ›Normalunternehmen‹ – in der nationalsozialistischen Marktwirtschaft zu einer Selbstverständlichkeit und damit auch zu einer Norm betriebswirtschaftlichen Handelns wurde? Diese Frage ist auf alle Facetten der Praxis der DAF-Unternehmen hin zu erweitern. Franz Leopold Neumann hat im 1944 verfassten zweiten Teil seines »Behemoth« festgestellt, dass vor dem Hintergrund der Besetzung weiter Teile Europas und den räuberischen Aktivitäten zahlreicher Unternehmen in den besetzten Gebieten »die Praktiker der Gewalt mehr und mehr Unternehmer und die Unternehmer Praktiker der Gewalt« geworden seien.20 Inwieweit brachen die DAF-Unternehmen mit überkommenen – seriösen – Formen der Geschäftspolitik? In welcher Hinsicht übernahmen sie die immer offener zutage tretende barbarische Praxis des Regimes auch in die ökonomische Sphäre? Wurden die DAF-Unternehmen hier zu Vorreitern, zu Pionieren einer NS-spezifischen Unternehmenskultur? Oder bewegten sie sich lediglich im Mainstream, d. h. waren Veränderungen im geschäftspolitischen Stil, im Habitus der Repräsentanten des Konzerns usw. ganz ähnlich auch bei den anderen (Privat-)Unternehmen zu beobachten? Ökonomischer Unterbau des politischen Machtstrebens der Arbeitsfront Darüber, dass das polykratische Herrschaftssystem des National­sozialismus ­durch immerwährende, sozialdarwinistisch aufgeladene Konkurrenzen der Hauptakteure und -institutionen um Befugnisse und Machtansprüche charakterisiert war, ist sich die historische Forschung seit langem einig. Robert Ley und seine Arbeitsfront standen nicht zufällig im Zentrum dieser Machtkämpfe. Typisch für die DAF und ihren Leiter war ein nicht zu stillender Allmachtsanspruch auf zahllosen gesellschaftlichen Feldern. Damit hielt Ley auch gar nicht hinter dem Berg. Am 7. September 1936, zwei Tage vor Verabschiedung des »Vierjahresplanes«, mit dem die Phase der forcierten Aufrüstung eingeleitet wurde, machte Robert Ley in einer Anordnung21 an die nach Zehntausenden zählen20 Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 19331944, Frankfurt a. M., (EA 1942/44), S. 660. 21 »Grundsätzliche Anweisungen« Leys, Anordnung 45/46, vom 7. Sept. 36, in: Informationsdienst der DAF, S. 146-150. In den DAF-Publikationen wurde diese Anordnung, in der die Termini »Totalitätsanspruch« bzw. »Totalitätsgedanke« mehrfach und an zentraler Stelle vorkamen, in der Folgezeit wiederholt abgedruckt. In Auszügen ferner in: Tilla Siegel, Rationalisierung statt Klassenkampf. Zur Rolle der DAF in der nationalsozialistischen Ordnung der Arbeit, in: Hans Mommsen (Hg.), Herrschaftsalltag im Dritten Reich, Düsseldorf 1988, S. 97-149, hier: S. 175 ff. Vgl. außerdem Matthias Frese, Betriebspolitik im ›Dritten Reich‹. Deutsche Arbeitsfront, Unternehmer und Staatsbüro­kratie in der west­deutschen Großeisenindustrie 1933-1939, Paderborn 1991, S. 220 ff. 18 einleitung den hauptamtlichen DAF-Funktio­näre22 den »Totalitätsanspruch« ausdrücklich zur handlungsleitenden Richtschnur ›seiner‹ Organisation.23 Diese »Grundsätzlichen Anweisungen« Leys, eine Art Selbstermächtigungsgesetz, basierten auf einer Verordnung, die Hitler am 24. Oktober 1934 auf Veranlassung Leys herausgegeben hatte, und legten die in ihrem Wortlaut interpretationsfähige »Führer«-Ver­ord­nung eigensinnig und einseitig zugunsten der DAF aus. Mit der Verordnung vom Herbst 1934 hatte Hitler die Arbeitsfront zur »Organisation aller schaffenden Deutschen der Stirn und der Faust« gemacht und ihr die Aufgabe der »Bildung einer wirklichen Volks- und Leistungsgemeinschaft aller Deutschen« übertragen.24 Dieser »Befehl« des »Führers«25 und noch stärker die »Grundsätzlichen Anweisungen« Leys knapp zwei Jahre später legitimierten einen maßlosen »Verbandsimperialismus« (Timothy Mason)26 der Arbeitsfront, der Auswirkungen auch auf das Selbstverständnis und die Politik ihrer Unternehmen haben musste. Es liegt vor diesem Hintergrund nahe anzunehmen, dass der DAF-Konzern das unausgesprochene politische Ziel der Führung um Robert Ley, die Arbeitsfront zu einem »Staat im Staate« zu machen und das »Dritte Reich« von innen heraus zu beherrschen,27 ökonomisch fundieren sollte. Aber in welcher Weise geschah dies genau? Die Arbeitsfront war ein umtriebiger Akteur auf den politischen Bühnen des Dritten Reiches. Sie begnügte sich nicht mit Befugnissen, die ihr irgendwann einmal zugewiesen worden waren, sondern versuchte, sich sukzessive weitere, quasi-staatliche Kompetenzen anzueignen. In einer Reihe von 22 Ende 1935 waren 29.513 Funktionäre hauptamtlich für die Arbeitsfront tätig; bis Kriegsbeginn wuchs ihre Zahl auf 43.796, Mitte 1942 lag sie nominell bei 48.791. Von diesen wurde vor allem seit 1941 allerdings ein rasch wachsender Prozentsatz zur Wehrmacht einberufen (Juni 1942: 33,4 %). Neben den Hauptamtlichen waren außerdem (1939:) zwei Millionen ehren­amtliche Funktionäre für die DAF aktiv. Vgl. Hachtmann, ­Koloss, S. 19, 349. 23 Konkret bezog sich der Totalitäts-Begriff u. a. auf das Gesamtgebiet der sozialpolitischen »Betreuung und beruflichen Weiterbildung«, auf das Sozialrecht, einschließlich des individuellen Arbeitsrechts, sowie auf die »Betreuung am Arbeitsplatz im Sinne der Leistungsgemeinschaft«. 24 Vgl. Anm. 13. Zum Rechtscharakter dieser Hitler-Verordnung vgl. Kapitel 2, S. 62. 25 »Führerbefehle« mussten zu diesem Zeitpunkt noch rechtsförmigen Charakter annehmen. Das änderte sich in den Vorkriegsjahren. Alles, was Hitler irgendwie – und gleichgültig vor welchem Forum – geäußert hatte, galt seitdem als »Befehl«. Vgl. Dieter Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945, Stuttgart 1989, S. 379; Bach, Die charismatischen Führerdiktaturen, S. 101. Die durch keinerlei (konkurrierendes) Recht eingeschränkte Verbindlichkeit der Hitler-Befehle begünstigte nicht zuletzt die Expansion des DAFKonzerns: Während des Krieges reichte ein formloses Schreiben Hitlers an den Reichswirtschaftsminister, um diesen zu veranlassen, die Reste der Konsumgenossenschaften der DAF zu übereignen, damit diese daraus ihr Deutsches Gemeinschaftswerk aufbauen konnte. Vgl. Kapitel 7, S. 396 f.. 26 Timothy W. Mason, Sozialpolitik im Dritten Reich, Opladen 1977, bes. S. 175 ff. 27 Zu Leys Ziel, die DAF zu einem »Staat im Staate« zu machen, vgl. Hachtmann, Koloss, bes. S. 57 ff. 19 einleitung Fällen gelang ihr dies auch tatsächlich. Welche Rolle spielten die Unternehmen der Arbeitsfront für die Aneignung quasi-staatlicher Befugnisse? Wurden die Unternehmen im Ringen um politische und staatliche Macht und Einfluss zum Argument, der Arbeitsfront neue Aufgabenfelder zuzuweisen? Brach die Existenz von DAF-Unternehmen auf bestimmten ökonomischen Feldern politischen Kompetenzansprüchen Leys überhaupt erst Bahn? Wenn die Arbeitsfront die angestrebten Befugnisse schließlich gewonnen hatte: Fungierten ihre Unternehmen dann als eine Art behördlicher Unterbau? Wie prägte der Ley’sche Totalitätsanspruch die Unternehmenspolitik und Unternehmenskultur des Konzerns? Das Wirt­schaftsimperium der Arbeitsfront war vielfältig verästelt, und in den einzelnen Branchen konnten die Konstellationen stark differieren. Ist deshalb und auch mit Blick auf die teilweise sehr unterschiedlichen Vorgeschichten der einzelnen Unternehmen eher im Plural von ›Unternehmenskulturen‹ zu sprechen? ›Unternehmenskultur‹ lässt sich zudem nicht einfach durch das Management von oben nach unten durchsetzen oder gar oktroyieren. Andere soziale Gruppen im Unternehmen, etwa die einfachen Beschäftigten, aber auch der Umgang mit den Kunden, beeinflussen gleichfalls die jeweilige ›Unternehmenskultur‹ und betriebliche Atmosphäre.28 Gerade in Genossenschaften sowie Unternehmen, die aus der Tradition der sozialistischen Arbeiterbewegung kamen, konnten derartige – zumeist implizite – ›Aushandlungsprozesse‹ ziemlich konfliktgeladen sein. Deshalb verbieten sich allzu pauschale Antworten. Das stete Streben der DAF-Führung nach Machterweiterung führt dennoch zu einer Reihe von Fragen, die vor allem auf die ›Kultur‹ der Vorstände zielen und letztlich alle Konzernteile betreffen: Zeigten sich die Unternehmen der Arbeitsfront aggressiver als ihre privaten Konkurrenten? Bedienten sie sich politischer Hebel, um ökonomische Zielsetzungen zu realisieren? Wenn ja: in welcher Weise? Die Nähe zur politischen Macht ist der Hauptgrund dafür, dass in der vorliegenden Untersuchung der Terminus »Wirtschaftsimperium« für den Gesamtkomplex der DAF-Unternehmen gehäuft verwendet wird. In Lexika, z. B. dem zeitgenössischen Volks-Brockhaus,29 wird »Imperium« schlicht mit »Großreich« gleichgesetzt. Tatsächlich war die Arbeitsfront ja auch einer von zahlreichen Herrschaftsträgern des nationalsozialistischen ›Großreiches‹. Großreiche wiederum sind in aller Regel nicht nur politisch und militärisch basiert, sondern auch ökonomisch. Die ökonomische Verankerung des Herrschaftsträgers DAF in der nach 1933 weiter bestehenden Marktwirtschaft über die dieser Organisation im Gefolge der NS-Machtergreifung angegliederten Unternehmen ist gemeint, wenn hier vom »Wirtschaftsimperium« der Arbeitsfront gesprochen 28 Vgl. dazu etwa Thomas Welskopp, Unternehmenskulturen im internationalen Vergleich – oder integrale Unternehmensgeschichte in typisierender Absicht?, in: Hartmut Berghoff/Jakob Vogel (Hg.), Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivwechsels, Frankfurt a. M. 2004, S. 265-294, bes. S. 269 ff. 29 Der Volks-Brockhaus. Deutsches Sach- und Sprachwörterbuch für Schule und Haus, siebente, verbesserte Auflage, Leipzig 1939, S. 307. 20 einleitung wird. Der Begriff verweist auf die diese Untersuchung tragende und für die Arbeitsfront exemplarisch aufgeworfene Frage nach den Verflechtungen von Wirtschaft und Politik in der Zeit des Nationalsozialismus – die sich nicht auf einen Primat der Ökonomie oder der Politik reduzieren und dann mit einem simplen Pro oder Contra beantworten lässt. Er zielt nicht zuletzt auf die mit politischer Herrschaft gepaarten und verflochtenen ökonomischen Praxen und Potenzen der in Rede stehenden Unternehmen. Welcher ökonomischen und politischen Mittel bediente sich der DAF-Kon­zern, um Marktanteile abzusichern und auszubauen? Auch die im Terminus ›Imperium‹ mitschwingende militärische Dimension spielt für die vorliegende Darstellung eine Rolle. Dass sich die DAFUnternehmen die Unterwerfung weiter Teile Europa durch das NS-Regime und die Wehrmacht zunutze machten, liegt auf der Hand. Aber wie unmittelbar folgten die DAF-Unternehmen den Spuren der Wehrmacht auf ihren Eroberungszügen durch Europa? Wie gestaltete sich ihr Verhältnis zu den Militärstellen und sonstigen Besatzungsbehörden im besetzten Europa, wie wurde es für die Unternehmensexpansion genutzt? Auch der Begriff »Konzern« findet im Folgenden Verwendung. Zu bedenken ist allerdings, dass das DAF-Wirtschaftsim­perium so wenig ein kompakter Konzern wie das Unternehmenskonglomerat war, das sich Friedrich Flick zusammenkaufte.30 Das wirtschaftliche Imperium, über das die DAF verfügte, war ein firmenrechtlich verschachteltes, politisch geführtes Geflecht an Unternehmen,31 die ansonsten ziemlich selbständig und in den unterschiedlichsten Branchen tätig waren. Auch diese Feststellung wirft Fragen auf, die im Folgenden ausführlicher diskutiert werden: Blieben die Unternehmen in den zwölf Jahren der NS-Diktatur so (relativ) unverbunden, wie sie die Arbeitsfront 1933 übernahm? Oder machte die politische Führung der DAF Anstrengungen, ihren über zahlreiche Industriezweige verstreuten Unternehmenskomplex, nach welchen Kriterien auch immer, zu einem Konzern im engeren Sinne umzubauen? Denkbar wäre auch eine Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung: Wirkten der ­polykratische Charakter des Regimes und ebenso die gerade auf der Leitungs30 Analogien des DAF-Unternehmenskonglomerats zum Flick-Imperium drängen sich auf bes. nach der Lektüre von: Werner Plumpe, Flicks Karrieren. Ein Kapitel deutscher Unternehmensgeschichte aus dem 20. Jahrhundert, in: Neue Politische Literatur 53/2008, S. 5-14, bes. S. 6 (Rezension zu: Kim Christian Priemel, Flick. Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik, Göttingen 2007). 31 Der Unternehmensbegriff ist hier nicht ausführlicher zu diskutieren. Wichtig für das Folgende ist an dieser Stelle allerdings der Hinweis, dass alle Unternehmen – in allen Systemen und modernen Gesellschaftsformationen – in einem auch politischen Umfeld agieren. Es wäre grob irreführend zu behaupten, dass sich die Unternehmen erst ab 1933, und noch dazu unter Zwang, ›politisiert‹ hätten. Was sich änderte, waren die Formen und konkreten Qualitäten des Umfeldes, auf das die Unternehmen ihre Geschäftspolitiken auszurichten hatten. Zum Unternehmensbegriff vgl. z. B. den guten Überblick bei Michael C. Schneider, Unternehmensstrategien zwischen Weltwirtschaftskrise und Kriegswirtschaft. Chemnitzer Maschinenbauindustrie in der NS-Zeit 1933-1945, Essen 2005, bes. S. 19 f. (und die dort genannte ältere Literatur). 21 einleitung ebene aufgesplitterte politische Organisation »Deutsche Arbeitsfront« mit ihren zahllosen Tätigkeitsfeldern zersetzend auch auf die innere Kohärenz des Konzerns? Zu fragen ist des Weiteren, ob die engen Beziehungen der DAF-Unternehmen zu ihrer Mutterorganisation tatsächlich vor allem von Vorteil waren – wie man zunächst anzunehmen geneigt ist. Welche Bereitschaft zeigten die Funktionäre der Arbeitsfront, sich konkret für die DAF-Unternehmen zu engagieren? Verschaffte die Nähe zur DAF einen Zugang zu Kundenpotentialen, den man auf ›normalem‹ Wege womöglich nicht erhalten hätte? Von der NS-Forschung ist wiederholt betont worden, dass der Ruf der Arbeitsfront in breiten Bevölkerungsschichten – nicht nur im Bürgertum und in den Mittelschichten, sondern auch in der Arbeiterschaft – keineswegs der beste war. Welche Nachteile hatte die Nähe zur Arbeitsfront für die einzelnen Segmente des Konzerns? Die Frage nach den Vor- oder Nachteilen des Umfeldes ist nicht nur mit Blick auf die Kundenpotentiale zu diskutieren. Welche Beziehungsnetze, die es erleichterten, Aufträge zu akquirieren, Lizenzen für Auslandsfilialen zu erhalten, ›Tochtergesellschaften‹ in den besetzten Gebieten zu erwerben usw., bauten die DAFUnternehmen über den engeren Rahmen der Arbeitsfront hinaus zu wichtigen Protagonisten des Regimes auf ? Denkbar wäre, dass die Verbindung mit der verbandsimperialistischen, ständig auftrumpfenden Arbeitsfront zu einer Isolierung der Vorstände oder Geschäftsführer ihrer Unternehmen innerhalb der reichsdeutschen Wirtschaftselite führte. Diese Frage wiederum schließt weitere ein, z. B.: Wie waren die DAF-Unternehmen in den Organen der ›Wirtschaftlichen Selbstverwaltung‹, also der Reichswirtschaftskammer, den Reichs-, Wirtschafts- und Fachgruppen vertreten? Und ganz generell: Wie reagierten die Konkurrenten auf die DAF-Unternehmen – namentlich, wenn diese zu deren Nachteil ihre Beziehungen zur Arbeitsfront spielen ließen? In diesem Zusammenhang sind die Befürchtungen zu thematisieren, die ein aggressives Auftreten von Arbeitsfront-Unternehmen unter privatwirtschaftlichen Konkurrenten hervorrief. Zwar wurde das Prinzip einer konkurrenz­ basierten Marktwirtschaft und mit jener der Grundsatz des Privateigentums an Produktionsmitteln von den Entscheidungsträgern der Hitler-Diktatur zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Frage gestellt.32 Aber galt dieses wirtschafts­ politische Credo auch für die DAF? Die Arbeitsfront und namentlich ihr Chef waren bekannt für populistische Phrasen. Sie waren schnell bei der Hand, wenn es darum ging, die Praxis des Hitler-Regimes und der Arbeitsfront als »sozialistisch« zu etikettieren. Waren derartige Attributierungen nur Rhetorik, oder wurden damit langfristige Zielperspektiven angedeutet? Wenn Konkurrenten um Macht und Einfluss Ley und der Arbeitsfront eine Neigung zur Verstaatlichung oder monopolistische Bestrebungen vorwarfen: Waren solche Kritiken ernst gemeint? Oder standen ganz andere Absichten dahinter? Verbargen sich dahinter Versuche von Rivalen, Robert Ley samt seiner gerade auch finanziell 32 Vgl. Kapitel 1, bes. S. 48, 54 f., und Kapitel 10, S. 573-579. 22 einleitung und wirtschaftlich potenten Massenorganisation ins Abseits zu stellen? Suchte man nach Vorwänden, um den unternehmenspolitischen Expansionismus des DAF-Konzerns zu zügeln? Wollte man diesen, da man ihm ökonomisch nicht beikommen konnte, mit politischen Mitteln beschneiden? Eine Darstellung des DAF-Wirtschaftsimperiums kommt infolgedessen nicht umhin, Schlaglichter auch auf einige der relevanten politischen Bühnen des Dritten Reiches zu werfen und die Positionen der wichtigsten Kontrahenten der Arbeitsfront in groben Zügen zu umreißen, etwa die Haltungen von Heß, Schacht, Funk, Göring, Todt und Speer, aber auch die der zentralen Protagonisten in den Reihen der einschlägigen Wirtschaftsorganisationen. Öffentlich-rechtliches Unternehmen, Staatsbetrieb oder privater Konzern? Eine Trennung von »Partei« und »Staat« war schon bald faktisch kaum mehr möglich, und auch die Scheidung in staatlich-öffentlich und privatwirtschaftlich wurde auf vielen Feldern zunehmend schwieriger. Für den DAF-Konzern wirft dies eine Reihe von Fragen auf. Zu bedenken ist zunächst, dass die Trennung in staatlich-öf­f ent­li­che Auf­gaben einerseits und privatwirtschaftliche Aktivitäten andererseits ohnehin künstlich ist. Staatliche oder öffentlich-recht­liche Funktionen wurden immer schon an kommerziell agierende Unternehmen delegiert33 und werden dies heute mehr denn je. Gerade zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeigt sich in hochindustrialisierten Gesellschaf­ten in aller Deutlichkeit, wie porös hier die Grenze ist. Es bilden und bildeten sich Grauzonen, die weder der einen noch der anderen Sphäre eindeutig zuzuordnen sind. Es bleibt indessen die Frage, inwieweit spezifische Formen der Verknüpfung von staatlich-öffentlichen Funktionen und privatwirtschaftlichen Aktivitäten zu einer Signatur des NS-Regimes wurden. Eine genauere Betrachtung des Unternehmenskomplexes, dessen Nähe zu politischstaatlichen Funktionsträgern unübersehbar war bzw. der sich gar, wie der DAFKonzern, im Besitz eines dieser Funktionsträger befand, wird hier genaueren Aufschluss bieten können. Öffentliche Unternehmen sind nicht zwingend mit Infrastrukturprojekten verbunden. Ob ein Betrieb als »öffentlich« oder »staatlich« zu klassifizieren ist, hängt ausschließlich von der Eigentümerstruktur ab. Teil des Staates war die DAF nicht – auch wenn die Organisation sich sukzessive staatliche Befugnisse anmaßte. Mindestens ebenso zweifelhaft ist, ob die Arbeitsfront als »öffentliche« Körperschaft zu klassifizieren ist. Ebenso wenig waren die DAF-Unternehmen 33 Z. B. an die Turnpike-Trusts, die englische Großgrundbesitzer und/oder »bürgerliche« Kapitalanleger ab dem 16. Jahrhundert gründeten. Sie übernahmen quasi-staatliche Funktionen, als sich in England eine räumlich arbeitsteilige Industrie zu entwickeln begann. Die Besitzer dieser Trusts mobilisierten umfangreiche Kapitalien für den Bau von Überlandstraßen und durften dann für deren Nutzung Gebühren kassieren. Übernommen wurde diese Variante privat-öffentlicher Kooperation unter dem Begriff »Mautsystem« später bekanntlich von vielen Staaten. 23 einleitung »privat«, auch wenn sie firmenrechtlich als Aktiengesellschaften oder »Gesellschaften mit beschränkter Haftung« (GmbH) organisiert wurden. Wie also sind die Unternehmen der Arbeitsfront zu kategorisieren? Die Frage, ob das Unternehmenskonglomerat der Arbeitsfront als privatkapitalistischer Konzern anzusprechen sei oder ob es sich um Unternehmen der »öffentlichen Hand« handelte, war bereits unter den Zeitgenossen umstritten. Die wirtschaftsnahe »Berliner Börsen-Zeitung« konstatierte am 4. Oktober 1941, dass die DAF-Wirtschaftsunternehmen »in den Untersuchungen des Statistischen Reichs­amtes nicht als ›öffentlich‹ geführt [würden], da ihre Gesellschafts­kapitalien sich weder unmittelbar noch mittelbar in den Händen einer Gebietskörperschaft befänden«. Dieser Zuordnung der amtlichen Statistik, die darauf hin­auslief, den Konzern der Arbeitsfront als »privat« zu kategorisieren, wollte sich die Börsen-Zei­tung nicht anschließen. Denn »für die wirtschaftliche Praxis werden diese Gesellschaften dennoch zum öffentlichen Sektor gerechnet, nicht weil sie großenteils die Form von Aktiengesellschaften haben, sondern im Hinblick auf die Persönlichkeit des Besitzers und seine unternehmerische Haltung«. Eine solche Stellungnahme wirft mehr Fragen auf, als dass sie Antworten bietet. Welche »unternehmerische Haltung« zeigte Robert Ley? Lässt sich die Zuordnung eines Unternehmens zu den genannten Grobkategorien an die Haltung ihres Besitzers binden (der Ley ja eigentlich nicht war – er besaß nur eine weitgehende Verfügungsgewalt über die Unternehmen ›seiner‹ Organisation)? Entsprach die »wirtschaftliche Praxis« der DAF-Unternehmen tatsächlich, wie die Berliner Börsen-Zeitung suggerierte, den öffentlich-rechtlichen Betrieben oder den Wirtschaftsunternehmen, die sich in staatlichem Besitz befanden? Oder agierten diese wie ganz gewöhnliche Unternehmen? Die Reihe an Fragen ließe sich fortsetzen. Deutlich wird jedenfalls, dass die gängigen Kategorisierungen unbefriedigend bleiben. Ein Gutteil der Schwierigkeiten, den DAF-Konzern in üblichen rechtlichen oder funktionalen Kategorien zu fassen, liegt im schillernden Charakter der Mutterorganisation begründet. Dass die Arbeitsfront keine Gewerkschaft war (und ebenso wenig eine Quasi- oder Pseudo-Gewerkschaft), dürfte inzwischen unbestritten sein. Aber was war sie stattdessen? Nicht zuletzt die politischen Rivalen Leys und der Arbeitsfront sahen sich immer wieder mit dem Problem konfrontiert, dass sich die Arbeitsfront wie ein Aal allen Versuchen einer eindeutigen Kategorisierung entwand. Eines allerdings war eindeutig: Zentrale Aufgabe der DAF war es, die breiten Arbeitnehmerschichten und hier nicht zuletzt die bis 1933 zu erheblichen Teilen antifaschistisch gesinnte Arbeiterschaft mit dem Nationalsozialismus zu versöhnen und in eine angestrebte deutsche »Volks- und Leistungsgemeinschaft« zu integrieren. Zu diesem Zweck wurde die Arbeitsfront auf allen möglichen gesellschaftlichen Feldern aktiv und maßte sich schon bald auch staatliche Befugnisse an. Es gab also durchaus gute Gründe, auch den Konzern dem »öffentlichen Sektor« zuzurechnen. Aber nahmen die DAF-Unter­ nehmen tatsächlich »öffentliche« Aufgaben wahr? Auf zentralen Feldern dessen, was im engeren Sinne gemeinhin unter »Infrastruktur« sub­sumiert wird (Bil- 24 einleitung dungswesen, Gas-, Wasser- und Stromversorgung, öffentliche Verkehrsmittel u.ä.), wurden die DAF-Unternehmen nicht tätig. Zwar konnte die Arbeitsfront als politische Organisation erheblichen Einfluss im Bildungs­bereich34 gewinnen – vor allem in der beruflichen Bildung. Aber gerade auf diesen Feldern wurde der Konzern der Arbeitsfront nicht unmittelbar aktiv. In einem traditionellen Sinne wurde die DAF zwar nicht »öffentlich« tätig. Aber in einem veränderten, NS-spezifischen Sinne nahm sie durchaus politischöffentliche Aufgaben wahr. Die Führung der Arbeitsfront nutzte (auch) ihren Konzern, eine »Volks- und Leistungsgemeinschaft der Deutschen« zu errichten, und baute die enteigneten Genossenschaften und Gewerkschaftsunternehmen zu einem ›volksgemeinschaftlichen Dienst­leister‹ um. Über die bereits skizzierten Bedeutungen hinaus soll der Begriff ›volksgemeinschaftlicher Dienst­leister‹ auch auf die Pervertierung des ›Erbes‹ verweisen, das der DAF zufiel: Das Prinzip der klassenbezogenen Solidarität, das für die Gründung der gewerkschaftsnahen Unternehmen und Genossenschaften Pate gestanden hatte und keine Stigmatisierungen nach konfessioneller oder nationaler Herkunft kannte, wurde 1933 abgelöst durch eine rhetorisch auf das gesamte, rassistisch definierte ›Volk‹ ausgeweitete ›Vergemeinschaftung‹, die sozialpaternalistisch überwölbt war – und mithin ganz anderen, geradezu entgegengesetzten Organisationsprinzipien folgte als denen, die für Unternehmen und Genossenschaften der Arbeiter­ bewegung maßgeblich gewesen waren. Die Unternehmen der linken Gewerkschaftsbewegung waren – mit klassenkämpferischer Akzentsetzung – unter dem Aspekt der solidarischen Selbsthilfe gegründet worden. Sie arbeiteten zwar nach betriebswirtschaftlichen Kriterien kostendeckend und konnten durchaus auch ansehnliche Ge­winne erwirtschaften. Diese wurden jedoch nicht privat angeeignet. Ihrem Selbstverständnis und ihrer Funk­tionsweise nach waren sie Non-Profit-Unter­nehmen, die alle Gewinne sozialen (und politischen) Zwecken zuführten. Insbesondere für die Konsumgenossenschaften, aber auch für die Bauproduktiv- und die Wohnungsgenos­sen­schaften gehörte außerdem der Grundsatz der Selbstorganisation zum Kernbestand des Selbstverständnisses.35 Indem bei den Wohnungs34 Zu den Aktivitäten der DAF vor allem im Bereich der beruflichen Bildung vgl. vor allem Theo Wolsing, Untersuchungen zur Berufsausbildung im Dritten Reich, ­Ka­stel­laun 1977. Zu den Forschungseinrichtungen der Arbeitsfront und ihren Plänen für den Aufbau eines Wissenschaftsimperiums vgl. die Hinweise bei Rüdiger Hachtmann, Wissenschaftsmanagement im Dritten Reich: Die Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Bd. 2, Göttingen 2007, S. 705, 927-930, sowie demnächst ders., Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie und die Deutsche Arbeitsfront, in: Hans-Ulrich Thamer/Theo Plesser (Hg.), Geschichte des KWI/MPI für Arbeitsphysiologie, des MPI für molekulare Physiologie und des Dortmunder Instituts für Arbeitswissenschaft, Stuttgart 2012. 35 Sie wurde durch das (genossenschaftstypische) Einstimmen-Prinzip der Mitglieder abgesichert, durch das einer Ungleichheit unter den Mitglieder (durch den Kauf zahlreicher Genossenschaftsanteile) vorgebeugt werden sollte. Zum (historischen) Begriff »Genossenschaft« vgl. Michael Prinz, Das Ende der Konsumvereine in der Bundes­ 25 einleitung genossenschaften Mieter und Vermieter, bei den Produktivgenossenschaften Arbeitgeber- und Arbeitnehmerfunktionen und bei Konsumgenossenschaften Einkäufer und Käufer, Produzent, Händler und Konsument in bestimmter Hinsicht »identisch« waren, transzendierten diese tendenziell kapitalistische Marktwirtschaften. Indem die Wohn- und Konsumgenossenschaften eine Art direkter Mieter- und Konsumentendemokratie praktizierten, verlagerten sie Funktionen und Mechanismen, die ansonsten gesamtwirtschaftlich über einen anonymen Markt vermittelt werden, in ihr Inneres und stellten vom Grundsatz her so etwas wie demokratische, basisnahe Planwirtschaften dar. Diese Zielstellung war Programm. Die Protagonisten der sozialdemokratischen Genossenschaftsbewegung wollten so »auf friedlichstem Wege zu der Überführung eines immer größeren Teils unserer Volkswirtschaft aus der Kapitalwirtschaft in die Sozialwirtschaft« gelangen.36 Folgerichtig waren sie den Repräsentanten der Marktwirtschaft in Staat und Arbeitgeber­verbänden ideologisch ein Dorn im Auge und im selbständigen Mittelstand verhasst. Aber nicht nur die Genossenschaften im engeren Sinne waren Non-ProfitUnter­nehmen und auf das Prinzip solidarischer Selbsthilfe geeicht. Auch z. B. die »Volksfürsorge« war bis 1933 diesen Prinzipien verpflichtet, wenn sie mit preis­ werten und gesicherten Kleinlebensversicherungen ­einkommensschwächeren Arbeitnehmerschichten ein Minimum an sozialer Sicherung anbot. Abgeschwächt gilt dies selbst für die »Deutscher Ring«-Versicherun­gen (DR-Versiche­rungen) des Deutsch­nationalen Handlungsgehilfen-Verbandes (DHV), die Bedürfnissen ihrer Klientel, des neuen und alten Mittelstands, gerecht zu werden suchten, indem sie nicht gesetzlich versicherten Mitgliedern des DHV oder mit diesem Verband sympathisierenden (kleinen) Selbständigen erschwingliche private Krankenpolicen offerierten. Selbst für die »Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten«, die 1933 in »Bank der Deutschen Arbeit« (im Folgenden auch: Arbeitsbank) umbenannt wurde, war Gewinnorientierung bis zur NS-Machtergrei­ fung ein eher zweitrangiges Motiv; sie wollte den Mitgliedern der linken Arbeiterbewegung in erster Linie als eine Art Arbeiter-Spar­kas­se dienen, mit sicheren Kleinkonten zu günstigen Konditionen, und fungierte außerdem als Hausbank des ADGB und der Sozialdemokratie. Auch beim Langen-Mül­ler-Verlag, bei der Hanseatischen Verlagsanstalt, der Deutschen Hausbücherei des DHV und ebenso der Büchergilde Gutenberg der sozialdemokratischen Gewerkschaften, mit dem angeschlossenen Buchmeister-Ver­lag, weiteren Kleinverlagen sowie den Buchhandlungen und Druckereien, die sich die DAF 1933 angegliederte, stand Gewinnmaximierung nicht an erster Stelle. Allerdings wird man sie nur sehr eingeschränkt als eine Art kultureller ›Selbsthilfe‹ klassifizieren können, auch republik Deutschland. Traditionelle Konsumentenorganisation in der historischen Kon­tinuität, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1993/2, S. 159-188, hier: S. 160. 36 Jahrbuch des Zentralverbands Deutscher Konsumvereine 18/1920, Bd. 1, S. 139, nach: Christoph Buchheim, Die deutschen Konsumgenossenschaften in der Weimarer Zeit – eine scheiternde Bewegung für Wirtschaftsreform, in: Scripta Mercaturae. Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 16/1982, Heft 2, S. 51-69, Zitat: S. 52. 26 einleitung wenn sie zum Teil anspruchsvolle Literatur zu erschwinglichen Preisen anboten. Sie sollten vor allem eine politisch-pä­dagogische Funktion erfüllen, nämlich die jeweilige Klientel des DHV bzw. des ADGB und der SPD im Sinne dieser Verbände politisch-weltanschaulich beeinflussen. Mit dem Prinzip solidarischer Selbsthilfe wurde 1933 rigoros gebrochen; das Selbstverständnis wie die Praxis insbesondere der freigewerkschaftlichen Unternehmen sowie die ihnen zugrunde gelegten zentralen emanzipatorischen Prämissen und Traditionen der organisierten Arbeiterbewegung wurden in ihr Gegenteil verkehrt. Dadurch, dass die Unternehmen einer nach dem Prinzip strikter Über- und Unterordnung aufgebauten, führerzentrierten und extremrassistischen Organisation übereignet wurden, verloren sie freilich nicht ihren politischen Charakter. Auch weiterhin waren alle Unternehmen, die der Arbeitsfront im Mai 1933 als ›Aussteuer‹ in den Schoß fielen, keine ›normalen‹ Unternehmen in dem Sinne, dass für sie die Erzielung eines möglichst hohen Profits alleiniger oder prioritärer Zweck gewesen wäre. Sie folgten weiterhin über­ geordneten Zwecken, nun allerdings ganz anderen als vor 1933. Dieser veränderten Dimension des ›Politischen‹ ist nachzugehen. Hier lediglich das Etikett »nationalsozialistisch« einzusetzen, reicht nicht. Denn der Nationalsozialismus war zu keinem Zeitpunkt eine konsistente oder gar geschlossene Ideologie. Er war vielmehr ein Konglomerat aus unterschiedlichsten politisch-weltanschau­lichen Ver­satzstücken, das sich um einen Kern an zentralen Ideologemen rankte,37 die wiederum elastisch unterschiedlichsten Konstellationen angepasst werden konnten. Fragen an das Innenleben des DAF-Wirtschaftsimperiums Formalrechtliche Zuschreibungen wie »öffentlich«, »staatlich« und »privat« sowie überhaupt tradierte politische wie ökonomische Kategorien verlieren für die Zeit der NS-Diktatur an heuristischer Kraft. Dieser Umstand ist auch für die Darstellung des Innenlebens des Unternehmenskonglomerats, das die DAF ihr Eigen nannte, zu berücksichtigen. Die Formulierung ›Innenleben‹ zielt dabei auf vier Ebenen. Erstens auf die Verhältnisse innerhalb der einzelnen Unternehmen: Wie lassen sich diese beschreiben und charakterisieren? Agierten die Unternehmensspitzen einvernehmlich, oder entwickelten sich unter den leitenden Akteuren ›geschäftsstörende‹ Rivalitäten? Auch die Veränderungen der Belegschaftsstrukturen und deren Folgeerscheinungen sind in den Blick zu nehmen. Kam es ab 37 Aller Inkonsistenz und relativen Pluralität zum Trotz lässt sich ein Weltanschauungsfeld des Nationalsozialismus identifizieren, dass von Anfang bis Ende handlungs­ leitend blieb und um drei zentrale Aspekte kreiste. Erstens war der Nationalsozialismus rassistisch. Zweitens war der unbedingte Wille zur Unterdrückung aller Varianten einer selbständigen Arbeiterbewegung fundamental handlungsleitend, nicht nur für die DAF, für diese allerdings in besonders starkem Maße, und drittens folgte der Nationalsozialismus seit 1933 einem Primat des Bellizismus. 27 einleitung Mitte der dreißiger Jahre zu einer »Feminisierung« der Beschäftigten, in ähnlichen Dimensionen, wie sie in der gesamten Industrie bzw. der Finanzwirtschaft zu beobachten war? Wie stark wurde arbeitsorganisatorisch und fertigungstechnisch rationalisiert? Weiter ist zu untersuchen, ob es zu Friktionen zwischen alteingesessenen Beleg­schaftsteilen auf der einen und neu eingestellten »Alten Kämpfern« auf der anderen Seite kam und wie sich dies auf die jeweilige ›Unternehmenskultur‹ auswirkte. Inwieweit entwickelten sich Teilbereiche des DAF-Konzerns als ehemals freigewerkschaftliche Unternehmen vielleicht gar zu Refugien sozialdemokratischer oder kommunistischer Resistenz? Zweitens ist das Schlagwort ›Innenleben‹ auf das Verhältnis zwischen den einzelnen Unternehmen zu beziehen. Wie entwickelten sich z. B. die Beziehungen zwischen der Volksfürsorge und den Versicherungen des »Deutschen Ringes« oder die zwischen der Hanseatischen Verlagsanstalt (HAVA), dem Langen-Müller-Verlag (LMV) und dem Zentralverlag der DAF 38? Waren sie von ungeregelten Konkurrenzen und Eifersüchteleien geprägt, wie das für Teile des politischen Apparates der Arbeitsfront galt? Oder ging man arbeitsteilig vor, kam es zu Marktabsprachen über Kundensegmente und Regionen sowie zu anderen Formen einvernehmlicher Kooperation? Wenn Streitigkeiten ausbrachen: Wie reagierten die Dach­organisationen der Arbeitsfront darauf, also die »Zentrale für Finanzwirtschaft«, die Vermögensverwaltung der Arbeitsfront, der DAFSchatzmeister sowie vor allem (als ab Anfang 1938 wichtigste wirtschaftspolitische Kommandostelle innerhalb der Arbeitsfront:) die »Treuhandgesellschaft für die wirt­schaftlichen Unternehmungen der DAF« (TWU oder DAF-Treuhand), die später auch die Bezeichnung »Amt für die wirt­schaftlichen Unternehmungen« (AWU) trug? Wenn sie sich oft und massiv einmischten: Nach welchen Kriterien und zu wessen Gunsten intervenierten sie? Wenn sie sich zurückhielten: Geschah dies in der sozialdarwinistisch unterlegten Erwartung, dass sich das effizientere Unternehmen durchsetzen würde? Oder stand dahinter schlicht Inkompetenz oder Bequemlichkeit der zuständigen Akteure? Mit den vorgenannten Fragen ist bereits der dritte Aspekt des ›Innenlebens‹ des Wirtschaftsimperiums berührt: Wie lenkten die für die Aufsicht über das Wirtschaftsimperium zuständigen DAF-Institutionen und Protagonisten überhaupt die einzelnen Unternehmen? Nahmen sie diese an die kurze Leine oder ließen sie ihnen erhebliche Spielräume für eigenständiges Handeln? Kamen sich die Aufsicht führenden Institutionen und Zentralämter der Arbeitsfront dabei gegenseitig in die Quere – so dass die Vorstände der einzelnen Unternehmen als die ›lachenden Dritten‹ über erhebliche Handlungsräume verfügten? Fehlende Kompetenz­ abgrenzungen, institutioneller Wildwuchs, hochgradige Personalisierung politischer Entscheidungen, ein unkontrollierter Voluntarismus der Akteure wie der Institutionen und Organisationen kennzeichneten – von der NS-Forschung als 38 Nominell firmierte die dritte Säule des DAF-Verlagskonzerns als »Verlag der Deutschen Arbeitsfront GmbH«. Er wird hier, der besseren Unterscheidung wegen, als Zentralverlag der DAF bezeichnet. 28 einleitung »Polykratie« bezeichnet – Binnenleben und Dynamik des Hitler-Regi­mes und ebenso der Arbeitsfront.39 Lässt sich Vergleichbares auch auf den hier interessierenden Kommandoebenen der Arbeitsfront beobachten? Die vierte Ebene zielt auf das Verhältnis von (allgemein-)politischer Führung der DAF und den wirtschaftspolitischen Lenkungsorganen der Organisation. Wie wirkten allgemein-politische Aufgabenstellungen, bestimmte, durch die Ver­ änderung der allgemeinen Rahmenbedingungen hervorgerufene Entwicklungen oder auch Skandale um Korruption und Nepotismus sowie die daraus gezogenen politischen und organisatorischen Konsequenzen auf Politik und Struktur des DAF-Wirt­schaftsimperiums zurück? Wenn es zu Konflikten zwischen der Führung der Gesamtorganisation und den für die DAF-Wirtschaftspolitik zuständigen Protagonisten kam: Woraus resultierten sie? Wa­ren Aufgaben und Befugnisse zwischen den einzelnen Ämtern und Aufsichtsorganen der DAF nicht genau abgesprochen? Wurden dadurch polykratische Rivalitäten provoziert, wie sie die Arbeitsfront als politische Organisation bis hinauf in die höchsten Leitungsebenen prägten?40 Welche Rolle spielte persönlicher Ehrgeiz? Lassen sich für die DAF-Unternehmen weitere Eigentümlichkeiten feststellen, die als Elemente der Praxis »charismatischer Verwaltungsstäbe« identifiziert werden können? Wieweit färbte das Milieu der politischen Organisation auf die Wirtschaftsunternehmen der Arbeitsfront und deren herausragende Akteure ab? So beobachteten Momm­sen und Grieger den »Zustand einer Dauerimprovisation«, aus dem ein DAF-Un­ternehmen wie das Volkswagenwerk nur schwer herausgekommen sei.41 Zu fragen ist, ob die von Mommsen und Grieger den einschlägigen DAF-Managern mit pejorativem Unterton attestierte »Hemdsärmeligkeit« und deren Fähigkeit zur »Dauerimprovisation« statt als Defizit nicht umgekehrt als ein Handeln gewertet werden sollte, das tatsächlich »charismatischer Herrschaft« – die ja durch einen ausgeprägten Voluntarismus und scheinbare Sprunghaftigkeit charakterisiert ist – und einer durch diese geprägten Ökonomie adäquat ist. »Alte Kämpfer« oder ausgewiesene Industriemanager – oder beides? Fragen an das führende Personal des DAF-Konzerns »Charismatische Züge« können noch weitere Facetten der DAF-Unternehmenspolitik aufgewiesen haben. So ist bekannt, dass die ganz anders geartete Struktur »charismatischer Verwaltungsstäbe« Kriterien und Formen der Rekrutierung mindestens des führenden Personals maßgeblich beeinflusste. Dieses würde (nach Max Weber) »ausgelesen nach persönlicher Hingabe« und nicht in ers39 Zur »DAF als Spiegel der charismatisch aufgeladenen Polykratie« vgl. Hachtmann, ­Koloss, S. 87-92. 40 Vgl. dazu ebd., bes. S. 45, 48, 61 ff., 87 f. 41 Hans Mommsen/Manfred Grieger, Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich, Düsseldorf 1996, S. 36. 29 einleitung ter Linie nach »Fachqualifikation«.42 Es existiere »weder eine Form noch ein geordnetes Verfahren der Anstellung oder Absetzung, noch der Karriere oder des ›Avancements‹«.43 Ob die verwaltungstechnische Funktionsfähigkeit seines Apparates durch Ab­be­rufungen und Umbesetzungen beeinträchtigt wird, sei für den »charismatischen Herrscher« und ebenso seine »fanatischen Apostel« nicht entscheidend.44 Ley als einer der gläubigsten »Apostel« Hitlers folgte bei der Gewinnung der höheren politischen Funktionsträger ›seiner‹ DAF diesem Muster. Für die Rekrutierung des Führungspersonals der Arbeitsfront waren Werte wie unbedingte persönliche Loyalität, »Bewährung« in vergangenen Zeiten, politisch-ideolo­gi­sche Linientreue usw. ausschlaggebend, ohne dass dies allerdings fachliche Kompetenz ausschloss. Die führenden Entscheidungsträger der Arbeitsfront waren in aller Regel der NSDAP vor 1930 beigetreten,45 nicht selten in den Freikorps und präfaschistischen Organisationen politisch sozia­lisiert worden und gleichzeitig oft sehr jung.46 Darüber hinaus wiesen die höchsten DAF-Funktionäre ein dezidiert bürgerliches Profil auf,47 mit kräftigen 42 Weber, Drei reine Typen, S. 482. 43 Maßgeblich sei allein der Wille des »charismatischen Herrschers«. Er entscheidet nach Gutdünken und von »Fall zu Fall«. Ders., Wirtschaft und Gesellschaft, S. 141. 44 Martin Broszat, Der Staat Hitlers. Grundlegung und Entwicklung seiner inneren Verfassung, München 1969, S. 67. 45 91,0 % aller hochrangigen DAF-Funktionsträger können als »Alte Kämpfer« gelten, weil sie vor dem 30. Juli 1932, also vor dem offenkundigen Aufstieg der NSDAP zur größten reichsdeutschen Partei, in die NS-Partei eintraten. Immerhin 15,6 % traten der NSDAP noch vor dem Hitler-Putsch vom 9. November 1923 bei, 76,0 % vor den Reichstagswahlen vom September 1930. Diese und die folgenden Zahlen aus einer Erhebung des Verf., die sämtliche DAF-Gauobleute, sämtliche Leiter der Reichsbetriebsgemeinschaften sowie sämtliche Leiter der Berliner Zentralämter einschließt, alles in allem etwa 170 Personen. Ausführlicher dazu: Rüdiger Hachtmann, Kleinbürgerlicher Schmerbauch und breite bürgerliche Brust – zur sozialen Zusammensetzung der Führungselite der Deutschen Arbeitsfront, in: Ursula Bitzegeio/Anja Kruke/Meik Woyke (Hg.), Solidargemeinschaft und Erinnerungskultur im 20. Jahrhundert. Beiträge zu Gewerkschaften, Nationalsozialismus und Geschichtspolitik, Bonn 2009, S. 233-257. 46 Eine deutliche Mehrheit der höchsten DAF-Funktionäre (57,3 %) befand sich in den ›Dreißigern‹, als sie den jeweiligen Posten übernahmen. 14,6 % von ihnen hatten noch nicht einmal das 30. Lebensjahr erreicht. Lediglich 2,5 % waren zum Zeitpunkt der Übernahme ihres jeweiligen Amtes älter als fünfzig Jahre alt. Noch deutlicher tritt der Aspekt der Jugendlichkeit hervor, wenn man sich das Alter der später hohen DAFFunktionsträger bei ihrem Eintritt in die NSDAP anschaut: Lediglich ein gutes Drittel (35,4 %) hatte bereits das 30. Lebensjahr überschritten. D.h. knapp zwei Drittel gehörte in die Kategorie der ›jungen Erwachsenen‹, knapp zehn Prozent (8,4 %) sogar in die der ›Jugendlichen‹ (unter 20 Jahre). Die hochrangigen Arbeitsfront-Funktionäre waren damit innerhalb der – ab 1933 dann institutionalisierten – NS-Bewegung keine Ausnahme. Sie entsprach hinsichtlich ihrer Altersstruktur grob den von Wildt untersuchten Funktionären des SS-Reichssicherheitshauptamtes. Vgl. Michael Wildt, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002, S. 24, 45. 47 Akademiker stellten ein gutes Fünftel (20,8 %), leitende Angestellte 11,4 %, Ingenieure 10,7 %, die in die Pauschalkategorie ›Selbständige‹ subsumierten Personen 7,4 % und 30 einleitung kleinbürger­lichen Einsprengseln, während das proletarische Element ausgesprochen schwach ausgeprägt war.48 Das bürgerlich-kleinbürgerliche Profil der politischen Funktionsträger der Arbeitsfront kann als Folie dienen. Besaß das Leitungspersonal des DAF-Wirtschaftsimperiums ein ver­gleichbares soziales Profil? Waren sie ähnlich jung wie die politische Funktionselite der Arbeitsfront – oder schon arriviert? Welche Rolle spielten politische Meriten? Angesichts der von Distanz und oft genug starker Abneigung geprägten Haltung der traditionellen Wirtschaftselite gegenüber den hohen Funktionären der Arbeitsfront als anmaßend auftretender politischer Organisation liegt die Vermutung nahe, dass auch die maßgeblichen Akteure auf Seiten des DAF-Konzerns von den etablierten Wirtschaftsführern nicht mit offenen Armen empfangen wurden. Aber wie genau entwickelte sich das gegenseitige Verhältnis? Wenn die Hypothese von der gegenseitigen Distanz zutrifft: Standen dahinter – auch – habituelle Differenzen? Der Hinweis von Mommsen und Grieger auf die »Hemdsärmeligkeit« der VW-Manager und deren Fähigkeit zur »Dauerimprovisation« ist hier ein wichtiger Fingerzeig: Bildeten die Protagonisten in den einzelnen Konzernteilen eine Mentalität und Praxis aus, die sich von derjenigen der alteingesessenen – vielfach noch während des Wilhelminismus sozialisierten – Manager und Unternehmenseigner signifikant unterschied? Lässt sich, kurz gesagt, ein spezifischer Typus des DAF-Mana­gers auskristallisieren? Die NS-Zeit war eine Phase hochgradiger Dynamik und Veränderungen. Welche Anpassungsprozesse lassen sich beobachten? Suchten die DAF-Manager habituell den Anschluss an die etablierten Manager und Unternehmer? Oder lassen sich wo­möglich umgekehrt bei den arrivierten Bankiers und Industriellen Wandlungen in Rich­tung auf die eher »hemdsärmlig« wirkenden, auf politische Dynamik und ökonomische Expansion bauenden Protagonisten des DAF-Wirtschaftsimperiums (und anderer parteinaher Konzerne) feststellen? Lehrer aller Bildungseinrichtungen 2,7 % der genannten Gruppen höchster DAFFunktionsträger. Der Gesamtanteil dieser im weitesten Sinne als ›bürgerlich‹ zu klassifizierenden Schichten lag also bei insgesamt etwas mehr als der Hälfte (53,0 %) sämtlicher hochrangiger DAF-Funktionäre. Ihnen gesellten sich zahlreiche untere und mittlere Angestellte (34,2 %) zu, ferner ein kleiner Prozentsatz (3,4 %) an Landwirten. Besonders bürgerlich waren die mächtigen Leiter der Zentralämter. Sie können zu deutlich mehr als zwei Dritteln (71,0 %) im angedeuteten Sinne als bürgerlich gelten. Bemerkenswert ist der hohe Anteil an Akademikern (36,8 %), von denen wiederum fast alle (33,3 % aller Leiter der DAF-Zentralämter) promoviert waren. 48 Höchstens 9,4 % der höchsten DAF-Funktionäre können als Arbeiter gelten. Relativ hoch war mit 19,3 % der Arbeiter-Anteil unter den DAF-Gauwaltern, die zu einem erheblichen Teil noch aus der Schicht der NSBO-Funktionäre (Landesobmänner) rekrutiert worden waren. Unter den Leitern der Berliner Zentralämter der Arbeitsfront, die kontinuierlich an Macht gewannen, lag der Anteil der Arbeiter nur bei 1,7 % (unter den Fachamtsleitern bei 3,3 %). 31 einleitung Forschungsstand Die vorliegende Darstellung fußt nur begrenzt auf älteren Studien. Weder in kleineren noch in größeren Untersuchungen ist das Wirtschaftsimperium der Arbeitsfront als Gesamtkomplex bisher ein Thema der NS-Forschung gewesen. Auch mir ist erst im Laufe der näheren Beschäftigung mit dem General­thema »Deutsche Arbeitsfront« bewusst geworden, welch riesige Dimensionen der Konzern der DAF besessen hat. Einige Hinweise zu den meisten wichtigeren Unternehmen der Arbeitsfront finden sich, additiv aneinandergereiht, in der LeyBiographie von Ronald Smelser.49 Die Überblicksdarstellung von Klaus Novy und Michael Prinz50 thematisiert zwar mehrere Säulen des DAF-Wirt­schafts­ imperiums, allerdings unter einer anderen Fragestellung, nämlich als eine Art Intermezzo in einer als historischer Längsschnitt angelegten Gesamtschau der Geschichte der deutschen Genossenschaftsbewegung, und zudem lediglich in groben Zügen. Während der Gesamtkomplex des Kon­zerns der Arbeits­front als eigenständiger Untersuchungsgegenstand für NS-Forscher bisher kein Thema war, sind einzelne Unternehmen teilweise recht gut erforscht, wenn auch oft nur für bestimmte Phasen und nicht den gesamten Zeitraum zwischen 1933 und 1945. Die Darstellung der stürmischen Expansion der Volksfürsorge seit 1933 kann sich auf die Magisterarbeit51 von Ingo Böhle sowie zwei Aufsätze stützen, in denen dieser die europäischen Aktivitäten der Volksfürsorge während des Zweiten Weltkrieges thematisiert.52 Zur Krankenversicherung des Deutschen Rings finden sich in der Dissertation von Böhle aufschlussreiche Passagen.53 Über die ab 1939 überwiegend unter dem Namen »Neue Heimat« zusammengefassten Wohnungs49 Ronald Smelser, Hitlers Mann an der »Arbeitsfront«. Robert Ley. Eine Biographie, Paderborn 1989, bes. S. 163-173. 50 Klaus Novy/Michael Prinz, Illustrierte Geschichte der Gemeinwirtschaft. Wirtschaft­ liche Selbsthilfe in der Arbeiterbewegung von den Anfängen bis 1945, Berlin/Bonn 1985, bes. S. 204-229. Enttäuschend: Achim v. Loesch, Die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen der deutschen Gewerkschaften. Entstehung – Funktionen – Probleme, Köln 1979. Der Anspruch einer substantiellen Überblicksdarstellung wird nicht eingelöst. Die Zeit des Dritten Reiches wird in den Skizzen der Geschichte der einzelnen gemeinwirtschaftlichen Unternehmungen entweder völlig ausgeblendet oder in wenigen Zeilen (oft zudem unpräzise oder falsch) abgehandelt. 51 Ingo Böhle, Die Volksfürsorge Lebensversicherungs AG im Dritten Reich (Magister­ arbeit), Hamburg 1996. 52 Ders., Die Expansion der Volksfürsorge Lebensversicherung in den mitteleuropäischen Raum 1938-1945, in: Geld und Kapitel 4/2001 (Jahrbuch der Gesellschaft für mitteleuropäische Banken- und Sparkassengeschichte), S. 181-211 (Zitierweise: Böhle, Expansion); ders., Die Volksfürsorge Lebensversicherungs AG – ein Unternehmen der Deutschen Arbeitsfront (DAF) im Dritten Reich, in: ZUG 2000, S. 49-78 (Zitierweise: Böhle, Lebensversicherung). 53 Ders., Private Krankenversicherung (PKV) im Nationalsozialismus. Unternehmensund sozialgeschichtliche Studie unter besonderer Berücksichtigung der Deutschen Krankenversicherung (DKV), Frankfurt a. M. 2003; ders., »Die Fahne folgt dem Kaufmann«. Die private Krankenversicherung (PKV) in den »angeschlossenen« und annek- 32 einleitung baugesellschaften der Arbeits­front54 sowie weitere Unternehmen wie die »Deutsche Bau AG (Deubau)«, die »Sonderbau GmbH« und die »Bauhilfe GmbH«, die für die innere Kohärenz des Konglomerats der mehr als fünfzig DAF-Woh­ nungs­bauunterneh­men sowie dessen Ausbau zu einem vertikalen Konzern wichtig waren, finden sich in den Untersuchungen von Tilmann Harlander und Gerhard Fehl sowie der Arbeit von Markus Fleischhauer und weiteren regionalhistorischen Studien wichtige Passagen.55 Aufschlussreich sind außerdem die Untersuchungen von Marie-Luise Recker sowie Karl-Christian Führer und die Abschnitte dort zur Wohnungspolitik der Arbeitsfront sowie des »Reichskommissars für den sozialen Wohnungsbau« (ab Herbst 1940), aus dem Ende 1942 der Reichswohnungskommissar wurde.56 Die Darstellung der Geschichte der von der DAF nach heftigen politischen Kämpfen schließlich 1940/41 unter die ›Fittiche‹ genommenen Konsumgenossenschaften profitierte von den materialreichen Arbeiten Erwin Hasselmanns, ­Ulrich Kurzers und Jan-Frederik Korfs,57 von einem instruktiven Überblick Karl 54 55 56 57 tierten Gebieten Mitteleuropas während der NS-Zeit, in: Geld und Kapital 6/2002 (2004), S. 135-176. Lediglich die GEHAG, das größte Wohnungsunternehmen der Arbeitsfront, bestand unter ihrem alten Namen weiter. Vgl. Tilmann Harlander, Zwischen Heimstätte und Wohnmaschine. Wohnungsbau und Wohnungspolitik in der Zeit des Nationalsozialismus, Basel/Berlin/Boston 1995; außerdem ders./Gerhard Fehl (Hg.), Hitlers Sozialer Wohnungsbau 1940-1945. Wohnungspolitik, Baugestaltung und Siedlungsplanung. Aufsätze und Rechtsgrundlagen zur Wohnungspolitik, Baugestaltung und Siedlungsplanung aus der Zeitschrift »Der soziale Wohnungsbau in Deutschland«, Hamburg 1986, bes. S. 16 ff., 29 ff., 110-120. Hinweise zum Baukonzern der Arbeitsfront wie überhaupt zur DAF-Siedlungspolitik bieten außerdem u. a. Markus Fleischhauer, Der NS-Gau Thüringen 1939-1945. Eine Struktur- und Funktionsgeschichte, Köln/Weimar/Wien 2010, S. 240-247; ­Ulrike ­Hae­ren­del, Kommunale Wohnungspolitik im Dritten Reich. Siedlungsideologie, Kleinhausbau und »Wohnraumarisierung« am Beispiel München, München 1999, S. 142-149, 407-415. Vgl. außerdem die Hinweise im entsprechenden Kapitel. Einen nur sehr knappen Überblick bietet Peter Kramper, Die Neue Heimat. Unternehmenspolitik und Unternehmensentwicklung im gewerkschaftlichen Wohnungs- und Städtebau 1950-1982, Stuttgart 2008, S. 66 ff. Marie-Luise Recker, Nationalsozialistische Sozialpolitik im Zweiten Welt­krieg, München 1985, S. 128-154; dies., Der Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau. Zu Aufbau, Stellung und Arbeitsweise ei­ner führerunmittelba­ren Sonderbehörde, in: Dieter Rebentisch/Karl Teppe (Hrsg.), Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers. Studien zum politisch administrativen System, Göttingen 1986, S. 333-350; Karl-Christian Führer, Mieter, Hausbesitzer, Staat und Wohnungsmarkt. Wohnungsmangel und Wohnungszwangswirtschaft in Deutschland 1914-1960, Stuttgart 1995, bes. S. 231-250, 335-344. Erwin Hasselmann, Geschichte der deutschen Konsumgenossenschaften, Frankfurt a. M. 1971, bes. S. 496-508; Ulrich Kurzer, Nationalsozialismus und Konsumgenossenschaften, Pfaffenweiler 1997; ders., Konsumgenossenschaften im nationalsozialis­ tischen Deutschland 1933 bis 1936. Gleichschaltung, Sanierung und Teilliquidation, Göttingen 1995; ders., Konsumgenossenschaften im nationalsozialistischen Deutschland, in: IWK 27/1991, S. 429-453; ders., Zur Entwicklung der Konsumgenossenschaf- 33 einleitung Ditts58 sowie ferner von der frühen Darstellung Kuno Bludaus.59 Allerdings beschränken sich die genannten Arbeiten vornehmlich auf den Zeitraum bis 1936 bzw. 1939, als die Verbrauchergenossenschaften noch nicht in den Besitz der DAF übergegangen waren und zum »Deutschen Gemeinschaftswerk« umgebaut wurden. Einen detaillierteren Überblick auch über die Geschichte des Deutschen Gemeinschaftswerkes bietet die 2010 erschienene Dissertation von JanFrederik Korf.60 Über den Verlagskomplex, d. h. die drei DAF-Großverlage, existiert gleichfalls keine kompakte Monographie. Dennoch kann auf eine Reihe von wichtigen Untersuchungen zurückgegriffen werden. Zu erwähnen sind hier insbesondere die vorzügliche Studie von Siegfried Lokatis zur Hanseatischen Verlagsanstalt (HAVA) während der NS-Zeit,61 außerdem die Untersuchung Andreas Meyers zum Langen-Müller-Verlag62 und das Standardwerk von Jan-Pieter Barbian zur nationalsozialistischen Literaturpolitik.63 Der Zentralverlag der Arbeitsfront, mitsamt der Büchergilde Gutenberg, ist demgegenüber von der NS-Forschung ausgesprochen stiefmütterlich behandelt worden.64 Für die Aktivitäten des Zen- 58 59 60 61 62 63 64 34 ten in Deutschland nach 1936, in: IWK 33/1997, S. 477-499; Jan-Frederik Korf, Von der Kon­sumgenossenschaftsbewegung zu Gemeinschaftswerk der Deutschen Arbeitsfront. Zwischen Gleichschaltung, Widerstand und Anpassung an die Diktatur, Norderstedt 2008. Karl Ditt, Die Konsumgenossenschaften im Dritten Reich, in: IWK 23/1987, S. 82-111, zum Deutschen Gemeinschaftswerk und seiner Vorgeschichte: S. 104-109. Kuno Bludau, Nationalsozialismus und Genossenschaften, Hannover 1968. Korf, Konsumgenossenschaftsbewegung, S. 156-251. Diese Untersuchung, die von der Heinrich-Kaufmann-Stiftung des »Zentralverbandes deutscher Konsumgenossenschaften e.V.« gefördert wurde, basiert archivalisch wesentlich auf den Mitte letzten Jahrzehnts von der Hamburger Stelle für Zeitgeschichte übernommenen und verzeichneten Aktenbeständen (vor allem Personalakten) des ›historischen‹ ZdK (bis 1945), die für die vorliegende Darstellung deshalb nicht erneut gesichtet wurden. Siegfried Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt. Politisches Buchmarketing im Dritten Reich, Frankfurt a. M. 1992. Andreas Meyer, Die Verlagsfusion Langen-Müller. Zur Buchmarkt- und Kulturpolitik des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes in der Endphase der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. 1989. Die Darstellung endet zwar 1932/33, bietet jedoch auch einige instruktive Einblicke in die Geschichte dieses damals großen, heute völlig vergessenen belletristischen Verlages über die Zäsur 1933 hinaus. Jan-Pieter Barbian, Literaturpolitik im Dritten Reich. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder, Frankfurt a. M. 1993. Vgl. auch die kaum veränderte Taschenbuchausgabe (München 1995). Einige Hinweise zum Zentralverlag der Arbeitsfront finden sich in den Arbeiten von Lokatis, Barbian und wenigen anderen. Die Büchergilde Gutenberg und ebenso die Exil-Gilde in Zürich sind in mehreren Studien ausführlicher thematisiert worden. Die Zeit des Dritten Reiches hat die Forschung zur (DAF-)Büchergilde allerdings bisher ausgespart. Einige Hinweise zur NS-Zeit finden sich in: Jürgen Dragowski, Die Geschichte der Büchergilde Gutenberg in der Weimarer Republik 1924-1933, Essen 1992. In der Überblicksdarstellung von Novy und Prinz (Illlustrierte Geschichte) ist die Büchergilde generell kein Thema (obwohl sie im weiteren Sinne des Wortes durchaus einleitung tralverlags während der Kriegszeit bietet allerdings die von Hans-Eugen Bühler verfasste quellenreiche Studie zum Frontbuchhandel wichtiges Material, da die im September 1939 gegründete – und von DAF-Funktionären beherrschte – »Zentrale der Frontbuchhandlungen« ihre verlegerischen Aktivitäten, die sie schon bald über ihre ursprünglichen Aufgaben hinaus entwickelte, in engster Kooperation mit dem Zentralverlag entfaltete.65 Obwohl in den zeitgenössischen Publikationen vor allem während des Krieges auf den Aufstieg der Bank der Deutschen Arbeit zur vierten reichsdeutschen Großbank immer wieder hingewiesen wurde, ist dieses Finanzinstitut von der NS-Forschung – in auffälligem Unterschied zu den Auftragswerken über die Deutsche, die Dresdner und die Commerzbank – bis vor Kurzem ausgesprochen stiefmütterlich thematisiert, nämlich zumeist entweder völlig ignoriert oder nur beiläufig behandelt und vorschnell zur bloßen »Hausbank« der Arbeitsfront degradiert worden. Erst in einem 2005 erschienenen, von Christoph Kreutzmüller und Ingo Loose verfassten Aufsatz werden wesentliche Aspekte der Geschichte dieses DAF-Geldinstituts aufgehellt.66 Von den nach 1933 gegründeten Unternehmen der Arbeitsfront ist eines, das Volkswagenwerk, durch Hans Mommsen und Manfred Grieger so erschöpfend thematisiert worden, dass die Skizze seiner Geschichte während der Herrschaft der Nationalsozialisten sich auf wenige Seiten beschränken kann.67 Auch das von Ley in ähnlicher Größenordnung in seiner Heimatstadt Waldbröl geplante Volkstraktorenwerk ist auf größeres historisches Interesse gestoßen.68 Andere neu gegründete oder von der DAF aufgekaufte Unternehmen – genannt sei exemplarisch nur die Vulkan-Werft in Stettin69 – sind dagegen von der historischen Forschung bislang ignoriert worden. 65 66 67 68 69 der »Gemeinwirtschaft« zuzurechnen ist). Dieses Desinteresse mag neben politischen Gründen (eine NS-Ge­schichte der Büchergilde wirft Schatten auf deren Geschichte überhaupt) auch darauf zurückzuführen sein, dass das Archiv dieser Buchgemeinschaft 1945 »durch Kriegseinwirkung zerstört« wur­de. Vgl. Bernadette Scholl, Die Büchergilde Gutenberg 1924-1933, in: Buchhandelsgeschichte 1983/3, S. B 89-B 109, hier: S. B 89. Hans-Eugen Bühler (in Verbindung mit Edelgard Bühler), Der Frontbuchhandel 19391945. Organisationen, Kompetenzen, Verlage, Bücher, Frankfurt a. M. 2002. Christoph Kreutzmüller/Ingo Loose, Die Bank der Deutschen Arbeit 1933-1945 – eine nationalsozialistische »Superbank«?, in: Bankhistorisches Archiv 31/2005, Heft 1, S. 1-32. Mommsen/Grieger, Volkswagenwerk; Klaus-Jörg Siegfried, Das Leben der Zwangsarbeiter im Volkswagenwerk 1939-1945, Frankfurt a. M./New York 1988; ders., Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit im Volkswagenwerk 1939-1945. Eine Dokumentation, Frankfurt a. M./New York 1987; Wolfgang König, Volkswagen, Volksempfänger, Volksgemeinschaft. »Volksprodukte« im Dritten Reich. Vom Scheitern einer nationalsozialistischen Konsumgesellschaft, Paderborn usw. 2004, bes. S. 151-181. Vgl. Birgit Rosendahl-Kraas, Die Stadt der Volkstraktorenwerke. Eine Stadtutopie im Dritten Reich. Die Planungen und Großbauten der Deutschen Arbeitsfront für die Stadt Waldbröl, Wiehl 1999; ferner Mommsen/Grieger, Volkswagenwerk, S. 442 ff.; König, Volksprodukte, S. 236 ff. Die deskriptiv-affirmative, in die Details der einzelnen Schiffstypen verliebte Darstellung von Wulle, die die Geschichte der Vulcan-Werft bis Ende 1929 relativ ausführ- 35 einleitung Den Kern des DAF-Wirtschaftsimperiums bildeten die im Frühjahr 1933 den Gewerkschaften geraubten Unternehmen. Deshalb ist es bemerkenswert, dass es seitens des DGB oder seiner Einzelgewerkschaften bisher kaum Anstrengungen gab, die Geschichte der Volksfürsorge, der Arbeitsbank, der Wohnungsbaugenossenschaften und anderer Unternehmen aufzuhellen, die bis zur Macht­ ergreifung der Nationalsozialisten im Besitz der Richtungsgewerkschaften oder Angestelltenverbände waren. Politische Skrupel können diese Zurückhaltung eigentlich nicht erklären. Oder doch? Vielleicht deckten die Gewerkschaften die Geschichte ihrer großen Unternehmen während der NS-Zeit bewusst mit dem »Mantel des Schweigens« (Ingo Böhle)70 zu. Dies lag weniger an personellen Kontinuitäten. Bemerkenswert ist vielmehr, dass der DGB einen Teil der Richtungsänderungen, die die Arbeitsfront in den geraubten Unternehmen nach 1933 vorgenommen hatte, nicht wieder rückgängig machte.71 Stattdessen ähneln die bisherigen Darstellungen von Gewerkschaftsseite in ihrem sprachlichen Duktus stark dem, was eine apologetische Unternehmensgeschichtsschreibung bis in die achtziger Jahre zu Papier gebracht hat: Es wimmelt auf den wenigen Seiten oder auch nur Zeilen, in denen das Dritte Reich überhaupt thematisiert wird, von dunklen Andeutungen. Es mutet schon befremdlich an, dass auch von Gewerkschaftsseite publizierte Jubi­läumsdarstellungen von einem krampfhaften Bemühen getragen sind, über »die schmachvolle Geschichte« und das »Geschick unseres Unternehmens« während des »zwölfjährigen Interregnums« hinwegzuhuschen. Der gewiss zutreffende Hin­weis, dass man damit als Gewerkschaft politisch nichts zu tun gehabt habe, kann kein Argument sein, hier auf genauere Aufklärung zu verzichten.72 Den Forschungsstand zur Gesamtorganisation »Deutsche Arbeitsfront«, der Geschichte ihrer Organisation und ihrer Politik, der verschiedenen politischen lich referiert, beschränkt sich für die Jahre des Dritten Reiches darauf, einige Schiffs­ neubauten, deren Bruttoregistertonnen (BRT), PS-Leistung, Bewaffnung und das Datum des Stapellaufs aufzulisten. Vgl. Armin Wulle, Der Stettiner Vulcan, Herford 1989, S. 108. 70 Böhle, Volksfürsorge, S. 2. Das Verdikt gilt u. a. auch für Loesch, Unternehmen der Gewerkschaften. Die folgenden Zitate: Vorstand der »Alten Volksfürsorge« (Hg.), Ein halbes Jahrhundert Volksfürsorge. Werden und Wirken eines Versicherungsunternehmens, Darmstadt 1962, S. 93. 71 Vgl. Kapitel 11. 72 Auch die nach 1945 für andere Konzernteile des vormaligen DAF-Imperiums angefertigten Jubiläumsschriften etc. wirken für die Zeit zwischen 1933 und 1945 merkwürdig unpolitisch. Die – rassistischen und politischen – Vergabekriterien für Neumieter z. B. sind in den entsprechenden Darstellungen etwa der Wohnungsbauunternehmen kein Thema. Überdies sind sie denkbar knapp gehalten. An diesem generellen Trend ändert der Tatbestand nichts, dass einige der Firmenschriften vergleichsweise sachlich gehalten sind und für die NS-Zeit manche wichtige Daten enthalten. Vgl. z. B. die noch ­vergleichsweise ausführliche Schrift: (o.V.) GEHAG. Gemeinnützige HeimstättenAktiengesellschaft 1924-1957. Entstehung und Entwicklung eines gewerkschaftlichen Wohnungsunternehmens, Berlin 1957, zur NS-Zeit: S. 25-32. Möglicherweise markiert die Arbeit von Korf (Konsumgenossenschaftsbewegung) hier einen ­Paradigmenwechsel. 36 einleitung und gesellschaftlichen Felder, auf denen sie aktiv wurde, hier im Einzelnen vorzustellen, würde zu weit führen. Es reicht festzustellen, dass eine Gesamtdarstellung dieser in zahllose gesellschaftliche Bereiche ausufernden Organisation bisher fehlt und nicht wenige Bereiche, in denen die Arbeitsfront tätig war – etwa die »Fremdarbeiterbetreuung«, die der DAF im Mai 1942 vom »Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz« Fritz Sauckel pauschal zugewiesen wurde –, nicht einmal ansatzweise systematischer untersucht worden sind. Immerhin bieten einige Aufsätze und Passagen aus Monographien einen ersten guten Überblick über das sehr weit gespannte Spektrum der Aktivitäten der DAF. Hinzuweisen ist über die Ley-Biogra­phie von Smelser sowie eigene Studien hinaus vor allem auf einen Aufsatz von Tilla Siegel73 sowie auf entsprechen­de Passagen in den bahnbrechenden Arbeiten von Timothy W. Mason,74 auf die handbuch­ artige Darstellung von Michael Schneider über Arbeiter und Arbeiterbewegung bis 193975 oder die wichtige Studie zur NS-Betriebspolitik von Matthias Frese.76 Die meisten Untersuchungen zur DAF haben sich freilich auf die Zeit bis Kriegsbeginn beschränkt.77 Verbrannt, vernichtet, verschollen – zur archivalischen Überlieferung Jede empirische Untersuchung steht unter dem Vorbehalt der Quellen, die ihr zugrunde ge­legt werden können. Dies gilt auch für die vorstehende Studie. Wenn das DAF-Wirt­schafts­imperium als Gesamtkomplex bisher noch nicht in den Fokus der NS-For­schung ge­raten ist – und ebenso eine Gesamtdarstellung der größten Massenorganisation des Drit­ten Reiches aussteht –, dann resultiert dies wesentlich aus der schwierigen und un­über­sichtlichen Quellenlage. Einen geschlossenen archivalischen Bestand zur Deutschen Arbeitsfront gibt es nicht. Es kann ihn nicht geben. Denn der größte Teil der Akten der Reichsführung der DAF wurde am 22./23. November 1943 während eines Bombenangriffs auf Berlin vernichtet.78 Hauptbetroffen war der Gesamtbestand des DAF-»Zentral­ 73 Siegel, Rationalisierung statt Klassenkampf. 74 Vgl. (neben diversen Aufsätzen) vor allem Mason, Sozialpolitik im Dritten Reich, bes. S. 107-120, 174-206, 245-262. 75 Michael Schneider, Unterm Hakenkreuz. Arbeiter und Arbeiterbewegung 1933 bis 1939, Bonn 1999, bes. S. 102-106, 168-243, 723-726. 76 Frese, Betriebspolitik, bes. S. 73-113, 251-448. Vgl. außerdem die in den folgenden Kapiteln genannte Literatur. 77 Zu den Jahren ab 1939 vgl. bisher vor allem Rüdiger Hachtmann, Die Deutsche Arbeitsfront im Zweiten Weltkrieg, in: Dietrich Eichholtz (Hg.), Krieg und Wirt­schaft. Studien zur deutschen Wirtschaftsgeschichte 1939-1945, Berlin 1999, S. 69-108; ders., Koloss, bes. S. 59 ff., 64 f. 78 Vgl. Bericht des ehemaligen Lektors und wissenschaftlichen Hilfsarbeiters des Arbeitswissenschaftlichen Instituts Marcel Mitschke, Berlin-Charlottenburg, über das ›Schicksal‹ der Archivalien der Berliner DAF-Zentrale, verfaßt für das Bundesarchiv Koblenz am 10. Juli 1953, in: BA Berlin, NS 5 I, Nr. 237. 1944 wurde überdies das Gebäude, in welches das Zentralbüro der DAF inzwischen umgezogen war, durch Bombenangriffe 37 einleitung amtes für Finanzwirtschaft« sowie die »Treuhandgesellschaft für die wirtschaftlichen Unternehmun­gen der Deutschen Arbeitsfront m.b.H.« (TWU) als das institutionelle Dach des DAF-Wirtschafts­imperiums und ebenso die separaten Aktenbestände über die einzelnen Unternehmen der Arbeitsfront, da das »Dienstgebäude der Zentralstelle für die Finanzwirtschaft der DAF« mitsamt allen Abteilungen durch den »Terrorangriff […] vollständig ausgebrannt« sei, wie Otto Marrenbach als Geschäftsführer der Arbeitsfront gegenüber Martin Bormann in einem Schreiben vom 31. August 1944 klagte.79 Einige Monate zuvor, im Juli 1943, war Hamburg von Bombenangriffen und Feuerstürmen schwer heimgesucht worden. In der Hansestadt aber hatten die Volksfürsorge, der Deutsche Ring, die Hanseatische Verlagsanstalt und die Deutsche Großeinkaufs-Gesellschaft mbH (Deugro) als der Kern des »Deutschen Gemeinschaftswerkes der DAF« – der Lebensmittelkette, die die Arbeitsfront aus den ehemaligen Konsumgenossenschaften aufbaute – ihren Hauptsitz. Das Gros der archivierten Unterlagen dieser Unternehmen wurde durch Bomben und Brände vernichtet. So begründete der Vorstand der Deugro den Tatbestand, dass der Geschäftsbericht für 1942 erst knapp zwei Jahre später in einer sehr vorläufigen Fassung vorgelegt werden konnte, damit, dass »unsere Zentralgebäude in Hamburg schwer getroffen und ein großer Teil der Unterlagen unserer Zentralbuchhandlungen und der Anlagen zu diesem Jahresabschluß, der sich damals gerade in der Ausfertigung befand, vernichtet« wurde.80 Was an Akten nicht durch die Gewalt des Krieges zerstört wurde, konnte gegen Kriegsende dann zum Gegenstand bewusster Vernichtung durch die Angestellten der einschlägigen Unternehmen werden, wenn diese desavouierende Informationen in den verbliebenen Unterlagen fürchteten.81 Oder es verrottete, weil die vormagleichfalls »völlig zerstört«. Ein Teil der dort aufbewahrten DAF-Akten wurde freilich nur verschüttet; dieser wurde Anfang 1946 auf Anordnung des Ostberliner Stadtsowjets ausgegraben, nach Moskau gebracht und später – bis vor allem auf einen kleineren Bestand des DAF-Amtes »Information«, des organisationseigenen Geheimdienstes der Arbeitsfront – überwiegend dem Zentralen Staatsarchiv der DDR in Potsdam übergegeben. 79 In: BA Berlin (BDC) PK 0338. Vernichtet wurde außerdem offenbar der größte Teil der Aktenbestände des Arbeitswissenschaftlichen Instituts (AWI), dem die Archivierung des Schriftgutes der Organisation oblag, so dass auch von dieser Seite her eine Rekonstruktion der wirtschaftlichen Aktivitäten der DAF nicht möglich ist. Ein kleinerer Teil der Akten war allerdings bereits Ende 1942 nach München ins Braune Haus verlagert worden. Er fiel im Frühsommer 1945 in die Hände der Alliierten, verschwand danach jedoch spurlos. Vgl. Kreutzmüller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 2. Andere Aktenbestände, etwa die der Arbeitsbank für das »Wartheland« ab 1939, wurden nach 1945 als wertlos vernichtet. Vgl. ebd., S. 19, Anm. 103. 80 Geschäftsbericht und Jahresabschluß der Deutsche Großeinkaufs-Gesellschaft mbH, Hamburg, für 1942, vom 29. Sept. 1944, in: BA Berlin NS 5 III, Nr. 45. Vgl. auch Korf, Konsumgenossenschaftsbewegung, S. 8. 81 So vermuten Kreutzmüller und Loose (Bank der Deutschen Arbeit, S. 2), dass »wichtige Teile der zentralen Überlieferung der Arbeitsbank in den letzten Kriegstagen vernichtet wurden«. 38 einleitung ligen Angestellten Besseres zu tun hatten, als sich um die sorgsame Verwahrung der noch vorhandenen Akten zu kümmern.82 Auch von den reichsweiten Akten der Massenorganisation Deutsche Arbeitsfront, die auch Unterlagen zum Unternehmenskomplex enthielten, sind nur kleinere Teilbestände überliefert. Der vermutlich größte Teil des verbliebenen Restbestandes an zentralen DAF-Akten lagert heute im Bundesarchiv Berlin (Finckensteinallee), vormals Potsdam und Koblenz. Die im Bundesarchiv aufbewahrten Aktenbestände der Arbeitsfront (NS 5) mögen lediglich »Splitter« sein. Gleichwohl sind sie gerade auch mit Blick auf den DAF-Konzern in hohem Maße aufschlussreich und ein archivalischer Grundstock der vorliegenden Untersuchung. Darüber hinaus bieten die unter »NS 22« im Bundesarchiv zusammengefassten, überlieferten Akten des Reichsorganisationsleiters der NSDAP Aufschluss über die Entwicklung auch des DAF-Konzerns. Denn Ley war zugleich Chef der Arbeitsfront und NSDAP-Reichsorga­nisa­tions­leiter; er betraute einige der führenden Funktionäre der Arbeitsfront gleichzeitig mit zentralen Positionen innerhalb der Reichsorganisationslei­tung. Auch unabhängig von solchen Personalunionen wurden die Aktivitäten der DAF und der de facto spätestens ab 1936 nurmehr nominell vom Organisationsapparat der Arbeitsfront ge­trennten Reichsorganisationsleitung der Partei immer stärker miteinander verquickt. Hinzu treten als weitere Bestände die Restakten der Arbeitsbank selbst (R 8120) – die einige aufschlussreiche Schriftwechsel, ansonsten für die vorliegende Untersuchung überwiegend wenig interessante Hinweise zu einzelnen Unternehmen enthalten, die Konten bei der Arbeitsbank unterhielten – sowie die der Deutschen Revisions- und Treuhand AG (R 8135). Die polykratische Struktur des Hitler-Regimes – vermeintliches Ämterchaos und Kompetenz­wirr­warr sowie die daraus resultierenden politischen Rivalitäten als Dauerzustand ab 1933 – mag manchen Historiker verwirren. Für die archivalische Überlieferung ist sie angesichts der großen Lücken im eigentlichen DAFBestand ein Glücksfall. Der Schriftwechsel, den die Zentrale der Arbeitsfront auf Reichsebene mit den Ministerien sowie anderen staatlichen und quasistaatlichen Institutionen führte, ist in deren einschlägigen Beständen nicht vollständig, aber doch oft in größerem Umfange überliefert. Er erlaubt Aufschlüsse auch 82 Dies gilt gleichfalls nachweislich für die Berliner Zentrale der Arbeitsbank, die von kriegsbedingten Zerstörungen nicht so stark betroffen war wie die meisten anderen Unternehmen der DAF. In einem Bericht der Deutsche Revisions- und Treuhand AG über die nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes bei der Bank der Deutschen Arbeit AG Berlin durchgeführte Prüfung des Jahresabschlusses zum 31. Dez. 1944 sowie des Zwischenabschlusses zum 30. April 1945 (in: BA Berlin, R 8135, Nr. 8613) heißt es, dass ein Teil der Unterlagen, »Bankbestätigungen über Guthaben, Depots usw. […] sowie das lebende Depotbuch und die Hypothekenbriefe nach uns gemachten Angaben nach Thüringen verlagert worden« seien. Die in Berlin verbliebenen Unterlagen seien »schwer zu beschaffen«, dann »infolge mehrfacher Umlagerung ungeordnet und zum Teil wenig pfleglich behandelt« worden und infolgedessen sehr »lückenhaft« gewesen, so dass eine »restlose Aufklärung« ausgeschlossen gewesen sei. Aus den Niederlassungen »fehlendes Material« zu beschaffen, sei unmöglich gewesen. Zitate: S. 5 f. 39 einleitung über die Entwicklung des DAF-Konzerns und die Politik, die die Führung der Arbeitsfront mit ihren Unternehmen verfolgte. Angesichts des Fehlens von EgoDoku­menten (Tagebücher, private Briefe u.ä.) bieten ferner die Schriftwechsel zwischen den Reichs­institutionen unterschiedlichster Couleur zahlreiche Anhaltspunkte, die Aufschluss über Struktur des DAF-Konzerns und interne Konflikte dort bieten. Auf Basis dieser Quellen lassen sich außerdem Überlegungen zu Mentalität und Verhaltensmustern der herausragenden Akteure plausibel formulieren. Die im Bundesarchiv Berlin gesammelten, sich ergänzenden Bestände der verschiedenen Ministerien sowie anderen Institutionen und Organisationen auf Reichsebene erlauben schließlich, die oft schönfärberischen Selbstdarstellungen der Arbeitsfront einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.83 Am ergiebigsten waren im Kontext der vorliegenden Untersuchung die Aktenbestände des Reichswirtschaftsministeriums (R 3101), das wirtschaftspolitisch der DAF und ihrem Konzern am entschiedensten Paroli bot, die Bestände des Reichsarbeitsministeriums als einem weiteren wichtigen, schließlich unterlegenen Konkurrenten der Arbeitsfront, dem u. a. bis 1940 nominell die Lenkung des Wohnungsbaues unterstand (R 3901), die Bestände des Reichsfinanzministeriums, das gleichfalls den Aufstieg des DAF-Wirtschaftsimperiums misstrauisch beäugte und zu zügeln suchte (R 2), die Bestände des »Stellvertreters des Führers«, der als eine Art ›Überminister‹ fungierte und mit Ley und seiner Arbeitsfront heftige politische Fehden ausfocht (NS 6), die Bestände der Reichskanzlei, die bis etwa 1942 mit den meisten allgemein-poli­tisch relevanten Fragen und infolgedessen auch mit etlichen Aktivitäten der Arbeitsfront befasst war (R 43 II), sowie die einschlägigen Akten des in der Forschung oft unterschätzten NSDAP-Reichsschatzmeisters, der von einem gefährlichen Kontrahenten der DAF im Krieg schließlich zu einem wichtigen Bündnispartner Leys heranwuchs (NS 1). Nicht zuletzt die politischen Auseinandersetzungen um den Konzern der Arbeitsfront lassen sich vor dem Hintergrund dieser Überlieferung meist relativ gut rekonstruieren. Über die konkrete Geschäftsentwicklung bieten die entsprechenden Jahres­ berichte der ein­zelnen DAF-Unternehmen manchmal reichliches, zumeist allerdings lediglich kärgliches Material. Aufschlussreich waren mitunter auch die – propagandistisch freilich oft geschönten – Rechenschaftsberichte in den von der DAF herausgegebenen Zeitschriften. Darüber hinaus wurden außerdem Publikationsorgane herangezogen, deren Herausgeber den organisations-»totalitären« 83 Mangels alternativer Daten konnte selbstverständlich nicht darauf verzichtet werden, diese systematisch auszuwerten. Ergiebig war (neben internen ­Rechenschaftsberichten) etwa die kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges von der Zentralstelle für Finanzwirtschaft herausgegebene, umfängliche Selbstdarstellung »Die wirtschaftlichen Unternehmungen der Deutschen Arbeitsfront«. Der vom DAF-Geschäftsführer und Ley-Vertrauten Otto Marrenbach publizierte, auflagenstarke Überblick über die Tätigkeitsfelder der Arbeitsfront mit dem Titel: »Fundamente des Sieges. Die Gesamtarbeit der Deutschen Arbeitsfront von 1933 bis 1940« (Berlin 1940) enthält dagegen nur kurze, wenig aussagekräftige Angaben zum DAF-Konzern (S. 372-388). 40 einleitung Ambitionen der Arbeitsfront kritisch gegenüberstanden (»Die Deutsche Volkswirtschaft«, »Der Deutsche Volkswirt«, »Soziale Praxis« usw.). Sie bilden ein wichtiges Korrektiv für die meist propagandistisch überhöhten Selbstdarstellungen der Arbeitsfront. Auch in den überregionalen Tageszeitungen fanden sich nicht wenige aufschlussreiche Artikel. Diese basierten freilich meist auf den Angaben der zuständigen Institutionen innerhalb der Arbeitsfront – und für die war ein mitunter recht großzügiger Umgang nicht zuletzt mit Zahlen typisch, die die eigenen Erfolge dokumentieren sollten. Dieses Faible der DAF fürs Quantifizieren, für die »gigantischen Zahlen«, wie die »Deutsche Bergwerkszeitung« vom 9. Oktober 1936 ein wenig ironisch einen längeren Aufsatz über die Arbeitsfront titelte, muss selbstverständlich ebenso wie die zahllosen ideologischen Elaborate und Sentenzen eines Robert Ley und seiner Paladine quellenkritisch hinterfragt und kontextualisiert werden.84 Hinzuweisen ist außerdem darauf, dass für wichtige Aspekte nur Mosaiksteinchen präsentiert und zum Gesamtbild manchmal lediglich Mutmaßungen angestellt werden können. Besonders schmerzlich ist dies mit Blick auf die Lage der ausländischen Zwangsarbeiter innerhalb des unübersichtlichen Unternehmenskomplexes der DAF. Fremdarbeiter spielten besonders in den Baubetrieben sowie den Fahrzeugwerken der Arbeitsfront, neben dem – gerade auch in dieser Hinsicht gut erforschten – Volkswagenwerk vor allem auf den Werften ab 1941 eine große Rolle. Beiläufigen Bemerkungen in den überlieferten Archivalien ist zu entnehmen, dass über das Volkswagenwerk hinaus namentlich in den Baubetrieben der Arbeitsfront neben Kriegsgefangenen auch Häftlinge aus Konzentrationslagern, darunter eine anscheinend nicht geringe Zahl von jüdischen Häftlingen, beschäftigt wurden. Nur für einen Teil der Unternehmen, etwa die Stettiner Vulcan-Werft, liegen indes überhaupt genauere Daten zur Zahl der Fremdarbeiter und ihren Anteilen an der Gesamtbelegschaft vor. Über ihre Lage in den DAF-Unternehmen ist – über das hinaus, was Mommsen und Grieger für das Volkswagenwerk ausführlich thematisiert haben – kaum etwas bekannt. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass ihre Situation in den Betrieben der Arbeitsfront besser gewesen sein könnte als in ›normalen‹, privaten Unternehmen. Wahrscheinlich ist eher das Gegenteil. Denn die Arbeitsfront war von Anfang an eine hochgradig rassistische Organisation. Je länger der Krieg dauerte, desto deutlicher zeigte sich dies. Angesichts der menschenverachtenden Skrupel­losigkeit, die DAF-Funk­tio­näre generell gegenüber Angehörigen vor allem vorgeblich »minderwertiger« Völker an den Tag legten, dürften die Arbeits84 Der Zahlenfetischismus, dem die Arbeitsfront huldigte, geht nicht zuletzt auf entsprechende Präferenzen des »Führers« zurück. Zu Hitlers Vorliebe, selbst gern mit »einer Fülle von statistischen Daten um sich zu werfen«, vgl. Ian Kershaw, Hitler, Bd. 2: 19361945, Stuttgart 2000, z. B. S. 288, 305, 396 u.ö., Zitat: S. 160. Diese Neigung wurde in seinem Umfeld genau registriert und namentlich von der Arbeitsfront zuweilen bis ins Absurde kultiviert. Dennoch klaffen in den teilweise mühselig aus unterschiedlichsten Quellen zusammengestellten Tabellen im Anhang mitunter größere Lücken. 41 einleitung und Lebens­verhältnisse ausländischer Arbeiter in Unternehmen der Arbeitsfront weit schlimmer gewesen sein als in gewöhnlichen Betrieben. Alles in allem ist die archivalische Überlieferung zum DAF-Wirtschafts­ imperium für den Historiker eine Herausforderung.85 Sie ist dies vor allem dann, wenn es ihm nicht nur um eine Unternehmensgeschichte im engeren Sinne geht, sondern um eine historische Analyse, die zwar die Ökonomie im Kleinen wie im Großen im zentralen Fokus hat, jedoch auch sozialhistorisch und mentalitätsgeschichtlich argumentiert. Ein solch relativ weit gefasster Anspruch bei gleichzeitig hochgradig lückenhaften Überlieferungen zwingt den Historiker – frei nach Droysen – zum »Lockermachen und Auseinanderlegen dieses unscheinbaren Materials nach der ganzen Fülle seiner Momente« hin, um in der Darstellung endlich die »zahllosen Fäden« zu einer überzeugenden Argumentation zu verknüpfen.86 Ob dies gelungen ist, mag der Leser beurteilen. Gliederung Gegliedert ist die vorliegende Darstellung in insgesamt elf systematische Kapitel. Das folgende Kapitel 1 skizziert die Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich die Unternehmen der Arbeitsfront entwickelten und geht auf die für die Entstehung des DAF-Konzerns konstitutive Enteignung der Gewerkschaften ein. Dargestellt wird außerdem der insgesamt komplexe sowie uneinheitliche Vorgang der Eigentumsübertragung der gewerkschaftsnahen Unternehmen und Genossenschaften auf die DAF. Im Anschluss daran werden im Kapitel 2 in einem Überblick die Formen der Lenkung des insgesamt ja sehr heterogenen, disparat wirkenden DAF-Konzerns skizziert. Es geht hier zum einen um die Institutionen, denen die Führung der Arbeitsfront die Lenkung des Konzerns übertrug. Zum anderen werden in diesem Kapitel die für die Leitung des Konzerns maßgeblichen Akteure auf Seiten des politischen Apparats der Arbeitsfront vorgestellt. Denn gelenkt wurde der Konzern nicht in erster Linie durch dafür eigens geschaffene größere Institutionen, sondern – wie zu zeigen sein wird – durch eine eigentümliche Variante der personeller Vernetzung, in der einzelnen Protagonisten ein hoher Stellenwert zukam. Danach folgen die Kapitel zu den einzel­nen Säulen des DAF-Wirtschafts­ imperiums. Im Kapitel 3 werden die Aktivitäten der Arbeitsfront im Bankensektor thematisiert. Dabei steht die ehemals freigewerkschaftliche Bank der Deutschen Arbeit im Vordergrund. Dieses Geldinstitut ist nicht nur deshalb zentral, weil es 85 Auch vor dem Hintergrund, dass nicht alle regionalen, städti­schen und betrieblichen Archive auf Unterlagen gesichtet werden konnten, die Aufschluss über die Unternehmen der Arbeitsfront geben könnten, stellt die vorliegende Untersuchung in einigen Passagen empirisch eher eine vorläufige Bestandsaufnahme dar. Zu wünschen ist, dass vor allem Lokal- und Regionalhistoriker den Verhältnissen in den DAF-eigenen Unternehmen ›vor Ort‹ künftig mehr Aufmerksamkeit widmen und die vorliegende Untersuchung dereinst um zusätzliche empirische Ergebnisse ergänzt werden kann. 86 Johann Gustav Droysen, Historik, Bd. I, hg. von Peter Leyh, Stuttgart 1977, S. 163. 42 einleitung zur Hausbank der DAF avancierte und bis 1942 hinsichtlich seiner Bedeutung in die Reihe der Großen Drei – nach der Deutschen und der Dresdner Bank, aber noch vor der Commerzbank – einrückte. Die Arbeitsbank besaß unter den Unternehmen der Arbeitsfront außerdem deshalb eine besondere Stellung, weil ihr als fiskalischer Transmissionsriemen zwischen der Organisation Deutsche Arbeitsfront und den Unternehmen der DAF eine zentrale Rolle zufiel. Die Stufen der Expansion des Gesamtkonzerns und seiner Glieder sind ohne einen genaueren Blick auf dieses fiskalische Instrument Leys und der DAF-Führung nur schwer zu verstehen. Das Kapitel bietet ferner einen kurzen Überblick über kleinere Geldinstitute der Arbeitsfront, die im Rahmen einer Straffung des Konzerns allerdings bereits Mitte der dreißiger Jahre geschlossen bzw. verkauft wurden. Das anschließende Kapitel 4 widmet sich den Versicherungen. Im Zentrum stehen hier die Volksfürsorge und der Deutsche Ring (DR-Versicherungen) als die beiden großen Versicherungsgesellschaften, die der Arbeitsfront-Führung bei ihrer Gründung in die Hände fielen und sich in der Folgezeit zum nach der Allianz zweitgrößten reichsdeutschen Versicherungskonzern entwickelten. Dabei wird zu zeigen sein, dass die Arbeitsfront die »Suche nach Sicherheit« (Eckart Conze), die sich angesichts der Erfahrungen der Zeitgenossen mit Weltkrieg, Revolution, einer krisengeschüttelten Weimarer Republik und der Weltwirtschaftskrise zu einer Sucht nach Sicherheit auswuchs – und paradoxerweise mit gleichzeitigen Weltmachtträumen nicht kollidierte –, mit ihren überdurchschnittlich prosperierenden Versicherungsgesellschaften ganz profan-materiell zu befriedigen suchte. Zu fragen ist (auch) in diesem Kapitel, wie sie dies mit dem nationalsozialistischen Primat des Bellizismus und ihren radikal-rassistischen Zielen und ebenso mit ihrer Funktion als »volksgemeinschaftlicher Dienstleister« zu vereinbaren suchte. Die Entwicklung der Verlage und Buchgemeinschaften, die 1933 in den Besitz der Arbeitsfront übergingen, sowie derjenigen, die in der Folgezeit neu gegründet oder erworben wurden, wird in Kapitel 5 beschrieben. In dieses Kapitel gehören auch etwa die eigentümlichen Beziehungen, die die Arbeitsfront zum entstehenden Holtzbrinck-Verlag entwickelte. Der in zahlreiche größere und kleinere Unternehmen aufgefächerte Verlagskomplex der Arbeitsfront wurde, einschließlich Druckereien, Buchbindereien usw., neben dem Eher-Verlag zu einem Schwergewicht in dieser Bran­che. Dieses Kapitel schließt, wie alle anderen, eine Darstellung der Auslandsaktivitäten dieser Säule des DAF-Konzerns ein. Es bietet außerdem eine Skizze der Geschichte der Ende 1939 entstandenen »Zentrale der Frontbuchhandlungen«, die eng mit dem Zentralverlag der Arbeitsfront verbandelt war und im Krieg eigene verlegerische Aktivitäten entwickelte. Kapitel 6 ist mit Bedacht »Von den Konsumgenossenschaften zum Deutschen Gemeinschaftswerk« überschrieben. Die Verbrauchergenossenschaften gingen zwar erst 1940/41 in den Besitz der DAF über. Für die Geschichte der Konsumvereine spielte die Arbeitsfront jedoch bereits während des Zeitraumes 1933 bis 1935/36 eine wichtige Rolle. Und auch deren Geschichte ab 1936, als die DAF den Kampf um Konsumgenossenschaften zunächst verloren hatte, ist darzustellen. Denn die Führung der Arbeitsfront gab ihre Absicht, die Verbrauchergenossen- 43 einleitung schaften dem eigenen Wirtschaftsimperium einzuverleiben, niemals auf und gelangte schließlich Ende 1940 ans Ziel. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels wird dann die Umwandlung der vormaligen Konsumgenossenschaften in das – für die Versorgung der Heimatfront mit Lebensmitteln zentrale – privatwirtschaftlich an­gelegte, auf die Hegemonie des Einzelhandels für Nahrungsmittel orientierte »Deutsches Gemeinschaftswerk« dargestellt, das nach seiner Gründung in erster Linie mit der Verteilung von Nahrungsmitteln befasst war – und in dieser Funktion wesentlich zur Aufrechterhaltung der ›Heimatfront‹, aber auch zur Versorgung der militärischen Fronten beitrug. Im Kapitel 7 geht es um einen weiteren, bedeutsamen Genossenschaftstypus: die Wohnungsgenossenschaften sowie die Bau- und Siedlungsgesellschaften, die vor der NS-Machtergreifung überwiegend den freien Gewerkschaften gehört oder ihnen zumindest nahegestanden hatten und 1933 in den Besitz der DAF übergingen. Auch deren Geschichte unterlag während der zwölf Jahre des Dritten Reiches einer rasanten Entwicklung, bis sie 1940 bzw. 1942 zu Instrumenten des »Reichskommissars für den sozialen Wohnungsbau« bzw. des Reichswohnungskommissars wurden. Nicht zuletzt ihre Rolle im Zweiten Weltkrieg wird eingehender untersucht, darunter die gerade auf diesem Sektor des DAF-Konzerns zu beobachtenden, vielfältigen Rationa­ lisierungsanstrengungen. Die Darstellung der Geschichte des Volkswagenwerkes in Kapitel 8 kann vergleichsweise knapp gehalten werden, da Mommsen und Grieger eine an Detailreichtum kaum zu überbietende Gesamtdarstellung für dieses Unternehmen vorgelegt haben. Ähnliches gilt für das geplante Volkstraktorenwerk, während die Ausführungen zum Werftenkomplex, den die DAF aufbaute, wiederum auf archivalische Quellen basiert wurden. In sich sind die Kapitel über die verschiedenen Säulen des DAF-Konzerns87 chronologisch gegliedert. Sie beginnen mit der ›Vorgeschichte‹ in der Ägide der freien oder christlichen Gewerkschaften, oder des Deutsch­nationalen Handlungsgehilfen-Verbandes. Anschließend werden die Felder, auf denen sie tätig wurden, sowie ihre bis 1943 zumeist von einem ungebremsten Expansionsstreben gekennzeichnete Geschichte und schließlich ihr Stellenwert innerhalb der einzelnen Branchen beschrieben. Neben der Phase der Systemetablierung (1933/34), der Systemstabilisierung (1934 bis 1936) und der forcierten Aufrüstung (ab Herbst 1936) wird dabei (soweit die Quellen dies zulassen) ein besonderes Gewicht auf die Darstellung der jeweiligen Unternehmenspolitiken der Phase ab 1938 gelegt, als sich das Deutsche Reich in immer rascherer Folge neue Gebiete einverleibte und sich die bereits zuvor überdurchschnittliche Expansion der meisten DAF-Unterneh­men noch einmal beschleunigte. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die eineinhalb Jahre zwischen Hochsommer 1940 und Spätherbst 1941, als sich die meisten Zeitgenossen in Deutschland, darunter 87 Nur am Rande thematisiert werden Einrichtungen der »Nationalsozialistischen Gemeinschaft ›Kraft durch Freude‹« , die nominell als Unternehmen, nämlich als AG oder GmbH firmierten. Zur Dianabad AG vgl. Kapitel 4, S. 119 Anm. 106; zur Deutsche National-Theater AG, die aus dem Theaterkonzern von Max Reinhardt hervorging, vgl. Kapitel 3, S. 119-122. 44 einleitung nicht zuletzt sämt­liche maßgebliche DAF-Funktionäre, auf den scheinbar unmittelbar bevorstehenden »Endsieg« der braunen Diktatur einstellten. In dieser Zeit wurden seitens der Arbeitsfront alle möglichen Pläne für die künftige Stellung der Organisation und ihrer Unternehmen in einem nationalsozialistischen Europa geschmiedet. Vor allem aus den während dieses Zeitraumes abgefassten Denkschriften und Programmatiken lassen sich die Visionen der DAF-Führung für die künftige Rolle des eigenen Wirtschaftsimperiums und überhaupt deren Vorstellungen einer europäischen Volkswirtschaft auskristallisieren. Funktionäre und einschlägige Experten der Arbeitsfront schmiedeten jedoch nicht nur Pläne. Die Unternehmen der DAF gingen in der Absicht, sich eine möglichst starke Position für die Zeit nach dem scheinbar kurz bevorstehenden nationalsozialistischen »Endsieg« zu verschaffen, außerdem gezielt daran, in das angegliederte und besetzte Ausland, aber auch in die mit dem Dritten Reich verbündeten Staaten zu expandieren. In welcher Weise dies geschah, ist gleichfalls Thema der den einzelnen Konzernteilen gewidmeten Kapitel. Kapitel 9 widmet sich dem Personal des DAF-Konzerns. Dabei geht es zunächst in einem Überblick um die jeweiligen Gesamtbelegschaften und die Frage, inwieweit sich deren Zu­sammensetzung und die beobachtbaren Veränderungen in allgemeine Trends einfügen oder dazu querliegen. Im Zentrum dieses Kapitels steht das Personal der ober­sten Hierarchieebene der verschiedenen DAFUnterneh­men und die Thematisierung der oben bereits angesprochenen biographischen Fragestellungen (Alter, Qualifikation, berufliche Karriere, politische Sozialisation etc.). Diskutiert wird, inwieweit sich innerhalb des DAF-Konzerns ein neuer Typus des nationalsozialistisch-politiknahen Managers ausbildete, der sich – mindestens in den ersten Jahren der NS-Herrschaft – vom Typus des etablierten Industriellen und Bankiers deutlich abhob, und wie einvernehmlich oder spannungsgeladen das Verhältnis zwischen beiden Seiten war. Diese auch auf Mentalitäten und Habitus wie auf das konkrete Handeln zielenden Fragen schließen die Thema­tisierung weiterer Aspekte ein; so wird u. a. auf die Vernetzung der DAF-Manager in die gesamte reichsdeutsche Wirtschaftselite hinein oder auch auf ihre Beteiligung an der ab 1934 implementierten so genannten Wirtschaftlichen Selbstverwaltung (Reichsgruppen, Wirtschaftsgruppen, Fachgruppen) einzugehen sein. Kapitel 10 resümiert die Kapitel über die verschiedenen Konzernteile und diskutiert generelle, die eigentümliche Struktur des Gesamtkonzerns der Arbeitsfront betreffende Aspekte. So wird die Frage nach den Zielen, die die Führung der Arbeitsfront mit dem Wirtschaftsimperium verfolgte, nun in der Zusammenschau aufgenommen und ebenso der oben gestellten Frage nachgegangen, wie sich dieses eigentümliche Gebilde in das Gefüge der nationalsozialistischen Volkswirtschaft eingeordnet hat und wie es denn zu kategorisieren ist. Zwar brach mit dem Ende des NS-Regimes und der Arbeitsfront auch das DAFWirtschafts­im­pe­rium zusammen. Die Darstellung kann jedoch nicht einfach 1945 enden. Denn das Imperium der Arbeitsfront hinterließ kräftige Spuren in der deutschen Geschichte weit darüber hinaus. Sie werden in einem kursorisch 45 einleitung gehaltenen Ausblick (Kapitel 11) angerissen. Dabei geht es zum einen um das Schicksal der institutionellen ›Trümmer‹, d. h. der verschiedenen Unternehmen des vormaligen DAF-Wirt­schafts­impe­riums, die nun mit neuen Besitzern und in einem veränderten Kontext weiter existierten. Wichtiger ist die Frage nach den eher indirekten sozialen Folgewirkungen, die namentlich mit der nachhaltigen Beschädigung genossenschaftlicher Traditionen durch die Wirtschafts­politik der Arbeitsfront verbunden waren. Zum Umgang in der vorliegenden Untersuchung mit zeitgenössischen Eigen­ namen bleibt anzumerken, dass die Firmennamen der DAF-Unternehmen, aber auch ungewöhnliche zeitgenössische Termini und Redewendungen übernommen und nicht in Anführungszeichen gesetzt werden, soweit sie nicht einen ideologisch-propagandistischen Charakter besitzen, der eine förmliche Distanzierung unumgänglich macht. Bestimmte, von den Na­tio­nalsozia­listen verwendete Begriffe wie »Vierjahresplan« oder »Drittes Reich«, die inzwischen in den allgemeinen Sprachgebrauch der historischen Forschung eingegangen und vergleichsweise unverfänglich sind, werden lediglich beim erstmaligen Gebrauch in Anführungszeichen gesetzt. In Zitaten wird die zeittypische Rechtschreibung beibehalten, al­ler­dings wurden Tippfehler stillschweigend korrigiert; ergänzende bzw. erläuternde Bemerkungen in den Zitaten sind in eckige Klammern gestellt. Schließlich wird der Leser mit zahlreichen, ihn vielleicht verwirrenden Namen konfrontiert sein. Über die Personen- und Institutionenregister hinaus finden sich zur Orientierung deshalb Kurzbiographien, überwiegend in den Anmerkungen.88 88 Im Register sind die entsprechenden Seitenzahlen gesperrt hervorgehoben. Auf Literaturhinweise zu den einzelnen Personen in den Anm. wird aus Platzgründen verzichtet. Wichtige Arbeiten und Lexika sind in die Bibliographie aufgenommen. 46 1. Rahmen- und Ausgangsbedingungen 1.1. Gesamtwirtschaftliche Voraussetzungen Das Prinzip Marktwirtschaft und der Primat des Bellizismus Welchen Stellenwert besaßen während des Dritten Reiches die politischen Rahmenbedingungen für die Geschichte der Wirtschaft und der Unternehmen? Wie stark überformten die Nationalsozialisten im Laufe der Jahre ihrer Herrschaft die Strukturen der vorgefundenen Volkswirtschaft? Welche Entfaltungsmöglichkeiten besaß das einzelne Unternehmen? Diese und ähnliche Fragen sind über viele Jahrzehnte kontrovers diskutiert worden. Die infolge der Frontstellungen des Kalten Krieges politisch hochgradig aufgeladene, bis in die achtziger Jahre apodiktisch geführte Diskussion darüber, ob während der NS-Herrschaft nun ein Primat der Politik oder der Ökonomie geherrscht habe, ist inzwischen obsolet geworden. Die gesamtwirtschaftlichen Konstellationen lassen sich nicht auf ein Entweder-oder reduzieren. Ähnliches gilt für die Unternehmensgeschichte. Mit der Epochenwende 1989/90 schien zwar eine Konjunktur einer apologetischen Unternehmenshistoriographie einzusetzen. Sie blieb jedoch ein Strohfeuer. Behauptungen, »die Möglichkeiten einer eigenständigen Unternehmenspolitik« seien »im Laufe der Zeit geringer« geworden, die »Ergebenheit« gegenüber der NS-Führung sei »unvermeidlich« gewesen,1 hielten der empirischen Überprüfung nicht stand.2 Neben weiterhin apologetischen Auftragsarbeiten entstand eine Reihe von kritischen Unternehmensgeschichten, die die bereitwillige ­Kooperation größerer und kleinerer Unternehmen mit den 1 So Feldenkirchen, Wilfried, Siemens 1918-1945, München 1995, S. 142, 212. Unmoralisches Handeln wird dann – in konsequenter Apologie – »einzelnen Mitgliedern der Unternehmensführung« und »einigen Führungskräften« angelastet. Zitate: ebd., S. 142, 204. Ähnlich auch z. B. James, unter dessen Feder Emil Ritter v. Stauß zum bösartigen Einzelgänger mutiert, dem letztlich alle Schuld für die »Verwicklungen« der Deutschen Bank in die NS-Diktatur zugeschoben wird. Vgl. Harold James, Die Deutsche Bank und die Diktatur 1933-1945, in: Lothar Gall u. a., Die Deutsche Bank 1870-1995, München 1995, S. 315-408, bes. S. 352 f., 356 ff., 363. 2 Zur Charakterisierung und Kritik der überkommenen Unternehmensgeschichtsschreibung, die lange im »protoprofessionellen Raum« (Werner Plumpe) verharrte, vgl. etwa Werner Plumpe, Perspektiven der Unternehmensgeschichte, in: Günther Schulz u. a. (Hg.), Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Arbeitsgebiete – Probleme – Perspektiven. 100 Jahre Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Stuttgart 2004, S. 403425, Zitat: S. 407 f.; ders., Unternehmen im Nationalsozialismus. Eine Zwischenbilanz, in: Werner Abelshauser u. a. (Hg.), Wirtschaftsordnung, Staat und Unternehmen. Neue Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte des Nationalsozialismus, Essen 2003, S. 243266, bes. S. 247, oder Toni Pierenkemper, Unternehmensgeschichte. Eine Einführung in ihre Methoden und Ergebnisse, Stuttgart 2000, S. 28-40, 64 ff. 47 rahmen- und ausgangsbedingungen braunen Machthabern und die Integration der Industrie samt ihrer Akteure in das komplexe NS-System nicht zu verharmlosen versuchten. Weitgehende Einigkeit herrscht unter NS-Historikern darüber, dass die Natio­nalsozialisten keine eigenständige Wirtschaftstheorie ausbildeten, die für sie handlungsleitend war.3 Tatsächlich agierte das NS-Regime, konzeptionell wie in der Praxis, überaus pragmatisch. Selbst wenn sich führende Funktionsträger der Hitler-Diktatur wie Robert Ley zeitweilig ernsthaft eine Art nationalsozialis­­ ti­schen »Kriegs­sozialismus« erträumt haben sollten – was bei Ley mehr als zweifelhaft ist –, so waren sie sich doch immer des Tatbestandes bewusst, dass sich der vom NS-Re­gi­me angesteuerte europäische Krieg nur auf Basis einer funktionstüchtigen und möglichst effizienten Volkswirtschaft führen ließ. Die maßgeblichen Entscheidungsträger der Diktatur wussten, dass sie dabei auf die Industriellen und Bankiers als Experten und Ga­ranten einer dynamisch-kapi­ta­ li­s­tischen Volkswirtschaft angewiesen waren und diese – so sie nicht als »Juden« stigmatisiert und verfolgt wurden – behutsam behandeln mussten. Die Präferenz der führenden Nationalsozialisten für eine kapitalistisch grundierte Ökonomie war jedoch nicht allein pragmatisch begründet. Eine auf dem Prinzip der Konkurrenz basierte Markt­wirtschaft kam darüber hinaus den poli­ tisch-ideologischen Vorstellungen der Nationalsozialisten entgegen. Das Diktum, Hitler sei ein unbedingter Anhänger des »liberalen Konkurrenzprinzips« (Henry Ashby Turner) gewesen,4 ist kaum übertrieben. Denn es entsprach zweifelsohne Hitlers sozialdarwinistisch getöntem Weltbild, dass freier Wettbewerb auf Basis des Privateigentums an Unternehmen innerhalb der Wirtschaft eine zentrale Rolle zu spielen habe. Bei den meisten seiner Paladine war dies nicht anders. Albrecht Ritschl hat in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam gemacht, dass die Präferenzen für Kampf, Konkurrenz und marktliberalen Wettbewerb einerseits und ein Denken in Kategorien der – volkswirtschaftlichen wie völkischen – Gemeinschaft andererseits bis 1945 für die Zeitgenossen kein Antagonismus war, sondern vielmehr beides oft zusammengedacht wurde, Hitlers wirtschaftspolitisches Denken also (auch) in dieser Hinsicht nur einen verbreiteten Zeitgeist spiegelte. Darüber hinaus war Hitler wirtschaftskonzeptionell an den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges orientiert, ohne jedoch einem der allzu planwirtschaftlich 3 Vgl. neben Ritschl (Anm. 4) auch z. B. resümierend Plumpe, Unternehmen im Nationalsozialismus, bes. S. 251, oder Jan-Otmar Hesse, Zur Semantik von Wirtschaftsordnung und Wettbewerb in nationalökonomischen Lehrbüchern der Zeit des Nationalsozialismus, in: Johannes Bähr/Ralf Banken (Hg.), Wirtschaftssteuerung durch Recht im Nationalsozialismus. Studien zur Entwicklung des Wirtschaftsrechts im Interventionsstaat des »Dritten Reiches«, Frankfurt a. M. 2006, S. 473-508. 4 So Henry Ashby Turner, Hitlers Einstellung zu Wirtschaft und Gesellschaft vor 1933, in: GG 2/1976, S. 89-117, hier: S. 95. Zu Hitlers wirtschaftspolitischen Auffassungen und zur Frage ›nationalsozialistischer Wirtschaftstheorie‹ vgl. bes. Albrecht Ritschl, Zum Verhältnis von Markt und Staat in Hitlers Weltbild, in: Uwe Backes u. a. (Hg.), Im Schatten der Vergangenheit, Frankfurt a. M. 1990, S. 243-264. 48 gesamtwirtschaftliche voraussetzungen anmutenden »Gemeinwirtschafts«-Mo­delle, wie es z. B. Wichard v. Moellendorff formuliert hatte, anzuhängen.5 Damit unterschied sich der Diktator nicht von breiten Schichten der reichsdeutschen Unternehmerschaft. Verstärkt wurden der ordnungspolitische Drive und die Hoffnung auf einen starken Staat durch die Erfahrung der Weltwirtschaftskrise6 sowie durch einen Primat der Konditionierung auf einen erneuten Krieg, der die Schmach der Niederlage von 1918 auswetzen sollte. Über diesen Primat des Bellizismus, mit dessen praktischer Umsetzung das Präsidialkabinett Hitler bereits Anfang April 1933 begann,7 bestand zwischen den Nationalsozialisten und den – wie immer zu betonen ist: nicht-jüdi­schen – Wirtschaftseliten ein weitgehender Konsens. Überraschen kann dies kaum. Denn deren Protagonisten waren zumeist noch während des Spätwilhelminismus sozialisiert sowie vom Diktum der »Hochschätzung des Militärischen« (Hans-Ulrich Wehler) geprägt und hingen einem imperialistisch grundierten Nationalismus nach. Der Wunsch nach einer »Neuordnung« Mitteleuropas, nach dem Wiederaufstieg Deutschlands zur unbestrittenen europäischen Großmacht und nach einem zweiten »Griff zur Weltmacht« wurde zum stärksten Band, das die Entscheidungsträger des NS-Regimes und die reichsdeutsche Wirtschaftselite einte. Der Primat des Bellizismus und ein ausgeprägter Pragmatismus der HitlerDiktatur in wirt­schaftspolitischen Dingen schlossen – mit den symptomatischen Ausnahmen der »Arisierung« und der Enteignung der organisierten Arbeiterbewegung – die grundsätzliche Anerkennung des Prinzips des Privateigentums an Produktionsmitteln sowie die Wahrung der Vertragsfreiheit ein. Zudem implizierte der wirtschaftspolitische Pragmatismus des NS-Regimes nur begrenzte, autarkiepolitisch und (damit) kriegswirtschaftlich motivierte Restriktionen marktwirtschaftlicher Mechanismen. Aller unter dem Primat des Bellizismus praktizierten staatlichen Interventionen zum Trotz konnten die Unternehmen 5 Ebd., S. 245 f., 257 ff. 6 Vgl. z. B. Werner Abelshauser, Modernisierung oder institutionelle Revolution? Koordinaten einer Ortsbestimmung des »Dritten Reiches« in der deutschen Wirtschafts­ geschichte des 20. Jahrhunderts, in: ders./Jan-Ot­mar Hesse/Werner Plumpe (Hg.), Wirtschaftsordnung, Staat und Unternehmen. Neue Forschungen zur Wirtschafts­ geschichte des Nationalsozialismus, Essen 2003, S. 19-39, bes. S. 24. Dass die Kritik an einem entfesselten Konkurrenzkapitalismus während der Weimarer Republik weit verbreitet war und auch z. B. unter den Wirtschaftsjuristen ein starker Staat gewünscht wurde, der stärker regulierend in die Volkswirtschaft eingriff, hat Johannes Bähr (»Recht der staatlich organisierten Wirtschaft«. Ordnungsvorstellungen und Wandel der deutschen Wirtschaftsrechtslehre im »Dritten Reich«, in: ders./Banken [Hg.], Wirtschaftssteuerung durch Recht, S. 445-472, hier: S. 449 ff.) betont. Im Übrigen war die Forderung nach mehr staatlicher Regulierung keine deutsche Besonderheit. 7 Am 4. April 1933 nahm die Regierung Hitler per Kabinettsbeschluss die Reichswehr und damit die gesamten, rasch wachsenden Rüstungsausgaben pauschal von der Kontrolle durch das Finanzministerium aus und legte damit den Grundstein für die entfesselte Aufrüstung der folgenden Jahre. Vgl. Michiyoshi Oshima, Die Bedeutung des Kabinettsbeschlusses vom 4. April 1933 für die autonome Haushaltsgebarung der Wehrmacht, in: Finanzarchiv, N.F., 2/1981, S. 193-235. 49 rahmen- und ausgangsbedingungen zwischen 1933 und 1945 »im wesentlichen weiterhin wie kapitalistische Unternehmen generell« agieren (Christoph Buchheim).8 Statt auf unmittelbare Repression setzte das Regime auf ein komplexes System von indirekten Anreizen.9 Während bestimmte Handlungsoptionen – namentlich solche, die den rüstungsund autarkiepolitischen Zielen entgegenstanden – unattraktiv gestaltet wurden, stimulierte und privilegierte das NS-Regime andere Varianten mög­lichen Unternehmerhandelns gezielt. In aller Regel konnte es bei der Verfolgung seiner kriegswirtschaftlichen Zielsetzungen auf die Gewinnerwartungen und Expansionsbestrebungen der Unternehmensleitungen setzen. Für den Fall, dass einzelne Unternehmer sich Investitionswünschen des Regimes entzogen, standen in den einzelnen Branchen Konkurrenten bereit, die in Erwartung zusätzlicher Marktanteile gern in die Bresche sprangen. Grundsätzlich war es ohne negative Konsequenzen möglich, staatlichen Vorstellungen, rüstungspolitisch gewünschte Erweiterungsinvestitionen zu tätigen oder Kapital für die Errichtung autarkie- oder kriegsrelevanter Unternehmen zur Verfügung zu stellen, nicht zu entsprechen, etwa wenn man fürchtete, der Ausbau von Produktionskapazitäten vor dem Hintergrund der Aufrüstung würde sich letztlich nicht amortisieren.10 Wenn sich die Beziehungen zwischen Unternehmern und politischen Funktionsträgern oft eng gestalteten, ist dies nicht unbedingt als besondere Affinität zum Nationalsozialismus zu werten. Enge Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft (sowie Militär) sind in Kriegszeiten die Regel – und die nationalsozialistische Volkswirtschaft kann im Prinzip bereits seit dem Neuen Plan 1934, spätestens ab Herbst 1936 als Kriegswirtschaft zu Friedenszeiten gelten. In diesem Zusammenhang ist auch der Vorstellung zu widersprechen, Wirtschaftsunternehmen befänden sich ›normalerweise‹ außerhalb der politischen Sphäre, sie würden ›unpolitisch‹ agieren und seien erst ab 1933 ›politisiert‹ worden. Hinter solchen Prämissen steht ein enger und zudem normativ aufgeladener Begriff von ›Politik‹. Denn gleichgültig unter welchen Rahmenbedingungen müssen sich 8 Christoph Buchheim, Unternehmen in Deutschland und [das] NS-Regime 1933-1945, in: HZ 282/2006, S. 351-390, hier: S. 356. 9 Zum Gewinn als Anreizelement vgl. Mark Spoerer, Von Scheingewinnen zum Rüstungsboom. Die Eigenkapitalrentabilität der deutschen Industrieaktiengesellschaften 1925-1941, Stuttgart 1996, resümierend S. 166 f. 10 Vgl. Jonas Scherner, Das Verhältnis zwischen NS-Regime und Industrieunternehmen – Zwang oder Kooperation? In: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte/Journal of Business History 51/2006, S. 166-190. Scherner bringt eine Reihe von Beispielen, die deutlich machen, dass die Bedrohungsfurcht der Unternehmer minimal war. Vgl. ebd., bes. S. 182-190; außerdem ders., »Ohne Rücksicht auf die Kosten«? Eine Analyse von Investitionsverträgen zwischen Staat und Unternehmen im »Dritten Reich« am Beispiel des Förderprämienverfahrens und des Zuschussverfahrens, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2004/I, S. 167-188, sowie Buchheim, Unternehmen in Deutschland. Obwohl das NS-Regime nach Kräften bemüht war, Kapital für die Finan­zierung der Aufrüstung und des Krieges zu mobilisieren, war auch der Kapitalmarkt weniger restringiert als gemeinhin angenommen wird. Vgl. Scherner, Verhältnis zwischen NSRegime und Industrieunternehmen, bes. S. 187 f. Vgl. allgemein auch z. B. Plumpe, Unternehmen im Nationalsozialismus. Zwischenbilanz, S. 251 f., 255. 50 gesamtwirtschaftliche voraussetzungen Unternehmen stets auf ihr gesellschaftlich-politisches Umfeld einstellen. Ihre Autonomie findet gesamtwirtschaftlich Grenzen in diesen Rahmenbedingungen.11 Für die Zeit von 1933 bis 1945 geht es mithin nicht um das ›Ob‹, sondern um das ›Wie‹ der Beziehungen zum politisch-gesellschaft­li­chen Umfeld. Zu fragen ist nach der Qualität und Intensität der übergeordneten politischen Einflussnahmen wie der unternehmenspolitischen Anpassungsprozesse. Mit Blick auf die NS-Herrschaft ist zu berücksichtigen, dass die deutsche Wirtschaft fast von Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft an unter dem Zeichen der Kriegsvorbereitung stand. Kriege, sowie die Vorbereitungen darauf, sind wiederum generell Zeiten, in denen staatliche Organe stärker intervenieren als ›normalerweise‹. Dass in Kriegswirtschaften die Handlungsräume von Unternehmen eingeschränkt wurden und werden, kann als selbstverständlich gelten. Den Zeitgenossen war dies noch aus dem Ersten Weltkrieg in lebhafter Erinnerung. Bemerkenswert ist, dass den Unternehmen selbst auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkrieges erhebliche Entscheidungsräume verblieben. Zwar wurde die Lenkung durch den Staat angesichts der Kriegswende ab 1941 deutlich straffer. Nun aber gereichten das »ausfasernde Geflecht« und die »organisatorische Zerrüttung der Rüstungsorganisation« den Unternehmen zum Vorteil und eröffneten ihnen neue Freiräume.12 Die Reorganisation der Rüstungswirtschaft und die Implementierung der »Wirtschaftlichen Selbstverwaltung« kann als ein »Angebot des Regimes an die Industrie« interpretiert werden, »größeren Einfluss auf die Produktion, und als Nebenprodukt auch die Verfolgung eigener Interessen«, einzuräumen und »zu tauschen gegen eine massive Steigerung des kriegswichtigen Outputs«.13 Darüber hinaus gilt ganz generell, dass die polykratische Struktur des NS-Regimes es erlaubte, die verschiedenen Institutionen und NS-Orga­nisationen gegeneinander auszuspielen. Allerdings wurde der Primat des Bellizismus antisemitisch und überhaupt rassistisch über­f ormt. Die rassistische Überformung des Primats des Bellizismus wiederum stieß auf Seiten der maßgeblichen Funktionsträger in Industrie und Bankgewerbe kaum auf Widerspruch. Ihr »Regelvertrauen« (Hansjörg 11 Vgl. dazu etwa Schneider, Unternehmensstrategien, allgemein bes. S. 25-29, mit Blick auf den NS z. B. S. 316, ferner Plumpe, Unternehmen im Nationalsozialismus, resümierend S. 265. 12 Schneider, Unternehmensstrategien, S. 466. Erst ab 1942/43 »begannen die Unternehmen die Suspendierung ihrer Entscheidungsspielräume zu spüren«. Dennoch blieben sie selbst danach »in der Lage, strategische Planungen anzustellen, die ihre Zukunft betrafen«, und konnten in ihrem Handeln weiterhin den Kriterien einer klassischen privatkapitalistischen Rationalität folgen. Ebd., S. 491, 496. 13 So Buchheim, Unternehmen in Deutschland, S. 371. Erker will dagegen in der zweiten Kriegshälfte nurmehr »Reste des privatkapitalistischen Systems« entdeckt haben; selbst diese habe das NS-Regime zu »beseitigen gedroht«. Paul Erker, Einleitung: IndustrieEliten im 20. Jahrhundert, in: ders./Toni Pierenkemper (Hg.), Deutsche Unternehmer zwischen Kriegswirtschaft und Wiederaufbau. Studien zur Erfahrungsbildung von Industrie-Eliten, München 1999, S. 1-18, hier: S. 7. 51 rahmen- und ausgangsbedingungen Siegenthaler),14 d. h. die Sicherheit der nicht-­jüdischen Unternehmer, dass unter der Diktatur das Prinzip der Vertragssicherheit und das der Freiheit des Eigentums sowie der unternehmerischen Entscheidung grundsätzlich weiter gelten würde, wurde nicht beschädigt. Der Antisemitismus wurde von zahllosen nichtjüdischen Unternehmern umgekehrt vielmehr pragmatisch instrumentalisiert, nämlich unmittelbar für die Verfolgung eigener materieller Interessen genutzt. Die Beteiligung an »Arisierungen« wiederum, so hat unlängst Christoph Buchheim resü­mierend betont, ist nicht als Akt politischer Willfährigkeit oder gar der erzwungenen Anpassung zu werten; sie geschah vielmehr regelmäßig »aus dem Blick des Eigeninteresses« heraus.15 Die Beraubung der nach rassistischen Kriterien als »Juden« stigmatisierten Bankiers und Industriellen war zweifelsohne ein fundamentaler Bruch mit dem Prinzip der Freiheit und Sicherheit des Privateigentums. In der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft und der Marktwirtschaft, vor allem ihrer frühen Phasen, gab es freilich immer schon Zeiten, in denen Raub und ›ehrlicher‹ Handel eng, manchmal untrennbar miteinander verwoben waren. Die Kalt­herzigkeit, mit der die nicht-jüdische reichsdeutsche Wirtschaftselite auf die Enteignung und überhaupt auf das Elend, dem Juden in Deutschland ausgesetzt waren, im Allgemeinen reagierte und die uns retrospektiv so erschüttert, kann insofern nicht gänzlich überraschen. Hinzu tritt eine Art dynamischer Gewöhnungs­ 14 Hansjörg Siegenthaler, Regelvertrauen, Prosperität und Krisen. Die Ungleichmäßigkeit wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung als Ergebnis individuellen Handelns und sozialen Lernens, Tübingen 1993; ders., Geschichte und Ökonomie nach der kulturalis­ tischen Wende, in: GG 25/1999, S. 276-301, bes. S. 291 ff.; außerdem z. B. Hartmut Berghoff, Vertrauen als ökonomische Schlüsselvariable. Zur Theorie des Vertrauens und der Geschichte seiner privatwirtschaftlichen Produktion, in: Karl-Peter Ellerbrock/Clemens Wischermann (Hg.), Die Wirtschaftsgeschichte vor der Herausforderung durch die New Institutional Economics, Dortmund 2004, S. 58-71. 15 Es »bedurfte keiner na­tio­nalsozialistischen Überzeugung« und keiner Überredungskünste des Regimes, um die Unternehmen zu veranlassen, »sich an diesen Untaten zu beteiligen.« Da insbesondere für die Banken die Beteiligung an »Arisierungen« oft äußerst lukrativ war, »entbrannte um die Beteiligung an diesem Geschäft ein heftiger Wettbewerb.« Buchheim, Unternehmen in Deutschland, S. 376 ff., 388, Zitate: S. 375, 378, 388. Buchheim verweist dabei auf die empirischen Studien von Harold James, Die Deutsche Bank und die »Arisierung«, München 2001, bes. S. 64; Ludolf Herbst, Banker in einem prekären Geschäft: Die Beteiligung der Commerzbank an der Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit im Altreich (1933-1940), in: ders./Thomas Weihe (Hg.), Die Commerzbank und die Juden 1933-1945, München 2004, S. 74-136; Hannah Ahlmann, Die Commerzbank und die Einziehung jüdischen Vermögens, in: ebd., S. 147-172; Gerald D. Feldman, Die Allianz und die deutsche Versicherungswirtschaft 1933-1945, München 2001, S. 316-327. Vgl. außerdem u. a. Ingo Köhler, Kredite für NS-Verbrechen. Die deutschen Kreditinstitute in Polen und die Ausraubung der polnischen und jüdischen Bevölkerung 1939-1945, München 2007, oder auch die im Ausstellungskatalog des Aktiven Museums »Verraten und Verkauft«. Jüdische Unternehmen in Berlin 1933-1945, bearb. von Christoph Kreutzmüller und Kaspar Nürnberg, Berlin 2008, geschilderten Beispiele, sowie die Passagen zur »Arisierung« in insbesondere in Kapitel 3, S. 115-119. 52 gesamtwirtschaftliche voraussetzungen effekt. Die meisten Unterneh­mens­eigener und Manager hatten sich schon frühzeitig auf die moralischen Zumutungen des Nationalsozialismus eingestellt. Sie hatten sich mit ihnen nicht nur abgefunden, sondern sie vielfach aktiv in ihr unternehmerisches Kalkül einbezogen, da sie ihnen ökonomisch versüßt wurden. ›Gewöhnung‹ heißt in diesem Zusammenhang, dass sie den von Hans Mommsen und anderen beschriebenen Prozess der kumulativen Radikalisierung des NS-Re­gimes ebenso hinnahmen wie den nicht zu ignorierenden Tatbestand, dass die nationalsozialistischen Verbrechen immer monströser wurden. Ökonomisch wussten sich viele Unternehmen dabei schadlos zu halten. Gegen Verstaatlichung und genossenschaftliche Selbsthilfe – wirtschaftspolitische Prinzipien Wichtig ist in unserem Kontext, dass der Bruch mit dem bürgerlich-recht­s­ staatlichen Prinzip der Wahrung des Privateigentums in den mit dem euphemistischen Begriff »Arisierungen« charakterisierten Enteignungen zwar seinen besonders barbarisch-markanten Ausdruck fand, diese jedoch nicht einzigartig dastanden. Prius des durch Willkür und Beutegier charakterisierten Bruchs mit diesem fundamentalen bürgerlich-rechts­staat­li­chen Prinzip war die Ausraubung der sozialistischen, kommunistischen und ebenso der konservativ-christlichen Arbeiterbewegung. Die von den nationalsozialistischen Zeitgenossen mit »Arisierung« bezeichnete Aneignung jüdischen Besitzes umschreibt, sofern sie sich auf selbständige Gewerbebetriebe bezieht, einen gewaltsamen und nach rassistischen Kriterien vorgenommenen Umverteilungsprozess zugunsten nicht-jüdischer Selbständiger und nicht selten auch vormaliger nicht-jüdischer Angestellter. Bei diesem Umverteilungsprozess traten staatliche Organe als Mitt­ler auf. »Arisierte« Unternehmen wurden in aller Regel nicht verstaatlicht. Obschon ein Bruch mit rechtsstaatlichen Eigentumsprinzipien, setzten die »Arisierungen« die Mechanismen einer fundamentalen, konkurrenz­basierten Marktwirtschaft nicht grundsätzlich außer Kraft. Vor das Rechtsprinzip der Freiheit des Eigentums wurde vielmehr ein rassistischer Filter gespannt. Auch die – den »Arisierungen« von Unternehmenseigentum vorausgehenden – Enteignungen der Immobilien und Unternehmen der Gewerkschaften und politischen Linken mündeten nicht in Verstaat­ lichungsprozesse. Sie führten (das wird in den folgenden Kapiteln ausführlicher thematisiert) zu eigentümlichen Formen einer herrschaftsnahen Privatisierung. Franz Leopold Neumann hat diesen Prozess als das Siegel unter ein Credo interpretiert, das die »freie Wirtschaft«, d. h. eine privatwirtschaftliche, konkurrenzbasierte Marktökonomie, letztlich zum Fetisch machte. Mit der Gründung des DAF-Konzerns, und ähnlich der Reichswerke Hermann Göring oder der Wilhelm-Gustloff-Werke, hätten sich die nationalsozialistischen Mörder, Räuber und Banditen kapitalistisch zivilisieren wollen. Die »Gründung [d]er Partei­ wirtschaft verläuft nach dem vertrauten Muster amerikanischer Gangster, die ihren Traum, ehrbar zu werden, durch den Eintritt in das rechtmäßige Geschäft 53 rahmen- und ausgangsbedingungen verwirklichen, nachdem sie Geld durch Erpressung und ›Schutz‹ angehäuft haben.« Diesem Sog hätten sich gerade die NS-For­ma­tionen nur schwer ent­ ziehen können, da »ein Gangster nur überleben [könne], wenn er ehrbar wird«. Die parteinahen Unternehmen »beweisen«, so Neumann weiter, »dass selbst in einem Einparteienstaat, der sich des Primats der Politik über die Ökonomie rühmt, die politische Macht ohne ökonomische Macht […] stets gefährdet ist«.16 Hätte eine Staatswirtschaft, in der das Prinzip der Konkurrenz und der ungebundenen Privatinitiative aufgehoben gewesen wäre, im Denkhorizont der Nationalsozialisten gelegen, hätten sich die DAF oder andere Organisationen bzw. Funktionsträger des NS-Regimes gar nicht erst die Mühe gemacht, eigene Unternehmen zu gründen. Zu keinem Zeitpunkt haben die nationalsozialistischen Machthaber ernsthaft Pläne gehegt, einzelne Branchen oder gar weite Teile der Volkswirtschaft zu verstaatlichen. Charakteristisch für die Wirtschaftspolitik des NS-Regimes war vielmehr ein ausgeprägter Zug der Entstaatlichung.17 Der Verkauf der Aktien, die der Staat am größten deutschen Stahlkonzern, den Vereinigten Stahlwerken, hielt, und ebenso die Veräußerung der staatlichen Anteile an der Dresdner Bank Mitte der dreißiger Jahre werfen auf diese Politik der Privatisierung ein bezeichnendes Schlaglicht.18 Dabei blieb es nicht. Die Betriebe der Montan GmbH wurden reprivatisiert. In der Flugzeugindustrie, die der NS-Staat vor dem Hintergrund einer möglichst raschen Aufrüstung vor 1938 finanziell massiv gestützt hatte, wurden bis »Ende 1941 fast alle Beteiligungen [wieder] veräußert«.19 1942 sondierte Göring sogar den Verkauf von Teilen der nach ihm benannten Reichswerke, nachdem diese in den besetzten Gebieten enorm expandiert waren.20 Buchheim hat vor diesem Hintergrund die »Einschätzung, Angst vor Verstaatlichung sei ein wichtiges Motiv für unternehmerisches Handeln gewesen«, für die Zeit ab 1934 in das Reich der Legende verwiesen. Von einer »kalten Sozialisierung«21 könne nicht gesprochen werden.22 Hinter der unternehmensfreundlichen und 16 Neumann, Behemoth, Zitate: S. 354, 357, 360. 17 Auch dies hat bereits Franz L. Neumann (Behemoth, S. 350-353) beobachtet. 18 Vgl. Johannes Bähr, Die Dresdner Bank in der Wirtschaft des Dritten Reiches, München 2006, bes. S. 52-73; Christopher Kopper, Zwischen Marktwirtschaft und Dirigismus. Bankenpolitik im »Dritten Reich« 1933-1939, Bonn 1995, S. 201-208. 19 Lutz Budraß, Flugzeugindustrie und Luftrüstung in Deutschland 1918-1945, Düsseldorf 1998, S. 494 f. 20 Vgl. Buchheim, Unternehmen in Deutschland, S. 366, Anm. 41. 21 So Peter Hayes (Die Degussa im Dritten Reich. Von der Zusammenarbeit zur Mittäterschaft, München 2004, S. 130), der auch die schöne, aber falsche Metapher geprägt hat, »dass die Führungskräfte nicht mehr Fahrer des Unternehmensbusses waren, sondern nur noch die Schaffner«. Ähnlich außerdem z. B. Erker (Einleitung – Industriekultur, S. 6), der pauschal und wenig überzeugend behauptet, dass »die Industrie-Eliten […] ständig die Gefahr des ›Umkippens‹ der NS-Wirtschaftsord­nung in eine Staatswirtschaft« fürchteten. Vgl. auch Kapitel 10, S. 569, 573-579. 22 Vgl. Buchheim, Unternehmen in Deutschland, S. 361-370, Zitat: S. 366, 387. 54 gesamtwirtschaftliche voraussetzungen marktliberalen Politik der NS-Entscheidungsträger23 stand nicht allein ein – vielleicht gar auf kurze Fristen berechneter – Pragmatismus, etwa die Einsicht, dass Verstaatlichungen gegen den Willen der maßgeblichen Unternehmer und Manager die Kriegspläne und dann die Kriegführung ins Stocken oder gänzlich zum Scheitern gebracht hätten. Wenn die NS-Propaganda und ebenso führende Repräsentanten des Regimes immer wieder die zentralistische Kommandowirtschaft des stalinistischen Russlands zur Negativfolie für die eigene Wirtschaftspolitik machten, dann war das weit mehr als ein bloßes rhetorisches Bekenntnis. Dahinter stand die – sozialdarwinistisch unterlegte – Überzeugung, dass der einer freien Marktwirtschaft zugrunde liegende Mechanismus der Konkurrenz ökonomische Energien freisetzt und eine wirtschaftliche Dynamik entfesselt, die überhaupt erst eine Realisierung der selbstgesetzten Zielen möglich machen würde. Nicht zuletzt die Arbeitsfront suchte dem Prinzip der Konkurrenz zum Durchbruch zu verhelfen – in ökonomischer Hinsicht und darüber hinaus. Wie sehr die Arbeitsfront auf »Wettkampf« setzte, zeigte sie mit ihrem seit 1936 mit großem Aufwand inszenierten »Leistungskampf der Betriebe«. Dieser Leistungskampf, der vor dem Hintergrund einer sich rasch zuspitzenden Arbeitskräfteknappheit und forcierten Aufrüstung initiiert wurde, sollte den Stachel der zwischenbetrieblichen Konkurrenz, der angesichts ausgelasteter Kapazitäten und gesicherter Rüstungsaufträge stumpf zu werden drohte, neu schärfen. Er sollte die einzelnen Unternehmen unter Druck setzen, und zwar weniger (wie mitunter irreführend angenommen wird), um den Belegschaften zu sozialpolitischen Wohltaten zu verhelfen, als vielmehr mit dem Ziel der Leistungssteigerung und Rationalisierung, einer ökonomischen Effizienzsteigerung um jeden Preis.24 Darüber hinaus suchte die DAF das Prinzip der Konkurrenz in der sozial­politischen Sphäre zu verankern – z. B. durch den gemeinsam mit der HJ bis Kriegsbeginn durchgeführten Reichsberufswettkampf – und auf diese Weise die Arbeitnehmerschaft von traditionell-sozialistischen Normen wie Solidarität und Egalität 23 Ein weiterer Aspekt des nationalsozialistischen Marktliberalismus war die dezidierte Ablehnung von Kartellen. 1933 wurden mit dem Gesetz zur Errichtung von Zwangskontrollen erste einschnei­dende Maßnahmen gegen derartige, auf Markt-, Preis- oder Produktionskonstellationen gerichtete Absprachen durch die großen Unternehmen möglich. Die Preisstopverordnung von 1936 verschärfte die staatlichen Eingriffsmöglichkeiten gegen Kartellbildungen; 1943 wurden Kartelle durch Gesetz schließlich ganz verboten. Vgl. Hans-Heinrich Barnikel, Kartelle in Deutschland. Entwicklung, theoretische Ansätze und rechtliche Regelungen, in: ders. (Hg.), Theorie und Praxis der Kartelle, Darmstadt 1972, S. 1-64, hier: S. 44; Pierenkemper, Unternehmensgeschichte. Einführung, S. 238. 24 Vgl. Frese, Betriebspolitik, S. 421-434; ders., Vom NS-Musterbetrieb zum Kriegsmusterbetrieb. Zum Verhältnis von DAF und Großindustrie 1936-1944, in: Wolfgang Michalka (Hg.), Der Zweite Weltkrieg, München 1989, S. 382-401; Siegel, Rationalisierung statt Klassenkampf, S. 114 ff.; dies., Leistung und Lohn, bes. S. 110 f.; Thomas v. Freyberg/Tilla Siegel, Industrielle Rationalisierung unter dem National­sozialismus, Frankfurt a. M./New York 1991, bes. S. 101 f. 55 rahmen- und ausgangsbedingungen zu ›kurieren‹. Eine Massenorganisation, deren Führung derart dem Kampf- und Konkurrenzprinzip verfallen und zu seinem überaus engagierten Verfechter ­geworden war, konnte auf der ökonomischen Ebene selbstredend nicht die Aufhebung der Konkurrenz predigen.25 Spätestens nach der Entmachtung der SA Ernst Röhms und der mit ihr verbündeten NSBO, die mit ihrem verbalen Antikapitalismus und rabaukenhaften Auftreten bis in das Frühjahr 1934 hinein in der Unternehmerschaft vielerorts Ängste vor einer Verstaatlichung geweckt hatten, war die Linie unbedingter Förderung unternehmerischer Privatinitiative unter den nationalsozialistischen Machthabern unumstritten. Ab 1940 kamen dann, nicht zufällig parallel zur Berufung Todts zum Reichsminister für Bewaffnung und Munition und erneut in der Ära Speer ab Anfang 1942, sogar »Tendenzen zur Lockerung im Verhältnis von Staat und Wirt­schaft« (Ludolf Herbst)26 zum Tragen. Darüber hinaus erhöhte der Expansionismus des »Großdeutschen Reiches« in den »europäischen Großraum« den Einfluss der Industriellen und Bankiers des »Altreichs« weiter. Das NS-Re­gi­me setzte auf die unternehmerische Initiative der reichsdeut­schen Industrie, die, so das Kalkül, »mit ihren privatwirtschaftlichen Methoden an einer Durchdringung Europa mitwirken« würde.27 Die Nationalsozialisten waren sich bewusst, dass die »Moral der Effizienz« (Lutz Budraß/Man­fred Grieger) für die meisten Manager und Unternehmer auch unter den ab 1938 veränderten Rahmenbedingungen handlungsleitend blieb und oft genug unverhüllt hervortrat – eine Moral, für die Gewinnmaximierung und Umsatzsteigerung im Zentrum standen und der Kontext, in dem ihre Unternehmen prosperierten, letztlich gleichgültig war. Die ökonomische Expansion in den Spuren der Wehrmacht betrachteten die meisten Unternehmen als Chance und nicht als ­Belastung. Die wirtschaftspolitisch einflussreichen Protagonisten des NS-Regimes bekannten sich über­zeugter zu den Grundsätzen von Privatinitiative und Marktwirtschaft als mancher Politiker der Weimarer Republik. Sie erwarteten von den Vorständen und leitenden Managern allerdings auch weit mehr Flexibilität und Aktivismus als zu ›normalen‹ Zeiten. Denn die sich schnell verändernden Rahmenbedingungen erforderten eine elastische Unternehmenspolitik. Nicht nur die imperialistische Expansion in scheinbar unbegrenzte ›Räume‹, auch eine unkoordinierte Vergabe von Rüstungsaufträgen, kurzfristige Änderungen der Produkt- und Produktionsvorgaben von staatlicher bzw. militärischer Seite und die für Formen »charismatischer Herrschaft« charakteristischen, sprunghaften Entscheidungen der politischen Entscheidungsträger sowie überhaupt die von NS-Seite während des Krieges provozierten raschen Wandlungen der politisch25 Tatsächlich erwiesen sich die Protagonisten der DAF in wirtschaftlicher Hinsicht als enthusiastische Anhänger von Wettbewerb und Privatinitiative. Vgl. Kapitel 10, S. bes. S. 575-579. 26 Ludolf Herbst, Der Totale Krieg und die Ordnung der Wirtschaft. Die Kriegswirtschaft im Spannungsfeld von Politik, Ideologie und Propaganda, Stuttgart 1982, S. 147. 27 Ebd. 56 die enteignung der linken arbeiterbewegung militärischen Konstellationen verlangten den Protagonisten der Unternehmen ein hohes Maß an Improvisationskunst ab. Marktwirtschaftlich geschulte, auf Flexibilität gepolte Manager waren dazu weit eher in der Lage als staatliche Wirtschaftsadministratoren. Das von den entscheidenden Nationalsozialisten hochgehaltene Prinzip einer »freien Wirtschaft« und unternehmerischer Eigeninitiative war im Übrigen ein Votum nicht nur gegen Verstaatlichung. Es war daneben auch gegen alle Formen genossenschaftlicher Selbstverwaltung gerichtet. Vor allem Genossenschaften waren Schulen einer basisnahen Demokratie. Jegliche Form von »Selbstverwaltung« und demokratischer Mitbestimmung kollidierte mit dem Führerprinzip und war auch sonst mit zentralen Ideologemen des Na­tio­nalsozialismus nicht zu vereinbaren. Die rücksichtslose Liquidierung des genossenschaftlichen Charakters der Konsumgenossenschaften, der Versuch ihrer Umwandlung in Privat­eigentum und ihre schließliche Überführung in den Besitz der Arbeitsfront Anfang 1941 war nur konsequent. Ähnliches gilt für die vormals freigewerkschaftlichen Wohnungsgenossenschaften und Bauhütten. 1.2. Die Enteignung der linken Arbeiterbewegung – ein eigentumsrechtlicher Präzedenzfall Noch vor den ersten »Arisierungen« markierte im Frühjahr 1933 die gewaltsame und entschädigungslose Enteignung des Vermögens und der Unternehmen der Gewerkschaften und Arbeiterparteien einen gravierenden Bruch bürgerlichen Rechts. Dieser Rechtsbruch, der mit der Enteignung der Kommunistischen Partei und ihrer Vorfeldorganisationen ab Februar 1933 begann,28 sich dann mit der Enteignung namentlich der freien Gewerkschaften fortsetzte, reduzierte die Hemmschwelle gegenüber weiteren Rechtsbrüchen dieserart und bereitete insofern auch die »Arisierung« jüdischen Eigentums vor. Die Übernahme der Unternehmen sowie der Gelder, der Immobilien der christlichen wie der Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften und des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes geschah nominell zwar mit dem Einverständnis der ursprünglichen Eigentümer. Auch hier war der politische Druck 28 Das Eigentum der KPD und ihrer Vorfeldorganisationen wurde ebenso wie wenig später das der SPD inkl. ihr nahestehender Verbände allerdings nicht der DAF, sondern den Ländern übereignet. Vgl. die Gesetze »über die Einziehung kommunistischen Vermögens« vom 26. Mai 1933 (RGBl. 1933, I, S. 293) und »über die Einziehung volksund staatsfeindlichen Vermögens« vom 14. Juli 1933 (ebd., S. 479), ferner das »Gesetz über den Verlust der Staatsangehörigkeit und den Widerruf von Einbürgerungen« ebenfalls vom 14. Juli 1933 (ebd., S. 480). Aufgrund dieser Gesetze wurden auch die Vermögen z. B. des Deutschen Freidenkerverbandes und ähnlicher Organisationen beschlagnahmt. Ausführlich zu diesem Enteignungsverfahren: Gerlinde Grahn, Die Enteignung des Vermögens der Arbeiterbewegung und der politischen Emigration von 1933 bis 1945, in: 1999 (Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts), 12/1997, Heft 3, S. 13-38. 57 rahmen- und ausgangsbedingungen jedoch gewaltig, ist der Aspekt der ›Freiwilligkeit‹ mithin zu relativieren. Der Eigentumstransfer von den gemäßigten, eher wirtschaftsfreundlichen Arbeitnehmerorganisationen auf die DAF ist als weiche Variante illegitimer Enteignung zu klassifizieren, im Unterschied zur brachialen Beraubung, die die linke Arbeiterbewegung zuvor hinnehmen musste. Dass die Enteignung vor allem der freien Gewerkschaften, der kommunistischen und sozialdemokratischen Partei sowie der ihnen angeschlossenen Verbände und der mit ihnen verwobenen Unternehmen von den meisten Industriellen sowie ihren Verbänden, im gewerblichen Mittelstand und zahlreichen weiteren nicht-proletarischen Zeitgenossen achselzuckend oder gar wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde, mindert die Bedeutung dieses Rechtsbruchs nicht. Er zeigt allerdings, dass auf Seiten jedenfalls der nicht-jüdi­schen Unternehmerschaft die Hemmschwelle niedrig war, den Bruch mit rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen hinzunehmen, wenn es sich um die verhassten politischen Gegner der Weimarer »Systemzeit« handelte. Wenn Unternehmer und Manager ab 1933 diesen Enteignungen überhaupt ein Augenmerk schenkten, dann kritisierten sie nicht den Enteignungsprozess als solchen und dessen Legitimität. Sie rieben sich daran, dass nicht sie selbst sich der zuvor mit den Gewerkschaften verbundenen Vermögen und Betriebe bemächtigen durften bzw. dass deren Unternehmen als unliebsame Konkurrenten nicht gänzlich aufgelöst worden waren – sondern 1933 oder später der Arbeitsfront übertragen wurden. Dies war der Hauptgrund für die Widerstände, die der DAF bei der Übernahme des vormaligen Eigentums der Arbeitnehmerorganisationen entgegenschlugen, und für die Hindernisse, die sie bei der Übertragung des gewerkschaftlichen Eigentums zu überwinden hatte. Enteignung durch die Hintertür: vorgeschobene Korruptionsvorwürfe gegen »Leipart und Genossen« und Ley als »Pfleger« Die Geschichte der kampflosen Kapitulation der organisierten Arbeiterbewegung wird hier vorausgesetzt. Oft beschrieben ist auch, dass der ideellen Enteignung der Gewerkschaften – der Umwidmung des »1. Mai« als Kampftag der Arbeiterklasse zu einem arbeitsfreien »nationalen Feiertag«, an dem einer sozialharmonisch konzipierten »Volksgemeinschaft« gehuldigt wurde – die gewaltsame Besetzung der noch in der Verfügungsgewalt des ADGB befindlichen Gewerkschaftshäuser am nächsten Tag und die materielle Enteignung der freien Gewerkschaften wiederum kurze Zeit später folgte. Dabei trat die DAF (um es paradox zu formulieren) das Erbe der Gewerkschaften an, bevor sie überhaupt existierte, sich als Organisation formiert hatte. Grundlegend für die Übertragung gewerkschaftlichen Vermögens auf die Arbeitsfront war nämlich eine Beschlagnahme-Anordnung der Berliner Generalstaatsanwaltschaft beim dortigen Landgericht I vom 9. Mai 1933, einen Tag bevor die DAF auf ihrem ersten Kongress formell konstituiert wurde. Aufgrund eines »Ermittlungsverfahrens gegen Leipart und Genossen, betreffend Korruption bei 58 die enteignung der linken arbeiterbewegung den freien Gewerkschaften«, wurde zunächst, auf Basis der Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933, die Beschlagnahme des Vermögens der SPD, des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold sowie aller sozialdemokratisch geprägten Zeitungen verfügt. Drei Tage später, am 12. Mai, wurde diese Anordnung »dahin ergänzt, dass auch das Vermögen der Freien Gewerkschaften«, d. h. des ADGB, des »Allgemeinen Freien Angestelltenbundes« (AFA-Bund) und sämtlicher Einzel­ gewerkschaften, beschlagnahmt wurde. Als »verfügungsberechtigten Pfleger« für das gesamte Vermögen und alle Unternehmen der freien Gewerkschaften setzte die Generalstaatsanwaltschaft – das war der Clou – Robert Ley ein. Die zynische Begründung lautete, dass nur so »eine geordnete Verwendung des deutschen Arbeitervermögens zu gewährleisten« sei. Ley seinerseits durfte »Bevollmächtigte« ernennen, die ihrerseits »Unterpfleger« einsetzen konnten.29 Das gewählte Verfahren war in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Indem die zuständigen Justizbehörden die Enteignung in den Bereich der Strafjustiz (»Korruption«) verschoben, war dem Raub der gewerkschaftlichen Unternehmen, oberflächlich betrachtet, der Charakter eines politischen Willküraktes genommen. Das war geschickt. Statt den Akt der Übernahme zu politisieren und Gefahr zu laufen, die Frage der Übernahme der gewerkschaftlichen Unternehmen zum Objekt der Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Institutionen des neuen Regimes zu machen, ließen es Ley und andere NS-Funktionsträger soweit gar nicht erst kommen. Sie stellten den Eigentumstransfer in einen scheinbar vorpolitischen Raum und machten damit zugleich die Berliner Justiz de facto zu ihrem Komplizen. Mit ihrem pseudo-rechtsstaatlichen Vorgehen, der Korruptionsanschuldigung gegen die führenden Gewerkschaftsfunk­ tionäre, griffen sie die in der NS-Presse ohnehin gern kolportierten (und in der Regel unbewiesenen) Gerüchte und Stereotypen gegen gewerkschaftliche und sozialdemokratische »Bonzen« auf. Dem Vorsitzenden des ADGB Theodor Leipart wurde aktive Bestechung unterschoben, weil dieser und seine Mitstreiter aus dem gewerkschaftlichen Vermögen »große Beträge für politische Zwecke an die sozialdemokratische Partei Deutschlands und an dieser nahestehende Organisationen vergeben hätten«.30 Zu einem Prozess gegen Leipart und andere 29 Beide Beschlagnahme-Anordnungen finden sich im Wortlaut in: Uwe Henning, Zum Verhältnis von Maßnahmen- und Normenstaat. Die Bedeutung des Ermittlungs­ verfahrens gegen Leipart und Genossen für die Machtposition der Deutschen Arbeitsfront 1933-1939, in: ZfG 40/1992, S. 176-203, hier: S. 196 (Dokumentenanhang), bzw. Beate Dapper/Hans-Peter Rouette, Zum Ermittlungsverfahren gegen Leipart und Genossen wegen Untreue am 9. Mai 1933, in: IWK 20/1984, Heft 4, S. 509-535, hier: S. 518 bzw. S. 520. 30 Beschlagnahme-Anordnung vom 9. Mai 1933. Möglich wurde dieses Verfahren, weil Hanns Kerrl noch als »Reichskommissar für das preußische Justizwesen« (zum preußischen Justizminister wurde Kerrl erst am 21. April 1933 berufen) am 5. April 1933 ein eigenes »Referat für Korruptionssachen« unter der Leitung des Landgerichtsdirektors Crohne eingerichtet hatte. Roland Freisler (zu diesem Zeitpunkt »nicht planmäßiger« Beamter im preußischen Justizministerium im Rang eines Ministerialdirektors, ab Juni 1933 dann Staatssekretär) machte Ley auf dieses »Korruptionsreferat« aufmerksam. Ley 59 rahmen- und ausgangsbedingungen kam es indessen nicht. Das war offenbar auch gar nicht beabsichtigt. Vielmehr ging es darum, dass die DAF über das Konstrukt der Pflegschaft Leys juristisch legitimiert die Verfügungsgewalt über das freigewerkschaftliche Vermögen, einschließlich der assoziierten Unternehmen, erhielt. Die Arbeitsfront als Unternehmer – misstrauisch beäugt Auf nationalsozialistischer Seite war die Übernahme gewerkschaftlichen Vermögens durch die DAF grundsätzlich unbestritten, da hier die Arbeitsfront als die legitime Nachfolgerin der zerschlagenen bzw. aufgelösten Richtungsgewerkschaften galt. Die Arbeitsfront war zwar keine Gewerkschaft und sollte dies auch nicht werden – das war bereits im Frühjahr 1933 klar. Aber sie hatte den Mitgliederbestand der Gewerkschaften übernommen und anfangs, bis Frühjahr 1934, auch deren Organisationshülse noch nicht wirklich abgestreift. Diese Legitimität, in die Fußstapfen der Gewerkschaften getreten zu sein, verlor die DAF aus der Sicht des NS-Regimes auch nicht, als infolge eines »Aufrufes« des Reichs­arbeitsministers Seldte, des Reichswirtschaftsministers Schmitt, des »Führers für Wirtschaftsfragen« Keppler und Leys in seiner Funktion als Chef der Arbeitsfront vom 27. November 193331 auch die Unternehmer der DAF beitraten. Sie taten dies ohnehin nur korporativ und lediglich nominell, ohne auch nur daran zu denken, ihre eigenen Verbände und damit ihre faktische Autonomie aufzugeben. Wichtig war die Vereinbarung vom November 1933 für die Arbeitsfront nicht zuletzt, weil damit auch von den Repräsentanten der Arbeitgeber die Aneignung des gewerkschaftlichen Vermögens durch die Arbeitsfront im Grundsatz anerkannt worden war; die DAF ihrerseits verzichtete in der Folgezeit darauf, Ansprüche auf die Vermögen der Arbeitgeberverbände zu erheben. Unabhängig davon konnte die Vereinbarung vom 27. November 1933 allerdings nur schlecht die Gegensätze zwischen den Arbeitgeberverbänden und Wirtschaftsorganisationen auf der einen und der Arbeitsfront auf der anderen Seite kaschieren. Zu diesen Gegensätzen gehörte auch die Frage, ob die DAF überhaupt über eigene Wirtschaftsbetriebe verfügen, also neben der Aneignung von Gewerkschaftshäusern usw. auch das Erbe der gewerkschaftseigenen oder -nahen Unternehmen antreten durfte oder jene unter Federführung des Reichswirtschaftsministers im Verbund mit dem »Stellvertreter des Führers« und den politischen Organisationen des selbständigen Mittelstandes zerschlagen, also geschlossen oder zerlegt und dann privatisiert werden sollten. Reichswirtschaftsminister Schmitt artikulierte im Rahmen einer Diskussion des Reichskabinetts wiederum erkannte die Chance und beauftragte den kurz zuvor zum kommissarischen Leiter der Arbeitsbank ernannten Karl Müller, Unterlagen über führende ADGBFunktionäre um Leipart zusammenzutragen und an die Staatsanwaltschaft zu übergeben. Ausführlich: ebd., S. 516 ff. 31 Im Wortlaut in: Thomas Blanke u. a. (Hg.), Kollektives Arbeitsrecht. Quellentexte zur Geschichte des Arbeitsrechts in Deutschland, Bd. 2: 1933 bis zur Gegenwart, Reinbek 1975, S. 44 f. 60 die enteignung der linken arbeiterbewegung »außerhalb der Tagesordnung« vom 1. Dezember 1933 den Standpunkt der Unternehmer, als er für einen radikalen Schnitt plädierte und für die Zukunft eine unternehmerische Eigentumslosigkeit der Arbeitsfront vorschlug. Die Arbeitsfront solle nicht nur in Lohnfragen keinerlei Mitspracherechte besitzen. »Ebensowenig solle die Arbeitsfront wirtschaftliche Betriebe besitzen, anderenfalls wäre mit einer derartigen Ausdehnung ihres Wirtschaftsapparates zu rechnen, dass die übrige Wirtschaft erdrückt werden würde.«32 Auch wenn während der Kabinettssitzung selbst kein offener Widerspruch laut wurde, konnte sich Schmitt mit dieser Forderung nicht durchsetzen. Die Arbeitsfront behielt die Unternehmen. Die Strömungen in dem sich gerade etablierenden NS-Regime, die ein unternehmerisches Engagement der DAF misstrauisch beäugten, blieben allerdings stark und keineswegs nur auf Schmitt, Seldte und die »Wirtschaftliche Selbstverwaltung« unter Führung der Reichswirtschaftskammer und der Reichsgruppe Industrie beschränkt. Sie konnten dabei auf den unklaren Rechtsstatus der Arbeitsfront rekurrieren.33 Tatsächlich musste die DAF-Führung, solange sie sich als Organisation noch nicht konsolidiert hatte und zu einem zentralen Akteur auf den politischen Bühnen der Diktatur aufgestiegen war, anfangs Konzessionen machen und Niederlagen einstecken. Die Hitler-Verordnung vom 24. Oktober 1934 Es war anscheinend nicht zuletzt der anfangs prekäre Besitz der ehemals gewerkschaftlichen Unternehmen, der Ley dazu bewog, Hitler zu veranlassen, am 24. Oktober 1934 eine folgenreiche Verordnung zu unterzeichnen.34 Die Verordnung selbst hatte Ley dem Diktator ohne Kenntnis und hinter dem Rücken des »Stellvertreters des Führers« Rudolf Heß vorgelegt. Sie machte die DAF nicht nur zur »Organisation der schaffenden Deutschen der Stirn und der Faust« zwecks Errichtung »einer wirklichen Arbeits- und Leistungsgemeinschaft aller Deutschen«. Darüber hinaus enthielt die Hitler-Verordnung vom Herbst 1934 im Paragraphen 9 einen Passus, der für das Wirtschaftsimperium der DAF von eminenter Bedeutung war. Dort hieß es lapidar, dass die »Vermögen« der frü32 Kabinettssitzung vom 1. Dez. 1933 (an der u. a. auch Hitler, Papen, Blomberg, Göring, Goebbels und Schacht teilnahmen), Tagesordnungspunkt 12, nach: Akten der Reichskanzlei. Die Regierung Hitler 1933-1938, Teil I, 1933/34, Bd. 2, bearb. von Karl-Heinz Minuth, Boppard a. Rh. 1983, S. 993 f. 33 Die DAF selbst sah sich als »eine einzigartige Neuschöpfung, weder eine Körperschaft öffentlichen Rechts, noch Verein, sondern eine nationalsozialistische Gemeinschaft«. So z. B. der Leiter des DAF-Rechtsamtes Bähren nach: »Was ist die Deutsche Arbeitsfront?« (o.V.) in: Berliner Tageblatt vom 8. Aug. 1936. 34 Diese Hitler-Verordnung wurde zwar nicht im Reichsgesetzblatt abgedruckt, sie findet sich im Wortlaut aber in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften. Im Folgenden zitiert nach: Blanke u. a., Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 67 f. Zum hohen Stellenwert der Verordnung vom Okt. 1934 für die Politik der DAF vgl. Hachtmann, Koloss, S. 18 f., 25, 56 ff. 61 rahmen- und ausgangsbedingungen heren Gewerkschaften, Angestelltenverbände und Unternehmer-Vereini­gun­gen »einschließlich ihrer Hilfs- und Ersatzorganisationen, Vermögensverwaltungen in das Vermögen der Deutschen Arbeitsfront« übergehen sollten. Dieses wiederum sei »der Grundstock für die Selbsthilfe-Einrichtungen der Deutschen Arbeitsfront«. Damit waren der DAF die Vermögen, also die Immobilien wie die Unternehmen der vormaligen Arbeitnehmerverbände, pauschal und unzweideutig zugesprochen worden. Zugleich war insbesondere das Schlagwort »Selbsthilfe-Einrichtungen« eine bewusste Ross­täu­scherei. Absicht Hitlers, Leys und der DAF-Führung ist es niemals gewesen, Organisationen der »Selbsthilfe« im Wortsinne zu schaffen oder auch nur zu erhalten. Denn »Selbsthilfe« setzt Autonomie des Willens und Handelns sowie Selbstverwaltung oder doch zumindest substantielle Mit­bestimmung der Betroffenen voraus. Das aber war angesichts des Selbstverständnisses und der Grundaufgaben, die vom Regime der Arbeitsfront übertragen worden waren, von vornherein ausgeschlossen. Die vormals gewerkschaftlichen »Einrichtungen« einschließlich der Unternehmen sollten nun, im Auftrag der DAF, in sozialpaternalistischer Manier als ›volksgemeinschaftlicher Dienstleister‹ ­agieren. Die Ministerialbürokratie vor allem des Reichsarbeitsministeriums erhob gegen die Hitler-Verordnung von Oktober 1934 zwar inhaltliche Einwände und stellte deren Rechtsgültigkeit in Frage. Das indes war ein vergebliches Unterfangen. Die im klassisch-staatsrecht­lichen Denken sozialisierten Ministerial­ beamten übersahen, dass Zweifel an einem derartigen »Befehl« des seit dem Tod Hindenburgs unumschränkt herrschenden »Führers« der klassischen Majestätsbeleidigung nahekamen. Ley wusste sich denn auch mit den neuen, durch die nationalsozialistischen Machthaber geschaffenen ›staatsrechtlichen‹ Verhältnissen im Einklang, als er die ministerielle Kritik als Nörgelei von »Siebenmal­ klugen, Besserwissern und spitzfindigen Quertreibern« abtat. In der Tat war allein die charismatische Legitimation durch den »Führer« entscheidend, d. h. das Faktum, »dass der Name Adolf Hitler unter dieser Verordnung steht« (Originalton Ley). Was die Ministerialbürokratie meine, was »mit dem Vermögen der Gewerkschaften geschehen solle«, interessierte ihn nicht. Die Antwort auf mögliche Einwände gegen die in der Hitler-Verordnung verfügte Übernahme des Vermögens und der Unternehmen der Arbeitnehmerverbände »ist sehr einfach und klar. Wir werden alles behalten, was dem schaffenden Menschen von Vorteil sein kann, alles aber abstoßen, was ihm schadet«, so der Chef der Arbeitsfront.35 Das ließ sich zwar nicht ganz so einfach umsetzen, wie Ley dies vorschwebte; vor allem die komplizierten Auseinandersetzungen um die Konsumgenossenschaften sollten dies zeigen. Die folgenden, sich über Jahre hinziehenden Konflikte um das Übernahme-Procedere ändern jedoch nichts daran, dass Ley mit seinen 35 Ley (o.D.), nach: Akte des Generalstaatsanwalts beim Landgericht I Berlin »in der anhängigen Strafsache gegen Leipart u. Gen. wegen Untreue«, Bd. VI, S. 47, zit. nach: Dapper/Rouette, Ermittlungsverfahren gegen Leipart und Genossen, S. 528. 62 die enteignung der linken arbeiterbewegung lakonisch-arroganten Sätzen die Generallinie für den Umgang der Arbeitsfront mit den Unternehmen der vormaligen Gewerkschaften vorgab. Allerdings hatte der zitierte Paragraph 9 für die DAF einen Pferdefuß: Eine Reihe von Gewerkschafts- und Volkshäusern war stark überschuldet. Die Gläubiger meldeten gegenüber der Arbeitsfront nun Forderungen an. Unklar war, welche davon bedient werden mussten und wie dies zu geschehen habe. Zudem begannen Anspruchsberechtige, d. h. vor allem im Frühjahr 1933 fristlos entlassene Gewerkschaftsangestellte, gegen die Arbeitsfront wegen ausstehender Lohnzahlungen, Renten, Entschädigungen etc. zu klagen. Die DAF war zu Zahlungen an Entlassene und ebenso an Gläubiger allerdings nicht bereit. Ihre Repräsentanten reagierten entsprechend schroff. Wenige Tage nach der Hitler-Verordnung erklärte der Leiter des Rechtsamtes der Arbeitsfront, Gustav Bähren, gegenüber der Berliner Staatsanwaltschaft, dass »eine Übernahme sämtlicher Schuldverbindlichkeiten der ehemaligen Gewerkschaften« dem in der Verordnung vom 24. Oktober 1934 vorgesehenen »Zwecke – Grundstock für die Selbsthilfeeinrichtungen der DAF [zu werden] – selbstverständlich nicht dienlich« sei und es deshalb bis zur »endgültigen gesetzlichen Regelung« bei »dem bisherigen Rechtszustande« bleiben müsse.36 Das am 13. Dezember 1934 erlassene »Gesetz über den Ausgleich bürgerlichrechtlicher Ansprüche«37 schob der schuldnerischen Haftung der DAF durch die Bestimmung, dass »besondere Nachteile« Einzelner »zu Lasten der Allgemeinheit« – und nicht durch die Arbeitsfront – abgegolten werden sollten, dann auch nominell einen Riegel vor. Die DAF wollte, das hatte sie schon frühzeitig erklärt, lediglich die Vorteile der Aneignung gewerkschaftlichen Vermögens und der Unternehmen in Anspruch nehmen, nicht dagegen für deren Nachteile, also Schulden und sonstige Folgekosten aufkommen.38 Mit dieser Position, die wesentlich auf dem unklaren Rechtsstatus der Organisation selbst beruhte,39 setzte sich die Arbeitsfront im Grundsatz schlussendlich erfolgreich durch. Mit dem »Gesetz über die Gewährung von Entschädigung bei der Einziehung oder dem Übergang von Vermögen« vom 9. Dezember 193740 gelang die beabsichtige Quadratur des Kreises und der Arbeitsfront die lang ersehnte Legalisierung des Raubes des gewerkschaftlichen Vermögens 1933, ohne 36 Nach: Dapper/Rouette, Ermittlungsverfahren gegen Leipart und Genossen, S. 529. 37 Reichsgesetzblatt (RGBl.) 1934, I, S. 1235. 38 Vgl. auch eine Besprechung führender Vertreter aus den zuständigen Reichsministerien vom 7. März 1934. Dort heißt es u. a.: »Die Arbeitsfront vertritt die Auffassung, dass sie […] nicht für die Ansprüche gegen die Gewerkschaften hafte. […] Die Schulden werden […] daher nicht bezahlt. Die Arbeitsfront zieht jedoch die Außenstände ein.« Nach: Grahn, Enteignung der Arbeiterbewegung, S. 29 f. 39 Vgl. oben, Anm. 33. Indem die DAF-Führung sich zu einer »einzigartigen Schöpfung« und gänzlich neuen »nationalsozialistischen Gemeinschaft« stilisierte, schuf sie sich tendenziell unbegrenzte politische und rechtliche Freiräume, die den Gerichten manche Nuss zu knacken gab und die traditionellen Verwaltungen auf zahlreichen Ebenen vor gravierende argumentative Probleme stellte. 40 RGBl. 1937, I, S. 1333 ff. 63 rahmen- und ausgangsbedingungen dass sie für schuldnerische Verpflichtungen aufkommen musste. Der juristische Trick bestand darin, dass nicht der Arbeitsfront als Organisation das Vermögen der freien Gewerkschaften übereignet, sondern ihre Vermögensverwaltung GmbH als »Treuhänderin« eingesetzt wurde.41 Ministerialrat Er­be aus dem Reichsinnenministerium, der maßgeblich an dem Vermögensübertragungs-Gesetz mitgearbeitet hatte, stellte in dem maßgeblichen Kommentar zu diesem Gesetz ausdrücklich fest, dass es sich bei dem damit angestoßenen Rechtsvorgang »nicht um einen Vermögensübergang von den früheren Vereinigungen auf die Deutsche Arbeitsfront« handele, sondern »bei ihr [der DAF] neues (originäres), nicht abgeleitetes (derivates) Eigentum« entstehe. Infolgedessen bestehe »auch eine Haftung der Vermögensverwaltung der Deutschen Arbeitsfront nicht für Forderungen gegen die Vermögensträger«.42 Alles dies galt immer vorbehaltlich eines Gesetzes, das den Rechts­status der DAF endgültig fixieren würde. Ein solches Gesetz wurde jedoch niemals verabschiedet. Das Gesetz vom 9. Dezember 1937 zog mithin tatsächlich den »endgültigen Schlussstrich unter die Vergangenheit«, als den die Presse das Gesetz am folgenden Tag gefeiert hatte.43 Die DAF hatte der skizzierten juristischen Konstellation schon dreieinhalb Jahre zuvor Rechnung getragen, indem sie am 16. April 1934 die (so der bezeichnende Name:) »Treuhandgesellschaft für die wirtschaftlichen Unternehmungen der Deutschen Arbeitsfront mbH« (TWU) mit Sitz in Berlin gegründet hatte. 41 § 25, Abs. 1 des Gesetzes vom 9. Dez. 1937. 42 Nach: Dapper/Rouette, Ermittlungsverfahren gegen Leipart und Genossen, S. 531 f. Auf Antrag konnten freilich weiterhin Rechtsansprüche auf vormaliges gewerkschaftliches Eigentum bzw. entsprechende Entschädigungen vorgebracht werden. Diese Anträge waren gegenüber Feststellungsausschüssen vorzubringen, die in Preußen und Bayern beim Regierungspräsidenten (in Berlin beim Polizeipräsidenten), in Sachsen bei den Kreishauptleuten und in den anderen Ländern bei den Obersten Landes­ behörden angesiedelt waren. Gegen deren Entscheidungen konnte zunächst bei einem Feststellungsausschuss des Reichsinnenministeriums, ab Frühjahr 1938 dann bei einer Reichsfeststellungsbehörde Berufung eingelegt werden. Die entsprechenden Anträge waren bis zum 30. Sept. 1938 einzureichen; ihre Bearbeitung zog sich bis weit in den Krieg hinein hin. Vgl. »Auszahlung von Ansprüchen aus dem Gewerkschaftsvermögen« (o.V.), in: Berliner Tageblatt vom 10. Dez. 1937; »Eine großzügige Schlußregelung«, in: Deutsche Volkswirtschaft 7/1938, Nr. 12, S. 429, sowie Heinz Boberach, Die Regelung der Ansprüche von Gewerkschaften auf beschlagnahmte Vermögen durch die Reichsfeststellungsbehörde 1938 bis 1944, in: IWK 25/1989, S. 188-194, bes. S. 195 f. 43 Als Zitate z. B. im Berliner Tageblatt vom 10. Dez. 1937 bzw. in der Deutschen Volkswirtschaft 7/1938, Nr. 12, S. 429. 64 die enteignung der linken arbeiterbewegung Beschlagnahmt, gleichgeschaltet oder freiwillig der Arbeitsfront angeschlossen – zum unterschiedlichen politischen Status der einzelnen Unternehmen Die skizzierten, sich bis Ende 1937 hinziehenden Auseinandersetzungen und Rechtsprobleme drehten sich ausschließlich um das freigewerkschaftliche Vermögen, also die Unternehmen, Immobilien sowie anderes Eigentum des ADGB und der ihm angeschlossenen Einzelgewerkschaften. Das Vermögen von KPD und SPD war schon frühzeitig überwiegend auf die Länder übergegangen (deren Verwaltungen sich dadurch gleichfalls des scharfen Bruches rechtsstaatlicher Normen schuldig machten). Wieder anders musste das Eigentum des christlichnationalen DGB, der Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften sowie des Deutsch­ nationalen Handlungsgehilfen-Verbandes behandelt werden. Denn diese Arbeitnehmerorganisationen hatten sich freiwillig der Arbeitsfront als neuer Dachorganisation unterworfen und im Sommer 1933 aufgelöst. Unstrittig war unter den an der Frage der Eigentumsübertragung interessierten Reichsministerien noch im März 1934 freilich nur, dass »ein Unterschied gemacht [werden müsse] zwischen dem der freien und dem der christlichen Gewerkschaften«. Während es sich bei den freien Gewerkschaften um eine ›feindliche Übernahme‹ der Unternehmen und des sonstigen Vermögens handelte, war bei den anderen Gewerkschaftsverbänden eigentlich an eine ›freundliche Übernahme‹ gedacht. Formalrechtlich war infolgedessen, so konstatierten die Vertreter der zuständigen Reichsministerien unisono Anfang 1934, »das Vermögen der christlichen Gewerkschaften nicht beschlagnahmt« worden. Es galt als herrenlos, da »die ursprünglichen Träger größtenteils weggefallen« seien, so die Formulierung im Protokoll einer Besprechung Anfang 1934, die suggeriert, als habe es sich hier um ein Naturereignis gehandelt. Einig war man sich freilich schnell, dass auch das Eigentum des katholischen DGB sowie der anderen Arbeitnehmerverbände wenigstens »zum Teil auf die Arbeitsfront übertragen werden soll«, aller »bestehenden völligen Unklarheiten über den Rechtszustand« zum Trotz.44 Obgleich die Inbesitznahme allen gewerkschaftlichen Vermögens durch die Arbeitsfront auch für die entscheidenden Akteure der Organisation von vornherein außer Zweifel stand, achtete die DAF-Führung sorgsam darauf, den je nach Vorgeschichte unterschiedlichen Status der Unternehmen sowie des sonstigen Vermögens zu wahren. Am 16. Oktober 1933 erließ die Rechtsabteilung der Berliner Zentrale der Arbeitsfront ein »Rundschreiben Nr. 1« an sämtliche Funktionäre der Organisation, die Vorstände sämtlicher DAF-Unternehmen sowie »alle Pfleger«.45 Darin wurde festgestellt, dass »bei der Bearbeitung von Ansprüchen«, die an die nun in die DAF inkorpierten, vormaligen Arbeitnehmerverbände und deren wirtschaftliche Unternehmen gestellt würden, die »ver44 Besprechung führender Vertreter aus den zuständigen Reichsministerien vom 7. März 1934, nach: Grahn, Enteignung der Arbeiterbewegung, S. 29. 45 Im Wortlaut in: Henning, Verhältnis von Maßnahmen- und Normenstaat, S. 198-203. Daraus alle folgenden Zitate. 65 rahmen- und ausgangsbedingungen mögensrechtlichen Unterschiede« genauestens zu beachten seien. Zu differenzieren sei in drei Kategorien: ‒‒ Zur ersten Kategorie zählten die »Vermögen der beschlagnahmten Gewerkschaften«. Diese Formulierung bezog sich auf das Eigentum des ADGB, seiner insgesamt 28 Einzelgewerkschaften sowie des AfA-Bunds.46 Explizit aufgeführt wurden an Unternehmen die »Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten AG., der Verband Sozialer Baubetriebe mit den ihm angeschlossenen Bauhütten, die Dewog und deren Tochtergesellschaften u. a.m.«, nicht dagegen die Volksfürsorge, da an dem Versicherungsunternehmen zu diesem Zeitpunkt die Konsumgenossenschaften noch größere Anteile hielten. Die vormaligen Besitzer dieser Unternehmens-Kategorie waren jeglicher Rechte beraubt. »Oh­ne Genehmigung des Pflegers«, also Leys, durfte mit ihnen nichts geschehen; selbst »die Gerichte haben etwaige trotz der Beschlagnahme eingeleitete Zwangsmaßnahmen auf Antrag des Pflegers aufzuheben oder einzustellen«, Konkurs-, Zwangsverwaltungs- oder Zwangsversteigerungsmaßnahmen ­gegen die freigewerkschaftlichen Unternehmen durften nicht angeordnet werden. ‒‒ Die »Vermögen der gleichgeschalteten Gewerkschaften«, als die zweite Kategorie, schloss die Besitztümer des »Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften« sowie des Hirsch-Dun­cker­schen »Gewerkschaftsringes Deutscher Angestellter, Arbeiter und Beamten« ein,47 jeweils »nebst Unterorganisationen«, ferner »sämtliche Verbände, die sich auf Grund der Aufforderung unter Ausschluss der Liquidation in die Verbände der Deutschen Arbeitsfront eingegliedert haben«. Hier seien auf die DAF als Rechtsnachfolger der genannten Verbände auch »alle vertraglichen Verpflichtungen übergegangen«. Allerdings hielt sich die Rechtsabteilung der Arbeitsfront hier ebenfalls ein Türchen offen: »Manchen Verträgen« sei aufgrund der veränderten politischen Konstellationen »die Rechtsgrundlage entzogen«; der DAF könne »die Erfüllung früherer Verbindlichkeiten nicht mehr zugemutet werden, in denen der Vertragsgegner gegen un­seren obersten Grundsatz: ›Gemeinnutz geht vor Eigennutz‹ verstoßen« habe. In diesem Falle sei nach dem national­ sozialistischen Grundsatz zu verfahren, dass »künftighin in Deutschland nur 46 Der AfA-Bund war als Angestelltenorganisation im Okt. 1921 gegründet worden und schloss noch im selben Jahr einen Kooperationsvertrag mit dem freigewerkschaftlichen ADGB ab, ohne seine organisatorische Autonomie aufzugeben. Zunächst der mitgliederstärkste Angestelltenverband der Weimarer Republik, schwand seine Bedeutung schon bald. Zahlreiche seiner Mitglieder wanderten vor allem zum »katholischen-nationalen« Gesamtverband deutscher Angestelltengewerkschaften (GEDAG) ab, in dem der DHV tonangebend war. 47 Der von Anton Erkelenz bis 1933 geleitete »Gewerkschaftsring Deutscher Angestellter, Arbeiter und Beamten« war 1918 aus den 1869 von Max Hirsch und Franz Duncker gegründeten, zwischen national- und sozialliberal oszillierenden Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereinen hervorgegangen und die kleinste der drei Weimarer Richtungsgewerkschaften. Mit der GEDAG war ab 1925 die wichtigste Dachorganisation der Angestellten dem Gewerkschaftsring assoziiert. 66 die enteignung der linken arbeiterbewegung Recht sein kann, was dem Volke nützt«. Das waren Phrasen, die es der Arbeitsfront bzw. dem Chef der DAF als dem »Pfleger« allen beschlagnahmten oder ›gleichgeschalteten‹ gewerkschaftlichen Vermögens erlaubten, auch mit diesem Eigentum einschließlich aller dazugehöriger Unternehmen nach Gutdünken zu verfahren. ‒‒ In die dritte Kategorie gehörten die »Vermögen der Gewerkschaften, deren Rechtsnachfolge angetreten ist«. Diese etwas unklare Formulierung bezog sich auf die – wenigen – Arbeitnehmerverbände, die weder zerschlagen wurden, wie der ADGB, noch mit mehr oder minder star­kem Druck »gleichgeschaltet« wurden, wie die christlichen und liberalen Arbeitnehmerorganisationen, sondern freiwillig und enthusiastisch den »nationalen Aufbruch« des vierten Prä­sidialkabinetts Hitler begrüßt und sich nach Grün­dung der Arbeitsfront dieser freiwillig angeschlossen hatten. Gemeint war namentlich der DHV, der Deutsche Werkmeister-Ver­band,48 der Deutsche Büro- und Behördenangestellten-Verband und der dem DHV nahestehende »Verband der weiblichen Angestellten«.49 Für diese Kategorie gewerkschaftlichen Vermögens galten nach dem Rundschreiben vom 16. Oktober 1933 dieselben Regelungen wie für die zweite Kategorie. Wenn dennoch in drei – und nicht in zwei – Vermögenskategorien unterschieden wurde, dann hatte das durchaus einen Sinn: Die Vermögen und die hier besonders interessierenden Unternehmen der genannten Verbände, insbesondere diejenigen des DHV, wurden sehr viel vorsichtiger behandelt auch als die der christlichen Gewerkschaften, von denen der freien Gewerkschaften ganz zu schweigen. So wurde die vom DHV beherrschte »Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten« (GAGfAH) samt ihren fünfzig Tochter­ gesellschaften nicht dem DAF-Konzern einverleibt; sie blieb bis 1945 selbständig. Der Langen-Müller-Verlag und die Hanseatische Verlagsanstalt – Prunk­ stücke des DHV – gingen zwar in den Besitz der DAF über, aber die personellen Kontinuitäten auf der Vorstandsebene vor und nach 1933 waren auffällig und 48 Der Deutsche Werkmeister-Verband (DWV) war im Frühjahr 1884 gegründet worden und hatte sich, nach dem Anschluss des »Werkmeisterverbandes für das deutsche Buchbindergewerbe und verwandte Berufe« sowie des »Deutschen Vorzeichner-Verbands« im Jahre 1920 dem AfA-Bund angeschlossen. 1929 war der moderat-sozialdemokratische DWV mit etwa 130.000 Mitgliedern der größte Verband für das Arbeitnehmersegment der Werkmeister und Vorarbeiter sowie verwandter Berufe. Von Mai 1933 bis Febr. 1934 fungierte er vorübergehend als organisatorischer Rahmen innerhalb der DAF, in den alle vergleichbaren Verbände eingegliedert wurden. 49 Der Verband der weiblichen Angestellten (VWA) war 1919 als »Verband der weib­lichen Handels- und Büroangestellten« gegründet worden und hatte sich dem GEDAG angeschlossen. Seine Vorläufer waren der »Kaufmännische Verband für weibliche Angestellte« und die »Verbündeten kaufmännischen Vereine für weibliche Angestellte«. Der VWA kooperierte eng mit dem die GEDAG dominierenden DHV, obwohl jener die Frauenerwerbstätigkeit eigentlich grundsätzlich ablehnte. Im Rahmen der »Angestelltensäule« der DAF blieb der VWA als organisatorisches Auffangbecken für weib­liche Angestellte bis Anfang 1934 bestehen. 67 rahmen- und ausgangsbedingungen wären in den Führungsgremien des freigewerkschaftlichen Buchmeister-Verlages oder der »Büchergilde Gutenberg« undenkbar gewesen. Eine herausgehobene Stellung besaßen auch die bis 1933 zum DHV gehörenden Deutscher Ring-Ver­ sicherungen. So blieben die meisten Vorstandsmitglieder, in krassem Unterschied zur Volksfürsorge als sozialdemokratischem Pendant, jedenfalls vorerst auf ihren bisherigen Posten. Welch privilegierte Stellung die DHV-Unternehmen besaßen, zeigte sich erneut ab 1938, als der »Deutsche Ring« bei der Übernahme von Versicherungen in den okkupierten Gebieten gegenüber der Volksfürsorge von den verantwortlichen Akteuren auf Seiten der DAF sichtlich bevorzugt wurde. Diese ungleiche Behandlung hatte System: Die DAF-Führung belohnte die Unternehmen des DHV dafür, dass sie lange vor 1933 einem strikten Antisemitismus gefolgt waren und enge Beziehungen zur Weimarer NS-Bewegung gepflegt hatten; so waren NSDAP und SA schon ab Ende der zwanziger Jahre bei der Deutscher Ring-Lebensversicherung versichert; die DHV-Verlage waren Multiplikatoren rechtsextremistischen Gedankenguts und hatten die Elaborate einer ganzen Reihe von Autoren, die nach 1933 dann politische Karriere machten, bereits lange vor der »Machtergreifung« auflagenstark vertrieben. Wenn demgegenüber Bank- und Versicherungs-Unternehmen der christlichen Gewerkschaften in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre verkauft oder liquidiert wurden, während die der freien Gewerkschaften erhalten und ausgebaut wurden, dann hatte dies ökonomische Gründe: Die spätere Arbeitsbank, die Volksfürsorge und ebenso die GEHAG waren gut geführte, wirtschaftlich gesunde Unternehmen, während die Bank und ebenso die Versicherung des katholischen DGB bereits zu Beginn der Weltwirtschaftskrise angeschlagen sowie außerdem kleiner dimensioniert waren – und deshalb von der DAF aufgegeben wurden. Festzuhalten bleibt, dass mit der skizzierten »Beschlagnahme« freigewerkschaftlichen Ver­mögens bzw. der mit der »Gleichschaltung« der christlichen, der Hirsch-Dun­cker­schen Ge­werkvereine sowie des DHV und kleinerer Arbeit­ nehmerverbände einhergehenden ›freiwilligen‹ Eigentumsübertragung der ent­sprechenden Unternehmen ein Präzedenzfall geschaffen wurde, der nach der eigenartigen nationalsozialistischen Rechtsauffassung in der Folgezeit weitere Ansprüche der Arbeitsfront rechtfertigte. Die Entstehungsgeschichte des DAF-Wirtschaftsimperiums, seine Geburt aus dem Institutionen- und Unternehmenskonglomerat der Genossenschaften und Arbeitnehmerverbände, legitimierte vor allem ab 1938 Begehrlichkeiten der Arbeitsfront auf Vermögen und die Unternehmen nun der ausländischen Gewerkschaften in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten. Was sich ab dem 2. Mai 1933 im Deutschen Reich abgespielt hatte, wiederholte sich mit je nach Land cha­rakteristischen Modifikationen zwischen 1938 und 1942 auf europäischer Ebene: Die Arbeitsfront fungierte als materieller Erbfolger zerstörter Gewerkschaften und genossenschaft­ licher Unternehmen. Mit dem Beutemachen, dem Zusammenraffen all dessen, was man den Weimarer Arbeitnehmerorganisationen widerrechtlich genommen hatte, tat sich die DAF-Führung leicht. Schwieriger war es, die Beute gegenüber anderen Räubern 68 die enteignung der linken arbeiterbewegung zu verteidigen, d. h. die neu erworbenen ›Besitzansprüche‹ rechtswirksam abzusichern. Den Raub schließlich so zu ›sortieren‹, dass er dem Räuber auch von politischem und ökonomischem Nutzen war, erwies sich als noch weit schwerer. Diesem Aspekt, der Frage also, wie das Unternehmenskonglomerat durch den politischen Apparat der Arbeitsfront strukturiert und gelenkt wurde, muss sich die Untersuchung nun zuwenden. Erst danach kann die Geschichte der Konzernteile vorgestellt werden. 69 2. Das Dach des Konzerns Der Konzern der DAF war das Resultat von Gewalt, Willkür und Raffgier. Die Geburtsmale sollten ihm zeit seiner Existenz anhaften. Das Wirtschaftsimperium der Arbeitsfront besaß freilich nicht nur einen ganz eigentüm­lichen Charakter. Es war zudem in gewisser Weise gleichzeitig unsichtbar und omni­präsent. Andere Unternehmen waren damals in aller Regel auf eine einzige Branche beschränkt; oder sie blieben auf benachbarte Branchen konzentriert – blickt man etwa auf die vertikal strukturierten Großunternehmen der Schwerindustrie, die unter ihrem Dach Betriebe verwandter Zweige, vom Bergbau über die Eisenund Stahlgewinnung bis zum Maschinenbau und zu den Werften, vereinten. Auch die anderen parteinahen Konzerne wie die Reichswerke Hermann Göring oder die Wilhelm-Gustloff-Werke waren auf überschaubaren Gebieten tätig. Dem­gegenüber wirkte der auf sehr unterschiedlichen Feldern aktive Konzern der Arbeitsfront wie eine Art Gemischtwarenladen. Den meisten Zeitgenossen ging es, blickte sie auf diesen Konzern, kaum anders als den Historikern. Allerorten war man mit irgendeinem DAF-Unternehmen konfrontiert; der Konzern schien insofern omnipräsent. Gleichzeitig blieb unklar, was eigentlich zu diesem Wirtschaftsimperium der Arbeitsfront gehörte. Seine Konturen waren unscharf. Seine Gesamtdimensionen konnte kaum ein Zeitgenosse übersehen. Angesichts des Konglomerats aus Banken, Versicherungen, Bauund Wohnungsunternehmen, Verlagen, Werften, einem Automobilunternehmen usw. stellt sich die Frage: Was hielt diesen Konzern, über die Eigentumstitel der DAF an den einzelnen Unternehmen hinaus, überhaupt zusammen? Dieser Frage ist unter zwei Gesichtspunkten nachzugehen, erstens: Welche allgemeinen Ziele verfolgte die DAF mit ihrem Gesamt-Konzern, unabhängig von konkreteren Zielsetzungen und Aufgaben, die einzelne Unternehmen wahrnehmen sollten? Zweitens: Wie wurde der heterogene Unternehmenskomplex zusammengebunden? Wie wurde er gelenkt? Welche Institutionen innerhalb der politischen Organisation mit Namen »Deutsche Arbeitsfront« waren für den Konzern verantwortlich? Koordinationsprovisorien bis 1938 Die Frage der Lenkung der DAF-Unternehmen wurde zunächst dilatorisch ›gelöst‹. Noch im Mai 1933, dem Geburtsmonat der Arbeitsfront, hatte Ley die »Pflegschaft« für das gesamte enteignete SPD- und Gewerkschaftsvermögen einschließlich der Arbeitsbank, Volks­f ür­sorge, Büchergilde Gutenberg bzw. des Buchmeister-Verlags, der Bauhütten, der gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften usw. übernommen. Faktisch assoziiert wurden dieser »Pflegschaft« wenig später die Vermögen, Immobilien und Unternehmen der ›freiwillig‹ gleich- 70 das dach des konzerns geschalteten anderen Gewerkschaftsrichtungen, also des christlichen DGB und der Hirsch-Duncker’schen Gewerkschaften, sowie (mit Einschränkungen) des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verban­des. Wie sein »Führer« interessierte sich auch Ley nicht wirklich für die Angelegenheiten ›seiner‹ Unternehmen. Diese Aufgabe wälzte er ab, indem er auf regimetypische Weise einen Sonderkommissar einsetzte. Noch im Mai 1933 ernannte er den in Finanzangelegenheiten erfahrenen Bankdirektor Karl Müller zum »Unterpfleger« des enteigneten sozialdemokratischen und freigewerkschaftlichen Vermögens und damit faktisch zum Verwalter der Vermögen, Immobilien und Unternehmen der übrigen Arbeitnehmerverbände.1 Angesichts der »Wirtschaftsenthobenheit« (Max Weber) Robert Leys, seines Desinteresses an ökonomischen Fragen, schien Müller damit zum ›starken Mann‹ in wirtschaftlichen Dingen innerhalb der DAF zu werden, zumal er noch Mitte 1933 weitere Funktionen übernahm. So fungierte er (um nur die wichtigsten seiner Posten anzuführen) als Geschäftsführer der DAF und deren Beauftragter für die Konsumgenossenschaften; außerdem saß er der Geschäftsleitung des »Reichsbundes der deutschen Verbrauchergenossenschaften GmbH« vor. Ferner leitete er kommissarisch den Zentralverlag der Arbeitsfront. Schließlich führte er das kurzlebige DAF-»Amt für Selbsthilfe« bzw. »Selbsthilfe und Siedlung«. Tatsächlich gelangte Müller jedoch nicht in die überragende Stellung, die er wohl auch selbst einzunehmen hoffte. Müller überschätzte seine Position, entwickelte allzu offensichtlich eigenständige Machtambitionen, geriet wie mancher andere2 zwischen die politischen Fronten und stürzte deshalb Mitte 1935. 1 Müller (1879-1944), hatte von 1901 bis 1911 als Angestellter der Münchner Industriebank eGmbH (seit 1906 als deren Bevollmächtigter), als Prokurist bei der Bayerischen Handelsbank in München (1911/12), als Direktor der Filiale der Bayerischen Handelsbank in Regensburg von 1912 bis 1918, als Direktor der Pfälzischen Bank in Frankfurt a. M. von 1918 bis 1922 sowie seit 1922 als Direktor der Deutschen Hansabank in München reichhaltige Erfahrungen im Bankgewerbe gesammelt. Er war außerdem Mitglied des Vorstandes des Reichsverbandes deutscher Bankleitungen in Frankfurt a. M. und Beisitzer beim Reichstarifamt in Berlin. Zudem fungierte er neben den genannten Funktionen seit Anfang der zwanziger Jahre gleichzeitig als Geschäftsführer der Immobilien-Gesellschaft mbH Café Karlstor, München, und stellv. Aufsichtsratsvorsitzender der Stiefel & Mansinger AG in Pasing bei München. Bekanntschaft mit Hitler machte er bereits 1922. Seit 1924 besaß er geschäftliche Beziehungen mit dem Zentralverlag der NSDAP. In die NSDAP trat Müller zwar erst am 1. Mai 1933 ein (Mitglieds-Nr.: ursprünglich 3 206 900). Die hohe Mitgliedsnummer wurde nach persönlicher Intervention Hitlers allerdings in die relativ niedrige und deshalb ›ehrenhafte‹ Mitglieds-Nr. 1 576 709 verändert. 2 Auch z. B. Heinrich Schild (1895-1978), von Ende März 1933 bis Ende Sept. 1934 »Generalsekretär des deutschen Handwerks« bzw. ab Nov. 1933 »Generalsekretär des Reichsstandes des deutschen Handwerks«, wurde ein Opfer des Machtkampfes zwischen Ley, zu dem Schild zunächst ein enges Verhältnis aufgebaut hatte, und Schacht. Wie gegen Müller strengte die DAF gegen Schild ein Parteiausschlussverfahren an, das Mitte 1935 – ebenfalls – eingestellt wurde. Weitere führende DAF-Funktionäre fielen Konflikten Leys mit anderen hohen NS-Funktionsträgern zum Opfer, Max Frauendörfer z. B. dem 71 das dach des konzerns Sein Sturz führte zum Aufbau eines komplexeren institutionellen Daches des DAF-Wirtschafts­impe­riums. Dieses neue, zunächst gleichfalls provisorische, sich in seinen Strukturen jedoch zunehmend verfestigende ›Dach‹ wiederum entstand aus dem Finanzsektor der DAF heraus und besitzt eine Vorgeschichte, die gleichfalls in die Gründungsphase der Arbeitsfront zu­rückreicht; sie wirft gleichzeitig Schlaglichter auf die von Korruptionsskandalen begleitete chaotische Entstehungs- und Konsolidierungsphase der Arbeitsfront. Herr über die Finanzen und den gesamten Besitz der Arbeitsfront war – neben Ley, der in der führerzentrierten Arbeitsfront selbstredend immer das letzte Wort besaß – das noch im Mai 1933 gegründete DAF-Schatzamt, das die ersten knapp fünf Jahre unter der Leitung von Paul A. Brinckmann (auch: Brinkmann) stand.3 Als Nachfolger des im Januar 1938 abgelösten Brinckmann wurde Alexander Halder eingesetzt,4 der seit 1934/35 stellvertretender Reichsschatzmeister der Arbeitsfront gewesen war. Halder führte seit Anfang 1938 nicht nur das nun in »Etat- und Verwaltungsamt« umbenannte Schatzamt, sondern auch das um die Jahreswende 1937/38 neu gegründete DAF-»Prü­fungsamt«. Begonnen hatte Halder seine Karriere im April 1934, als er zum persönlich haftenden Gesellschafter und Geschäftsführer der Vermögensverwaltung der DAF GmbH gemacht wurde. Zusätzlich verkompliziert wurden die Konstellationen dadurch, dass Halder außerdem zum Gesellschafter und Geschäftsführer der »Deutschen Wirtschaftsprüfungs- und Treuhandgesellschaft mbH« mit Sitz in Berlin avancierte. Entstanden war diese Wirtschaftsprüfungs-GmbH (bis Ende 1935: »Treuhandgesellschaft für Deutsche Arbeit«) aus der ehemals freigewerkschaftlichen »Gesellschaft für Vermögenswahrung und Verwaltung (Treuhand und Revision) mbH«. Ihr oblag – eigentlich – die Prüfung der Unternehmen der DAF auf korrekte Buch- und Rechnungsführung. Im Weiteren sollte die Wirtschaftsprüfungs-GmbH die DAF-Unternehmen außerdem zu einer betriebswirtschaftlich funktionalen Binnenorganisation veranlassen. Konflikt zwischen dem Chef der DAF und Rosenberg. Vgl. Thomas Schlemmer, Löcher im Mantel des Vergessens. Die gebrochene Karriere des Dr. Max Frauendorfer zwischen NSDAP und CDU, in: Stefanie Hajak (Hg.), München und der Nationalsozialismus. Menschen, Orte, Strukturen, München 2008, S. 335-365. 3 Brinckmann (1886-?) war nach einer kaufmännischen Lehre von 1904 bis 1908 Angestellter, u. a. bei der AEG/Berlin, und seit 1904 im DHV aktiv. 1908 ging er ins Ausland; erst 1922 kehrte er nach Berlin zurück. Der NSDAP trat er im Frühjahr 1930 bei; seit Mitte 1931 führte er die Revisionsabteilung der Berliner NSDAP. Im Jan. 1933 avancierte er zum Revisor in der Reichsleitung der NSDAP. Von 21. April bis 2. Mai 1933 war er Mitglied des von Ley geleiteten »Aktionskomitees zum Schutze der deutschen Arbeit« und in dieser Funktion führend an der Beschlagnahme gewerkschaftlichen Vermögens und Immobilieneigentums beteiligt. Neben seiner Funktion als DAF-Reichsschatzmeister, die ihm bis Anfang 1938 zu einer starken Position in der Arbeitsfront verhalf, firmierte Brinckmann Juni 1937 bis Mai 1938 außerdem als DAF-Reichssachwalter. Zu seinem Sturz vgl. Kapitel 3, S. 148. 4 Halder (1906-?) war Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre als Revisor bei der Barmer Ersatzkasse beschäftigt. Der NSDAP gehörte er seit Febr. 1931 an. Vgl. zu Halder und seinen Funktionen innerhalb des DAF-Konzerns auch unten. 72 das dach des konzerns Tatsächlich kollidierten hier bereits auf der personellen Ebene Funktionen und Interessen. Namentlich mit Halder wurde der Bock zum Gärtner gemacht, zumal dieser neben den genannten Ämtern und Funktionen noch in den Aufsichtsgremien einer Reihe von DAF-Un­ternehmen saß. Darüber hinaus war problematisch, dass die Wirtschaftsprü­f ungs- und Treuhandgesellschaft ökonomisch und institutionell mit dem DAF-Konzern verbandelt war: Sie befand sich bis 1935 im Besitz eines norddeutschen Geldinstitutes, der »Bremer Volksbank«, die wiederum eine hundertprozentige Tochter der DAF-eigenen Bank der Deutschen Arbeit war. Infolgedessen besaß die Arbeitsbank »die direkte und alleinige Verfügungsgewalt über die Prüfungsgesellschaft«.5 Verstärkt wurde diese institutionelle Verflechtung dadurch, dass sich die Geschäftsräume der Prüfungsfirma ab Ende 1935 zunächst im Zentralgebäude der Arbeitsbank befanden, ehe sie 1936/37 in das Haus des Schatzamtes der Arbeitsfront verlegt wurden. Beide Funktionsbereiche waren mithin auch räumlich verquickt. Die für Finanz­ prüfung und Unternehmenskontrolle notwendige Unabhängigkeit und Neu­ tralität war damit jedenfalls nicht garantiert. Statt diese Interessenskollision jedoch zu lösen und einen der Funktions­ bereiche abzugeben, versuchte der zweite Gesellschafter der Wirtschaftsprüfungs­ gesellschaft der Arbeitsfront, Walter Haensch, im Jahre 1937 das Wirtschafts­ prüfungsrecht den Interessen der DAF-Führung bzw. ihrer unmittelbar involvierten Protagonisten anzupassen. Haensch erklärte wörtlich, es sei »eine Änderung im allgemeinen deutschen Treuhandwesen an[zu]streben« und begann »in diesem Zusammenhang […] Angriffe gegen das Institut der Wirtschaftsprüfer« überhaupt vorzutragen. Jene wehrten sich und leiteten ihrerseits »ein Verfahren gegen Haensch ein, das zum Ziele hatte, ihm die Eigenschaft als Wirtschaftsprüfer abzuerkennen.«6 Die von Haensch in einem Anflug von Größenwahn provozierte Auseinandersetzung endete nicht, wie man dies hätte erwarten sollen, mit einer Niederlage, sondern unentschieden – auch weil er wichtige Teile des zu diesem Zeitpunkt bereits einflussreichen, traditionelle Rechtsnormen verachtenden »charismatischen Verwaltungsstabes« DAF hinter sich wusste. Haensch blieb Wirtschaftsprüfer. Ambitionen, das Wirtschafts­ prüfungsrecht in ihrem Sinne zu novellieren, mussten er und die Arbeitsfront jedoch begraben. 5 Feststellungsbericht des Revisionsamtes der NSDAP vom 14. Febr. 1938, S. 124, in: BA Berlin, NS 1, Nr. 811. Zu diesem Feststellungsbericht, der vom NSDAP-Reichsschatzmeister veranlasst wurde und die ganze Dimension der Affäre »Anton Karl«, einer der größten Korruptionsaffären des Dritten Reiches, ausleuchtete, vgl. Kapitel 3, S. 147151. Ob es sich bei der »Bremer Volksbank« um ein eigenständiges Institut im Besitz der DAF han­delte oder (was wahrscheinlicher ist) um eine Niederlassung der vormals christ-gewerkschaft­li­chen »Nationalbank«, die von der DAF ab Ende 1933 sukzessive verkauft und in der Folgezeit unter dem Essener NSDAP-Gauleiters Terboven in eine regionale Mittelstandsbank umgewandelt wurde, geht aus dem insgesamt dürftigen Quellen­material nicht eindeutig hervor. Vgl. Kapitel 3, S. 100 ff. 6 Feststellungsbericht des NSDAP-Revisionsamtes, S. 126. 73 das dach des konzerns Lenkungsorgane in der ›Ära Simon/Strauch‹ (ab 1938) Die skizzierten fundamentalen Defizite der Finanzprüfung und Unternehmenskontrolle waren ihrerseits ein Teilaspekt eines weitverzweigten Korruptionsfalles (der Affäre »Anton Karl«) um die Arbeitsbank und den Baukonzern der Arbeitsfront, der sich um die Jahreswende 1937/38 zu einem handfesten politischen Skandal auszuwachsen drohte.7 Die DAF-Führung löste das Problem um die Jahreswende Anfang 1938 auf eine ihr eigene Weise: indem sie ein neues Amt schuf, das bereits erwähnte DAF-Prüfungs­amt.8 Während neue Ämter ansonsten das innerorganisatorische Chaos in der Arbeitsfront eher verstärkten als behoben, erwies sich die Gründung dieses Amtes als Glücksgriff. Zunächst auf der innerorganisatorischen Ebene der Kontrolle der Finanzen und Unternehmen: es schaltete ab 1938 neben den eigenen Prüfern auch zahlreiche unterschiedliche und zudem überwiegend unabhängige Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ein, die die Arbeitsbank und die besonders korruptionsanfälligen Baubetriebe sowie die weiteren Unternehmen der DAF kritisch und gründlich unter die Lupe nahmen.9 Namentlich die Arbeitsbank entwickelte in der Folgezeit organisatorische Binnenstrukturen, die möglicher Korruption enge Grenzen setzten.10 Ley konnte gegenüber einem seiner Rivalen, Reichswirtschaftsminister Walther Funk, Anfang Juli 1941 schließlich stolz berichten, dass »der Sachverständige des Reichsaufsichtsamtes für das Bankwesen«, ein Ministerialrat, vor diesem Hintergrund erklärt habe, dass die Arbeitsbank »zu den am besten verwalteten 7 Vgl. Kapitel 3, S. 147-151. 8 Indem Ley Halder an die Spitze sowohl des DAF-»Etat- und Verwaltungsamtes« als auch des DAF-»Prü­f ungs­amtes« stellte, brach er de facto eine Ende Nov. 1937 mit dem NSDAP-Reichsschatzamt getroffene Vereinbarung. Dort war festgelegt worden, dass »das neu zu organisierende Prüfungsamt aus dem Schatzamt der Deutschen Arbeitsfront gelöst« werden, d. h. unabhängig agieren solle. Vgl. Aktenvermerk Sauperts über eine Sitzung mit Simon und NSDAP-Reichsrevisor Schieder vom 24. Nov. 1937, in: BA Berlin, NS 1, Nr. 248-2. Das Reichsschatzamt der NSDAP, das ursprünglich auch andere personelle Vorstellungen hatte, nämlich den NSDAP-Reichsoberrevisor Josef Hoffmann als Leiter des DAF-Prüfungsamtes einsetzen wollte, scheint dies toleriert zu haben. 9 Allein zwischen Febr. 1938 und Juni 1941 wurde die Arbeitsbank insgesamt zwölfmal, nämlich »zweimal durch die Süddeutsche Treuhand-Aktiengesellschaft, einmal durch die Treuhand-Ak­tien­gesellschaft, München, im Auftrage des ehemaligen Stellvertreters des Führers, einmal durch Beauftragte des Reichsschatzmeisters Schwarz, fünfmal durch die Deutsche Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft Berlin – Treuhand des Deutschen Reiches –, einmal durch die [DAF-eige­ne] Deutsche Wirtschafts- und Treuhandgesellschaft, Berlin, sowie zweimal durch Beamten der Finanzbehörde geprüft.« Ley an Funk vom 4. Juli 1941, in: BA Berlin, R 8120, Nr. 736, Bl. 20-27, Zitat: Bl. 26, bzw. Rosenhauer (Vorstandsvorsitzender der Arbeitsbank) an Strauch (als Chef der TWU) vom 17. Juni 1941, in: ebd., Nr. 736, Bl. 32-36, hier: Bl. 35. 10 Die vor allem in den auf ganz Europa verteilten Auslieferungslagern der Frontbuchhandlungen 1943/44 aufgedeckten Unterschlagungen, Bestechungen und Fälle von Nepotismus hatten ihre Wurzeln vor Ort und liefen offenkundig nicht über die Arbeitsbank. Vgl. Kapitel 6, S. 333 ff. 74 das dach des konzerns Banken gehört.«11 Ob dies den Tatsachen entsprach, soll dahingestellt bleiben. Dass interne Verwaltungsabläufe und Kontrollen effizienter wurden, ist jedoch unverkennbar: Ab 1938 kam es weder innerhalb der Bank der Deutschen Arbeit, als der Schaltstelle für größere finanzpolitische Transaktionen der Arbeitsfront, noch überhaupt innerhalb des zentralen DAF-Verwaltungsapparates zu (größeren) Fällen von Korruption und Veruntreuung. Nicht nur die Wirtschaftsprüfung der DAF-Unternehmen, der gesamte Finanz- und Vermögensapparat der Arbeitsfront wurde im letzten Vorkriegsjahr neu organisiert und mit jenem auch die Koordination der Unternehmenspolitiken auf solide Füße gestellt. Anfang 1938 wurde unter der Leitung von Heinrich Simon, ein junger Jurist und seit Mitte der zwanziger Jahre ein besonderer Günstling Leys,12 die »Zentralstelle für Finanzwirtschaft« ins Leben gerufen. Ihr unterstand die »Vermögensverwaltung der Deutschen Arbeitsfront GmbH« (die hier nicht weiter interessiert) sowie die »Treuhandgesellschaft für die wirtschaftlichen Unternehmungen der Deutschen Arbeitsfront mbH« (TWU) als das institutionelle Dach des DAF-Wirtschaftsimperiums.13 Entstanden war die TWU bereits vor der Ablösung Karl Müllers Mitte 1935. Allerdings blieb ihre Stellung gegenüber der Mitte April 1934 ins Leben gerufenen Vermögensverwaltung der Deutschen Arbeitsfront GmbH zunächst unklar, da letztere nicht nur für Barvermögen und Immobilien, sondern anfangs auch für die Unternehmen der Organisation zuständig war. Maßgebliche Figur dieser »Vermögensverwaltung« war der bereits erwähnte Alexander Halder, der bis zum Zusammenbruch des NS-Regimes gemeinsam mit Heinrich Simon persönlich haftender Gesellschafter und Geschäftsführer der TWU blieb.14 In den ersten Jahren wurde die DAF-Treuhand von Werner Boltz 15 geführt. Der bei seinem Amtsantritt mit 26 Jahren sehr junge Boltz war zugleich Stellvertreter Brinckmanns als Schatzmeister der Arbeitsfront; beide hatten zuvor Karriere im 11 Ley an Funk vom 4. Juli 1941 (Anm. 9), Bl. 26. 12 Zu Simon (1910-1979), den Ley seit Mitte der zwanziger Jahre unter seine Fittiche genommen hatte, und den meisten hier genannten Personen vgl. die Kurzbiographien in: Hachtmann, Koloss, S. 297-336. Zur Mentalität der Vorstände und Spitzenmanager des DAF-Konzerns und dem Milieu, in dem sie sich bewegten, vgl. Kapitel 9. 13 Mitunter wurde auch von »Amt für die wirtschaftlichen Unternehmungen in der Zentralstelle für die Finanzwirtschaft der Deutschen Arbeitsfront« gesprochen. Vgl. z. B. Leistungsberichte des Amtsleiters für die wirtschaftlichen Unternehmungen in der Zentralstelle für die Finanzwirtschaft der DAF für 1939/40, 1940 usw., in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 87. 14 Nominell spielte zwar Heinrich Simon die entscheidende Rolle. Er übertrug Halder jedoch am 24. Sept. 1938 das Alleinvertretungsrecht. Bestellt wurden im Febr. 1938 bzw. Jan. 1939 noch zwei weitere Geschäftsführer der Vermögensverwaltung, nämlich der Verwaltungskaufmann Rudolf Richter und der Bremer Kapitän (!) Ewald Pütz. Vgl. Abschrift aus dem Handelsregister des Amtsgerichts Berlin, als Abschrift in: ebd., NS 5 III, Nr. 3483. 15 Boltz (1909-?) war bis Juni 1937 stellvertretender DAF-Reichsschatzmeister gewesen und leitete danach bis zu seiner Entlassung neben der TWU das »Amt für die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF«. Von Juli 1935 bis Jan. 1938 gehörte er au- 75 das dach des konzerns Finanzapparat der NSDAP gemacht. Zeitweilig plan­ten Boltz und Brinckmann, die TWU im Schatzamt aufgehen zu lassen.16 Derartige Absichten waren innerhalb der DAF-Führung offenbar nicht abgesprochen. Sie wurden spätestens hinfällig, als Boltz um die Jah­reswende 1937/38 über die »Affäre Karl« stolperte und auch Brinckmann seinen Hut nehmen musste.17 Ley, der seinerseits vom NSDAP-Reichs­schatz­meister massiv zu einer Entflechtung und Neuordnung der Finanzorganisation und des Wirtschaftsimperiums der Arbeitsfront gedrängt worden war,18 setzte daraufhin seinen politischen Weggefährten Heinrich Simon an die Spitze der DAF-Treuhand. Das war eine unzweideutige Aufwertung der Treuhandgesellschaft, da Simon innerhalb der Arbeitsfront eine weit stärkere Position besaß als Halder. Gleichzeitig war damit die politische Verantwortlichkeit für den Konzern der Arbeitsfront eindeutig geklärt. Dass Simon die TWU nur nominell leitete, änderte an ihrer politischen Aufwertung nichts. Faktisch führte Hans Strauch, der bis 1938 als Bankmanager der mittleren Ebene berufliche Meriten gesammelt hatte,19 die Treuhandgesellschaft bzw. das »Amt für wirtschaftliche Unternehmungen« der Arbeitsfront, nominell jeweils als stellvertretender Hauptgeschäftsführer. Die Zusammenführung beider Funktionen in seiner Person unterstreicht die organisationspolitisch wichtige Rolle, die Strauch vom 1. Februar 1938 an bis zum Zusammenbruch der Diktatur einnahm. 16 17 18 19 76 ßerdem u. a. dem Aufsichtsrat der Arbeitsbank an. Nach seiner Amtsenthebung und seinem Ausschluss aus der NSDAP war er in der ›freien Wirtschaft‹ beschäftigt. So teilten Brinckmann und Boltz während einer Besprechung im Schatzamt am 28. Sept. 1936 den leitenden Direktoren der DAF-Versicherungsgesellschaften Brass, Pollmann und Kratochwill mit, »dass die Tätigkeit der Treuhandgesellschaft für wirtschaftliche Unternehmungen, soweit sie ihre Gesellschaften betrifft, auf das Büro des Schatzmeisters übergegangen ist«. Die »gesamten Geldanlagen« der Versicherungsgesellschaften sollten ebenso wie der gesamte »Schriftwechsel, der bisher mit der T.W.U.« und anderen Dienststellen der Arbeitsfront geführt wurde, »künftig [über] das Büro des Schatzmeisters der DAF laufen«. Aktennotiz über diese Besprechung vom 2. Okt. 1936, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 18. Vgl. Kapitel 3, S. 148. Vgl. Aktenvermerk über eine Sitzung im NSDAP-Reichsschatzamt vom 24. Nov. 1937, mit Stabsleiter Saupert, Reichsrevisor Schieder sowie seitens der DAF Simon, in: BA Berlin, NS 1, Nr. 248-2. Strauch (1891-?), Bankangestellter, war bis zur Übernahme der Leitung der TWU Anfang Febr. 1938 geschäftsführender Direktor der Stadtsparkasse Augsburg. Er ist eines der seltenen Beispiele dafür, dass innerhalb der Arbeitsfront auch Leute aufsteigen konnten, die biographisch nicht den Stallgeruch des »Alten Kämpfers« besaßen, sondern ausschließlich als Experten ausgewiesen waren. Strauch trat erst im Mai 1933 in die NSDAP ein; außerdem war er SS-Mitglied. das dach des konzerns Warum besaßen die Protagonisten der DAF-Unternehmen weitreichende Handlungsspielräume? Weder die TWU noch die vor Kriegsbeginn eingerichtete und nominell von Heinrich Simon, de facto vom jungen Bruno Raueiser20 geleitete Zentralstelle für Finanzwirtschaft der Arbeitsfront, oder gar die Vermögensverwaltung der DAF, schrieben den Vorständen der einzelnen DAF-Unternehmen genauer vor, welche Politik sie zu verfolgen hatten. Sie enthielten sich in aller Regel unmittelbarer Interventionen. Das mag man zunächst darauf zurückführen, dass den für den Konzern verantwortlichen, oft sehr jungen Funktionären aus dem politischen Apparat der Organisation die wirtschaftlichen Fachkenntnisse fehlten und sie sich deshalb wohlweislich zurückhielten. Aber auch strukturell ist diese ›liberale‹ Praxis weniger überraschend, als man zunächst vermuten sollte: Die national­sozialistische Volkswirtschaft war keine Planwirtschaft, das DAF-Wirt­ schafts­impe­rium kein Kombinat. Dass das NS-Regime keine staatliche Kommandowirtschaft installierte, spiegelte sich auch in den Binnenstrukturen des DAFKonzerns. Für alle Stränge des Wirtschaftsimperiums der Arbeitsfront gilt, dass für sie kein Plan mit genaueren ›Produktionsvorgaben‹ aufgestellt wurde. Die für die Unternehmen verantwort­liche Berliner Zentrale erteilte auch sonst keine detaillierten Anweisungen. Die verschiedenen Einheiten des DAF-Unterneh­ menskon­glo­merats waren vielmehr nur relativ locker miteinander verbunden, die Freiräume der Vorstände der einzelnen Unternehmen infolgedessen erheblich. Wenn es keine etwa den realsozialistischen Kommandowirtschaften vergleichbare direkte Lenkung der nationalsozialistischen Volkswirtschaft gab und auch die DAF-Unter­neh­men von der politischen Führung der Arbeitsfront an einer ausgesprochen langen Leine geführt wurden, dann spiegelten sich darin noch in anderer Hinsicht bestimmte Strukturen des NS-Regimes sowie nicht zuletzt das wirtschaftsideologische Selbstverständnis seiner Protagonisten. Das wirtschaftspolitische Credo führender Nationalsozialisten, nicht zuletzt Hitlers, aber auch Görings, Speers und anderer sowie last but not least seines »Apostels« Robert Ley, gab der »Privatinitiative« agiler Unternehmer den unbedingten Vorrang vor kommandowirtschaftlichen Strukturen. Für die manchmal fast neoliberal anmutende Begeisterung für ein dynamisch-freies Unternehmertum, die in der tiefen Verehrung Hitlers für Henry Ford seinen wohl markantesten Ausdruck fand,21 gibt es viele Belege. Darüber hinaus – dies erklärt den 20 Der 1909 geborene Raueiser stammte wie Simon aus Köln. Beide scheinen sich bereits seit jungen Jahren gekannt zu haben. Angaben zu Ausbildung und Karriere Raueisers liegen nicht vor. Vermutlich hatte er Jura oder Volkswirtschaft studiert. 21 Vgl. Rüdiger Hachtmann, »Die Begründer der amerikanischen Technik sind fast lauter schwäbisch-alle­man­nische Menschen«: Nazi-Deutschland, der Blick auf die USA und die »Amerikanisierung« der industri­ellen Produktions­strukturen im »Dritten Reich«, in: Alf Lüdtke/Inge Marßolek/Adelheid v. Saldern (Hg.), Ame­ri­ka­nisie­rung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1996, S. 37-66, hier S. 41 ff.; Philipp Gassert, Amerika im Dritten Reich. Ideologie, Propaganda und Volksmeinung, Stuttgart 1997, bes. S. 92 f., 149 ff.; Victoria de Grazia, Irresistible Em- 77 das dach des konzerns bereits angesprochenen, nur auf den ersten Blick befremdlich anmutenden libe­ ralen Umgang mit der deutschen Unternehmerschaft überhaupt – sei, so das Credo der führenden Nationalsozialisten, alles zu vermeiden, was auch nur den Anschein einer »bolschewistischen« Zentralwirtschaft erwecke. Verstärkt wurde das marktliberale Credo der führenden Nationalsozialisten, auch das ist bereits angedeutet worden, durch eine sozialdarwinistisch aufgeladene Präferenz für das Prinzip der Konkurrenz, die neben der Makro- und Mikroökonomie im engeren Sinne auch in die politische Sphäre hineingetragen wurde. Die zahllosen »Wettkämpfe«, die die DAF als politische Organisation initiierte, sind ein Ausdruck dieser massiven Präferenz für Kampf und Konkurrenz. Dass man davon innerhalb des DAF-Konzerns nicht abwich, sondern auch hier Rivalitäten tolerierte, weil man auf die dynamischen Effekte von Konkurrenz spekulierte – und lediglich intervenierte, wenn die Dysfunktionalität von Eifersüchteleien und Rivalitäten allzu offensichtlich war –, war nur logisch. Gepaart war dieses – um das sozialdarwinistisch unterschichtete Prinzip der Konkurrenz gebildete – wirtschaftspolitische Credo mit dem Wissen darum, dass betriebs- und volkswirtschaftliche Experten effizienter agieren würden als ideologisch fanatisierte, auf (mit Blick auf moderne Industriegesellschaften) dysfunktionale ständische Konzepte festgelegte Nationalsozialisten. Entsprechend dieser Leitlinie handelten die wirtschaftspolitisch Verantwortlichen auch innerhalb der DAF. Sie ließen den Repräsentanten der einzelnen Unternehmen weitgehend freie Hand und überdies Raum für Rivalitäten, also eine interne Konkurrenz, die im Effekt auf die einzelnen Konzernteile dynamisierend wirkte. Lediglich in Fragen des Kaufs oder Verkaufs ganzer Unternehmen oder größerer Betriebsteile sowie in einigen anderen Fragen grundsätzlicher Natur behielten sich Ley und die TWU das Recht auf letztinstanzliche Entscheidung vor. Eine erhebliche Autonomie billigte die politische Führung der Arbeitsfront den Unternehmensvorständen auch gegenüber den niederen und mittleren Chargen des politischen DAF-Apparates zu. Wie weit diese Selbständigkeit ging, wie selbstherrlich die Vorstände und Werksleiter der im Besitz der DAF befindlichen Unternehmen agieren und in welchem Ausmaß sie sich selbst über Befugnisse der Berliner Zentralämter der Arbeitsfront hinwegsetzen konnten, ohne dass die TWU oder DAF-Spitzenfunktionäre interveniert hätten, zeigt sich beispielsweise in der Souveränität, mit der die Betriebsführung des Volkswagenwerkes mit dem Verwaltungspersonal der Fremdarbeiter-Lager umging: Im Mai 1942 war der Arbeitsfront durch den (kurz zuvor eingesetzten) »Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz« Fritz Sauckel der Gesamtkomplex der so genannten Fremdarbeiter-Betreuung übertragen worden. Die damit verbundenen Kompetenzen liefen darauf hinaus, dass das deutsche Personal der Lagerleitung nicht pire. America’s Advance through Twentieth-century Europe, Cambridge 2005, S. 75 f.; Christiane Eifert, Henry Ford, Antisemit und Autokönig. Fords Autobiographie und ihre Rezeption in Deutschland in den 1920er Jahren, in: Studies in Contemporary History/Zeithisto­ri­sche Forschungen 6 (2009), Heft 2, S. 209-229, bes. S. 227 f. 78 das dach des konzerns nur Mitglied der Arbeitsfront zu sein hatte, sondern vom zuständigen Zentralamt – »für Arbeitseinsatz« – geschult und diesem unterstellt sowie rechenschaftspflichtig war.22 Tatsächlich führte das zuständige DAF-Amt, dies zeigt die Praxis der Fremdarbeiterlager-Ver­waltung in den folgenden Jahren, oft nur nominell die Aufsicht. Während ›normale‹ Großunternehmen nicht generell, aber doch zumeist eng mit dem für die Fremdarbeiter zuständigen DAF-Amt für Arbeits­ einsatz kooperierten, ignorierte die Leitung des größten Produktionsbetriebs der Arbeitsfront, des Volkswagenwerks, geradezu ostentativ die Kompetenzen dieses Berliner Zentralamtes. Selbst die Lagerführer der Fremd­arbeiter-Lager des Volkswagenwerkes wurden von der Werksleitung eingestellt, ohne dass das zuständige DAF-Amt für Arbeitseinsatz vorher konsultiert oder diesem sonstwie ein substantielles Mitspracherecht eingeräumt wurde.23 Ärger von Seiten dieses Amtes, der TWU oder anderer Leitungsorgane des politischen Apparates der DAF handelte sich die Leitung des Volkswagenwerkes damit nicht ein. Personelle Verflechtungen – der Kitt des Wirtschafts­im­pe­riums Noch in einer weiteren Hinsicht spiegelte der Umgang der DAF-Führung mit ihrem Konzern Eigenheiten des NS-Regimes. Die Hitler-Diktatur war kein hierarchisch durchorganisiertes Herrschaftssystem. Als ein charismatisch-poly­ kratisches Regime war sie durch eine hochgradige Personalisierung der Herrschaftsbeziehungen sowie durch eher informelle, netzwerkähnliche Formen der politischen Koordinierung gekennzeichnet.24 Das eigenartige personalistisch angelegte Beziehungsgeflecht auf der Ebene der höchsten Funktionsträger setzte sich innerhalb der »charismatischen Verwaltungsstäbe« fort. In der DAF fand dies seinen Ausdruck in der hegemonialen Stellung der (nach dem Geburtsort Leys benannten) »Waldbröler Clique« um Robert Ley, der Otto Marrenbach, Heinrich Simon, Rudolf Schmeer und andere angehörten,25 die ihrerseits wieder 22 Zur »Fremdarbeiterbetreuung« durch die DAF und ihrer Vorgeschichte vgl. als Überblick: Hachtmann, DAF im Zweiten Weltkrieg, bes. S. 95-102. 23 Vgl. Mommsen/Grieger, Volkswagenwerk, S. 742. 24 Vgl. Hachtmann, Neue Staatlichkeit, S. 70-79; ders./Süß, Kommissare im NS-Herrschaftssystem, S. 22 f.; ders., Elastisch, dynamisch und von katastrophaler Effizienz – Anmerkungen zur Neuen Staatlichkeit des Nationalsozialismus, in: Wolfgang Seibel/ Sven Reichardt (Hg.), Der prekäre Staat. Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M./New York 2011, S. 29-73, hier: 37 f., 41 ff., 54 ff. Die informellen Kommunikations- und Koordinationsstrukturen des NS-Regimes, die in den NSDAPGauleitertagungen und -Reichs­leiter­ta­gun­gen einen markanten Ausdruck fanden und sich allein auf Reichsebene in viele formelle wie informelle Netzwerke verzweigten, fanden auf regionaler Ebene ihre Fortsetzung in den vom jeweiligen NSDAP-Gauleiter einberufenen Tagungen, an denen neben den NSDAP-Kreis- und Ortsgruppenleitern auch die Oberbürgermeister und Landräte teilnehmen; wichtige Informationsbörsen und Koordinationsforen waren außerdem vor allem die diversen Honoratiorenver­ einigungen auf regionaler und lokaler Ebene und andere formelle wie informelle Netzwerke. 25 Zu den genannten Personen vgl. unten. 79 das dach des konzerns weitere fähige und politisch ›verdiente‹ Funktionäre kooptierten. Diese Personen konnten, solange Ley die Hand über sie hielt, innerhalb ihrer Geschäfts­bereiche bzw. Ämter weitgehend nach eigenem Gutdünken schalten und walten. Dass sie sich untereinander oft heftig befehdeten,26 ändert daran nichts; die DAFinternen Rivalitäten waren vielmehr Ausdruck und Folge der polykratischen Binnenstruktur auch der Organisation Deutsche Arbeitsfront. Die ausgeprägte Personalisierung der Leitungsstrukturen der politischen Organisation und der informelle, netzwerkähnliche Charakter der internen Koordination der DAFFührung wirkte sich auch auf die Art und Weise aus, wie das DAF-Wirtschaftsimperium durch die Berliner Zentrale kontrolliert und gelenkt wurde. Die einzelnen Unternehmen des Wirtschaftsimperiums der Arbeitsfront wurden gleichfalls in erster Linie durch ein dichtes personelles Geflecht zusammengehalten. Institutioneller Anknüpfungspunkt dafür war das Gremium des Aufsichtsrates – also das kontrollierende Organ der Aktiengesellschaft als der Unternehmensform, in der die meisten größeren Unternehmen des DAFKon­zerns firmenrechtlich organisiert waren. Dies mag überraschen. Denn der Aufsichtsrat gewann in den Unternehmen der Arbeitsfront nicht deshalb maßgeblichen Einfluss, weil diesem Gremium per Gesetz oder Verordnung eine gegenüber der Weimarer Zeit vergrößerte Machtfülle zukam. Vielmehr war seit dem »Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien« vom 30. Januar 1937 auf der Ebene des nominellen Rechts das Gegenteil der Fall. Tatsächlich freilich war dieses Gesetz mehr eine Richtlinie.27 Dass das NS-Regime nach der Novellierung des Aktienrechts, durch die de jure die Aufsichtsratsvorsitzenden entmachtet wurden, eine ganze Reihe prominenter Ausnahmen zuließ, zeigen die Beispiele Krupp, Siemens oder (Robert) Bosch. Und auch der Tatbestand, dass etwa die Bank der Deutschen Arbeit, das Volks­ wagenwerk oder die Verlage formalrechtlich Aktiengesellschaften waren, sagt über die tatsächlichen Machtverhältnisse, konkret: die Stellung des Aufsichtsrates gegenüber dem Vorstand, wenig aus. Tatsächlich behielten die Aufsichtsräte der DAF-Unternehmen eine zentrale Rolle. Sie besaßen deshalb ein beträchtliches Gewicht, weil in ihnen schlicht Personen von Einfluss saßen – Arbeitsfront-Funktionäre, die innerhalb dieser Massenorganisationen wichtige politische Positionen innehatten.28 Diese hielten die 26 Vgl. exemplarisch Hachtmann, Koloss, S. 44 f. 27 Vgl. Johannes Bähr, Modernes Bankrecht und dirigistische Kapitallenkung. Die Ebenen der Steuerung im Finanzsektor des »Dritten Reiches«, in: Dieter Gosewinkel (Hg.), Wirtschaftskontrolle und Recht in der nationalsozialistischen Diktatur, Frankfurt a. M. 2005, 199-223, hier: S. 211-215; ders., »Corporate Governance« im Dritten Reich. Leitungs- und Kontrollstrukturen deutscher Großunternehmen während der nationalsozialistischen Diktatur, in: Abelshauser u. a. (Hg.), Wirtschaftsordnung, Staat und Unternehmen, S. 61-80, bes. S. 72. 28 Ein 1934 von Ley in seiner Funktion als Reichsorganisationsleiter der NSDAP – und nicht als Chef der DAF – ausgesprochenes Verbot, Aufsichtsratsmandate in wirtschaftlichen Unternehmungen anzunehmen (vgl. Kreutz­müller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 13), galt erstens nicht für die DAF, sondern nur für die Partei und zweitens 80 das dach des konzerns entscheidenden Fäden in der Hand. Ihr Wort hatte Gewicht, ohne dass sie dem durch förmliche Anordnungen Nachdruck verleihen mussten. Durch sie wurden die Aufsichtsräte zu Interventionsorganen der DAF-Führung und der TWU – zu Instanzen, über die sich das Wirtschaftsimperium elastisch, sowie überwiegend erfolgreich, lenken ließ. Die personellen Verknüpfungen wurden zum eigentlichen Bindemittel, das den Konzern der Arbeitsfront zusammenhielt. Die institutionellen Scharniere zwi­schen den nominellen Dachorganisa­tionen des DAF-Wirtschaftsimperiums bzw. den zuständigen Zentralämtern der Arbeitsfront auf der einen und ihren Unternehmen auf der anderen Seite blieben dagegen schwach. Die eigentümliche »Corporate Governance«29 des DAF-Wirtschaftsimperiums korrespondierte mit dem Charakter der Arbeitsfront. Denn »charismatische Verwaltungsstäbe« folgen anderen Organisations- und Kommunikationsprinzipien als traditionelle Massenverbände. Institutionalisierte überpersönliche, als bürokratisch denunzierte Verfahrensregeln und klassisch-verwal­tungs­technische Kontrollmechanismen lehnen die Protagonisten der »charismatischen Verwaltungsstäbe« ab. Sie präferieren stattdessen den unmittelbar persönlichen Kontakt und das pragmatische Handeln der herausragenden einzelnen Persönlichkeit. »Hemdsärmeligkeit in der Handhabung komplexer Systeme und die Ersetzung institutioneller durch personelle Kontakte«, aber auch die Fähigkeit zur »Dauerimprovisation«, haben Mommsen und Grieger denn auch als Grundeigenschaften für die maßgeblichen Lenker des Volkswagenwerkes konstatiert.30 Ob ähnliche Verhaltensmuster ebenso bei den Vorständen anderer großer DAFUnternehmen zu beobachten waren, ist in den folgenden Kapiteln zu untersuchen. Seitens der DAF-Führung jedenfalls wurden sie gewünscht. Und auch das Handeln der Spitzenfunktionäre der Arbeitsfront, die für die Kontrolle und Koordination der Unternehmenspolitiken verantwortlich waren, war von solchen Rollenerwartungen gekennzeichnet. Die personalistisch geprägte »Corporate Governance« des DAF-Wirt­ schaftsimperiums ist folglich nicht als Defizit wirtschaftspolitischen und unternehmerischen Handelns misszuverstehen.31 Zudem war nicht nur die NS-Herrlediglich für kurze Zeit. Drittens war innerhalb der NSDAP umstritten, inwieweit Ley eine solche Anordnung (ohne Zustimmung von Heß) überhaupt aussprechen durfte. Viertens war die Bestimmung vor allem gegen die NSDAP-»Linke« einschließlich der NSBO gerichtet; Ley konnte auf diese Weise etwa den NSBO-Reichsobmann Walter Schuhmann, der bis Frühjahr 1934 u. a. im Aufsichtsrat der Bank der Deutschen Arbeit gesessen hatte, elegant loswerden. 29 Als »Corporate Governance« wird hier das System bezeichnet, »by which companies are directed and controlled«. So die bündige, in den westlichen Industriegesellschaften weitgehend akzeptierte Definition von »Corporate Governance« durch die britische Cadbury-Commission 1992. Nach: Carsten Berrar, Die Entwicklung der Corporate Governance im internationalen Vergleich, Baden-Baden 2001, S. 25. 30 Mommsen/Grieger, Volkswagenwerk, S. 36. 31 Sprunghaftes Verhalten und personalisierte Entscheidungsstrukturen sollten als Spezifikum im Handeln der für die Unternehmen zuständigen DAF-Funktionäre außerdem deshalb nicht überbewertet werden, weil gerade auch charismatische Unternehmer- 81 das dach des konzerns schaft, sondern auch die nationalsozialistische Volkswirtschaft ganz allgemein stärker als ›normale‹ (stabile) Marktwirtschaften von einem sprunghaften Verhalten der zentralen politischen Akteure geprägt, mithin auf Ad-hoc-Regelungen angelegt. Dieser Tatbestand verlangte von den Vorständen der einzelnen Unternehmen die Kunst der Improvisation. Eine ausgeprägte Personalisierung der kommunikativen Beziehungen sowohl innerhalb eines Unternehmens als auch zwischen Unternehmen bzw. zwischen Einzelunternehmen und Mutterorganisation – in unserem Falle der Arbeitsfront –, war hier wesentlich funktionaler als starre institutionelle Regelungen. Innerhalb des Konglomerats an DAFUnterneh­men, die (wie erwähnt) firmenrechtlich meist als Aktiengesellschaften formiert waren, bot sich für diese personellen Vernetzungen der Aufsichtsrat als institutionelles Gefäß an.32 Netzwerke und Networker Ein markantes Beispiel dafür, wie die Unternehmen der Arbeitsfront durch personelle Verflechtungen zusammengehalten und auf die unternehmenspolitischen Ziele Leys und des engeren Führungszirkels der DAF abgestimmt wurden, ist der bereits erwähnte Hans Strauch, als die ab 1938 neben Simon entscheidende Figur innerhalb des Wirtschaftsimperiums der Arbeitsfront. Nicht zuletzt in seiner Person konzentrierten sich zentrale Kontrollfunktionen über die wichtigsten einzelnen Unternehmen der Arbeitsfront. So war Strauch Vorsitzender des Aufsichtsrats aller wichtigen Versicherungsgesellschaften der Arbeitsfront,33 sämtli­cher Verlage der DAF34 und wichtigen Bauunternehmen persönlichkeiten klassischer Couleur gleichfalls oft eine »Hemdsärmeligkeit in der Handhabung komplexer Systeme und die Ersetzung institutioneller durch personelle Kontakte« entwickeln konnten. Allerdings war die Praxis der für den Konzern verantwortlichen Funktionäre des politischen DAF-Ap­parates weit stärker als bei Unternehmenspatriarchen von wirtschaftsfernen, politischen Motiven geprägt. 32 Dass die Aufsichtsratsposten selbst in überschaubaren DAF-Unternehmen üppig dotiert waren, sei nur am Rande vermerkt. So erhielt der vierköpfige Aufsichtsrat des Langen-Müller-Verlages die für damalige Verhältnisse hohe Vergütung zunächst von 20.000 RM, später von 30.000 RM jährlich. Vgl. Meyer, Verlagsfusion, S. 193, 218. 33 Nämlich der Volksfürsorge Lebensversicherungs AG, Hamburg; der Ostmärkischen Volksfürsorge Lebensversicherungs AG, Wien; der Deutscher Ring Versicherungs­ gesellschaften, Hamburg; der Deutscher Ring Transport- und Fahrzeugs-Versicherungs AG, Hamburg; der Deutsche Sachversicherungs AG, Hamburg; der Deutscher Ring Oesterreichische Versicherungsgesellschaften, Wien; der Sudetendeutschen Volksfür­ sorge Lebensversicherungs AG, Aussig, sowie der »Gisela« Deutsche Lebens- und Aussteuer-Versicherungs AG, München. Diese und die folgenden Angaben nach: Wer leitet? Die Männer der Wirtschaft und der einschlägigen Verwaltung 1941/42, Berlin 1942. 34 Konkret des Zentralverlages der Deutschen Arbeitsfront GmbH, Berlin; der Hanseatischen Verlagsanstalt AG, Hamburg; des Verlags des Arbeitswissenschaftlichen Instituts GmbH, Berlin; der Albert Langen/Georg Müller-Verlag GmbH, Berlin; der August 82 das dach des konzerns und Wohnunggesellschaften der Arbeitsfront.35 Bei der Bank der Deutschen Arbeit, der Volkswagenwerk GmbH (Berlin), der Stettiner Vulkan-Werft AG sowie weiteren Wohnungsbauunternehmen36 hatte er den stellvertretenden Vorsitz des Aufsichtsrates inne. Im März 1943 ernannte ihn Ley dann zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Volkswagenwerk GmbH. Innerhalb des »Deutschen Gemeinschaftswerks der DAF GmbH« amtierte er gleichfalls als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender; darüber hinaus besaß er im entstehenden Einzelhandelskonzern der Arbeitsfront ab 1940 auch in seiner Rolle als stellvertretender »Bevollmächtigter der DAF zur Anpassung der verbrauchergenossenschaftlichen Einrichtungen an die kriegswirtschaftlichen Verhältnisse« eine führende Position. Zudem übernahm Strauch innerhalb der einzelnen Branchen, in denen die großen DAF-Unternehmen tätig waren, maßgebliche verbands- bzw. institutionenpolitische Funktionen, vor allem im Baugewerbe. So wurde er Ende März 1941 nicht nur »Bevollmächtigter für die städtebaulichen Maßnahmen im Gebiet der Stadt des KdF-Wagens«, sondern überdies Vorsitzender des Verwaltungsrates des deutschen gemeinnützigen Wohnungswesens. Als Leiter der Abteilung III nahm er auch beim »Reichskommissar für sozialen Wohnungsbau« eine führende Position ein. Außerdem gehörte er dem Reichsversicherungsausschuss als Mitglied an. Strauch förmlich übergeordnet war Heinrich Simon. Simon war seit der Neuorganisation der DAF Anfang 1938 nominell Hauptgeschäftsführer der »Treuhandgesellschaft für die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF«, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Bank der Deutschen Arbeit (bis 25. März 1943), der Volkswagenwerk GmbH, der Deutschen Groß-Einkaufs GmbH sowie des Deut­schen Gemeinschaftswerks – und ließ sich in diesen Funktionen (wie beschrieben) nicht nur nominell, sondern auch faktisch meist von Strauch vertreten. Darüber hinaus hatte Simon noch weitere zentrale Funktionen akkumuliert. Seine enge Vertrauensstellung zu Ley fand darin ihren Ausdruck, dass dieser ihn im September 1932 zum Adju­tanten in seiner Funktion als Reichsinspekteur der Pries GmbH, Leipzig; der Wiener Weltmoden Verlag GmbH, Wien, sowie der Buchdruckerwerkstätte in Berlin GmbH. 35 Nämlich der Deutsche Bau AG, Berlin; der Bau- und Betreuungsgesellschaft der DAF, Berlin; der GEHAG; der »Heimat« Gemeinnützige Bau- und Siedlungsbau AG, Berlin; der Allgemeinen Hausbau- und Gründstücksgesellschaft der DAF in der Stadt des KdF-Wagens GmbH, bei Fallersleben; der »Neuland« Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft GmbH, ebd.; der Baustoffwerke Teupitz GmbH, Berlin; der »Neue Heimat« Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungs­gesellschaft der DAF GmbH, in den Gauen Steiermark/Graz, Kärnten/Klagenfurt, Oberdonau/Linz, München-Oberbayern/ München, »Wartheland«/Posen, Salzburg/Salz­burg, Schwaben/Augsburg, Wien und Niederdonau/Wien sowie der Sonderbau GmbH der DAF, Berlin. 36 Es waren dies die »Heimat« Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft der DAF GmbH Danzig-Westpreußen/Danzig, Tirol-Vorarlberg/Innsbruck sowie die Vorarlberger Gemeinnützige Wohnungsbau und Siedlungsgesellschaften mbH, Dornbirn/»Ostmark«. Darüber hinaus saß er in einigen Aufsichtsräten von Unternehmen, die nicht der DAF gehörten, z. B. der Deutsche Bau- und Boden AG, Berlin. 83 das dach des konzerns NSDAP bzw. zwei Jahre später, ab Novem­ber 1934, dann zu seinem Stabsleiter in seiner Funktion als Reichsorganisationsleiter der NSDAP machte. Wichtig in dem hier interessierenden Zusammenhang ist, dass Simon von Februar 1938 an die »Zentralstelle für die Finanzwirtschaft« der DAF leitete und als Hauptgeschäftsführer auch in der Vermögensverwaltung der Deutschen Arbeitsfront GmbH das Sagen hatte. Schließ­lich war Simon ab November 1940 stellvertretender »Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau« bzw. ab Oktober 1942 für ein gutes Jahr stellvertretender Reichswoh­nungs­kom­mis­sar, d. h. auch in diesem politisch wie unternehmerisch wichtigen Sektor neben Ley – der aus unterschiedlichen Gründen während des Krieges nur partiell handlungsfähig war – der wichtigste Mann. Während Simon wirtschaftspolitisch innerhalb der Arbeitsfront die zentrale Stellung innehatte, besaß Otto Marrenbach organisationspolitisch die entscheidende Position.37 Als (ab 1934) Chefadjutant Leys und als Leiter des (Haupt-) Personalamtes der NSDAP wie der DAF war er der entscheidende Rivale Simons. Beide befehdeten sich heftig. Ley beendete diesen Machtkampf bis 1945 nicht. Während Simon im Zuge der Organisationsreform Anfang 1938 die genannten wirtschaftspolitischen DAF-Funktionen erhielt, wurde Marrenbach zum Geschäftsführer der Arbeitsfront ernannt. Damit waren die zentralen Arbeitsbereiche zwischen den beiden »Stellvertretern« Leys wenigstens grob voneinander abgegrenzt. Marrenbach erhielt freilich zusätzlich ein auch wirtschaftspolitisch wichtiges Amt, als ihm am 30. Dezember 1938 die Leitung der DAF-»Ver­ bindungsstelle für den Vierjahresplan« übertragen wurde. In den einzelnen Unternehmen der Arbeitsfront hat Marrenbach dagegen keine Rolle gespielt und ein Aufsichtsrats- oder gar Vorstandsmandat zu keinem Zeitpunkt wahrgenommen. Ein personelles Bindeglied von annähernd ähnlichem Kaliber wie Simon und Strauch war der bereits erwähnte Bruno Raueiser. Er übernahm Mitte Januar 1937 die Leitung des Referats »Sozialversicherung« in dem von Simon geleiteten Stabsamt der DAF. Raueiser hatte es offensichtlich Simon zu verdanken, dass er in den Folgejahren rasch Karriere machte. Noch vor Kriegsbeginn avancierte er zum Geschäftsführer und stellvertretenden Leiter der »Zentralstelle für die Finanzwirt­schaft« in der DAF. Auch er saß in zahlreichen Aufsichtsräten. So war er seit Ende der dreißiger Jahre stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des Zentralverlages der Deutschen Arbeitsfront GmbH, der Dianabad AG – einer riesigen Kur- und Freizeitanlage in Wien – der Deutschen Wirtschaftsprüfungsund Treuhand­gesellschaft mbH und ab 1940 der für den DAF-Baukonzern zentralen Sonderbau GmbH. Darüber hinaus gehörte er als einfaches Mitglied dem Aufsichtsrat der Bank der Deutschen Arbeit sowie allen Versicherungsun37 Marrenbach (1899-1974), in Bröl bei Waldbröl – also Leys unmittelbarer Heimat­ region – geboren, hatte eine kaufmännische Lehre absolviert und war von 1921 bis 1928 in verschiedenen Firmen der Stahlwaren- und Elektrobranche beschäftigt. Er war wie Simon früh in die NSDAP eingetreten; auch er kannte Ley seit Mitte der zwanziger Jahre. 84 das dach des konzerns ternehmen, ferner den großen Verlagen der DAF,38 weiteren Bauunternehmen, der Stettiner Vulkan-Werft AG, der Volkswagenwerk GmbH und, ab 1941, des Gemeinschaftswerks der Deutschen Arbeitsfront an. Auch der Wirtschaftsexperte Claus Thormählen, von 1938 bis 1945 unter Strauch Geschäftsführer der Treuhandverwaltung der Wirtschaftsunternehmungen der DAF und ab März 1941 maßgeblich am Aufbau des Deutschen Gemeinschaftswerkes beteiligt,39 war für zahlreiche Aufsichtsräte mandatiert, darunter die aller größeren Verlage, der Deutschen Bau AG und der Stettiner Vulkan-Werft. Ein anderer wichtiger Funktionär, der den monetären Sektor der DAF (Banken und Versicherungen) über Vorstands- bzw. Kontrollfunktionen verklammerte, war Rudolf Lencer.40 Lencer, ab dem 26. Januar 1934 (bis 1945) Leiter der Reichsbetriebsgemeinschaft bzw. des Fachamtes »Banken und Versicherungen« der DAF, war ab Januar 1938 Mitglied des Vorstandes, dann seit Januar 1943 Vorstandsvorsitzender der Bank der Deutschen Arbeit. Daneben saß er im Aufsichtsrat der Volksfürsorge Lebensversicherung AG, der Deutscher Ring Lebensversicherung, der Deutscher Ring Transport- und Fahrzeugversicherungs AG, der Deutsche Sachversicherungs AG und außerdem der Ostdeutsche Privatbank AG (Danzig), einer Tochtergesellschaft der Arbeitsbank. Darüber hinaus gehörte er ab 1937 den Aufsichtsräten des Beamtenversicherungsvereins des deutschen Bank- und Bankiergewerbes a.G. (Berlin) sowie der Vereinigten Textilwerke AG (Hannover) an. Komplettiert wurden seine unternehmens­ politischen Funktionen dadurch, dass er in den Beirat und den Kreditausschusses der Deutschen Reichsbank aufgenommen wurde und Mitglied des Reichs­ versicherungsausschusses sowie der Akademie für Deutsches Recht war. Obwohl Carl Rosenhauer – der wie Lencer bis 1933 berufliche Meriten als Bankmanager der mittleren Ebene gesammelt hatte – den Vorsitz der Bank der Deutschen Arbeit von 1935 bis zu seinem Tod Anfang 1943 innehatte, war Lencer bereits seit 1938/39 die entscheidende Persönlichkeit in dem DAF-Geldinstitut. Auch Ro38 Neben den Aufsichtsräten der Hanseatischen Verlagsanstalt und des Albert Langen/ Georg Müller-Verlags saß Raueiser auch im Aufsichtsgremium der Verlags-GmbH »Freude und Arbeit« sowie der Wiener Weltmoden Verlag AG. Ein Aufsichtsratsmandat besaß Raueiser außerdem für die wichtige Deutsche Bau-AG und die »Neue Heimat«, Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft der DAF in der Ostmark GmbH/Wien. 39 Thormählen (1901-?) hatte 1927 als Volkswirt an der Universität Rostock promoviert. 40 Lencer (1901-?), gleichfalls ein »Alter Kämpfer«, hatte wie viele andere der wirtschaftspolitisch einflussreichen DAF-Funktionäre eine Banklehre absolviert und langjährige Erfahrungen als Bankangestellter gesammelt. Lencer kam aus den Reihen der NSBO, hatte seit 1930 als Redakteur verschiedener NS-Zeitungen und -Zeitschriften gearbeitet und war 1933/34 NSDAP-Stadt- und Bezirksverordneter sowie kurzzeitig auch Stadtrat im Berliner Bezirk Treptow. Ende April 1933 avancierte er zum Vorsitzenden des Deutschen Bankbeamten-Vereins, Anfang Mai 1933 zum NSBO-Beauftragten für die Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaf­ten; außerdem fungierte er als Leiter der Organisationsabteilung des »Gesamtverbandes der Deutschen Arbei­ter« sowie als Reichs­ betriebszellenleiter der Großbanken und -versicherungen in der Obersten Leitung der NSBO. 85 das dach des konzerns senhauer gehörte zahlreichen Aufsichtsgremien von Unternehmen der Arbeitsfront an; so war er stellvertretender Aufsichts­ratsvorsitzender der Gesellschaften des DAF-Versicherungskon­zerns, ferner der Allgemeinen Baugesellschaft Lenz & Co. (Kolonialge­sellschaft, Berlin) und Vorsitzender des Aufsichtsrats der Deutsches National-Theater AG, Berlin.41 Wie der Mechanismus personeller Verflechtungen über die Verknüpfung der Mitgliedschaft in Aufsichtsräten mit denen politischer Ämter innerhalb der Arbeitsfront funktionierte, lässt sich auch am Beispiel Gustav Bähren demonstrieren. Bähren leitete das DAF-Rechts­amt vom September 1933 bis zu seinem Tod im März 1944.42 Er saß daneben in zahlreichen Aufsichtsräten, u. a. der Bank der Deutschen Arbeit, der Volkswagenwerk GmbH, aller großen Versicherungen der Arbeitsfront und der Hanseatischen Verlagsanstalt. Bemerkenswert ist, dass Bähren ab 1937, also bevor die DAF erneuten Zugriff auf die Konsumgenossenschaften erhielt, außerdem im Aufsichtsrat der Großeinkaufs GmbH (Hamburg) saß; dies kann als Indiz dafür gewertet werden, dass die Verbindung zwischen DAF und Verbrauchergenossenschaften zwischen 1936 und 1940, nachdem die Arbeitsfront ihren zunächst großen Einfluss auf den ›Konsum‹ verloren hatte, nicht gänzlich abriss. Eine gleichfalls große Zahl von Aufsichtsratsmandaten in DAF-Unternehmen hielten auch die erwähnten Halder 43 und Ludwig Bierlein.44 Bis zum personellen 41 Rosenhauer (1881-1943) hatte gleichfalls Erfahrungen im Bankfach gesammelt. Der NSDAP trat er erst Anfang Mai 1933 bei. Über die genannten Funktionen hinaus war er außerdem Mitglied im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft für Verkehrswesen (Berlin), der Braunschweig-Hannoverschen Hypothekenbank (Hannover), der Georg Fromberg & Co. AG (Berlin), der Mecklenburgischen Kredit- und Hypothekenbank, Neustrelitz, sowie der Stettiner Portland-Zementfabrik, Züllchow/Pommern. 42 Bähren (1896-1944), ein promovierter Jurist und seit 1919 als Rechtsanwalt und Notar tätig, galt als »eines der dienstältesten Mitglieder des Bundes Nationalsozialistischer Juristen«; auch er wurde allerdings erst Anfang Mai 1933 NSDAP-Mitglied. Er saß neben den genannten Funktionen ab Mitte der dreißiger Jahre dem Präsidium der Ferienheime für Handel und Industrie (Wiesbaden) vor. Sein Nachfolger in dieser Funktion wurde A. Halder. 43 Halder (Anm. 4), der als Leiter des Etat- und Verwaltungsamtes sowie des Prüfungsamtes der DAF stärker als Strauch oder auch Bierlein organisationspolitische Funktionen wahrnahm, gehörte seit 1935 dem Aufsichtsrat der Arbeitsbank an und fungierte seit 1938 als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des DAF-Geldinstituts. Darüber hinaus saß er im Aufsichtsrat des Langen-Müller-Verlags und der Volkswagenwerk GmbH sowie einiger Unternehmen, die nicht im Besitz der Arbeitsfront waren, nämlich der Bremer Volks- und Sparbank AG, der Frankfurter Boden AG (die beide ihren Sitz in Berlin hatten), der Hamburg-Bremer Rückversicherungs AG und der Deutscher Veranstaltungsdienst GmbH. 44 Bierlein (1909-?), der gleichfalls Erfahrungen als Bankangestellter gesammelt hatte, ehe er Karriere innerhalb der DAF machte, und Anfang April 1931 in die NSDAP eingetreten war, fungierte ab Febr. 1938 als Stellvertreter Strauchs nicht nur in der TWU, sondern auch als stellv. Vorsitzender des Aufsichtsrates der Deutsche Bau AG (Deubau). Er saß in den Aufsichtsräten sämtlicher »Neue Heimat«-Gesellschaften sowie der weiteren DAF-Wohnungsbau­ge­sell­schaften, nämlich der GEHAG, »Einfa«, GEWO- 86 das dach des konzerns Revirement 1938 hatten außerdem Brinckmann und Boltz Aufsichtsratsmandate in mehreren wichtigen DAF-Unternehmen inne, bis zu seiner Ablösung Mitte 1935 auch der anfangs in wirtschafts- und finanzpolitischen Dingen ›star­ke Mann‹ Karl Müller. Rudolf Schmeer, der neben Simon und Marrenbach engste Vertraute Robert Leys, besaß innerhalb der DAF gleichfalls beträchtlichen wirtschaftspolitischen Einfluss, weil er die Verbindung zu den einschlägigen politischen Institutionen sicherstellte. So war er von 1936 bis Ende 1938 Leiter der Zentralstelle der DAF für den »Vierjahresplan«, von 1938 bis Herbst 1942 Ministerialdirektor und Leiter der Hauptabteilung III im Reichswirtschaftsministe­ rium, danach in derselben Stellung (für »Sonderaufgaben«) im Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion; ab Juni 1944 fungierte er als Leiter der Behörde des Reichswohnungskommissars und offizieller Stellvertreter des Reichswohnungskommissars.45 BAG, »Neuland. Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft der DAF in der Stadt des KdF.-Wagens GmbH« sowie der »Allgemeine Hausbau- und Grundstücksgesellschaft mbH« ebd., außerdem der »Bauhilfe der Deutschen Arbeitsfront für den sozialen Wohnungsbau GmbH« (Berlin), der Bau- und Betreuungsgesellschaft mbH, Berlin, der Kärntner Ziegelwerke Völkermarkt GmbH (Klagenfurt) und der Sonderbau GmbH der DAF. Darüber hinaus saß auch er in den Aufsichtsräten wichtiger Versicherungsgesellschaften der DAF, der Deutsche National-Theater AG und des Langen-Müller-Verlages. Zu nennen ist außerdem Heinz Reitbauer (1899-?). Er war bereits 1920 das erste Mal der NSDAP beigetreten und gehörte seit 1938 dem Vorstand der Arbeitsbank an. Reitbauer stellte innerhalb des Vorstandes der Arbeitsbank durch seine Aufsichtsratstätigkeit in der Westbank N.V. (Banque de l’Ouest S.A.) sowie der Bank voor Nederlandschen Arbeid N.V. die geschäftliche Koordination mit den wichtigsten westeuropäischen Tochtergesellschaften des DAF-Geldinstituts sicher. Daneben saß er auch im Aufsichtsrat der Düsseldorfer Eisenhüttengesellschaft (Ratingen). Adolf Geyrhalter (1899-?), von 1928 bis 1937 leitender Angestellter der Bayerischen Gemeindebank, der Anfang 1938 in den Vorstand der Arbeitsbank gewechselt war, saß außerdem seit 1938 im Aufsichtsrat des Volkswagenwerkes. 45 Darüber hinaus war Schmeer (1905-1966) in den letzten Kriegsjahren Leiter der Zentralstelle für Berichtswesen im Amt Bau der Organisation Todt, mithin die entscheidende Kontaktperson der DAF zu dieser vor allem im kriegswichtigen Tiefbau sehr wichtigen, nach dem Anfang 1942 bei einem Flugzeugunglück verstorbenen ersten Rüstungsminister Fritz Todt benannten Organisation. Schmeer war 1923 bzw. 1925 der NSDAP beigetreten; ab 1926 gehörte er zum Kreis der engsten Vertrauten Leys und vertrat diesen auch offiziell zeitweilig als NSDAP-Gauleiter für Köln-Aachen. Dem Aufsichtsrat der DAF-Bank gehörte er von 1935 bis 1938 an. Ab Ende der dreißiger Jahre (oder früher) hatte er außerdem Mandate in den Aufsichtsgremien des Deutschen Museums/ Mün­chen – eine eher symbolische Funktion – sowie der Ruhrtalsperrengesellschaft mbH./Aachen inne. Johann Wilhelm Ludowici (Kapitel 7, S. 441, Anm. 51), neben anderen Funktionen von Mai 1934 bis Februar 1937 Leiter des DAF-Heimstättenamtes, und Ernst v. Stuckrad (ebd., S. 432, Anm,. 24) wiederum, als Nachfolger Ludowicis bis März 1939 Leiter des DAF-Heimstättenamtes, hielten Mandate in den Aufsichtsräten aller größeren überregionalen Wohnungsbaugesellschaften der Arbeitsfront, nicht dagegen in DAF-Un­ternehmen außerhalb dieses Wirtschaftszweiges. Ludowici saß außerdem in den Aufsichtsräten von Unternehmen, die nicht der DAF gehörten: als Vorsitzender im Aufsichtsrat der Bürgerbräu Ludwigshafen AG und als einfaches Mitglied 87 das dach des konzerns Eine weitere zentrale Figur innerhalb des wirtschaftspolitischen Bereichs der DAF, die die Unternehmen der Arbeitsfront personell verklammerte, war Bodo Lafferentz.46 Lafferentz, der von Anfang 1929 bis November 1933 Justitiar und Mitglied der Geschäftsführung der Vereinigung Deutscher Ar­beitgeberverbände gewesen war und Anfang der dreißiger Jahre außerdem kurzzeitig dem Vorstand der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung angehört hatte, leitete ab November 1933 das Amt »Reisen, Wandern und Urlaub«, ab Januar 1938 dann die Gesamtorganisation »Nationalsozialistische Gemeinschaft ›Kraft durch Freude‹«. Vor dem Hintergrund der organisatorischen Fähigkeiten, die Lafferentz als Leiter des für den Massentourismus zuständigen KdFAmtes unter Beweis gestellt hatte, wurde er nach Kriegsbeginn zum »Reichsbeauftragten für die Bergung« ernannt. Seit Februar 1937 fungierte er als Leys persönlicher Beauftragter in der ›Volkswagen-Frage‹. In der Folgezeit bestimmte Lafferentz als Geschäftsführer und Gesellschafter des Volkswagenwerkes wesentlich die Geschicke des bei Fallersleben gelegenen Automobilwerkes der Arbeitsfront. Daneben leitete Lafferentz die Forschungs- und Verwertungs GmbH der DAF. Eine für die Vernetzung der DAF-Unternehmen über die Akkumulation von Aufsichtsratsmandaten wichtige Rolle spielte außerdem der nach Kriegsbeginn als stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Arbeitsbank eingesetzte August Chris­toffel.47 Zumindest punktuell stärkten noch andere DAF-Manager die skizzierten Vernetzungen innerhalb des Unternehmenskonglomerats der Arbeitsfront, vor allem Vorstandsmitglieder der Arbeitsbank,48 nicht dagegen im Aufsichtsrat der Deutschen Klinker- und Ziegelwerke AG, Meerholz. Beide Funktionen übernahm der als Dr.-Ing. promovierte Ludowici, der auch persönlich haftender Gesellschafter eines eigenen Unternehmens, des in den zwanziger Jahren von seinem Vater übernommenen und nach 1945 erfolgreich fortgeführten Bauunternehmens Carl Ludowici KgaA./Jockgrim war, allerdings erst, nachdem er als Leiter des DAF-Reichs­ heim­stättenamtes zum Rücktritt gezwungen worden war. 46 Lafferentz (1897-1974), ein promovierter Jurist und in zweiter Ehe mit Verena Wagner, der Enkelin Richard Wagners, verheiratet, trat erst Anfang Mai 1933 der NSDAP bei. 47 Christoffel (1894-?) war seit Ende der dreißiger Jahre Mitglied des Aufsichtsrates der Diskont- und Kredit Bank AG, der Neue ABC-Waren-Kredit AG und der Deutsche National-Theater AG. Außerdem gehörte er den Aufsichtsgremien der Bauhilfe der DAF für den sozialen Wohnungsbau GmbH, der GEHAG sowie der »Heimat« Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft der Deutschen Arbeitsfront AG (alle Berlin) an. 48 Zu nennen sind hier Geyrhalter, Reitbauer (Anm. 44) oder auch Sebastian Kratzer. Der promovierte Jurist Kratzer (1896-?), ursprünglich Rechtsanwalt sowie Bankdirektor und seit Sommer 1929 NSDAP-Mitglied, fungierte neben seiner Vorstandstätigkeit in der Arbeitsbank von Mai 1933 bis Sommer 1935 als ordentliches Mitglied des Vorstandes und Direktor der Volksfürsorge Lebensversicherung, ehe er infolge eines Parteigerichtsverfahrens aus dieser Funktion ausschied. Nach seinem Ausscheiden aus den Diensten der Arbeitsfront wurde er für die Konkurrenz der DAF-Versicherungsgesellschaften aktiv, nämlich als Vorstandsmitglied der Internationale Unfall- und Schadenversicherungs AG/Wien und als Mitglied des Aufsichtsrates der Allgemeine Feuerassekuranz AG/Berlin. 88 das dach des konzerns die führenden Manager der Versicherungsgesellschaften und der Verlagshäuser der DAF. Letztere saßen meist in den Aufsichtsräten der Verlage bzw. Versicherungsunternehmen, die sie nicht selbst als Vorstände führten – und stellten auf diese Weise die vertikale Verflechtung der DAF-Unter­neh­men in den beiden genannten Branchen sicher. Was für die vorgenannten Personen auf Reichsebene zu beobachten ist – dass sie als personelle Scharniere das DAF-Wirtschaftsimperium oder wenigstens größere Teile desselben über Aufsichtsratsposten oder vergleichbare Ämter mit jeweils politischen Funktionen innerhalb der Organisation Deutsche Arbeitsfront verklammerten –, gilt eingeschränkt auch für die Bezirksebene, und zwar für die dort höchsten Funktionäre, die Gauob­män­ner der Arbeitsfront. Sie stellten die Verzahnung der regionalen Organisation der Arbeitsfront mit den Unternehmen des jeweiligen DAF-Gaues sicher. Einzelne der DAF-Gauobmänner konnten sich dabei zu Gaufürsten mit erheblichem, auch wirtschaftspolitischem Einfluss entwickeln, z. B. der Hamburger DAF-Gauobmann Rudolf Habedank, der von 1933 bis 1939 als »Treuhänder« der Volksfürsorge eine wichtige Rolle in diesem Versicherungsunternehmen spielte und danach Vorsitzender des Aufsichtsrates der »›Neue Heimat‹ Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft der DAF, Gau Hamburg« wurde.49 Im Unterschied zu den oben vorgestellten Personen aus der Berliner Zentrale erstreckte sich der wirtschaftspolitische Einfluss der Gau­ob­leute der Arbeitsfront überwiegend freilich lediglich auf ein Segment des Wirtschaftsimperiums der Arbeitsfront, nämlich auf den Baukonzern der Arbeitsfront und hier vor allem auf die Gesellschaften der »Neuen Heimat«. Bleibende Defizite in der internen Vernetzung Die nach einer chaotischen und von Korruption und Nepotismus geprägten Anfangsphase ab 1938 zunehmend eingespielten und relativ elastischen Lenkungsorgane der Holding der Arbeitsfront trugen dazu bei, dass die Geschichte des DAF-Konzerns, aller Sprunghaftigkeit Leys und dadurch bedingter Belastungen des Konzerns zum Trotz, bis etwa 1942 in weiten Teilen als Erfolgsgeschichte gelten kann. Die relativ großen Freiräume, die die einzelnen Unternehmen genossen, nachdem Hans Strauch die Leitung der Treuhandgesellschaft für die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF übernommen hatte, waren funktional nicht zuletzt in dem Sinne, dass sie ein kurzfristiges Reagieren auf die sich im Krieg schnell verändernden Konstellationen erleichterten. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass gravierende interne Kommunikationsdefizite blieben und der DAF-Konzern in den letzten Kriegsjahren schließlich sogar Gefahr lief, in seine Einzelteile zu zerfallen. Welcher Art diese Defizite waren, trat Anfang 1944 mit einiger Schärfe hervor. Am 25. Februar 1944 fand in München eine von Robert Ley und Otto 49 Habedank (1893-?), seit 1929 NSDAP-Mitglied, seit 1933 Hamburger Stadtrat, hatte seit 1931 die NSBO geführt, ehe er dann 1934 Gauobmann der Arbeitsfront wurde. 89 das dach des konzerns Marrenbach als dem Geschäftsführer der Arbeitsfront einberufene, interne Besprechung statt. An dieser Besprechung nahmen neben Ley und Marrenbach außerdem dessen Bruder Fritz Marrenbach als weiteres Mitglied aus der in der DAF tonangebenden »Waldbröler Clique« sowie Direktor Josef Lidl von der Münchner Zweigniederlassung der Arbeitsbank, Bezirksdirektor Zapf von der Münchner Volksfürsorge und Krohn von der Münchner Filiale der Deutscher RingVer­si­cherung teil.50 Nicht anwesend waren Hans Strauch, Heinrich Simon oder einer der anderen führenden Verantwortlichen für den DAF-Gesamtkonzern bzw. die Wirtschaftspolitik und die Finanzen der Arbeitsfront.51 Ley begann die Besprechung, indem er die Frage stellte, »ob die leitenden Herren der verschiedenen wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF persönliche Fühlung unter sich halten bezw. [wenigstens] in gewissen Zeitabständen, etwa alle 4 Wochen, zusammenkommen« und sich in den regionalen Angelegenheit des Konzerns untereinander koordinierten. Als »diese Frage keine Bejahung erfahren konnte, wurde dies von Herrn Dr. Ley mit ersichtlich starkem Befremden aufgenommen.« Ley echauffierte sich, er halte »einen solchen Zustand für undenkbar«; er »unterstrich« mehrfach und »mit starker Betonung die Unhaltbarkeit dieses Zustandes«. Der Chef der Arbeits­front, der sich von seinen Untergebenen – nicht zuletzt Strauch und Simon – schlecht informiert fühlte, gab »klar zu erkennen, dass dies geändert werden« müsse, schon »weil er sich nicht jedes Mal die einzelnen Herren von den verschiedenen Unternehmungen rufen lassen könne und möchte, sondern dass eben hier irgendwo anders eine Stelle bezw. eine Person ihm zur Verfügung stehe, wenn dieselbe in dem einen oder anderen Falle von ihm benötigt werde.« Diese Protokollauszüge sind aufschlussreich: Auf der zentralen Ebene, d. h. dadurch dass die Aufsichtsräte aller wichtigen DAF-Unter­nehmen mit denselben DAF-Leuten besetzt waren, mögen die einzelnen Konzernteile untereinander relativ effizient koordiniert gewesen sein – obwohl nach den Aus­lassungen Leys vom Februar 1944 auch hier Skepsis angebracht ist. Auf der regionalen und lokalen Ebene dagegen arbeiteten die verschiedenen Unternehmen teilweise völlig unverbunden nebeneinander her. Der Direktor der Münchner Dependance der 50 F. Marrenbach (1896-1967), in Bröl (bei Waldbröl/Rheinland), d. h. der Heimatregion Leys geboren, war im Juni 1928 in die NSDAP eingetreten, seitdem wie sein Bruder ein enger Vertrauter Leys und zudem Kreisleiter der NSDAP im Oberbergischen Kreis (Köln-Aachen; seit Okt. 1930 hauptamtlich). Seit Okt. 1940 leitete er das Hauptpersonalamt in der Reichsorganisationslei­tung der NSDAP. Lidl (1883-?) war einer der wichtigeren Münchner NS-Honoratioren; er saß im Vorstand des »Biologischen Krankenhauses« der bayerischen Hauptstadt und im Verwaltungsrat der Deutschen Beamtenversicherung, hatte den Aufsichtsratsvorsitz der Johann Horn AG inne und gehörte ferner dem Arbeitsausschuss »Banken« der Reichsgruppen Banken und Versicherungen an. Zu den erwähnten Münchner Versicherungsmanagern Zapf und Krohn liegen keine biographischen Angaben vor. 51 Dies und das Folgende nach: Aktennotiz von Krohn (Deutscher Ring, München) vom 26. Febr. 1944 über eine Besprechung vom 25. Febr. 1944, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 84. 90 das dach des konzerns Deutscher Ring-Ver­sicherung Krohn sah darin, wohl zu Recht, ein Versäumnis der Berliner Zentrale der Arbeitsfront und der dortigen Unternehmensverwaltung. In der Reichshauptstadt sei bisher offenbar »nicht daran gedacht worden, eine Stelle zu schaffen, die in der Lage ist, Herrn Dr. Ley im vorkommenden Falle über die Organisation der DAF-Unterneh­mun­gen zu unterrichten.«52 Auch wenn Namen nicht genannt wurden: Faktisch adressiert war dieser Vorwurf an die TWU und dessen Leiter Hans Strauch, der neben Heinrich Simon für den von Ley gegeißelten Missstand verantwortlich zeichnete. Die Reaktion Strauchs ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert und soll deshalb gleichfalls ausführlicher zitiert werden.53 Die am 25. Februar 1944 zur Sprache gekommene Angelegenheit hätte, so fürchtete Strauch, »bei der bekannten derzeitigen Verfassung des Reichsleiters [d. h. Leys] bald insofern zu unangenehmen Konsequenzen geführt, als der Reichsleiter im ersten Moment verlangte, dass die Gausachwalter [der NSDAP] unter Hebung ihrer Stellung ein Mandat bekommen sollten, das ihnen sogar Eingriffe in die Wirtschaftsgebarungen der Unternehmungen ermöglicht hätte.« Diese sollten »Funktionen« erhalten, die ihnen nach Ansicht Strauchs »keinesfalls zustehen können«. Danach folgte so etwas wie ein Offenbarungseid: »Das Problem der engeren Verbindung zwischen den massgebenden Herren unserer wirtschaftlichen Unternehmungen in den Gauhauptstädten ist so alt wie bisher ungelöst.« Zum Eklat wie in München käme es, weil einzelne Akteure, »wie in diesem Fall Direktor Lidl von der Bank«, glaubten, ihre Sonderinteressen »mit Hilfe des Doktors«, d. h. Leys, besser »zur Geltung bringen« zu können.54 Die Angelegenheit sei »im ersten Stadium abgebogen. Das entbindet mich jedoch nicht von der Pflicht, wenigstens dafür zu sorgen, dass für die Folge beim Reichsleiter nicht der Eindruck entstehen kann, dass sich die verschiedenen massgeblichen Herren bei den wirtschaftlichen Unternehmungen überhaupt nicht kennen.« 52 Ebd. 53 Strauch an den Vorstandsvorsitzenden und Generaldirektor der Deutscher Ring-Versicherungen Rudolf Kratochwill vom 9. März 1944, in: ebd. 54 Lidl hatte sich während der Besprechung heftig darüber beschwert, dass die Bezirksdirektion München der Volksfürsorge Lebensversicherung kein Konto bei der Bank der Deutschen Arbeit, sondern ein Postscheckkonto unterhalte, auf dem die Prämieneinnahmen der Münchner Versicherten gesammelt werden. Auch der Münch­ner Gemeinschaftsversorgungsring als der bezirkliche Verband des Deutschen Gemeinschaftswerkes tätige nur einen kleinen Teil seiner Geldgeschäfte über die Arbeitsbank. Ebenso arbeiteten die in den ersten Kriegsjahren zur sozialpolitischen Betreuung kleinerer Unternehmen und Handwerksbetriebe gegründeten »Sozial-Gewerke« der DAF seit dem 1. Okt. 1942 nicht mehr mit der Arbeitsbank, sondern mit der Oberbayerischen Volksbank zusammen. Diese Vorwürfe wiederholte Lidl auch in einem Schreiben an Strauch vom 15. März 1944, in: ebd. Vgl. auch Kapitel 3, S. 123. Strauch seinerseits reagierte eher lahm. Er wies die Kritik Lidls halbherzig zurück, musste gegenüber Kratochwill ihre Berechtigung jedoch zugeben und unterstrich deren politisches Gewicht nicht zuletzt durch die Anordnung, die er wenig später zur Verbesserung der internen Kommunikation herausgab. 91 das dach des konzerns Strauch machte unmissverständlich deutlich, dass es sich bei den von Ley angesprochenen internen Kommunikationsdefiziten um ein chronisches, strukturelles Problem handelte, wie es offenbar auch anderswo bestand. Aufschlussreich ist die schriftliche Äußerung Strauchs außerdem, weil er dort in einer für hohe DAF-Funktionsträger – die bei unverblümter Kritik an Ley sofortige und scharfe Sanktionen zu befürchten hatten – bemerkenswerten Offenheit ein Schlaglicht auf die physische und psychische Verfassung Leys, dessen alkoholismus- und depressionsbedingte Ausfälle wirft. Schließlich (auch das wird überdeutlich) hatte Strauch vor allem Angst um seinen eigenen Stuhl – und sah sich deshalb umgehend zum Handeln gezwungen. »Um zu verhindern, dass schliesslich eine Anordnung des Doktors [d. h. Leys] ohne weiteres Befragen der zuständigen Amtsleiter ergeht«, in der der Leiter der Arbeitsfront die NSDAP-Gau­sach­walter mit der Kontrolle der regionalen DAF-Unternehmen beauftrage, »muss nun irgend etwas getan werden, was ja auch schliesslich im Interesse der Sache ist«, so eine weitere bemerkenswerte Formulierung Strauchs. Sie illustriert, dass es dem TWU-Chef in erster Linie um Macht, Einfluss und den Erhalt der eigenen Position ging und erst danach um »die Sache«. Strauch ordnete dann an, dass »in jeder Gauhauptstadt der fähigste Mann benannt« werden müsse, d. h. derjenige DAF-Funktionär mit dem besten Überblick über das jeweils regionale Unternehmensgeflecht der Organisation – der dann »ständig die Fühlung mit dem [DAF-]Gauobmann und auch dem [NSDAP-]Gau­sach­walter hält und in kurzen Zeitperioden immer wieder sämtliche massgebenden Herren der wirtschaftlichen Unternehmungen zusammenholt und mit ihnen dadurch in engste Fühlung kommt.«55 Ob solche Gaubeauftragten des DAF-Konzerns in den letzten Monaten der NS-Diktatur überhaupt noch berufen wurden, ist unklar – und angesichts des Zerfalls der allgemeinen Infrastruktur letztlich auch unerheblich. Auf die interne Koordination und überhaupt die unternehmensübergreifende Binnenstruktur des DAF-Wirt­schafts­im­pe­riums wirft all dies jedenfalls kein günstiges Licht. Strauch konnte sich immerhin zugute halten, dass unter ihm die anfangs chaotischen Zustände innerhalb des DAF-Unternehmenskonglomerats seit 1938 weitgehend behoben wurden und der Konzern selbst in ein ruhiges Fahrwasser geriet, das diesem – aller Koordinationsdefizite zum Trotz – ein zumindest zu weiten Teilen erfolgreiches wirtschaftliches Agieren und eine überdurchschnittliche Expansion erlaubte. 55 Strauch an Kratochwill vom 9. März 1944 (wie Anm. 53). Ähnliche Schreiben gingen auch an die Vorstandsvorsitzenden der anderen großen DAF-Unternehmen, mit Ausnahme des Baukonzerns, dessen Einzelfirmen unmittelbar mit der Behörde des Reichswohnungskommissars kooperierten. 92 3. Die Banken Dass die Arbeitsfront im Bankwesen aktiv wurde, ist in der NS-Forschung eher selten angesprochen worden. In der einen oder anderen Darstellung wird die Bank der Deutschen Arbeit zwar immerhin erwähnt, allerdings – über den wichtigen Aufsatz von Christoph Kreutzmüller und Ingo Loose hinaus – nicht genauer in den Blick genommen, sondern als vorgebliche »Hausbank« der DAF in aller Regel schnell abgetan. Fast gänzlich unbekannt ist, dass Ley und seine Organisation anfangs noch über eine weitere Bank sowie mehrere Sparvereine verfügten. Deren relativ kurze Geschichte unter dem Dach der Arbeitsfront und ebenso die einiger Sparvereine, die schon bald von der Arbeitsbank geschluckt wurden, wird im Folgenden zunächst skizziert. Anschließend sind Überlegungen der DAF-Führung 1937/38 über die Gründung einer zweiten eigenen (im Vergleich zur Arbeitsbank:) Spezialbank und die Gründe für das Scheitern dieses Plans zu skizzieren. Danach folgt, als Hauptteil dieses Kapitels, die Geschichte der Bank der Deutschen Arbeit und ihrer vielfältigen Aktivitäten. Bevor auf die DAF-Banken eingegangen werden kann, sind indes die Rahmenbedingungen zu skizzieren. 3.1. Nationalsozialistische Bankenpolitik Ideologischer Hintergrund und gesetzliche Maßnahmen Eine nationalsozialistische Bankenpolitik, die einer dezidiert eigenen Wirtschafts- und Fi­nanz­theorie gefolgt wäre, hat es im Dritten Reich nicht gegeben. Nach 1933 gingen na­tionalkon­servative finanzpolitische Experten erst in der Ägide des Reichswirtschaftsministers Kurt Schmitt, dann der des Reichswirtschaftsministers Hjalmar Schacht daran, die tiefgreifenden Folgen der Bankenkrise 1931 zu beheben und die Grundlagen für die Finanzierung der Aufrüstung zu legen. Schmitt wie Schacht waren keine eingefleischten Nationalsozialisten, sondern völkische Nationalisten, die finanzpolitische Meriten lange vor 1933 gesammelt hatten: Schmitt hatte als Generaldirektor wesentlich dazu beigetragen, dass der Münchner Allianz-Konzern zum größten deutschen und europäischen Versicherungs-Konzern aufstieg; Schacht war für die Zeitgenossen zum Mythos geworden, weil er als Reichswährungskom­missar für die Beendigung der Inflation politisch verantwortlich war und als Reichsbankpräsident von Ende 1923 bis 1930 (sowie erneut von März 1933 bis Januar 1939) mit der Bankenkrise der dreißiger Jahre unmittelbar nicht in Verbindung gebracht werden konnte. Auch nach dem Abgang Schachts waren unter Funk als dessen nominellem Nachfolger, unter dem wichtigeren Vierjahresplan-Beauf­trag­ten Göring sowie dem Reichsfinanzminister Schwerin-Krosigk finanzpolitische Experten mit 93 die banken oft traditional-ministe­rial­bürokra­ti­scher Vergangenheit für die Rüstungs- und Kriegsfinanzierung verantwortlich – und nicht ideologisierende Nationalsozialisten. Diese Experten entwickelten einen hohen Grad an finanztechnischer Improvisationskunst und schafften es immer wieder erfolgreich, dem NS-Regime aus selbst verursachten wirtschafts- und finanzpolitischen Dilemmata herauszuhelfen. »Die Technik der Finanzierung des Zweiten Weltkrieges im Deutschen Reich war beachtlich und erfolgreich«, lautet denn auch das lakonische Resümee einer Überblicksdarstellung.1 NS-spezifisch waren nicht die relativ massiven staatlichen Interventionen. Sie sind auf einer allgemeinen Ebene vielmehr charakteristisch für Kriegswirtschaften generell. Die Anbindung des Bankwesens an staatliche Zielvorstellungen durch neue Gesetze oder auch durch die im Juni 1934 gegründete Reichsgruppe Banken – die keineswegs einseitig nur als Transmissionsriemen für RegimeInte­ressen fungierte, sondern ihrerseits als Lobbyistenvereinigung auf den wirtschaftspolitischen Bühnen des polykratischen Herrschaftssystems der Diktatur agierte – war gleichfalls vor allem rüstungsinduziert und jedenfalls nicht in erster Linie auf die ohnehin inkonsistente NS-Ideologie zurückzuführen. Typisch nationalsozialistisch war dagegen erstens ein ideologisch bedingtes Misstrauen zahlreicher nationalsozialistischer Entscheidungsträger gegenüber dem als »raffendes Kapital« denunzierten Bankwesen. In praxi hatte dies kaum Auswirkungen, da sich die wichtigsten Entscheidungsträger des Regimes des Tatbestandes bewusst waren, dass die Banken als zentrales wirtschaftspolitisches Instrument unverzichtbar waren. Ohne sie waren die intendierten politischmilitärischen Ziele nicht zu erreichen; die Geldinstitute ihrerseits taten durch bereitwillige Kooperation alles, um Zweifel an ihrer Loyalität zu zerstreuen. NSspezifisch war zweitens der Antisemitismus aller maßgeblichen Funktions­träger der Diktatur und die darauf basierende »Arisierungs«-Pra­xis, die gerade auch erhebliche Teile des Bankensektors traf. Den wichtigsten gesetzlichen Maßnahmen seit Beginn 1933, die auf die Banken zielten, ist ein ideologischer Charakter nicht anzumerken. Sie standen zudem überwiegend in der Kontinuität älterer wirtschaftsrechtlicher Entwicklungen. Zu den wichtigsten, die Banken betreffenden finanzpolitischen Maßnahmen des Regimes zählte das »Reichsgesetz für das Kreditwesen« vom 5. Dezember 1934.2 Es unterstellte das Bankwesen – vor dem Hintergrund der Erfahrungen 1 Eckhard Wandel, Banken und Versicherungen im 19. und 20. Jahrhundert, München 1998, S. 34. Zu Schacht und seiner Politik vgl. Christopher Kopper, Hjalmar Schacht. Aufstieg und Fall von Hitlers mächtigstem Bankier, München/Wien 2006. 2 Ausführlich zu diesem Gesetz: Christopher Kopper, Zwischen Marktwirtschaft und Dirigismus. Bankenpolitik im »Dritten Reich« 1933-1939, Bonn 1995, S. 112-125; Johannes Bähr, Modernes Bankenrecht und dirigistische Kapitallenkung. Die Ebenen der Steuerung im Finanzsektor des »Dritten Reichs«, in: Gosewinkel (Hg.), Wirtschaftskontrolle und Recht, S. 199-223, hier: S. 207-211; Gerold Ambrosius, Was war eigentlich »nationalsozialistisch« an den Regulierungsansätzen der dreißiger Jahre, in: Abelshauser u. a. (Hg.), Wirtschaftsordnung, Staat und Unternehmen, S. 41-60, hier: S. 45 ff.; Hans Pohl, 94 nationalsozialistische bankenpolitik von 1931 – zwar einer relativ strengen staatlichen Aufsicht, die von einem von der Reichsbank eigens eingerichteten »Reichsaufsichtsamt für das Kreditwesen« ausgeübt wurde. Die Struktur des reichsdeutschen Bankensystems selbst wurde dadurch jedoch nicht grundsätzlich verändert, allerdings ein einheit­licher Rechtsrahmen geschaffen und die Gewerbefreiheit im Kreditwesen durch die Konzessionspflicht eingeengt – Reformen, die vor dem Hintergrund des großen Bankenkrachs Anfang der dreißiger Jahre ohnehin anstanden. Tatsächlich handelte es sich bei dem »Reichsgesetz für das Kreditwesen« um den zentralen Eckpunkt einer »Modernisierung der staatlichen Bankengesetzgebung«, wie sie »in ähnlicher Form wahrscheinlich auch in einer parlamentarischen Demokratie vorgenommen worden« wäre (Christopher Kopper) und in den Grundzügen ebenfalls in den dreißiger Jahren in vergleichbarer Weise u. a. in den USA und der Schweiz auch tatsächlich vollzogen wurde. Systemunabhängige Modernisierungsbestrebungen wie beim Reichskreditgesetz standen auch für das »Gesetz über die Staatsbanken« Pate. Dieses am 18. Oktober 1935 verkündete Gesetz unterstellte die wichtigsten staatlichen Banken der Aufsicht des Reichswirtschaftsministers und beseitigte geldpolitische Anachronismen.3 Private Geldinstitute wie die »Großen Drei« (Deutsche, Dresdner und Commerzbank), aber auch die Arbeitsbank wurden in ihren Entfaltungsmöglichkeiten dadurch nicht substantiell tangiert. Als eines der ersten großen Vorhaben der Ära Schacht war am 4. Dezember 1934 das »Anleihestockgesetz« verabschiedet worden.4 Dieses Gesetz zielte vor allem auf Aktiengesellschaften und diente in doppelter Hinsicht der forcierten Aufrüstung: Zum einen setzte es Obergrenzen für die Dividendenausschüttung fest und verbreiterte damit die Basis für industrielle Reinvestitionen. Zum anderen machte das Gesetz zugleich den Aktienkauf unattraktiv. Während Aktienemissionen seitdem deutlich zurückgingen, gewannen vor allem Staatsanleihen an Bedeutung. Das Anleihestockgesetz war mithin maßgeblich dafür verantwortlich, dass überschüssiges Kapital in die Rüstungs- und Kriegsfinanzierung gelenkt wurde. Unter dem Primat des Bellizismus wurden der Kapitalverkehr sowie das Bankwesen überhaupt zwar einer stärkeren staatlichen Lenkung unterworfen. An eine Verstaatlichung dachte das NS-Regime jedoch zu keinem Zeitpunkt. Im Gegenteil, bis 1937 wurden die im Zuge des Bankenkrachs 1931 teilverstaatlichten Die Sparkassen vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, in: ders./Bernd Rudolph/Günther Schulz, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der deutschen Sparkassen im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2005, S. 21-248, hier: S. 155 ff. 3 Vgl. vor allem Willi A. Boelcke, Zum Gesetz über die Staatsbanken vom 18. Oktober 1935, in: Bankhistorisches Archiv 1982, Beiheft 7, S. 63-70. Bis dahin wurden z. B. von der Sächsischen Staatsbank ausgegebene Banknoten in anderen Reichsländern nicht anerkannt; sie mussten an den ›Landesgrenzen‹ getauscht werden. 4 Zu diesem Gesetz vgl. insbesondere Bähr, Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, S. 56-68; ders., Bankenrecht, S. 204 ff. Zu den im Folgenden angesprochenen Gesetzen: ebd., S. 215 ff. 95 die banken Dresdner, Deutsche und Commerzbank reprivatisiert. Eindrücklicher konnte die Hitler-Diktatur kaum dokumentieren, dass sie langfristig selbst innerhalb des – in der ersten Phase des Dritten Reiches heftig angefeindeten – Bankwesens der Privatinitiative den Weg ebnen wollten. Spätere Gesetze reagierten auf Devisenknappheiten und Probleme der Kriegsfinanzierung sowie auf die ab 1941 veränderten militärischen Konstellationen, signalisierten jedoch kein Abrücken vom Paradigma der Privatinitiative. Von volkswirtschaftlich erheblicher Bedeutung war das »Gesetz über die Deutsche Reichsbank« vom 15. Juni 1939, das nach dem Rücktritt Schachts auch von seiner Funktion als Reichsbankpräsident verabschiedet wurde. Durch dieses Gesetz wurde die Reichsbank Hitler als Reichskanzler unmittelbar unterstellt und wurden alle Vorschriften aufgehoben, die einer ungezügelten Geldschöpfung im Wege standen. Es diente finanzpolitisch der unmittelbaren Kriegsvorbereitung und setzte stabilitätspolitische Gesichtspunkte zugunsten einer elastischen Kriegsfinanzierung hintan. Einen weiteren wichtigen Einschnitt markiert die »Verordnung des Ministerrates für die Reichsverteidigung über Maßnahmen auf dem Gebiet des Bank- und Sparkassenwesens« vom 5. Dezember 1939. Sie stellte dem Reichswirtschaftsminister eine Generalvollmacht aus, alle ihm richtig dünkenden Maßnahmen auf dem Gebiet des Banken- und Kreditgewerbes zu treffen. Dies betraf u. a. die Neuordnung des Bankensystems sowie die Gründung und Aufhebung einzelner Bankfilialen oder ganzer Banken oder auch mögliche Zwangsfusionen von Geldinstituten. Vor dem Hintergrund des bevorstehenden Überfalls auf die Sowjetunion machte das erwähnte Reichsaufsichtsamt über das Kreditwesen am 3. Juni 1941 einen Erlass zur »Vereinfachung der Organisation des Kreditgewerbes« bekannt, der die Wirtschaftsgruppen zunächst noch unverbindlich zu Filialschließungen verpflichtete. Angesichts der Lage auf den Kriegsschauplätzen und dem Druck der Wehrmacht, Soldaten für die Ostfront und den »Afrikafeldzug« zu rekrutieren, setzte Funk im Mai 1942 einen »Sonderbeauftragten für Bankenrationalisierung« ein. Mit dem »Führererlass« über den »umfassenden Einsatz von Männern und Frauen für Aufgaben der Reichsverteidigung« vom 13. Januar 1943 wurde der Prozess der Schließungen von Bankfilialen und Zahlstellen sowie die »Auskämmung« überzähliger Angestellter im Bankgewerbe weiter forciert; die Zahl der in privaten Geldinstituten Beschäftigten (einschließlich Arbeitsbank) lag 1942/43 im Vergleich zu 1939 bei 74 %, im gesamten kriegsrelevanten Gewerbe dagegen noch bei 87 %. Die Folge war eine Überalterung sowie eine (weitere) Feminisierung der verbliebenen Bankangestelltenschaft.5 5 Vgl. Johannes Bähr, »Bankenrationalisierung« und Großbankenfrage. Der Konflikt um die Ordnung des deutschen Kreditgewerbes während des Zweiten Weltkireges, in: Geld und Kapital 4 (2000), S. 71-94, hier: S. 89. 96 nationalsozialistische bankenpolitik Zweierlei Konjunkturen Der Bankensektor lässt sich in zwei große Segmente gliedern: auf der einen Seite die großen Geschäftsbanken, ab 1933 meist Aktienbanken, von geringerer Bedeutung Privatbanken, da deren Zahl infolge der Wirtschaftskrise und dann der »Arisierungs«-Politik rapide schrumpfte. Die Geschäftsbanken waren auf große finanzielle Transaktionen konzentriert, vergaben Industriekredite und verfügten oft selbst über beträchtliche Beteiligungen. Auf der anderen Seite standen die Sparkassen und sonstigen öffentlich-rechtlichen Institute. Sie waren der Hauptadressat für Kleinsparer und fungierten traditionell als Kreditgeber z. B. für den Wohnungsbau. Hinzu traten Regionalbanken unterschiedlicher Couleur. Wichtig ist nun, dass die beiden Hauptsegmente des Bankensektors zwischen 1933 und 1945 deutlich unterscheidbare konjunkturelle Entwicklungen durchmachten. Aufgrund der rüstungskonjunkturell bedingten raschen Beseitigung der Erwerbslosigkeit, die namentlich in der Metallindustrie bereits 1934/35 einer Vollbeschäftigung wich, und angesichts eines begrenzten Warenangebots (restringierter Import) wuchs die Sparquote, trotz nur langsam steigender Effektivverdienste der Industriearbeiterschaft.6 Infolgedessen prosperierte das Geschäft der Sparkassen;7 es kam vorübergehend zu einer deutlichen »Marktverschiebung von den Banken zu den Sparkassen«.8 Verantwortlich dafür war freilich nicht allein das gewachsene Sparaufkommen. Hinzu kam, dass insbesondere die Produktionsgüter- und Rüstungsindustrie volle Auftragsbücher sowie ausgelastete Kapazitäten verzeichnete und sich über die nach der NS-Machtergreifung mit Brachialgewalt durchgesetzte Senkung der Lohnkosten freuen durfte. Die Folge war eine hohe Liquidität der meisten Industrieunternehmen, die durch die im Anleihestockgesetz von 1934 festgeschriebenen Obergrenzen für die Dividendenausschüttung noch verstärkt wurde, und damit in wachsendem Maße die Fähigkeit, Erweiterungs- und Modernisierungsinvestitionen ›aus eigener Tasche‹ zu zahlen. Auf Fremdfinanzierungen waren Großunternehmen immer weniger angewiesen.9 Während die Debitoren der Sparkassen (Kreditvergabe an Nichtbanken, d. h. Verbraucher und kleine Selbständige) in den ersten Jahren der NS-Herrschaft deutlich wuchsen, gingen die der Großbanken infolgedessen stark zurück.10 Besonders stark drückte sich der angedeutete Strukturwandel in der Bilanzsumme aus, die die Gesamtheit der Geschäftsaktivitäten spiegelt: Die 6 Angesichts stagnierender Realeinkommen lag die Sparquote von Arbeitern Mitte der dreißiger Jahre und vielfach auch danach deutlich unter dem Niveau Ende der zwanziger Jahre; demgegenüber war die der Angestellten, Beamten, selbständig Gewerbetreibenden sowie selbst der Rentner teilweise signifikant gestiegen. Vgl. Pohl, Sparkassen, S. 182. 7 Die Spareinlagen verdoppelten sich zwischen 1933 und 1939 von 11,1 Mrd. RM auf 21,5 Mrd. RM fast. Vgl. ebd., S. 183, außerdem Bähr, Bankenrationalisierung. 8 Kopper, Bankenpolitik, S. 158, 357 f. 9 Vgl. Spoerer, Von Scheingewinnen zum Rüstungsboom, S. 113 ff. 10 Sie verringerten sich bei den Großbanken zwischen 1933 und 1936 um 17 %. Vgl. Kopper, Bankenpolitik, S. 159. 97 die banken Bilanzsumme der Sparkassen, Girozentralen und Landesbanken hatte sich zwischen 1932 und 1939 mehr als verdoppelt (auf 40 Mrd. RM bei Kriegsbeginn), die der Berliner Großbanken – ohne die Bank der Deutschen Arbeit – im selben Zeitraum dagegen lediglich um 15 % erhöht (auf etwa 10 Mrd. RM).11 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung überrascht es nicht, dass es die Sparkassen waren, die zu den »wichtigsten Kapitalsammelstellen« des Reiches mutierten und damit wesentlich für die »geräuschlose« Verschuldung des Reiches, die Rüstungs- und Kriegsfinanzierung ohne offenkundige Inflation verantwortlich waren.12 Die Großbanken wurden deshalb freilich keineswegs zu Hungerleidern. Zu herausragenden Profiteuren der Politik des NS-Regimes wurden sie allerdings erst mit der Expansion des Dritten Reiches ab 1938, auch das in doppelter Hinsicht: Großindustrielle Unternehmen, die zunächst in die dem »Großdeutschen Reich« einverleibten Länder, später in die von der Wehrmacht okkupierten Staaten expandierten, benötigten sowohl für die Akquise dortiger Unternehmen als auch für den Aufbau neuer Werke in großem Umfang Kredite,13 so dass nun das diesbezügliche Geschäft der auf industrielle Großkredite konzentrierten Berliner Geschäftsbanken rasch aufblühte. Die »jahrelang gehörte Klage über die Schrumpfung verstummte« Ende 1938 abrupt (wie der SD süffisant bemerkte), zumal insbesondere in Österreich, aber auch in den anderen eingegliederten Gebieten die »wichtigen« unter den sehr schnell großflächig angelegten »Arisierungen mit Hilfe der Großbanken erfolgten, die sich meist einen entscheidenden Einfluss sicherten«. Im »Altreich« und bei »weniger wichtigen« Unternehmen partizipierten auch die kleineren Geschäftsbanken, da hier die »Arisierungen vielfach ohne genügendes Eigenkapital vorgenommen wurden«.14 Zweitens ex11 Vgl. Wandel, Banken und Versicherungen, S. 30 f. Zur Stagnation der Entwicklung der Bilanzsummen der Berliner Großbanken vgl. z. B. James, Deutsche Bank, S. 319 (Graphik 2). Der relative Bedeutungsverlust der Großbanken war im Übrigen zu einem Gutteil selbstverschuldet: Zwar nahmen diese ab 1928 auch Spareinlagen entgegen, vernachlässigten jedoch weiterhin dieses in ihren Augen wenig lukrative Geschäftsfeld. Dass Sparkassen und vergleichbare Geldinstitute im Gegensatz zu ›klassischen‹ Geschäftsbanken in den dreißiger Jahren enorm expandierten, war im Übrigen kein NSspezifisches, sondern ein europaweites Phänomen. Vgl. ebd, S. 318 f. 12 Von den insgesamt 13,8 Mrd. RM Reichs- und Staatsanleihen, die bis zu Beginn des Frühjahres 1939 ausgegeben worden waren, hielten die Sparkassen 43,5 %, die Großbanken dagegen lediglich 8,7 %. Der Anteil der Versicherungen lag zum genannten Zeitpunkt bei 32,1 % sämtlicher Reichs- und Staatsanleihen. Angaben und Zitate: Kopper, Bankenpolitik, S. 159 ff. 13 Ein Beispiel ist der Großkredit von 100 Mio. RM, den die Deutsche Bank der I.G. Farben­industrie 1939 für »kostenintensive Projekte« in Österreich, in den Sudeten und im »Protektorat Böhmen und Mähren« relativ zinsgünstig gewährte. Vgl. James, Deutsche Bank, S. 331. Zur großen Bedeutung der imperialen Ausdehnung des Dritten Reiches für das seit 1938 beschleunigende Wachstum vor allem der Großbanken vgl. außerdem z. B. Harald Wixforth, Auftakt zur Ostexpansion. Die Dresdner Bank und die Umgestaltung des Bankwesens im Sudetenland 1938/39, Dresden 2001. 14 Alle Zitate: Jahreslagebericht des SD für 1938, in: Meldungen aus dem Reich. Die ge- 98 nationalsozialistische bankenpolitik pandierten die in der Reichshauptstadt ansässigen Großbanken, indem sie in den angegliederten bzw. besetzten Gebieten sowie den verbündeten Ländern Filialen errichteten, mithin einen zunehmend europäischen Charakter gewannen. Die Bilanzsumme der Großen Drei sollte sich von 1939 bis 1943 mehr als verdoppeln, bei der Deutschen Bank von 4,2 Mrd. RM auf 8,8 Mrd. RM, bei der Dresdner Bank von 3,2 Mrd. RM auf 6,7 Mrd. RM und bei der Commerzbank von 1,7 Mrd. RM auf 4,2 Mrd. RM.15 Ihr während des Krieges geradezu explosionsartiges Wachstum wurde allerdings von der Bank der Deutschen Arbeit noch in den Schatten gestellt. Wichtig ist für das Folgende schließlich, dass sich ab 1933 das Feld der miteinander konkurrierenden größeren Bankinstitute wandelte. Auf der einen Seite verschwanden vor allem eine Reihe alteingesessener Privatbanken, deren Eigen­ tümer und Vorstände nach den NS-Rassekriterien als »Juden« klassifiziert und zur Aufgabe ihrer Geschäfte gezwungen wurden. Auf der anderen Seite hatte die sich von einer Arbeiter-Sparkasse zur Berliner Großbank wandelnde Bank der Deutschen Arbeit nicht nur in den Großen Drei Rivalen, die den Aufstieg der DAF-Bank misstrauisch beäugten und zu bremsen versuchten. Darüber hinaus erwuchsen der Arbeitsbank außerdem in der »Bank für deutsche Industrieobligationen«16 und der »Bank der Deutschen Luftfahrt«17 Konkurrenheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS 1938-1945, hg. und eingeleitet von Heinz Boberach, Herrsching 1984, hier: Bd. 2, S. 182. 15 Der Umsatz der Deutschen sowie der Dresdner Bank war bis 1943 auf die – für damalige Verhältnisse fast unvorstellbare – Summe von 201 Mrd. bzw. 151 Mrd. RM gewachsen. Zu den Bilanzsummen und Umsätzen der großen Geschäftsbanken vgl. Tabelle 1.4. 16 Gegründet wurde die halbstaatliche Bank für deutsche Industrieobligationen 1924 vor dem Hintergrund der Reparationsverpflichtungen des Reiches. Sie sollte (wie der Name bereits andeutet) die grundpfandrechtlich gesicherten Industrie-Obligationen verwalten, die der industriellen Reparationslast entsprachen. 1931 wurde ihr Aufgabenfeld erweitert, indem sie mit der Vergabe landwirtschaftlicher Hypotheken beauftragt wurde. Nach 1933 und vor allem nach der Verabschiedung des Vierjahresplans im Sept. 1936 verlagerte sich ihr Geschäftsfeld zunehmend in Richtung Vergabe langfristiger Kredite an kleinere und mittlere Unternehmen. Hintergrund dieses neuen Tätigkeitsfeldes der Bank für deutsche Industrieobligationen war eine Kredit-»Lücke«, die sich im Zuge der forcierten Aufrüstung aufgetan hatte, weil die Großbanken vor allem die industriellen Großunternehmen bedienten und Sparkassen, Genossenschaftsbanken etc. lediglich kurzfristige Kredite vergaben. 1954 wurde die Bank als »Deutsche Industriebank« wiederbegründet; 1974 fusionierte sie mit der 1949 entstandenen »Industriekreditbank AG« zur »Industriekreditbank AG – Deutsche Industriebank«, die 1991 die Bezeichnung »IKB Deutsche Industriebank AG« erhielt. Im Kontext der jüngsten Finanz- und Immobilienkrise geriet die IKB-Bank stark ins Trudeln und wurde Ende Okt. 2008 an den Finanzinvestor Lone Star verkauft. Zur Geschichte dieser Bank bis 1995 vgl. vor allem Siegfried C. Cassier, Unternehmerbank zwischen Staat und Markt 1924-1995. Der Weg der IKB Deutsche Industriebank AG, Frankfurt a. M. 1996. 17 Die (seit Anfang 1940 so genannte) Bank der Deutschen Luftfahrt AG, oder Aero-Bank, ging aus der »Deutschen Luftfahrt-Kontor GmbH« hervor, einem für den Aufbau und die Erweiterung der Flugzeugindustrie konzipierten Finanzierungsinstrument des 99 die banken ten, die aufgrund von weitreichenden Rediskontzusagen der Reichsbank18 eine großzügigere Kreditpolitik praktizieren konnten als die traditionellen Geschäftsbanken. 3.2. Banken, die aufgelöst, verkauft oder gar nicht erst gegründet wurden Von der Vereinsbank für Deutsche Arbeit über die Deutsche Volksbank zur Nationalbank und Mittel­standsbank – die Trennung vom christlich-nationalen Erbstück Bevor nun die Geschichte der Bank der Deutschen Arbeit mitsamt ihrer Vorgeschichte ausgeleuchtet wird, ist die kurze Geschichte mehrerer Geldinstitute zu skizzieren, in deren Besitz die DAF 1933 gelangte. Überraschen kann der Befund, dass die Arbeitsfront in den ersten Jahren ihrer Existenz mehrere Bankhäuser besaß, nur denjenigen, der übersieht, dass die Arbeitsfront 1933 zum räuberischen ›Erben‹ der gesamten organisierten Arbeiterbewegung wurde, also nicht allein Firmen sowie Immobilien der freien Gewerkschaften, sondern ebenso des katholischen DGB sowie kleinerer Arbeitnehmerverbände übernahm. So wie der ADGB mit der »Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten« (kurz: Arbeiterbank), aus der dann 1933 die »Bank der Deutschen Arbeit« wurde, ein eigenes Kreditinstitut besaß, hatte sich auch der katholische DGB 1920/21 »zur Zusammenfassung der Sparkräfte der christlich-nationa­len Arbeiterbewegung«19 die gewerkschaftseigene »Vereinsbank für deutsche Arbeit AG«, später: »Deutsche Volksbank«, mit Sitz in Berlin, zugelegt.20 Göring-Ministeriums. Anfang Juni 1939 wurde das »Kontor« als Bank anerkannt. Hintergrund waren Finanzierungsengpässe der deutschen Luftrüstung und die Unzufriedenheit des Reichsluftfahrtministeriums mit einer bleibend zurückhaltenden Finanzierungsbereitschaft vor allem der Berliner Großbanken. Juristisch war sie eine Tochter der reichseigenen VIAG. Vom Kreditstatus (nicht jedoch von der Bilanzsumme und anderen Indikatoren) her lag die »Bank der Deutschen Luftfahrt AG« 1941 hinter der Deutschen und der Dresdner Bank noch vor der Arbeitsbank und der Commerzbank auf Platz drei der deutschen Banken. Zur finanzpolitischen Rolle der Göring-Bank vgl. vor allem Budraß, Flugindustrie und Luftrüstung, bes. S. 498-503; zur Genesis außerdem Kopper, Bankenpolitik, S. 171 f. In einer Reihe von besetzten Ländern, z. B. in den Niederlanden, spielte sie neben den etablierten Berliner Geschäftsbanken eine gewichtige Rolle. 18 »Rediskontierung« meint den Prozess des Weiterverkaufs von angekauften (diskontierten) Wechseln durch eine Bank an die (meist nationale) Notenbank, hier also die Reichsbank. Welche Wechsel als rediskontfähig anerkannt wurden, entschied die jeweilige Notenbank. Im Allgemeinen wurden nur solide Handelswechsel mit drei oder mehr zahlungsfähigen Bürgen und einer Laufzeit unter achtzig Tagen als rediskont­ fähig anerkannt. Im konkreten Fall wurden die Grenzen im Interesse des Aufbaus von kriegsrelevanten und autarkiepolitisch wichtigen Industrien jedoch weiter gezogen. 19 Heinrich Brüning, Memoiren 1918-1934, Stuttgart 1970, S. 405. 20 Beteiligt waren an dieser Gewerkschaftsbank neben der DGB-Zentrale mehrere christ- 100 banken, die aufgelöst, verkauft oder gar nicht erst gegründet wurden Im Unterschied zur relativ stabilen Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten des ADGB geriet die Deutsche Volksbank während der Weltwirtschaftskrise zusehends heftiger ins Schlingern. Brüning berichtet in seinen Memoiren von »immer ungünstigeren Nachrichten«, die er über die Bank erhielt, der sein Reichsarbeitsminister und vormalige DGB-Vorsitzende Adam Stegerwald als Aufsichtsratsvorsitzender vorstand. Im August 1931 wurde der Kapitalbedarf des faktisch bankrotten Instituts auf 15 Mio. RM beziffert.21 Noch unter dem ersten Reichskanzler von Hindenburgs Gnaden wurde ein Sanierungsplan entwickelt. Die dem DGB angeschlossenen Gewerkschaften mussten eine Globalbürgschaft übernehmen; zur treuhänderischen Verwaltung der Deutschen Volksbank wurde die »Deutsche Bau- und Bodenbank« eingesetzt. Mit der Auflösung der katholischen Gewerkschaften verfielen auch Vermögen und Unternehmen des DGB der Übereignung an die DAF. Für die Arbeitsfront war die Deutsche Volksbank ökonomisch freilich ein ›Klotz am Bein‹. Sie war dies nicht nur aufgrund der hohen Verschuldung. Unabhängig davon war gegenüber den Unternehmen aus dem christlich-gewerk­schaft­lichen Besitz, also auch der Deutschen Volksbank, und im Unterschied zur Arbeitsbank und den anderen Unternehmen, die bis 1933 den freien Gewerkschaften gehört hatten, eine größere Rücksichtnahme angesagt.22 Als Rechtsnachfolgerin der nach offiziellem Sprachgebrauch nur »gleichgeschalteten« christlichen Gewerkschaften musste die DAF die von dieser eingegangene Globalbürgschaft übernehmen und haftete nun mit allen in ihre Hände gefallenen Vermögenswerten; zudem waren gegenüber individuellen Entschädigungsansprüchen aus den Reihen vormals christlicher Gewerkschafter aus politischen Gründen größere Konzessionen zu machen als gegenüber ehemaligen Mitgliedern und Funktionären der freien Gewerkschaften. Dies war der Hintergrund dafür, warum die Arbeitsfront versuchte, so rasch wie möglich die Deutsche Volksbank loszuwerden, nachdem diese erneut – diesmal in »National-Bank« – umgetauft worden war. Tatsächlich gelang es der DAF-Führung noch Ende 1933, ein gutes Viertel der Aktien am Grundkapital an unbekannte Interessenten zu verkaufen, ein Drittel an die staatsnahe Industrie-Bank. Der Rest verblieb zunächst bei der DAF, genauer: bei der Bank der Deutschen Arbeit. Auch dieser Anteil wurde lich-nationale Einzelgewerkschaften sowie der Deutschnationale HandlungsgehilfenVerband, ferner die christlich-nationale »Deutsche Lebensversicherungs AG« sowie der derselben Gewerkschaftsrichtung eng verbundene »Reichsverband deutscher Konsumvereine«. Vgl. Karl Lanz, Banken der Welt, Frankfurt a. M. 1963, S. 118; Rolf W. Nagel, Die Transformation der Bank für Gemeinwirtschaft (BfG) als morphologisch-typologisches Problem. Die Entstehung und Entwicklung eines Kreditinstitutes, Berlin 1992, S. 111 f.; Bernhard Forster, Adam Stegerwald, Düsseldorf 2003, S. 287; Hartmut Roder, Der christlich-nationale Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) im politisch-ökonomischen Kräftefeld der Weimarer Republik. Ein Beitrag zur Funktion und Praxis der bürgerlichen Arbeitnehmerbewegung vom Kaiserreich bis zum Beginn der faschistischen Diktatur, Frankfurt a. M. usw. 1986, S. 284 f. 21 Vgl. Brüning, Memoiren, S. 406. 22 Vgl. Kapitel 1, S. 65 ff. 101 die banken in der Folgezeit allmählich an Unternehmen aus dem Ruhrrevier veräußert. Mit tatkräftiger Unterstützung des Essener NSDAP-Gauleiters Terboven wandelte sich die National-Bank in den dreißiger Jahren von einer gewerkschaftlich-genossenschaftlichen Quasi-Sparkasse so schließlich zu einer regionalen »Mittelstandsbank«.23 Dass die DAF-Führung nicht die Deutsche Volksbank bzw. »National-Bank« des katholischen DGB, sondern die Arbeitsbank des bei den Nationalsozialisten viel stärker verhassten ADGB zur Hausbank machte, darf als unfreiwilliges Kompliment an die Geschäftsführung der »Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten« gewertet werden: Die Arbeiterbank war offensichtlich vorsichtiger durch die Weltwirtschaftskrise geführt worden und im Frühjahr 1933 solider aufgestellt als ihr christ-gewerkschaftliches Pendant. Hinzu trat das sehr viel größere Kundenpotential der Arbeiterbank, das zudem in seiner sozialen Struktur der Klientel, die die Arbeitsfront als »volksgemeinschaftlicher Dienstleister« vorrangig zu bedienen hatte, entsprach. Die Übernahme der Sparkasse des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes und anderer Sparvereine Die solide Entwicklung der Arbeitsbank, ihr relativ entwickeltes Filialnetz und schließlich eine Organisationsstruktur, die den relativ schnellen Ausbau zu einem auf zahlreichen Geschäftsfeldern tätigen Geldinstitut zuließ, waren auch der Grund, warum die »Deutsche-Angestellten-Verbands-Sparkasse« (DAVS) noch Ende 1933 in der Bank der Deutschen Arbeit aufging. Die DAVS war die Spareinrichtung des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes (DHV) gewesen24 und über den Typus früher Arbeitnehmer-Sparvereine nicht hinausgekommen. In der zweiten Hälfte des Jahres 1933 ging die DAVS mit der Selbstgleichschaltung auch des DHV in den Besitz der DAF über. Zum 24. Dezember 1933 wurde der Zahlungsverkehr dieser Spareinrichtung »im Einvernehmen mit der Bank der Deutschen Arbeit AG« zunächst durch »die Zahlstellen der DHVKassen«, die organisatorisch bis Anfang 1934 der sog. Angestelltensäule der Arbeitsfront zugeordnet waren, übernommen. Lediglich in Berlin, Dresden und Hamburg sollte fürs Erste »der Sparverkehr von den bisherigen Zweigstellen der Verbandssparkassen fortgeführt« werden. Angesichts der organisatorischen Neugruppierung der Arbeitsfront in den Anfangsmonaten 1934 – der Auflösung der im Mai 1933 zunächst errichteten »Deutschen Arbeiterschaft« und »Deutschen Angestelltenschaft« als den beiden großen Säulen der DAF in die neuen, nach Branchen gegliederten »Reichs­ 23 Zur Deutschen Volks- bzw. National-Bank 1930 bis 1934 vgl. Cassier, Unternehmerbank, S. 166-173. 24 Der Artikel »Uebernahme der DA-Verbands-Sparkasse durch die Bank der Deutschen Arbeit AG« (o.V.), in: »Der Deutsche«, vom 15. Dez. 1934, dem (mangels anderer Quellen) die Ausführungen dieses Abschnitts zugrunde liegen, macht zur Vorgeschichte der DA-Verbandssparkasse keine Angaben. Aus diesem Artikel auch die folgenden Zitate. 102 banken, die aufgelöst, verkauft oder gar nicht erst gegründet wurden betriebsgemeinschaften« hinein – konnte das nur ein kurzzeitiges Provisorium sein. Im Laufe der nächsten Monate wurden die Konten des Sparvereins »allmählich von den Geschäftsstellen der Bank der Deutschen Arbeit übernommen«. Ein ähnliches Schicksal bereitete die DAF auch anderen kleinen Sparvereinen von Arbeitnehmerorganisationen, etwa der »Deutschen Werkmeister-Sparbank AG«, der »Industriebeamten Sparbank e.G.m.b.H.«, der »Deutschen Wirtschaftsbank« oder der »Bank für deutsche Arbeit und Sparbank von 1820 A.G«.25 Pläne für eine »Deutsche Baubank« – und ihr Scheitern Die vormals freigewerkschaftliche Bank der Deutschen Arbeit wurde in der Folgezeit zum Zentrum der finanziellen Aktivitäten der Arbeitsfront. Anfang 1937 kamen seitens der DAF-Führung allerdings Überlegungen auf, neben der Arbeitsbank eine zweite Bank zu gründen, die im Unterschied zur Arbeitsbank spezifische Aufgaben erfüllen sollte. Hintergrund dieser Pläne war, dass Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan Ende 1936 der Arbeitsfront das »Siedlungswerkes des Vierjahresplans« übertragen hatte.26 Göring hatte der Arbeitsfront diesen Auftrag erteilt, weil im Rahmen des Vierjahresplanes zahlreiche neue große Rüstungsbetriebe entstehen sollten und für die neuen Werke Arbeitskräfte gebraucht wurden, die wiederum mit ausreichendem Wohnraum versorgt werden mussten. Die Arbeitsfront, die die politische Lenkung dieses Sonderwohnungsbaues übernehmen sollte, beabsichtigte den Göring’schen Auftrag zu nutzen, um die eigenen Wohnungsbaugesellschaften durch eine bevorzugte Auftragsvergabe zu stärken und gleichzeitig dem wohnungspolitisch eigentlich federführenden Reichsarbeitsministerium auf diesem Feld Kompetenzen streitig zu machen. Begleitet war der politische Großauftrag Görings an die DAF von einem wohnungspolitischen Paradigmenwechsel innerhalb der Arbeitsfront: Statt auf kleine Einfamilien-Häuschen in ländlich oder vorstädtisch anmutenden Siedlungen setzte die Arbeitsfront nun auf mehrgeschossige Wohnhäuser. Wichtig für den vorliegenden Kontext ist, dass das »Siedlungswerk des Vierjahresplans«, d. h. der Erwerb von Grund und Boden und der Bau Tausender von Miethäusern, finanziert werden musste. Angesichts der quantitativen Dimensionen des geplanten Arbeiterwohnstättenbaus und der Eigenarten der Baufinanzierung, besonders des Problems, »dass die Beschaffung der Restfinanzierung für die Durchführung der mit der Durchführung beauftragten Wohnungsfürsorgegesellschaften häufig zu erheblichen Schwierigkeiten geführt« habe – wie der Reichsfinanzminister in einem 25 Zur Werkmeister-Sparbank: Bericht des Cheftreuhänders der Bank der Deutschen Arbeit AG, Niederlassung Köln, Julius Nischik, vom 7. Aug. 1950, in: BA Berlin, R 8135, Nr. 8625. Vgl. ferner Novy/Prinz, Geschichte der Gemeinwirtschaft, S. 228; Nagel, Transformation der BfG, S. 118; Gerhard Haufe, Die Angestellten und ihre Gewerkschaft. Stationen einer bewegten Geschichte, Freiburg i.Br. 1991, S. 106. 26 Vgl. zu diesem Siedlungswerk und zu den politischen Ambitionen, die die DAF damit verband, Kapitel 7, S. 442 f. 103 die banken Schreiben vom 9. April 1938 an Göring27 kommentierend feststellte –, lag es durchaus auf der Hand, hierfür eine eigene Bank zu gründen. Ende 1937 oder Anfang 1938 legte die Führung der Arbeitsfront Göring den Entwurf einer »Verordnung zur Forderung des nachstelligen Grundkredites« vor, in dessen Zentrum die Gründung einer solchen Bank stand. Aufgabe dieses Finanzinstituts, das den Namen »Deutsche Baubank« tragen sollte, war es nach den Vorstellungen der Initiatoren, »zur Förderung des Arbeiterwohnstättenbaues, zur Gründung von Wohn- und Wirtschaftssiedlungen sowie Kleinwohnungsbauten nicht-landwirtschaftliche Grundkredite im Gebiet des Deutschen Reiches zu gewährleisten oder zu gewähren«, also entsprechende Bürgschaften zu übernehmen sowie den Bauträgern langfristige Grundkredite und Darlehen zu gewähren.28 Das Stammkapital der geplanten Bank war mit ins Auge gefassten fünf Mio. RM für ein Finanzhaus relativ gering. Tatsächlich sollten die Kredite und Darlehen nicht aus dem Eigenkapital finanziert werden; die Bank sollte vielmehr als Mittler auftreten, d. h. auf dem Kapitalmarkt Fremdkapital mobilisieren und dieses zu günstigen Konditionen an die Bauträger des Vierjahresplan-Wohnungs­baues als Kapitalnehmer weiterreichen, »wobei als Geldgeber in erster Linie an die der DAF angegliederten Versicherungsunternehmen gedacht« war.29 Der Reichsfinanzminister und wohl auch die Vierjahresplan-Behörde Görings waren den Überlegungen der DAF für ein eigenständiges zweites Finanzinstitut – im Unterschied zum Reichsarbeitsministerium30 – nicht grundsätzlich abgeneigt, äußerten jedoch Skepsis. Der Finanzminister Schwerin-Krosigk fürchtete steigende Baukosten durch eine großzügige Kreditvergabe und legte »besonderen Wert […] darauf, dass sich das neue Institut streng auf die Aufgaben beschränkt, für die es gegründet werden soll« – angesichts der sich vor allem in der Folgezeit häufenden Kompetenzüberschreitungen von Ämtern und Institutionen der DAF keine grundlose Warnung. Ferner sollte die Arbeitsfront für die »neue Anstalt einen anderen Namen als ›Deutsche Baubank‹ wählen«. Der Plan zur Gründung einer DAF-eigenen Baubank zerschlug sich, weil ­Göring auf Druck des Reichswirtschafts- und Reichsarbeitsministeriums sowie der Reichsgruppe Industrie und weiterer Institutionen des NS-Regimes den Auftrag für ein »Siedlungswerk des Vierjahresplans« Ende 1937 wieder entziehen musste.31 Infolgedessen blieb die Bank der Deutschen Arbeit das einzige Bank27 28 29 30 In: BA Berlin, R 2, Nr. 18596. Undatierter Verordnungsentwurf der DAF, in: ebd. Zitat: Schwerin-Krosigk an Göring vom 9. April 1938, S. 2 bzw. 6 (wie Anm. 27). Zur Ablehnung der DAF-Pläne für eine Deutsche Baubank vgl. einen undatierten Vermerk aus dem RAM (handschriftlich: Votum Seldtes), als Anlage zu: RAM an das RFM, zu Hd. von Ministerialrat Poerschke vom 1. März 1938, in: BA Berlin, R 2, Nr. 18596. 31 Namentlich das RAM fürchte – wie sich in der Folgezeit zeigen sollte: sehr zu Recht – das aggressive Streben der DAF nach immer mehr Kompetenzen. Vgl. die zweite, dem Schreiben an Poerschke vom 1. März 1938 beigegebene Aufzeichnung (handschriftlich ebenfalls als Votum Seldtes gekennzeichnet) über einen weiteren »Verordnungsentwurf der Deutschen Arbeitsfront […] betreffend Übertragung der Zuständigkeiten für den 104 die bank der deutschen arbeit haus im Besitz der Arbeitsfront. Deren Geschichte beginnt knapp zehn Jahre vor der NS-Machtergreifung. 3.3. Die Bank der Deutschen Arbeit – Arbeiter-Sparkasse und Instrument der »Arisierung« Vorgeschichte und Gleichschaltung Die »Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten« wurde relativ spät gegründet. Während der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband als erster Arbeitnehmerverband 1907 in Hamburg eine eigene Sparkasse ins Leben rief und in Belgien bereits 1913 die erste sozialistische Bank in Europa gegründet wurde, nach dem Ersten Weltkrieg dann rasch weitere genossenschaftlich-gewerkschaftliche Banken folgten und 1920/21 im Deutschen Reich außerdem der christlich-katholische DGB die schon erwähnte »Deutsche Volksbank« ins Leben rief, taten sich die freien Gewerkschaften mit der Gründung eines eigenen Bankhauses zunächst schwer. Erst im Zuge der Währungsstabilisierung trat die »Arbeiterbank« ins Leben. Zunächst, ab März 1923, firmierte sie als »Kapitalverwertungsgesellschafts AG« – ein Etikett, das deutlich machte, dass ihre zentrale Funktion ursprünglich in der Vermögens- und Immobilienverwaltung der sozialdemokratischen und freigewerkschaftlichen Arbeiterbewegung bestand.32 Im Mai 1924 wurde die freigewerkschaftliche Kapitalverwertungsgesellschaft dann in »Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten« umgetauft. Zwar expandierte die Gewerkschaftsbank kontinuierlich; 1930 besaß sie neun Filialen und 223 Zahlstellen in 171 Städten. In ihrer Geschäftspolitik blieb sie allerdings vorsichtig. Während das deutsche Bankensystem 1931 in eine tiefe Krise schlidderte, hatte die Arbeiterbank selbst auf dem Tiefpunkt der Krise keine Verluste zu verzeichnen und konnte während der »Bankfeiertage« im Juli 1931 Wohnungsbau«, in der der Minister den von der Arbeitsfront in dem Entwurf geplanten »Eingriff in meine Zuständigkeiten auf das schärfste« zurückwies (wie Anm. 30). 32 Zur Entstehung vgl. ein längeres Schreiben der Bank der Deutschen Arbeit A.G., Berlin, an die Bank der Deutschen Arbeit A.G., Düsseldorf, vom 29. Okt. 1952 zur Geschichte der Bank (in: BA Berlin, R 8135, Nr. 8625), sowie Bern Meyer, Bedeutung und Entwicklung der Arbeiterbank, in: Die wirtschaftlichen Unternehmungen der Arbeiterbewegung. Ein Blick in die Gemeinwirtschaft, hg. vom Bezirksausschuß des ADGB Berlin – Brandenburg – Grenzmark, Berlin 1928, S. 88-99. Die nominellen Eigentumsverhältnisse der Arbeiter- bzw. Arbeitsbank waren bis Mitte der dreißiger Jahre relativ kompliziert. So gehörten zu den Anteilseignern der Zentralverband Deutscher Konsumgenossenschaften, die Verlagsgesellschaft des ADGB und einige andere Unternehmen der freien Gewerkschaften. Erst 1935 ging die Arbeitsbank nominell ganz in den Besitz der DAF bzw. ihrer TWU über. Kreditnehmer waren bis 1933 in erster Linie öffentlich-rechtliche Einrichtungen (Kommunen, Sozialversicherungen etc.) sowie die genossenschaftlichen Betriebe der Arbeiterbewegung. Zur Geschichte bis 1933 sowie zu den verschachtelten Besitzverhältnissen vgl. Novy/Prinz, Illustrierte Geschichte, S. 165 ff.; ferner Meyer, Bedeutung und Entwicklung, S. 94 f. 105 die banken Liquiditätsengpässe vermeiden. Seit Anfang Februar 1933 begannen Sozialdemokraten und Gewerkschafter, die keine Illusionen über die Regierung Hitler als das vierte Präsidialkabinett hegten und wussten, wie unversöhnlich die SA als braune Bürgerkriegsarmee der organisierten Arbeiterbewegung gegenüberstand, über die Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten Geldvermögen ins sichere Ausland zu transferieren. Wohl vor allem deshalb war die Arbeiterbank das einzige Unternehmen der freien Gewerkschaften, das Ley als Führer des »Aktionskomitees zum Schutze der deutschen Arbeit« in seinem Aktionsbefehl vom 21. April 1933 mit Namen nannte: SA und SS sollten neben den Gewerkschaftshäusern auch sämtliche Zweig- und Zahlungsstellen der Arbeiterbank besetzen sowie alle ihre Filialleiter »in Schutzhaft« nehmen.33 Gewerkschafter, die Namenspapiere hielten, wurden am 2. Mai unter dem Vorwand, vor dem Zugriff der Nationalsozialisten ›illegal‹ Geldbeträge der Gewerkschaften ins Ausland gebracht zu haben, festgesetzt, in Konzentrationslager verschleppt und dort gezwun­gen, ihre Aktienpapiere der Treuhandgesellschaft für die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF zu überschreiben.34 Darüber hinaus wurden zahlreiche Mitarbeiter des Geldinstituts entlassen. Von den 236 Angestellten, die zum Zeitpunkt der Übernahme der Arbeitsbank durch die Arbeitsfront beschäftigt wurden, setzte die DAF-Führung 99 auf die Straße.35 Robert Ley, den die Berliner Staatsanwaltschaft am 12. Mai 1933 als »Pfleger« aller gewerkschaftlichen Immobilien, Unternehmen, Beteiligungen, Barvermögen usw. eingesetzt hatte, hatte kein Interesse daran, sich selbst aktiv zu einer Art Vorstands- oder Verwaltungsratsvorsitzenden allen vormals gewerkschaftlichen Eigentums aufzuschwingen. Wirtschaftliche und finanzielle Organisationstätigkeiten interessierten ihn wenig, er delegierte sie. Als »Pfleger« konnte Ley »Bevollmächtigte« einsetzen, die ihrerseits »Unterpfleger« ernennen konnten. Zur wirtschafts- und finanzpolitisch maßgeblichen Figur innerhalb der Arbeitsfront wurde noch im Mai 1933 der bereits erwähnte mittelständische Bankier Karl Müller. Aufgrund der beruflichen Vorerfahrungen Müllers und seiner diversen wirtschaftspolitischen Funktionen lag es nahe, ihn auch zum Vorstandsvorsitzenden der Arbeitsbank zu ernennen. Müller freilich überschätzte seine Stellung und stürzte deshalb Mitte 1935.36 Neuer Vorstandsvorsitzender der Arbeitsbank wurde Carl Rosenhauer, ein Kontrahent Müllers, der seit 1933 im Vorstand des Geldinstitutes gesessen und sich mit seinem Vorgänger in Fragen der Geschäftspolitik zerstritten hatte.37 Rosenhauer, der gleichfalls vor der NS33 Vgl. Rundschreiben Leys als Stabsleiter der PO der NSDAP vom 21. April 1933, nach: Willy Müller, Das soziale Leben im neuen Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Deutschen Arbeitsfront, Berlin 1938, S. 51 f. Abgedruckt auch in: Schumann, NS und Gewerkschaftsbewegung, S. 169. 34 Vgl. Kreutzmüller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 3. 35 Nach: ebd., S. 16. 36 Zur Biographie Müllers vgl. Kapitel 2, S. 71. 37 Vgl. Smelser, Hitlers Mann, S. 167. Zur Biographie Rosenhauers vgl. Kapitel 2, S. 85 f. 106 die bank der deutschen arbeit Machtergreifung Erfahrung im Bankgeschäft gesammelt hatte und wie Müller am 1. Mai 1933 der NSDAP beigetreten war, war mit 52 Jahren zum Zeitpunkt der Gründung der DAF zwar jünger als Müller. Er wirkte jedoch ähnlich wie dieser innerhalb des ausgesprochen jungen Korps höchster DAF-Funktionäre genera­tionell als Fremdkörper. Trotz zahlreicher Aufsichtsratsmandate, die er im Auftrag der DAF wahrnahm, drängt sich der Eindruck auf, dass Rosenhauer, der bis Ende 1942 nominell Vorstandsvorsitzender der Arbeitsbank blieb, lediglich die Rolle eines Statthalters oder Strohmannes spielte. Die entscheidenden Fäden auch innerhalb der Arbeitsbank hielt bis Kriegsbeginn Heinrich Simon als der zentrale Verantwortliche für Finanzen, Vermögen und Unternehmen der Organisation in der Hand. Simon, neben Otto Marrenbach der ›Stellvertreter‹ Leys innerhalb der Arbeitsfront, stützte sich seinerseits ab den Vorkriegsjahren immer stärker auf Rudolf Lencer. Lencer war Anfang Januar 1938 Mitglied des Vorstandes der Bank der Deutschen Arbeit geworden. Er übernahm nominell zwar erst um die Jahreswende 1942/43 den Vorstandsvorsitz der Arbeitsbank, hatte die Zügel dieses für das DAF-Wirtschaftsimperium zentralen Unter­nehmens jedoch bereits Ende der dreißiger Jahre de facto in die Hände genommen.38 Die Arbeitsbank als proletarische Sparkasse Strukturell war die Arbeitsbank, die ihren neuen Namen »Bank der Deutschen Arbeit« am 31. Oktober 1933 erhielt, eine Mischung aus Sparkasse und Großbank. Ausgeprägte Züge einer Großbank entwickelte das DAF-Geldinstitut erst vor dem Hintergrund der Expansion des Drit­ten Reiches ab 1938. Bis in die unmittelbare Vorkriegszeit wies die DAF-Bank mehr Ähnlich­kei­ten mit den öffentlich-rechtlichen Kreditanstalten auf: Die Einlagen von Kleinsparern spielten eine zentrale Rolle, allerdings mit bereits ab Mitte der dreißiger Jahre deutlich abnehmender Tendenz. Tatsächlich war die Sparabteilung der ADGB-Bank einer Sparkasse sehr ähnlich gewesen; sie hatte diese Bezeichnung sogar kurzzeitig, von Ende 1932 bis Anfang 1934, nominell im Firmenschild geführt.39 Anfang 1934 weigerte sich der Vorstand des inzwischen von der DAF übernommenen Kreditinstituts zunächst, dass »nunmehr das Wort ›Sparkasse‹ aus der Firmen38 Der »Alte Kämpfer« Lencer, mit 31 Jahren zum Zeitpunkt der »Machtergreifung« deutlich jünger als Müller und Rosenhauer, hatte wie diese in den zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre berufliche Erfahrungen im Bankgewerbe gesammelt. Seit Ende der dreißiger Jahre saß er zudem in zentralen Gremien des reichsdeutschen Bankwesens. Vgl. Kapitel 2, S. 85. 39 Vgl. gemeinsamen Erlaß des preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe sowie des preußischen Innenministeriums vom 30. Nov. 1932, nach: Schreiben des Oberregierungsrats Sperl an Geheimrat Bachem vom selben Tage, in: Rossiskij ­Gosundarstvennyi Voennyj Archiv v Moskve [Russisches staatliches Militärarchiv Moskau] (RGVA), Nr. 1458-1-434. (Ich danke Johannes Bähr dafür, dass er mir Kopien der Archivalien dieses Bestandes zur Verfügung gestellt hat.) Hintergrund war die Notverordnung vom 6. Okt. 1931, die die Bezeichnung »Sparkasse« unter staatlichen Schutz gestellt hatte. Vgl. Pohl, Sparkassen, S. 155 f. 107 die banken bezeichnung verschwinde«;40 man wollte auch weiterhin nach außen hin signalisieren, dass man vor allem die Spargroschen des ›kleinen Mannes‹ sammele. Tatsächlich stagnierten die Spareinlagen bis in die Vorkriegsjahre (Tabelle 1.2). Wenn die Einlagen insgesamt dennoch deutlich stiegen, dann war dies in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Arbeitsbank de facto zu einem Depot wurde, in dem die Führung der Arbeitsfront schon bald die üppig sprudelnden Mitgliedsbeiträge der Massenorganisation sammelte. Unter den Funktions­ trägern des NS-Regimes, die für die Finanzierung der Aufrüstung verantwortlich waren und mit Devisenproblemen zu kämpfen hatten, rief dies sowie das angeblich zurückhaltende Engagement der Arbeitsbank bei der Zeichnung von Reichsanleihen und ebenso deren geringe Beteiligung an Finanzierungskonsortien für die Errichtung autarkiepolitisch bedeutsamer Industrieanlagen, erhebliche Verärgerung hervor. Namentlich Reichswirtschaftsminister und Reichsbankpräsident Schacht beschwerte sich bereits im Frühsommer 1934 unmittelbar bei Hitler in kaum misszuverstehenden Worten über das DAF-Geldinstitut.41 Der Diktator indes zeigte Schacht, aber auch dem Reichsfinanzminister, der sich wenig später »über die geldlichen Verhältnisse der Arbeitsfront« die »Kontrolle« verschaffen wollte,42 die kalte Schulter. Auch in der Folgezeit konnten die Vorstände der Bank der Deutschen Arbeit sowie die finanzpolitisch Verantwortlichen der DAF so agieren, wie sie selbst bzw. die Arbeitsfront-Führung das für richtig hielten; auf Wünsche des Reichswirtschafts- oder Reichsfinanzministeriums und anderer staatlicher Stellen nahmen sie dabei keine Rücksicht.43 40 Vermerk des preußischen Finanzministeriums (gez. Sperl) vom 9. März 1934, in: RGVA, Nr. 1458-1-434. 41 Am 25. Juni 1934 klagte Schacht in seiner Funktion als Reichsbankpräsident in einem unmittelbar an Hitler gerichteten Schreiben über »die mangelnde Mitarbeit der Bank der Deutschen Arbeit A.G. bei der soeben beendeten Zeichnung auf die 4 %ige Reichsanleihe«. Während die Deutsche Bank 59 Mio. RM gezeichnet hatte, hatte sich die Arbeitsbank mit gerade einmal 2,3 Mio. RM engagiert, obwohl deren Einlagen im ersten Halbjahr 1934 um 100 Mio. RM gestiegen seien. In: BA Berlin, R 43 II, Nr. 531, Bl. 167 bzw. Archiv des IFZ/München, Fa 199/2. 42 Vgl. Vermerke der Reichskanzlei vom 13. Juli und 1. Aug. 1934, sowie Lammers an Schwerin-Krosigk vom 24. Juli 1934, in: BA Berlin, R 43 II, Nr. 531, Bl.169-170 Rs. 43 Ein Beispiel sind die Konsortialkredite zur Finanzierung neuer Faserstoffanlagen Ende 1934 und Ende 1936. Am ersten Konsortialkredit vom Dez. 1934 in einer Dimension von gut 160 Mio. RM – bei zehn- bzw. zwölfjähriger Laufzeit und einer fünfprozentigen Verzinsung ohne Kreditprovision (die diesen Kredit nicht gerade attraktiv machten) – war die »Bank der Deutschen Arbeit« mit 17,24 % noch in denselben Dimensionen beteiligt wie die Dresdner und die Deutsche Bank, und deutlich stärker als die Preußische Staatsbank (10,79 %), die Bank für Industrie-Obligationen, die Commerzbank und die Reichs-Kredit-Gesellschaft (je 10,35 %). Am zweiten Faserstoff-Kreditkonsortium Ende 1936 lag die Beteiligung der BDA bei unter zwei Prozent (während die der Deutschen und Dresdner Bank fast auf der gleichen Höhe wie zwei Jahre zuvor blieben). Vgl. Kopper, Bankenpolitik, S. 167-170. Angesichts der niedrigen Verzinsung und langer Rückzahlungsfristen war die Arbeitsbank zu diesem Zeitpunkt zu einem stärkeren Engagement offensichtlich nicht bereit. Das änderte sich in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre. 108 die bank der deutschen arbeit Dass es der Arbeitsbank gelang, ihre Stellung als eine Art proletarische Sparkasse in DAF-Besitz zunächst zu halten und in den Vorkriegsjahren erfolgreich auszubauen, mutet dennoch auf den ersten Blick überraschend an. 1938 verfügte die Bank der DAF im »Altreich« lediglich über 34 Niederlassungen an verschiedenen Orten. Das waren gerade einmal zehn mehr als 1933. Bis Ende 1940 stieg die Zahl der größeren Filialen auf 43. Hinzu kamen (Ende 1940) 68 Zahlstellen, bei denen die Sparer Ein und Auszahlungen vornehmen konnten.44 Bedenkt man, dass die drei Berliner Großbanken ein Netz von jeweils mehr als dreihundert Filialen besaßen,45 wirkt das Filialnetz der Arbeitsbank recht bescheiden. Diese Angaben sagen jedoch wenig aus. Denn die Arbeitsbank musste kaum Mühen darauf verwenden, flächendeckend mit Niederlassungen vertreten zu sein. Sie konnte auf die DAF-Organi­sation und deren personellen Apparat zurückgreifen. Deren örtliche und betriebliche Funktionäre fungierten als eine Art Ersatz-Filialen bzw. nicht-formelle Zahlstellen. Welch Konkurrenzvorteil dies war, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Arbeitsfront bei Kriegsbeginn über knapp 50.000 hauptamtliche und zwei Millionen ehrenamtliche DAF- und KdF-Walter verfügte, d. h. einen personeller Apparat, der knapp doppelt so groß war wie der der NSDAP. Zudem wurde bereits Mitte 1936 ein größerer Teil, 1938 dann de facto die Gesamtheit der Mitgliedsbeiträge an die Arbeitsfront direkt über die betrieblichen Lohnbüros eingezogen und auf Konten der Arbeitsbank transferiert. 1936 übernahmen die größeren Dienststellen der DAF auch offiziell die Funktion von »Sparkassen-Zahlstellen« der Arbeitsbank. Kunden des DAF-Bankin­stituts konnten fortan unmittelbar über die entsprechenden Dienststellen der Arbeitsfront ihre Ein- und Auszahlungen tätigen oder Raten für Kleinkredite einzahlen.46 Ein weiterer Hebel zum Ausbau ihres Filialnetzes war während des Krieges die Übernahme der Spargeschäfte der ehemaligen Konsumgenossenschaften, nachdem diese in das Deutsche Gemeinschaftswerk umgewandelt und das Ein- und Auszahlungssystem der bisherigen Verbrauchergenossenschaften abgeschafft worden war.47 Im Frühsommer 1941 beantragte die Arbeitsbank die Zulassung von etwa fünfhundert norddeutschen Verkaufsstellen der ehemaligen Konsumgenossenschaften als Kleinstfilialen.48 Das Reichswirtschaftsministerium wollte 44 Hinzu kamen innerhalb des »Großdeutschen Reiches« bis Ende 1940 vier Depositenkassen und acht Niederlassungen der Ostdeutschen Privatbank AG, die sich seit 1939 im Besitz der Arbeitsbank befand. Alle Angaben nach: »Bank der Deutschen Arbeit: Gläubiger um 108 % erhöht« (o.V.), in: Die Bank 34/1941, Heft 11, S. 221-223, hier: S. 221. 45 Vgl. Kreutzmüller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 6. 46 Geschäftsbericht der Arbeitsbank für 1935. 47 Vgl. Kapitel 7, S. 398 f. 48 Konkret wollte die Arbeitsbank 337 frühere Verkaufsstellen der Niederelbischen Verbrauchergenossenschaft in Hamburg, rund 100 Verkaufsstellen der VerbraucherGenossenschaft Bremen und 55 Verkaufsstellen der Verbraucher-Genossenschaft Braunschweig zu eigenen »Ein- und Auszahlungsstellen […] neben den bestehenden Bank- und Sparkassenstellen« machen. Funk an Ley vom 31. Juli 1941, in: ebd., Nr. 736, 109 die banken dies zunächst nicht zulassen. Da die Behörde Funks jedoch rapide an Einfluss verlor, dürfte die Arbeitsbank wohl auch auf diesem Weg ihr Zweigstellennetz noch einmal erheblich ausgeweitet haben. Darüber hinaus konnte das DAF-Geldinstitut an die, in den sozialdemokratischen Milieus der Weimarer Republik gewachsenen informellen Beziehungsnetze anknüpfen, die die Arbeitsbank aufgebaut hatte, um Kleinsparer anzuwerben. Es ist davon auszugehen, dass zahlreiche der zum Zeitpunkt der »Machtergreifung« insgesamt 13.000 und 1943 schließlich 36.000 Vertrauensleute der Volksfürsorge, und ebenso mindestens ein Teil der Angestellten in den Verteilerstellen der Konsumgenossenschaften, nach 1933 weiterhin für die Arbeitsbank warben, alle drei Unternehmen – Volksfürsorge, Konsumgenossenschaften, Arbeitsbank sowie möglicherweise weitere DAF-Unternehmen – mithin eine Art informellen Werbeverbund aufbauten. KdF-Sparen, VW-Sparen, »Eisernes Sparen«, »Ostarbeiter-Sparen« Hitler hatte das Sparen als »Kraftquell der Nation« zur »nationalen Pflicht« erklärt,49 da es eine simple Form der Kaufkraftabschöpfung50 und der Kriegs­ finanzierung darstellte. Verfehlt wäre es jedoch, die Bedeutung des Sparens allgemein und die der entsprechenden Einlagen bei der Arbeitsbank im Besonderen zu überschätzen. Dazu wuchsen die Arbeitereinkommen viel zu langsam.51 Angesichts dessen hielt sich auch die Sparquote generell in insgesamt überschaubaren Grenzen.52 Das galt auch für die Arbeitsbank. Bereits der Blick auf die Einlagen der Bank der Deutschen Arbeit (Tabelle 1.2) ist hier aufschlussreich. Im Jahr 1935 machten die Einlagen von Kleinsparern ein gutes Viertel (28,3 %) sämtlicher Einlagen aus. In der Folgezeit verminderte sich ihre relative Bedeutung stark. Bis 1943 ging der Anteil der Spareinlagen an den Gesamteinlagen auf zehn Prozent zurück. Wenn sie dagegen absolut von 75,4 Mio. RM 1936 auf 49 50 51 52 110 Bl. 1-11, hier: Bl. 2, bzw. in: BA Berlin, R 8120, Nr. 804, Bl. 16, 25-34 bzw. 36-45, hier: Bl. 26 bzw. Bl. 36. Zu vermuten steht, dass die Arbeitsbank derartige Anträge – erfolgreich – auch für den süd(west)-, den mittel- sowie den ostdeutschen Raum stellte, ihr Kleinstfilialnetz mithin um mehrere tausend Zweigstellen erweiterte. Nach: Pohl, Sparkassen, S. 176. Dass diese Kaufkraftabschöpfung ab Aug. 1939 auf einem – durch eine rasch ausgeweitete Rationierung aller wichtigen Lebensmittel – de facto erzwungenen massiven Konsumverzicht vor allem des Kerns der Arbeitnehmerschaft basierte und von einer Freiwilligkeit des Sparens nur sehr eingeschränkt gesprochen werden kann, hat jüngst Buchheim nachgewiesen. Vgl. Christoph Buchheim, Der Mythos vom »Wohlleben«. Der Lebensstandard der deutschen Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg, in: VZG 58/2010, S. 299-328, hier: S. 302. Vgl. ausführlich Rüdiger Hachtmann, Industriearbeit im Dritten Reich. Untersuchungen zu den Lohn- und Arbeitsbedingungen 1933-1945, Göttingen 1989, bes. S. 90-160. Vgl. Philipp Kratz, Sparen für das kleine Glück, in: Götz Aly (Hg.), Volkes Stimme. Skepsis und Führervertrauen im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 2006, S. 59-79, resümierend: S. 77 ff. die bank der deutschen arbeit schließlich 1943 373,8 Mio. RM stiegen, sich mithin verfünffacht hatten (und damit im allgemeinen Trend bewegten53), dann ist dies weniger auf einen abstrakten Sparwillen zurückzuführen als vielmehr ein Hinweis auf die Bedeutung von politisch induzierten Sparaktionen, die bilanziell allerdings nur teilweise unter »Spareinlagen« zu Buche schlugen. Die erste dieser Sparaktionen, an denen die Arbeitsbank partizipierte, war das Reisesparen, das das »Amt Reisen, Wandern und Urlaub« der »Nationalsozialistischen Gemeinschaft ›Kraft durch Freude‹« (KdF) als der größten Suborganisation der DAF ab November 1934 initiierte. 1934 belief sich der Betrag der ersten KdF-Sparer auf bescheidene 12.000 RM. Bis Frühjahr 1937 waren die diesbezüglichen, vom KdF-Tourismusamt allerdings nicht nur bei der Arbeitsbank, sondern auch bei Sparkassen54 eingerichteten Konten auf immerhin sechs Mio. RM angewachsen.55 Vor allem mit dem »Anschluss« Österreichs machten die entsprechenden Einlagen noch einmal einen kräftigen Sprung nach oben.56 Insgesamt blieb allerdings das Volumen der Einlagen aus dem KdF-Rei­sesparen im Vergleich zu weiteren Spar-Aktionen relativ klein. Eine zweite, wichtigere Aktion war das breit propagierte Sparen für den KdF-Wa­gen, den späteren Volkswagen-»Käfer«. Bis Frühjahr 1945 hatten knapp 340.000 Spa­rer insgesamt mehr als 275 Mio. RM erspart.57 Dieser Betrag wurde nicht allein, aber doch in erster Linie auf Konten der Arbeitsbank deponiert. Bilanziell wurde dieser Betrag freilich nicht unter »Spareinlagen« (also Kleinkonten) subsumiert, da die entsprechenden Beträge, mit denen sich die Sparer ein Anrecht auf den Erwerb eines KdF-Wagens erwarben, gesammelt und dann auf ein Sperrkonto eingezahlt wurden. Anders war dies – drittens – beim »Eisernen Sparen«. Eine Verordnung vom 30. Oktober 1941 sah unter dem bezeichnenden Titel »zur Lenkung der Kauf53 Die Spareinlagen der deutschen Sparkassen insgesamt erhöhten sich von 13,8 Mrd. RM 1935 auf 66,9 Mrd. RM 1943 und 80,4 Mrd. RM 1944. Vgl. Pohl, Sparkassen, S. 183, 196. Sie hatten sich zwischen 1935 und 1943 mithin knapp verfünffacht (Anstieg um 385 %, gegenüber einem Anstieg der Spareinlagen der Arbeitsbank um 363 % im selben Zeitraum). 54 Vgl. ebd., S. 194. 55 Vgl. Smelser, Hitlers Mann, S. 165; ferner Bruno Frommann, Reisen im Dienste politischer Zielsetzungen. Arbeiter-Reisen und ›Kraft durch Freude‹-Fahrten (Diss.), Stuttgart 1992, S. 119; Hasso Spode, Arbeiterurlaub im Dritten Reich, in: Carola Sachse u. a., Angst, Be­loh­nung, Zucht und Ordnung. Herrschaftsmechanismen im Nationalsozialismus, Opladen 1982, S. 275-328, hier: S. 301. Zur vergleichsweise kurzen und relativ erfolglosen Geschichte des Reisesparens vor 1933 vgl. ders., »Der deutsche Arbeiter reist«. Massentourismus im Dritten Reich, in: Gerhard Huck (Hg.), So­zialgeschichte der Freizeit, Wuppertal 1982, S. 281-306, hier: S. 287. 56 Vgl. Theodor Venus, Die Zentralsparkasse der Gemeinde Wien im Nationalsozialismus, in: Gerald D. Feldman/Oliver Rathkolb/Theodor Venus/Ulrike Zimmerl, Österreichische Banken und Sparkassen im Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit, Bd. 2: Regionalbanken, Länderbank und Zentralsparkasse, München 2006, S. 513-847, hier: S. 611, 739 f. 57 Vgl. Mommsen/Grieger, Volkswagenwerk, S. 198. 111 die banken kraft« vor,58 dass monatliche Beträge bis 26 RM auf ein besonderes Sparkonto eingezahlt werden konnten. Zweck der Verordnung war die Abschöpfung von Kaufkraft zur Kriegsfinanzierung und zugleich eine Art Inflationsprophylaxe. Nicht Druck, sondern fiskalische Anreize verschafften dem »Eisernen Sparen« eine anfangs relativ starke Resonanz: Die auf die »Eisernen Sparkonten« eingezahlten Beträge und ebenso die daraus resultierenden Zinseinnahmen mussten nicht versteuert werden und waren auch nicht sozialversicherungspflichtig.59 Verzinst wurden die »eisern« ersparten Gelder dagegen wie normale Sparbeträge. Der große Nachteil des von der NS-Pro­pa­gan­da heftig beworbenen »Eisernen Sparens« war, dass sie während des Krieges nicht gekündigt und nur in wenigen Ausnahmefällen – Heirat, familiäre Krankheits- oder Todesfälle – überhaupt Beträge abgehoben werden durften. Dass das »Eiserne Sparen« angesichts der »ausgeprägten Abneigung« weiter Teile der Industriearbeiterschaft gegen diese neue Form des Zwangssparens nicht freiwillig war, sondern wenig kaschiert erzwungen werden musste, kann kaum überraschen: Von vielen Unternehmen wurden Weihnachtsgratifikationen und Jahresabschlussprämien nur ausgezahlt, wenn sich die Arbeitnehmer zuvor verpflichtet hatten, mindestens einen Teilbetrag auf ein »Eisernes« Sparkonto einzuzahlen.60 Folge der Verordnung war, dass trotz der offenen Abneigung breiter Arbeitnehmerschichten gegen das »Eiserne Sparen«61 bei allen Sparkassen und ebenso den Großbanken die Spareinlagen stark wuchsen. Kräftige Sprünge waren vor allem bis Herbst 1942 zu verzeichnen, als die Illusion in einen baldigen »Endsieg« des NS-Regimes breite Bevölkerungsschichten veranlasste, auf diese lukrative Variante des Sparens zu setzen. Bis Ende 1942, also innerhalb eines guten Jahres, wurden mehr als 1,8 Mio. »Eiserne« Sparverträge abgeschlossen. »Stalingrad« machte der Endsieg-Euphorie dann definitiv ein Ende und ließ die Zahl der anschließend bis 1945 neu eröffneten »Eisernen Sparkonten« auf weniger als 180.000 sinken.62 Bei der Arbeitsbank waren bis Ende 1942 28,5 Mio. RM auf 58 RGBl. 1941, I, S. 664. 59 Die Arbeitsfront dagegen weigerte sich, die »eisern« gesparten Summen von den seit November 1939 auch nominell obligatorisch geworden DAF-Zwangsbeiträgen – die nach der Höhe der Einkommen sowie nach dem Familienstand festgelegt wurden – auszunehmen; sie provozierte damit erhebliche Unzufriedenheit in der deutschen ­Arbeitnehmerschaft. Vgl. SD-Berichte vom 9. April 1942, in: Meldungen aus dem Reich, Bd. 10, S. 3610 f.; ferner Wolfgang Franz Werner, »Bleib übrig!« Deutsche ­Arbeiter in der na­tio­nal­so­zia­li­sti­schen Kriegswirt­schaft, Düsseldorf 1983, S. 221. 60 Vgl. (inkl. Zitat) ebd. 61 Vgl. SD-Berichte vom 1. Dez. 1941 und 9. April 1942, in: Meldungen aus dem Reich, Bd. 8, S. 3053-3057; Bd. 10, S. 3609-3612. 62 Ausführlich: Kratz, Sparen für das kleine Glück, S. 73-79. Kratz betont, dass trotz der auf den ersten Blick beeindruckenden Zahl von insgesamt knapp zwei Mio. »Eisernen Sparkonten« diese Zahl aus der Sicht des Hitler-Regimes angesichts der mehr als 24 Mio. deutschen Lohn- und Gehaltsempfänger enttäuschend sein musste. Hinter dieser Zurückhaltung und ebenso hinter den für die DAF enttäuschenden Zahlen der KdF-Wagen-Sparer stand ein »massives Misstrauen in die kriegerische Politik des NSStaates«. Ebd., S. 78. 112 die bank der deutschen arbeit »Eisernen Sparkonten« angelegt; bis zum Ende des folgenden Jahres hatte sich diese Summe auf 57,3 Mio. RM verdoppelt.63 Die auf den »Eisernen Sparkonten« gesammelten Gelder machten mit etwa zehn Prozent nur einen alles in allem geringen Prozentsatz sämtlicher Spareinlagen der Arbeitsbank aus. Diese wuchsen von 181,0 Mio. RM (1941) über 280,2 Mio. RM (1942) auf 373,8 Mio. RM im Jahre 1943. Das rasante Wachstum der Spareinlagen des DAF-Geldinstituts und ebenso der Sprung von 1943 auf 1944 – auf 511,5 Mio. RM, d. h. erneut um ein gutes Drittel (36,8 %; Tabelle 1.2) – war also nur zum geringen Teil auf das »Eiserne Sparen« deutscher Arbeitnehmer zurückzuführen. Weit mehr trugen – viertens – die schließlich nach Millionen zählenden »Fremdarbeiter« unfreiwillig dazu bei, dass die Spareinlagen der Bank der Deutschen Arbeit und ebenso die anderer Geldinstitute auch in den letzten beiden Kriegsjahren weiter wuchsen. Ihnen wurden auf unterschiedliche Art und Weise Gelder abgenötigt. Ausländische Zivilarbeiter, die nicht aus der Sowjetunion oder Polen kamen, konnten sich nach den für die Deutschen geltenden Konditionen am »Eisernen Sparen« beteiligen. Darüber hinaus wurde von allen Fremdarbeitern – auch von den »Ostarbeitern« – eine Spende für das Winterhilfswerk sowie Abgaben an die DAF obligatorisch erhoben.64 Die von allen Fremdarbeitern zu entrichtenden Abgaben an die Arbeitsfront entsprachen in ihrer Höhe dem durchschnittlichen Mitgliedsbeitrag deutscher Arbeitnehmer.65 Beides, sowohl die Spenden an das Winterhilfswerk als auch die Zwangsabgaben an die DAF, wurde über Konten der Arbeitsbank abgewickelt. Eine weitere Sparform für ausländische Arbeiter, das vom »Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz« entwickelte und von der DAF massiv propagierte »Ostarbeitersparen« sollte den aus Polen, der Ukraine und anderen sowjetischen Regionen stammenden zivilen Fremdarbeitern einen Anreiz bieten, einen Teil des ihnen in Deutschland ausgezahlten Lohnes in die Heimatländer zu transferieren; dort sollten diese dann in der jeweils einheimischen Währung ausgezahlt werden. Das ging grundsätzlich nur, solange die Wehrmacht 63 Vgl. Niederschrift zu verschiedenen Angelegenheiten der Bank der Deutschen Arbeit AG am 22. Dez. 1943 durchgeführten Besprechung, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 57. 64 Vgl. Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa, 19391945, Stuttgart/München 2001, S. 152; vgl. ferner z. B. Bernd Boll, »Das wird man nie mehr los …« Ausländische Zwangsarbeiter in Offenburg 1939 bis 1945, Pfaffenweiler 1994, S. 186 ff. 65 Begründet wurden die Zwangsabgaben an die DAF mit den Kosten für den Aufbau der Fremdarbeiterlager und deren Verwaltung sowie die »Freizeitbetreuung« durch DAF bzw. KdF. Trotz dieser Zahlungen besaßen die »Fremdarbeiter« innerhalb der Arbeitsfront keine den deutschen »Gefolgschaften« vergleichbaren Rechte. Unterstützung durch die DAF-Rechtsberatungsstellen konnten sie z. B. nicht geltend machen. Zu ihren Löhnen sowie zu den Steuern und Sozialabgaben, die sie – abgestuft nach nationaler Zugehörigkeit, Geschlecht und Status – zu zahlen hatten, vgl. Spoerer, Zwangsarbeit, S. 151-166. 113 die banken diese Regionen besetzt hielt.66 Nach dem Rückzug der deutschen Truppen aus den besetzten sowjetischen Gebieten wurden diese Transfer-Löhne nicht etwa storniert und die zwangsweise eingezogenen ›Sparbeträge‹ den betroffenen Fremd­arbeitern in Reichsmark oder Lebensmittelkarten ›ausgezahlt‹, sondern weiterhin einbehalten. Infolgedessen kumulierten sich bei den zuständigen Bankinstituten die Gelder. Bei der Zentralwirtschaftsbank der Ukraine, d. h. bei der vom Reichskommissar für die Ukraine gegründeten Staatsbank, beispielsweise summierten sich die für die Auszahlung der ukrainischen Fremdarbeiter im Heimatland vorgesehenen, wegen des steten Vorrückens der Roten Armee jedoch nicht transferierten, sondern einbehaltenen Lohngelder Ende 1944 auf 45.348.500 RM. Anfang 1945 ging diese Summe und überhaupt die Zuständigkeit für das Zwangs­sparen der ukrainischen Ostarbeiter – de facto eine erzwungene Kaufkraftabschöpfung und unfreiwillige Kriegsfinanzierung – von der Zentralwirtschaftsbank der Ukraine, die seit Mitte 1944 in Cottbus nahe Berlin residierte, auf die Bank der Deutschen Arbeit über.67 Nominell. Tatsächlich kam die DAF-Bank nicht mehr in den Genuss dieser Gelder.68 Mochte das Geldinstitut der Arbeitsfront hier aufgrund seiner politischen Beziehungen einen (zweifelhaften) Vorsprung vor der Konkurrenz gewonnen haben, war die Arbeitsbank ansonsten nur eines aus der größeren Zahl reichsdeutscher Geldinstitute, die an dem, durch die verschiedenen Formen des Lohntransfers bedingten Betrug an den Fremdarbeitern partizipierten. Alle Banken profitierten davon, dass in den meisten okkupieren Gebieten und ebenso in den verbündeten Staaten eine deutlich höhere Inflation als im »Großdeutschen Reich« herrschte. Dies hätte an sich zu einer Aufwertung der Reichsmark füh66 Und auch das zunächst nur theoretisch. Inwieweit auf diese Weise überwiesene Einkommensbestandteile tatsächlich bei den dafür vorgesehenen Adressaten ankamen, in welchen Dimensionen schon zuvor zwangs-gesparte Gelder unterschlagen wurden, ist unbekannt. Die Möglichkeiten hierfür waren jedenfalls zahllos. 67 Vgl. zu diesem am 26. Jan. 1945 geschlossenen und auf den 31. Dez. 1944 rückdatierten Vertrag den nach Kriegsende erstellten Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die bei der Bank der Deutschen Arbeit AG Berlin durchgeführte Prüfung des Jahresabschlusses zum 31. Dezember 1944 sowie des Zwischenabschlusses zum 30. April 1945, in: BA Berlin, R 8135, Nr. 8613, S. 10 f. Für die Verwaltung der (Zwangs-) Sparkonten der ukrainischen Ostarbeiter schien die Arbeitsbank aufgrund ihrer engen Beziehungen zur DAF besonders prädestiniert, oblag der Arbeitsfront doch seit einer vom GBA Fritz Sauckel im Frühjahr 1942 ausgestellten Generalvollmacht die gesamte »Fremdarbeiterbetreuung«. Dies bezog sich auf alle Aspekte außerhalb der eigentlichen Arbeitsprozesse, also Freizeit- und Urlaubsbetreuung, Verwaltung und Versorgung der Lager usw. einschließlich aller Absprachen mit anderen Behörden vor Ort, Banken etc. 68 So heißt es in dem 1945 verfertigten Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG (wie Anm. 67), dass »die erforderliche Anpassung der Devisenbestimmungen« und die Durchführung des geplanten (Lohn-)Vermögenstransfers »nicht mehr zu Stande gekommen« sei; infolgedessen seien die Spareinlagen der Ostarbeiter »noch nicht in das Vermögen der Bank übergegangen«. Vgl. auch Mommsen/Grieger (Volkswagenwerk, S. 597), die allerdings das Scheitern dieses Vermögenstransfers übersehen. 114 die bank der deutschen arbeit ren müssen. Die deutsche Reichsbank hielt jedoch den Kurs künstlich niedrig, so dass den Fremdarbeitern bzw. ihren Angehörigen dann im Heimatland die transferierten Löhne in lokaler Währung zu einem Kurs ausgezahlt wurden, der der dortigen Kaufkraft nicht angemessen war. Die Reallöhne der ausländischen Arbeitskräfte wurden also künstlich niedrig gehalten. Die Kaufkraftdifferenz verblieb beim deutschen Staat und wurde zur Kriegsfinanzierung verwendet. Die Banken wiederum ließen sich ihre Dienste großzügig honorieren69 und gingen dabei, in Kooperation mit den zu­ständigen staatlichen Stellen, arbeitsteilig vor.70 Die Folge der Sparaktionen war, dass die Summe aller Sparguthaben auf deutschen Geldinstituten auch während des Krieges kräftig wuchs.71 Berücksichtigt man, dass die genannten Sparinitiativen nur einen Teil sämtlicher Sparaktionen, die im Dritten Reich gestartet wurden, bildeten und die Arbeitsbank z. B. am 1934 eingeführten »Deutschen Bauernsparbuch« nicht beteiligt war, nur in Grenzen außerdem am »Schulsparen«, am »Hitler-Jugend-Sparen«,72am »Heimsparen«73 und an anderen Spar-Kampagnen, dann wird deutlich, dass die DAF-Bank unter dem Strich jedenfalls nicht stärker als andere Geldinstitute und Sparkassen an der breiten Palette von Sondersparformen während der NS-Zeit partizipierte. »… zum Zwecke der Arisierung namhafte Kreditbeträge zur Verfügung gestellt« In welchem Maße partizipierte die Arbeitsbank am ›Geschäft‹ mit der »Arisierung«? Umfassende und statistisch präzise Angaben sind nicht möglich. Von der Arbeitsfront selbst sind genauere Unterlagen nicht überliefert.74 In ihren Ver­öffentlichungen finden sich lediglich allgemeine Hinweise, dass das organisationseigene Bankhaus für die Enteignung jüdischer Unternehmen umfäng69 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit, S. 163. 70 Den größten Kuchen schnitt sich die Deutsche Bank ab, als das Geldinstitut, das für die meisten europäischen Länder ›zuständig‹ war und schon ab 1938 davon profitiert hatte, dass es die Lohn-»Überschüsse« der italienischen Fremdarbeiter in deren Heimat überweisen durfte. Vgl. Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des »Ausländereinsatz« in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin/Bonn 1985, S. 59 f. 71 Die Summe aller Sparguthaben bei deutschen Geldinstituten und der Reichspost stieg von 27,3 Mrd. RM im Jahre 1938 auf 125 Mrd. RM 1944. Vgl. Bähr, Dresdner Bank, S. 226, Anm. 197. 72 Am »Schulsparen« waren 1938 3,5 von insgesamt neun Mio. Schulkindern beteiligt. Die jährlichen Einnahmen aus dem Markenverkauf stiegen von 3 Mio. RM über 8,4 Mio. RM 1936 auf 16,7 Mio. RM 1938. Vgl. Pohl, Sparkassen, S. 193, 246. Das HJ-Sparen war 1937 als Ergänzung zum Schulsparen eingeführt worden. 73 Zum »Heimsparen« vgl. ebd., S. 193. Mit Einnahmen von 34,3 Mio. RM aus entleerten Heimsparbüchsen im Jahre 1938 war die mit dieser Aktion erzielte Sparsumme mehr als doppelt so hoch wie die aus dem Schulsparen im selben Jahr. 74 Vgl. auch Dieter Ziegler, Die Dresdner Bank und die deutschen Juden, München 2006, S. 204; ferner Schneider, Unterm Hakenkreuz, S. 236. 115 die banken liche Kredite bereitstellte.75 Dass die Arbeitsbank in stärkerem Maße an der ­Enteignung jüdischer Unternehmer beteiligt war, kann allerdings nicht zweifelhaft sein. So stellte das Bankinstitut der Arbeitsfront schon frühzeitig zum Teil umfängliche Kredite für »Arisierungen« zur Verfügung, etwa im Frühsommer 1934 für den Kauf des Ullstein-Verlages durch den, im Besitz der NSDAP befindlichen Verlag Franz Eher Nachf.76 Auf Seiten der Arbeitsfront war es Rudolf Lencer, der die Beteiligung der Arbeitsbank an »Arisierungen« maßgeblich zu forcieren suchte. Er drängte, noch als Leiter des Fachamtes »Banken und Versicherungen« der DAF und kurz bevor er in den Vorstand der Arbeitsbank aufgenommen wurde, massiv auf die »Arisierung« des Bankhauses J. Dreyfus & Co. (Berlin/ Frankfurt a. M.), die dann bis Frühjahr 1938 auch vollzogen wurde. Neubesitzer der traditionsreichen Privatbank wurde allerdings nicht das DAF-Geldinstitut, sondern das Bankhaus Merck, Finck & Co.77 Auch anderswo gelang es der Arbeitsfront und der Arbeitsbank nicht immer, in der gewünschten Weise von »Arisierungen« zu profitieren. So hatte die DAF-Gauwaltung Nürnberg seit Spätsommer 1938 die Enteignung des jüdischen Bankhauses Anton Krohn betrieben. Die Bank der Deutschen Arbeit bereitete sich auf die Übernahme der renommierten Privatbank vor, zog sich wenige Tage nach dem Novemberpogrom jedoch »plötzlich aus dem Geschäft zurück«. Andere waren stärker: Die NSDAPGauleitung um Julius Streicher hatte sich den Zugriff auf die Bank und deren wertvolle Immobilien sichern können und »arisierte« das Krohn’sche Geldinstitut, auf skandalträchtige Weise, nämlich nach eigenem Gutdünken zugunsten vor allem des stellvertretenden NSDAP-Gauleiters Karl Holz.78 75 Vgl. Zentralstelle der DAF für Finanzwirtschaft, Die wirtschaftlichen Unternehmungen der Deutschen Arbeitsfront, Berlin 1939, S. 11 sowie Anm. 83. 76 Neben dem Hugenberg-Konzern war der Ullstein-Verlag der größte und einflussreichste Pressekonzern der Weimarer Republik (mit der Berliner Morgenpost, der Berliner Illustrierten, der Montagspost u. a., außerdem dem Propyläen-Verlag und dem BZ-Karten-Verlag). Der Wert des Ullstein-Konzerns wurde auf 50 bis 60 Mio. RM geschätzt. Womöglich lag er noch höher: Allein 1934 betrugen die Einnahmen nur aus der Zeitungssparte des hochprofitablen Ullstein-Verlags 29,6 Mio. RM. Der Kaufpreis, zu dem der Eher-Verlag den Ullstein-Konzern erwarb, lag bei 12 Mio. RM, von denen den jüdischen Besitzern wiederum schließlich nur ein Bruchteil blieb. Die Zahl der bei Ullstein Beschäftigten lag 1934 bei achttausend. Vgl. Oron J. Hale, Presse in der Zwangsjacke 1933-1945, Düsseldorf 1965, S. 138; Margot Lindemann/Kurt Koszyk, Geschichte der deutschen Presse, Bd. 7, Berlin 1972, S. 392; Barbian, Literaturpolitik, S. 303. 77 Merck, Finck & Co. war zum einen an den traditionsreichen Geschäftsverbindungen von Dreifuß & Co. interessiert und wollte darüber hinaus über den Erwerb des Bankhauses Mitglied der exklusiven »Stempelvereinigung« der großen reichsdeutschen Geschäftsbanken werden. Vgl. Ingo Köhler, Die »Arisierung« der Privatbanken im Dritten Reich. Verdrängung, Ausschaltung und die Frage der Wiedergutmachung, München 2005, S. 305-311; Kopper, Bankenpolitik, S. 257 f. Zur »Stempelvereinigung«, der die Arbeitsbank nie angehörte, vgl. unten. 78 Ausführlich: Maren Janetzko, Haben Sie nicht das Bankhaus Krohn gesehen? Ein jüdi- 116 die bank der deutschen arbeit Das Novemberpogrom 1938 beschleunigte den Enteignungsprozess jüdischer Bankiers nachhaltig. In einer Reihe von Orten waren Funktionäre der Arbeitsfront unmittelbar daran beteiligt. So besetzten SA- und DAF-Leute am 10. November 1938 das Bankhaus S. Aufhäuser, eine der zehn größten reichsdeutschen Privatbanken; »Kommissare« der Arbeitsfront veranlassten die Verhaftung des jüdischen Inhabers. In diesem Fall wurde das DAF-Geldinstitut nicht zum unmittelbaren Profiteur der »Arisierung«. Stattdessen kam es zu der bereits vorher vereinbarten »›freundschaftlichen‹ Arisierung durch den Privatbankier und späteren geschäftsführenden Gesellschafter F.W. Seiler«. Die Arbeitsbank scheint bei der Besetzung dieses Bankhauses durch DAF-Kommissare weder vor noch hinter den Kulissen eine Rolle gespielt zu haben.79 Ansonsten aber weitete die DAF-Bank ihre Beteiligung an »Arisierungen« nach dem Novemberpogrom erheblich aus und kam damit einer ausdrücklichen Forderung Leys nach.80 So wirkte sie an der Liquidierung der Dortmunder Privatbank Gebr. Stern und des in Halle ansässigen Geldinstituts Friedmann & Co. mit. Das Interesse des DAF-Geldinstituts an beiden Banken konzentrierte sich auf die Immobilien, die sie nach der Inbesitznahme für den Aufbau örtlicher Filialen nutzte. Daneben spekulierte die Arbeitsbank auf die Übernahme der Kundenverbindungen.81 Ingo Köhler, der die Enteignung von Privatbanken, die sich in jüdischem Besitz befanden, genauer untersucht hat, resümiert, dass die Zahl der Fälle, in denen sich die Arbeitsbank und andere Geldinstitute in Partei- oder Staatsbesitz daran beteiligten, insgesamt »gering« gewesen sei.82 Der Geschäftsführer der DAF Otto Marrenbach war dennoch mit den Aktivitäten der Arbeitsbank auch auf diesem Geschäftsfeld zufrieden. Er berichtete in seinem dickleibigen Rechenschaftsbericht von 1940 über die »Gesamtarbeit der Deutschen Arbeitsfront von 1933 bis 1940«, dass »zum Zwecke der Arisierung bisher jüdischer Unternehmungen und Betriebe die Bank der Deutschen Arbeit AG. namhafte Kreditbeträge zur Verfügung gestellt« habe.83 Von der unmittelbaren Beteiligung an der »Arisierung« vormals jüdischer Banken sind andere Formen der Partizipation an der Enteignung jüdischer Eigen­tümer zu unterscheiden, in die die Arbeitsbank gleichfalls involviert war. 79 80 81 82 83 sches Familienschicksal in Nürnberg 1850-1950, Nürnberg 1998, S. 66-71, Zitat: S. 67; Köhler, »Arisierung«, S. 414-420. Vgl. auch Frank Bajohr, The Holocaust and Corruption, in: Gerald D. Feldman/Wolfgang Seibel (Hg.), Networks of Nazi Persecution. Bureaucracy, Business and the Organization of the Holocaust, Oxford 2006, S. 118-138, hier: S. 122 f. Auch in anderen Fällen musste die Arbeitsbank bei ihren Versuchen, von der Enteignung jüdischer Unternehmen zu profitieren, anderen Geldinstituten den Vortritt lassen. Vgl. Herbst, Banker in einem prekären Geschäft, S. 125 f. Vgl. Kopper, Bankenpolitik, S. 273. Vgl. Robert Ley, Personalkredite für den Arisierungsprozeß!, in: Der Angriff vom 21. Nov. 1941. Vgl. Köhler, »Arisierung«, S. 203 f., S. 588. Ebd., S. 203. Marrenbach, Fundamente des Sieges, S. 375, ferner Kreutzmüller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 10. 117 die banken Zu denken ist dabei insbesondere an Kredite, die »arischen« Selbständigen zuflossen, die sich Unternehmen von Juden aneignen wollten und zur Finanzierung der Übernahmen Fremdgelder benötigten. Angaben zum Umfang dieser Variante der »Arisierungsfinanzierung«, d. h. zur Beteiligung der »Banken als Kreditgeber des Unternehmenskäufers«, sind bisher nur für den Bezirk der Industrie- und Handelskammer Frankfurt a. M. bekannt. In 47 von 300 erfassten Arisierungsfällen stellten Banken Unternehmenskäufern Übernahmekredite, in 53 Fällen Betriebs- und Startkredite zur Verfügung, und in 12 Fällen traten sie als »Makler« in Erscheinung. Aufschlussreich ist, dass die Bank der Deutschen Arbeit vor allem bei der Vergabe von Betriebs- und Startkrediten engagiert war. Von den insgesamt 5 Mio. RM, die die Banken im Frankfurter IHK-Bezirk in dieser Form von Krediten gewährten, brachte die Arbeitsbank fast ein Viertel, nämlich 1,2 Mio. RM (24 %) auf. Sie wurde lediglich von der Dresdner Bank mit 28,6 % (1,43 Mio. RM) übertroffen, während die »Deutsche Effecten- und Wechselbank« mit 0,84 Mio. RM (16,8 %) und die Deutsche Bank mit 0,61 Mio. RM (12,2 %) deutlich dahinter lagen.84 In ähnlichen Dimensionen scheint die Arbeitsbank auch anderswo zum Nutznießer der Enteignung jüdischer Selbständiger geworden zu sein. Stettiner Bankenkreise beklagten sich jedenfalls wenige Wochen vor dem Novemberpogrom, dass sie selbst aufgrund der »lebhaften Konkurrenz der Bank der Deutschen Arbeit« bei den »Arisierungen« kaum zum Zuge kamen. Bei der Kreditvergabe an die Erwerber »nicht-arischer« Unternehmen stellte das Bankhaus der Arbeitsfront nach den Angaben der Konkurrenz »ihre Gelder mitunter ziemlich großzügig zur Verfügung«.85 Für die ab 1938 okkupierten Gebiete sind die Informationen zur »Arisierungs«Praxis der Arbeitsbank noch spärlicher. Die wenigen Indizien deuten darauf hin, dass hier die Beteiligung des DAF-Instituts stärker als im »Altreich« war. So gehörte die traditionsreiche, 1856 gegründete Danziger Privat-Actien-Bank, die die Arbeitsbank 1939 übernommen hatte und 1940 in Ostdeutsche Privatbank AG umtaufte,86 zu den privilegierten Geldinstituten, die nach Anordnung des Chefs der Zivilverwaltung in Posen berechtigt waren, Bankguthaben, Depots, die Inhalte der Safes usw. der polnischen Juden zu »sammeln«.87 Anzunehmen ist, dass der Arbeitsbank bzw. ihren Tochterunternehmen später im »Generalgou84 Vgl. Kopper, Bankenpolitik, S. 279 f. Die Zahlen beziehen sich offenbar auf die gesamten zwölf Jahre der NS-Herrschaft. 85 Nach: Ziegler, Dresdner Bank und die deutschen Juden, S. 204. Zu weiteren »Arisierungs«-Anstrengungen der Arbeitsbank (im Zusammenspiel mit DAF-Funktionären) vgl. Jörg Wollenberg, Enteignung des »raffenden« Kapitals durch das »schaffende« Kapital. Zur Arisierung am Beispiel von Nürnberg, in: ders. (Hg.), »Niemand war dabei und keiner hat’s gewusst«, Die Judenverfolgung und die deutsche Öffentlichkeit 1933 bis 1945, München/Zürich 1989, S. 158-187, hier: S. 180. 86 Mitte März 1857 wurde die Danziger Privat-Actien-Bank durch königliche KabinettsOrdre sogar zur Notenbank erhoben, ein Privileg, auf das sie 1890 verzichtete. 1941 wurde das Geldinstitut in Ostdeutsche Privatbank AG umgetauft. 87 Vgl. Ingo Loose, Deutsche Kreditinstitute in Polen, in: Herbst/Weihe (Hg.), Commerzbank, S. 233; Wixroth, Dresdner Bank, S. 581. 118 die bank der deutschen arbeit vernement« sowie in den okkupierten Gebieten der Sowjetunion vergleichbare ›Privilegien‹ eingeräumt wurden. Bereits Mitte 1938 hatte sich die DAF das 1804 als bürgerliches Luxusbad gegründete Wiener Dianabad angeeignet, das ein riesiges Badegelände – einschließlich der ersten überdachten Schwimmhalle in Europa –, ein Kasino, ein größeres Hotel sowie weitere Gebäude umfasste88 und firmenrechtlich als Aktien­gesellschaft organisiert war. Dieses Freizeitunternehmen befand sich »vor der Wiedervereinigung der Ostmark mit dem Altreich in jüdischem Besitz«.89 An der Enteignung der jüdischen Vorbesitzer und der Übertragung des Dianabades in die »arischen Hände« der Arbeitsfront war die Bank der Deutschen Arbeit mindestens finanztechnisch beteiligt. Eine wieder andere Form der Beteiligung der Arbeitsbank an der Ausplünderung der deutschen Juden waren die umfänglichen Kredite, die das Geldinstitut der Arbeitsfront dem Lebensborn e.V. zur Verfügung stellte, damit diese – dem Rasse- und Siedlungshauptamt der SS unterstehende – Organisation in München während der zweiten Hälfte des Krieges eine ehemals in jüdischem Besitz befindliche große Villa sowie mehrere jüdische Altersheime ›erwerben‹ und dort »Mütterwohnstätten« für die Aufzucht einer künftigen SS-Elite einrichten konnte.90 Der Raub des Max Reinhardt’schen Theaterkonzerns Ein früher, zugleich spezieller und prominenter Fall von »Arisierung«, an dem die Bank der Deutschen Arbeit entscheidend beteiligt war, zeigt, in welch starkem Maße die Arbeitsbank auch als unmittelbar politisches Instrument der Arbeitsfront eingesetzt wurde. Es handelt sich um die Enteignung des berühmten Theaterregisseurs Max Reinhardt, der ursprünglich Maximilian Goldmann hieß und nach NS-Rassekriterien als Jude galt. 88 Je nach Bedarf konnte die 1843 eingeweihte, überdachte und beheizte »Winterschwimmschule« auch als Ball- und Theatersaal genutzt werden. 1913 wurde die alte Halle abgerissen und bis 1917 zwei neue Schwimmhallen, außerdem Dampf-, Wannenund Sonnenbäder sowie ein großes Hotel mit einer »Kuranstalt« und diversen Geschäften errichtet. Noch im April 1945 stark beschädigt, wurde die Anlage zwischen 1963 und 1966 abgerissen, das Dianabad geschlossen und 1968 an einem neuen Standort wiedereröffnet. Vgl. Manuel Frey, Der reinliche Bürger. Entstehung und Verbreitung bürgerlicher Tugenden in Deutschland, 1760-1860, Göttingen 1997, S. 226, 273; Elke Krasny, Stadt und Frauen. Eine andere Topographie von Wien, Wien 2008, S. 18; Peter Schubert, Schauplatz Österreich, Bd. 1: Wien, Wien 1976, S. 183; Reinhard ­Pohanka, Eine kurze Geschichte der Stadt Wien, Wien/Köln/Weimar 1998, S. 149; ­Felix Czeike (Hg.), Historisches Lexikon Wien, Bd. 2, Wien 1993, S. 29. 89 Zitate: ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 145. 90 Die Summe von einer Mio. RM, mit der der Lebensborn e.V. die Immobilien weit unter Wert erwarb, wurde auf ein Sperrkonto der Arbeitsbank eingezahlt, da der jüdische Kulturverein als der Vorbesitzer längst nicht mehr existierte. Vgl. Volker Koop, »Dem Führer ein Kind schenken«. Die SS-Organisation Lebensborn e.V., Köln/Wei­ mar 2007, S. 112. 119 die banken Reinhardt verhalf dem modernen Regietheater in Mitteleuropa zum Durchbruch und erregte mit avantgardistischen Inszenierungen weit über die Grenzen Berlins und Deutschlands hinaus Aufsehen. Weniger bekannt ist, dass Reinhardt bis zur Weltwirtschaftskrise eine Art Theaterkonzern betrieb und zeitweilig bis zu zwölf Bühnen parallel bespielte. 1905 hatte Reinhardt das Deutsche Theater (DT) erworben, das zunächst als AG, später dann als GmbH organisiert wurde, mit ihm selbst als Hauptgesellschafter.91 Mitte 1917 stand in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs Friedrichstraße und unweit des DT ein riesiges Veranstaltungs­ gebäude, der Circus Schumann, zum Verkauf, das Reinhardt erwarb und bis Ende 1919 zu einem Großen Schauspielhaus mit dreitausend Plätzen ausbaute. Dieses »Theater für die Massen« gehörte nominell einem Anfang Juli 1917 gegründeten Immobilienunternehmen, das den Namen »Deutsches National-Theater« (DNT) erhielt und als Aktiengesellschaft organisiert war. Dieses Unternehmen, das Reinhardt nicht allein besaß, sondern an dem eine Reihe vermögender Thea­terliebhaber Aktien hielten, pachtete in der Folgezeit noch weitere Theater, darunter die »Komödie« und das »Theater am Kurfürstendamm«. Mit Beginn der Weltwirtschaftskrise geriet auch der Theaterkonzern Max Reinhardts in Schwierigkeiten. Die Zuschauerzahlen gingen dramatisch zurück. 1931/32 stand der Theaterkonzern vor dem Konkurs. Reinhardt, der von Anbeginn wusste, dass sich großes Theater ohne staatliche Unterstützung auf Dauer nicht würde halten können, wollte aus seinen Häusern Staatsbühnen machen. Das war auf dem Höhepunkt der Krise jedoch wenig realistisch. Ausgerechnet am 30. Januar 1933 fand Reinhardt einen neuen Pächter.92 Nach Reinhardts Weggang Anfang März 1933 suchte sich das DT dem Regime anzupassen, während das Große Schauspielhaus vorübergehend die Tore schloss. 91 Zusätzlich zum Haupthaus des Deutschen Theaters (DT) richtete Reinhardt in einem Nebengebäude in Räumlichkeiten, die ursprünglich als Tanzlokal dienten, 1906 die Kammerspiele des DT ein. Dies und das Folgende nach: Dieter E. Zimmer, Max Reinhardts Nachlaß. Ein Drama um Kunst und Kommerz, in: Die Zeit vom 15. Juli 1994 (Nr. 29), Dossier, S. 9 f., 12; Christopher Beime, Die Marke Reinhardt. Theater als modernes Wirtschaftsunternehmen, in: Roland Koberg/Bernd Stegemark/Henrike Thomsen (Hg.), Max Reinhardt und das Deutsche Theater. Texte und Bilder aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums seiner Direktion, Berlin 2005, S. 41-49; Björn Weigel, Das Deutsche Theater, in: Jüdische Unternehmen in Berlin 1933-1945, hg. vom Aktiven Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V., Berlin 2008, S. 20-23; Alexander Weigel, Das Deutsche Theater. Eine Geschichte in Bildern, Frankfurt a. M./Berlin 1999, S. 177 ff. 92 Es war dies Carl Ludwig Duisberg-Achaz (1889-1958), der Sohn des Chemieindustriellen und I.G.-Farben-Grün­ders Carl Duisberg. Duisberg-Achaz, eigentlich ein promovierter Jurist und von 1914 bis 1918 im diplomatischen Dienst, hatte bereits seit 1909 als Schauspieler auf den Reinhardt’schen Bühnen gestanden. Seit 1918 widmete er sich dann ganz seiner Theaterkarriere. Als Pächter des DT investierte Achaz 1933/34 500.000 RM. Nach dem Ende seiner Intendantur lebte Achaz in München und gastierte als Schauspieler und Regisseur an verschiedenen deutschen Bühnen. Reinhardt (1873-1943) ging im März 1933 zunächst nach Florenz, anschließend nach Österreich und 1937 dann in die USA. 120 die bank der deutschen arbeit An dieser Stelle kommt die Arbeitsbank ins Spiel. In eine zentrale Rolle konnte sie gelangen, weil Reinhardt seinen Theaterkonzern ab Anfang der dreißiger Jahre immer weiter verschulden musste und die »Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten«, zu diesem Zeitpunkt das Geldinstitut der freien Gewerkschaften, ihm mit Krediten beisprang. Im Sommer 1930 nahm die Gesellschaft Reinhardts bei der Arbeiterbank für 400.000 RM Hypotheken auf. Bis Anfang 1932 musste sich das DNT mit etwa 2,5 Mio. RM verschulden, davon mit 1,7 Mio. RM bei der freigewerkschaftlichen Arbeiterbank. Noch bevor der ADGB enteignet wurde, wurde das Schicksal des Reinhardt’schen AvantgardeTheaters durch einen finanzpolitischen Trick besiegelt: Der Deutschen Theater GmbH wurde im Februar 1933 die Gemeinnützigkeit aberkannt, und anschließend wurden Steuernachforderungen in Höhe von 550.000 RM erhoben. Dies musste das Theater in den Ruin treiben. Anfang März 1933 beliefen sich die Gesamtverbindlichkeiten der DNT und der DT-GmbH auf knapp 3,2 Mio. RM, davon 1,9 Mio. RM gegenüber der Arbeiterbank. Nachdem die freigewerkschaftliche Bank im Mai 1933 in den Besitz der Arbeitsfront übergegangen war, nutzte das nunmehr stramm nationalsozialistische Geldinstitut als Hauptgläubigerin ihr Stimmrecht bei der Besetzung des Aufsichtsrates des DNT, um dieses Gremium gänzlich neu, mit der Arbeitsfront loyal ergebenen Personen zu besetzen. Der neu zusammengesetzte Aufsichtsrat beschloss dann die De-facto-Enteignung der bisherigen Aktionäre, indem er von diesen verlangte, ihre Anteilsscheine persönlich in Berlin einzureichen; andernfalls würden diese ihre Gültigkeit verlieren und versteigert werden. Reinhardt gab daraufhin über Mittelsmänner einen Teil seiner Aktien an die Arbeitsbank ab, zu einem Zehntel ihres eigentlichen Wertes. In einem zweiten Schritt senkte der Aufsichtsrat das Stammkapital und gab im Frühjahr 1934 dann neue Inhaber­ aktien aus, die samt und sonders von der Treuhandgesellschaft für die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF (TWU) erworben wurden, die auf diese Weise mit 52 % aller Anteilsscheine zum Mehrheitsaktionär des DNT wurde. Damit besaßen die Arbeitsbank bzw. die TWU zwar das Große Schauspielhaus, das gut zwei Monate zuvor seine Tore wieder geöffnet hatte, jedoch noch nicht das Deutsche Theater. In dessen Besitz gelangte die DAF, indem sie die Arbeitsbank als die Hauptgläubigerin des hochverschuldeten Theaters eine Zwangsversteigerung beantragen ließ. Die fand am 28. September 1934 statt. Das nunmehr DAF-eigene DNT erwarb dabei sämtliche Immobilien des Deutschen Theaters, infolge der Zwangsversteigerung zum günstigen Preis von 600.000 RM.93 Neuer Pächter – bis zur Schließung aller deutschen Theater 1944 – wurde Heinz Hilpert, der von 1926 bis 1932 unter Reinhardt Oberspielleiter am DT gewesen war. Die Pacht wiederum ging seitdem unmittelbar an die Bank der Deutschen Ar93 Im Dez. 1934 setzte die Bank der Deutschen Arbeit das Grundkapital von 480.000 RM auf 48.000 RM herab, um es anschließend auf 100.000 RM zu erhöhen. Im dreiköpfigen Aufsichtsrat der Deutsche Nationaltheater AG, wie das DNT nun hieß, blieben die DAF-Manager bzw. -funktionäre C. Rosenhauer, A. Christoffel und L. Bierlein unter sich. Vgl. ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 147. 121 die banken beit als dem Hauptgläubiger des Theaters. Die politisch-or­ga­nisato­rische ›Betreuung‹ des Deutschen Theaters wie des Großen Schauspielhauses lag bei der DAF bzw. ihrer ›Kultur‹-Organisation »Kraft durch Freude« und dem GoebbelsMiniste­rium.94 Obwohl Ley und seine Arbeitsfront besonders üble Vorreiter des national­ sozialistischen Antisemi­tismus waren, war die Arbeitsbank lediglich ein »Ari­ sierungs«-Profiteur unter vielen. Unter den großen Banken scheinen es vor allem die Deutsche Bank sowie die Deutsche Industriebank und die Reichs­ kreditanstalt gewesen zu sein, die am stärksten an der Ausraubung jüdischer Unternehmer und den entsprechenden finanziellen Transaktionen beteiligt waren.95 Gegenüber erfolgreicheren »Arisierungsrivalen«96 wie der Deutschen Bank, Industriebank sowie der Reichs-Kredit-Ge­sell­schaft kam die Arbeitsbank offenbar nicht in dem von ihr selbst gewünschten Umfang zum Zug. 3.4. Die NS-Bewegung und das Geldinstitut der DAF Keine Hausbank der gesamten NS-Bewegung Von entscheidender Bedeutung für das rasante Wachstum der Arbeitsbank, das auch das der – ab 1938 prosperierenden – etablierten Berliner Großbanken übertraf (Tabelle 1.4), war ohne Zweifel der Tatbestand, dass sie als Finanzinstitut der DAF fungierte. Wie hoch die Einlagen der Arbeitsfront waren und welche Rolle der Arbeitsbank für die Transaktionen der DAF zukam, lässt sich erahnen, wenn man berücksichtigt, dass allein die Einnahmen aus den Mitgliedsbeiträgen bereits 1936 bei 340 Mio. RM lagen, bis 1939 auf 533 Mio. RM stiegen und 1942 schließlich die Summe von 642 Mio. RM erreichten (Tabelle 1.1). Der größte Teil dieser Gelder wurde freilich nur kurzzeitig auf Konten der Arbeitsbank deponiert und für die Finanzierung des riesigen Funktionärsapparates der DAF sowie der zahllosen Aktivitäten der Arbeitsfront verwandt. Trotz eines atemlosen Aktivismus der Arbeitsfront-Führung verzeichnete die DAF in den Jahren von 94 Das Goebbels-Ministerium übernahm für den ›künstlerischen‹ Teil die Verantwortung; die DAF – die mit ihrer Suborganisation KdF eine reichsweite Theaterorganisation aufbaute, die riesige Besucherströme in die Theater, aber auch Opern, Konzertsäle usw. lenken sollte – war für volle Zuschauerränge zuständig. Während das Große Schauspielhaus, der spätere (alte) Friedrichstadtpalast, mit anspruchslosen Volks­stücken, Revuen usw. zum Publikumsmagneten avancierte, konnte das DT ab Juni 1934 unter der Leitung von Hilpert (1890-1967) offenbar ein gewisses Niveau halten. 95 Der Anteil der »Arisierungs«-Geschäfte am gesamten Geschäftsumfang lag in der Frankfurter Filiale der Deutschen Bank 1938 bei 16,5 %. Das Reichssicherheitshauptamt konstatierte in einem Bericht von Anfang 1939 vor diesem Hintergrund lakonisch, dass die »Arisierungen« vor allem »mit Hilfe der Privatbanken, besonders der Deutschen Industriebank, Reichs-Kredit-Gesell­schaft und der Deutschen Bank, zum Abschluss gekommen« seien. Nach: James, Deutsche Bank, S. 349 bzw. 351. 96 Dieser Terminus war anscheinend seit Ende 1938 eine stehende Redewendung. Hier zit. nach: Meldungen aus dem Reich vom 25. März 1941, Bd. 6, S. 2163. 122 die ns-bewegung und das geldinstitut der daf 1933 bis 1937 einen Überschuss von immerhin 182 Mio. RM, die als langfristige Einlagen beim DAF-Geldinstitut verblieben. Im folgenden Jahrfünft (bis einschließlich 1942) verfünffachte sich dieser Überschuss auf 833 Mio. RM. Auch dieser wurde bei der Bank der Deutschen Arbeit deponiert – allerdings nicht vollständig. Denn bemerkenswert ist, dass die Arbeitsbank nicht einmal das Monopol auf die Gelder besaß, die seitens der Arbeitsfront und ebenso ihres Konzerns den Banken zuflossen. Keineswegs alle DAF-Un­ternehmen stützten sich bei ihren finanz­politischen Aktivitäten ausschließlich auf das Geldinstitut der Arbeitsfront. So beschwerte sich Josef Lidl, Direktor der Münchner Zweigniederlassung der Bank der Deutschen Arbeit, Anfang 1944 beim Leiter der Treuhandgesellschaft für die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF, dass die Münchner Bezirks­direktion der Volksfürsorge Lebensversicherung die ihr zufließenden Prämieneinnahmen auf einem Postscheckkonto sammelte und die in der ersten Kriegsphase gegründeten »Sozial-Ge­werke« der DAF für die sozialpolitische Betreuung von Kleinunternehmen und handwerklichen Betrieben ihre Konten nicht bei der Arbeitsbank, sondern bei der Oberbayerischen Volksbank in München führten. Auch die regionale Abteilung des aus den Konsumgenossenschaften hervorgegangenen, 1940/41 gegründeten und im Be­sitz der DAF befindlichen Deutschen Gemeinschaftswerks, der Münchner Gemeinschaftsversorgungsring, wickelte nur einen kleinen Teil seiner »bankmäßigen Geschäfte« über die Arbeitsbank ab.97 Was zu Klagen des Münchner Arbeitsbank-Direktors Anlass gab, dürfte – abgeschwächt – auch für andere Regionen und ebenso die Auslandsunternehmen der Arbeitsfront gegolten haben: Sofern kein unmittelbarer politischer Druck auf sie ausgeübt wurde, legten sie ihre Konten dort an, wo sie die günstigsten Konditionen zu erwarten hatten – und dies war nicht unbedingt die Arbeitsbank. Dennoch wird der größte Teil der vom DAF-Konzern erwirtschafteten Gelder letztlich der Bank der Deutschen Arbeit zugeflossen sein. Insofern wird man die Arbeitsbank trotz der genannten Einschränkungen als Hausbank der Arbeitsfront bezeichnen können. Welche Geschäftsbeziehungen entwickelten nun die anderen nationalsozialistischen Organisationen zum DAF-Geldinstitut? In den Anfangsjahren der Diktatur hatte es den Anschein, dass die Arbeitsbank zur Hausbank der gesamten NS-Bewegung aufsteigen sollte. Tatsächlich parkte etwa das Winterhilfswerk (WHW) den größten Teil seines Geldvermögens auf Konten der DAF-Bank. Auch die NSDAP sowie weitere nationalsozialistische Organisationen bedienten sich für finanzielle Transaktionen gern der Arbeitsbank. Parteinahe Unternehmen wie der Eher-Verlag wickelten gleichfalls etliche ihrer Geschäfte über die Bank der Deutschen Arbeit ab, ebenso Institutionen, die nach 1933 fest in der Hand der Nationalsozialisten waren, wie z. B. die Stadtverwaltung Mün- 97 Vgl. Lidl an Strauch vom 15. März 1944, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 84. Zu Lidl vgl. Kapitel 2, S. 90 f.. 123 die banken chen oder die AOK der bayerischen Landeshauptstadt.98 Ein weiteres lukratives Geschäftsfeld, das gleichfalls auf enge Beziehungen zu maßgeblichen NSFunktions­trä­gern zurückging, öffnete sich nach der Angliederung Österreichs im März 1938: Die Kon­ten des Stillhaltekommissars für Österreich, auf die die Spar- und Kontoguthaben der zuvor aufgelösten Organisationen und Vereine eingezahlt wurden, wurden bei der Bank der Deutschen Arbeit angelegt.99 Diese Präferenzen für die Hausbank der Arbeitsfront waren in den ersten Jahren der NS-Herr­schaft zu einem Gutteil ideologisch motiviert. Führende Nationalsozialisten standen den alteingesessenen Großbanken als mächtigen Repräsentanten eines vorgeblichen »Wucherkapitals« ablehnend oder mindestens skeptisch gegenüber. Die Arbeitsbank war allein aufgrund des Tatbestandes, dass sie im Besitz einer Vorfeldorganisation der NSDAP war, mit diesem Negativ-Image nicht belastet. Im Laufe der Zeit wurden ideologische Präferenzen allerdings durch einen regime-typischen Pragmatismus – der dem Primat des Bellizismus andere Aspekte unterordnete – sowie durch systemspezifische politische Überlegungen führender Repräsentanten der Hitler-Bewegung und des NS-Regimes in den Hintergrund gedrängt. Dabei handelte es sich um Überlegungen, die außerhalb des unmittelbaren Einflussfeldes der Arbeitsbank standen und durch die polykratische Struktur des NS-Systems bedingt wurden. Dies ist kurz zu erläutern. Entscheidungsträger der Diktatur, die mit der Arbeitsfront rivalisierten (und das waren nicht wenige), waren sich grundsätzlich bewusst, dass wirtschaft­ liche Macht immer auch in politische Macht umgemünzt werden konnte. Ein ökonomisch starkes Unternehmen wie die Arbeitsbank musste gleichzeitig das politische Ge­wicht der ohnehin finanzstarken DAF verstärken. Daran konnten Rivalen Leys kein Interesse haben. Infolgedessen verlor die Arbeitsbank ihr anfängliches weitgehendes Monopol auf die Bankgeschäfte der NS-Bewe­gung. Möglicherweise weiter bestehende ›ideologische Bauch­schmerzen‹ jedenfalls hinderten die Repräsentanten der anderen NS-Organisationen nicht daran, für finanzielle Transaktionen die Dienste anderer Kreditinstitute in Anspruch zu nehmen und ihre Vermögensdepots nicht zuletzt bei den bis 1933/34 oft als Inkarnationen des »raffenden Kapitals« diffamierten wichtigsten Konkurrenten der Arbeitsbank, den etablierten Berliner Geschäftsbanken, anzulegen. Dies galt selbst für den Reichsschatzmeister der NSDAP, Franz Xaver Schwarz. Schwarz stand zwar der Arbeitsbank grundsätzlich durchaus wohlwollend gegenüber. Er wurde allerdings durch das Finanzgebaren des Geldinstituts 98 Vgl. Kreutzmüller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 8 f. Zu den Krediten in einer Höhe von insgesamt 30 Mio. RM, die die Arbeitsbank für die Expansion des Eher Konzerns auf den Zeitungsmarkt zu Verfügung stellte, vgl. Norbert Frei/Johannes Schmitz, Journalismus im Dritten Reich, München 1999, S. 58 f. 99 Vgl. Venus, Zentralsparkasse der Gemeinde Wien, S. 605; Verena Pawlowsky/Edith Leisch-Prost/Christian Klösch, Vereine im Nationalsozialismus. ­Vermögensentzug durch den Stillhaltekommissar für Vereine, Organisationen und Verbände und Aspekte der Restitution in Österreich nach 1945, München 2004, S. 157 ff. 124 die ns-bewegung und das geldinstitut der daf Mitte der dreißiger Jahre und ihre Verwicklung in Korruptionsskandale aufgeschreckt100 – und unterhielt auch deshalb für die Partei nicht nur bei der Arbeitsbank, sondern ebenso z. B. bei der Münchner Niederlassung der Commerzbank Konten.101 Das insgesamt einvernehmliche und in der 1938 beginnenden ›Ära Lencer‹ dann ausgesprochen kooperative Verhältnis zwischen der NSDAPReichsschatzleitung und der Arbeitsbank102 hinderte Schwarz und die NSDAPReichs­leitung in der Zeit zwischen 1938 und 1942 außerdem nicht daran, sogar darüber nachzudenken, sich eine eigene große Hausbank zu verschaffen, nämlich die Bayerische Vereinsbank zu erwerben oder hier doch wenigstens einen beherrschenden Einfluss auszuüben.103 Bis Anfang der vierziger Jahre führte das in der bayrischen Hauptstadt beheimatete Reichsschatzamt zudem nicht die dort ansässige Zweigestelle des DAF-Geldinstituts, sondern die Münchner Filiale der Commerzbank als das »Hauptkonto der NSDAP«.104 Nach dem schließlich gescheiterten Versuch des NSDAP-Reichsschatz­­meisters, zu einem einflussreichen reichsdeutschen Bankier zu werden, fungierte die Arbeitsbank allerdings in den letzten Kriegsjahren erneut als Hauptvermögens­ depot der Partei. Gute Geschäftsbeziehungen zu anderen Geldinstituten schloss das nicht aus: Ende 1943 hatte die NSDAP-Reichsleitung auf zwei Konten der Dresdner Bank 37,1 Mio. RM deponiert. Auch die Commerzbank erfreute sich weiterhin der Gunst der Staatspartei, ebenso die größten bayerischen Banken, denen die NSDAP gleichfalls hohe Millionenbeträge anvertraute.105 Die Arbeitsbank war freilich unbestritter Mittelpunkt der finanzpolitischen Aktivitäten der Partei. Zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs des NS-Regimes wies das Münchner Konto der NSDAP-Reichsleitung bei der Arbeitsbank ein Guthaben von 210 Mio. RM aus.106 Nicht nur die NSDAP, auch beispielsweise die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) führte zwar ihre Hauptkonten bei der Bank der Deutschen Arbeit, öffnete nach Kriegsbeginn freilich gleich­f alls bei der Commerzbank weitere Konten, um die Abhängigkeit von dem DAF-Geld­haus nicht zu groß werden zu lassen.107 Das Barguthaben des Winterhilfswerks, das nach Kriegsende auf sagenhafte 1,1 Mrd. RM beziffert wurde, war etwa zur Hälfte als Festgeld bei der 100 Vgl. unten. 101 Vgl. Kreutzmüller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 8. 102 Vgl. Thomas Weihe, Die Personalpolitik der Filialgroßbanken 1919-1945. Intervention, Anpassung, Ausweichbewegungen, Stuttgart 2006, S. 31. 103 Hilfestellungen dazu sollte ausgerechnet die Arbeitsbank geben. Vgl. unten. 104 Vgl. Christoph Kreutzmüller, Händler und Handlungsgehilfen. Der Finanzplatz Amsterdam und die deut­schen Großbanken (1918 – 1945), Stuttgart 2005, S. 293. 105 Vgl. Bähr, Dresdner Bank, S. 499 f.; ferner z. B. Berliner Börsen-Zeitung vom 13. Mai 1943. 106 Vgl. Kreutzmüller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 9. 107 Zwei Monate nach Kriegsbeginn bat der NSV-Oberdienstleiter Karl Janowsky den Chef der Revisionsabteilung des Schatzamtes der Partei – und engen Vertrauten des NSDAP-Reichs­schatzmei­sters Schwarz – Hans Saupert um Erlaubnis, Konten bei der Commerzbank eröffnen zu können –, eine Anfrage, der Saupert offenbar zustimmte. 125 die banken Arbeitsbank der DAF angelegt worden.108 Nach Angaben des Reichswirtschaftsministers Walther Funk – die durch andere Berichte im Wesentlichen bestätigt werden – entfielen »von den gesamten fremden Mitteln nach dem Jahresabschluss [der Arbeitsbank für] 1940 rund 74 % auf die Einlagen der Partei, der DAF, WHW, NSV usw.«. Absolut seien das 1,3 Mrd. RM gewesen.109 Wie sehr das Kreditinstitut tatsächlich eine Hausbank der Partei blieb, lässt sich daran ablesen, dass sich der Anteil der DAF, der NSV, des WHW an der Gesamtheit aller Einlagen (RM-Konten) bei der Arbeitsbank gegen Ende des Krieges schließlich auf 92,5 % (bzw. 3,1 Mrd. RM) belief.110 Funk hatte also durchaus recht, wenn er bereits 1941 feststellte, dass die Arbeitsbank es »im wesentlichen […] nur der Partei und der Arbeitsfront zu verdanken« hatte, wenn sie »in verhältnismäßig kurzer Zeit zu den ›Millionenbanken‹ aufsteigen« konnte.111 Das Gros ihrer umfänglichen Gelder legten die NSV und ebenso das Winterhilfswerk freilich nur deshalb bei der Arbeitsbank an, weil diese ihnen Sonderkonditionen gewährte, die mit mehr als drei Prozent für Tagesgelder so günstig waren, dass sich Mitte 1941 schließlich das Reichsfinanzministerium zur Intervention veranlasst sah. Betriebsprüfer hatten erklärt, dass die Arbeitsbank der NSV bzw. dem WHW Tagesgelder, also kurzfristig kündbare Finanzmittel, mit derart hohe Zinsen – von drei Prozent und mehr – vergütet habe, dass dies »einer freiwilligen Spende« gleichgekommen sei. Nach dem Habenzinsabkommen vom 22. Dezember 1936 hätte jedoch »für täglich fällige Gelder nur ein Satz von 1 % hätte gezahlt werden dürfen«. Die Differenz könne nicht anders als eine »freiwil- 108 109 110 111 126 Aktenvermerk Sauperts vom 25. Nov. 1939, in: BA Berlin, NS 1, Nr. 939. Zu Saupert vgl. unten, Anm. 143. Vgl. Herwart Vorländer, Die NSV. Darstellung und Dokumentation einer nationalsozialistischen Organisation, Boppard a. Rh. 1988, S. 181. Funk an Ley vom 31. Juli 1941, in: BA Berlin, R 8120, Nr. 736, Bl. 1-11, hier: Bl. 8-11, bzw. in: ebd., Nr. 804, Bl. 25-34 bzw. 36-45, hier: Bl. 31-34 bzw. Bl. 42-45. Weitgehend bestätigt werden die Angaben Funks durch den Bericht Nr. 12293 der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die bei der Bank der Deutschen Arbeit AG vorgenommene Prüfung des Jahresabschlusses zum 31. Dez. 1939, in: BA Berlin, R 8135, Nr. 2406, bes. Bl. 15. Vgl. ferner einen Aktenvermerk Sauperts vom 25. Nov. 1939 (Anm. 107). Danach führte die NSDAP ihre Hauptkonten bei der Arbeitsbank. Ihrem daraus abgeleiteten Anspruch, deshalb auch einen Vertreter in den Aufsichtsrat des DAF-Geldinstituts senden zu können, gab die Bank der Deutschen Arbeit allerdings nicht statt. Die Einlagen der NSDAP machten dagegen nur 0,1 % aller Einlagen aus – vermutlich weil die Partei, im Unterschied zu den drei anderen Organisationen, die auf Konten der Arbeitsbank eingezahlten Gelder dort nur kurzfristig deponierte und für die politische Tagesarbeit abzog. Dem korrespondierte, dass die NSDAP die von der DAF-Bank eingeräumten Überziehungskredite gern und in beträchtlicher Höhe in Anspruch nahm. Angaben nach: Anhang 1: Erläuterungen zum Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die bei der Bank der Deutschen Arbeit Aktien­gesellschaft Berlin durchgeführte Prüfung des Jahresabschlusses zum 31. Dez. 1944 sowie des Zwischen­ abschlusses zum 30. April 1945 (vom Nov. 1945), in: BA Berlin, R 8135, Nr. 8613, Bl. 37. Funk an Ley vom 31. Juli 1941 (Anm. 109), Bl. 10. die ns-bewegung und das geldinstitut der daf lige Spende« interpretiert werden. Nur mit Mühe konnte der Vorstand des DAFGeldinstituts Nachzahlungen an den Fiskus allein für die Jahre 1937 bis 1939 in Höhe von knapp vier Mio. RM vermeiden.112 Nach komplizierten Verhandlungen mit hochrangigen Vertretern aus dem Reichsfinanzministerium wurde diese Summe, die kleinere Banken an den Rand der Ruins getrieben hätte, Mitte 1941 schließlich auf knapp 700.000 RM reduziert.113 Bemerkenswert sind dieser Konflikt und der schließlich gefundene Kompro­ miss in mehrfacher Hinsicht. Finanzverwaltung, Steuererhebung und Wirtschaftsprüfung funktionierten auch im Krieg noch weitgehend nach normenstaatlichen Kriterien. Parteinähe sowie die Verbandelung mit einem so mächtigen politischen Bündnispartner, wie die DAF das zu diesem Zeitpunkt war, schützten nicht vor ›Strafsteuern‹. Der schließlich gefundene Kompromiss bewegte sich im Rahmen dessen, was auch unter anderen politischen Systemen eine durchaus gängige Praxis von Wirtschafts- oder Finanzverwaltungen war und ist. Schließlich illustriert der Vorgang, dass die Protagonisten der Arbeitsbank ihrerseits ihr Bankinstitut auch während des Krieges vornehmlich als ›Geldhaus der Bewegung‹ verstanden, das in einer Reihe von Fällen Organisationen der Partei Sonderkonditionen gewährte, die betriebswirtschaftlich riskant waren. Keine Gefälligkeits-Kredite für die SS und den »Zweckverband Reichsparteitag« Allerdings war dies kein genereller Trend. In anderen Fällen verweigerte sich die Arbeitsbank Zumutungen von NS-Organisationen, unkalkulierbare Risiken zu übernehmen. Dies war auch der Grund, warum es sich die Arbeitsbank schließlich mit der SS verscherzte und nicht sie, sondern die Dresdner Bank zur Hausbank dieser massenmörderischen Organisation aufstieg. Lediglich in den ersten Jahren der NS-Herrschaft war die Arbeitsbank so etwas wie das Geldhaus auch der SS. Neben den Mitgliedseinnahmen der SS, die auf Konten der Arbeitsbank eingingen, fungierte die Bank der Deutschen Arbeit kurzzeitig außerdem als eine Art Dach der »SS-Spargemeinschaft«, dem nicht ganz geglückten Versuch, eine SS-Hausbank zu gründen: Ab Ende 1937 wurden von jedem SS-Mitglied Pflichtsparbeiträge erhoben, nachdem Himmler für seine Organisation ein »Grundgesetz über das Pflicht­spa­ren« verkündet hatte. Die von der »SS-Sparge- 112 Diese Differenz habe 1937 2,5 Mio. RM, 1938 2 Mio. RM und 1939 schließlich sogar 4,2 Mio. RM ausgemacht. Infolgedessen sollten »für die Jahre 1937-1939 8,7 Mill. Reichsmark mehr an Einkommen versteuert werden als die Bank bisher versteuert hat.« Für die Jahre 1937 bis 1939 wäre das auf »eine Körperschaftssteuernachzahlung von 3 Mill. Reichsmark und von rd. RM 870.000,-- Gewerbesteuer« hinausgelaufen. Aktenvermerk (gez. Niethammer) über die Schlussbesprechung betreffend Betriebsprüfung bei der Bank der Deutschen Arbeit AG Berlin vom 21. Juli 1941, in: BA Berlin, R 8120, Nr. 804, Bl. 1-5, hier: Bl. 2. 113 Vgl. ebd., Bl. 4 f. 127 die banken meinschaft« gesammelten Gelder wiederum wurden zunächst auf mehrere Konten bei der Arbeitsbank eingezahlt.114 Mit dieser engen Kooperation schien der Weg der Arbeitsbank zur Hausbank auch der SS vorgezeichnet. Das änderte sich jedoch 1938/39 grundlegend. Die Gründung der »Deutschen Erd- und Steinwerke GmbH« (DESt) durch die SS Ende April 1938, mit der die SS die Arbeitskraft der KZ-Häftlinge zu ökonomisieren und profitabel zu verwerten versuchte,115 hatte einen enormen Geldbedarf für Anfangsinvestitionen zur Folge. Oswald Pohl, zu diesem Zeitpunkt Leiter der SS-Betriebe und Leiter des SS-Hauptamtes, wandte sich mit den entsprechenden Kreditwünschen zunächst an die Arbeitsbank. Das DAF-Geldinstitut lehnte jedoch die von Pohl gewünschten umfänglichen Kredite für ein großes Klinkerwerk – geplant zunächst nahe Buchenwald, später in der Nachbarschaft von Sachsenhausen/Ora­nienburg – in Höhe von insgesamt 9,5 Mio. RM ab, da ihm das Projekt zu riskant schien und die Kredite nicht gesichert waren.116 Anstelle der Arbeitsbank wollte daraufhin zunächst die Bayerische Vereinsbank der SS beispringen und bot einen Kredit zu günstigen Konditionen an. Allerdings kam sie nicht zum Zuge, weil schließlich Speer als »Generalbauinspekteur für die Reichshauptstadt Berlin« die Finanzierung des nun in der Nähe von Oranienburg geplanten SS-Projektes übernahm.117 Der Kapitalbedarf der auf Expansion getrimmten DESt war dadurch jedoch noch nicht gedeckt. Ein Jahr später wandte sich Pohl gleich an die Dresdner Bank, um einen Kredit in Höhe von 5 Mio. RM zu erhalten. Die Dresdner Bank sagte zu, ohne die eigentlich ›normalen‹ Sicherheiten für ihre Kredite zu verlangen.118 Bereits im Frühjahr 1938 hatte die zweitgrößte deutsche Bank außerdem der Stiftung »Ah114 Genutzt wurden die auf diese Weise akkumulierten Beträge zur Finanzierung von Darlehen an SS-eigene Unternehmen. Vgl. Hermann Kaienburg, Die Wirtschaft der SS, Berlin 2003, S. 220-224, 249. Bis März 1944 lag die Gesamtsumme der Spareinlagen dieser Spargemeinschaft bei 6,9 Mio. RM. Ende 1941 hatte die Spargemeinschaft Kredite in Höhe von 7,3 Mio. RM an SS-Unternehmen gewährt. Hierzu sowie zur Misswirtschaft in der Spargemeinschaft sowie ihrer insgesamt geringen Bedeutung als Finanzier von SS-Projekten vgl. ebd., S. 495. 115 Ausführlich: ebd., S. 606 ff. Das Stammkapital der DESt in Höhe von 20.000 RM war zunächst auf ein Konto der Arbeitsbank eingezahlt worden. 116 Vgl. Enno Georg, Die wirtschaftlichen Unternehmungen der SS, Stuttgart 1965, S. 47; Kaienburg, Wirtschaft der SS, S. 649, Anm. 229; Jan-Erik Schulte, Zwangsarbeit und Vernichtung. Das Wirtschaftsimperium der SS. Oswald Pohl und das SS-Wirtschafts-Verwaltungs­haupt­amt 1933-1945, Paderborn usw. 2001, S. 116; Klaus Drobisch/Günther Wieland, System der Konzentrationslager 1933 bis 1939, 3. Aufl., Berlin 1993, S. 260. 117 Vgl. Bähr, Dresdner Bank, S. 489 f.; Kaienburg, Wirtschaft der SS, S. 684. 118 Eine riskante Kreditvergabe praktizierte die Dresdner Bank auch in anderen Fällen, um die Arbeitsbank auszustechen, z. B. während der Jahre 1942 bis 1944 gegenüber der Gleiwitzer Firma Rudolf Brandt & Co., die 1938 »arisiert« worden war und sich darauf ›spezialisiert‹ hatte, Kleidung von offensichtlich deportierten und ermordeten Juden an oberschlesische Industriearbeiter zu verkaufen. Vgl. Wixroth, Dresdner Bank, S. 480. 128 die ns-bewegung und das geldinstitut der daf nenerbe« einen Kredit in Höhe von 400.000 RM gewährt, wenige Monate später stellte sie darüber hinaus ein Darlehen an das Reichssicherheitshauptamt sowie für den Bau der SS-Siedlung neben dem KZ-Sachsen­hau­sen bereit. Während des Krieges folgten weitere, teilweise hohe Kredite, insgesamt knapp 40 Mio. RM. Die Arbeitsbank musste relativ hilflos mitansehen, dass sich die Dresdner Bank, der für diese Großkredite eine »Ehrenerklärung« des Reichsführers SS reichte,119 zur SS-Bank entwickelte.120 Auch die wachsenden Einnahmen der Spargemeinschaft der SS wurden von der Bank der Deutschen Arbeit abgezogen und auf Konten der Dresdner Bank deponiert.121 Dass der »Lebensborn e.V.«, der für eine »artgerechte Aufzucht« des SS-Nachwuchses zuständig war, ebenso wie das mit der SS eng verbandelte Deutsche Rote Kreuz zumindest Teile ihrer Vermögen auf Konten des DAF-Geldinstituts platzierten122 und dieses außerdem für einige letztlich unbedeutende Kleinkredite an die SS und ihre Unternehmen gut war,123 ändert nichts daran, dass die Arbeitsbank mit Blick auf den SS-Komplex gegenüber der Dresdner Bank insgesamt das Nachsehen hatte. Zurückhaltend blieb die Arbeitsbank auch auf einem anderen zentralen Feld der Partei und NS-Bewegung.124 Mitte der dreißiger Jahre stand zeitweilig zur Debatte, die Arbeitsbank zur Finanzierung der Bauten des Nürnberger Reichsparteitagsgeländes heranzuziehen. Nachdem der bayerische Ministerpräsident Ludwig Siebert es abgelehnt hatte, Finanzmittel des bayerischen Staates für den 119 Bähr (Dresdner Bank, S. 499) hat dargelegt, dass diese mehr als riskante Kreditvergabe zentraler Bestandteil einer gezielt kalkulierten Politik der Dresdner Bank war, »das Quasi-Monopol der öffentlichen Geldinstitute bei Partei- und Behördenkonten [zu] durchlöchern.« 120 Vgl. ebd., S. 490 f., 494, 499; Kopper, Bankenpolitik, S. 285; Kaienburg, Wirtschaft der SS, S. 428 ff., 607, 649; Schulte, Zwangsarbeit und Vernichtung, S. 116 f.; Naasner, Machtzentren, S. 387 ff. Auch die Deutsche Bank versuchte, sich Himmler und die SS geneigt zu machen. Vgl. Jonathan Steinberg/Avraham Barkai, Die Deutsche Bank und ihre Goldtransaktionen während des Zweiten Weltkrieges, München 1999, S. 22 f. 121 Vgl. auch Klaus-Dietmar Henke, Die Dresdner Bank 1933-1945. Ökonomische ­Rationalität, Regimenähe, Mittäterschaft, München 2006, S. 165. Zur Dresdner Bank als »Vertrauensbank« der SS resümierend: ebd., S. 161-168. Ein weiterer wichtiger ­Finanzier der SS war das Deutsche Rote Kreuz. Vgl. Markus Wicke, SS und DRK. Das Präsidium des Deutschen Roten Kreuzes im nationalsozialistischen Herrschaftssystem 1937-1945, Potsdam 2002, S. 110-118; Peter Poguntke, Gleichgeschaltet. Rotkreuzgemeinschaften im NS-Staat, Köln/Weimar 2009, S. 155 f. 122 Das bei der Arbeitsbank deponierte Vermögen des »Lebensborn e.V.« belief sich 1945 auf 5,8 Mio. RM. Vgl. Georg Lilienthal, Der »Lebensborn e.V.« Ein Instrument nationalsozialistischer Rassenpolitik, Frankfurt a. M. 1985, S. 131. Das DRK hatte der Arbeitsbank Ende Febr. 1940 10,7 Mio. RM an Festgeld und Wertpapieren anvertraut. Vgl. Birgitt Morgenbrod/Stephanie Merkenich, Das Deutsche Rote Kreuz unter der NS-Diktatur 1933-1945, Paderborn usw. 2008, S. 221. 123 Z.B. an die im Aug. 1939 gegründete »Stiftung Wirtschaftliche Hilfe« der SS. Vgl. Kaienburg, Wirtschaft der SS, S. 497, 1033. 124 Das Folgende nach: Yasmin Doosry, »Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen«. Studien zum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, Tübingen usw. 2002, S. 70, 90 ff. 129 die banken »Zweckverband Reichsparteitag Nürnberg«, der im März 1935 als Finanzträger für die diversen, auf dem Parteitagsgelände geplanten Anlagen und Gebäude gegründet worden war, zur Verfügung zu stellen, brachte der zuständige NSDAP-Gauleiter Adolf Wagner die Bank der Deutschen Arbeit als Kreditgeber ins Gespräch.125 Das DAF-Geldin­stitut war grundsätzlich auch bereit, einen Kredit von 10 Mio. RM für die Ausgestaltung des Reichsparteitagsgeländes zur Verfügung zu stellen, verlangte dafür allerdings einen Zinssatz von jährlich 5 % sowie eine Bürgschaft des Reiches für Tilgung und Verzinsung des Darlehens. Diese Bedingung war eigentlich selbstverständlich, da der »Zweckverband« selbst über kein Vermögen verfügte, mit dem er für die Tilgung und Verzinsung des Darlehens haften konnte. Die zuständigen politischen Funktionsträger wollten sich freilich nicht damit abfinden, dass eine Bank für die Vergabe hoher Kredite nun einmal Sicherheiten benötigt und die Arbeitsbank hier keine Ausnahme machen wollte. Der Nürnberger Oberbürgermeister Willy Liebel,126 der gleichzeitig Geschäftsführer des »Zweckverbandes Reichsparteitag« war, versuchte im August 1935, günstigere Konditionen durchzusetzen. Das Geldhaus der Arbeitsfront lehnte einen Kredit ohne substantielle Sicherheiten und zu Vorzugszinsen jedoch mit dem völlig berechtigten Hin­weis da­rauf ab, dass die verlangten Zin­sen bank­üblich seien und ein Verzicht auf die Reichs­bürgschaft oder äquivalente Sicherheiten nicht in Frage kämen. Brinckmann als Reichsschatz­meister der DAF und quasi Vor­gesetzter des Direktors der Arbeitsbank stützte diese Position; er erklär­te sich allerdings be­reit, statt einer Bürg­schaft des Rei­ches auch eine der Partei zu akzeptieren. NSDAP-Reichs­schatz­meister Schwarz war freilich nicht be­reit, eine solche Bürg­schaft ein­zugehen, und das Reichsfinanzministerium lehnte eine Bürg­schaft des Reiches ab. Liebel versuch­te daraufhin, unmittelbar politischen Druck auf das DAF-Geld­institut auszuüben und dieses bei seinem ›politischen Gewissen‹ zu packen, d. h. sich die Sondersituation der Arbeitsbank als 125 Der Jurist und zeitweilige Staatsanwalt Siebert (1874-1942), der zunächst der Bayerischen Volkspartei angehört hatte und Anfang 1931 dann in die NSDAP übertrat, war von 1908 bis 1919 Bürgermeister von Rothenburg o.T., seit 1919 Bürgermeister und seit 1924 Oberbürgermeister der Bodenseestadt Lindau. Seit April 1933 amtierte er als bayerischer Ministerpräsident sowie als Finanzminister und (seit 1936) zudem als Wirtschaftsminister Bayerns. Von Febr. 1939 bis zu seinem Tod stand er der »Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums« (Deutsche Akademie) – dem institutionellen Vorgänger der heutigen Goethe-Institute – als Präsident vor. A. Wagner (1890-1944), seit 1928/29 Chef der NSDAP Oberbayerns (zunächst Oberpfalz), seit 1933 bayerischer Innenminister sowie stellvertretender ­Ministerpräsident (und im Volksmund »Despot von München« genannt), seit 1936 außerdem Kultusminister Bayerns, gehörte zu den mächtigsten NSDAP-Gauleitern. 126 Liebel (1897-1945), von März 1933 bis April 1945 Oberbürgermeister von Nürnberg und bis 1938 die zentrale Figur des »Zweckverbandes Reichsparteitag«, war bereits seit 1929 nach Julius Streicher (mit dem ihn ein konfliktreiches Verhältnis verband) der maßgebliche NSDAP-Funktionär dieser Stadt. 1942 wurde er von Speer als Leiter ins Zentralamt des Rüstungsministeriums berufen, ohne seine Nürnberger Ämter aufzugeben. 130 die ns-bewegung und das geldinstitut der daf parteinahe Institution zunutze zu machen und die Arbeitsbank als Geldkuh zu melken. In Schreiben an die Arbeitsbank brachte Liebel nicht nur Schwarz, die Reichsminister Kerrl und Schwerin v. Krosigk, außer­dem Rudolf Schmeer als »Leiter der Reichsparteitage« so­wie Fritz Reinhardt127 als ein­flussreiche NS-Auto­ ritäten, die hierfür angeblich kein Verständnis zeig­ten, ins Spiel, sondern ver­wies auf den »Füh­rer« selbst. Die­ser wür­de »kein Verständnis dafür haben, dass die vorliegende Dar­lehens­angelegenheit an einer sachlich durchaus unbegründeten Formalbedingung der Bürgschaftsübernahme scheitern soll«. Liebel selbst sehe sich deshalb »genötigt, unberechtigt erscheinende Widerstände mit jedem möglichen Mittel zu überwinden«.128 Zwar waren A. Wagner, Kerrl und Alfred Olscher als zuständiger Repräsentant des Reichs­f inanz­ministeriums129 tatsächlich der Meinung, die Bürgschaftsforderung sei »überbürokratisch«. Dennoch hatte Liebel mit dieser Drohung und diesem Ansinnen seine Position überschätzt. Die Arbeitsbank leitete dessen Schreiben unmittelbar an Ley weiter – und der las Liebel die Leviten: Liebel habe sich im Ton vergriffen; er müsse sich damit abfinden, dass die Arbeitsbank Darlehen »nach bankmäßigen Gesichtspunkten« ausleihe. Da die DAF-Bank außerdem anderweitig für auch politisch wichtige Projekte (Siedlungsbau, sonstige Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen usw.) mit umfänglicheren Darlehen engagiert sei, könne sich die Bank eine Kreditvergabe – und damit einen etwaigen hohen Verlust – in selbstschuldnerischer Bürgschaft nicht leisten. Immerhin bot er die Aufnahme einer Anleihe mit einer freilich kurzen Laufzeit bis maximal zwei Jahren an. Dies war wiederum für den Zweckverband nicht akzeptabel. Er brach die Verhandlungen mit der Arbeitsbank ab und fand schließlich andere Wege für eine Finanzierung der monströsen Bauten auf dem Reichsparteitagsgelände.130 Wenn die Arbeitsbank nicht zur Hausbank der gesamten NS-Bewegung wurde, dann lag dies nicht allein daran, dass das Geldinstitut der Arbeitsfront 127 Hanns Kerrl, seit April 1934 Reichsminister ohne Geschäftsbereich, war im Okt. 1935 zum Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten ernannt worden. Zu Schmeer, ein enger Vertrauter Leys und ab Jan. 1933 Reichsinspektor der Obersten Leitung der Parteiorganisation der NSDAP und damit für die Organisation der Reichsparteitage verantwortlich, vgl. Kapitel 2, S. 87. Reinhardt (1895-1969) war 1928 bis 1930 NSDAPGauleiter in Oberbayern gewesen, von 1928 bis 1933 Leiter der NSDAP-Reichsred­ ner­schule im Hamburg, seit 1930 außerdem Reichspropagandaleiter der NSDAP und seit 1933 Staatssekretär im RFM sowie u. a. seit 1935 im Stab des »Stellvertreter des Führers«. Nach Internierung und kurzer Haft war er nach 1950 als Steuer­berater in der Bundesrepublik tätig. 128 Es sei »zweifelsfrei, dass die Forderung der Bürgschaftsübernahme von allen hier Beteiligten als unberechtigter Widerstand angesehen würde«. Diese und die folgenden Zitate nach: Doosry, Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, S. 91 f. 129 Der Jurist Olscher (1887-1946), seit 1922 im RFM, fungierte dort seit 1932 als Ministerialdirektor. 130 Liebel nahm zunächst Verbindung mit der Bayerischen Staatsbank auf, die allerdings gleichfalls keinen Großkredit ohne substantielle Sicherheiten vergeben wollte. Finanziert wurden die Bauarbeiten auf dem Nürnberger Parteitagsgelände schließlich über Darlehen der »Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG (Öffa)«. Vgl. ebd. S. 91 ff. 131 die banken keine Gefälligkeits-Kredite vergab, die es an den Rand des Ruins getrieben hätten. Umgekehrt standen auch die maßgeblichen Funktionsträger der Partei keineswegs geschlossen hinter der DAF-Bank. Auf der Gau-Ebene (und vermutlich auch bei vielen NSDAP-Funktionsträgern auf der lokalen Ebene) wurden die Präferenzen des Münchner Reichsschatzamtes für das Geldinstitut der Arbeitsfront keineswegs vorbehaltlos geteilt. Am Beispiel der meist ziemlich autokratisch agierenden NSDAP-Gauleiter wird deutlich, wie sehr politische Erwägungen und oft genug überdies persönliche Animositäten ökonomisches Verhalten bestimmen konnten. Arthur Greiser etwa, der ›starke Mann‹ des »Warthegaus«, stand Ley distanziert gegenüber und eher Himmler sowie der SS nahe. Infolgedessen überrascht es kaum, dass er seine Konten nicht bei der Arbeitsbank anlegte, sondern bei der Ostbank,131 einem Tochterunternehmen der Dresdner Bank. Dies wiederum hatte für die Regionalvertretungen beider Banken gravierende Folgen: Infolge der engen Kontakte Greisers zur Dresdner Bank als dem Geldinstitut der SS gelang es deren Tochterunternehmen Ostbank nämlich, die im Warthegau zunächst führende Ostdeutsche Privatbank, die im Besitz der Arbeitsfront war, aus dieser Spitzenstellung zu verdrängen.132 Auch als Kreditgeber scheint die Arbeitsbank jedenfalls in den letzten Kriegsjahren auf der regionalen und lokalen Ebene für die »Organisationen der Partei nur eine ganz untergeordnete Rolle gespielt« zu haben.133 Die Vorgänge um die Bayerische Vereinsbank – ein Lehrstück über das komplexe Verhältnis von »Politik« und Wirtschaft unter dem Nationalsozialismus Wie komplex das Verhältnis von Politik und Wirtschaft bzw. Partei und Bankgewerbe während des Dritten Reiches war, lässt sich anschaulich am Beispiel der Versuche der NSDAP-Reichs­lei­tung und der DAF-Führung illustrieren, die Bayerische Vereinsbank (BV) zu übernehmen. Oben war bereits angedeutet worden, dass das Reichsschatzamt der Partei – und damit die NSDAP-Reichs­leitung – daran dachte, die BV zu übernehmen oder dort wenigstens einen beherrschenden Einfluss auszuüben. Hintergrund dieser Überlegungen, sich mit der BV eine Hausbank zu verschaffen, war, dass die in München ansässige Parteileitung sich für ihre Finanztransaktionen eines ortsansässigen Bankhauses bedienen wollte, dessen man sich in jeder Hinsicht sicher war. Bei den bestehenden Banken 131 Vgl. Wixroth, Dresdner Bank, S. 524. Vgl. auch unten. 132 Vgl. Loose, Deutsche Kreditinstitute in Polen, S. 234. Wixforth (Dresdner Bank, S. 524) weist darauf hin, dass im »Warthegau« schließlich fast das gesamte deutsche Okkupationsregime, d. h. Dienststellen der NSDAP, Reichsbehörden, der SD, die Gestapo, die Waffen-SS usw., ihre Konten und Geschäftskontakte über die Ostbank der Dresdner Bank laufen ließen. Zum, wie der NSDAP-Reichschatzmeister Schwarz formulierte, »konkurrenzmässigen Interesse« offenbar einer ganzen Reihe von NSGauleitern an der Arbeitsbank vgl. unten. 133 Zitat: »Strukturwandel bei der Bank der Deutschen Arbeit« (o.V.), in: Berliner Börsen-Zeitung vom 29. April 1944. 132 die ns-bewegung und das geldinstitut der daf schien dies dem NSDAP-Reichs­schatz­amt zweifelhaft, da »einerseits bei den in Frage kommenden Instituten die mit der Leitung betrauten Männer nicht das Vertrauen der Partei genießen und andererseits die Beziehungen dieser Institute entweder zufolge ihrer räumlichen Begrenzung oder zufolge ihrer Kompliziertheit nicht den von der Finanzverwaltung der Partei zu stellenden Forderungen genügen«.134 Die Wahl fiel auf die BV, weil diese durch »Arisierung« und Besitzerwechsel Ende der dreißiger Jahre schwer erschüttert worden war, mithin für eine Übernahme reif zu sein schien. Das nach NS-Kriterien »jüdische« Bankhaus Mendelssohn hatte Aktien im Wert von 4,2 Mio. RM an der BV gehalten. Bereits auf diese Aktien hatte das NSDAP-Reichs­schatzamt ein Auge geworfen. Sie fielen im Rahmen der »Arisierung« des Bankhauses Mendelssohn jedoch der Bank Merck, Finck & Co. zu,135 die diese ihrerseits dann überwiegend bei der Allianz und Münchner Rück plazierte.136 Der NSDAP-Reichsschatzmeister Schwarz hatte allerdings nicht nur auf diese Aktien seinen Blick gerichtet.137 Mehr noch interessierte ihn ein zweites, etwas kleineres Aktienpaket im Wert von 3,2 Mio. RM, das »Aktienpaket Reusch«; es handelte sich dabei um die – nach dem Lenker dieses Konzerns Paul Reusch benannte – Beteiligung der Gutehoffnungshütte (GHH) an der BV.138 Auch diese Übernahme gelang nicht. 134 Vermerk Sauperts vom 19. März 1940, in: BA Berlin, NS 1, Nr. 249-2, Bl. 3. 135 August v. Finck hat diesen Vorgang nach 1945 apologetisch zu seinen Gunsten umzudeuten versucht. Vgl. Besprechung mit den Herren v. Finck und v. Thelemann vom 10. März 1950, S. 4 f., nach: Heinrich VII. Reuss, Zur Geschichte der Bayerischen Vereinsbank, Teil II: Die Bayerische Vereinsbank im Dritten Reich 1933-1945. Versuch einer Dokumentation (Neufassung), München 1992 – Dokumentation (32 D). (Ich danke Johannes Bähr für den Hinweis auf diese wichtige Publikation.) Finck (1898-1980) war – u. a. – Teilhaber des Bankhauses Merck, Finck & Co. sowie im Aufsichtsrat zahlreicher Unternehmen. 1933 in die NSDAP eingetreten, gehörte er dem Präsidium der Akademie für Deutsches Recht und dem Generalrat der deutschen Wirtschaft an. Nach 1933 war er maßgeblich an »Arisierungen« beteiligt (u. a. der Bankhäuser Dreyfus in Berlin und Rothschild in Wien). Nach 1945 gehörte er zu den reichsten Männern der Bundesrepublik; u. a. gründete er 1965 die Deutsche Spar- und Kreditbank, München. 136 Vgl. Bayerische Vereinsbank im Dritten Reich – Dokumentation/Einleitung, S. 16, sowie Feldman, Allianz, S. 185 f. (der sich u. a. auf einen Vermerk von Saupert vom 13. Febr. 1939 bezieht). 137 In der Perspektive des NSDAP-Reichsschatzamtes schien die Übernahme der ehem. Mendelssohn-Aktien durch die Allianz zudem jedenfalls anfangs noch nicht endgültig. Vgl. zwei Aktenvermerke Sauperts vom 9. März und 19. Juli 1939, in: BA Berlin, NS 1, Nr. 249-1 bzw. 249-2. 138 Dieses Aktienpaket hatte für die BV insofern eine zentrale Bedeutung, weil zum GHH-Konzern auch die Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (MAN) gehörte. Die MAN wiederum hatte als eines der wichtigsten reichsdeutschen Unternehmen im Maschinen- und Fahrzeugbau ebenso wie die GHH unter Paul Reusch die BV als Hausbank für Investments etc. genutzt. Obwohl die GHH 1938 zwar ihre Aktien an der Münchner Bank verkaufen musste und Reusch sowie zwei weitere Vertreter der GHH-Gruppe zum Rücktritt aus dem Aufsichtsrat der BV gedrängt wurden, gelang es, den wegen der erzwungenen Abgabe des Aktienpakets sich »zutiefst be- 133 die banken Die GHH wurde im März 1938 zwar aus der Münchner Bank herausgedrängt, ihr Aktienpaket Reusch anschließend jedoch treuhänderisch von der Bayerischen Gemeindebank übernommen. Da die NSDAP fürs Erste ihr Ziel einer Übernahme dieser Aktien verfehlt hatte, kam Anfang 1940 die Bank der Deutschen Arbeit ins Spiel. Nun versuchte sie, im Einvernehmen mit dem NSDAPReichsschatz­meister, von der Bayerischen Gemeindebank das Aktienpaket Reusch zu erwerben.139 Die Arbeitsbank scheiterte mit diesem Ansinnen indes gleichfalls. Maßgeblich war, dass sie das Geldinstitut der DAF war – und die Arbeitsfront in »weitesten und maßgebendsten Kreisen« (nicht nur) der bayerischen Wirtschaft »grundsätzlich« auf entschiedene Ablehnung stieß. Nicht zuletzt Albert Pietzsch, einer der mächtigsten Kontrahenten der Deutschen Arbeitsfront, stellte sich in seiner Funktion als Präsident der Bayerischen Industrieund Handelskammer140 ent­schie­den gegen den Versuch der Arbeitsbank sowie der Ber­liner DAF-Führung, das Aktienpaket Reusch und »weitere Pakete zu erwerben«. Der bayerische Ministerpräsident und Wirtschafts- sowie Finanzminister Siebert vermutete zudem, dass die Übernahme der BV nur der erste Schritt zu leidigt fühlenden« Reusch und mit ihm die GHH sowie MAN als Großkunden der Bayerischen Vereinsbank zu erhalten. Vgl. Reuss, Bayerische Vereinsbank im Dritten Reich, S. 15-18, Zitat: S. 18. In den letzten Kriegsmonaten veräußerte die Bayerische Gemeindebank das ›Aktienpaket Reusch‹ dann an das Bankhaus Lenz. Vgl. Besprechung mit den Herren v. Finck und v. Thelemann vom 10. März 1950, S. 2, in: ebd. – Dokumentation (32 D). Vgl. zum ganzen Vorgang außerdem Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto (Hg.), Die Geschichte der Bayern LB, München/ Zürich 2008, S. 152 ff., sowie Johannes Bähr, GHH und M.A.N. in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit (1902-1960), in: ders./Ralf Banken/Thomas Flemming, MAN. Eine deutsche Industriegeschichte, München 2008, S. 231-371, hier: S. 295. Ungenau dagegen: Franz Steffan, Bayerische Vereinsbank 1869-1969. Eine Regionalbank im Wandel eines Jahrhunderts, München 1969, S. 286 ff. 139 So heißt es in einem Vermerk Sauperts vom 19. März 1940 (wie Anm. 134; Bl. 3 f.) etwas sybillinisch, dass »der Reichsschatzmeister dem Wunsche der Bank der Deutschen Arbeit, das Aktienpaket der Bayerischen Vereinsbank zu erwerben, zugestimmt hat«. Begründet wurde dies damit, dass erstens das DAF-Geldin­sti­tut ohnehin eine Bankpolitik im Sinne der NSDAP betrieben hätte und zwei­tens »durch eine entsprechende Einflussnahme dieser Bank [d. h. der Arbeitsbank, R.H.] auf die Bayerische Vereinsbank letztere sowohl personell als auch rein banktechnisch gesehen solche Änderungen erfahren würde, die den Reichsschatzmeister in die angenehme Lage versetzen würden, [dann auch die Bayerische Volksbank] mit der Durchführung seiner Dispositionen zu betrauen.« 140 Pietzsch (1874-1957), der 1910/11 die Elektrochemischen Werke München AG/Höllriegelskreuth gegründet hatte und seitdem (auch nach 1945) leitete, hatte 1925 die Bekanntschaft Hitlers gemacht und war 1927 in die NSDAP eingetreten. Seit 1933 war er »Vertrauensmann« und von 1934 bis 1936 Wirtschaftsberater im Stab des »Stellvertreters des Führers«. Von 1933 bis 1945 amtierte er sowohl als Präsident der IHK München als auch der Wirtschaftskammer Bayern. Im Dez. 1936 avancierte er zum Präsidenten der RWK. 134 die ns-bewegung und das geldinstitut der daf weiteren Übernahmen sein sollte. Er glaube, dass die DAF vorhabe, »das gleiche Experiment bei der Bayer. Hypotheken- und Wechselbank zu versuchen«.141 Im Spätsommer 1942 versuchte das NSDAP-Reichsschatzamt erneut – und diesmal ohne Hilfe der Arbeitsbank der DAF –, die Herrschaft über das Münchner Geldhaus zu erlangen. Darüber hinaus wollte man die BV mit der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank verschmelzen. Vorgesehen war, dass Hans Saupert »neuer Generaldirektor der vereinigten Institute« werden sollte:142 Saupert war Stabsleiter des NSDAP-Reichs­schatzmeisters Schwarz und de facto dessen Stellvertreter.143 Aber auch der Versuch, Saupert als einen der mächtigsten Entscheidungsträger der Partei in München zum Chef dieser Landesbank in nuce zu machen, scheiterte – angesichts einer Phalanx aus reichsdeutschen wie bayerischen Wirtschaftskreisen und einflussreichen politischen Größen der »Bayerischen Ostmark«. Bemerkenswert ist die sich über vier Jahre hinziehende und schließlich erfolgreiche ›Abwehrschlacht‹ der Bayerischen Vereinsbank deshalb, weil die NSDAP-Reichsleitung entgegen dem eigenen Anspruch, in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft beherrschend zu sein, letztlich klein beigeben musste – und ebenso die Deutsche Arbeitsfront, die auf den politischen Bühnen des Dritten Reiches gerade in den Jahren von 1938 bis 1942 eine wichtige Rolle spielte. Diese Nieder­lage zentraler politischer Akteure der NS-Diktatur muss man als Indiz für eine bleibend starke Stellung der Wirtschaft interpretieren, die auch das aus ideologischen Gründen heftig angefeindete etablierte Bankwesen einschloss. Allerdings wäre es verkürzt, aus diesen (und anderen) Vorgängen auf ein Primat der Ökonomie zu schließen, das sich gegenüber der »Politik« durchgesetzt habe. Auch die Kontrahenten von NSDAP-Reichsleitung und NSDAP-Führung waren als Präsidenten der Reichswirtschaftskammer, hohe Funktionsträger im 141 Vgl. Siebert (Anm. 125) in seiner Funktion als Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft an den Staatssekretär im RWM Friedrich Landfried vom 21. Febr. 1940, in: Reuss, Bayerische Vereinsbank im Dritten Reich (Dokumentation), S. 76 D/77 D. Zu Landfried vgl. Kapitel 10, S. 574 f. 142 Vermerk über den Besuch des Ministerialdirektors Dr. Riehle aus dem RWM bei der Bayerischen Vereinsbank am 25. Aug. 1942, in: Reuss, Bayerische Vereinsbank (Dokumentation), S. 136 D-141 D, Zitate: S. 138 D. Riehle bezog sich auf Gerüchte »angeblich bester Gewährsmänner« über die vermeintlich »un­mittelbar bevorstehende« Fusion. Diese Fusionspläne zwischen den beiden Münchner Regionalbanken waren wiederum Teilaspekte weitergehender Überlegungen zur Schaffung einer in Bayern hegemonialen Landesbank. 143 Saupert (1897-1966), Bankangestellter, war bis 1921 bei Freikorps und »Einwohnerwehren« im südwestdeutschen Raum aktiv. 1923 nahm er am Münchner Hitler-Putsch teil. 1925 in die Partei eingetreten, war er von Jan. 1931 bis Mai 1933 Reichsrevisor der NSDAP bzw. Chef der NSDAP-Reichsre­vi­sions­abteilung. Ab Mitte Mai 1933 fungierte er als Stabsleiter des Schatzmeisters der NSDAP, seit Juli 1933 außerdem als Leiter der Personalabteilung der Geschäftsstelle der NSDAP-Reichsleitung sowie als NSDAP-Ortsgruppenleiter der »Ortsgruppe Braunes Haus«. Seit Nov. 1933 SS-Mitglied (ab April 1938: SS-Brigadeführer), amtierte er von 1943 bis 1945 als »Reichsbeauftragter für Rauchwaren«. 135 die banken Reichswirtschafts- und Reichsfinanzministerium usw. nicht nur wirtschaft­liche Lobbyisten, sondern zugleich politische Akteure. Deutlich wird, dass sich Politik und Ökonomie während des Dritten Reiches nicht fein säuberlich voneinander abgrenzen ließen. Die auch in anderen politischen Systemen starken Überlappungen und Grauzonen zwischen beiden Sphären waren während der NS-Herrschaft breiter denn je. Die beschriebenen Vorgänge veranschaulichen zudem, dass sich unter dem Dach des »Nationalsozialismus« – als Ideologie wie als Bewegung – unterschiedlichste Interessen verbergen konnten. Nicht nur, dass sich die Bayerische Vereinsbank den Vereinnahmungsversuchen der NSDAP und Arbeitsbank erfolgreich entziehen konnte, auch dass die SS gegenüber der DAF und der Arbeitsbank auf Distanz ging und sich die Dresdner Bank zur Hausbank erkor, und ebenso das Bemühen der anderen (privaten) Großbanken, ihrerseits enge Kontakte zu den NS-Organisationen sowie einflussreichen Entscheidungsträgern des Regimes herzustellen, erklärt sich aus dem eigentümlich charismatisch-poly­kratischen Charakter des NS-Regimes. Die ökonomische wie die politische Sphäre waren unter der Hitler-Diktatur von zahllosen Konkurrenzen durchzogen, die sich vielfältig miteinander verbanden und oft genug verstärkten. Hinzu trat ein gerade in wirtschaftspolitischen Dingen ausgeprägter Pragmatismus des NS-Regimes, der vom Bewusstsein der politischen Protagonisten getragen war, dass die etablierten Strukturen nicht allzu stark und nachhaltig gestört werden durften, wollte man nicht gravierende negative Auswirkungen auf die politischen und militärischen Entwicklungen riskieren. Der Arbeitsbank wie überhaupt dem DAF-Konzern blieben damit Grenzen gezogen, die freilich nicht eindeutig markiert waren und je nach Konstellation verschoben werden konnten. Parteinähe, Amtsanmaßungen – und die Ängste der Konkurrenz Die vorstehenden Ausführungen haben außerdem deutlich gemacht, dass die Nähe zur DAF keineswegs zwangsläufig zum Vorteil der Bank der Deutschen Arbeit ausschlug. Dass das der Arbeitsbank anhaftende Image der Parteinähe freilich auch in starkem Maße positive Effekte hatte, lässt sich ebenso wenig bestreiten. Während die meisten Großunternehmen um die Bank der Arbeitsfront bis in die ersten Kriegsjahre hinein einen Bogen schlugen und auch die Granden unter den führenden Nationalsozialisten wie Hitler, Göring, Rosenberg oder Himmler als Privatkunden das DAF-Geld­institut mieden,144 scheinen 144 Göring und Funk hatten ihre persönlichen Konten bei der August Thyssen-Bank (Berlin), Hitler und ebenso Rosenberg ihre Privatkonten beim Bankhaus Delbrück, Schickler & Co. (Berlin). Himmler schließlich besaß ein Privatkonto bei der Privat­ bank J. H. Stein (Köln), d. h. der Bank des nationalsozialistischen Privatbankiers Kurt von Schröder (dessen politisch exponierte Rolle 1932/33 bekannt ist), sowie ein weiteres Konto bei der Dresdner Bank in Berlin. Vgl. hierzu: David R. L. Litchfield, Die Thyssen-Dynastie. Die Wahrheit hinter dem Mythos, Oberhausen 2008, S. 245 f.; Bähr, Dresdner Bank, S. 485, 492 f.; ferner z. B. Houston Writes, Reemtsma. Von der 136 die ns-bewegung und das geldinstitut der daf viele einfache deutsche »Volksgenossen«, die sich besonders linientreu gerierten, ihren Spargroschen bevorzugt zur Arbeitsbank getragen und dort auch Kredite, Hypotheken etc. aufgenommen zu haben. Dass die Arbeitsbank gegenüber den ›ein­f achen Leuten‹ ihr Image der NS-Nähe zu nutzen verstand und die Möglichkeiten, die die Verflech­tung mit der DAF mit sich brachten, nicht ungenutzt verstreichen ließ, brachte die Konkurrenten in Harnisch. Zweigniederlassungen der Arbeitsbank, beklagte sich Funk Mitte 1941 gegenüber Ley, hätten beispielsweise im Ruhrgebiet ab 1938 in Werbeschreiben mit dem Signum »auf Empfehlung der DAF, Gauleitung Westfalen Süd, Bochum« geworben. Kreiswal­tungen der Arbeitsfront hätten ihrerseits in ihren Rundschreiben an die Betriebe behauptet, dass Unternehmenskonten bei der Bank der Deutschen Arbeit Pluspunkte im Rahmen des von der DAF alljährlich durchgeführten »Leistungskampfes der Betriebe« nach sich zögen.145 Ähnliche Berichte, so Funk, lägen für die Folgezeit auch aus Südwestdeutschland oder Schlesien vor.146 Auch aus anderen Landesteilen kamen derartige Klagen.147 Illegitime schriftliche Werbung war nur die Spitze eines viel größeren Eisberges. Weit häufiger würden, so Funk, Unternehmen »Einwirkungen von Amtsstellen der Deutschen Arbeitsfront oder ihrer Amtsträger in mündlicher Form oder bei Vorträgen« dem Druck ausgesetzt werden, bei der Arbeitsbank Konten zu eröffnen.148 Auch der Reichskommissar für das Kredit- bzw. Bankgewerbe Friedrich Ernst149 beschwerte sich mehrfach über 145 146 147 148 149 Feldzigarette zur Wehrmachtsausstellung, Selent 2001, S. 72; Steinberg/Barkai, Deutsche Bank, S. 22. Diese retrospektiv merkwürdig anmutende Drohung war ein durchaus effizientes Druckmittel. Denn das »Goldene Zahnrad« als Logo für Auszeichnungen im Rahmen des »Leistungskampfes der Betriebe« besaß – ähnlich wie das KdF-Signum – eine beträchtliche Werbekraft. Funk an Ley vom 31. Juli 1941 (Anm. 109), die folgenden Zitate: Bl. 6 bzw. Bl. 30 und Bl. 41. Der Vorstandsvorsitzende des DAF-Geldinstitutes vermutete hinter den Vorwürfen Funks eine Intrige der Konkurrenz und erklärte, »es wäre gut, wenn die Herren Ministerialräte, Ministerialdirigenten und Ministerialdirektoren nicht jeden Unsinn, den ihnen die Großbankdirektoren in ihrem Hass gegen die Arbeitsbank vorschwätzen, glauben würden.« Rosenhauer an Strauch (als Chef der TWU) vom 17. Juni 1941, in: BA Berlin, R 8120, Nr. 736, Bl. 32-36, hier: Bl. 35. Vgl. Niederlausitzer Bank AG (Cottbus) an das Reichsaufsichtsamt für das Kreditwesen vom 12. Juni 1941, in: ebd., Bl. 39-42. Zu Klagen der Commerzbank über das Auftreten der Arbeitsbank vgl. Kreutzmüller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 11. Bei »Betriebsführerschulungen« oder Bewerbungen um Auszeichnungen im Rahmen des »Leistungskampfes der Betriebe« seien »die einzelnen Betriebsführer [des Öfteren] befragt worden, bei welchen Kreditinstituten und in welcher Höhe sie Bankkredit in Anspruch nehmen und welche Zinsen sie dafür zu zahlen haben.« Vgl. Funk an Ley vom 31. Juli 1941 (Anm. 109), Bl. 7 bzw. Bl. 31 und Bl. 42. Ernst (1889-1960), 1919 bis 1931 im preußischen Finanz- und Handelsministerium, war – im Zuge der Bankenkrise – zum Leiter der per Notverordnung vom 19. Sept. 1931 geschaffenen Behörde »Reichskommissariat für das Bankgewerbe« (später: »für das Kreditwesen«) ernannt worden. Ende 1939 gab er das Amt des Reichsbankenkommissars ab und fungierte bis 1941 als »Reichskommissar für die Verwaltung feindlichen Ver­mögens«. Danach ging er in die ›freie Wirtschaft‹ und wurde Mitinhaber des 137 die banken den massiven Druck, den die DAF auf Unternehmer ausübte, damit diese die Dienste der Arbeitsbank in Anspruch nahmen.150 Darüber hinaus versuchte das DAF-Geldinstitut seine Marktanteile zumindest zeitweilig durch einen Verdrängungswettbewerb zu vergrößern. Das Vorstandsmitglied der Deutschen Bank Hans Rummel klagte im Mai 1941 über die »skrupellosen Unterbietungen« der Arbeitsbank, der Reichswirtschaftsminister sprach im Juli 1941 von »Marktkonditionsunterbietung« durch die Arbeitsbank, mit der diese den etablierten Banken Kunden abspenstig machte.151 Aus dem Vorstandssekretariat der Arbeitsbank wurden die Vorwürfe Funks, die Bank betreibe eine unseriöse Geschäftspolitik, in einem Schreiben an das Reichsaufsichtsamt für das Kreditwesen vom 7. Juli 1941152 zwar entschieden zurückgewiesen. Tatsächlich jedoch dürften die Vorwürfe, dass die Arbeitsbank Kredite zu niedrigeren Zinsen und günstigeren Laufzeiten anbot und neben dem WHW und der NSV auch Kleinsparern eine höhere Verzinsung als die Konkurrenz offerierte, nicht gänzlich aus der Luft gegriffen gewesen sein. Daran waren die Berliner Großbanken selbst schuld: Sie hatten – mit der Arroganz der etablierten Geldhäuser – die Arbeitsbank entgegen deren Wunsch nicht in die »Stempelvereinigung« aufgenommen, d. h. in eine Art informelles Kartell, das für die Beteiligten auch die Zinsobergrenze für Einlagen festlegte. Die Bank der DAF konnte deshalb, wie ein Mitarbeiter nach 1945 feststellte, »in ihren debitorischen Zinskonditionen billiger wie die anderen Banken sein«.153 Im Übrigen war es kein Zufall, dass sich Klagen der etablierten Konkurrenz über die Arbeitsbank nach dem für das nationalsozialistische Deutschland erfolgreichen »Frankreichfeldzug« häuften: Die Arbeitsbank wollte sich offenbar in eine günstige Marktposition angesichts des kurzfristig erwarteten nationalsozialistischen »Endsieges« manövrieren. Mit Argusaugen beäugten die konkurrierenden Großbanken und ihnen nahestehende Amtsträger der Diktatur außerdem den Eifer, mit dem die DAF als politische Organisation Informationen über die einzelnen Betriebe sammelte, und ebenso die Verquickung von politischen und Unternehmens­f unktionen maßgeblicher DAF-Funk­tio­näre sowie die Aufsichtsfunktionen, die diese sich 150 151 152 153 138 Bankhauses Delbrück, Schick­ler & Co. 1948 war Ernst als Leiter der Währungsreform maßgeblich an der Einführung der »DM« beteiligt. Von 1949 bis zur Gründung der Bundesbank übernahm er den Vorsitz der Berliner Zentralbank. Von 1952 bis 1958 leitete er den »Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung« beim Gesamtdeutschen Ministerium. Er besaß auch sonst in der frühen bundesdeutschen Industrie erheblichen Einfluss, u. a. als Aufsichtsratsvorsitzender der AEG. Vgl. Smelser, Hitlers Mann, S. 165, Anm. 55. Memorandum Rummels vom 20. Mai 1941 (nach: Weihe, Personalpolitik, S. 28), sowie Funk an Ley vom 31. Juli 1941, (Anm. 109), Bl. 6. In: BA Berlin, R 8120, Nr. 736, Bl. 15-18. Vgl. undatiertes, namentlich nicht gekennzeichnetes »Exposé über die Bank der Deutschen Arbeit A.G. Berlin« (S. 19), das nach dem Frühjahr 1945, möglicherweise von einem Vorstandsmitglied der Arbeitsbank, für die Alliierten abgefasst wurde. In: BA Koblenz, Z 45 F, 2/199/8 (Kopie aus den US National Archives). die ns-bewegung und das geldinstitut der daf anmaßten. Sie hatten für ihr Misstrauen auch allen Grund: Als »charismatischer Verwaltungsstab« zeichnete sich die Arbeitsfront nicht durch präzise Kompetenzabgrenzungen zwischen den Ämtern und penible Arbeitsteilungen aus. Überdies vereinigten hohe Entscheidungsträger der Arbeitsfront unterschied­ liche Funktionen in ihrer Person. Ein Beispiel dafür ist Rudolf Lencer. Dieser besuchte in seiner Funktion als Leiter der Reichsbetriebsgemeinschaft bzw. des Fachamtes »Banken und Versicherungen« der Arbeitsfront allein im Jahre 1938 vierhundert Banken.154 Es war keineswegs bloß einem besonderen Argwohn der Konkurrenz geschuldet, wenn diese mutmaßte, Lencer würde dabei gewonnene Erkenntnisse nicht nur im Rahmen ›seiner‹ Reichsbetriebsgemeinschaft auswerten, sondern für die Arbeitsbank nutzen, in deren Vorstand er ab 1938 eine zentrale Rolle zu spielen begann. Zu Misstrauen gaben außerdem die »Betriebskarteien« der Reichsbetriebs­ gemeinschaften bzw. Fachämter sowie der Gauwaltungen der Arbeitsfront Anlass. Für diese Karteien sammelten die DAF-Funk­tio­näre vor Ort penibel alle erreichbaren Informationen. Welche Menge an Informationen dadurch zusammenkam, lässt sich erahnen, wenn man bedenkt, dass die Arbeitsfront Ende 1936 insgesamt etwa 32.000 und Mitte 1942 schließlich ungefähr 49.000 hauptamt­ liche Funktionäre beschäftigte sowie daneben über knapp zwei Millionen ehrenamtliche Amtsträger vor allem in den Betrieben verfügte – und diese wesentlich damit beschäftigt waren, Informationen über die einzelnen Unternehmen zu sammeln und zu systematisieren.155 Nicht zuletzt in den Großbanken war die Zahl der DAF-Funk­tio­nä­re hoch.156 Die Reichsbetriebsgemeinschaft »Banken und Versicherungen« verfügte aufgrund ihrer Betriebskartei laut Lencer bereits im Jahre 1936 über Informationen, die es erlaubten, ein differenziertes »Urteil für fast 42.000 deutsche Bank- und Versicherungsbetriebe« abzugeben. Bei den gesammelten einzelbetrieblichen Daten handele es sich nicht, so Lencer, »um ein totes Blatt Papier«. Vielmehr sei in der Kartei »die lebendige Gestaltung der Betriebe festgehalten«; sie ermögliche es der Arbeitsfront, sich »sozialpolitisch und wirtschaftlich ein Bild von der Kraft« des jeweiligen Unternehmens zu ma154 Weihe, Personalpolitik, S. 68. 155 Vgl. Hachtmann, Koloss, S. 349 (Tab. 4). Die meist in den Gauwaltungen lagernden Betriebsberichte sind in der Regel entweder vollständig oder bis auf wenige Splitter vernichtet. Lediglich von der DAF-Gauwaltung Bayerische Ostmark sind größere Bestände erhalten, deren Umfang eine Ahnung von den Datenmengen erlaubt, die die Arbeitsfront sammelte. Vgl. z. B. StA Bamberg, M 30, Nr. 149 (über die Betriebsbesuche des Arbeitsgebietswalters 1939) oder M 30, Nr. 731, Teil 3 und 4 (Jahresberichte der DAF-Betriebsobmänner 1937 bis 1940). Zusätzliche Informationen boten die Erhebungen, die die Arbeitsfront im Rahmen ihrer bis 1944 durchgeführten »Leistungskämpfe der Betriebe« durchführte. 156 Die Zentrale der Deutschen Bank zählte 1935 348, ein Jahr vor Kriegsbeginn dann 400 DAF-Betriebswalter. In der Commerzbank lag die Zahl der betrieblichen Funktionäre 1939 bei 250. Dies war ein DAF-Amtswalter auf ungefähr 45 Mitarbeiter der Deutschen Bank bzw. etwa 30 Mitarbeiter der Commerzbank. Vgl. Weihe, Personalpolitik, S. 72 bzw. S. 80. 139 die banken chen.157 Angesichts der Verquickung von politischen und ökonomischen Interessen, die bei Leuten wie Lencer auf der Hand lag, war es nur logisch, dass die konkurrierenden Banken und ebenso die privaten Versicherungsgesellschaften sowie die Unternehmen auch der anderen Branchen, in denen der DAF-Kon­ zern Aktivitäten entfaltete, die Daten-Sammelwut beargwöhnten, die die Arbeitsfront an den Tag legte. Misstrauisch machte auch die auffallend intensive Kooperation zwischen Arbeitsfront und Statistischem Reichsamt. So führte die DAF mit der staatlichen Behörde gemeinsame Erhebungen zu den Lebensverhältnissen von Arbeitern durch;158 außerdem veranlasste sie das Statistische Reichsamt zu einzelbetrieblichen Erhebungen.159 Dahinter witterten die Repräsentanten privater Banken und ebenso die Vorstände oder Eigner von Unternehmen anderer Wirtschaftszweige gleichfalls eine Bedrohung der arbeitsrechtlich sanktionierten, uneingeschränkten Autonomie des »Betriebsführers«. Zu Recht, denn die Amtsverschwiegenheit der mit der Datenerhebung befassten Behörden war nach 1933 immer weniger selbstverständlich und eine missbräuchliche Verwendung von offiziell für die Erstellung von Statistiken gewonnenen Informationen keineswegs ausgeschlossen.160 Angesichts dieser und weiterer Klagen der Privatwirtschaft über das Geschäftsgebaren des DAF-Geldinstituts und eine unlautere, an Nötigung grenzende Werbung von Funktionsträgern der Arbeitsfront für die Bank der Organisation versprach Otto Marrenbach als Geschäftsführer und einer der beiden Stellvertreter Leys, »er würde durch Anweisungen an die Dienststellen der DAF dafür Sorge tragen, dass diese sich völlig aus dem Wettbewerb der Bank der Deutschen Arbeit heraushalten«. Auch Rosenhauer als der Vorstandsvorsitzende der Arbeitsbank »sagte zu, dass künftig den bestehenden Vorschriften gemäss verfahren würde«.161 Lencer als der ›starke Mann‹ der DAF-Bank und Anfang 1943 der Nachfolger Rosenhauers suchte die Gemüter zu beruhigen, indem er 157 Nach: ebd., S. 68. 158 Vgl. vor allem die 1936/37 vom Statistischen Reichsamt und vom Arbeitswissenschaftlichen Institut gemeinsam durchgeführten und von der DAF finanzierten Erhebungen von dreitausend Arbeiterhaushaltungen, die beide in ihren jeweiligen Publikationsorganen ausführlich vorstellten. Ausführlich: Karl-Heinz Roth, Intelligenz und Sozialpolitik im »Dritten Reich«. Eine methodisch-historische Studie am Beispiel des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der Deutschen Arbeitsfront, München usw. 1993, S. 61 ff., 130, 254. 159 So bereits 1934 zu einer Erhebung über Bankangestellte. Vgl. Weihe, Personalpolitik, S. 68. 160 Zu diesem Problem (exemplarisch für Lohnerhebungen): Hachtmann, ­Industriearbeit, S. 121 ff. 161 Vermerk des Vizepräsidenten der Reichsbank und Ministerialrats im RWM Kurt Lange vom 30. April 1941 über eine Besprechung zwischen ihm, O. Marrenbach, C. Rosenhauer sowie einem weiteren Direktor der Reichsbank (Dr. Witte) über Verstöße der Bank der Deutschen Arbeit gegen das Kreditwesengesetz, am 28. April 1941, in: RGVA Moskau, Nr. 1458-1-434. 140 die ns-bewegung und das geldinstitut der daf gleichfalls »seine schärfste Missbilligung« unzulässiger »Werbemethoden« seitens der Arbeitsfront für die Bank aussprach und »betont[e], dass die Bank der Deutschen Arbeit Einflussnahme seitens der DAF bei dem Zustandekommen von privaten Geschäftsverbindungen ablehnt«.162 Faktisch änderte sich jedoch nichts. Entgegen den Versicherungen von Marrenbach, Rosenhauer und Lencer, die Arbeitsbank würde ihre besonderen Beziehungen zur DAF nicht zur Werbung neuer Kunden einsetzen, nutzte die Bank der Deutschen Arbeit auch in der zweiten Kriegshälfte die Nähe zur Arbeitsfront, um ihre Marktanteile auszubauen. Von der Dresdner Bank kam im Oktober 1944 die Beschwerde, »dass ein Vertreter der Bank der Deutschen Arbeit Industriefirmen mitteilte, dass sie zum Gaudiplom bzw. Musterbetrieb so lange nicht vorgeschlagen werden könnten, als sie sich nicht die Freundschaft der Deutschen Arbeitsfront durch Aufnahme einer Verbindung mit der Bank der Deutschen Arbeit A.G. gesichert hätten«. Die Arbeitsbank hätte sich an die für die Großbanken geltenden Wettbewerbsbestimmungen »nie gehalten und ihre Sonderstellung zur Deutschen Arbeitsfront« für den Abschluss lukrativer Geschäfte »sehr oft ausgenutzt«.163 Wenn die zentralen Akteu­re auf Seiten der Arbeitsbank die geschilderten und weitere Vorwürfe letztlich an sich abperlen lassen konnten, dann verweist dies erneut auf die herausgehobene Stellung Robert Leys als »charismatischer Jünger« Hitlers und die seines »charismatischen Verwaltungsstabes« Deutsche Arbeitsfront. Selbst Reichsminister wie Funk, der mit seiner Intervention von 1941 einem angeblich auf die Arbeitsbank zurückgehenden »wilden Konkurrenzkampf im Kreditgewerbe« und ihrem »Eindringen in den Kundenkreis anderer Kreditinstitute« einen Riegel vorschieben wollte,164 sowie volks- und finanzwirtschaftlich herausragende Sonderkommissare wie Ernst konnten der Stellung und Politik Leys und ›seiner‹ DAF letztlich nichts anhaben. Der Chef der Arbeitsfront und gleichzeitige NSDAP-Reichs­organi­sationsleiter war weit mächtiger als Funk, weil er das Vertrauen des »Führers« genoss und – von wenigen Phasen vor allem in der zweiten Hälfte des Krieges abgesehen – unmittelbaren Zugang zu Hitler besaß. Das zeigte sich z. B. Mitte 1941. Funks ungeschicktes Verhalten, seine oben referierte Kritik an der Arbeitsbank an sämtliche NSDAP-Gauleiter und -Gauwirtschaftsberater weiterzugeben, brachte nicht nur Ley, der dahinter wohl nicht zu Unrecht die Absicht einer bewussten Schädigung der Bank der Deutschen Arbeit witterte, auf das heftigste gegen den Reichswirtschaftsminister auf, sondern ebenso den NSDAPReichsschatzmeister Franz Xaver Schwarz. Er teile, erklärte Schwarz, die »schwe162 Reichsgruppe Handel (Hauptgeschäftsführer Ohlendorf ) an Staatssekretär Landfried im RWM vom 11. Juli 1942, in: RGVA Moskau, Nr. 1458-1-434. 163 »Bericht betr. Bank der Deutschen Arbeit A.G.«, o.V. (vermutlich von einem Mitarbeiter der Dresd­ner Bank), vom 5. Okt. 1944, S. 4, in: Sächsisches Hauptstaats­archiv Dresden (HStA Dresden) VII.6.01, Nr. 6896. (Dank an Johannes Bähr für den Hinweis auf diese Quelle.) 164 Funk an Ley vom 31. Juli 1941 (Anm. 109), Bl. 3 f. 141 die banken ren Bedenken« Leys165 gegen Funk, dessen »Auslassungen« ihn mit »grösserer Sorge« erfüllten. Völlig unverständlich sei, dass Funk seine Beschwerden auch allen NSDAP-Gauwirtschaftsberatern in schriftlicher Kopie zugesandt habe, denn die seien oft »konkurrenzmässig an der Bank der Deutschen Arbeit erheblich interessiert«, was (wie schon Ley befürchtete) »katastrophale Folgen für die Bank der Deutschen Arbeit in sich bergen« könne. Zugleich stellte Schwarz der Arbeitsbank grundsätzlich ein ausgesprochen positives Leumundszeugnis aus; deren innere Verfassung sei besser als die der anderen Geschäftsbanken.166 Funk hatte mit seiner Beschwerde über die Geschäftspraktiken der Arbeitsbank wider Willen ein Bündnis von Schwarz und Ley gegen sich selbst gezimmert. Mit seiner Kritik stärkte er zudem ungewollt seinen Kontrahenten Ley; denn Funk bestärkte Schwarz darin, darauf zu verzichten, der Finanzverwaltung der DAF genauer auf die Finger zu schauen, obwohl er seit einer Hitler-Verordnung vom 29. März 1935 das Recht dazu hatte. Auch in der Folgezeit konnte die Arbeitsbank ungehindert expandieren. Unter politischem Vorzeichen: die Anlagepolitik Spätestens 1937/38 begann die Arbeitsbank trotz des bleibend hohen Stellenwerts der Kleinkonten immer stärker ihren ursprünglichen Charakter als eine Art Arbeiter-Spar­kasse zu verlieren. Dies zeigt nicht zuletzt der Blick auf die Anlagepolitik des DAF-Geld­instituts (Tabelle 1.3). Wenn man vom Kauf von Staatspapieren, d. h. der Finanzierung der Aufrüstung, durch die spätestens ab 1939 der größte Teil der Einnahmen der Arbeitsbank absorbiert wurde, absieht, finanzierte die Bank vor allem die Unternehmungen der DAF. Das galt bis in den Krieg hinein.167 Ley verhielt sich da­bei wie ein Firmenpatriarch klassischer Schule. So erklärte er auf der einen Seite mit großer Geste, dass er ohne die Bank der Deutschen Arbeit den Auftrag für die Errichtung eines Volkswagenwerkes gar nicht erst hätte übernehmen können.168 Auf der anderen Seite aber zeigte er auch ein Minimum an betriebswirtschaftlichem Sachverstand, als er sich ge­ genüber dem Reichswirtschaftsministerium weigerte, die Arbeitsbank über die ohnehin gewährten umfänglichen Kredite hinaus weitere Millionenbeträge für den Aufbau des Volkswagenwerkes zur Verfügung stellen zu lassen; denn diese 165 Ley hatte in einem Schreiben an Funk vom 4. Juli 1941 diesem schweres geschäftsschädigendes Verhalten gegenüber der Arbeitsbank vorgeworfen, das »sich mit den sich gleichzeitig entwickelnden Gerüchten für die Bank katastrophal auswirkt«, und gefordert, dass der RWM »eine eindeutige Erklärung abgibt, die das Ansehen der Bank wiederherstellt. « In: BA Berlin, R 8120, Nr. 736, Bl. 20-27, Zitate: Bl. 20, 27. 166 Alle Zitate aus: Schwarz an Ley vom 19. Juli 1941, in: ebd., Nr. 736, Bl. 12-14, bzw. in: ebd., Nr. 804, Bl. 49-51. 167 Ab 1942 wuchs dann der Anteil der Kredite für Rüstungs-, Rohstoffunternehmen sowie solche, die zur Ausplünderung Süd- und Südosteuropas gedacht waren – auf Kosten nicht zuletzt der unmittelbaren Kredite für DAF-Unternehmen. Vgl. unten. 168 Vgl. Ley an Funk vom 24. Mai 1941, in: ebd., Nr. 736, Bl. 52-59, hier: Bl. 56, bzw. in: BA Berlin, NS 5 I, Nr. 337 (S. 5). 142 die ns-bewegung und das geldinstitut der daf hätten die Existenz des Geldinstitutes vermutlich zwar nicht unmittelbar in Frage gestellt, aber seine Handlungsmöglichkeiten doch empfindlich ­beschnit­ten.169 Neben dem Volkswagenwerk finanzierte die Arbeitsbank auch etliche andere Projekte der DAF, indem sie Kredite zur Verfügung stellte oder unmittelbar Anteile an Industrieunternehmen erwarb, an denen die DAF interessiert war.170 Die Vorhaben der DAF-Wohnungs­bauge­sellschaf­ten sowie nicht zuletzt das 1936 begonnene »Seebad der 20.000«, Prora nahe Binz auf Rügen, wurden ebenfalls wesentlich mit Hilfe der Bank der Deutschen Arbeit finanziert.171 Noch im letzten Kriegsjahr stellte das Kreditinstitut der Arbeitsfront zwei Tochtergesellschaften der »Bauhilfe« der DAF, der Baustoffwerk GmbH in Berlin und der Baustoffwerk GmbH in Teupitz, einen Kredit von 1,1 Mio. RM zur Verfügung.172 Ferner wurde die Arbeitsbank ab 1941 zur Finanzierung der Umwandlung der Konsumgenossenschaften in die Einzelhandelskette Deutsches Gemeinschaftswerk heran­gezogen. Um die nach der Auflösung der Konsumvereine verbliebenen Spareinlagen an die ehemaligen Mitglieder der Verbrauchergenossenschaften auszahlen, aber auch Geschäftsanteile in Höhe von insgesamt mehr als 65 Mio. RM vergeben zu können, nahm das Gemeinschaftswerk bei der Arbeitsbank Kredite in Höhe von 20 Mio. RM auf.173 Gleichzeitig scheint die Arbeitsbank zur Finanzierung des Ausbaus der »Versorgungsringe« des Deutschen Gemeinschaftswerks hinzugezogen worden sein. Schließlich stellte das Bankhaus der Ar- 169 Vgl. Mommsen/Grieger, Volkswagenwerk, S. 206. Dass bei weiteren Krediten die Arbeitsbank erhebliche Probleme gehabt hätte, wird durch den Bericht Nr. 12293 der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die bei der Bank der Deutschen Arbeit AG vorgenommene Prüfung des Jahresabschlusses zum 31. Dez. 1939 bestätigt. In: BA Berlin, R 8135, Nr. 2406, Bl. 15. Bis dahin jedoch sei die Kreditvergabe »ohne weiteres intakt« geblieben. 170 So z. B. Spinnerei und Weberei AG im sächsischen Ebersbach. In diesem Fall erwarb die Arbeitsbank für die DAF eine Minderheitsbeteiligung; die anderen Anteile hielten die Sächsische Staatsbank sowie mehrere sächsische Textilunternehmen. Interesse hatte die DAF an dem Ebersbacher Textilunternehmen, weil sie mit ihrem Wissenschaftsimperium, das sie in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre aufzubauen begann, auch in der Bastfaserforschung engagiert war und eine industrielle Verwertung dieses Ersatzstoffes ins Auge fasste. Vgl. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, Bd. 2, S. 705 f. 171 Vgl. Kopper, Bankenpolitik, S. 173 f.; Schneider, Hakenkreuz, S. 236; Kreutzmüller/ Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 7. Dass die Bauunternehmungen der DAF im Zentrum der Kreditvergabe der Arbeitsbank standen, lässt sich ihrer Verteilung nach Branchen entnehmen: Danach gingen fast ein Drittel (32,6 %), d. h. der mit Abstand größte Posten, sämtlicher vom DAF-Geldinstitut 1939 gewährten Kredite in die Bauwirtschaft. Angaben nach: Bericht Nr. 12293 der Revisions- und Treuhand AG zum 31. Dez. 1939 (Anm. 169), Bl. 19. 172 Vgl. Erläuterungen zum Bericht der Revisions- und Treuhand AG über die Prüfung des Jahresabschlusses der Bank der Deutschen Arbeit zum 31. Dez. 1944, vom 30. April 1945, in: BA Berlin, R 8135, Nr. 8613, Bl. 10. 173 Vgl. Kapitel 6, S. 399. 143 die banken beitsfront der Deutsche Nationaltheater AG gegen Kriegsende einen Kredit von 1,1 Mio. RM zur Verfügung, vermutlich zur Beseitigung von Kriegsschäden.174 Darüber hinaus waren die Dienste der Arbeitsbank für finanzielle Transaktionen der NSDAP und parteinaher Organisationen und Einrichtungen von erheblicher Bedeutung, z. B. für den erwähnten Erwerb des Ullstein-Verlages durch den Eher-Verlag 1934. Die NSDAP-Reichsleitung verfügte bei der Arbeitsbank außerdem über mehrere frei disponible Verrechnungskonten, die ihr je nach Gusto die Aufnahme auch hoher (und vermutlich niedrig verzinster) Überziehungskredite erlaubte.175 Zu den ›politischen‹ Krediten im weiteren Sinne kann man schließlich solche rechnen, die nur unter den spezifischen Vorzeichen des NS-Systems denkbar waren. Dazu gehören alle finanziellen Transaktionen im Rahmen von »Arisierungen«, an denen (wie dargestellt) auch die Arbeitsbank in größerem Umfang beteiligt war. Zu ›politischen Krediten‹ im weitesten Sinne sind auch die Konsortialkredite zu zählen, die für den Auf- und Ausbau riesiger Industriekomplexe vorgesehen waren, mit denen die Ausbeutung vor allem von Rohstoffvorkommen in den besetzten ost- und südosteuropäischen Gebieten geplant war.176 Gerade an ihnen wird freilich auch deutlich, wie künstlich die Trennung in politische und ökonomisch-normale Kredite ist. Sie unterschieden sich grundsätzlich nicht substantiell von den Krediten, die in klassischen Kolonialzeiten für die Gründung von Bergwerken, Großplantagen usw. und nach 1945 zum Aufbau von Industrien in Ländern der sog. Dritten Welt unter neo­kolonialen Vorzeichen gewährt wurden. Symptomatisch war denn auch, dass die Arbeitsbank als besonders parteinahe Bank zwar an einer Reihe solcher Konsortialkredite beteiligt war, die Führerschaft dieser Kredite (d. h. die Organisation und Verteilung der Quoten) jedoch in der Regel von den alteingesessenen Großbanken, also der Deutschen, der Dresdner und der Commerzbank übernommen wurde. Auf einer grundsätzlichen Ebene allerdings zog die Bank der Deutschen Arbeit (auch) in ihrer Anlagepolitik mit den Großen Drei tendenziell gleich. Obwohl sie allzu große Risiken scheute, wie die Verweigerung der Kredite für das SS-Klinkerwer­k bei Buchenwald bzw. Oranienburg zeigt, wurde das Kreditins­ titut der DAF nichtsdestotrotz in neue Geschäftsfelder »direkt hineingetrieben, denn das Geld, welches früher durch ruhigere Bahnen floss, musste nun auf jeden Fall untergebracht werden«, so das Resümee eines führenden Mitarbeiters einer der konkurrierenden Großbanken im Herbst 1944 über die Geschäftspraxis der Arbeitsbank. Dies wiederum bedeutete, dass die Bereitschaft zu einer riskanteren Kreditvergabe wuchs. Eine Anlage allein der riesigen Summen, über die die 174 Vgl. Erläuterungen zum Bericht der Revisions- und Treuhand AG vom 30. April 1945 (wie Anm. 172), Bl. 10. 175 Dies lässt sich daraus schließen, dass das »Verrechnungskonto II«, das die NSDAPReichsleitung bei der Berliner Zentrale der Arbeitsbank besaß, bei Kriegsende mit exakt 466.363,10 RM überzogen war. Vgl. Erläuterungen zum Bericht der Revisionsund Treuhand AG vom 30. April 1945 (wie Anm. 172), Bl. 11. 176 Vgl. unten. 144 die ns-bewegung und das geldinstitut der daf Arbeitsfront aus den Mitgliedsbeiträgen verfügte, sei (heißt es in dem Memorandum von 1944 weiter) »nur möglich durch das Eindringen in die private Wirtschaft, denn die Gelder konnten allein durch die Finanzierung der Deutschen Arbeitsfront nicht untergebracht werden«. Die Arbeitsbank musste sich durch dieses, ihr geradezu aufgenötigte »Gebaren […] wohl oder übel auf das Gebiet der Großbanken begeben und nahm dadurch einen Charakter an, der mit dem der sonstigen Großbanken verglichen werden kann«.177 Es war vor diesem Hintergrund nur logisch, dass sich die Arbeitsbank während des Krieges dann an diversen Projekten der deutschen Besatzungsbehörden bzw. riesiger Konsortien in den okkupierten Gebieten beteiligte. Den mit Abstand größten Teil der ihr zufließenden Gelder steckte die Arbeitsbank, ebenso wie ihre privaten Konkurrenten, in Staatsanleihen (Tabelle 1.4), mithin in die unmittelbare Finanzierung der Aufrüstung bzw. des Krieges. Expansionismus der Arbeitsbank und Verbandsimperialismus der DAF: zwei Seiten derselben Medaille Auf der einen Seite wurde die Arbeitsbank zu einer tendenziell normalen Großbank, auf der anderen Seite behielt sie Eigenschaften eines parteinahen Geld­in­ stitutes. Vor allem in zweierlei Hinsicht spiegelte die Arbeitsbank den Charakter ihrer Mutterorganisation, der DAF. Dies war zum einen ein besonders ausgeprägtes Expansionsstreben, das deutlich stärker als bei den übrigen Großbanken ausgebildet war. Aufschlussreich ist der vergleichende Blick insbesondere auf das Bilanzvolumen sowie die Höhe der Einlagen (Tabelle 1.3): 1938 hatte hier das Geldinstitut der Arbeitsfront weit abgeschlagen nicht nur hinter der Deutschen und Dresd­ner Bank, sondern auch der Commerzbank und der Reichskreditanstalt auf Platz 5 der Großbanken gelegen. Bis 1942 hatte sie die Commerzbank und die Reichskreditanstalt überholt und stand nun auf Platz 3. Ihre Einlagen hatte die Bank der Deutschen Arbeit zwischen 1938 und 1943 fast verzehnfacht und damit die Konkurrenz – die die Summe der Kreditoren und Spareinlagen nur verdoppeln oder verdreifachen konnte – (relativ) deutlich abgehängt. Ihre jährliche Bilanzsumme steigerte die Arbeitsbank zwischen 1935 und 1943 sogar um mehr als das Fünfzehnfache, während alle anderen Banken ihr Bilanzvolumen pro Jahr während desselben Zeitraumes (von einem freilich deutlich höheren Basiswert aus) nicht einmal verdreifachen konnten. Bemerkenswert ist diese Entwicklung in dreierlei Hinsicht: Erstens zeigt sich an beiden Indikatoren, in welchem Maße die Bank von der Finanzkraft der DAF, NSDAP usw. profitierte. Zweitens drückt sich darin aus, dass das DAF-Geldinstitut in seiner Rolle als Arbeiter-Sparkasse am – im Vergleich zu den Geschäftsbanken – überdurchschnittlich kräftigen Aufschwung der Sparkassen, Girozentralen und Landesbanken bis 177 Alle Zitate: »Bericht betr. Bank der Deutschen Arbeit A.G.«, o.V. (vermutlich von einem Mitarbeiter der Dresdner Bank), vom 5. Okt. 1944, S. 3, in: HStA Dresden VII.6.01, Nr.6896. 145 die banken 1939 partizipierte. Drittens verweist die Entwicklung namentlich der Bilanzsumme (die unmittelbar keine Rückschlüsse auf den betriebswirtschaftlichen »Erfolg« zulässt) auf einen ausgeprägten und teilweise politisch motivierten Aktionismus und Expansionismus der Arbeitsbank, der zwar keineswegs ausschloss, dass (wie gezeigt) betriebswirtschaftliche Risiken rational kalkuliert wurden, den Newcomer gleichwohl von den etablierten Großbanken deutlich unterschied. Lange Zeit hatten die Großen Drei, aber auch die Institutionen der Bankenaufsicht, diesen Aufstieg der Arbeitsbank zu ignorieren versucht. Die Reichsbank fand sich erst kurz vor Beginn des Frühjahres 1940 bereit, das DAF-Geldinstitut »nicht mehr als Spezial-, Haus- oder Branche[n]bank, sondern in [d]er Gruppe der Berliner Großbanken zu erfassen«, und begann noch einmal ein gutes Jahr später, »die Bank der Deutschen Arbeit hinfort in den internen Statistiken unter die Großbanken aufzunehmen«.178 Zu diesem Zeitpunkt war freilich längst nicht mehr zu leugnen, dass sich die Arbeitsbank – statistisch – auf dem Weg an die Spitze der reichsdeutschen Banken befand. Gewiss blieb auch 1942 der Abstand zur Deutschen und zur Dresdner Bank noch beträchtlich. Beim Umsatz musste zudem die Arbeitsbank der Commerzbank weiterhin den Vortritt lassen (Tabelle 1.4). Indes war die »rasante Entwicklung, die dieses Institut immer noch nimmt« so eindrucksvoll, dass ein Vorstandsmitglied der Dresdner Bank noch Anfang 1944 fürchtete, dass die Arbeitsbank »auch unsere Bilanzziffer in absehbarer Zeit erreich[en] oder überflügel[n] wird«.179 Der Weg der Arbeitsbank unter die Großen Drei, die im Krieg zu den Großen Vier wurden, war in der Tat unheimlich. Er hatte, das war allen Beteiligten bewusst, nicht nur ökonomische Gründe. So wie der »Verbandsimperialismus« (Tim Mason), die tendenziell ungezielte Akkumulation von Befugnissen und Tätigkeitsfeldern, zum herausragenden Kenn­zeichen der Arbeitsfront wurde, entwickelte sich die Arbeitsbank zu einem Geldinstitut, für das Expansion zunehmend zum Selbstzweck wurde. Das für die Arbeitsbank weit überdurchschnittliche Wachstum speiste sich neben dem Druck, der von den scheinbar unerschöpflichen Geldmengen seitens der DAF ausging, aus drei weiteren Quellen: Erstens wurden die Vorstände der Arbeitsbank vom politischen »To­talitätsstreben« der DAF-Füh­rung mitgerissen, das Ley im Herbst 1936 ausdrücklich artikuliert und für alle Funktionäre zur Richtschnur ihres Handelns gemacht hatte.180 Zweitens teilten die Protagonisten der Arbeitsbank Prämissen und Prognosen der DAF-Führung. Sie orientierte sich auf einen nationalsozialistischen »Endsieg« selbst dann noch, als die leitenden Repräsentanten der anderen Banken längst ahnten, dass der Krieg für die Nationalsozialisten nicht mehr zu gewinnen war. Die maßgeblichen Akteure der Arbeitsbank wag­ten bis zum Schluss nicht, einen Zusammenbruch 178 Vermerk der volkswirtschaftlichen Abteilung der Reichsbank vom 2. Febr. 1942, in: BA Berlin, R 2501, Nr. 6523, Bl. 226. 179 Schreiben der Hauptbuchhaltung der Dresdner Bank an Alfred Busch vom 13. Mai 1944, nach: Bähr, Dresdner Bank, S. 189, Anm. 55. 180 Vgl. Einleitung, S. 18 f. 146 die ns-bewegung und das geldinstitut der daf der Diktatur als Möglichkeit auch nur in Erwägung zu ziehen. Statt sich nach dem rasanten Aufschwung ab 1938 erst einmal zu konsolidieren, erweiterte die Arbeitsbank noch 1943 und selbst 1944 ihre Geschäftsfelder. Sie war auch in der zweiten Kriegshälfte eifrig bemüht, durch den Erwerb von Geldhäusern im besetzten Ausland die Position der Arbeitsbank für die Zeit nach dem in immer weitere Ferne rückenden nationalsozialistischen »Endsieg« auszubauen. Der vor allem in den letzten Kriegsmonaten offensichtliche Realitätsverlust war freilich in den Besitzverhältnissen angelegt; der Vorwurf des Defätismus hätte für die DAF-Banker und -Manager fatale persönliche Folgen gehabt. Drittens schließlich zeichnete für den oftmals aggressiven Aktionismus nicht nur der Arbeitsbank, sondern ebenso der Ver­sicherungsunternehmen sowie anderer Betriebe der DAF ein spezifischer, in der NS-Bewegung vor 1933 sozialisierter und im Vergleich zu den Vorständen der etablierten Banken ausgesprochen junger Managertypus verantwortlich, der »hemdsärmelig« agierte und sich in seinem Habitus von den etablierten Wirtschaftseliten deutlich unterschied. Mentalitäten und Handlungsmuster dieses DAF-Managertypus korrespondierten tendenziell mit denen der höheren Funktionäre des »charismatischen Verwaltungsstabes« Deutsche Arbeitsfront.181 Die Arbeitsbank als Korruptionsfonds Auch in anderer Hinsicht ›färbte‹ die DAF auf die Bank der Deutschen Arbeit ab: Vor allem in den ersten Jahren der NS-Herrschaft entwickelte sich innerhalb der Arbeitsfront ein Korruptionssumpf, der auch das DAF-Geldinstitut nachhaltig zu beschädigen drohte. Dies offenbarte sich in einem Skandal, der sich mit dem Namen Anton Karl verband und Ende 1937 aufflog. Karl firmierte nach außen als »Häusermakler« und stieg Anfang November 1936 zu einem zentralen Akteur für die DAF-eigene Deutsche Bau AG (Deubau) auf, die Mitte 1936 aus dem Verband Sozialer Baubetriebe GmbH (VSB), dem Dachverband der vormals freigewerkschaftlichen Bauproduktivgenossenschaften, hervorgegangen war. Seine Aufgabe bestand darin, als »selbständiger Kaufmann« gegen hohe prozentuale Provisionen Aufträge für die Deubau zu akquirieren.182 Als faktisch zentraler Repräsentant dieses großen, überregionalen Bauunternehmens der DAF, das zu 99 % nominell im Besitz der Arbeitsbank war, wendete Karl in den 181 Dazu ausführlicher: Kapitel 9, bes. S. 543 ff. 182 Der am 4. Nov. 1936 mit A. Karl geschlossene Vertrag sicherte ihm neben einem – nicht näher bezifferten – »Anteil an der Bauabrechnungssumme« außerdem »monatliche Abschlagszahlungen bis zur Höhe vom RM. 2000,- vertraglich« zu. Die Laufzeit ging bis zum 31. Sept. 1937 und sollte »dann jeweils um 1 Jahr verlängert« werden. Hierzu sowie zu nachträglichen Korrekturen, falschen Verbuchungen, zahlreichen Nachbuchungen, willkürlichen »Änderungen der Bau- und Vorratswerte«, Fehlen von zahlreichen Eingangsrechnungen etc. vgl. im einzelnen die Berichte der Deutschen Wirtschaftsprüfungs- und Treuhandgesellschaft mbH (Berlin) über die Deutsche Bau AG zum Jahresabschluss zum 31. Dez. 1936 und zum 31. Dez. 1937, S. 31, in: BA Berlin, R 8120, Nr. 714. 147 die banken folgenden Monaten knapp 600.000 RM an Schmiergeldern auf, um von staatlichen Behörden bzw. NS-Organisatio­nen Aufträge für die Deubau zu erlangen. Die Bestechungsgelder wurden von der Bank der Deutschen Arbeit als Kredite verauslagt.183 Bestochen wurden u. a. Sepp Dietrich (Führer der »Leibstandarte Adolf Hitler« und SS-Ober­grup­pen­f ührer), Hermann Esser (Staatsminister und Präsident des Deutschen Fremdenverkehrsverbandes), Philipp Bouhler (Chef der »Kanzlei des Führers« und NSDAP-Reichslei­ter), Karl Wolff (Stabschef Himmlers), Christian Weber (»Wirtschaftsbeauftragter« für München als »Hauptstadt der Bewegung« und SS-Brigadeführer), Heinrich Hoffmann (Foto­graf Hitlers und »Reichsbildberichterstatter«) sowie Wilhelm Brückner (SA-Ober­grup­pen­ führer) und Julius Schaub (SS-Obergrup­penführer), die beide zur unmittelbaren Umgebung Hitlers gehörten.184 Ohne die Bank der Deutschen Arbeit wäre es nicht zu einem Korruptionsfall dieses gigantischen Ausmaßes gekommen. Anton Karl handelte nicht auf eigene Faust, sondern unter Duldung, wenn nicht sogar auf Anweisung höchster Funktionsträger der DAF. Der damalige Vorsitzende der Treuhandgesellschaft für die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF mbH (TWU), Werner Boltz, veranlasste die Arbeitsbank, Karl die Beträge für Schmiergeldzahlungen zu reservieren, die dieser benötigte, um für die Deubau Bauaufträge zu erhalten. Auch der DAF-Schatz­meister Paul A. Brinckmann war über die finanziellen Transaktionen – mindestens – informiert.185 Die ›Berei­ni­gung‹ der Korruptionsaffäre, die innerhalb der NS-Bewegung und des Staatsapparates hohe Wellen schlug und für die Arbeitsbank mit mehr als 288.000 RM negativ zu Buche schlug,186 wur­de auf DAF-typische Weise vorgenommen: Die unteren Chargen, insbesondere Anton Karl, wurden umgehend aus dem Verkehr gezogen. Auch Boltz und schließlich sogar Brinckmann als die höchsten (nachweislich) in den Korruptionsfall verwickelten DAF-Funktionäre mussten Anfang bzw. Mitte 1938 gehen,187 nachdem der Skandal weitere Kreise gezogen hatte und Ley selbst zu beschädigen drohte. Andere konnten bleiben, etwa Alexander Halder, der un- 183 Vgl. Feststellungsbericht des Revisionsamtes der NSDAP vom 14. Febr. 1938 über die Bauunternehmen der DAF, S. 29, in: BA Berlin, NS 1, Nr. 811. In diesem 131-seitigen Bericht werden die Dimensionen der Korruptionsaffäre penibel nachgezeichnet. Vgl. auch Frank Bajohr, Parvenüs und Profiteure. Korruption in der NS-Zeit, Frankfurt a. M. 2001, S. 57-62; ferner Smelser, Hitlers Mann, S. 166 f. 184 Vgl. Feststellungsbericht vom 14. Febr. 1938, S. 32-98. 185 Vgl. ebd., S. 99-108. 186 Vgl. Bericht der Wirtschaftsprüfungs- und Treuhandgesellschaft über die Deutsche Bau AG zum Jahresabschluß vom 31. Dez. 1937 (Anm. 182). 187 Zu Boltz, Brinckmann und allen weiteren genannten Personen vgl. Kapitel 2, bes. S. 72-76. Offiziell – und um nach außen das Gesicht der DAF zu wahren – schied Boltz »auf eigenen Wunsch« aus. Wenig später wurde Boltz allerdings wegen »Verfehlungen im Amt« aus der NSDAP ausgeschlossen. Gehen musste außerdem Josef Bücherl, der Mitte April 1935 die Geschäftsführung des Verbandes Sozialer Baubetriebe übernommen hatte und ab Mitte 1936 Direktor der Deubau war. 148 die ns-bewegung und das geldinstitut der daf ter Brinckmann stellvertretender Leiter des DAF-Schatzamtes und im Juni 1937 stellvertretender »Reichssachwalter« der DAF war.188 Die Affäre »Anton Karl« war einer der eklatantesten Korruptionsfälle des Dritten Reiches, innerhalb der DAF jedoch keineswegs der einzige.189 Welche ungefähren Dimensionen Korruption und Unterschlagung in der Arbeitsfront während der ersten Jahre der NS-Herrschaft angenommen hatten, welch undurchsichtige Finanztransaktionen riesigen Ausmaßes innerhalb der Arbeitsfront vorgenommen wurden, an denen die Arbeitsbank maßgeblich beteiligt war, machen drei brisante parteiinterne Äußerungen deutlich. Die erste datiert auf den Juli 1935 und geht auf Karl Müller zurück, der im Mai 1933 der erste Vorstandsvorsitzende der Bank der Deutschen Arbeit geworden und bereits für die Enteignung der Gewerkschaft maßgeblich verantwortlich gewesen war. Müller warf in einem Schreiben an Ley dem DAF-Reichs­schatz­meister Brinckmann vor, dass der Arbeitsfront wegen fehlender interner Finanzkontrollen allein zwischen Oktober 1934 und April 1935 Mitgliedsbeiträge in Höhe von 40 Mio. RM »entgangen« seien.190 Über das »Wie« der (vermutlichen) Unterschlagungen schwieg sich Müller wohlweislich aus, weil hierbei die gleichfalls von ihm geführte Arbeitsbank eine zentrale Rolle gespielt haben dürfte.191 Der zweite Hinweis auf 188 Halder wurde im Feststellungsbericht vom 14. Febr. 1938 (S. 127 ff.) zwar vorgeworfen, dass er gleichzeitig als Gesellschafter und Geschäftsführer der DAF-eigenen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft fungierte – deren Aufgabe darin bestand, die Buchführung etc. der Unternehmen der Arbeitsfront zu kontrollieren – und dass diese Funktion mit seinen DAF-Ämtern kollidierte. Auch wurde im Feststellungsbericht (S. 128) festgestellt, dass er von den Schwarzgeldern Karls sowie den falschen Bilanzen der Deubau eigentlich hätte wissen müssen. Eine Verwicklung in die Affäre Karl konnte ihm jedoch nicht nachgewiesen werden. Seinen weiteren Aufstieg bremste der Skandal deshalb nicht. Auch Ludwig Bierlein behielt seine Leitungsfunktion in der Treuhandgesellschaft und ebenso seine Posten in den DAF-Bauunter­neh­men bis 1945. 189 Unterschlagungen von Mitgliedsbeiträgen und Korruption unter einfachen und höheren DAF-Funktionären waren vor allem in den ersten Jahren der NS-Herrschaft epidemisch. Vgl. (nur für 1934 bis April 1936:) Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SoPaDe) 1934-1940, hg. von Klaus Behnken, Salzhau­sen/ Frankfurt a. M. 1980, hier: 1/1934, S. 55 ff., 225, 237-243, 319 ff., 447-452, 541-545; 1935, S. 46, 59, 91-95, 489-492, 886 f.; 1936, S. 243-248, 495. Aller Zensur zum Trotz waren sie auch in der ›einfachen‹ Bevölkerung Gesprächsthema. Vgl. SoPaDe-Berichte 1935, S. 491; ­außerdem Bajohr, Parvenüs, S. 178. Auf die strukturellen Anfälligkeiten der Arbeitsfront für Bestechung und Unterschlagung hatte auch der Wirtschaftsprüfer und Unternehmensberater Karl Eicke in seinem Organisationsgutachten vom 31. Juli 1936 über die DAF aufmerksam gemacht. Vgl. Hachtmann, Koloss, S. 71-74. 190 Müller an Ley, vom 16. Juli 1935, in: BA Berlin, NS 10, Nr. 134, Bl. 96-100, hier: Bl. 97 f. Was genau an den Anschuldigen Müllers dran war, lässt sich auf Basis der bekannten Quellen nicht feststellen. Vgl. außerdem SoPaDe, 1936, S. 235; Smelser, Hitlers Mann, S. 167. 191 Tatsächlich scheint Müller weniger an finanziell »sauberen« Verhältnisse interessiert gewesen zu sein. Mit seiner Kritik an Brinckmann wollte er vielmehr einen letzten Trumpf im Rahmen eines DAF-internen Machtkampfes ausspielen, der durch unklare Kompetenzen hervorgerufen und durch weitergehende Machtansprüche Mül- 149 die banken ausufernde Korruptionspraktiken unter DAF-Funktionären, die zu erheblichen Teilen über die Arbeitsbank mindestens als Mittler-Instanz liefen, findet sich in dem »Feststellungsbericht« vom Februar 1938, in dem die Aspekte der »Affäre Karl« penibel aufgelistet werden. Dort werden Verhöre mit Anton Karl zum Teil im Wortlaut referiert, in denen sich dieser über opulente »Geschenke« ausließ, die bis zum ›stark verbilligten‹ Privathausbau reichten und unter hohen DAFFunktionären und »leitenden Personen« der Unternehmen »durchaus üblich« gewesen seien. »Diese Geschenke [seien] nicht von den Leitern der wirtschaftlichen Unternehmungen [der DAF] persönlich, sondern über die Unkostenkonten der betreffenden wirtschaftlichen Unternehmungen bezahlt worden«.192 Die dritte Äußerung, die mittelbar ein Schlaglicht auf die internen Praktiken des DAF-Geldin­sti­tu­tes wirft, datiert gut eineinhalb Jahre später. In einem Vermerk vom 7. Dezember 1939 notierte der bereits erwähnte Hans Saupert, als Stabsleiter von Schwarz quasi der stellvertretende NSDAP-Reichsschatzmeister,193 dass ihm der Reichsamtsleiter aus dem Stab Heß und spätere NSDAP-Gauleiter von Westfalen-Süd Albert Hoffmann194 berichtet habe, dass angeblich »der drittgrößte Bilanzposten der Deutschen Arbeitsfront der Betrag darstelle, welchen der Leiter der Deutschen Arbeitsfront den Gauleitern der NSDAP zahle«.195 Es wäre verniedlichend, diesen »Bilanzposten«, über dessen genaue Höhe leider keine Informationen vorliegen, unter ›Zweckentfremdung von DAF-Beiträgen‹ abzubuchen. Es scheint sich bei ihm vielmehr um einen regelrechten Korruptionsfonds gehandelt zu haben, den Ley aus Finanzmitteln, über die er als Chef der Arbeitsfront verfügte, angelegt hatte, um seine Stellung als Reichsorganisa­ tionsleiter der Partei namentlich gegenüber seinem Rivalen Heß zu stärken. Aus diesem Fonds wurden im Übrigen noch andere NS-Institutionen als nur die NSDAP-Gauleiter bedient. Im zitierten Vermerk Sauperts wird die Bank der Deutschen Arbeit nicht ausdrücklich genannt. Diese fungierte jedoch zweifelsohne als Depot, in dem die zu den genannten Zwecken bestimmten Gelder 192 193 194 195 150 lers genährt worden war. Tatsächlich hatten die Anschuldigungen Müllers den gegenteiligen Effekt. Am 4. Juli 1935, also kurz bevor er den zitierten Brief an Ley (vom 16. Juli 1935) verfasst hatte, war Müller von Ley »beurlaubt« worden. In: BA Berlin, R 3101, Nr. 10526, Bl. 139-143. Noch im Sommer 1935 wurde ein Strafverfahren gegen Müller »wegen handelsrechtlicher Untreue« angestrengt. Es musste ein Jahr später, am 17. Sept. 1936 eingestellt werden; ein Parteigerichtsverfahren wurde gar nicht erst eröffnet. Vgl. auch Kapitel 2, S. 71 f. Feststellungsbericht vom 14. Febr. 1938, S. 104. Zu Saupert vgl. oben, Anm. 143. Hoffmann (1907-1972) war seit 1934 Amtsleiter in der Parteikanzlei der NSDAP. Im März 1938 ging er als Sonderbeauftragter der Parteikanzlei der NSDAP nach Wien (»Stillhaltekommissar«); ab Herbst 1938 fungierte er als Beauftragter des Stabes Heß im Stabe des sudetendeutschen Reichskommissars Konrad Henlein. 1941 wurde er zum stellv. NSDAP-Gauleiter von Oberschlesien ernannt, in Personalunion außerdem zum DAF-Gau­ob­mann für Oberschlesien; seit Febr. 1943 amtierte er als NSDAP-Gauleiter von Westfalen-Süd sowie als Reichsverteidigungskommissar. In: BA Berlin, NS 1, Nr. 249-1. die ns-bewegung und das geldinstitut der daf gesammelt und bei Bedarf abgerufen wurden, allerdings (darauf wird gleich einzugehen sein:) nur bis Anfang 1938.196 Wichtig im hier interessierenden Zusammenhang ist: die Bank der Deutschen Arbeit stand als Institution im Zentrum der dubiosen Geldgeschäfte der DAF – und verströmte einen entsprechenden Geruch. Welch zweifelhafter Ruf der Arbeitsbank bis Ende der dreißiger Jahre vorauseilte, zeigt ein von Fritz Wiedemann, einem der Adjutanten Hitlers, geschilderter Fall, wonach eine mit 2000 RM verschuldete Angestellte der Reichstheaterkammer zu ihm kam, ihn um Unterstützung bei ihrer Entschuldung bat. Wiedemann antwortete, den eigenen Feststellungen zufolge: »Gehen Sie doch mal zur ›Bank der Deutschen Arbeit‹, die ist meines Wissens für solche Zwecke da.« Das DAF-Geldinstitut war, laut Wiedemann, nicht nur bereit, die Schulden der jungen Frau via Wiedemann zu bedienen, sondern bot jenem selbst sogar noch einen Kredit zu traumhaften Konditionen mit den Worten an: »Jedesmal an Weihnachten werden ihnen 10 000 Mark gutgeschrieben, dann sind Sie in zwei Jahren den Kredit los und können einen neuen aufnehmen!« Dies sei ein bei der Arbeitsbank »üb­ liches Verfahren«. Der Mitarbeiter des Bankhauses der Arbeitsfront nannte Wiedemann »auch die Namen einiger anderer Herren, die die Dienste der Bank in dieser Weise in Anspruch genommen hätten, und setzte […] hinzu: ›Der Führer weiß das und ist damit einverstanden.‹«197 In dieses Bild passt nicht zuletzt der Tatbestand, dass sich die Direktoren der Arbeitsbank – wie im Juli 1935 in höchsten Parteikreisen bekannt wurde – Jahresgehälter von 82.000 RM bewilligt hatten und damit Bezüge erhielten, die noch über denen der Reichsminister lagen.198 Hinter einer derartig unverfrorenen Selbstbedienungsmentalität stand ein wichtiges Strukturelement »charismatischer Herrschaft«: die »Wirtschafts­ enthobenheit« (Max Weber)199 des »charismatischen Herrschers«. Es war, so 196 Der Zeitpunkt des zitierten Vermerks von Saupert (7. Dez. 1939) steht dem nur schein­bar entgegen. Die Erklärung Hoffmanns gegenüber Saupert (vom Okt. oder Nov. 1939) ging auf einen »Parteigenossen Scholz [zurück], der die Verwaltung beim Stillhaltekommissar [der ›Ostmark‹ ab März 1938] führt und aus der DAF gekommen ist« (ebd.), mithin über die Zustände innerhalb der Arbeitsfront und mittelbar der Arbeitsbank nur aus der Zeit bis März 1938 Kenntnis gehabt haben kann. Zudem handelte es sich lediglich um ein Gerücht über ›mehrere Ecken‹ – indes um eines, das ziemlich glaubhaft war. In späteren Vermerken aus dem NSDAP-Reichs­schatzamt finden sich derartige Anwürfe gegen die Arbeitsbank nicht mehr. 197 Fritz Wiedemann, Der Mann, der Feldherr werden wollte, Velbert 1964, S. 194 f. Bei den »anderen Herren«, auf die der Angestellte der Arbeitsbank anspielte, handelte es sich – erneut – um die Hitler-Adjutanten Schaub und Brückner, außerdem die SS-Oberführer Heinrich Höflich und Max Schmeller, den SS-Standartenführer Otto Reich und den bereits erwähnten Dietrich (der sich auch sonst auf Kosten der DAFBank bereicherte). Vgl. Bajohr, Parvenüs, S. 61 f. 198 Vgl. Bormann an Schwarz vom 25. Juli 1935, in: BA Berlin, NS 22, Nr. vorl. 670; außerdem Smelser, Hitlers Mann, S. 167; Kreutzmüller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 14. 199 Folgt man Max Weber, schlossen sich »Wirtschaftsenthobenheit« einerseits und das Streben nach »Beute, darunter und vor allem: Geld« andererseits keineswegs aus, 151 die banken paradox es klingt, gerade diese »Wirtschaftsenthobenheit«, die bekannte Gleichgültigkeit des »Führers« allen Dingen der »Wirtschaft« gegenüber, die es dessen »Jüngern« und ebenso den hochrangigen wie untergeordneten Funktionsträgern der »charismatischen Verwaltungsstäbe« erlaubte, eine unersättliche Raffgier zu entwickeln und (in unserem Fall:) die Arbeitsbank dafür zu nutzen. 3.5. Expansion über die Grenzen des »Altreiches« hinaus Auf dem Weg zur ›ordentlichen‹ Geschäftsbank: die Rekonsolidierung 1938/39 Auf Dauer war die skizzierte Praxis allerdings aus vielerlei Gründen dysfunktional. Wichtig war vor allem, dass namentlich die »Affäre Karl« innerhalb der NS-Bewegung ungeheuren Wirbel verursachte und die DAF-Führung auf den politischen Bühnen massiv desavouierte. Auch aus binnenorganisatorischem Eigen­interesse musste Ley und den führenden Funktionäre daran gelegen sein, den Korruptionssumpf sowohl innerhalb der Arbeitsbank und der Deubau als auch in der Arbeitsfront als politischer Organisation auszutrocknen. Ohne ein gewisses Maß an bürokratischer »Veralltäglichung«, d. h. verwaltungstechnischen Regelungen und Kontrollmechanismen, konnte man innerhalb des polykratischen Machtgefüges des NS-Regimes nicht die Rolle spielen, die die DAFFührung zu spielen gewillt war. Brinckmann, Boltz und andere mussten 1938 Heinrich Simon, Hans Strauch und Rudolf Lencer Platz machen,200 die die Finanzorganisation der DAF von Grund auf neu ordneten. Sie leiteten auch für die Bank der Deutschen Arbeit eine neue Ära ein, indem sie ihr ›normale‹ betriebswirtschaftliche Strukturen mit üblichen verwaltungstechnischen Routinen und internen Kontrollmechanismen verpassten, die Unterschlagungen, Korruption und ›Selbstbedienung‹ zwar nicht gänzlich ausschlossen,201 ihnen aber doch wenig Raum ließen – und das Geldinsondern bedingten geradezu einander. Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 655 f. 200 Die durch die »Affäre Karl« nicht belasteten Halder und Bierlein durften dagegen bleiben und machten das genannte finanzpolitische Führungstrio zu einem Quintett, das bis 1945 für Finanzorganisation und Unternehmenskoordination innerhalb der DAF verantwortlich blieb. 201 So wurde z. B. ein Kredit der Arbeitsbank an Ley noch in den letzten Kriegs­monaten von 176.000 RM auf 287.000 RM erhöht. Blankokredite wurden außerdem noch 1944/45 Sepp Dietrich (in Höhe von 62.000 RM), dem Botschafter v. Bülow-Schwante (55.000 RM), dem stellvertretenden NSDAP-Gauleiter für Groß-Berlin Arthur Görlitzer (knapp 7.000 RM) sowie mehreren hohen DAF-Funktionären eingeräumt. Vgl. Erläuterungen zum Bericht der Revisions- und Treuhand AG vom 30. April 1945 (wie Anm. 172), Bl. 6; ferner Kreutzmüller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 14. In seinem oben zitierten Brief an Ley vom 31. Juli 1941 (Anm. 109, Bl. 5) schrieb Funk außerdem davon, dass die (seit 1938 tatsächlich auch unabhängigen) Wirtschaftsprüfer in ihren Berichten bemängelt hätten, »dass Genehmigungen des Aufsichtsrates für Kredite der Bank an Mitglieder des Vorstandes usw. nicht vorhanden waren.« In den 152 expansion über die grenzen des »altreiches« hinaus stitut auf diese Weise zu einem insgesamt schlagkräftigen Instrument der DAFFührung machten.202 Die wundersame Wandlung der Bank der Deutschen Arbeit von einem Geldinstitut der Arbeitsfront, das gleichzeitig als erweiterter Schwarzgeld-Fonds Leys diente, zu einer ab 1938 solide arbeitenden Geschäftsbank, die allerdings ihren Charakter als Hausbank der DAF niemals gänzlich abstreifen konnte, hatte schließlich einen weiteren, ganz konkreten Hintergrund: In der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre drohte der Führung der Arbeitsfront die Kontrolle über den Etat der DAF zu entgleiten. Die Affäre Karl bot dem NSDAP-Reichs­ schatzmeister Franz Xaver Schwarz ein willkommenes Einfallstor zur Kontrolle der DAF-Finanzen. Es ist bereits erwähnt worden, dass Ley Ende Oktober 1934 hinter dem Rücken von Heß dem »Führer« eine Verordnung abgeluchst hatte, die der DAF in unbestimmten Formulierungen weitgehende politische Vollmachten ausstellte (und dass die Arbeitsfront dieses ›Ermächtigungsgesetz‹ ab Herbst 1936 gezielt für ihr »Totalitätsstreben« zu nutzen begann).203 Was Ley vormachte, konnten auch andere. Ohne seinerseits Ley zu konsultieren, veranlasste der NSDAP-Reichsschatz­meister den »Führer« ein halbes Jahr später, eine Verordnung herauszugeben, in der fest­gelegt wurde, dass Schwarz und sein Amt das Finanzaufsichtsrecht gegenüber sämtlichen angeschlossenen Verbänden erhielt. Die Arbeitsfront war in der Verordnung vom 29. März 1935 nicht ausdrücklich genannt worden, aber ganz wesentlich gemeint. Ley nahm diese Hitler-Ver­ ordnung lange Zeit nicht sonderlich ernst und interpretierte die dem NSDAPReichs­schatz­meister gegenüber der DAF eingeräumte Finanzaufsicht noch im März 1937 als unverbindliches Recht. Das änderte sich, als die »Affäre Karl« Wellen zu schlagen begann. Mitte Juli 1937 gewann Schwarz endgültig Oberwasser und erließ im Einvernehmen mit Heß eine (vierte) Ausführungsbestimmung zum »Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat« vom 1. Dezember 1933, die gegenüber der DAF ein ziemlich weitgehendes Finanzaufsichtsrecht des Berichten der Deutschen Revision und Treuhand für Ende 1944 und April 1945 finden sich dafür allerdings keine Hinweise. Weitere Vorwürfe erhob der RWM in diesem Generalangriff auf das Kreditinstitut der Arbeitsfront nicht. Dies darf als Indiz dafür gewertet werden, dass die Buch- und Rechnungsführung der Arbeitsbank seit 1938 weitgehend korrekt gewesen war. 202 Ein Indiz ist der geringe Anteil – unter einem Prozent – der persönlichen Kredite, die die Arbeitsbank in ihren Abschlussbilanzen vom 31. Dez. 1944 und 30. April 1945 auswies (in: BA Berlin, R 8135, Nr. 8613, Bl. 7). Den höchsten Kredit, der einer Privat­ person ausgezahlt wurde, erhielt mit 619.000 RM der Jurist Hans Wilhelm Eggen (1912-?), ein Hauptsturmführer aus dem SS-Führungshauptamt, der als Mittelsmann und Vertrauter des Leiters der »Spionageabwehr« bzw. des »Auslandsgeheimdienstes« der SS und schließlich des SD, Walter Schellenberg, die Berliner SS-Tarnfirma Waren-Vertriebs GmbH aufbaute und mit dieser vor allem mit der Schweiz zwischen 1941 und 1943 rege Waffen- und Ausrüstungsgeschäfte trieb, darunter die Anschaffung meh­rerer tausend Baracken, die offiziellen Angaben zufolge für die Ostfront benötigt wurden, tatsächlich aber zu einem Teil in den KZ Sachsenhausen und Dachau auf­gestellt wurden. Vgl. außerdem Anm. 201. 203 Vgl. Einleitung, S. 18 f. 153 die banken Reichsschatzmeisters der Partei vorsah.204 Die schließliche Entlassung von Boltz und Brinckmann und ebenso die Neuordnung des Wirtschaftsimperiums der Arbeitsfront gingen denn auch wesentlich auf das NSDAP-Reichsschatzamt zurück.205 Hinter der Intervention von Schwarz und seinem massiven Druck, die Arbeitsbank von Grund auf zu reorganisieren, stand allerdings nicht in erster Linie politische Rivalität mit Ley. Den NSDAP-Reichs­schatz­meister trieb vor allem die Sorge um, dass willkürliche »Entnahmen« von Geldern und sonstige »Querschießereien« zu einem verheerenden Image der Arbeitsbank führen und negativ auch auf die NSDAP abfärben würden.206 Um Schwarz nicht noch weitere Hebel in die Hand zu geben, die diesem den jederzeitigen und unmittelbaren Zugriff auf die Finanzen der Arbeitsfront – eine Art Fremdverwaltung des DAF-Etats – erlaubt hätten,207 musste zunächst die interne Finanzverwaltung der DAF konsolidiert werden. Dies geschah durch die Einrichtung einer Simon unterstellten »Zentralstelle für die Finanzaufsicht der DAF« Anfang 1938. Darüber hinaus war aber auch die entscheidende Ins­ titution für die zeitweilig anscheinend völlig außer Rand und Band geratene DAF-Finanzpolitik, die Arbeitsbank, zu reorganisieren und auf solide Füße zu stellen. Mit der Aufnahme Lencers in den Vorstand und der Neubesetzung des Aufsichtsratsvorsitzes der Arbeitsbank (Simon, und Strauch als sein Stellvertre204 Vgl. Ulf Lükemann, Der Reichsschatzmeister der NSDAP. Ein Beitrag zur inneren Parteistruktur, Berlin 1963, S. 131. 205 Auf der Sitzung im NSDAP-Reichsschatzamt vom 24. Nov. 1937 hatten Saupert als der Vertraute des NSDAP-Reichsschatzmeisters Schwarz sowie Reichsrevisor Schieder von der DAF verlangt, dass der »Leiter der Bank der Deutschen Arbeit« und ebenso »der Leiter der wirtschaftlichen Unternehmungen« der Arbeitsfront lediglich Ley persönlich verantwortlich und ansonsten »vollkommen selbständig« sein sollten. Das richtete sich gegen Brinckmann und das DAF-Schatz­amt, die bis dahin die Oberaufsicht über die Unternehmen der Arbeitsfront besessen hatten. Zugleich drangen sie auf die Einrichtung eines DAF-Prüfungsamtes, das vollständig vom Schatzamt der Arbeitsfront getrennt sein müsse. Heinrich Simon als Beauftragter Leys stimmte diesen ultimativen Vorschlägen offenbar ohne Wenn und Aber zu. Vgl. den entsprechenden Aktenvermerk über eine Sitzung im NSDAP-Reichsschatzamt vom 24. Nov. 1937, mit Stabsleiter Saupert, Reichsrevisor Schieder sowie seitens der DAF Simon, in: BA Berlin, NS 1, Nr. 248-2. Zur Entlassung von Boltz und Brinckmann vgl. Vermerk Sauperts vom 23. Febr. 1938 über eine Besprechung mit Lencer, in: BA Berlin, NS 1, Nr. 1113. 206 Zitate: ebd. 207 Schwarz beabsichtigte freilich ohnehin nicht, der DAF-Führung völlig die Kontrolle über die Finanzen der Arbeitsfront zu entziehen, selbst Mitte 1937 nicht, als die »Affäre Karl« hochkochte: In einem Abkommen, das Schwarz und Ley am 7. Okt. 1937 unterzeichneten, vereinbarten beide, dass dem NSDAP-Reichs­schatzmeister ein »Gesamtfinanzplan über die Deut­sche Arbeitsfront und ihre wirtschaftlichen Un­ter­ nehmungen« und ein jährlich aufzustellender »Haushaltsplan« der DAF zu übergeben sei, die Arbeitsfront mithin einer Art Rechenschaftspflicht unterliege. Nach: Lükemann, Reichsschatzmeister, S. 221 f. Faktisch wurde die finanzielle Autonomie der DAF durch diese Maßnahmen kaum angetastet. Schwarz reichte in der Folgezeit die theoretische Möglichkeit der Intervention gegenüber der Arbeitsfront. 154 expansion über die grenzen des »altreiches« hinaus ter) scheint auch die innere Organisation gestrafft und mit qualifizierten Leuten besetzt worden zu sein. Darüber hinaus wurde, gleichfalls auf Anregung des NSDAP-Reichs­schatzamtes, ein DAF-Prüfungsamt geschaffen, dem – als eine Art internem Rechnungshof – die Überprüfung der Buchführung und überhaupt der Geschäfte der DAF-Un­ter­neh­men übertragen wurde. Die Geschäfte der Arbeitsbank scheinen in der Folgezeit solide geführt worden zu sein und auch externen Überprüfungen standgehalten zu haben.208 Schwarz zeigte sich jedenfalls zufrieden. Er resümierte Mitte Juli 1941, er könne »mit Freude feststellen, dass seit einigen Jahren und wohl zum Zeitpunkt des Eintritts des Parteigenossen Lencer in den Vorstand der Bank der Deutschen Arbeit, diese eine Entwicklung genommen hat, die vom Standpunkt der Reichsleitung aus gesehen, außerordentlich begrüßenswert ist. Im Laufe der Jahre hat sich zwischen den Dienststellen der Partei – an ihrer Spitze die Reichsleitung – ein so ersprießliches Arbeitsverhältnis mit der Bank der Deutschen Arbeit entwickelt, dass ich immer beruhigter [wurde] und daher in steigendem Maße mehr und mehr die Großtransaktionen und Kapitalanlagen mit der Bank der Deutschen Arbeit vorgenommen, bezw. solche bei dieser angeordnet habe.«209 Ein knappes Jahr zuvor hatte Schwarz, der namentlich zu Simon »volles Vertrauen« entwickelte,210 erklärt, dass »sich die Bank der Deutschen Arbeit als das Institut gezeigt hat, das den Wünschen und Erfordernissen der Partei am meisten Rechnung getragen hat«.211 Die alteingesessenen großen Geschäftsbanken – Deutsche, Dresdner und Commerzbank – gerieten dadurch freilich nicht ins Hintertreffen. Ein entscheidender Vorsprung der Großen Drei gegenüber dem Aufsteiger aus dem DAFWirtschafts­imperium bestand darin, dass sie über jahrzehntelange fundierte Auslandserfahrungen verfügten, die die Arbeitsbank nicht wirklich wettmachen konnte. Dies zeigte sich ab 1938. Allerdings war das Geldinstitut der Arbeitsfront eifrig bestrebt, hier den Großen Drei nachzueifern, anfangs freilich wenig erfolgreich. 208 So erklärte die Deutsche Revisions- und Treuhand AG in ihrem Nachtragsbericht Nr. 11996 zum Bericht Nr. 11072 über die bei der Bank der Deutschen Arbeit AG vorgenommene Depotprüfung für das Jahr 1938 (vom 22. Juni 1939, in: BA Berlin, R 8135, Nr. 2406), dass alle Bücher »sauber und übersichtlich geführt« würden und »Beanstandungen bei der Prüfung sich nicht ergeben« hätten. 209 Schwarz an Ley vom 19. Juli 1941, in: BA Berlin, R 8120, Nr. 736, Bl. 12-14, hier: Bl. 12 f., bzw. in: R 8120, Nr. 804, Bl. 49-51, hier: Bl. 49 f. Vgl. auch Kreutzmüller/ Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 14. 210 Vgl. Protokoll der Ressortbesprechung des Reichsschatzmeisters vom 24. Jan. 1938, nach: Mommsen/Grieger, Volkswagenwerk, S. 205. 211 Vermerk Sauperts vom 19. März 1940 (Anm. 134), Bl. 3. 155 die banken »Zug nach Osten« – die Expansion der Arbeitsbank seit 1938/39 Für die erste Kriegshälfte hat Harold James ironisch von einem »einzigartigen Investitionsklima« gesprochen. Nicht nur das durch die militärische Expansion erweiterte Aktionsfeld der Banken war »einzigartig«. Auch die Festsetzung der Höchstgrenze der Börsenkurse sowie ein wachsender Inflationsdruck hätten, so James, die Bankentätigkeit enorm angefacht.212 Zudem griffen die reichsdeutschen Unternehmen bei ihrer Expansion in das besetzte Ausland gern auf die ›Hilfe‹ der Banken zurück. Nicht zuletzt die Großen Drei wandelten auf den Spuren der deutschen Armeen und zeigten dabei auch keine Scheu, moralischethische Fesseln abzustreifen, wenn dies ökonomischen Vorteil versprach.213 Namentlich die Berliner Großbanken expandierten seit 1938 außerdem durch den Aufkauf regionaler Geldhäuser oder aufgrund der relativ schnellen Eröffnung eigener Zweigstellen. Zwar konnte sich die Bank der Deutschen Arbeit im Inland ab 1938 weiter konsolidieren.214 In den okkupierten Gebieten kam sie in der ersten Phase der Expansion des Dritten Reiches jedoch nur begrenzt zum Zuge. In Österreich ging die Arbeitsbank im Übernahmepoker um die dortigen Banken leer aus. Ambitionen, die »Österreichische Arbeiterbank« zu übernehmen, wurden durch die vereinten Anstrengungen des NSDAP-Reichs­schatzmeisters und des »Stellvertreter des Führers« zunichte gemacht.215 Bis Herbst 1943 gelang es der Arbeitsbank 212 Vgl. James, Deutsche Bank, S. 388. 213 So resümiert Wixforth (Dresdner Bank, S. 873), dass die Großbanken ziemlich regelmäßig zu den entscheidenden wirtschafts- und finanzpolitischen »Meinungsbildungs­ pro­zessen hinzugezogen« wurden, dort »ihre Wünsche und Vorstellungen artikulieren« und auch weitgehend durchsetzen konnten. 214 So hielt die Arbeitsbank – neben ihren Beteiligungen an diversen Bauunternehmen sowie einigen anderen Firmen der DAF – (wie die anderen Berliner Großbanken auch:) Anteile in unbekannter Höhe an der Berliner Lombardkasse AG, daneben an der Mitte der dreißiger Jahre »arisierten« Berliner Privatbank Georg Fromberg & Co. AG. Schließlich stand die Deutsche Industriebank mit Sitz in Berlin unter ihrer »treuhänderischen Verwaltung«. Vgl. Revisions- und Treuhand AG, Beteiligungen der Arbeitsbank 1943 (Anm. 222). Zur Entstehung der Berliner Lombardkasse vor dem Hintergrund der Finanzkrise vom Juli 1931 vgl. Hans Benjamin, Die Sanierung des deutschen Bankwesens nach der Kreditkrise von 1931, Köln 1934, S. 16; Heidrun Haase, Die Lombardpolitik der Zentralnotenbanken, Berlin 1962, S. 48 f. Zur Georg Fromberg & Co. AG vgl. Köhler, »Arisierung« der Privatbanken, S. 320. Wann die Arbeitsbank die Anteile der genannten Banken erwarb, ist unbekannt. 215 Vermerk Sauperts vom 6. und 8 April 1938, in: BA Berlin, NS 1, Nr. 1113. Dahinter standen weitergehende Rivalitäten zwischen Ley in seiner Funktion als Reichsorganisationsleiter der NSDAP auf der einen und Heß als dem »Stellvertreter des Führers« sowie des (durch die »Affäre Karl« ohnedies erzürnten) NSDAP-Reichs­schatzmeisters auf der anderen Seite um die Frage, wem die zentrale politische Verantwortung für die Gleichschaltung Österreichs zukomme. Heß und Schwarz setzten sich gegenüber Ley durch. Zum kommissarischen Leiter der »Österreichischen Arbeiterbank« wurde Reichsamtsleiter Meiler als der »Beauftragte des Reichsschatzmeisters in Wien« eingesetzt. 156 expansion über die grenzen des »altreiches« hinaus immerhin, in Wien zwei Filialen und in Graz sowie Linz je eine Niederlassung zu eröffnen.216 Darüber hinaus kam sie bei wichtigen rüstungsindustriellen Projekten in der »Ostmark« zum Zuge und wurde an entsprechenden Konsortial­ krediten – bei denen freilich weiterhin die traditionellen Berliner Großbanken die Führung innehatten – mit hohen Summen beteiligt. Bereits wenige Monate nach der Angliederung Österreichs wurde die Arbeitsbank aufgefordert, für 19,5 Mio. RM oder zehn Prozent eines umfänglichen Investitionskredites für die Flugmotorenwerke Ostmark GmbH unter der Konsortialführerschaft der Bank der Deutschen Luftfahrt geradezustehen.217 Drei Jahre später beteiligte sich die DAF-Bank mit insgesamt 21,7 Mio. RM an einem Gesamtkredit von 65 Mio. RM, mit dem der Bau eines großen Metallwerkes für die Fertigung von Flugzeugteilen in Engerau/Petrzalka nahe der slowakischen Grenze finanziert werden sollte.218 An einem Großkredit, den ein Bankenkonsortium im Juni 1942 für die Errichtung eines großen Aluminiumwerks in der »Ostmark« zur Verfügung stellte, war die Arbeitsbank gleichfalls maßgeblich beteiligt.219 Dieser Einstieg in lukrative industrielle Investments – der weit hinter den entsprechenden Enga216 Vgl. Lencer und August Christoffel namens der Arbeitsbank an das Reichsaufsichtsamt für Kreditwesen vom 17. Nov. 1943, in: RGVA Moskau 1458-1-43. Christoffel gehörte neben Lencer, Adolf Geyrhalter, Heinz Reitbauer sowie dem 1943 verstorbenen Rosenhauer seit 1938 zum Vorstand der DAF-Bank. Zu Christoffel vgl. Kapitel 2, S. 88. In Graz war die Arbeitsbank die einzige unter den reichsdeutschen Großbanken, die dort eine Filiale eröffnete. Allerdings besaß dort außerdem der zur Deutschen Bank gehörige Creditanstalt-Bankverein eine Niederlassung; ansonsten waren in Graz nur Sparkassen und Regionalbanken vertreten. Vgl. Ulrike Zimmerl, Regionalbanken im Nationalsozialismus. Die Instrumentalisierung österreichischer Geldinstitute in den Bundesländern, in: Feldman u. a., Öster­reichische Banken, Bd. 2. S. 26-258, hier: S. 60, 66. 1942 wurde die Arbeitsbank-Filiale in Graz im Zuge der »Bankenrationalisierung« geschlossen. Vgl. ebd., S. 163; ferner Stefan Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, Graz 1986, S. 215; Peter Melichar, Neuordnung im Bankenwesen: Die NS-Maßnahmen und die Problematik der Restitution, München 2004, S. 137. 217 Vgl. Erläuterungen zum Bericht der Revisions- und Treuhand AG vom 30. April 1945 (wie Anm. 172), Bl. 14, sowie Gerald Feldman, Die Länderbank Wien AG in der Zeit des Nationalsozialismus, in: ders. u. a., Österreichische Banken, Bd. 2, S. 259-489, hier: S. 460 f. 218 Die restlichen 43,3 Mio. RM übernahm die Dresdner Bank. Vgl. ebd., S. 455 ff. Bei dem genannten Werk handelte es sich um ein Zweigwerk der Leipziger Firma Bernhard Berghaus mit Sitz in Rackwitz bei Leipzig. Daneben gewährte die Arbeitsbank auch dem Berghaus’schen (Stamm-)Unternehmen weitere Kredite, die zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs des NS-Regimes auf 6,8 Mio. RM beziffert wurden. Vgl. Erläuterungen zum Bericht der Revisions- und Treuhand AG vom 30. April 1945 (wie Anm. 172), Bl. 13. 219 Vgl. Feldman, Länderbank Wien AG, S. 803. Bei Theodor Venus und AlexandraEileen Wendt (Die Entziehung jüdischen Vermögens im Rahmen der Aktion Gildemeester. Eine empirische Studie über Organisation, Form und Wandel von »Arisierung« und jüdischer Auswanderung in Österreich 1938-1941, München 2004, bes. S. 247, 311) finden sich außerdem Hinweise, dass die Arbeitsbank mindestens Ambitionen hatte, sich an »Arisierungs«-Geschäften zu beteiligen. 157 die banken gements der andern Berliner Großbanken zurückblieb – sollte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Geschäftspolitik der Arbeitsbank in Österreich insgesamt wenig erfolgreich blieb. Auch in den Sudeten blieb die Arbeitsbank mit Versuchen, ganze Banken oder wenigstens lukrative Teile derselben zu erwerben, lange Zeit zweiter Sieger. Hier hatten »die Berliner Filial-Groß­banken Deutsche, Dresdner und CommerzBank sowie die Adca220 […] die Filialnetze der Prager Institute übernommen und einige neue Niederlassungen errichtet«.221 1943 verbuchte die Arbeitsbank dann allerdings die »Kreditanstalt der Deutschen eGmbH/Reichenberg« unter »Beteiligungen«.222 Immerhin gelang der DAF-Bank relativ rasch der Aufbau einer Zweigstelle in Reichenberg.223 In »Böhmen und Mähren« hatte die Arbeitsbank dagegen lange Zeit Schwierigkeiten, eigene Filialen zu errichten. Erst 1941 konnte sie in der tschechischen Hauptstadt eine Niederlassung eröffnen.224 In Oberschlesien, das unmittelbar nach der Zerschlagung Polens annektiert und dem »Großdeutschen Reich« eingegliedert worden war, scheint die Arbeitsbank im Unterschied zur Deutschen, Dresdner und Commerzbank trotz einer größeren Filiale in Kattowitz gleichfalls nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben.225 Erfolgreich agierte sie dagegen im »Reichsgau« Danzig-Westpreußen, in dem Albert Forster – der freundschaftliche Beziehungen zu Ley unterhielt226 – das 220 Abkürzung für »Allgemeine Deutsche Credit-Anstalt« (Leipzig). 221 Jahreslagebericht des SD für 1938, in: Meldungen aus dem Reich, Bd. 2, S. 182. 222 Übersicht über die Beteiligungen der Arbeitsbank 1943, Anlage zu: Bericht der Revisions- und Treuhand AG über die Arbeitsbank, Prüfung des Jahresabschlusses zum 31. Dez. 1943, vom 14. Aug. 1944, in: BA Berlin, R. 8135, Nr. 8614. Vermutlich handelte es sich bei dieser Kreditanstalt der Deutschen um die Bank des Sudetendeutschen Genossenschaftsverbandes, die auch größere Kredite an regionale Industrie- und Bergbauunternehmen vergab und an der Beraubung der sudetendeutschen Juden beteiligt war. Vgl. Jörg Osterloh, Nationalsozialistische Judenverfolgung im Reichsgau Sudetenland 1938-1945, München 2006, S. 276, Anm. 247. Darüber, wie hoch die Beteiligung des DAF-Geldinstitutes war, liegen keine Angaben vor. 223 Über die Aktivitäten der Arbeitsbank in den Sudeten ist kaum etwas bekannt. Nach freilich nicht ganz eindeutigen Angaben von Osterloh (Judenverfolgung im Reichsgau Sudetenland, S. 353) scheint das DAF-Geldinstitut an der Ausraubung dort ansässiger Juden, namentlich der »Arisierung« der Bohemia Keramische Werke AG für die SS beteiligt gewesen zu sein. 224 Vgl. Geschäftsbericht der Arbeitsbank für 1941 in: BA Berlin, R43II, Nr. 529, Bl. 237242 bzw. RGVA Moskau 1458-1-43. 225 Vgl. Ryszard Kaczmarek, Die deutsche wirtschaftliche Penetration in Polen (Oberschlesien), in: Richard J. Overy/Erhard Otto/Johannes Houwink ten Cate (Hg.), Die »Neuordnung« Europas. NS-Wirtschaftspolitik in den besetzten Gebieten, Berlin 1997, S. 257-272, hier: S. 269 f. Dort wird die Arbeitsbank nicht erwähnt. 226 Forster (1902-1952) leitete von Okt. 1930 bis 1945 den NSDAP-Gau Danzig (ab Sept. 1939 Danzig-Westpreußen). Ab Ende Aug. 1939 fungierte er außerdem als Staatsoberhaupt der »Freien Stadt Danzig«, einen Monat später zusätzlich als Chef der Zivilverwaltung in Westpreußen, von Okt. 1939 bis 1945 dann als Reichsstatthalter von Danzig-Westpreußen. Im Rahmen der DAF hatte Forster von Mitte Mai 1933 bis 158 expansion über die grenzen des »altreiches« hinaus Sagen hatte. Von geringer Bedeutung war die Gründung einer eigenen Filiale in der alten Ostseestadt. Einen ausgeprägten »Zug nach Osten« zeigte die Arbeitsbank, indem sie Ende 1939 zwei alteingesessene Danziger Banken erwarb. Zum einen übernahm sie das mit einer Bilanzsumme von 5 Mio. RM vergleichsweise kleine Bankhaus R. Damme, durch dessen Übernahme die Arbeitsbank »zwar an das Netz einer Filialgroßbank noch nicht heran« reichte, das jedoch über wichtige Ansätze in diese Richtung, nämlich »eine weitverzweigte Geschäftsstellen-Organisation verfügte«, deren »Vergrößerung« die Arbeitsbank »fortsetzen« wollte.227 Ein weit wichtigerer Coup gelang dem DAF-Geldinstitut mit dem Erwerb von 95 % des Aktienkapitals der 1856 gegründeten Danziger »Privat-­ Actien-Bank« im Februar 1940. Dieses traditionsreiche Bankhaus hatte bis dahin »zum Interessenkreis der Berliner Handels-Gesellschaft gehört«,228 einer Berliner Großbank, die bis 1939 hinsichtlich der Bilanzsumme und anderen wichtigen Indikatoren hinter der Deutschen, Dresdner und Commerzbank den vierten Platz eingenommen hatte, danach dann allerdings von der Bank der Deutschen Arbeit deutlich überrundet wurde.229 Mitte Mai 1940 wurde die Privat-ActienBank in Ostdeutsche Privatbank AG umbenannt. Mit dem Kauf der renommierten Regionalbank und zugleich des größten Danziger Geldinstituts, das zwischen 1857 und 1890 sogar als eine der preußischen Notenbanken fungiert hatte und bis 1918 in allen größeren Orten Ostund Westpreußens vertreten war, gelang es der Arbeitsbank, sich »eine geeignete Grundlage für eine bankgeschäftliche Expansion im neuen deutschen Osten« zu verschaffen. Während die Berliner Großbanken mit ihren Tochtergesellschaften auf den Bankenplatz Danzig verwiesen blieben, verfügte die Privat-Actien-Bank »über eine Reihe von Filialen in den neuen Gauen Danzig Westpreußen und Warthegau und über alte Geschäftsbeziehungen in diesen Gebieten«.230 227 228 229 230 Ende Dez. 1934 den »Gesamtverband der deutschen Angestellten«, ab Ende Nov. 1934 außerdem für einige Monate das DAF-»Amt für Berufsgruppen« geführt. Von 1933 bis 1935 saß Forster schließlich im Aufsichtsrat der Bank der Deutschen Arbeit; von dieser Funktion trat er wegen Ämterüberlastung und außerdem wohl auch deshalb zurück, weil er in die DAF-internen Vorgänge vom Frühjahr 1935, die in der Ablösung des Arbeitsbankdirektors Karl Müller gipfelten, nicht verwickelt werden wollte. »Eine Bank-Karriere«, in: Die Bank, 33/1940, Heft 10, S. 153. Vgl. außerdem Bericht Nr. 12293 der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die bei der Bank der Deutschen Arbeit AG vorgenommene Prüfung des Jahresabschlusses zum 31. Dez. 1939, in: BA Berlin, R 8135, Nr. 2406, Bl. 4 f. Zitate: »Eine Bank-Karriere« (Anm. 227). Vgl. außerdem Leiter des AWU, Leistungsbericht für 1939/40, im Juli 1940, S. 2, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 87; ferner Kreutzmüller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 17 f.; Rüdiger Ruhnau, Danzig. Geschichte einer deutschen Stadt, Würzburg 1971, S. 82. Die Berliner Handels-Gesellschaft (BHG) hatte zuvor vergeblich versucht, die Aktienmehrheit der Danziger Privat-Actien-Bank zu erwerben. Vgl. Tabelle 1.4. Zitate: »Eine Bank-Karriere« (Anm. 227). Vgl. auch Ingo Loose, Kredite für NS-Verbrechen. Die deutschen Kreditinstitute in Polen und die Ausraubung der polnischen und jüdischen Bevölkerung 1939-1945, München 2007, S. 91. 159 die banken Auch im »Mustergau Wartheland« agierte die Ostdeutsche Privatbank AG, trotz der distanzierten Haltung des dortigen NSDAP-Gauleiters und Reichsstatthalters Arthur Greiser gegenüber Robert Ley und seiner Arbeitsfront, ziemlich erfolgreich und avancierte in der ersten Hälfte des Zweiten Weltkrieges zur Regionalbank Nr. 1: Mit einer Bilanzsumme von 85,8 Mio. RM im Jahre 1941 nur im »Warthegau« erwirtschaftete sie einen Reingewinn von knapp 336.000 RM; die Ostbank, die zum Imperium der Dresdner Bank gehörte und der schärfste Konkurrent der DAF-Re­gional­bank war, wies im selben Jahr eine Bilanzsumme von 77,3 Mio. RM und den eher bescheidenen Reingewinn von 60.000 RM aus.231 Auch unmittelbar expandierte die Arbeitsbank in den »Warthegau«. In Posen als der Hauptstadt des neuen »Reichsgaues« wurde eine erste Filiale am 1. Dezember 1939 gegründet, zeitgleich mit den entsprechenden Außenstellen der Deutschen, der Dresdner und der Commerzbank.232 Die neuen Zweigstellen der Bank der Deutschen Arbeit, vor allem aber die Ostdeutsche Privatbank AG als ein Geldinstitut mit einem großen Aktionskreis im »Neuen Osten« waren im Übrigen auch der Organisation Deutsche Arbeitsfront von Nutzen, war die DAF doch bemüht, in den neuen Ostgebieten die »Volksdeutschen« möglichst flächendeckend zu organisieren; mit dem Netz an Filialen der beiden DAF-Geldinstitute ließen sich die Einziehung von Mitgliedsbeiträgen und andere Finanztransaktionen der Arbeitsfront in den angegliederten Gebieten relativ einfach abwickeln. Darüber hinaus versetzten die Ostdeutsche Privatbank AG bzw. die Arbeitsbank-Filialen die DAF in die Lage, das Vermögen der polnischen bzw. polnisch-deutschen Gewerkschaften, das der Arbeitsfront von den Besatzungsbehörden zugesprochen wurde und das diese auch umgehend konfisziert hatte, komplikationslos ins Reich zu transferieren.233 Nach dem Überfall auf die Sowjetunion schickte sich die Arbeitsbank an, in die scheinbar unbegrenzten osteuropäischen Gebiete zu expandieren. Damit waren die Tage der Ostdeutschen Privatbank AG als eigenständiges, auf den »Nahen Osten« fokussiertes Geldinstitut gezählt. Eine separate Existenz des Danziger Bankhauses schien nicht mehr notwendig. Ihre Geschäftsfelder wurden mit Wirkung vom 1. Januar 1942 auf die Arbeitsbank übertragen.234 231 Vgl. Wixroth, Dresdner Bank, S. 516 f. Aufgrund der Nähe der Dresdner Bank zur SS gelang es der Ostbank als der regionalen Filialbank der Dresdner ab 1942/43 dann allerdings, die Ostdeutsche Privatbank bzw. den regionalen Ableger der Arbeitsbank im »Warthegau« schließlich zu überflügeln. 232 Vgl. ebd., S. 505. 233 Vgl. Günter Meinhardt, Aus Brombergs Vergangenheit. Ein Heimatbuch für den Stadt- und Landkreis, Wilhelmshaven 1973, S. 486; Kreutzmüller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 18. 234 Im Juli 1942 war die Verschmelzung der Danziger Bank mit der Arbeitsbank auch organisatorisch abgeschlossen. Die Immobilien und andere Sachwerte der Bank wurden separiert und firmierten ab 1942 als »AG für Danziger Realwerte«, die gleichfalls im Besitz der Arbeitsbank war. Vgl. Revisions- und Treuhand AG, Beteiligungen der Arbeitsbank 1943 (Anm. 222); ferner »Bank der Deutschen Arbeit« (o.V.), in: Frankfurter Zeitung vom 21. April 1943. 160 expansion über die grenzen des »altreiches« hinaus Schwieriger als in Danzig und im »Reichsgau Wartheland« gestaltete sich die Entwicklung der Arbeitsbank im »Generalgouvernement«, also in den Zentralregionen des vormaligen polnischen Staates.235 Dort waren die traditionellen Berliner Großbanken bereits kurz nach Kriegsbeginn auf den einschlägigen Bankenplätzen vertreten, während die Arbeitsbank erst 1941 in »Litzmannstadt« (Lodz), im Mai 1942 nach langwierigen Verhandlungen dann in der alten polnischen Metropole Krakau236 sowie im Herbst 1942 schließlich in Warschau eigene Vertretungen aufbaute. Diese Niederlassungen sollten ein erster Anfang sein. Langfristig – nachdem Frank und Hitler im März 1941 vereinbart hatten, aus dem »Generalgouvernement« im Laufe der nächsten »15 bis 20 Jahre ein rein deutsches Land zu machen«237 – wollte Lencer die Arbeitsbank zur führenden Geschäftsbank in diesem Teil des »Ostlandes« machen. Pläne, zu diesem Zweck außerdem drei größere polnische Banken zu erwerben, zerschlugen sich jedoch aufgrund anhaltenden Widerstandes der regionalen Bankenaufsichtsstelle.238 Da sich die Arbeitsbank im Generalgouvernement erst mit Verspätung etablieren konnte, war sie im dortigen Investment-Kreditgeschäft anfänglich schwach vertreten. Dies lag auch daran, dass man auf der Passiv-Seite vor allem Sichteinlagen der deutschen Besatzungsbehörden, d. h. Tagesgelder und andere kurzfristige Einlagen, verbuchte, die keine sichere Basis für Kreditvergaben darstellten. Die Eröffnung der Arbeitsbank-Filiale in Krakau dann im Frühjahr 1942 hatte zu­mindest den Effekt, dass das Geschäft mit Sichteinlagen (eine frühe Form des quasi-bar­geldlosen Zahlungsverkehrs) der deutschen Behörden, darunter der »Generaldirektion der Monopole« und der NSDAP-Dienststellen, erheblich erweitert werden konnte.239 235 Nach der Zerschlagung des polnischen Staates wurden der »Warthegau« (unter Greiser), der »Reichsgau Danzig-Westpreußen« (unter Forster) sowie die Regierungsbezirke Kattowitz und Zichenau dem »Großdeutschen Reich« eingegliedert. Die verbliebenen Gebiete, die Distrikte Krakau, Radom, Warschau und Lublin, bildeten ab Ende Okt. 1939 das »Generalgouvernement«; Anfang Aug. 1941 kam der Distrikt Lemberg hinzu. 236 Vgl. Geschäftsbericht der Arbeitsbank für 1941 (Anm. 224) sowie eine entsprechende Meldung (mit Verweis auf bereits länger in Krakau existierende Filialen der anderen Großbanken) in: »Die Ostwirtschaft«, 31/1942, Heft 6/7 (unpaginiert). 237 Nach: Kreutzmüller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 23. 238 Bei den Geldinstituten, die die Arbeitsbank erwerben wollte, handelte es sich um die Warschauer Disconto-Bank (Warszawski Bank Dyskontowy) und den Allgemeinen Bankverein (Powszechny Bank Zwiazkowy w Polsce). Vgl. ausführlich Kreutzmüller/ Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 20-23; ferner Loose, Deutsche Kreditinstitute in Polen, S. 260, sowie Wixforth, Dresdner Bank, S. 542, 545. Darüber hinaus zeigte die DAF-Bank im Hochsommer 1943 Interesse an der »Bank Handlowy«. Auch diese Übernahmeabsichten zerschlugen sich. Vgl. Gerald Feldman, Die CreditanstaltBankverein in der Zeit des Nationalsozialismus, 1938-1945, in: ders. u. a., Österreichische Banken, Bd. 1: Creditanstalt-Bankverein, S. 23-684, hier: S. 416. 239 Vgl. Loose, Kredite für NS-Verbrechen, S. 391, 436. Allerdings verfügte die Arbeitsbank selbst auf dem Feld des Geldverkehrs der Okkupationsbehörden keineswegs über ein Monopol; namentlich zur SS, deren Bedeutung im »Generalgouvernement« 161 die banken Maßgebliche Beteiligung an der Finanzierung der SS-Umsiedlungsaktionen im europäischen Osten (»Generalgouvernement« und Sowjetunion) Diese anfänglichen Konkurrenznachteile suchte die Arbeitsbank durch ihre maßgebliche Beteiligung an der Finanzierung der gigantischen Umsiedlungsaktionen zu kompensieren, die die SS im Osten Europas – zunächst im »Generalgouvernement«, später in den weit riesigeren, der Sowjetunion geraubten Gebieten – plante. Eine offensive und ›erfolgreiche‹ Kreditpolitik der Bank der Deutschen Arbeit im von der Wehrmacht eroberten »Ostraum« wurde wesentlich dadurch begünstigt, dass insbesondere die nationalsozialistische Wohnungsbaupolitik generell immer stärker mit der Arbeitsfront verzahnt wurde. Diese Entwicklung, die bereits Mitte der dreißiger Jahre einsetzte, fand ihren sichtbarsten institutionellen Ausdruck in der Ernennung Robert Leys Ende 1940 zum »Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau« sowie mit stark erweiterten Kompetenzen zum Reichswohnungskommissar im Herbst 1942. Bereits am 25. September 1939, wenige Wochen nach dem Überfall auf Polen, war zudem Leys Stellvertreter Heinrich Simon zum »Bevollmächtigten für die Bau-, Wohnungs- und Siedlungswirtschaft im Generalgouvernement« ernannt worden. In dieser Funktion hatte Simon Siedlungsprogramme für »Volksdeutsche« in diesem Gebiet zu entwickeln und in der Folgezeit deshalb zunehmend engere Kontakte zur SS aufgebaut.240 Simon und seine Bau- und Siedlungsbevollmächtigung für das »General­ gouvernement« waren nicht das einzige Scharnier zwischen DAF und SS, das sich die Arbeitsbank zunutze machen konnte. Auch von der engen Kooperation zwischen dem Ende 1940 aus den vormaligen Konsumgenossenschaften entstandenen Deutschen Gemeinschaftswerk der Arbeitsfront sowie dem hochrangigen SS-Funktionär Franz Hayler profitierte die Arbeitsbank. Hayler stand seit 1938 der Reichsgruppe Handel vor und saß von Anbeginn auch im Aufsichtsrat des DAF-Gemein­schafts­werks. Er war maßgeblich, u. a. mit einer im Spätsommer 1941 entstandenen »Förderdienst GmbH«, für den Aufbau einer mittelständischen Infrastruktur in den osteuropäischen Regionen zuständig.241 Aufschlussreich für die enge Zusammenarbeit, die sich vor diesem Hintergrund schon kurz nach Kriegsbeginn zwischen der SS und der Arbeitsfront mit ihrer Arbeitsbank entwickelte, war ein 100-Millionen-RM-Kredit, den der Reichsführer-SS Heinrich Himmler in seiner neuen Funktion als »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums« auf Anweisung Hitlers und nach einem entsprechenden »Bescheid« des Reichsfinanzministers vom 25. November rapide wuchs, besaß die Dresdner Bank (bzw. die Kommerzialbank als ihr Tochter­ unternehmen) die besseren Beziehungen. Vgl. Wixforth, Dresdner Bank, S. 569, 578. 240 Vgl. Kapitel 7, S. 448 ff. 241 Zu Biographie und politischen Funktionen Haylers vgl. Kapitel 6, S. 406 f. 162 expansion über die grenzen des »altreiches« hinaus 1939 »namens des Reiches« aufzunehmen ermächtigt wurde.242 Diese Ermächtigung übertrug Himmler seinerseits auf die Deutsche Umsiedlungs-TreuhandGesellschaft mbH (DUT), die kurz zuvor mit dem Ziel gegründet worden war, die in süd- und osteuropäischen Ländern verstreuten »Volksdeutschen« vor allem in den Gebieten des ehemaligen Polen (»Generalgouvernement«) anzu­siedeln, aus denen zuvor Millionen Menschen vertrieben worden waren. Nach dem Einmarsch in die Sowjetunion erstreckte sich die Tätigkeit der DUT auch auf die dort okkupierten Gebiete, insbesondere das »Reichskommissariat Ostland«, das ab Juli 1941 aus Teilen Weißrusslands und den baltischen Staaten gebildet worden war. Obwohl sich das ›Zeitfenster‹ für eine Ansiedlung »Volks-« und zu einem kleinen Teil auch Reichsdeutscher 1943 schloss, wurden etwa 600.000 Deutsche in den neuen »deutschen Osten« umgesiedelt und ihnen der zumeist landwirtschaftliche Besitz der vertriebenen Einheimischen sowie Betriebe zugewiesen, die zuvor von der »Haupttreuhandstelle Ost« (HTO)243 enteignet worden waren. Der 100-Millionen-RM-Kredit selbst, mit dem die SS noch viel gigantischer geplante ›Umsiedlungen‹ und ›Eindeutschungen‹ finanzieren wollte, wurde aufgrund einer Vereinbarung zwischen der DUT und den beteiligten Banken in drei Tranchen gegliedert: Die Hälfte des eingeräumten Gesamtkredits war für Einzel- oder Allein-Kredite an die Siedler, aber auch an reichs- oder baltendeutsche Einzelhändler und Handwerker, die in diesen ›Siedlungs‹-Gebieten Gewerbebetriebe errichten wollten, in Höhe bis zu jeweils 50.000 RM vorgesehen. Weitere 30 Mio. RM des konsortialiter eingeräumten Gesamtkredits waren für höhere Einzelkredite reserviert; die restlichen 20 Mio. RM standen der DUT zur freien Verfügung.244 Die Laufzeit war für ein Drittel des Gesamtkredits zunächst bis Ende 1942, bei einem Drittel bis 31. Dezember 1944 limitiert; sie wurde Mitte 1943 schließlich bis Ende 1947 verlängert.245 242 Die Ermächtigung des RFM vom 25. Nov. 1939 belief sich zunächst auf einen Gesamtkredit in Höhe von 50 Mio. RM; am 14. März 1940 erweiterte Schwerin-Krosigk dessen Volumen auf 100 Mio. RM. Vgl. Himmler (als Reichsführer-SS und »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums«) an die Dresdner Bank vom 23. März 1940, in: BA Berlin, R 8120, Nr. 744a. 243 Die Mitte Okt. 1939 gegründete HTO verwaltete im besetzten Polen die enteigneten jüdischen und polnischen Unternehmen und setzte dort »Betriebsführer« ein, zumeist Vertreter großer deutscher Konzerne. Bis Febr. 1941 gingen auf diese Weise knapp dreihundert große, 9.000 mittlere und 76.000 kleine Unternehmen an Deutsche über. 244 Vgl. Deutsche Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft mbH an die Dresdner Bank vom 19. Dez. 1939, in: BA Berlin, R 8120, Nr. 744a. 245 15 % sollten bis Ende 1943, weitere 15 % bis Ende 1944, 30 % bis Ende 1945 und die restlichen 40 % schließlich bis zum 31. Dez. 1947 zurückgezahlt werden. Vgl. Dresdner Bank, Konsortialabteilung II, an die Kreditabteilung der Bank der Deutschen Arbeit (Berlin), vom 23. Juli 1943, in: BA Berlin, R 8120, Nr. 744a. Da die NS-Herrschaft über die osteuropäischen Gebiete 1943/44 zusammenbrach, wurden nicht alle bereitgestellten Gelder in Anspruch genommen und anscheinend nur etwa 40 Mio. RM auch tatsächlich ausgezahlt. Im Frühjahr 1945 summierten sich die noch nicht getilgten Umsiedlungs-Kredite für die Arbeitsbank auf einen Buchwert von insgesamt 163 die banken Die Federführung bei der Aufnahme dieses gigantischen Kredites und der Verteilung der Anteile auf die verschiedenen Geldinstitute übernahm zwar die Dresdner Bank als SS-Hausbank. Die Bank der Deutschen Arbeit war an diesem Kredit aber von Anfang an stark engagiert: bei den Konsortialkrediten (Einzelkredite ab 50.000 RM sowie Kredite zur freien Verfügung der DUT) mit einem Anteil von 11 %, bei den Kleinkrediten mit 6 %. Stärker involviert als die Arbeitsbank waren nur die Großen Drei: die Dresdner und die Deutsche mit jeweils 20 % bzw. 12 % und die Commerzbank mit 11 % bzw. 8 %, sowie bei den Kleinkrediten die Sparkassen und Genossenschaften (mit 50 %).246 Die Anteile der Commerzbank überflügelte die Arbeitsbank dann, als sie, wie erwähnt, die Danziger Privat-Actiengesellschaft erwarb. Das Danziger Bankhaus hatte seinerseits einen Anteil von 5 % bzw. (bei den Kleinkrediten) von 6 % gehalten, so dass sich nun die Gesamtquote der Arbeitsbank am 100-Millionen-RM-Kredit auf 16 % (Konsortialkredite) bzw. 12 % (Alleinkredite) erhöhte.247 Mit dieser ersten maßgeblichen Beteiligung an einem Großkredit hatte die Arbeitsbank einen Fuß in der Tür. Weitere Kredite folgten. Als 1941 unter der Führung der Deutschen Bank ein zweiter Konsortialkredit für die UmsiedlungsTreuhand-Gesellschaft in Höhe von 20 Mio. Zloty aufgelegt wurde, war die Hausbank der Arbeitsfront mit 15 % daran beteiligt.248 Auch bei den Konsor­ tialkrediten zur Ankurbelung der Agrarwirtschaft des »Generalgouvernements« war das Geldinstitut der DAF engagiert.249 Allein infolge ihrer herausragenden Beteiligung an diesen Konsortialkrediten wurde die Bank der Deutschen Arbeit im Generalgouvernement neben den etablierten Berliner Großbanken zu einem Schwergewicht. Über die dadurch entstehenden Kontakte zu Unternehmen und (sonstigen) Einzelkreditnehmern sowie infolge der engen finanziellen Zusammenarbeit mit der SS – auch über den »Förderdienst« Franz Haylers hinaus – erweiterte die Arbeitsbank ihre Kreditgeschäfte in den besetzten Regionen der Sowjetunion 246 247 248 249 164 2,1 Mio. RM. Vgl. Erläuterungen zum Bericht der Revisions- und Treuhand AG vom 30. April 1945 (wie Anm. 172), Bl. 5. Vgl. Aktenvermerk vom 28. Nov. 1939 (in: BA Berlin, R 8120, Nr. 744a) über eine Besprechung von Repräsentanten der beteiligten Banken am Vortage, auf der die genaueren Konditionen der Kreditgewährung festgelegt wurden. Geleitet wurde die Sitzung von Wilhelm Keppler, der neben vielen anderen Funktionen auch Vorsitzender des Aufsichtsrates der DUT war. Vgl. außerdem Loose, Kredite für NS-Verbrechen, S. 251. Vgl. Dresdner Bank, Konsortialabteilung II, an die Kreditabteilung der Bank der Deutschen Arbeit, vom 10. Aug. 1942, in: BA Berlin, R 8120, Nr. 744a. Vgl. Kreutzmüller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 23, sowie Loose, Kredite für NS-Verbrechen, S. 425 f. Anfangs allerdings nicht exponiert: so war die Arbeitsbank an einem entsprechenden Kredit, mit dem die »Erntekampagne« im »Generalgouvernement« gesichert werden sollte, mit lediglich 6 % beteiligt. Vgl. Feldman, Creditanstalt-Bankvereine, S. 402. Erst in der Folgezeit scheint sich die Arbeitsbank bei Krediten für die Landwirtschaftliche Zentralstelle im Generalgouvernement stärker engagiert zu haben. Vgl. Loose, Kredite für NS-Ver­bre­chen, S. 418 f. expansion über die grenzen des »altreiches« hinaus generell. Um sich Zugang zu den »wirtschaftlich noch weitgehend unerschlossenen« Gebieten des nördlichen »Ostlands« zu verschaffen, wurden 1941 größere Niederlassungen in Riga und im Spätsommer 1942 im litauischen Kaunas eröffnet.250 Der Erfolg blieb nicht aus: »Gerade durch die Hergabe von EinzelDUT-Krediten« im Rahmen des 100-Millionen-Reichsmark-Kredits, an dem die Arbeitsbank maßgeblich beteiligt war, sei es gelungen, zahlreiche weitere »Geschäftsverbindungen mit den betreffenden Firmen anzuknüpfen und zu pflegen«, berichtete die gleichfalls im »Ostland«-Geschäft engagierte Niederlassung Bromberg der Berliner Zentrale der Arbeitsbank im Hochsommer 1942 zufrieden. Als besonders interessante Kundschaft, zu der man viele Geschäftsverbindungen geknüpft habe, galten der Bromberger Zweigstelle »die verschiedenen baltendeutschen Umsiedler, die seinerzeit in sehr vielen Fällen als kommissarische Verwalter für HTO-Firmen eingesetzt wurden und inzwischen diese Firmen erworben haben«.251 Vor allem »in mittleren Städten«, neben Bromberg etwa Thorn, vermochte die Arbeitsbank »eine starke Anbindung an die Kundschaft der für die umfangreichen Umsiedlungen zuständigen DUT sowie zur Gruppe der HTO zu erreichen«.252 Da es sich bei einem Großteil der knapp 80.000 Unternehmen, die die SS-Einrichtung HTO auf dem Gebiet des zerschlagenen polnischen Staates enteignet hatte, um jüdische Betriebe handelte, war die Arbeitsbank mithin auch im Generalgouvernement sowie später im »Ostland« in die dortigen »Arisierungs«-Verbrechen maßgeblich involviert. Bei der Kreditvergabe an die HTO-Unternehmen und andere Siedler musste die Arbeitsbank allerdings vorsichtig agieren, da sie vor allem (kurzfristige) Sichteinlagen eingeworben hatte und es ihr nicht gelang, in größerem Umfang längerfristig gebundene Spareinlagen zu mobilisieren.253 Nach anfänglichem Zögern, und um gegenüber den arrivierten Berliner Geschäftsbanken nicht auf Dauer das Nachsehen zu haben, vergab sie im ehemaligen Polen dennoch zunehmend Gelder mit vergleichsweise langer Laufzeit an kredithun­grige deutsche Unternehmen, die sich dort einheimische Betriebe angeeignet oder neue Werke gegründet hatten; infolgedessen stand der Aufstieg der Arbeitsbank im Generalgouvernement langfristig auf »tönernen Füßen« (Christoph Kreutzmüller/Ingo Loose).254 In anderer Hinsicht ließen die DAF-Bank und ebenso die anderen Berliner Geldhäuser im Generalgouvernement dagegen Vorsicht wal250 Zitat: »Bank der Deutschen Arbeit« (o.V.), in: VB vom 29. April 1944. Vgl. auch Foreign Policy Association, Foreign Policy Reports, Vol. 18, New York 1943, S. 141, sowie Roswitha Czollek, Faschismus und Okkupation, Berlin 1974, S. 86 f. 251 Bromberger Zweigstelle an die Berliner zentrale Kreditabteilung der Bank der Deutschen Arbeit vom 13. August 1942, in: BA Berlin, R 8120, Nr. 744a. 252 Ebd. 253 Vgl. unten. 254 Namentlich die Dresdner Bank verschaffte sich gegenüber ihren Konkurrenten einen Vorsprung, weil sie – wie schon zuvor an die SS – Kredite an industrielle Kriegsgewinnler aus dem Deutschen Reich »vergleichsweise großzügig gesichert« vergab. Hierzu und zum Folgenden: Wixforth, Dresdner Bank, bes. S. 545, 564 f., 596. 165 die banken ten. Im Frühjahr 1942 hatte Reichswirtschaftsminister Walther Funk von den Großbanken einschließlich der Bank der Deutschen Arbeit »verlangt«, dass diese die am Bankenplatz Warschau vertretenen Geldhäuser übernähmen. Dazu waren die reichsdeutschen Banken, auch die Arbeitsbank, grundsätzlich durchaus bereit, allerdings nur zu bestimmten Konditionen. Vor allem wollten sie für Verpflichtungen der polnischen Bankhäuser nicht haften und forderten deshalb eine genaue Regelung der Trennung von Alt- und Neugeschäften, die dann nicht mehr zustande kam. Dennoch boomte das Geschäft. 1943 und selbst noch 1944 sprach die Presse anlässlich der Veröffentlichung der Jahresbilanzen mit Blick auf die Arbeitsbank von einer »stetigen, in schnellem Tempo vorangehenden Ausdehnung ihres Geschäfts, besonders im Ostland«.255 Sie bezog sich dabei offenbar auf einen Bericht des Amtsleiters für die wirtschaftlichen Unternehmungen Strauch, der in einem Rechenschaftsbericht Anfang 1944 stolz auf »die außerordentlich günstige Entwicklung der Bankniederlassungen im Reichskommissariat Ostland« hinwies. Konsortial- und direkte Firmenkredite für die Rüstung und die Ausplünderung von Rohstoffvorkommen In diesem Rechenschaftsbericht ein Jahr vor Zusammenbruch des Dritten Reiches hatte Strauch bemerkt, dass die DAF-Bank nicht zuletzt »an erheblichen Konsortialkrediten für die bedeutendsten Handelsgesellschaften und Unternehmen in Ostland beteiligt« sei und nannte in diesem Zusammenhang »besonders« die Außenstelle der Arbeitsbank in Riga.256 Diese selbstzufriedene Feststellung bezog sich nicht auf die oben genannten Großkredite für das »Generalgouvernement«, die von Danzig bzw. Bromberg aus eingefädelt worden waren. Strauch meinte weitere Konsortialkredite, die vor allem der wirtschaftlichen Erschließung der riesigen, in der Sowjetunion eroberten Gebiete für die räuberischimperialistischen Interessen des nationalsozialistischen Deutschlands dienten. Darunter war erstens ein Großkredit in Höhe von 192,5 Mio. RM an die Baltische Öl GmbH, eine Tochtergesellschaft der Continentalen Öl AG,257 die Erd255 Berliner Börsen-Zeitung vom 13. Mai 1943. Ähnlich: Berliner Börsen-Zeitung vom 30. April 1944. 256 ZfF/AWU, Leistungsbericht für 1943, in: BA Berlin, NS 5 I, Nr. 33, bzw. ThHStA Weimar, Thür. Wirtschaftsministerium, Nr. 4326, Bl. 16-77, hier: Bl. 49. Wie stark die Stellung der Arbeitsbank im »Reichskommissariat Ostland« war und wie gut ihre Protagonisten vernetzt waren, zeigt sich auch daran, dass Lencer als der Vorstandsvorsitzende des DAF-Geld­in­stitutes 1942/43 gleichzeitig zum Leiter der Chefgruppe »Betriebsführung und Berufserziehung« bei der Wirtschaftsinspektion Mitte ernannt wurde und in dieser Funktion 1943 in Borissow einen Metallwarenbetrieb übernahm, den er zum Vorzeigeunternehmen der DAF ausbauen wollte. Vgl. Christian Gerlach, Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944, Hamburg 1999, S. 444, 485. 257 Zur Continentalen Öl AG vgl. vor allem Dietrich Eichholtz, Deutsche Ölpolitik im Zeitalter der Weltkriege. Studien und Dokumente, Leipzig 2010, S. 387-392; ders., 166 expansion über die grenzen des »altreiches« hinaus ölvorkommen vor allem im Baltikum erschließen sollte. Die Gründung der Baltischen Öl AG, die vor allem Erdölschiefer in Estland ausbeuten sollte, erfolgte zwar bereits im Juli 1941. In die Wege geleitet wurde der Konsortialkredit jedoch erst im Hochsommer 1943, als die Wehrmacht auf allen Kriegsschauplätzen längst in der Defensive war. Dieser Großkredit gehört mithin zu den verzweifelten Versuchen des NS-Regimes, dem »Großdeutschen Reich« den für die Kriegführung notwendigen Treibstoff zu erhalten.258 An diesem Investmentkredit für die Baltische Öl GmbH war die Arbeitsbank mit zehn Prozent beteiligt.259 Beteiligt war das DAF-Geldhaus zweitens mit acht Prozent an einem im Frühherbst 1941 vereinbarten Konsortialkredit von 100 Mio. RM für die »Ostfaser GmbH«, in der sämtliche im Baltikum, in Weißrussland, der Ukraine und im östlichen Teil Polens geraubte Unternehmen verwaltungsmäßig zusammen­ gefasst worden waren. Die Ostfaser GmbH galt mit ihren etwa dreihundert Betrieben und insgesamt 30.000 Beschäftigten als der »größte Textilkonzern Europas« (Hans Kehrl);260 tatsächlich war sie allerdings kein Industrieunternehmen im engeren Sinne, da die einzelnen Unternehmen oder Handelskonzessionen an reichsdeutsche Textilunternehmen ›treuhänderisch‹ weitergegeben wurden. Zentrale Aufgabe dieses Konglomerats an Textilbetrieben war die Belieferung der Wehrmacht und der Export von Wolle, Flachs usw. zur Weiterver­ arbeitung ins Deutsche Reich. Mit dem schon relativ kurze Zeit nach dem Überfall auf die Sowjetunion zustande gekommenen Kredit sollten die vormaligen Krieg um Öl. Ein Erdölimperium als deutsches Kriegsziel, Leipzig 2006, zur Gründung S. 49 ff.; Titus Kockel, Eine Quelle zur Vor- und Gründungsgeschichte der Kontinentale Öl AG aus dem Jahre 1940, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 2003/1, S. 175-208; Rainer Karlsch/Raymond G. Stokes, Faktor Öl. Die Mineralölwirtschaft in Deutschland 1859-1974, München 2003, S. 208-211; Dietrich Eichholtz, Deutsche Kriegswirtschaft, Bd. I: 1939-1941, Berlin 1971, S. 235-238. An der mit der Continentalen Öl AG verbandelten, in Berlin an­sässigen Continentale Handelsgesellschaft AG war die Arbeitsbank mit einem Aktien­paket von 1 Mio. RM auch unmittelbar beteiligt. Vgl. Erläuterungen zum Bericht der Revisions- und Treuhand AG vom 30. April 1945 (wie Anm. 172), Bl. 27. 258 Dass die Baltische Öl GmbH zu keinem Zeitpunkt rentabel arbeitete und Anfang 1945 ihre Zahlungen einstellen musste, überrascht vor dem skizzierten Hintergrund nicht. Ein Verlustgeschäft scheint die Finanzierung der Baltischen Öl AG aufgrund staat­licher Garantien für die beteiligten Banken dennoch nicht gewesen zu sein. Vgl. Wixforth, Dresdner Bank, S. 630 f.; zur Baltischen Öl AG Dierich Eichholtz, Deutsche Kriegswirtschaft, Bd. 2: 1941-1943, Berlin 1985, S. 419, 480; Karlsch/Stokes, Faktor Öl, S. 218. 259 Zur Beteiligung der Arbeitsbank am Konsortialkredit für die Baltische Öl GmbH vgl. Wixforth, Dresdner Bank, S. 648. In der vorläufigen Jahresbilanz vom 31. Dez. 1944 bzw. der Zwischenbilanz vom 30. April 1945 war der Anteil der Arbeitsbank an diesem Großkredit allerdings nur mit 7,3 Mio. RM bzw. 8,0 Mio. RM verzeichnet. Dieser und die im Folgenden aufgelisteten Großkredite waren zu hundert Prozent »reichsverbürgt«. Vgl. Erläuterungen zum Bericht der Revisions- und Treuhand AG vom 30. April 1945 (wie Anm. 172), Bl. 15. 260 Hans Kehrl, Krisenmanager im Dritten Reich. 6 Jahre Frieden – 6 Jahre Krieg. Er­ innerungen, Düsseldorf 1973, S. 227. 167 die banken sowjetischen Staatsunternehmen zugunsten der Wehrmacht und der deutschen Bevölkerung im »Altreich« wieder in Gang gesetzt werden.261 Außerdem partizipierte die Arbeitsbank drittens noch im Frühjahr 1944 an einem Konsortialkredit für die Gründung einer Südost-Montan GmbH sowie viertens der Bor Kupferbergwerke und Hütten AG im besetzten Serbien zur Ausbeutung der dortigen Erzvorkommen.262 Fünftens beteiligte sich die Arbeitsbank mit 3,8 Mio RM an einem Großkredit zum Aufbau der Oberschlesische Hydrierwerke Blockhammer AG, an deren Grundkapital das DAF-Geldinstitut außerdem eine Minderheitsbeteiligung hielt.263 Zu den bedeutenden Konsortialkrediten, die von der Bank der Deutschen ­Arbeit mitfinanziert wurden (Beteiligung von fünf Prozent), gehörte sechstens ein Kredit in Höhe von 100 Mio. RM für die »Berg- und HüttenwerksGesellschaft Ost (Berghütte Ost)«.264 Diese im Hochsommer 1941 gegründete »Berghütte Ost« war als riesige Holding konzipiert, in der sämtliche ehemals sowjetischen Staatsunternehmen des Bergbaus sowie der Stahl- und Eisen­ industrie der Ukraine, Weißrusslands und Russlands sowie sämtliche geraubten Maschinenbau­betriebe in den okkupierten Regionen zusammengefasst werden sollten. Darüber hinaus sollte der geplante Riesenkonzern die Kohle- und Erzvorkommen im Donezk-Becken, auf der Krim und später auch im Kaukasus ausbeuten; er war dazu gedacht, die deutsche Rüstungsindustrie auf Jahrzehnte hinaus mit Rohstoffen und Fertigprodukten zu versorgen.265 Der Finanzbedarf 261 Zur »Ostfaser« ausführlich (als unmittelbarer Verantwortlicher:) Kehrl, ebd., bes. S. 229 ff., sowie Gerlach, Kalkulierte Morde, S. 399 ff. (und die dort genannte ältere Literatur). Zum Hintergrund vgl. Eichholtz, Kriegswirtschaft, Bd. 2, S. 393. Zum Kredit außerdem Wixforth, Dresdner Bank, S. 635 f. 262 Vgl. Darlehensvertrag vom 16. Mai 1944, abgeschlossen von der Südost-Montan GmbH Berlin, Geschäftsführung Belgrad, und der Deutschen Bank (als Führer des Bankenkonsortiums) sowie Aktennotiz der Arbeitsbank vom 30. Mai 1933, in: BA Berlin, R 8120, Nr. 802. Die Arbeitsbank war an dem Großkredit für die SüdostMontan GmbH in einer Gesamthöhe von 62 Mio. RM mit 3,4 Mio. oder 5,5 %, an dem für die Bor Kupferbergwerke und Hütten AG in einer Gesamthöhe von 110 Mio. RM mit 10 % (11 Mio. RM) beteiligt. Angesichts der Lage auf den Kriegsschauplätzen scheinen beide Unternehmen über die Gründungsphase nicht hinausgekommen zu sein. Ende 1944 wurde über die Rückzahlungsmodalitäten des Kredits verhandelt. Vgl. Schreiben der Deutschen Bank an Bank der Deutschen Arbeit AG vom 4. und 19. Dez. 1944, in: ebd. 263 Vgl. Erläuterungen zum Bericht der Revisions- und Treuhand AG vom 30. April 1945 (wie Anm. 172), Bl. 15 bzw. 26. 264 Vgl. Wixforth, Dresdner Bank, S. 636, 649. Der Kredit wurde offenbar stufenweise gewährt und bis Kriegsende nicht vollständig ausgezahlt. Für die Arbeitsbank schlug er bis Ende 1944 bzw. April 1945 jedenfalls ›nur‹ mit 4 Mio. RM zu Buche. Vgl. Erläuterungen zum Bericht der Revisions- und Treuhand AG vom 30. April 1945 (wie Anm. 172), Bl. 15. 265 Nominell war die Berghütte Ost zunächst ein Reichsunternehmen, weil die reichsdeutschen Konzerne angesichts des »völlig zerstörten Zustandes« (wie Ernst Poensgen, der Vorstandsvorsitzende der Vereinigten Stahlwerke, konstatierte) der Werksanlagen in den okkupierten Gebieten der Sowjetunion es ablehnten, jene einfach zu über- 168 expansion über die grenzen des »altreiches« hinaus wurde auf 4 Mrd. RM und mehr kalkuliert; der genannte Konsortialkredit sollte mithin erst der Anfang sein. Bemerkenswert ist, dass sich die Berliner Geschäftsbanken geradezu danach drängelten, an diesem Kredit, der erst ab Herbst­beginn 1943 – als die strategische Niederlage der Wehrmacht im Osten und ihr schließlicher Zusammenbruch längst abzusehen waren – vollständig in Anspruch genommen wurde, beteiligt zu werden. Dahinter steckte ein Realitätsverlust, der deutlich macht, wie verbissen alle großen reichsdeutschen Banken auf das ›Ostgeschäft‹ orientiert waren, und wie sehr jede von ihnen um den »Führungs­ anspruch zur wirtschaftlichen Penetration und Ausbeutung des Ostens« (Harald ­Wixforth) stritt.266 Die Arbeitsbank machte da keine Ausnahme. In der vorläufigen Zwischenbilanz der Arbeitsbank vom 30. April 1945 werden insgesamt elf Konsortialkredite aufgelistet. Darunter waren neben den bisher genannten Großkrediten weitere für neue Industrien in den dem Reich unmittelbar einverleibten Gebieten und die erwähnten Großkredite für den Aufbau einer Rüstungsindustrie in Österreich sowie weitere für Rumänien. Symptomatisch ist allerdings, dass das DAF-Geldinstitut bei keinem einzigen dieser Großkredite die ›Führerschaft‹ innehatte, sondern diese der Dresdner, Deutschen und Commerzbank, in zwei weiteren Fällen der Preußischen Staatsbank sowie der Reichs-Kredit-Gesellschaft überlassen musste. Wenn die Arbeitsbank bei der Zusammenstellung und Gewährung von Konsortialkrediten regelmäßig nur eine letztlich untergeordnete Rolle spielte, dann war dies auf die engen und eingespielten Kooperationen der konkurrierenden Großbanken zurückzuführen – beispielsweise die »Konditionenkartelle« –, an denen das DAF-Geldhaus nicht partizipierte.267 Dennoch verdreifachte sich die Summe der Konsortialbetei­ ligungen zwischen 1939 und 1943 (Tabelle 1.3). Zu den Konsortialkrediten traten eine Reihe größerer Industriekredite, die die Arbeitsbank an einzelne Unternehmen jeweils unmittelbar vergab. Sie reichten teilweise an die Summe heran, die das DAF-Bankhaus 1938 für den Aufbau des Volkswagenwerkes zur Verfügung gestellt hatte, und übertrafen die Kreditsumme in Höhe von 10 Mio. RM, die die Arbeitsbank bereits Ende Okt. 1937 der Gelsenberg Benzin AG zur Verfügung gestellt hatte.268 An der Spitze standen die Bayerischen Motorenwerke sowie andere Bereiche des »Quandt-Kon­ zerns«, mit Neuausleihungen allein 1943 in Höhe von 42,8 Mio. RM,269 und die 266 267 268 269 nehmen. Ab 1942/43 sollten die sowjetischen Betriebe über »Patenschaften« in die Verfügungsgewalt reichsdeutscher schwerindustrieller Konzerne übergehen (vor allem Hermann-Göring-Werke, Flick und Krupp). Zur Geschichte der Berghütte Ost vgl. Eichholtz, Kriegswirtschaft, Bd. 2, S. 412-418, 460-469. Vgl. Wixforth, Dresdner Bank, S. 636-639, 649, Zitat: S. 638. Vgl. Kreutzmüller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 19. Bis April 1945 verblieb davon ein Kreditrest in Höhe von 5 Mio. RM. Abgesichert war der Kredit durch eine selbstschuldnerische Bürgschaft der Vereinigten Stahlwerke. Vgl. Erläuterungen zum Bericht der Revisions- und Treuhand AG vom 30. April 1945 (Anm. 172), Bl. 12. Ende April 1945 beliefen sich die Kredite allein an BMW (via Günther und Herbert Quandt) auf 12,8 Mio. RM. Diese und die folgenden Angaben nach: Erläuterungen 169 die banken Reichswerke Hermann Göring, die im selben Jahr Kredite in Höhe von 29,8 Mio. RM bei der Arbeitsbank aufnahmen. Ihnen folgten zentrale Rüstungsunternehmen wie die Ago-Flugzeugwerke, die Focke-Wulf GmbH, denen die Arbeitsbank 1943 Neukredite in Höhe von 13,9 Mio. RM bzw. 10,1 Mio. RM überwies. Hoch waren außerdem die bis April 1945 gewährten Kredite an die Mauserwerke (9,5 Mio. RM), die Dürener Metallwerke (8,5 Mio. RM) sowie eine Reihe weiterer reichsdeutscher Rüstungsunternehmen. Die nach dem QuandtKonzern und den Hermann-Göring-Werken umfangreichsten Firmenkredite gingen – in Höhe von über 30 Mio. bzw. knapp 30 Mio. RM – an die Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken sowie die Accumulatorenfabrik, an der die Arbeitsbank außerdem Anteile besaß. Darüber hinaus war die Arbeitsbank mit direkten Großkrediten an Einzelunternehmen auch im Ausland, nicht zuletzt im Südosten Europas engagiert, namentlich für die wichtigste Tochtergesellschaft der Continentalen Öl AG, die Ostöl GmbH, die in der Erwartung eines schnellen Vordringens der Wehrmacht Richtung Kaukasus 1941 und 1942 in großem Stil Bohrgeräte und Fahrzeuge kaufte und 1943 bei der Arbeitsbank dafür einen Kredit in Höhe von 5,5 Mio. RM in Anspruch nahm,270 für den Aufbau der Thrazischen Bergwerke-AG in Griechenland (3,6 Mio. RM Ende April 1945) sowie für die Ostlandfasergesellschaften mbH, die vor allem in Riga und Kaunas große Werke errichten wollten (allein 1943: 3,2 Mio. RM).271 Obwohl die Bank der Deutschen Arbeit den Vorsprung der Großen Drei bei industriellen Investments nicht aufholen konnte, gewann sie doch auch als unmittelbar industrieller Kreditgeber an Bedeutung. Die »Berliner BörsenZeitung« notierte Anfang 1944, dass die »Ausleihungen an die Wirtschaft« von 1941 auf 1942 um 24 % gestiegen seien und von 1942 auf 1943 einen noch weit kräftigeren Sprung, um 52 %, gemacht hätten, »mitbedingt durch die in den letzten Jahren begonnene räumliche Ausdehnung des Instituts, die besonders die Ostgebiete erfasste«.272 Im letzten Kriegsjahr lagen die außerhalb von Konsortien gewährten Kredite an Rüstungs- und Rohstoffunternehmen schließlich bei deutlich mehr als der Hälfte sämtlich nicht in Staatspapieren angelegter Kredite (Tabelle 1.3) – während das an DAF-eigene Unternehmen ausgezahlte Kredit­ volumen dahinter deutlich zurückblieb. zum Bericht der Revisions- und Treuhand AG vom 30. April 1945 (Anm. 172), Bl. 13, bzw. Revisions- und Treuhand AG, Beteiligungen der Arbeitsbank 1943 (Anm. 222). 270 Zur Ostöl GmbH vgl. Eichholtz, Deutsche Kriegswirtschaft, Bd. 2, S. 480; Karlsch/ Stokes, Faktor Öl, S. 215. 271 Daneben gewährte die Arbeitsbank Kredite an die »Hamma GmbH« in Olmütz (jeweils 1943: 5,2 Mio. RM), an die Transdanubia, Ein- und Ausfuhrhandelsgesellschaft mbH, ­Berlin (4,1 Mio. RM), an die »Geertz & Co. KG« in Riga (3,1 Mio. RM) und an die »›Maistas‹, Vieh- und Fleischzentrale« in Kaunas, die wahrscheinlich mit dem Deutschen Gemeinschaftswerk verbandelt war. 272 »Strukturwandel bei der Bank der Deutschen Arbeit« (o.V.), in: Berliner Börsen-Zeitung vom 29. April 1944. 170 expansion über die grenzen des »altreiches« hinaus Das Engagement in Rumänien und der Ukraine Im Begriff »Ostgebiete«, den die prominente wirtschaftsbürgerliche Börsen-Zeitung verwendete, waren sehr unterschiedliche Regionen subsumiert; auch die Position der Arbeitsbank konnte entsprechend den jeweiligen Konstellationen mal stärker, mal schwächer sein. In der Ukraine saß die Bank der Deutschen Arbeit im Rahmen der erwähnten Konsortialkredite zwar mit ›im Boot‹. Indes entwickelten sich die Verhältnisse für die Arbeitsbank dort auf den ersten Blick ungünstiger als in anderen Gebieten des »Ostlandes«. Denn in der Ukraine existierten keine Regionalbanken. Die Besatzungsbehörden unter dem Anfang September 1941 zum Reichskommissar für die Ukraine ernannten NSDAP-Gau­ lei­ter von Ostpreußen Erich Koch versuchten deshalb, innerhalb kürzester Zeit ein funktionsfähiges Bankensystem aufzubauen. Sie gründeten ein staatliches Geldinstitut und setzten sich dabei über Bedenken hinweg, die die etablierten Großen Drei und ebenso das DAF-Bankhaus im Januar 1942 gemeinsam gegenüber Reichswirtschaftsminister Funk formuliert hatten. Tatsächlich hatten weder Funk noch Koch vor, »die kreditwirtschaftlichen Bedürfnisse dieser Gebiete« dauerhaft »durch eine staatliche Kreditorganisation« – gar nach »bolschewistischem« Muster – zu befriedigen, wie die Banken mutmaßten.273 Wenn die deutschen Besatzungs­behörden eine Zentralwirtschaftsbank mit Sitz in Rowno ins Leben riefen, die dann um regionale Filialen ergänzt wurde, dann geschah das aus der Einsicht heraus, dass dies unter kurzfristig-pragmatischen Gesichtspunkten funktionaler war. Längerfristig wären die reichsdeutschen Geschäftsbanken auch in der Ukraine zweifelsohne zum Zug gekommen; die Entwicklung auf den Kriegsschauplätzen machte dem allerdings einen Strich durch die Rechnung. Dennoch kam die Arbeitsbank selbst in der kurzen Zeitspanne, die ihr für Aktivitäten in der Ukraine blieb, durchaus auf ihre Kosten. So vermittelte das DAF-Bankhaus über ihren zentralen ›Stützpunkt‹ in Riga über die genannten Konsortialkredite hinaus weitere Industriekredite.274 Vor allem jedoch versuchte sie aufgrund ihrer oben skizzierte Rolle als Transaktionsinstanz beim »Ostarbei­ ter«-Zwangs­sparen sich noch in den letzten Kriegsmonaten an den ukrainischen Fremdarbeitern schadlos zu halten, als nach dem Rückzug der deutschen Truppen aus der Ukraine die Zuständigkeit für Lohntransaktionen dieser Ostarbei- 273 Schreiben der Deutschen, Dresdner, Commerz- und Arbeitsbank an Funk vom 5. Jan. 1942, nach: Wixforth, Dresdner Bank, S. 628. Für die Arbeitsbank unterschrieben Carl Rosenhauer und Heinz Reitbauer. Zu beiden vgl. Kapitel 2, S. 85 ff. 274 Wixforth (Dresdner Bank, S. 630) spricht in diesem Kontext und mit Blick auf die Dresdner Bank – die die Ukraine gleichfalls von Riga aus mit Krediten bediente – von einer »undankbaren Aufgabe«. Tatsächlich zwang niemand die Großbanken, die Industrie in den osteuropäischen Regionen mit Krediten zu versorgen. Die Verantwortlichen der Arbeitsbank zeigten sich mit dem Engagement in der Ukraine und dem übrigen »Ostland« jedenfalls zufrieden. 171 die banken ter-Gruppe von der Zentralwirtschaftsbank der Ukraine auf die Bank der Deutschen Arbeit überging.275 Last but not least suchte die Arbeitsbank auch nach Rumänien zu expandieren. So erwarb sie Anteile an der Bukarester Handelsbank A.G.276 Über die Höhe der Anteile wie überhaupt über die Bedeutung dieser Bank ist allerdings nichts bekannt. Unabhängig davon zeichnete das DAF-Geldhaus für mehrere umfängliche Kredite verantwortlich, die Rumänien als für die Rohstoffversorgung zentralem Verbündeten des Dritten Reiches für die Bezahlung von im »Altreich« hergestellten Landmaschinen sowie den Ausbau des staatlichen Bankwesens gewährt wurden.277 Langfristig sollte das Engagement der Arbeitsbank in Rumänien noch viel weiter gehen und sich auch auf Tätigkeitsfelder erstrecken, die üblicherweise eher Sparkassen vorbehalten waren. So regte eine rührige DAF-Institution mit dem Titel »Volkspolitisches Amt«, die unmittelbar nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juli 1941 von Ley und Himmler aufgrund einer Vereinbarung über eine engere Zusammenarbeit von DAF und SS entstanden war, (weitere) »Beteiligung[en] an den volksdeutschen Banken in Rumänien« an. Zentrales Tätigkeitsfeld des DAF-Amtes war zwar die »volkspolitische«, also rassistische Segrega­tion der ins Reich gezwungenen Fremd­arbeiter. Offensichtlich glaubte sich dieses Amt aber auch für die »volkspolitische« Segrega­tion der Bevölkerung verbündeter Staaten wie Rumänien zuständig: Die Arbeitsbank sollte sich nach den Vorstellungen dieser Arbeitsfronteinrichtung an den einheimischen Banken »beteiligen«, d. h. vermutlich Aktienmehrheiten erwerben, um die dortigen »Volksdeutschen« mit Sparkonten, Krediten etc. zu denselben günstigen Konditionen versorgen zu können wie die Bevölkerung des »Altreichs«.278 Daraus scheint allerdings nichts geworden zu sein. Auf dem Weg nach Westen Auch im Westen versuchte die Arbeitsbank zum Zuge zu kommen. Im Visier hatte sie vor allem die Niederlande und Belgien. Im Unterschied zu den großen Berliner Geschäftsbanken war die Bank der Deutschen Arbeit im Sommer 1940 noch nicht daran beteiligt, niederländische, d. h. in erster Linie Amsterdamer Bankhäuser zu übernehmen bzw. sich mit diesen zu ›verflechten‹. Mitte De275 Vgl. oben, S. 114. 276 Vgl. Geschäftsbericht der Arbeitsbank für 1941 (Anm 224). 277 Hier engagierte sich die Arbeitsbank (laut vorläufiger Bilanz vom 31. Dez. 1944) mit 23,3 Mio. RM. Vgl. Erläuterungen zum Bericht der Revisions- und Treuhand AG vom 30. April 1945 (Anm. 172), Bl. 15. 278 Vgl. Kurz-Dienst des Geschäftsführers der DAF, Folge 6/42 [Frühjahr 1942], in: BA Berlin, NS IV, Nr. 11, Bl. 41-48 Rs., hier: Bl. 42. Die Aufforderung des »Volkspolitischen Amtes« der DAF an die Arbeitsbank, sich an »volksdeutschen Banken« zu beteiligen, erging nach einer »Bespr[echung] betr. volksdeutsche Betreuungsaktion in der Kanzlei des Führers« (Bormann). Ebd. 172 expansion über die grenzen des »altreiches« hinaus zember 1940 zeigte das DAF-Geldinstitut dann allerdings an der »Erwerbung des Mantels der Firma Lippmann, Rosenthal und Co., Amsterdam« großes Interesse.279 Obwohl das Reichsaufsichtsamt für Kreditwesen und ebenso das Reichswirtschaftsministerium dem zugestimmt hatten,280 gelang dieser Coup nicht. Arthur Seyß-Inquart als (seit Mai 1940) Reichskommissar und Chef der Zivilverwaltung der Niederlande hatte im März 1941 dagegen interveniert, weil er mit dem ehemaligen Bankhaus Lippmann, Rosenthal und Co. (LiRo) anderes vorhatte. Statt zum Mantel für eine Dependance der Arbeitsbank im nordwestlichen Nachbarstaat wollte der Reichskommissar Namen und Firmenhülse der alteingesessenen Amsterdamer Privatbank zum »Mantel für die Verwaltung jüdischen Geldvermögens«, also zum Instrument der Ausplünderung der niederländischen Juden machen. Ab August 1941 wurden Juden gezwungen, alle Barbeträge und Schecks über einer Freigrenze von 1000 hfl., ab Mai 1942 dann auch alle sonstigen Guthaben etc. bei der »LiRo« abzuliefern, die damit faktisch (obwohl weiterhin privatrechtlich organisiert) zu einer Ab­teilung des Generalkommissars für Finanzen und Wirtschaft geworden war; ab Ende November 1942 wurden die Konten der niederländischen Juden aufgelöst und in einem Sammelkonto bei der »LiRo« zusammengefasst, die auch das Recht erhielt, die den niederländischen Juden geraubten Aktien und Anleihen zu veräußern, der Ertrag wurde in deutschen und niederländischen Staatspapieren angelegt, also zur Kriegsfinanzierung verwandt.281 Die Arbeitsbank ließ sich durch den Misserfolg bei ihrem Versuch, den renommierten Namen Lippmann, Rosenthal und Co. für den Aufbau einer Tochtergesellschaft in Amsterdam zu nutzen – der durch die Übernahme »gewisser Aktiva« der geplünderten Privatbank nicht kompensiert wurde282 –, nicht entmutigen. Noch Mitte 1941 ging sie daran, eine Bank unter dem Namen »Bank voor Nederlandsche Arbeid NV« in Amsterdam zu gründen, die dann im Mai 1941 ihre Tore öffnete. Die neue Bank war freilich nur kurzzeitig im alleinigen Besitz der Arbeitsbank. Anteile hielten ab Frühjahr 1942 zu je fünfzig Prozent die Arbeitsbank und die Nederlandsche Arbeidsfront (NAF) als die im Mai diesen 279 Vorstand der Bank der Deutschen Arbeit an das RWM (zu Hd. Regierungsrat Heidmann) vom 18. Dez. 1940, in: RGVA Moskau, Nr. 1458-1-434. Die Erlaubnis zum Erwerb dieser Bank wurde der Arbeitsbank durch das Reichs­aufsichtsamt für das ­Kreditwesen am 13. Febr. 1941 erteilt, in: ebd. 280 Vgl. Reichsaufsichtsamt für das Kreditwesen an den RWM vom 13. Febr. 1941, in: ebd. 281 Zur LiRo vgl. ausführlich: Kreutzmüller, Bankenplatz Amsterdam, S. 144-154, sowie Gerard Aalders, Nazi looting. The plunder of Dutch Jewry during the Second World War, Oxford/New York 2004, bes. S. 127-145; ders., Three Ways of German economic penetration in the Netherlands: Cloaking, Capital interlocking and »Arynisation«, in: Overy u. a. (Hg.), »Neuordnung« Europas, S. 273-298, hier: S. 290 ff. 282 Vgl. Kreutzmüller, Bankenplatz Amsterdam, S. 249; ders./Jaroslav Kucera, Die Commerzbank und die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit in den böhmischen Ländern und den Niederlanden, in: Herbst/Weihe (Hg.), Commerzbank, S. 173-222, hier: S. 193. 173 die banken Jahres gegründete Schwesterorganisation der DAF283 –, so dass (mit Blick auf die Etablierung der Bank wie für eine komplikationslose Erweiterung des Filialnetzes ein Vorteil) die »Bank voor Nederlandsche Arbeid NV« als einheimisches Bankhaus gelten konnte. Faktisch freilich war die reichsdeutsche Arbeitsbank tonangebend: Deren ›starker Mann‹ und Vorstandsvorsitzender Lencer führte den Aufsichtsrat; Vorstandsvorsitzender wurde der Leiter der Bremer Filiale der Arbeitsbank. Gleichzeitig sicherte man sich die Dienste erfahrener und mit dem Bankenplatz Amsterdam vertrauter Finanzexperten. Im Hochsommer 1942 eröffnete die niederländische Arbeitsbank in Rotterdam, wenig später in Utrecht eine Niederlassung. Die Bilanzsumme der Bank voor Nederlandsche Arbeid NV wuchs schnell – von 7,44 Mio. holländische Gulden (hfl.) Ende 1941 über 26,4 Mio. hfl. Ende 1942 auf 36,6 Mio. hfl. ein Jahr später. Dennoch hatte das niederländische Geldinstitut der DAF gegenüber den Tochtergesellschaften der anderen reichsdeutschen Geschäftsbanken statistisch knapp das Nachsehen: Der »Handelstrust West«, die niederländische Tochtergesellschaft der Dresdner Bank, verzeichnete 1943 ein Bilanzvolumen von 45,2 Mio. hfl. Die Rijnsche Handelsmaatschappij, die der Commerzbank gehörte, wies im selben Jahr eine Bilanzsumme von 37,9 Mio. hfl. (1941: 8,6 Mio. hfl.; 1942: 20,9 Mio. hfl.) aus. Führend blieb mit großem Abstand die »Handel Maatschappij H. Albert de Bary & Co.« im Besitz der Deutschen Bank; dieses Geldinstitut wies 1943 eine Bilanzsumme von 90,5 Mio. hfl. (1942: 83,3 Mio. hfl.) aus. Und auch der niederländischen Aero-Bank, dem Ableger der vom Göring-Imperium gegründeten »Bank der Deutschen Luftfahrt«,284 musste die niederländische Arbeitsbank den Vortritt lassen; die Aero-Bank wies 1943 ein Bilanzvolumen von 63,5 Mio. hfl. aus.285 283 Vgl. ZfF/AWU, Leistungsbericht für 1943 (Anm. 256), sowie Berliner Börsen-­Zeitung vom 30. April 1944. Vgl. hierzu und zum Folgenden außerdem Kreutzmüller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 26 f.; ferner Aalders, Nazi looting, S. 32. Zur Nederlandschen Arbeidsfront vgl. vor allem Fritz Petrick, Die DAF und die Gewerkschaften in den von Deutschland besetzten Ländern, in: Bulletin der Gesellschaft für­ ­Faschismus- und Weltkriegsforschung Nr. 4, 1995, S. 1-33, hier: S. 17-20; ferner Gerhard Hirschfeld, Fremdherrschaft und Kollaboration. Die Niederlande unter deutscher Besatzung 1940-1945, Stuttgart 1984, S. 73. 284 Die Aero-Bank war eigentlich die französische Tochtergesellschaft der »Bank der Deutschen Luftfahrt«; sie hatte – unter Rückgriff auf die exzellenten Beziehungen Görings und seines Imperiums – die »Hollandsche Buitenlandbank« aufgekauft. Vgl. Kreutzmüller, Bankenplatz Amsterdam, S. 188 f. 285 Angaben nach: ebd., S. 191, 199, 201, bzw. ders./Loo­se, Bank der Deutschen Arbeit, S. 27. Begünstigt wurde dieser – relative – Aufschwung der Tochtergesellschaften reichsdeutscher Banken dadurch, dass Anfang April 1941 die Devisengrenze aufgehoben wurde (die Niederlande damit finanztechnisch zum Inland wurden) und ein halbes Jahr später alle deutschen Banken zu Devisen­banken ernannt, den einheimischen Geldhäusern mithin gleichgestellt wurden. Zur niederländischen Arbeitsbank vgl. außerdem den ZfF/AWU, Leistungsbericht für 1943 (Anm. 256), sowie den Geschäftsbericht der Arbeitsbank für 1943 (vom April 1944), in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 57. 174 expansion über die grenzen des »altreiches« hinaus Die Bedeutung der Bank voor Nederlandsche Arbeid NV wird weiter relativiert, wenn man berücksichtigt, dass die Tochtergesellschaften der Berliner Banken fast zwergenhaft anmuteten angesichts der Größe der selbständig weiter bestehenden niederländischen Geschäftsbanken. Die »Incasso Bank« als die kleinste der Amsterdamer Großbanken brachte es 1941 auf eine Bilanzsumme von 199,6 Mio. hfl.; das war fast das Achtfache dessen, was die niederländische Arbeitsbank am Ende des ersten Jahres ihrer Existenz verzeichnen konnte. Bedenkt man, dass sich das Bilanzvolumen sämtlicher niederländischer Großbanken 1941 und 1942 auf jeweils ungefähr 1,5 Mrd. hfl. belief, nahm sich im Vergleich dazu eine Bilanzsumme von 26,4 Mio. hfl., also 0,18 %, geradezu mickrig aus. Berücksichtigt man, dass das Bilanzvolumen aller Tochtergesellschaften der Berliner Banken 1941 über ein Zwölftel, 1942 dann ein Siebtel dessen, was die weiterhin autonom agierenden niederländischen Großbanken an Aktiva und Passiva in ihren Bilanzen verzeichneten, nicht hinauskamen, verblieb den reichsdeutsch beherrschten Banken in der Tat nicht mehr als »eine Nischenfunktion in einem eng begrenzten Marktsegment«, das sich als »verlängerter Arm der Okkupationsbehörden« (Kreutzmüller) auswies.286 Nur den fünften Platz unter den auf den Bankplätzen des nordwestdeutschen Nachbarstaates ohnehin randständigen niederländischen Tochtergesellschaften reichsdeutscher Geldinstitute einzunehmen, mag für die Bank der Deutschen Arbeit als Mutterunternehmen enttäuschend gewesen sein. Sorgen dürfte dem Vorstand der DAF-Bank auch die vergleichsweise geringe Profitabilität der »Bank voor Nederlandsche Arbeid NV« gemacht haben. Dass sie 1941 einen Verlust von 120.000 hfl. auswies – der dann vom deutschen Mutterhaus übernommen wurde –, konnte man unter ›Anfangsschwierigkeiten‹ verbuchen. Die bescheidenen Gewinne von jeweils 100.000 hfl. 1942 und 1943 verweisen dagegen auf strukturelle Probleme. So gelang es der niederländischen Arbeitsbank zwar, das niederländische Winterhilfswerk (Winterhulp) sowie dortige Parteistellen zu veranlassen, ihre beträchtlichen Guthaben auf Konten der Bank zu platzieren. Zudem brachten die zum Zweck der »Arisierung« jüdischen Vermögens und jüdischer Unternehmen gegründeten Institutionen, konkret: die »VermögensVerwaltungs- und Rentenanstalt«, die »Niederländische Aktiengesellschaft für die Abwicklung von Unternehmen« und die »OMNIA-Treu­hand-AG«, die ge286 Kreutzmüller, Bankenplatz Amsterdam, S. 192 bzw. 312. Die marginale Stellung der Tochtergesellschaften der Berliner Großbanken führt Kreutzmüller wesentlich darauf zurück, dass es diesen nicht gelungen war, in den zwanziger Jahren auf dem zentralen niederländischen Bankenplatz in Amsterdam Fuß zu fassen. Selbst reichsdeutsche Unternehmen, die ab 1940 niederländische Betriebe aufkauften, griffen keineswegs selbstverständlich auf die Dienste der deutschen Tochtergesellschaften zurück, sondern rekurrierten aus Imagegründen oft auf die großen niederländischen Geldins­ titute. Unter den reichsdeutschen Bankhäusern, die im Kontext des Erwerbs kleinerer und mittlerer niederländischer Betriebe durch reichsdeutsche Unternehmen aktiv wurden, habe »vermutlich« die seit 1921 im Nachbarstaat vertretene Dresdner Bank mit ihrem »Handelstrust West« die wichtigste Rolle gespielt. So: Aalders, Three Ways, S. 287 ff. 175 die banken raubten Gelder und Vermögenswerte gleichfalls auf Konten der »Bank voor Nederlandsche Arbeid NV« unter. Es gelang den Verantwortlichen der DAFGeld­institute jedoch nicht, die distanzierte Haltung von Seyß-Inquart und von Hans Fischböck, dem Wirtschafts­kommissar für die Niederlande, gegenüber der Bank voor Nederlandsche Arbeid NV aufzubrechen und so in der Nische, die den deutschen Banken in den Niederlanden gelassen war, Marktanteile zu gewinnen. Die beiden wirtschafts- und finanzpolitisch maßgeblichen Männer innerhalb der Besatzungsverwaltung präferierten bis zum Zusammenbruch des NS-Regimes die etablierten Berliner Geschäfts­banken.287 Damit ist zugleich ein strukturelles Problem angedeutet, das alle reichsdeutschen Banken bzw. ihre Tochterunternehmen betraf: Ähnlich wie dies oben für die Filialen der Arbeitsbank im »Generalgouvernement« konstatiert worden war, dominierten auch in den Niederlanden – und zwar relativ unterschiedslos bei allen Tochterfirmen deutscher Großbanken – die kurzfristigen Einlagen, so dass sich in diesem Rahmen nur schwer in substantielles Kreditgeschäft aufbauen ließ. Eine weitere Schwäche speziell der niederländischen Arbeitsbank war, dass sie auf der Aktivseite für die Zwischenfinanzierung von Wehrmachtslieferungen kaum eine Rolle spielte. Auch in »Arisierungs«-Ver­f ah­ren unabhängig von den genannten Institutionen wurde die Amsterdamer DAF-Bank nur am Rande eingeschaltet. Erst Mitte 1944 kam sie bei größeren Ge­schäf­ten im Zusammenhang mit der Ausraubung der niederländischen Juden zum Zuge, als die anderen Großbanken angesichts der politisch-militä­ri­schen Konstellationen bereits begannen, sich zurückzuziehen.288 287 Symptomatisch war, dass Seyß-Inquart, als er infolge von Konflikten mit der Deutschen Bank deren niederländische Tochter aus dem Kreis der ihm politisch genehmen Banken ausschloss, die Gelder usw. der ihm unterstehenden Dienststellen nicht etwa auf die »Bank voor Nederlandsche Arbeid NV« transferierte, sondern auf Konten der Dresdner und der Commerzbank verteilte. Auch die vor allem zur Vernichtung der materiellen Existenz der niederländischen Juden von Fischböck ins Leben gerufene »Abteilung für besondere wirtschaftliche Angelegenheiten« rekrutierte ihr Personal bei den Töchtern der anderen Banken – ein Aspekt, der für deren Geschäftspolitik eminent wichtig war, da insbesondere bei dieser Dienststelle »die Grenzen zwischen Bank und Besatzungsbehörde fließend« waren. Vgl. hierzu und zum Folgenden Kreutzmüller, Bankenplatz Amsterdam, S. 203 ff., Zitat: S. 204; ders./Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 28 f. 288 Vgl. Kreutzmüller, Bankenplatz Amsterdam, S. 287. Die Rijnsche Handelsbank der Commerzbank wies Anfang Dez. 1944 ein Bilanzvolumen von nur noch rund 10 Mio. hfl. aus; das der niederländischen Filiale der Aero-Bank war bis Ende 1944 auf 15,4 Mio. hfl. geschrumpft. Die Bilanzsumme der »Handel Maatschappij H. Albert de Bary & Co.« als der Tochterge­sell­schaft der Deutschen Bank blieb mit etwa 75 Mio. hfl. demgegenüber vergleichsweise stabil. Vgl. ebd., S. 201. Zahlen für die »Bank voor Nederlandsche Arbeid NV« liegen zum Geschäftsjahr 1944 nicht mehr vor. Zur sehr unterschiedlichen »Erfolgsquote« der »Arisierungs«-Anstren­gungen in den verschiedenen westeuropäischen Länder allgemein vgl. Jean Marc Dreyfus, Die Enteignung der Juden in Westeuropa, in: Constantin Goschler/Philipp Ther (Hg.), Raub und 176 expansion über die grenzen des »altreiches« hinaus Auch in Belgien versuchte sich die Bank der Deutschen Arbeit über die Neugründung oder den Erwerb von etablierten Bankgesellschaften zu etablieren. Im April 1941 übernahm sie die »Westbank N.V. (Banque de l’Ouest S.A.)« in Brüssel289 – und verfügte damit neben der Commerzbank, die die belgische Continentale Bank besaß, und der Dresdner Bank mit der Hansa-Bank als einzige reichsdeutsche Bank über eine Tochtergesellschaft in Belgien. Die Pläne der Arbeitsbank für Belgien waren langfristig angelegt und weitreichend. Dass man sich dauerhaft etablieren und eine starke Stellung aufbauen wollte, zeigte sich nicht zuletzt daran, dass das Kapital der Westbank N.V. noch Ende 1943 von 10 Mio. auf 25 Mio. belgische Francs (bfrs.) angehoben wurde.290 Über die Geschäftsfelder der Westbank N.V. ist insgesamt nur wenig bekannt. Beteiligt war sie u. a. gemeinsam mit den Tochterunternehmen der Dresdner und der Commerzbank an der Veräußerung konfiszierter Wertpapiere, die belgischen Juden sowie nichtjüdischen Oppositionellen bzw. unbotmäßigen Bürgern dieses Landes geraubt worden waren und im Auftrag und auf Rechnung des Brüsseler »Devisenschutzkommandos« an der Brüsseler Börse verkauft werden sollten. Im Herbst 1943, nachdem das Reichskommissariat der Niederlande die systematische Konfiszierung allen Vermögens im Besitz niederländischer Juden angeordnet hatte, gingen die Continentale, die Hansa- und die Westbank N.V. daran, alle auf belgische Währung lautenden Aktien und festverzinslichen Papiere, die von der bereits erwähnten »LiRo« an sie weitergereicht worden waren, über die Brüsseler Börse zu verkaufen. Bei dieser Form der Ausplünderung der jüdischen und nonkonformen Bevölkerung beider Staaten besaß allerdings nicht die Westbank N.V., sondern die Dresdner Bank als SS-Hausbank eine »eindeutige Vorrangstellung« und machte entsprechend ›Kasse‹ beim Verkauf des »Löwenanteils« dieser enteigneten und »arisierten« Vermögen.291 Im Elsass und in Lothringen, die unmittelbar nach der Okkupation in den Binnenmarkt des Großdeutschen Reiches eingegliedert wurden, begann die Arbeitsbank ab 1940 gleichfalls Fuß zu fassen. Ihre Niederlassungen in Straßburg und Metz gewannen vor allem als Kreditgeber für die beschlagnahmte Schwerindustrie eine gewisse Bedeutung. Nachdem die Dresdner Bank es 1942 abgelehnt hatte, der »Hüttenverwaltung Westmark GmbH« einen umfangreichen Investitionskredit zu bewilligen, der zwar mit 4,5 % verzinst werden sollte, jedoch nicht durch das Reich verbürgt wurde, sprang die Bank der Deutschen Restitution. »Arisierung« und Rückerstattung des jüdischen Eigentums in Europa, Frankfurt a. M. 2003, S. 41-57, resümierend S. 52 f. 289 Inkl. einer weiteren Niederlassung in Antwerpen. Vgl. Geschäftsbericht der Arbeitsbank für 1941 (Anm. 224); ferner Wixforth, Dresdner Bank, S. 793. 290 Vgl. ZfF/AWU, Leistungsbericht 1943 (Anm. 256), sowie Deutsche Allgemeine Zeitung vom 30. April 1944. Umgerechnet entsprach dies einer Kapitalerhöhung von 2,34 Mio. RM auf 5,85 Mio. RM. Zur Geschäftsentwicklung der niederländischen Tochtergesellschaft der Arbeitsbank vgl. ferner Geschäftsbericht der Arbeitsbank für 1943 (vom April 1944; Anm. 285). 291 Vgl. inkl. Zitate Wixforth, Dresdner Bank, S. 817, 820. 177 die banken Arbeit ein und bahnte damit bis 1944 offenbar eine lukrative Beziehung zu den dort tätigen reichsdeutschen Eisen- und Stahlkonzernen an.292 Auch in Luxemburg gehörte die Arbeitsbank zu den wenigen deutschen Geldhäusern, die dort eine Filiale gründeten.293 Seit 1941 verfügte die Bank der Deutschen Arbeit außerdem über eine ständige Bankvertretung in Paris, ein Privileg, das sonst nur Deutsche, Dresdner und Commerzbank sowie die Reichs-Kredit-Gesellschaft besaßen.294 Diese Filiale war anfangs vor allem für Wehrmachtsangehörige und deutsche Zivilangestellte tätig. Bis zum Jahresbeginn 1944 wurde sie sukzessive »erheblich erweitert« und in steigendem Maße »bei der Vermittlung von Finanzierungen, Auszahlung von Akkreditiven insbesondere für Firmen, die Verlagerungsaufträge nach Frankreich gegeben haben, in wirkungsvoller Weise eingeschaltet«,295 ohne dass allerdings über das genauere Ausmaß dieser Geschäfte Näheres bekannt wurde. Die im Ausland gewährten Kredite mögen – auch unabhängig von den jeweiligen politisch-militärischen Konstellationen – riskant gewesen sein. Lukrativ waren sie dennoch allemal. Das galt mehr noch für unmittelbare Beteiligungen. Denn hier profitierte die Arbeitsbank von einem auf den 24. Dezember 1942 datierten Erlass, wonach die Körperschaftssteuer auf Gewinne aus Beteiligungen an Bankgesellschaften im besetzten Ausland »teilweise oder ganz erlassen« werden konnte. Die Voraussetzungen für eine derartige Steuererleichterung wurden im Reichswirtschafts­ministerium als der genehmigenden Behörde als erfüllt betrachtet, wenn die entsprechen­de reichsdeutsche Geschäftsbank »auch tatsächlich durch die Größe der Beteiligung einen maßgebenden Einfluss auf das [Geld-]In­stitut« gewonnen hatte.296 Es nimmt deshalb nicht wunder, dass sich die Arbeitsbank im In- und Ausland überall dort in Geldhäuser einzukaufen versuchte, wo dies noch möglich war und andere ihr nicht aufgrund besserer politischer Beziehungen zuvorkamen. So hielt sie Ende 1944 über die erwähnten Fälle von Firmen- bzw. Aktienakquisitionen hinaus Anteilsscheine an der Berliner Disconto und Kredit AG in Höhe von immerhin 460.500 RM und an der Ende 1942 gegründeten »Deutschen Bank für Ostasien« in Höhe von 500.000 RM.297 292 Nach Angaben von Wixroth (Dresdner Bank, S. 838 f., Anm. 18) hatten nicht zuletzt die Reichswerke Hermann Göring als die Muttergesellschaft der Hüttenverwaltung Westmark diese gedrängt, engere Geschäftsbeziehungen zur Arbeitsbank aufzunehmen. 293 Vgl. Paul Dostert, Luxemburg zwischen Selbstbehauptung und nationaler Selbstaufgabe. Die deutsche Besatzungspolitik und die volksdeutsche Bewegung 1940-1945, Luxemburg 1984, S. 99. 294 Vgl. Wixforth, Dresdner Bank, S. 844. 295 ZfF/AWU, Leistungsbericht für 1943 (Anm. 256). 296 Vgl. Eichholtz, Deutsche Kriegswirtschaft, Bd. 2, S. 527. Der von Eichholtz referierte – positive – Bescheid bezog sich auf einen entsprechenden Antrag der Bank der Deutschen Arbeit. 297 Vgl. Erläuterungen zum Bericht der Revisions- und Treuhand AG vom 30. April 1945 (wie Anm. 172), Bl. 26. Zweck der Gründung dieser »Deutschen Bank für Ostasien« war die »Errichtung von Stützpunkten […] in sämtlichen Gebieten des großosta- 178 expansion über die grenzen des »altreiches« hinaus Auch im »Altreich« auf der Erfolgsspur Möglich war die Übernahme von Anteilen an Geldhäusern bzw. deren vollständiger Erwerb wie überhaupt die Ausweitung der Geschäftsfelder der Arbeitsbank im Ausland nur, weil das parteinahe Geldinstitut im Inland weiterhin gewinnträchtig expandierte. Über die genannten Aspekte hinaus ließen weitere Faktoren die Bilanzsumme des DAF-Geldinsti­tu­tes auch im »Altreich« in die Höhe schnellen. Begünstigt wurde die Ausweitung von Bilanzsumme und Umsatz nicht zuletzt durch die Gründung des Deutschen Gemeinschaftswerkes 1941. Der Arbeitsbank kam dabei die Umwandlung der bisherigen Konsumgenossenschaften in eine privatwirtschaftlich organisierte Einzelhandelskette zugute. Wichtig war vor allem, dass sie die Sparkassen- und Bankfunktionen übernahm, die für die Konsumgenossenschaften konstitutiv gewesen waren. Darüber hinaus scheint auch die Werbung um den selbständigen ›Mittelstand‹ während des Krieges zunehmend von Erfolg gekrönt gewesen zu sein. Die so wütenden wie vergeblichen Angriffe des Reichswirtschaftsministers Funk auf die Bank der Deutschen Arbeit Mitte 1941, seine Vorwürfe, diese würde »in den [industriellen] Kundenkreis anderer Kreditinstitute eindringen« und durch ihr heftiges Werben um kleine und mittlere Unternehmer einen »wilden Konkurrenzkampf im Kreditgewerbe« vom Zaun brechen, sind jedenfalls ein Indiz dafür, dass die Arbeitsbank auch auf diesem Geschäftsfeld immer mehr Kunden gewann.298 Daneben engagierte sich die Arbeitsbank für Projekte, die technologisch innovativ zu sein schienen. Ein Beispiel sind die Kredite, die die Arbeitsbank für Windkraftanlagen zur Verfügung stellte, die zwischen 1941 und 1944 nach Plänen des Ingenieurs Hermann Honnef in der Nähe Berlins errichtet wurden.299 siatischen Raumes«. An dieser Ostasien-Bank, die keine eigenen Handelsgeschäfte betreiben, sondern den deutschen Handels- und Finanzverkehr im Fernen Osten absichern und fördern sollte, waren neben der Arbeitsbank außerdem die Allgemeine Deutsche Credit-Anstalt (ADCA), die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank, die Deutsche, die Dresdner Bank sowie die Reichs-Kredit-Gesellschaft beteiligt. Vgl. Niederschrift über die 13. Sitzung des Ostasienausschusses der I.G. Farbenindustrie vom 27. Febr. 1942, Anlage 1, nach: Mechthild Leutner (Hg.), Deutschland und China 1937-1945. Politik, Militär, Wirtschaft, Kultur. Eine Quellensammlung, Berlin 1998, S. 298-301 (Dok. 93), hier: S. 301. 298 Funk an Ley vom 31. Juli 1941 (Anm. 109), Bl. 3 f. 299 Ursprünglich plante Honnef, der sich seit 1919 mit der Gewinnung von Windenergie in großem Maßstab beschäftigte, Windkraftanlagen mit Riesenflügeln bis zu 180 Metern, die auf bis zu 250 Meter hohe Stahltürme montiert werden sollten. Die dann ab 1941 in Bötzow-Velten errichteten Windräder waren allerdings deutlich kleiner dimensioniert. Die AEG bescheinigte dem Projekt noch Mitte 1944 eine vielversprechende Zukunft – die es dann aufgrund der politisch-militärischen Konstellationen nicht mehr hatte. Vgl. »Alles gut befunden, gebt mir Geld« (o.V.), in: Der Spiegel 46/1949 (vom 10. Nov. 1949), S. 29 f.; ferner Matthias Heymann, Die Geschichte der Windenergienutzung 1890-1990, Frankfurt a. M./New York 1995, S. 260. 179 die banken Von erheblicher Bedeutung für die Arbeitsbank war außerdem, dass sich die DAF als politische Organisation neue Tätigkeitsbereiche erschließen konnte und dabei die Dienste ihrer Hausbank in Anspruch nahm. Ein Beispiel sind die sog. Bordellbaracken, die in der Nähe großer Fremdarbeiterlager errichtet wurden, um leistungswillige ausländische Zivilarbeiter mit dem Besuch der dort zur Prostitution gezwungenen Frauen zu prämieren. Für den Aufbau und Betrieb dieser Bordellbaracken war die Arbeitsfront in Zusammenarbeit mit den jeweils städtischen Behörden und der Kriminalpolizei zuständig. Finanziert wurden diese Einrichtungen durch die Betriebe, deren ausländische Arbeitskräfte die Prostituierten besuchen sollten. Die Unternehmensleitungen, die aus Imagegründen mit den Fremdarbeiterbordellen möglichst wenig zu tun haben wollten, hatten die dafür vorgesehenen Gelder auf ein eigens dafür eingerichtetes Konto bei der Berliner Zentrale der Bank der Deutschen Arbeit einzuzahlen. Diese reichte die eingetroffenen Geldbeträge an die DAF-eigene »Häuser- und Barackenbau GmbH« weiter, die mit der Errichtung der für Fremdarbeiter vorgesehenen sog. Gemeinschaftslager und auch mit dem Aufbau der Bordellbaracken beauftragt war.300 Verzögerte Stilllegung von Filialen Auch sonst profitierte die Bank der Deutschen Arbeit während des Krieges von ihrer besonderen Nähe zu den politischen Entscheidungsträgern. Ihrer guten Vernetzung in die einschlägigen Institutionen des Regimes hinein verdankte es die Arbeitsbank, dass sie von bestimmten kriegsbedingten Restriktionen zeitweise in geringerem Maße als ihre arrivierten Konkurrenten betroffen war. Nicht zuletzt konnte sie ihren personellen Apparat in dem bei Kriegs­beginn erreichten Umfang länger erhalten bzw. in den ersten Kriegsjahren sogar noch ausbauen. Nominell zählte die Bank der Deutschen Arbeit 1939 insgesamt 1.251 Angestellte und Arbeiter; in den beiden folgenden Jahren wuchs die Belegschaftszahl auf 1.522 und 1.822.301 Analog zu den sog. Auskämmungs- und Still­legungsaktionen in Industrie und Handwerk hatte das Reichsaufsichtsamt für das Kreditwesen am 3. Juni 1941 im Vorfeld des »Russlandfeldzuges« in einem Erlass die »Vereinfachung der Organisation des Kreditgewerbes« angeordnet. Die Wirtschaftsgruppen wurden verpflichtet, ihre Mitglieder zu Filialschließungen und zur Senkung der Belegschaftszahlen zu veranlassen. Bis Mai 1942 wurden reichsweit im Bankgewerbe 220 Filialen, etwa ein Zehntel sämtlicher Zweigstellen, stillgelegt. Die Arbeitsbank, die freilich auch über ein viel kleineres Netz an größeren Nie300 Zu den Finanztransaktionen vgl. exemplarisch DAF-Gauwaltung München-Oberbayern an die Reichspostdirektion München, vom 2. Jan. 1942, in: Staatsarchiv München, OPD München, Verzeichnis 15, Nr. 200. Zur Häuser- und Barackenbau GmbH vgl. Kapitel 7, S. 481 ff. 301 Diese und die folgenden Angaben zur Belegschaftsgröße nach: Geschäftsberichte der Bank der Deutschen Arbeit AG 1934, 1937, 1940 und 1941; ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der Deutschen Arbeitsfront 1939, S. 13; ZfF/AWU, Leistungsbericht für 1943 (Anm. 256); Die Bank 34/1941, Heft 11, S. 221-223. 180 expansion über die grenzen des »altreiches« hinaus derlassungen verfügte als die Großbanken, kam dabei weitgehend ungeschoren davon. Während die Deutsche Bank fünfzig Filialen, die Dresdner Bank 36 und die Commerzbank sogar 41 Filialen schließen mussten, hatte die Bank der Deutschen Arbeit lediglich sechs größere Niederlassungen dichtzumachen – und lag damit noch hinter den wesentlich kleineren Regionalbanken wie der Leipziger ADCA (Allgemeine Deutsche Credit-Anstalt) sowie der Baye­rischen Hypotheken- und Wechselbank, deren Filialnetz um 14 bzw. 19 Zweigstellen schrumpfte.302 Dass dies in »Bankenkreisen eine große Mißstimmung hervorrief«,303 verwundert nicht. In der Folgezeit ließ sich diese privilegierte Stellung der Arbeitsbank allerdings nicht halten: 1943/44 wurden 12 große Bankfilialen und 43 Zahlstellen stillgelegt,304 so dass dem DAF-Geldin­stitut im Frühjahr 1944 noch 51 größere Niederlassungen und etwa 30 eigene Zahlstellen verblieben.305 Entsprechend sanken die Mitarbeiterzahlen (1943: 1.340 Angestellte und Arbeiter, ohne Einberufene). Gleichzeitig ›feminisierte‹ sich die Belegschaft; angesichts des gravierenden Mangels an männlichen Angestellten war der Vorstand der Arbeitsbank zudem gewillt, auch Frauen auf höheren Posten einzusetzen.306 Der Blick lediglich auf die größeren Niederlassungen und die kleineren Zahlstellen verstellt freilich die Sicht auf die eigenartige, von anderen Geschäfts­ banken stark differierende Struktur der Arbeitsbank: Sie hatte ein zweites Filialnetz aufgebaut, indem sie ab Mitte der dreißiger Jahre untere DAF-Verwaltungseinheiten und ab 1941 außerdem ehemalige Zahlstellen der Konsumgenossenschaften zu eigenen Dependancen umfunktioniert hatte. Auf diese Weise zog sie allmählich mit dem eigentlich viel besser ausgebauten Filialnetz der Großbanken gleich. Zwar liegen über die Schließung dieser Kleinst-Filialen (die nominell nicht als Filialen der Arbeitsbank firmierten) keine Angaben vor. Angesichts der zunehmenden Aufhebung der U.k.-Stellungen und der Ausdünnung des DAF-Funk­tio­närsappa­rates307 ist jedoch davon auszugehen, dass auch diese spätestens ab 1942/43 in rasch wachsender Zahl schließen mussten. 302 Vgl. Bähr, Bankenrationalisierung, bes. S. 89 f.; ferner James, Deutsche Bank, S. 391; Weihe, Personalpolitik, S. 31. 303 »Bericht betr. Bank der Deutschen Arbeit A.G.«, o.V. (vermutlich von einem Mitarbeiter der Dresdner Bank) vom 5. Okt. 1944, S. 3, in: HStA Dresden VII.6.01, Nr. 6896. Vgl. ferner Meldungen aus dem Reich, Bd. 14, vom 31. Mai 1943, S. 5325. 304 Darunter waren auch solche, die ein großes Geschäftsvolumen aufwiesen, z. B. die beiden Wiener Arbeitsbank-Filialen. Theodor Venus spricht in diesem Zusammenhang von einer »Reaustrifizierung« des österreichischen Bankwesens. Venus, Zentral­ sparkasse, S. 713 f. Die Grazer Filiale der Arbeitsbank war bereits 1942 geschlossen worden. 305 Vgl. ZfF/AWU, Leistungsbericht für 1943 (Anm. 256), sowie Berliner ­Börsen-Zeitung vom 30. April 1944. 306 Vgl. Kapitel 9, S. 535 f. 307 Im Dez. 1939 lag der Anteil der einberufenen an der Gesamtheit der DAF-Funk­ tionäre bei 23,7 %; bis Juni 1942 stieg er auf 33,4 %. Vgl. Hachtmann, Koloss, S. 349 (Tab. 4). 181 die banken Belegschaftsabbau und Filialschließungen rissen die DAF-Führung und den Arbeitsbank-Vor­stand nicht aus ihren Träumereien. Noch Anfang 1944 planten diese, die Niederlassungen in den besetzten Gebieten nach einem offenbar selbst zu diesem Zeitpunkt noch für möglich gehaltenen deutschen »Endsieg« in Tochtergesellschaften umzuwandeln, die auf die Bedingungen vor Ort besser abgestimmt sein sollten.308 Erst die Invasion der Alliierten in der Normandie und das rasche Vorrücken der Roten Armee 1944 bereiteten diesen und anderen Illusionen ein Ende. 3.6. Auch die Arbeitsbank: ein »Koloß auf tönernen Füßen« Bleibende politische Abhängigkeiten – zur Bilanzstruktur ab 1938 Zum Problem wurde in den letzten Kriegsjahren nicht allein die anhaltend enge politische Verknüpfung mit der Arbeitsfront. Auch die Struktur der Passiva und ebenso der Aktiva der Bilanzen des DAF-Geldinstitutes verweist auf eine in Relation zu der der anderen Banken spezifische ›Schieflage‹. Zunächst der Blick auf die Passiva und hier die Spareinlagen. Sie wuchsen seit 1938 absolut zwar in erheblichem Maße. Vor dem Hintergrund der angesprochenen Spar-Aktio­nen vervierfachte sich die Summe der von Kleinsparern auf Konten der Arbeitsbank angelegten Summen bis 1943 gegenüber den Vorkriegsjahren (Tabelle 1.2). Das DAF-Geldinstitut blieb mithin selbst in den letzten Jahren der Diktatur – auch – eine »Arbeitersparkasse«. Symptomatisch ist jedoch, dass die Massenkundschaft der Kleinsparer relativ an Gewicht verlor; der Anteil der auf Kleinkonten langfristig angelegten Spareinlagen an der Bilanzsumme der Arbeitsbank schmolz trotz der absoluten Zunahme der Sparkonten mit vergleichsweise geringen Einlagen von einem guten Viertel der Bilanzsumme 1935 und einem guten Fünftel 1938 auf schließlich nicht einmal mehr ein Zehntel (8 %) 1943 zusammen. Dem steht ein auch prozentual deutliches Anwachsen der Einlagen vor allem der »sonstigen Gläu­biger« von 81,2 % (1938) auf 87,2 % (1943) gegenüber. Hinter der Pauschalkategorie »sonstige Gläubiger«309 steht, dass die DAF als politische Organisation der Hauptgläubiger der Arbeitsbank blieb. Daneben benutzten (wie erwähnt) die NSDAP, ferner Organisationen wie das Winterhilfswerk oder die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt das Bankhaus der Arbeitsfront als finanzpolitischen ›Hauptstützpunkt‹. Die Deutsche Revisions- und Treuhand AG konstatierte in ihrem Prüfbericht des Jahresabschlusses der Arbeitsbank zum 31. Dezember 1939 unmissverständlich, dass »der starke Zufluss an Fremdmitteln […] weitgehend auf die Stellen von DAF. und Partei« zurückgehe. Etwa »62 % der Bilanzsumme oder fast 70 % der gesamten Fremdmittel« seien »Gelder der 308 Vgl. Berliner Börsen-Zeitung vom 30. April 1944. 309 In der Residualkategorie »Sonstige« in Tabelle 1.3 wird leider nicht zwischen Einlagen von NS-Organi­satio­nen und anderen, insbesondere solchen von privater Unternehmensseite unterschieden. 182 ����������������������������������������������������� D.A.F., Partei und nahestehenden Organisationen und Unternehmungen«.310 Daran änderte sich bis Kriegsende nichts.311 Aufschlussreich ist außerdem die Dauer der Befristung der Gelder, die der Arbeitsbank zuflossen, nämlich deren fast ausschließlich Anlage als Tagesgelder bzw. insgesamt relativ kurz befristete Termingelder (Tabelle 1.3). Wenn die DAF und ebenso andere NS-Organisationen ihre Guthaben auf diese Weise bei der Arbeitsbank unterbrachten, dann war dies für die DAF-Bank nicht ungefährlich. Denn mit den in ihrem Handeln nur begrenzt berechenbaren, oft sprunghaften »charismatischen Verwaltungsstäben« als Gläubigern lief die Arbeitsbank Gefahr, dass von ihren Konten kurzfristig angelegte Gelder plötzlich in großem Umfang abgezogen wurden – während das DAF-Geldhaus selbst in erheblichem Maße gegenüber Kreditnehmern mit langfristig gewährten Geldern festgelegt war. Die Kritik Funks an der Praxis der Arbeitsbank, dass diese einen »erschreckenden Mangel an bankgeschäftlichem Verständnis« zeige, indem sie den für Bankiers eigentlich selbstverständlichen »Grundsatz [verletze], dass die hereingenommenen Gelder [nur] ihrer Fälligkeit entsprechend angelegt werden«, und dass die durch kurzfristige Einlagen ›abgesicherte‹ Gewährung von Krediten mit langen Laufzeiten, wie dies das DAF-Geldhaus praktizierte, erfahrungsgemäß über kurz oder lang »entweder die Bank die Existenz oder, wie 1931 [das] Reich, Riesensummen kosten« würde, war in der Tat nicht von der Hand zu weisen.312 Zwar gelang es der Arbeitsbank, die Einlagen ab 1938 in wachsendem Maße von »Sofortgeldern« auf Drei- bis Zwölf-Monats­gelder umzuschichten.313 Das Grundproblem blieb jedoch. Darüber hinaus blieb das Bankhaus der Arbeitsfront trotz eines steten Wachstums auch sonst ökonomisch abhängig von der DAF sowie den anderen NS-Organisa­tio­nen. Denn um nicht illiquide zu werden, war die Arbeitsbank darauf angewiesen, dass diese aus ihren finanziellen ›Alltagsgeschäften‹ – Beitragseinnahmen, Spenden usw. – immer wieder Tagesund Termingelder ›nachschossen‹. Dies brachte die politischen Organisationen als Gläubiger in eine starke Stellung gegenüber der Arbeitsbank und erlaubte ihnen beispielsweise, auf den einmal gewährten niedrigen Zinsen für Einlagen zu bestehen. 310 Bericht Nr. 12293 der über die bei der Bank der Deutschen Arbeit AG vorgenommenen Prüfung des Jahresabschlusses zum 31. Dez. 1939, Bl. 13 ff., Zitat: Bl. 15, in: BA Berlin, R 8135, Nr. 2406. 311 Vgl. Erläuterungen zum Bericht der Revisions- und Treuhand AG vom 30. April 1945 (wie Anm. 172), Bl. 37. 312 Funk an Ley vom 31. Juli 1941 (vgl. Anm. 109), Bl. 29. 313 Der Anteil der »Sofortgelder« (einschließlich Sieben-Tage-Gelder) unter den von den »Gläubigern« gewählten Anlageformen ging zwischen 1938 und 1942 von 67 % auf 22,9 % deutlich zurück (1943: 27,2 %), ebenso die Drei-Monats-Gelder, deren Anteil von 44,6 % 1938 und 60,5 % 1939 auf 20,3 % 1941 und 21,1 % 1943 sank – während demgegenüber die auf vier bis zwölf Monate angelegten Termingelder von 51,8 % 1938 und 37,6 % 1939 auf schließlich 77,8 % im Jahre 1943 wuchsen. Nach: VB vom 29. April 1944. Vgl. außerdem Bericht der Revisions- und Treuhand AG zum 31. Dez. 1943 (Anm. 222). 183 die banken Verstärkt wurde diese strukturelle Labilität dadurch, dass die Barliquidität des Bankhauses der DAF vergleichsweise niedrig war. Gegen den Trend sank sie zudem während des Krieges weiter, von 4,3 % 1939 über 2,0 % 1942 auf schließlich lediglich 1,2 % im Jahr 1943. Die Barliquidität der Konkurrenten lag deutlich höher und wuchs zudem 1943 gegenüber 1942 signifikant: Bei der Deutschen Bank erreichte sie 1943 5,6 % (1942: 5,1 %) und bei der Dresdner Bank 4,2 % (3,8 %). Einwände gegen eine derart niedrige Barliquidität wischte Lencer als Vorstandssprecher der Arbeitsbank noch auf einer Pressekonferenz Ende April 1944 mit dem politischen ›Argument‹ vom Tisch: »Wir brauchen keine Krücken, meine Herren. Die Giroguthaben bei der Reichsbank sind genauso gut liquide Mittel ersten Grades wie Bargeld!«314 Mit diesem forschen Satz wiederum brachte Lencer zum Ausdruck, dass die Bank der Deutschen Arbeit ihre Gelder überwiegend in Schatzanweisungen und staatliche Papier gesteckt hatte, und zwar noch stärker als die gleichfalls in der Finanzierung der Rüstung wohl oder übel stark engagierte etablierte Konkurrenz. Gleichzeitig blieb der Umfang des Wechsel- sowie des Emissionsgeschäftes (angesichts eines sinkenden Stellenwertes der Börsen ab 1933 wenig überraschend) beim Neu-Ein­steiger Arbeitsbank die gesamte NS-Zeit über gering. Trotz all dieser Unwägbarkeiten durfte sich die Arbeitsbank vergleichsweise sicher fühlen, weil sie mit der DAF die finanzstärkste Organisation des Dritten Reiches hinter sich wusste. Vor allem flossen der Arbeitsfront allein aus den Beiträgen der deutschen Arbeitnehmerschaft kontinuierlich gigantische Geldsummen zu. Zudem konnte sie darauf bauen, dass Ley und die Arbeitsfront im Falle ›fauler Kredite‹ o.ä. einspringen würden. Im Gefolge zunächst des »Frankreichfeldzuges«, der Okkupation weiter Teile West-, Nord- und Südosteuropas sowie schließlich des Überfalls auf die Sowjetunion wandelte sich die Anlagepolitik des DAF-Geldinstituts erneut. Mit »der räumlichen Ausdehnung des Bankgeschäfts unseres Instituts«, hieß es im Jahresbericht für 1941, wuchs »der aufgetretene Kreditbedarf insbesondere bei den Kundschaftskreisen, die mit der Rüstungswirtschaft und der öffentlichen Vorratswirtschaft enger verbunden sind«. Diese Bemerkung zielte darauf, dass der Aufbau der Besatzungsverwaltung und mehr noch die ökonomische Aus314 Vgl. (inkl. der Angaben zur Barliquidität) Deutsche Bergwerks-Zeitung vom 3. Mai 1944. Ley hatte gegenüber Funk in einem Schreiben vom 2. Juli 1941 (in: BA Berlin, R 8120, Nr. 736, Bl. 28-31, hier: Bl. 28 f.) zwar behauptet, dass »hinsichtlich der Liquidität meine Bank an der Spitze der deutschen Banken« stünde. Das entsprach jedoch nicht den von Ley selbst vorgelegten Zahlen. Denn er bezog sich auf die falschen Indikatoren, neben der »Kasse« u. a. auch auf die dramatisch angestiegenen, langfristig angelegten Schatzanweisungen und sonstigen Staatspapiere. Eine solche Argumen­ tation stellt im Übrigen Leys Ghostwritern, vermutlich aus den Reihen der Arbeitsbank, kein gutes fachliches Zeugnis aus. Legt man seine Zahlen zugrunde und bezieht sie auf die Bilanzsumme, erhält man für 1938 eine Barliquidität der Arbeitsbank von 4,1 %, für 1939 von 4,3 % und für 1940 von 2,9 %. Nach wieder anderen Angaben lag die Barliquidität der Arbeitsbank am Jahresende 1939 bei 5,8 %. Vgl. Bericht Nr. 12293 der Revisions- und Treuhand AG zum 31. Dez. 1939 (Anm. 310), Bl. 24. 184 ����������������������������������������������������� dehnung zahlloser deutscher Unternehmen in die von der Wehrmacht eroberten Gebiete den Kreditbedarf enorm erhöhte und auch der Arbeitsbank neue Kunden zutrieb. »Den Kreditwünschen dieser Kunden konnten wir in allen Fällen entsprechen und dadurch jene wirtschaftlichen Kräfte unterstützen, die auf die Errichtung eines ausschlaggebenden Kriegszieles ausgerichtet sind.«315 Engagiert war das Geldinstitut bei der »Vermittlung von Finanzierungen, Auszahlungen von Akkreditiven« vor allem im Osten, aber auch – wenngleich insgesamt schwächer – im Westen, beispielsweise »für Firmen, die Verlagerungsaufträge nach Frankreich gegeben haben«.316 In der Folgezeit änderte sich daran nichts: »Wie bei den anderen Banken tragen bei der Bank der Deutschen Arbeit auch die Erfordernisse der Rüstungs- und öffentlichen Vorratswirtschaft zur Er­höhung der ausgegebenen Kredite bei«, berichtete der »Völkische Beobachter« vom 29. April 1944 beifällig. Die in den ›Abschlussbilanzen‹ vom 31. Dezember 1944 bzw. 30. April 1945 vorgelegten Zahlen über die nach Kreditnehmern aufgefächerten, in Anspruch genommenen (ausgewiesenen) Kredite bestätigen, wie stark sich die Arbeitsbank in dieser Hinsicht engagierte: Während der Anteil der an die im Besitz der DAF befindlichen Unternehmen ausgegebenen Kredite im letzten Kriegsjahr noch einmal deutlich, auf unter zehn Prozent, sank, stieg der Anteil der Gelder an der Gesamtkreditsumme, der für mittelbar und unmittelbar rüstungsrelevante Projekte unterschiedlichster Couleur zur Verfügung gestellt wurde (Tabelle 1.3): Die Kredite für »Unternehmen der Rohstoffversorgung« – d. h. vor allem Projekte, die mit der Erschließung von Erdölfeldern und der Ölförderung oder im Bergbau vor allem der Balkanländer und der besetzten Gebiete der Sowjetunion befasst waren – lag Ende 1944 und im April 1945 bei gut 18 %. Dass sich das ohnehin starke Engagement der Arbeitsbank für »Unternehmen der Rüstung« im letzten Kriegsjahr im Zuge letzter, verzweifelter Anstrengungen, den Zusammenbruch der Diktatur aufzuhalten, noch einmal von 31 % auf gut 42 % erhöhte, kann nicht überraschen. Ein kurzfristig hoher Reingewinn und entsprechende Renditen spielten für die Akteure der Arbeitsbank eine untergeordnete Rolle (Tabelle 1.2). Sie setzten auf eine möglichst rasche Expansion des Unternehmens. Ihr Ziel war, sich möglichst günstig für den Konkurrenzkampf mit den Großen Drei nach dem vermeintlich baldigen »Endsieg« der braunen Diktatur zu positionieren – eine Prämisse, die bis mindestens Anfang 1944 handlungsleitend blieb.317 Für etablierte Banker war dagegen die Rentabilität das entscheidende Kriterium für die 315 Geschäftsbericht der Arbeitsbank für 1941, (Anm. 224). Rs., hier: Bl. 240. Im selben Tenor: ZfF/AWU, Leistungsbericht für 1943 (Anm. 256). 316 »Bank der Deutschen Arbeit: Gläubiger um 108 % erhöht« (o.V.), in: Die Bank 34/1941, Heft 11, S. 221-223, hier: S. 222. 317 Als weiteren Grund für die relativ niedrigen Gewinne ab 1941 führten die Verantwortlichen der Bank die »Gewinnabführungspflicht« an. Vgl. Niederschrift über eine Besprechung in verschiedenen Angelegenheiten der Bank der Deutschen Arbeit AG am 22. Dez. 1943, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 57. 185 die banken betriebswirtschaftliche Effizienz einer Bank. Infolgedessen kann es nicht überraschen, dass ein führender Mitarbeiter der Dresdner Bank in einem Bericht vom 5. Oktober 1944 ein vernichtendes Urteil über die Bank der Deutschen Arbeit fällte. Sein Verdikt von der »Ermangelung wirtschaftlich gebildeter Kräfte« zeugt eher vom Unverständnis, die Gründe für das in mancherlei Hinsicht ganz andere Handeln der Arbeitsbank-Protagonisten nachzuvollziehen. Sein Argument dagegen, es bestünde der »Eindruck, dass der gesamte Personalapparat der Bank teurer ist als bei den üb­ri­gen Banken des privaten und öffentlich-rechtlichen Kreditgewerbes«, weswegen die DAF-Bank »mit der Rentabilität anderer Banken offenbar nicht Schritt gehalten« habe, kann als Hinweis gelten, dass es das Geldinstitut der Arbeitsfront selbst im letzten Kriegsjahr am Willen zu einer strikten Rationa­lisierung fehlen ließ.318 Informationen als Ressource, oder: Bleibend strukturelle Defizite der »Bank der Deutschen Arbeit« Das Verdikt des Dresdner Bank-Repräsentanten blendet im Übrigen eine Personalpolitik aus, die darauf abgestellt war, durch überdurchschnittliche Entlohnung qualifizierte Mitarbeiter anzulocken, um sich den für die rasante Expansion notwendigen Unterbau an Stammpersonal zu verschaffen.319 Unberücksichtigt blieb in diesem apodiktischen Urteil außerdem ein anderer Aspekt. Einen Konkurrenzvorsprung, den die Arbeitsbank kaum aufholen konnte, besaßen die etablierten Geschäftsbanken außerdem nämlich, weil sie traditionell untereinander, aber auch mit den großen Industrieunternehmen engmaschig vernetzt waren. Dies erleichterte ihnen die Akquisition nicht nur von Aufträgen, sondern, wichtiger noch, den Zugriff auf finanz- und wirtschaftspolitisch entscheidende Informationen erheblich. Informelle Netzwerke und der Zugang zur Ressource Information gewannen mit der Ausbildung der stark personalistisch geprägten charismatisch-polykra­ti­schen Hitler-Diktatur zwangsläufig an Bedeutung – da das NS-Herrschaftssystem keine bürgerliche Öffentlichkeit kannte und eingespielte Verwaltungsstrukturen und Informationskanäle ihren Wert verloren. Wie stark die Repräsentanten der Großbanken innerhalb der Oberschicht der reichsdeutschen Wirtschaftselite personell miteinander verflochten waren, macht der Blick auf die Networker sichtbar, für die 1938 die höchste Zentralität in den weit gespannten Netzwerken innerhalb der Elite der einflussreichsten deutschen Bankiers und Industriellen ausgewiesen wurde. Unter ihnen 318 »Bericht betr. Bank der Deutschen Arbeit A.G.« (o.V.), vom 5. Okt. 1944, S. 3 f., in: HStA Dresden VII.6.01, Nr. 6896. Zur Frage der »Ermangelung wirtschaftlich gebildeter Kräfte« vgl. auch Kapitel 9, S. 533 f. 319 Während der Mitarbeiterstamm der etablierten Großbanken kaum wuchs (vgl. Weihe, Personalpolitik, S. 85 f.), verachtfachte sich die Belegschaft der Arbeitsbank zwischen 1933 und 1941/42. Zum Bieterwettbewerb um qualifiziertes Personal, der von der Arbeitsbank ausging, und zu den Gehalts- und Sozialbedingungen in diesem Geldhaus vgl. Kapitel 9, S. 534. 186 ����������������������������������������������������� waren je zwei Repräsentanten der Deutschen, der Dresdner, der Commerzbank und der Berliner Handels-Gesell­schaft. 320 Manager der Arbeitsbank (oder auch anderer DAF-Unternehmen) sucht man unter den Spitzen-Networkern innerhalb der reichsdeutschen Wirtschaftselite dagegen vergeblich. Es habe sich zu keinem Zeitpunkt – heißt es auch in einem namentlich nicht gekennzeichneten »Exposé über die Bank der Deutschen Arbeit A.G. Berlin« Mitte oder Ende 1945 – »irgendein näheres Verhältnis« oder gar ein »Freundschaftsverhältnis« ausgebildet.321 Selbst in den Aufsichtsorganen parteinaher Konzerne wie den Hermann-Göring-, den Wilhelm-Gustloff-Werken oder der Bank der Deutschen Luftfahrt waren sie nicht vertreten – ein Tatbestand, der eine relative politische Isolierung der Arbeitsfront innerhalb des Herrschaftsgefüges der Diktatur sichtbar macht. Diese Stellung der Arbeitsbank als Außenseiter unter den arrivierten Berliner Geschäftsbanken manifestierte sich auch optisch: Das Geldhaus der Arbeitsfront hatte seinen Hauptsitz in der ehemaligen Zentrale des ADGB, in der Wallstraße, abseits des Berliner Bankenviertels am Gendarmen­markt.322 Nach der Kapitulation Frankreichs im Frühsommer 1940 wollte das DAF-Geldin­sti­tut mit den alteingesessenen Banken dann freilich mindestens optisch gleichziehen. Es plante für einen riesigen Gebäudekomplex die existierende Bausubstanz der Grundstücke Unter den Linden 56-60 sowie Schadow- und Mittelstraße unweit des Bankenviertels abzureißen. Speer, als »Generalbauinspekteur für die Reichshauptstadt Berlin« für die Genehmigung von Abrissen und Neubauten zuständig, war zwar grundsätzlich einverstanden.323 Die Kriegsgeschehnisse verhinderten jedoch, dass die DAF ihren Bankenpalast hochziehen konnte. 320 Vgl. Martin Fiedler/Bernhard Lorentz, Kontinuitäten in den Netzwerkbeziehungen der deutschen Wirtschaftselite zwischen Welt­wirtschaftskrise und 1950. Eine quantitative und qualitative Analyse, in: Volker R. Berghahn/Ste­f an Unger/Dieter Ziegler (Hg.), Die deutsche Wirtschaftselite im 20. Jahrhundert. Kontinuität und Modernität, Essen 2003, S. 51-74, bes. S. 65. 321 In: BA Koblenz, Z 45 F, 2/199/8 (Kopie aus den US National Archives). Trotz ­seines rasanten Aufstiegs wurde das Geldhaus der Arbeitsfront weder in die »Stempel­ vereinigung« aufgenommen noch an Konditionalkartellen der etablierten Groß­ banken beteiligt. Auch im »Club von Berlin«, dem (nach Fiedler/Lorentz) wichtigsten reichsweiten Knotenpunkt der wirtschaftselitären Netzwerke, waren Protagonisten der Arbeitsbank nicht vertreten – im auffälligen Unterschied zu ihren etablierten ­Kollegen. Vgl. die Mitgliederverzeichnisse für 1939 und 1944, in: BA Berlin, SAPMO, RY 56, Nr. Außerhalb des Unternehmenskomplexes der Arbeitsfront waren DAFManager lediglich in den Aufsichtsgremien weniger kleinerer oder mittlerer Unternehmen präsent. Vgl. die Kurzbiographien in Kapitel 2. 322 Vgl. Kreutzmüller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 3 f. 323 Vgl. (inkl. Zitat) Speer an »Bank der Deutschen Arbeit« vom 28. Sept. bzw. 16. Nov. 1940, in: BA Berlin, R 3, Nr. 1572, Bl. 61 f. Im Rahmen der »Neugestaltung Berlins« verauslagte die Berliner Stadtverwaltung im Etatjahr 1940 für den Erwerb des Grund­ stückes, das die Arbeitsbank mit ihrer neuen Zentralverwaltung bebauen wollte, mehr als 1,5 Mio. RM (treuhänderischer Grundstückserwerb) – und damit viermal so viel wie für Projekte der NSDAP und fast dreimal so viel wie für Projekte der Allianz oder 187 die banken Dass sie innerhalb des Bankgewerbes tendenziell Paria blieben und von der für Bankgeschäfte auch und gerade im Dritten Reich zentralen Ressource Information seitens der reichsdeutschen Wirtschaftselite abgeschnitten wurden, konnten die Protagonisten der Bank der Deutschen Arbeit bestenfalls begrenzt kompensieren. Kontakte bestanden in Teilbereiche der politischen Sphäre des NS-Regimes hinein. Doch selbst diese sollte man nicht überbewerten. Allein angesichts psychologischer Ungeschicklichkeiten Robert Leys als des eigentlichen Besitzers der Arbeitsbank, dem es regelmäßig gelang, durch ungeschicktes Auftreten und überzogene Machtansprüche auch wohlgesonnene Herrschaftsträger des Regimes gegen sich aufzubringen, konnten diese schnell wieder zerreißen. Der Fokus auf rassistisch segregierte Finanzmärkte Was ihnen an Einbindung in wirtschaftselitäre Netzwerke fehlte, suchten die Manager der DAF-Bank durch eine kaum zu stillende Expansionslust und einen insgesamt aggressiven Geschäftsstil wettzumachen.324 Ein zweites, noch markanteres Markenzeichen der Manager der Arbeitsbank war ein verinnerlichter Rassismus. Zweifelsohne akzeptierten auch die Akteure der ›normalen‹ Großbanken die politisch-ideologischen Rahmenbedingungen, die das NS-Regime setzte – so wie Unternehmen immer die politischen ›Umwelt‹-Bedingungen in ihr ökonomisches Kalkül einbeziehen, so sie erfolgreich agieren wollen. Der Rassismus der Arbeitsbank und ihrer führenden Akteure ging über diesen im Dritten Reich ›ge­schäftsalltäglichen‹ Rassismus jedoch hinaus. Es korrespondierte dem für die Arbeitsfront typischen scharfen Antisemitismus und Rassismus. Sichtbar wird dies an der Art und Weise, wie die Arbeitsbank ihre Geschäftsfelder Richtung Osten ausdehnte. Sie tat dies sozusagen im Gleichschritt mit der Arbeitsfront: In der DAF konnte Mitglied nur werden, wer Reichs- oder mindestens Volksdeutscher war. Diese Kundenklientel hatte auch das Geldinstitut der Arbeitsfront prioritär im Visier. Im Huckepack mit der Arbeitsfront sich in den Osten auszudehnen, hatte für die Arbeitsbank mehrere Vorteile: Erstens wurden Mitgliedsbeiträge der Arbeitsfront durch die Filialen der Arbeitsbank vor Ort – bzw. zunächst über die Kassenstellen der Organisation, die die DAFBeiträge dann an die regionalen Niederlassungen der Bank weiterleiteten – in die Berliner Zentrale der Arbeitsfront transferiert. Zweitens fungierten die DAFFunk­tio­näre wie im »Altreich« so auch in den okkupierten Gebieten gegenüber den Volksdeutschen mittelbar als Werbeträger für die Bank bzw. die Versicherungsunternehmen der Arbeitsfront. Drittens betrat das Kreditinstitut der Arbeitsfront, wie der Völkische Beobachter in einem Artikel vom 29. April 1944 formulierte, im Osten »eine Art kreditwirtschaftliches Neuland«. Die von den Deutschen mit militärischer Brades »Reichsführers SS«. Vgl. Harald Engler, Die Finanzierung der Reichshauptstadt, Berlin 2004, S. 422. 324 Vgl. ausführlich Kapitel 9, S. 543-555. 188 ����������������������������������������������������� chialgewalt eroberten osteuropäischen Länder galten als »wirtschaftlich noch weitgehend unerschlossen«. Sie besäßen »infolgedessen einen ganz andersartigen Kreditbedarf wie sonstige Teile des Großdeutschen Reiches«. Dass sich die Arbeitsbank »ein Tätigkeitsfeld von beträchtlichem Ausmaß in Gebieten, die mitten im wirtschaftlichen Aufbau begriffen sind«, erschloss, wertete der ano­ nyme Autor als »Vorteil«. Diese etwas wolkigen Bemerkungen des Völkischen Beobachters bezogen sich nicht nur auf den Aufbau einer Infrastruktur der deutschen Okkupanten und den Umbau der Wirtschaft der besetzten Länder auf die reichsdeutschen Bedürfnisse hin. »Erschließung« meinte noch mehr. Auffällig war nämlich, wie Christoph Kreutzmüller und Ingo Loose in ihrer Untersuchung beobachtet haben, dass das DAF-Bankhaus »besonders dort eine erhöhte Aktivität [entwickelte], wo der Prozess der ›Eindeutschung‹ bzw. Germanisierung bereits eingeleitet« worden war oder in nächster Zukunft zu erwarten stand.325 Das ist oben im Zusammenhang mit dem Großkredit über 100 Mio. RM von November 1939 bzw. März 1940 an die SS und Himmler, mit dem diese ihre Siedlungsaktivitäten im »Ostland« – dem »Generalgouvernement«, den baltischen Staaten und schließlich den besetzten Gebieten der Sowjetunion – finanzieren wollten, ausführlich skizziert worden, ebenso, dass es kein Zufall war, wenn sich die Arbeitsbank an diesem Konsortialkredit herausragend exponierte und ihn zudem als Türöffner nutzte, der dem DAF-Geldhaus den Aufbau neuer Geschäftsbeziehungen ermöglichte. Im Westen wiederum nahm die Arbeitsbank neben den für die Germanisierungspolitik zuständigen Institutionen sowie den »volksdeutschen« Bevölkerungsgruppen auch nach rassistischen Kriterien ›benachbarte‹ Bevölkerungsschichten in den Fokus – wie der Erwerb und Ausbau namentlich der »Westbank N.V. (Banque de l’Ouest S.A.)« sowie der »Bank voor Nederlandsche Arbeid NV« illustrieren. Angesichts der vom NS-Regime geplanten rassistischen ›Neuordnung‹ Ost­ europas, die unter der Federführung der SS bereits ab Ende 1941 ja auch tatsächlich begonnen wurde, liefen die handlungsleitenden Ideologeme der Akteure der Arbeitsbank längerfristig ihrem ökonomischen Kalkül parallel: Nur die volksdeutsche oder »artverwandte« Bevölkerung hätte nach den Intentionen der NS-Groß­raum­planer über ein so hohes Einkommen verfügt, dass sie einen Teil davon ansparen konnte oder als Kreditnehmer überhaupt in Frage kam. Diesem Kundenkreis habe »unsere Bank [deshalb] auch im [vergangenen] Jahr ein besonderes Augenmerk geschenkt«, bemerkte Strauch Anfang 1944 zufrieden.326 Eine solche Verknüpfung von ökonomischen, politischen und ideologischen Gesichtspunkten und eine entsprechende Geschäftspraxis bestimmte – in je modifizierter Form – das Handeln der Protagonisten auch der anderen Teile des DAF-Wirtschafts­impe­riums, nicht zuletzt der Akteure der zweiten großen finanzwirtschaftlichen Säule des Konzerns: seiner Versicherungsunternehmen. 325 Kreutzmüller/Loose, Bank der Deutschen Arbeit, S. 19. 326 ZfF/AWU, Leistungsbericht für 1943 (Anm. 256). 189 4. Die Versicherungsgruppe 4.1. Rahmenbedingungen und die Stellung von Volksfürsorge und Deutschem Ring in ihrer Branche Sucht nach Sicherheit Wenn die Geschichte des Versicherungskonzerns der Arbeitsfront von der Führung der DAF bis 1943 gleichfalls als Erfolgsgeschichte verbucht werden konnte, dann lag dies auf einer grundsätzlichen Ebene wesentlich daran, dass die »Suche nach Sicherheit« (Eckart Conze) nicht erst mit der deutschen Trümmergesellschaft der letzten Kriegsjahre sowie der Nachkriegszeit einsetzte. Ungeachtet aller Identifikation wohl der Mehrheit der Deutschen mit den außenpolitischen ›Erfolgen‹ des NS-Regimes, ungeachtet auch aller Identifikationen mit der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« sowie aller vielschichtigen Partizipa­ tionen breiter Schichten der reichsdeutschen Bevölkerung an der NS-Herrschaft war der Wunsch nach einer materiell abgesicherten individuellen und familiären Existenz unübersehbar. Angesichts eines Erfahrungshorizonts der Zeitgenossen, denen die Notzeiten des Ersten Welt­kriegs, die Revolution, die anschließende Demobilisierung, die galoppierende Inflation und die Weltwirtschaftskrise gegenwärtig waren, war dieser Wunsch nur allzu verständlich. Die Kette an Krisenerfahrungen und der Albtraum existentieller Unsicherheit bedingten geradezu eine Sucht nach Sicherheit. Diese Sucht nach Sicherheit suchten das NS-Regime und ebenso Organisationen wie die DAF zu bedienen,1 indem sie ein kommendes ›Goldenes Zeitalter (auch) der Sicherheit‹ suggerierten, das freilich bellizistisch grundiert war. Bereits die Friedensrhetorik Hitlers, mit der dieser bis 1939 seine aggressiven Kriegspläne zu vertuschen suchte, zeugt indirekt von der Sehnsucht der Zeitgenossen nach Sicherheit – die gleichzeitige Weltmachtträume und -illusionen keineswegs ausschloss. Den Wünschen der »Volksgenossen« nach materieller Sicherheit suchte das NS-Regime auf den unterschiedlichsten Ebenen entgegenzukommen. Eine zen1 Wenn, wie Eckart Conze (Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart, München 2009, S. 15 ff.) beobachtet hat, alle Bundesregierungen und alle größeren Parteien die Parole »Sicherheit« zum zentralen Schlagwort ihrer Politik gemacht haben, dann beruhte dies wesentlich auf den Bedürfnissen der Zeitgenossen und ihren Prägungen durch die Kette von Krisen und Katastrophen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als Einführung in die Geschichte des deutschen Versicherungswesens vgl. z. B. Peter Borscheid, Mit Sicherheit leben. Zur Geschichte und Gegenwart des Versicherungswesens, in: Studies in Contemporary History/Zeithistorische Forschungen, Online-Ausgabe 7 (2010), Heft 2, http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Borscheid-2-2010. Symptomatisch ist, dass (auch) in diesem Aufsatz die Zeit des Dritten Reiches ausgeklammert bleibt. 190 rahmenbedingungen trale Rolle spielte hier der Wirtschaftszweig, der sich als »Versicherung« bereits mit dem Branchennamen anbot. In vorderster Front standen (auch) hier nicht zufällig DAF-Un­ternehmen. Wie die meisten anderen DAF-Unternehmen – und stärker als andere Unternehmen dieser Branche – bewegten sich die beiden Versicherungsgesellschaften der Arbeitsfront dabei in einem eigentümlichen Spannungsfeld: Einerseits sollten sie als ›volksgemeinschaftliche Dienstleister‹ fungieren (wie dies in der Einleitung skizziert wurde); andererseits blieben sie den im Dritten Reich weiter bestehenden marktwirtschaftlichen Prinzipien verpflichtet. Dieser Spannungszustand war Zeitgenossen wohlbewusst, sie thematisierten ihn auch öffentlich. So wurde in einem namentlich nicht gezeichneten Artikel in der »Deutschen Volkswirtschaft« aus dem Jahre 1936 von einem »Dienst am Versicherungsnehmer« gesprochen, den die beiden Unternehmen der Arbeitsfront »trotz Beobachtung kaufmännischer Grundsätze« leisten würden. Volksfürsorge wie DR-Versi­cherungen strebten mit aller Kraft danach, den der DAF übertragenen Aufgaben, namentlich der Herstellung einer »Volks-« und »Leistungsgemeinschaft in jeder Beziehung gerecht« zu werden – bei gleichzeitiger »Wahrung aller Grundsätze eines fairen Wettbewerbs«.2 Und in einer auflagenstarken DAFBroschü­re war wenige Wochen vor Kriegsbeginn zu lesen, dass, wie der gesamte Arbeitsfront-Konzern, so auch die Versicherungsgesellschaften der Organisation »die Schaffensfreude der Einzelnen« erhöhen sollten. Volksfürsorge und Deutscher Ring hatten deren »restlosen Einsatz für die wirtschaftlichen Ziele von Volk und Staat« zu erleichtern, indem sie den »schaffenden Volksgenossen« die Sicherheit gaben, dass »das Eigentum und die Versorgung der Angehörigen sichergestellt« sei.3 Nicht zuletzt auf diesen Spannungszustand, nämlich einerseits im Rahmen der weiterhin bestehenden Marktwirtschaft handeln zu müssen und andererseits als rassistisch segregierende »volksgemeinschaftliche Dienstleister« agieren zu sollen, wird in den folgenden Passagen einzugehen sein, ebenso außerdem auf die Funktion von Volksfürsorge und DR-Versicherungen, den sozialpolitischen Plänen der Arbeitsfront Nachdruck zu verschaffen. Alle Zweige der DAF-Versicherungsge­sellschaften sind der Gruppe der privaten Versicherungen zuzurechnen – auch die Krankenversicherung des DHV. In ihrem Geschäftsgebaren unterschieden sie sich in vielerlei Hinsicht kaum von ihren Konkurrenten. Wie ›normale‹ Unternehmen der Versicherungsbranche fungierte auch der DAF-Versiche­rungs­kon­zern de facto als »Kapital­samm­ler« für den Staat. Er trug so zur Finanzierung der forcierten Aufrüstung, später dann der Krieg­f ührung NS-Deutsch­lands bei, und unterschied sich von seinen Konkurrenten dabei höchstens durch (noch) größeren Eifer. Auch Aspekte, die man auf den ersten Blick als Indiz für eine Sonderstellung des Konglomerats an DAF-Versicherungsgesellschaften innerhalb der Branche werten mag, stellen sich bei näherer Betrachtung nicht als Ausnahmen heraus. So 2 R., Die Versicherungsgesellschaften der DAF, in: Deutsche Volkswirtschaft 5/1936, S. 651 f., Zitat: S. 651. 3 ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 15. 191 die versicherungsgruppe könnte man besonders enge Beziehungen der Unternehmensgruppe zu den 1934 geschaffenen Organen der nationalsozialistischen »Selbstverwaltung der Wirtschaft« vermuten. Tatsächlich waren die Versicherungsunternehmen der Arbeitsfront erst durch den »Alten Kämpfer« Andreas Brass, der ab Anfang 1937 für zwei Jahre als Leiter der Wirtschaftsgruppe »Privatversicherung« amtierte und seit der »Machtergreifung« der Ende 1938 aufgelösten, bis 1933 christ-gewerkschaftlichen »Deutschen Lebensversicherung« als Generaldirektor vorstand,4 sowie später durch den ›starken Mann‹ der Deutscher Ring-Versicherungen Rudolf Kratochwill5 führend in den Gremien der einschlägigen Selbstverwaltung der Wirtschaft vertreten. Kratochwill, der bereits vor 1933 enge Kontakte zu Nationalsozialisten hatte und im rechtselitären Milieu der späten Weimarer Republik bestens vernetzt war,6 wurde im letzten Vorkriegsjahr sogar die Leitung der Wirtschafts4 Brass (1894-?) war ab 1913 zunächst Volontär bei der Bayerischen Versicherungsbank und nahm ab 1915 bis zu einer Verwundung 1917 am Ersten Weltkrieg teil. Seit 1922 war er im Außendienst tätig, seit 1928 als Ober-Inspektor und ab 1931 als Bezirksdirektor der Bayerischen Versicherungsbank. Politisch wurde Brass unmittelbar nach der Novemberrevolution in einer rechtsextremistischen »Einwohnerwehr« aktiv. Im Nov. 1923 nahm er am Münchner Hitler-Putsch teil; Anfang Juli 1925 wurde er Mitglied der NSDAP. 1925/26 und erneut ab 1930 war er (ehrenamtlicher) NSDAP-Ortsgrup­penleiter des kleinen oberbayerischen Marktfleckens Kirchseeon im Kreis Ebersberg; von 1932 an war er bis zu seinem Umzug in die Reichshauptstadt im Febr. 1934 NSDAP-Kreisleiter für Ebersberg. Von 1934 bis 1937 leitete er die Berliner NSDAP-Ortsgruppe Fehrbellin; im Mai 1937 wurde er zum »Kreisleiter z.b.V.« ernannt. Unabhängig davon fungierte Brass seit Mai 1933 als Beauftragter der DAF für die bayerischen Verbrauchergenossenschaften, ehe er im Herbst 1933 dann zum Direktor (seit 1936: Generaldirektor) der Deutsche Leben ernannt wurde. Von Mitte Jan. 1937 bis 1939 stand er der Wirtschaftsgruppe »Privatversicherungen« sowie gleichzeitig dem Reichsverband der Privatversicherung e.V. vor. Daneben gehörte Brass dem Beirat des Reichsaufsichtsamts für Privatversicherung, der Akademie für Deutsches Recht sowie der Kommission für Wirtschaftspolitik der Reichsleitung der NSDAP an. Seit 1937 war er ferner Standartenführer, später Oberführer des NSKK. Zu seinem weiteren Lebenslauf vgl. unten, Anm. 18. 5 Kratochwill (1898-1974), der nach dem Ersten Weltkrieg an der Deutschen Technischen Hochschule in Brünn Versicherungsmathematik studiert hatte, gehörte als leitender Versicherungsmathematiker bereits seit 1928 (nach anderen Angaben: 1930) dem Vorstand der DR-Versicherungen an, ehe er 1935 zum Vorstandsvorsitzenden und Generaldirektor dieses DAF-Unternehmens bestimmt wurde. Zu den biographischen Informationen über Brass, Kratochwill usw. vgl. neben den einschlägigen biographischen Handbüchern Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 146 ff., 157 ff. Nach dem Zweiten Weltkrieg wechselte Kratochwill in den Gerling-Konzern und gehörte auch dort – bis zu seiner Pensionierung – dem Vorstand an. 6 So gehörte Kratochwill seit Frühjahr 1932 der rechtselitären »Gesellschaft zum Studium des Faschismus« als ordentliches Mitglied an, einem zentralen organisatorischen Scharnier zwischen dem altelitären Rechtsextremismus und dem bürgerlichen Nationalsozialismus, dem Carl Eduard Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha sowie Waldemar Pabst vorstand, der als eine Art ›Graue Eminenz‹ des Weimarer Rechtsextremismus u. a. für die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts verantwortlich war. Zu den knapp hundert durch den Sachsen-Herzog handverlesenen »ordentlichen Mitgliedern« und noch einmal gut hundert »Studienmitgliedern« dieser illustren Gesellschaft gehör- 192 rahmenbedingungen gruppe Lebens- und Krankenversicherung übertragen. Indessen fallen diese Führungspositionen keineswegs aus dem üblichen Rahmen. Die Konzerne waren in den jeweiligen Wirtschafts- bzw. Fachgruppen aller Industriezweige tendenziell entsprechend ihrer Größe personell repräsentiert. Und innerhalb der Versicherungsbranche war der DAF-Konzern nun einmal mit weitem Abstand vor den nächstfolgenden Unternehmen der zweitgrößte Konzern im Deutschen Reich. Kratoch­will in der Hierarchie der ›Wirtschaftlichen Selbstverwaltung‹ übergeordnet war Eduard Hilgard. Hilgard war als herausragender Repräsentant der größten deutschen Versicherungskonzerns, der Allianz, Leiter der den Wirtschafts- und Fachgruppen übergeordneten Reichsgruppe Versicherungen und blieb dies auch. Versuche, ihn durch Kratochwill abzulösen, scheiterten. Keine Verstaatlichungspläne Ähnlich wie im Bankgewerbe lassen sich auch für die Politik gegenüber der Versicherungswirtschaft ab 1933 keine spezifisch faschistischen oder nazistischen Prägungen erkennen – es sei denn, dass man den unbedingten Wirtschaftliberalismus hoher und höchster NS-Funktionsträger als Eigentümlichkeit interpretiert. Der Diktator selbst hatte Anfang Dezember 1938 mit Blick auf das – seit langem immer wieder Forderungen nach verstärkter staatlicher Aufsicht ausgesetzte7 – Versicherungswesen eindeutig und grundsätzlich erklärt, dass »von einer Verstaatlichung in absehbarer Zeit keine Rede sein könne und dass jede Diskussion über diese Frage in Zukunft zu unterbleiben habe«.8 Dieser Pfad wirtschaftsliberaler Tugend wurde selbst dann nicht verlassen, als massivere staatliche Interventionen angesichts einer Krise, die die Versicherungswirtschaft ins Mark ten u. a. Hermann Göring, Walther Funk, der spätere Chef der Reichs­kanzlei Hans Lammers, sowie der Staatssekretär im Reichsinnenministerium Hans Pfundtner. Vgl. »Berichtigungen zur vorläufigen Liste der ordentlichen Mitglieder« der Gesellschaft, Stand 10. Mai 1932, sowie vorläufige Mitgliederliste vom Juni 1932, in: BA Berlin, R 72, Nr. 73, Bl. 116, 149-156, bzw. R 72, Nr. 260, Bl. 131-138. Zur Geschichte dieser Organisation vgl. Manfred Wichmann, Die Gesellschaft zum Studium des Faschismus. Ein antidemokratisches Netzwerk, in: Bulletin für Faschismus- und Weltkriegsforschung, Heft 31/32, 2008, S. 72-104. 7 Zur Verstaatlichungsdiskussion bis 1931, die auch auf der Rechten unter dem Schlagwort des »Gemeinnutzes« bzw. »Gemeinwohles« Anhänger gefunden hatte, vgl. André Botur, Privatversicherung im Dritten Reich. Zur Schadensabwicklung nach der Reichskristallnacht unter dem Einfluss nationalsozialistischer Rassen- und Versicherungspolitik, Berlin 1995, S. 23-31. Forderungen von NS-Seite nach einer partiellen Verstaatlichung der privaten Versicherer verstummten spätestens 1934/35. Vgl. ebd., S. 34 f. 8 Dieser Entscheid Hitlers kam zustande, nachdem Göring einflussreiche Repräsentanten der Versicherungswirtschaft, nämlich Brass, Hilgard, Schmitt und den pommerschen NSDAP-Gauleiter Franz Schwede-Coburg (der Anfang 1938 zum Leiter der Wirtschaftsgruppe öffentlich-rechtliche Versicherungen ernannt worden war) sowie Hans Goebbels (Anm. 14) zu einer Besprechung über Reformen des Versicherungswesens eingeladen hatte. Im vorstehenden Zitat ist der Entscheid Hitlers durch Göring zusammengefasst. Nach: Botur, Privatversicherung, S. 56. 193 die versicherungsgruppe erschütterte, eigentlich nahegelegen hätten: Trotz des Zusammenbruchs der riesigen, europaweit tätigen, in Wien ansässigen Phönix Lebensversicherungsgesellschaft Anfang 1936, der in zahlreichen anderen Ländern den Ruf nach Nationalisierung des Versicherungsgewerbes laut werden ließ, stand in Deutschland die Verstaatlichung der Versicherungswirtschaft zu keinem Zeitpunkt ernsthaft zur Debatte. Die führenden Nationalsozialisten erwiesen sich als prinzipienfeste Anhänger einer freien Marktwirtschaft. Der Tatbestand, dass der weit überdurchschnittlich expandierende Versicherungskonzern der Arbeitsfront, der sogar dem Marktführer Allianz immer mehr an Größe nahe zu kommen schien, furchteinflößend wirkte und mancher Konkurrent zeitweilig markige Sprüche der maßgeblichen Akteure aus den Reihen der DR-Versicherung und der Volksfürsorge als Bedrohung empfand, ändert daran nichts. Wenn Hilgard Ende 1936 vor dem »mächtigen Block der Deutschen Arbeitsfront [warnte], der, wie Sie alle wissen, einen außerordentlichen Betätigungsdrang hat«,9 dann stand dahinter die Angst der etablierten Gesellschaft vor einem sich aggressiv gebärdenden Newcomer. Schwer kalkulierbar war freilich dessen Nähe zur Arbeitsfront. Früh einsetzende Überlegungen der Arbeitsfront für eine nach nationalsozialistischen Kriterien erneuerte staatliche Sozialpolitik nährten zweifellos in starkem Maße Ängste auch vor dem DAF-Versiche­rungskonzern. Virulent wurden diese in den ersten Jahren nach Kriegsbeginn. Alarmiert waren die privaten Krankenversicherungsgesellschaften allerdings weniger durch die Pläne Leys aus dem Jahre 1940/41, ein staatliches »Gesundheitswerk« aus der Taufe zu heben.10 Bedrohlicher war in ihren Augen, dass die Reichsregierung 1941 beschloss, die Sozialversicherungspflichtgrenze von 3.600 RM auf 7.200 RM Jahreseinkommen zu verdoppeln – und damit den privaten Krankenversicherern Kunden abspenstig zu machen. Die Befürchtung, ihr könne dadurch ökonomisch das Wasser abgegraben werden, verflüchtigte sich freilich bald. Der Lobby-Arbeit des Krankenversicherungsgewerbes war es zu verdanken, dass die Sozialversicherungspflichtgrenze lediglich in Österreich und den Sudeten erhöht wurde, im »Altreich« dagegen auf dem alten Niveau blieb. Die DAF-Führung hatte die Pläne zur Verdoppelung der Sozialversicherungspflichtgrenze, mit der wiederum ältere, weit in die Zeit vor 1933 zurückreichende Forderungen der gesetzlichen Krankenkassen aufgegriffen wurden, mitgetragen. Zudem hatte sie deren Ausdehnung auf die Selbständigen und Handwerk und Handel verlangt und all diese Überlegungen zu einem (insgesamt freilich untergeordneten) Bestandteil ihres Gesundheitswerkes gemacht. Dass sich die Arbeitsfront-Führung damit unter den privaten Krankenversicherern keine 9 Hilgard am 2. Dez. 1936, nach: Gerald D. Feldman, Die Allianz und die deutsche Versicherungswirtschaft 1933-1945, München 2001, S. 203. Vgl. auch Hans-Jörg Ehler, Der Reichsverband der Privatversicherung – eine Chronik der Ereignisse und Entwicklungen, Karlsruhe 2009, S. 120. 10 Zum Gesundheitswerk der DAF vgl. vor allem Recker, Sozialpolitik, S. 123-128. 194 rahmenbedingungen Freunde machte, stand zu erwarten, nicht dagegen, dass sie auch scharfen Widerspruch in den eigenen Reihen erntete. Wortführer der Opponenten innerhalb des DAF-Komplexes war August Schneider, Direktor und Vorstandsmitglied der Krankenversicherung des Deutschen Ringes und zugleich ein führender Funktionär in der Wirtschaftsgruppe Krankenversicherung.11 Schneider wollte den privaten Krankenversicherern auch fernerhin genügend Raum zur Entfaltung lassen.12 Die Kontroverse ging aus wie das Horn­berger Schießen. Anfang 1942 entschied Hitler, das Gesundheitswerk zu vertagen – und mit diesem die Entscheidung über eine Anhebung der Sozialversicherungspflichtgrenze. Ein weiterer Faktor, der die Furcht vor dem »mächtigen Block der Deutschen Arbeitsfront« schürte, war nach 1938 schließlich die oftmals gute Beziehung dieses »Blocks« zu den für die Konzessionierung, die Übernahme von Versicherungsgesellschaften etc. wichtigen politischen Stellen. Hier gilt freilich, was bereits für die Arbeitsbank konstatiert wurde: Auch die anderen großen Gesellschaften der Versicherungsbranche waren emsig – und oft erfolgreich – um gute Kontakte zu den entsprechenden Behörden bemüht. Für sie hatte überdies die polykratische Struktur des Hitler-Regimes ihr Gutes: Institutionen des Regimes und ebenso die NS-Organisationen, die in den politischen Arenen mit der Arbeitsfront konkurrierten, zeigten sich nur zu gern bereit, gerade die Konkurrenzgesellschaften der Volksfürsorge und des Deutschen Ringes zu stützen, um die politische Macht der DAF nicht auch noch ökonomisch zu unterfüttern. (Darauf wird zurückzukommen sein.) Aggressive rhetorische Attacken von Vertretern der Arbeitsfront schließlich verweisen letztlich nur auf die traditionelle Außenseiterstellung von Volksfürsorge und Deutschem Ring. Das Verhältnis zwischen den privaten Versicherern auf der einen und vor allem der freigewerkschaft­lichen, dem Prinzip der Selbsthilfe verpflichteten und in ausdrücklicher Abgrenzung zu den privaten Versicherern gegründeten Volksfürsorge auf der anderen Seite war immer schon – weit vor 1933 – angespannt gewesen. Die Volksfürsorge stand bei privaten Versicherern seit jeher unter Sozialismus-Verdacht. Nach der NSMacht­erobe­rung veränderten sich zwar die politischen Vorzeichen. Die Abneigung der Privaten gegenüber der aus der Arbeitnehmerbewegung stammenden Konkurrenz erhielt sich jedoch. Bemühungen, dieses von Distanz und Misstrauen geprägte Verhältnis zu entspannen, blieb der Erfolg versagt. So änderte ein Abkommen zwischen dem Reichsverband der deutschen Privatversicherungen und der Arbeitsfront von Anfang 1934, in dem sich Ersterer namens seiner Mitglieder verpflichtete, die 11 Nach Ingo Böhle (Private Krankenversicherung [PKV] im Nationalsozialismus, Unternehmens- und sozialgeschichtliche Studie unter besonderer Berücksichtigung der Deutschen Krankenversicherung (DKV), Frankfurt a. M. 2003, S. 176) war Schneider (1878-?) sogar Leiter der Wirtschaftsgruppe Krankenversicherung. In »Wer leitet« von 1942/42 (S. 889) wird Schneider nur mit seiner Vorstandsfunktion in der DR-Krankenversicherung aufgeführt. 12 Böhle, PKV, S. 176 f. 195 die versicherungsgruppe Volksfürsorge nicht mehr als »marxistisch« zu verunglimpfen, und die Arbeitsfront ihrerseits einen fairen Wettbewerb versprach, am gespannten Verhältnis zwischen den DAF-Versiche­rungs­gesellschaften und der etablierten privatwirtschaftlichen Konkurrenz wenig.13 Dasselbe gilt für eine Übereinkunft, die die DAF-Versicherungen mit den öffentlich-recht­lichen Versicherungsanstalten und dem Verband der Generalagenten im Dezember 1936 abschloss, die neben der Festschreibung der Besitzstände ein Abwerbungsverbot vorsah. Da sich keine einzige der großen privaten Versicherungsgesellschaften diesem Abkommen »für einen gesunden und freundschaftlichen Wettbewerb« anschloss, blieb es wirkungslos.14 Dies wiederum konnte der DAF und ihren Versicherungsgesellschaften letztlich nur recht sein. Ähnlich wie der Außendienst der Arbeitsbank suchten auch die zunächst 20.000 und schließlich weit mehr als 30.000 Vertrauensleute der Volksfürsorge sowie der (kleinere) Außendienst des Deutschen Rings neue Kunden zu akquirieren, indem sie suggerierten, sie kämen von der Partei und eine Versicherung bei einer der beiden DAF-Gesellschaften sei für Mitglieder der Arbeitsfront verpflichtend.15 Darüber hinaus profitierten die Versicherungsunternehmen der DAF von den Repressions­maßnahmen des NS-Regimes. Dies war z. B. der Fall, als das Reichswirtschaftsministerium unter dem neuen Minister Walther Funk und das Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung 1938 im Zuge des nationalsozialistischen »Kirchenkampfes« daran gingen, konfessionelle Versicherungsunternehmen unter Druck zu setzen. Jene verschwanden zwar nicht, aber sie änderten ihren Namen und ›entkonfessionalisierten‹ sich, indem sie Geistliche aus ihren Gremien verbannten – und aufgrund der Lockerung ihrer Verankerung in den konfessionellen Milieus wohl auch einen Teil ihres Kundenstammes an die ›Volksversicherer‹ der DAF verloren.16 Eine aggressive Kundenwerbung und die enge Verflechtung mit der Arbeitsfront ändern nichts daran, dass die Existenz der beiden DAF-Versi­ cherungsgruppen und deren wachsendes ökonomisches Gewicht für die private Versicherungswirtschaft letztlich sogar von politischem Vorteil war. Deutscher Ring wie Volksfürsorge waren eine Art politische ›Rückversicherung‹: Solange diese Unternehmen prosperierten, war es eher unwahrscheinlich, dass wie auch immer geartete Überlegungen zu einer Verstaatlichung der Privatversicherer in der Arbeitsfront auf ungeteilte Zustimmung stoßen würden. Sie hätten ohnehin 13 Vgl. Feldman, Allianz, S. 122; Ehler, Reichsverband, S. 100. 14 Zu diesem nach Hans Goebbels (einem Bruder des Reichspropagandaministers, der seit 1933 der Rheinischen Provinzialversicherungsanstalt/Düsseldorf vorstand) sowie dem DAF-Repräsentanten und Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Lebensversicherung Andreas Brass benannten G.-B.-Ab­kommen, das auch die Entlassung sämtlicher verbliebener jüdischer Angestellter vorsah, vgl. Botur, Privatversicherung, S. 54, 62 ff., 94 f.; ferner Feldman, Allianz, S. 212 f.; Böhle, PKV, S. 81; ders., Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 66; Ehler, Reichsverband, S. 118. 15 Vgl. unten sowie neben den dort genannten Belegen allgemein: Feldman, Allianz, S. 121 f. 16 Vgl. Böhle, PKV, S. 75. 196 rahmenbedingungen dem Prinzip einer ungehindert »freien Wirtschaft« widersprochen, wie es alle maßgeblichen Vertreter des NS-Regimes, darunter nicht zuletzt die führenden Repräsentanten der Arbeitsfront, immer wieder artikulierten. Selbst Andreas Brass, der als ursprünglich der SA nahestehender »Alter Kämpfer« eine »diffus antikapitalistische Zielrichtung« verfolgte17 und sich deshalb Mitte 1939 mit Robert Ley überwarf,18 ehe er wegen ›defätistischer‹ Äußerungen Mitte September 1942 schließlich aus der Partei ausgeschlossen wurde,19 stellte Ende Februar 1938 vor dem Beirat der Wirtschaftsgruppe Privatversicherungen apodiktisch fest, »dass er grundsätzlich und restlos auf dem Boden der privaten Versicherungswirtschaft stehe und jede Kollektivisierung [!] ablehne«.20 17 So zutreffend Botur, Privatversicherung, S. 52. 18 Brass berichtete, dass er 1938 mit Ley »eine Auseinandersetzung« gehabt und ihn dieser »dermaßen angebrüllt [habe], dass ich überhaupt nicht zu Worte kam und mich auch nicht rechtfertigen konnte«. Gegenüber Dritten habe Brass (sicherlich zutreffend) Ley als »Radfahrernatur« bezeichnet, der nach oben buckele und nach unten trete. Hauptverhandlung des Obersten Parteigerichts (OPG) vom 20. März 1942, in: BA Berlin (BDC) OPG 109. In anderem Zusammenhang interpretierte Brass selbst seinen »Sturz als Sieg der Versicherungswirtschaft ›als solcher‹«. Erklärung von Andreas Brass vom 17. April 1939 (Abschrift), S. 4, in: ebd., PK B 0039. Nach seiner Entlassung war Brass zwei Jahre erwerbslos. 1941 übernahm er dann kommissarisch die Verwaltung einer Lebensmittelgroßhandlung in Posen. In dieser beruflichen Funktion avancierte er zum »Betriebsobmann des Warthegaues für den Lebensmittelgroßhandel« und des »Fachschaftshandels für den Zuckergroßhandel«, ehe der Parteiausschluss ihn vermutlich erneut erwerbslos werden ließ. 19 Vgl. Eröffnungsbeschluss des OPG gegen Brass vom 13. März 1942, Hauptverhandlung vom 20. März 1942 (Anm. 18). Am 12. Febr. 1943 wurde Brass außerdem aus dem NSKK ausgeschlossen, in dem er von 1937 bis dahin als »Oberführer« fungiert hatte. Vgl. BA Berlin (BDC) PK 0039. 20 Nach: Feldman, Allianz, S. 214. Symptomatisch und zugleich eine Ironie der Geschichte war es, dass Brass Anfang 1939 alle Ämter im DAF-Konzern und in der Selbstverwaltung der Wirtschaft niederlegen musste, weil der Arbeitsfront-Führung um Ley dieses Bekenntnis nicht weit genug ging. Nach eigenem Bekunden forderte Brass, »in der Versicherungswirtschaft den Dienst an der Volksgemeinschaft in stärkerem Maße durchzusetzen, als es früher zutraf«. Erklärung von Andreas Brass vom 17. April 1939 (Abschrift), S. 3, in: BA Berlin (BDC) PK B 0039. Diese Forderung wurde als sozialistische Tendenz gewertet und führte zur auch persönlichen Isolierung von Brass. Hinzu traten »persönliche Differenzen mit meinem Aufsichtsratsvorsitzenden, Amtsleiter Strauch«. Brass an Himmler vom 4. Nov. 1939, in: ebd. 197 die versicherungsgruppe Moderate Modernisierungen – zu den Veränderungen der Rahmenbedingungen für die Versicherungswirtschaft Substantielle Veränderungen innerhalb des Versicherungssektors wurden – über die mit dem verniedlichenden Begriff »Arisierung« bezeichnete und (neben dem Bankensektor) im Versicherungsgewerbe besonders gravierende Beraubung und Verdrängung der Juden hinaus – nicht nach ideologischen Leitlinien vorgenommen, sondern waren durch grundlegende strukturelle Wandlungen des ökonomisch-gesellschaftlichen Umfeldes bedingt. Sie lagen im Zug der Zeit. Besonders markant in dieser Hinsicht war die Entwicklung der Fahrzeugversicherung. Seit Mitte der zwanziger Jahre begann die Automobilindustrie zu prosperieren, allerdings nur langsam; denn die Deutschen waren – im Unterschied zu den USA, abgeschwächt aber auch zu Großbritannien – kein ›Volk von Autofahrern‹, sondern eines von Motorradfahrern. Immerhin verdreifachte sich zwischen 1929 und 1938 der Bestand an PKW auf deutschen Straßen; die bereits Ende der zwanziger Jahre hohe Zahl der Krafträder sollte sich während dieses Zeitraumes freilich erneut mehr als verdoppeln. Die Folge dieser massiven Zunahme motorgetriebener Fahrzeuge war, dass sich die Struktur vor allem des städtischen Verkehrs völlig veränderte. Automobil und Kraftrad bestimmten weit stärker als zuvor das Straßenbild. Die Verkehrsteilnehmer einschließlich Fußgänger und Fahrradfahrer hatten Probleme, sich an die neuen Verhältnisse zu gewöhnen. Die Zahl der Unfälle und mit ihnen die der Schadensfälle stieg drastisch an. Der Staat reagierte auf diese Entwicklung mit einer Reihe gesetzlicher und administrativer Maßnahmen. Mit der Reichsstraßenverkehrsordnung vom 28. Mai 1934 wurden die Verkehrsordnungen in Deutschland überhaupt erst vereinheitlicht. Im selben Jahr wurde der Kraftfahrzeugbrief eingeführt. Drei Jahre später erklärten die zuständigen Behörden der Unsicherheit auf den reichsdeutschen Straßen den »totalen Krieg« (Kurt Daluege21) und erließen eine neue Straßenverkehrsordnung.22 Seit Mai 1939 galten Höchstgeschwindigkeiten. Erst durch Gesetz vom 7. November 1939 wurde im Deutschen Reich schließlich die Pflichtversicherung für Fahrzeughalter eingeführt. Hintergrund dieses für die Versicherungswirtschaft entscheidenden Schrittes war die Eingliederung Öster- 21 So Daluege (1897-1946), der ab Mai 1933 Ministerialdirektor und Leiter der Polizei­ abteilung im Reichsinnenministerium, seit 1936 dann Chef der Ordnungspolizeien und damit Stellvertreter Himmlers im Polizeibereich war, wörtlich am 27. Mai 1937. Nach: Ludwig Arps, Durch unruhige Zeiten. Deutsche Versicherungswirtschaft seit 1914, II. Teil: Von den zwanziger Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg, Karlsruhe 1976, S. 137. 22 Die reichsweite Vereinheitlichung der Verkehrsschilder war bis 1933 weitgehend abgeschlossen worden. Seit Mitte der zwanziger Jahre kamen erste Ampeln zum Einsatz; ihre Zahl wurde ab Mitte der dreißiger Jahre erheblich ausgeweitet. Erst seit der Straßenverkehrszulassungsverordnung vom 13. Nov. 1937 mussten vor der Erteilung der Fahrerlaubnis für einen PKW genauere Kenntnisse der Verkehrsvorschriften nachgewiesen werden. 198 rahmenbedingungen reichs und der Sudeten; Österreich und die Tschechoslowakei hatten bereits viel früher, 1929 bzw. 1935, die Fahrzeugversicherung zur Pflicht gemacht.23 Die Versicherungswirtschaft hatte ihrerseits schon frühzeitig auf die seit Ende der zwanziger Jahre drastisch gestiegene Zahl an Unfällen reagiert und eine »Tarif­gemeinschaft der Kraftfahrzeugversicherer« gebildet, ein Angebotskartell, das sich auf einen »Reichstarif« einigte, der am 1. Juli 1933 in Kraft trat. Nachdem in den ersten Jahren des Dritten Reiches die Zahl der Unfälle und damit der Personen- und Sachschäden weiter gestiegen war und sich die Fahrzeugversicherung zunehmend defizitär entwickelt hatte, versuchte die Tarifgemeinschaft der Fahrzeugversicherer die Policen wieder profitabel zu gestalten, indem sie Mitte 1936 die Selbstbeteiligung im Schadensfall einführte. Sie hatte indes die Rechnung ohne den Wirt gemacht, d. h. ohne die Deutsche Sachversicherungs AG24 der Arbeitsfront. Diese lehnte die geplante Selbstbetei­ ligung umgehend ab, weil diese den Motorisierungsplänen des »Führers« entgegenstünde. Die DAF-Versi­che­rung senkte die Tarife und setzte damit die übrigen Gesellschaften unter Druck. Das Angebotskartell der Fahrzeug­versicherer war damit de facto geplatzt, allerdings nur vorübergehend. Faktisch wurde es durch den Reichskom­missar für die Preisbildung am 14. Februar 1938 erneuert, indem dieser zunächst die Tarife für KfZ-Versi­cherungen generell kräftig reduzierte und sie dann auf diesem Niveau einfror. Dies war möglich geworden, weil Zahl und Schadensgröße der Unfälle seit 1935 deutlich zurückgegangen waren und die bis Mitte der dreißiger Jahre defizitären Fahrzeugversicherungen zunehmenden Gewinn abwarfen. Angesichts der allmählichen Automobilisierung des Dritten Reiches und der noch sehr viel weitergehenden Pläne des Regimes begannen sich die Fahrzeugversicherungen zu einem sehr lukrativen Markt zu entwickeln, der auch zahlreiche Unternehmen anzog, die dieses Versicherungsfeld lange ignoriert hatten. Um einer Zersplitterung dieses Versicherungsmarktes vorzubeugen, wurde deshalb im Frühjahr 1937 die Gründung neuer Gesell­ schaf­ten erheblich erschwert; eine teilweise bis heute geltende Novellierung des Versicherungsaufsichtsgesetzes vom März diesen Jahres machte die Zulassung neuer Gesellschaften auf diesem Sektor von einer Bedürfnisprüfung abhängig.25 23 Deutschland hinkte in dieser Hinsicht überhaupt im internationalen Vergleich hinterher. Für Fahrlehrer, Omnibus- und LKW-Fahrer war die Versicherungspflicht im Deutschen Reich freilich schon früher eingeführt worden. Vgl. Arps, Unruhige Zeiten, S. 145 f., 152, 154. Bis Ende 1939 hatte der Anreiz, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, darin bestanden, dass dem schuldhaft in einen Autounfall verwickelten Kraftfahrer die Fahrerlaubnis entzogen werden konnte. Grundlage dafür war eine Verordnung des Reichsverkehrsministers vom 11. Juli 1936. 24 Genauer: die zu diesem Zeitpunkt freilich schon eng kooperierenden drei Vorgängerunternehmen der Dt. Sachversicherungs AG der DAF. Förmlich wurde die Sachver­ sicherungs AG erst Mitte Dez. 1936 gegründet. Zum Vorgang vgl. Botur, Privatversicherung, S. 59 f., sowie unten. 25 Der entsprechende Passus des am 7. März 1937 verkündeten Versicherungsaufsichtsrechtes (§ 8, Abs. 1, Nr. 3) galt bis zur Aufhebung der nationalen Gesetze im Zuge der europäischen Harmonisierungsrichtlinien 1975. Andere Paragraphen dieses Gesetzes, 199 die versicherungsgruppe Wie sehr dennoch die quantitative Bedeutung der Fahrzeug- und Transport­ versicherungs­unterneh­men wuchs, wird deutlich, wenn man das Prämienaufkommen der reichsdeutschen Feuerversicherung, dem bis zum Beginn des Dritten Reiches zentralen Feld der Sachversicherungen, mit dem der Fahrzeugversicherung vergleicht. Während die Prämiensumme für die Versicherungen von Feuerschäden von 213 Mio. RM im Jahr der nationalsozialistischen Machteroberung auf 208 Mio. RM im Jahre 1938 sogar etwas zurückging, hatte sich die Prämiensumme sämtlicher Sparten der Fahrzeugversicherung während desselben Zeitraums mehr als verdoppelt (Anstieg von 105 Mio. RM auf 246 Mio. RM).26 Zudem fächerten sich deren Angebote weiter auf. Zentrale Felder auch der beiden großen in der Versicherungsbranche tätigen DAF-Unternehmen, deren fahrzeugrelevante Sparten mit weiteren Versicherungszweigen 1937 zur Deutschen Sachversicherungs AG verschmolzen wurden, war die Versicherung der drei grundlegenden Kraftfahrzeugsrisiken Kasko, Haftpflicht und Unfall. Die Entwicklung in diesen Zweigen war noch dynamischer als im gesamten DAF-Versiche­rungs­konzern. Eine weitere strukturelle Veränderung von beträchtlicher Relevanz war der Bedeutungszuwachs der Gruppenversicherungen, die von Organisationen oder Institutionen vertraglich vereinbart wurden, darunter nicht zuletzt »Gefolgschaftsversicherungen«, die die einzelnen Unternehmen abschlossen und die von der Arbeitsfront namentlich im Rahmen ihres »Leistungskampfes der Betriebe« prämiert wurden. Sie bildeten die moderne Variante der traditionellen Pensions­ kassen für betriebliche Ruhegeldzahlungen. Insgesamt wiesen nach einer Erhebung von 1936 knapp 5.300 und damit etwa ein Viertel al­ler in der Reichsgruppe Industrie orga­ni­sier­ten Unternehmen in irgendeiner Form Einrichtungen zur zusätzlichen betrieblichen Al­ters­ver­sorgung auf.27 Bis 1943 stieg diese Zahl auf »mehr als 8000 Unternehmungen«.28 Von dieser Entwicklung profitierten nicht zuletzt die Lebensversicherungen, da insbesondere »weniger kapi­tal­kräftige« Arbeitgeber dazu übergingen, für die gesamte Belegschaft oder einzelne Ar­beit­ nehmergruppen bei privaten Ge­sellschaften Lebensversicherungen auf Renten­ die die Eingriffsrechte des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung verstärkten, gelten bis heute. Zur VAG-Novelle vgl. Botur, Privatversicherung, S. 67-73. 26 Davon betrug das Prämienvolumen allein der KfZ-Haftpflichtversicherung 171 Mio. RM. Alle Angaben nach Arps, Unruhige Zeiten, S. 143. 27 Vgl. »Der Umfang der betrieblichen Altersvorsorge«, in: Deutsche Bergwerks-Zeitung vom 23. Jan. 1943; Albrecht Weiß, Betriebliche Alters- und Hinterbliebenenfürsorge, in: Der Deutsche Volkswirt vom 18. März 1938 (1937/38, S. 1181). Ausführlich hierzu: Hachtmann, Industriearbeit, S. 278 ff. 28 Vgl. Ernst Heißmann, Betriebliche Altersvorsorge in Form frei­wil­li­ger, sozialer Leistungen, in: Deutsche Volkswirtschaft 12/1943, S. 902; ferner (mit anderem Beleg) Arps, Unruhige Zeiten, S. 245. Angesichts der extrem niedrigen staatlichen Renten, die eher ein besseres Almosen waren, blieb der Stellenwert der betrieblichen Altersversorgung – die nach dem Kalkül der Unternehmer die Bindung ans Werk stärken und die Arbeitsdisziplin erhöhen sollten – hoch. 200 rahmenbedingungen basis abzuschließen.29 Um die Jahreswende 1939/40 wurden »durch Grup­pen­ ver­si­che­rungs­abschlüsse bei Le­bens­ver­si­che­rungsge­sellschaften rund 9 Mil­lionen Versicherte in etwa 20 000 Verträgen erfaßt«, darunter »in großem Umfange Gefolg­schafts­ver­si­cherungen«.30 Gruppenversicherungen wurden ab 1933 im Übrigen keineswegs allein für betriebliche Belegschaften abgeschlossen, sondern in zunehmendem Maße außerdem für die »Gefolgschaften« der »charismatischen Verwaltungsstäbe« und überhaupt zahlreicher Institutionen des Regimes. Ganz generell fächerten sich seit Mitte der zwanziger Jahre die Felder auf, auf denen die großen Versicherungsunternehmen tätig wurden. Dieser Trend verstärkte sich ab 1933 weiter. Gleichzeitig begannen die meisten größeren, ehemals auf bestimmte Sparten beschränkten Unternehmen ihre Spezialisierungen aufzugeben und sich zu »Mehrbranchengesellschaften« zu entwickeln. Die beiden DAF-Gesellschaften machten hier, so wird zu zeigen sein, keine ­Ausnahme. Die Möglichkeiten der Kapitalanlage verengten sich dagegen sukzessive. Zunächst legten viele Versicherer das gesammelte Kapital überwiegend in Hypotheken an. Dies war ein traditionelles Anlagefeld gerade auch der Volksfürsorge und des Deutschen Rings, die hier eng mit den gemeinnützigen Wohnungs­ baugesellschaften der freien Gewerkschaften bzw. des DHV kooperiert hatten. Wenn der Verband der Deutschen Lebensversicherungen in seinem Geschäftsbericht bereits für 1935 von einem »Mangel an geeigneten Hypothekengesuchen« berich­tete,31 dann galt dies an sich nicht für den Deutschen Ring und die Volksfürsorge, da die Aktivitäten der Wohnungsgesellschaften und Bauunternehmen der Arbeitsfront für Siedler- und Wohnungsbaukredite weiterhin Anlagemöglichkeiten boten. Bei den DAF-Versi­cherungsgesellschaften waren politische Entscheidungen der Arbeitsfront-Führung dafür verantwortlich, dass auch sie dem generellen Trend folgten und ihre Kapitalien in Staatsanleihen und anderen öffentlichen Wertpapieren anlegten, die der Aufrüstung der Diktatur zugute kamen.32 Ein Runderlass vom 12. August 1938 verbot den Gesellschaften rundheraus, dem freien Baumarkt Kapitalien zur Verfügung zu stellen oder gar eigene Bauten in Angriff zu nehmen.33 Da auch die Emission privater Wertpapiere immer schwieriger wurde, blieben als zentrale Anlageform nur Reichsanleihen, langfristige Reichsschatzanweisungen und andere Papiere der öffentlichen Hand. Be29 Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten, 1937/38, S. 206 f. 30 Vgl. National-Zeitung vom 2. April 1940 (»Gefolg­schafts­ver­si­che­rung im Kriege«), die sich dabei auf »amtliche Untersuchungen« berief. In anderen Fällen wurden betriebliche Ruhegelder durch eine Höherversicherung der Beleg­schaft bei der ge­setz­li­chen Sozialversicherung finanziert. Wieder andere Unternehmen mit kleinen Beleg­schaf­ten grün­deten zum gleichen Zweck Gruppenpensionskassen (1937 für im­mer­hin 5,9 Mio. Arbeitnehmer, meist Angestellte). 31 Dies und das Folgende nach Arps, Unruhige Zeiten, S. 213 f. 32 Vgl. Tabelle 2.4. und 2.11. Hinzu traten DAF-eigene Projekte wie das Volkswagenwerk, die durch teilweise umfangreiche Kredite finanziert wurden. Vgl. auch unten. 33 Nach Arps, Unruhige Zeiten, S. 213. Zum Folgenden ebd., S. 213 ff. 201 die versicherungsgruppe reits in den Vorkriegsjahren entfielen mehr als die Hälfte aller Anlagen der deutschen Versicherungsgesellschaften auf Staatstitel. »Richtlinien« vom März 1939 legten fest, dass zwei Drittel der verfügbaren Gelder in Reichsanleihen angelegt werden sollten. Eine Anordnung vom 21. August 1942 setzte diesen Prozentsatz auf drei Viertel herauf. Für die Versicherungsunternehmen der Arbeitsfront wären diese Anordnungen nicht notwendig gewesen. Sie hatten schon vorher aus eigenem Antrieb den weit überwiegenden Teil der gesammelten Gelder in die Rüstungs- bzw. Kriegsfinanzierung gesteckt. 4.2. Eine Erbschaft der katholischen Gewerkschaften wird liquidiert: die kurze Geschichte der »Deutschen Lebensversicherung« unter dem Nationalsozialismus Ist die Rede von den Versicherungsunternehmen, die der DAF im Frühjahr 1933 in die Hände fielen, denkt man an zwei Gesellschaften: an die bis zur NS-Machter­oberung sozialdemokratisch geprägte »Volksfürsorge« und an die traditionell rechtskonservativ, antisemitisch getönten »Deutscher Ring ­Versicherungen«. Übersehen wird leicht, dass die Arbeitsfront 1933 noch ein drittes Unternehmen dieser Branche in ihren Besitz nahm, das allerdings an dem Boom der DAFVersicherungen nicht partizipierte und 1938 schließlich von der Bildfläche verschwand: die »Deutsche Leben Gemeinnützige Versicherungs AG« (Deutsche Leben).34 Aus der Taufe gehoben wurde die Deutsche Leben Ende 1912 von dreißig konfessionell geprägten Lebensversicherungs­gesellschaften. Ihr anfänglicher Hauptzweck war, in Fortsetzung älterer Sterbegeldversicherungen, zugleich jedoch auf moderner versicherungstechnischer Grundlage, auch einkommensschwachen Familien eine würdevolle Bestattung verstorbener Angehöriger zu ermöglichen. Vergleichbare Motive standen für das Geschäft mit Kleinlebensversicherungen Pate, das die Volksfürsorge anbot. Zugleich galt die Deutsche Leben den Gründern als »nationale Antwort« auf die kurz zuvor von Konsumgenossenschaften, Gewerkschaftern und Sozialdemokraten ins Leben gerufene »rote« Volksfürsorge. Politischer Schirmherr der Deutsche Leben waren die christlich-nationalen Gewerkschaften. Im Sommer 1933 ging sie wie die Volksfürsorge und der Deutsche Ring in den Besitz der Arbeitsfront über. Bereits während der Krise war die Deutsche Leben in eine wirtschaftliche Schieflage geraten. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten vertieften sich 1933, als 34 Das firmenrechtliche Dach der Deutsche Leben Gemeinnützige (DLG) war die »Deutsche Volksversicherungs AG«, in der neben der Lebensversicherung noch weitere, kleine Versicherungsfirmen zusammengefasst waren. Ausführlich: Hans-Jörg ­Ehler, Die Verbandszusammenschlüsse in der privaten Lebensversicherung. Vom Verein Deutscher Lebensversicherungs-Gesellschaften bis zum Verband der Lebensversicherungs-Unternehmen e.V. 1869-1996. Eine Chronik der Ereignisse und Entwicklungen, Karlsruhe 2003, S. 32 ff.; ders., Reichsverband, S. 27 ff. 202 die kurze geschichte der »deutschen lebensversicherung« mit der Auflösung der christlichen und der Hirsch-Dun­cker’schen Gewerkschaften der politische Rückhalt der Deutschen Lebensversicherung weggebrochen war. Weil zahlreiche Außendienstmitarbeiter abgesprungen waren, musste die Verkaufsorganisation kostspielig neu aufgebaut werden; dafür standen allerdings finanzielle Reserven nicht in ausreichendem Ausmaß zur Verfügung.35 Verschärft wurde die Krisenlage durch den Ehrgeiz des neuen, 1933 von Ley eingesetzten Vorstandes. In ihrem Willen, mit der ungleich größeren Volksfürsorge und dem ebenfalls weit stärkeren Deutschen Ring gleichzuziehen, kaufte die Deutsche Lebensversicherung Anfang 1934 einen kleineren Konkurrenten auf, die »Deutsche Welt Lebensversicherungs AG«, die bis 1933 dem liberalen »Gewerkschaftsbund der Angestellten« gehört hatte und deren Bilanzsumme sich am 1. Januar 1934 auf gut 13 Mio. RM belief. Mit dieser Übernahme hatte sich das vormals katholische Unternehmen jedoch definitiv überhoben. Nominell war die Bilanzsumme zwar eindrucksvoll, die die Deutsche Lebensversicherung danach auswies, und auch den Versicherten wurde eine vergleichsweise ansehnliche Dividende ausgezahlt (Tabelle 2.1.). Damit wurde jedoch nur schlecht kaschiert, dass sich die Deutsche Leben im Unterschied vor allem zur effizient arbeitenden Volksfürsorge nicht wirklich rentierte. Trotz der Übernahme der Deutsche Welt Leben stagnierte der Gesamtbestand bei gut 650.000 Policen. Diese Zahl lag nur geringfügig über dem, was die Volksfürsorge in diesen Jahren an jährlichem Zuwachs verzeichnete. Im letzten Jahr ihrer Existenz lag der Gesamtbestand an Versicherungs-Policen der Deutsche Leben bei nicht einmal 17 % der Volksfürsorge. Im Unterschied wiederum zum Deutschen Ring, der als Versicherungskonzern des Deutsch­na­tionalen Handlungsgehilfen-Verbandes seit seiner Gründung konsequent keine Juden als Versicherte aufgenommen hatte, konnte die Deutsche Leben auch nicht auf – in nationalsozialistischer Perspektive – politische Meriten verweisen, die aus der Sicht der DAF-Führung ihre Weiterexistenz legitimiert hätten. Am 14. Dezember 1938 beschloss deshalb eine außerordentliche Hauptversammlung der Gesellschaft die Liquidation des Unternehmens – um, so die offiziöse Begründung, »die Versicherungsgruppe der deutschen Arbeitsfront in ihrem organisatorischen Aufbau zu vereinfachen und durch stärkere Zusammenfassung der Kräfte zu einer Verbilligung der Betriebskosten im Lebensversicherungsgeschäft zu kommen«.36 35 Vgl. Böhle, Lebensversicherung, S. 60; ders., Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 63 f. 36 ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 53. Der Vorstandsvorsitzende der DLG, Andreas Brass, bestritt dies allerdings. Er erklärte, »die Auflösung der Deutschen Lebensversicherung [sei] betriebswirtschaftlich nicht bedingt« gewesen, sondern eine »rein interne Angelegenheit der Deutschen Arbeitsfront«, also politisch motiviert gewesen. Erklärung von Brass vom 17. April 1939, in: BA Berlin (BDC) PKB 0039. Das ist nicht auszuschließen. Auffällig ist in der Tat, dass die Auflösung der DLG seitens der DAF in der Folgezeit lediglich knapp und lakonisch abgehandelt wurde. Vgl. Amtsleiter für die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF Leistungsbericht für 1939/40, vom Juli 1940, S. 4, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 87. Zweiter Direktor neben Brass war 203 die versicherungsgruppe Der Versichertenbestand wurde zwischen der Deutscher Ring Lebensversicherung sowie der »Volksfürsorge Lebensversicherung« aufgeteilt.37 Die DR-Lebensversicherung bekam das größere Stück des Kuchens ab: Sie erhielt die Großlebensversicherungen der Deutsche Leben mit einer Summe von 290 Mio. RM. Die Volksfürsorge musste sich mit einem Bestand von 71 Mio. RM an Klein­ policen begnügen und im Zuge der Übernahme dieser Kleinlebensversicherungen zudem noch 400.000 RM für angebliche Unkosten an den Deutschen Ring zahlen. Dieser erstaunliche Vorgang, dass die größere und betriebswirtschaftlich stabilere Volksfürsorge nur vergleichsweise wenig vom Erbe der Deutschen Lebensversicherung erhielt, illustriert, dass ›Verteilungskämpfe‹ zwischen den beiden Versicherungsgruppen der DAF in erster Linie nach politischen Kriterien und weniger nach Wirtschaftskraft entschieden wurden, ein Faktum, dass auch in der Folgezeit wiederholt zu Ungunsten der Volksfürsorge ausschlagen sollte. 4.3. Die Volksfürsorge (bis 1938) Vorgeschichte Wie die Bank der Deutschen Arbeit war auch die Volksfürsorge ein traditionsreiches, Ende 1912 vor dem Hintergrund einer Kritik an den Geschäftspraktiken der kommerziellen Versicherungen gegründetes freigewerkschaftliches Unternehmen. Anlass der Gründung der Volksfürsorge waren gravierende Mängel der kommerziellen Versicherungen: Wenn Arbeitnehmer die monatlichen Prämienraten nicht mehr zahlen konnten – was angesichts prekärer Arbeitsverhältnisse und häufiger Erwerbslosigkeit leicht der Fall war –, verfiel die Versicherung. Diesem Übel wollten die Gewerkschaften mit der Gründung der Volksfürsorge abhelfen. Der Markt für Kleinpolicen war groß, weil die finanzielle Lage der meisten Arbeiterhaushalte bei unvorhergesehenen Ausgaben schnell angespannt war: Alfred Fratzscher (1881-1971), als Jurist wie als Politikwissenschaftler promoviert. Ursprünglich Versicherungsrevisor im Kaiserlichen Aufsichtsamt für Privatversicherung, später Oberregierungsrat im Reichswirtschaftsministerium, war Fratzscher 1933 in die NSDAP eingetreten, 1936 jedoch wegen Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge ausgeschlossen worden. Nach seiner Entlassung als Direktor der DLG Anfang 1938 wurde er zunächst Vorstandsmitglied einer kleinen Privatversicherung, später dann Gutachter im Versicherungswesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er Mitbegründer der FDP in Nordrhein-Westfalen und Stadtkämmerer sowie Ratsherr in Mönchengladbach. 37 Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 63. Brass wurde zunächst mit verbandspolitischen Positionen abgefunden, ehe er dann 1939 alle Ämter niederlegen musste (Anm. 4). Mit der Liquidation beauftragt wurde Hans Riese (1868-?), der von 1900 bis 1910 dem Berliner Beamten-Wohnungs-Verein vorgestanden hatte und bis zum Ersten Weltkrieg Direktor der Mecklenburg-Strelitzschen Hypotheken Bank sowie führend in verschiedenen Terrain-, Bau- und Realkreditgesellschaften gewesen war. Riese, der 1923 zunächst Vorstandsmitglied, 1924 dann Generaldirektor der Nordstern-Gesellschaft wurde, hatte dem Aufsichtsrat der DLG jahrzehntelang angehört. 204 die volksfürsorge (bis 1938) Hauptmotiv für den Abschluss einer Kleinlebensversicherung war ursprünglich oft die Absicht, im Todesfall ein Begräbnis in Würde finanzieren zu können und das verstorbene Familienmitglied nicht in einem Massengrab oder einem »Nasenquetscher«, einem billigen Sarg von lediglich 50 cm Höhe, verschwinden zu lassen. Angesichts dieser Motive verwundert es nicht, dass das Geschäft mit Kleinlebensversicherungen anfangs vor allem von »ideellen Kräften« (Ludwig Arps38) getragen wurden; neben der Volksfürsorge kamen die Träger dieser Versicherungsform überwiegend aus dem konfessionellen Lager.39 Ähnlich wie diese die Bindung ihrer Klientel an die beiden großen Kirchen und deren jeweilige Milieus zu stärken suchten, wollten auch die Gewerkschaften ihre Mitglieder durch den Abschluss günstiger Versicherungspolicen dauerhaft an sich binden und die hohe Mitgliederfluktuation der Arbeitnehmerverbände eindämmen. Obwohl die Volksfürsorge nicht, wie ursprünglich geplant, eine Unterstützungskasse ohne rechtsverbindliche Leistungszusagen war, sondern die Rechtsform einer Aktiengesellschaft erhielt, die Unternehmensleitung ziemlich selbständig agieren konn­te und außerdem Mitglieder aufgenommen wurden, die nicht der SPD bzw. den Gewerkschaften angehörten, blieb die Volksfürsorge bis 1933 fest dem sozialdemokratischen Milieu verhaftet. Ihre Kundschaft fand sie vor allem unter bes­serverdienenden Facharbeitern, die die monatlichen Prämien von (Anfang der dreißiger Jahre) mindestens zwei RM für Kleinpolicen, d. h. Lebensversicherungen mit einer Versicherungssumme von weniger als 2.000 RM, aufbringen konnten. Ihren Sitz nahm die Volksfürsorge – und ebenso die gewerkschaftlich-genossenschaftliche »Eigenhilfe Allgemeine Versicherungs AG«, die seit Anfang September 1933 dann als »Volksfürsorge Allgemeine Versicherungs AG« firmierte – in Hamburg, weil die Hansestadt das Zentrum der sozial­ demokratisch-gewerkschaftlichen Konsumvereinsbewegung war und sich dort auch die Hauptverwaltung der »Großeinkaufsgesellschaft Deutscher Consumvereine« (GEG) sowie des »Zentralverbandes deutscher Konsumvereine« befand. Der Aufstieg der Volksfürsorge Lebensversicherung war stetig und wurde selbst durch den Ersten Weltkrieg sowie die Inflation kaum gebremst. Von gut 70.000 Verträgen 1913, dem ersten Jahr, in dem die Volksfürsorge aktiv wurde, stieg der Versicherungsbestand über gut 400.000 im Gründungsjahr der Weimarer Republik und knapp 1,5 Millionen 1928 auf fast 2,3 Millionen im Jahre 1931 (Tabelle 2.2.). In diesem Jahr wurden 24 % sämtlicher Volksversicherungen des Deutschen Reiches bei der Volksfürsorge abgeschlossen, die damit das größte Unternehmen auf dem Markt für Kleinlebensversicherungen war. Bemerkenswert ist, dass die Zahl der Versicherungen auf dem Tiefpunkt der Krise – von 1931 auf 1932 – nur um 6.000 zurückging. Bis 1933 vertrieb die Volksfürsorge ausschließlich Kleinpolicen. Die Gesamtsumme der Versicherungen lag 1932 38 Vgl. Arps, Unruhige Zeiten, S. 177 f. 39 Dazu zählten namentlich die Evangelische Versicherungszentrale e.V. , die Katholische Wohlfahrts- und Kulturpflege e.V. (ab 1930: Evangelische Vorsorge Gemeinnützige Versicherungs AG bzw. Katholische Volkshilfe Gemeinnützige Versicherungs AG) und ebenso die erwähnte, von den christlich-nationalen Gewerkschaften gegründete DLG. 205 die versicherungsgruppe bei 690 Millionen RM. Erst im Dritten Reich bot die Volksfürsorge verstärkt auch sog. Großlebensversicherungen an (mit einer Versicherungssumme von 2.000 RM und mehr). Das Geschäft mit Kleinlebensversicherungen blieb bis zum Ende der Diktatur jedoch das Hauptgeschäftsfeld der Volksfürsorge. Zum organisatorischen Rückgrat der Volksfürsorge wurden die auf Honorarbasis tätigen »Vertrauensleute« der Volksfürsorge. Sie waren fest im sozialdemokratischen Milieu verankert und kassierten die monatlichen Beiträge. 1927 zählte die Volksfürsorge 8.000, im Jahr vor der NS-Machtergreifung 13.000 Vertrauensleute (Tabelle 2.5.). Wie legte die Volksfürsorge ihr bis 1933 angesammeltes Kapital an? Sie engagierte sich – entsprechend ihrem Selbstverständnis als einer der organisierten Arbeiterbewegung verpflichteten Non-Profit-Organisation – vor allem im Wohnungsbau. Fast 90 % des von den Versicherern akkumulierten Kapitals gingen als Hypotheken und Gemeindedarlehen in den Bau preiswerter Wohnungen (Tabelle 2.4.). Vergebliche Selbstgleichschaltung: die Volksfürsorge 1933 Nachdem Reichspräsident Paul v. Hindenburg das Präsidialkabinett Hitler berufen sowie durch die Reichstagsbrandverordnung Ende Februar 1933 faktisch die Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt hatte, versuchten die Vorstände der Volksfürsorge, ihr in den sozialistischen Traditionen der SPD wurzelndes Selbstverständnis vergessen zu machen. Sie dienten sich dem Kabinett Hitler als vermeintlich unpolitisches Unternehmen an. Man habe, erklärte der Vorstand in einem Rundschreiben von Anfang März 1933 an die Vertrauensleute, »mit der Politik nichts gemein«; für jegliche »politischen Vorgänge haben wir wie alle Versicherungsgesellschaften nur insoweit ein Interesse, als wir recht bald und recht lange ruhige politische Zeiten herbeisehnen«; man wolle »unsere rein wirtschaftliche und soziale Tätigkeit unter jedem politischen System erfüllen«.40 Um guten Willen zu demonstrieren, stellte der Vorstand 1.500 RM für die Adolf-Hitler-Spende zur Verfügung. Die schwarz-rot-goldenen Farben verschwanden, stattdessen wehte eine schwarz-weiß-rote Reichsflagge vor der Hamburger Hauptverwaltung. Das verfängliche Attribut »gewerkschaftlichgenos­senschaftlich« wurde aus dem Firmennamen getilgt. Mit dieser Politik glaubte der Vorstand auf der sicheren Seite zu sein. Ähnlich wie bei der Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten lässt sich auch bei der gewerkschaftseigenen Volksfürsorge ein doppelter Anpassungs­ prozess feststellen: Der ADGB als der Besitzer dieser Versicherungsgesellschaft ging auf Distanz zur SPD. Die Führung der Volksfürsorge suchte sich ihrerseits von den freien Gewerkschaften als den Eigentümern abzukoppeln und deklarierte die Volksfürsorge als gesellschaftspolitisch neutral. Genützt hat den 40 »An unsere Vertrauensleute!« in: Volksfürsorge, Nr. 3 (März 1933), S. 17, nach: Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 14 f. Das Folgende nach ebd., S. 15 ff. 206 die volksfürsorge (bis 1938) Gewerkschaften und ebenso den Unternehmen in ihrem Besitz dieser Opportunismus nichts. Sie blieben den Gewaltexzessen der NS-Be­we­gung und der räuberischen Gier der DAF nur umso hilfloser ausgeliefert. Mit den Gewerkschaftshäusern sowie den Filialen und Zahlstellen der Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten besetzten SA und NSBO am 2. Mai 1933 auch die Hauptverwaltung sowie einen – kleineren – Teil der Rechnungsstellen der Volksfürsorge. Die drei geschäftsführenden Vorstandsmitglieder sowie der Prokurist der Volksfürsorge wurden für einige Tage in Schutzhaft genommen.41 Obwohl die Volksfürsorge danach nicht ganz ›kopflos‹ war, da der 1931 berufene Leiter der wichtigen Abteilung »Organisation« Hans Weißhaar bis Ende 1935 im Amt blieb,42 war die gewerkschaftliche Lebensversicherung nach der Entlassung ihrer Vorstände zum willenlosen Objekt der im Entstehen begriffenen DAF gemacht worden. Zum ›starken Mann‹ innerhalb der Volksfürsorge wurde in dieser Phase Rudolf Habedank, seit 1931 Landesobmann der NSBO und von 1934 bis zum Zusammenbruch des NS-Regimes DAF-Gauwalter für die Hansestadt.43 Habedank war immerhin so klug, die Volksfürsorge nicht durch die Implementierung fachlich inkompetenter »Alter Kämpfer« in der Hamburger Zentrale zu ruinieren. Er brachte vielmehr einschlägig qualifizierte Versicherungsfachleute mit: Albert Franke war Zweiter Prokurist der »Vereinigte Lebensversicherungs AG für Handwerk, Handel und Gewerbe«/Hamburg (einer Vorläuferorganisation der heutigen »Iduna«) gewesen. Paul Oestrovsky war zwar bereits 1929 NSDAPMitglied geworden, brachte als Vorstands­sekretär und Organisationsreferent der Deutscher Ring-Lebensversicherung jedoch gleichfalls Berufserfahrungen mit.44 41 Die Vorstände Otto Streine (1873-1943), Max Wicklein (der dem Vorstand seit 1930 angehörte), Emil Thiele (1889-1960), der der Chefmathematiker der Volksfürsorge seit deren Gründung 1913 gewesen und 1932 in den Vorstand der Hamburger Volksfürsorge aufgenommen worden war, sowie der Prokurist Wilhelm Radloff wurden erst, nachdem sie Habedank am 5. Mai 1933 eine Vollmacht ausgestellt hatten und diesem damit auch nominell freie Hand im Umgang mit der Volksfürsorge ließen, wieder auf freien Fuß gesetzt. Formell entlassen wurden die Vorstandsmitglieder der gewerkschaftlichen Volksfürsorge im Juni 1933. Thiele emigrierte in die Tschechoslowakei und war an der Gründung der »Vorsorge« Allgemeine Versicherungs-AG in Prag beteiligt. Vgl. auch unten. 42 Weißhaar (1900-?) ging im Jan. 1936 zur Karlsruher Lebensversicherungsbank und stand dort bis 1945 der Abteilung Organisation vor. Im Sommer 1945 trat er als Prokurist wieder in die »Volksfürsorge« ein. Von 1947 bis 1966 amtierte er als ordentliches Vorstandsmitglied der »Volksfürsorge«. 43 Habedank (1893-?) leitete seit 1930 die Ortsgruppe der NSDAP in Hamburg-Eims­ büttel und war von 1931 bis 1933 Mitglied der Bürgerschaft. Seit 1933 war er Hamburger Staatsrat, außerdem Reichstagsabgeordneter. »Treuhänder« der Volksfürsorge blieb er bis 1939. 44 Franke (1905-?) übernahm 1933 die Stelle des Prokuristen in der Volksfürsorge. Er rückte 1938 in den Vorstand der Volksfürsorge. Nach 1945 blieb Franke als Vorstandsmitglied der »Vorsorge« ein Spitzenmanager der Versicherungswirtschaft. Oestrovsky (1904-?) war bis Mai 1933 Vorstandssekretär und Organisationsreferent der DR-Versicherungen 207 die versicherungsgruppe Beide wurden im Frühsommer 1933 zu Prokuristen ernannt und trugen damit die eigentliche Verantwortung für die laufenden Geschäfte der Volksfürsorge. Erster Vorstandsvorsitzender und Generaldirektor wurde – bis Sommer 1935 – der Jurist und »Alte Kämpfer« Sebastian Kratzer, der auch dem Vorstand der Arbeitsbank angehörte.45 Die größte Gefahr für eine Weiterexistenz der Volksfürsorge ging im Frühjahr und Frühsommer 1933 ausgerechnet vom Deutschen Ring aus, der gleichfalls in den Besitz der DAF übergehen sollte und seinen Hauptsitz ebenfalls in Hamburg hatte. Allerdings hatte sich die Versicherung des antisemitischen und ohnehin NS-nahen DHV der Arbeitsfront aus eigenem Antrieb angeschlossen. Die vor wie nach 1933 zentrale Figur im Deutschen Ring, der bereits vorgestellte Rudolf Kratochwill, spekulierte offenbar darauf, dass seine Versicherung die verhasste rote Konkurrenz würde schlucken können.46 Die Leitung des Deutschen Rings konnte sich damit jedoch nicht durchsetzen. Die maßgeblichen DAFFunktionäre entschieden sich, die Volksfürsorge als Marktführer auf dem Sektor der Kleinlebensversicherungen und bis 1933 ja insgesamt sehr erfolgreiches Unternehmen grundsätzlich in der bisherigen Form weiterzuführen. Am 27. Juni 1933 wurde für die Volksfürsorge ein neuer Aufsichtsrat bestellt. Karl Müller als der zu diesem Zeitpunkt in wirtschaftspolitischen Dingen starke Mann innerhalb der Arbeitsfront wurde Vorsitzender dieses Gremiums, Mitglieder neben Ley und Schmeer außerdem der Leiter der NSBO Walter Schuhmann47 sowie der erwähnte Rudolf Habedank. »… zu empfindlich, um mit Gewalt Änderungen vornehmen zu können« – der behutsame Umgang mit der vormals sozialdemokratisch geprägten Belegschaft Wie in allen anderen Unternehmen der DAF ging auch der Vorstand der Volksfürsorge umgehend daran, alle als »Juden« oder »Halbjuden« klassifizierten Angestellten und ebenso zahlreiche Sozialdemokraten in der Hamburger Zentrale, die sich weiterhin als Oppositionelle zu erkennen gaben, zu entlassen und statt ihrer »Alte Kämpfer« einzustellen. Für ein erfolgreiches Weiterbestehen der Volksfürsorge waren freilich weniger die Zustände in der Hauptverwaltung gewesen. Prokurist der Volksfürsorge blieb er bis 1936, um dann in den Vorstand dieses DAF-Versicherungs­unternehmens zu wechseln, zunächst als stellvertretendes Mitglied, ab 1938 dann als ordentliches Mitglied. Auch die beiden anderen Mitglieder des (mit Kratzer) fünfköpfigen Vorstandes, Otto Scholze und Walther Käding (1902-?), hatten einschlägige Erfahrungen im Versicherungsgewerbe gesammelt. 45 Zu Kratzers Biographie vgl. Kapitel 2, S. 88. 46 Dies und das Folgende nach Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich (MA), S. 16-25; ders., Lebensversicherung, S. 52-57. 47 Schuhmann (1898-1956) war 1925 der NSDAP und SA beigetreten und seit 1930 Reichsobmann der NSBO. Anfang 1934 wurde er durch Ley entmachtet. Im März 1936 erhielt er das Amt des Treuhänders der Arbeit für Schlesien, 1941 für Niederschlesien; seit 1943 war er in führender Position beim Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz ­tätig. 208 die volksfürsorge (bis 1938) als vielmehr der Umgang mit dem Außendienst zentral. Die nebenberuflichen Kassierer, die von Haustür zu Haustür gingen und die monatlichen Prämien sammelten, bildeten das entscheidende Bindeglied zwischen der Volksfürsorge und ihrer vornehmlich dem sozialdemokratischen Arbeitermilieu angehörenden Kundschaft. Diese Vertrauensleute stellten sich für das Hausinkasso der Volksfürsorge nicht allein deshalb zur Verfügung, weil sie dafür einen kleinen Anteil an den Prämien als Honorar erhielten. Hinter ihrem Engagement für die freigewerkschaftliche Versicherungsgesellschaft standen daneben oft politische Überzeugung und milieubedingte Verbundenheit. Diese Vertrauensleute waren die zentrale personelle Säule des Versicherungsunternehmens. Da sie ihre Tätigkeit nebenamtlich ausübten, konnte ihnen kaum mit Entlassung gedroht werden. Die neue, von der DAF eingesetzte Leitung der Volksfürsorge ging deshalb vergleichsweise behutsam mit den (nicht-jüdischen) Kassierern um, wohl wissend, dass der Außendienst »zu empfindlich [ist], als dass man mit Gewalt eine plötzliche Umänderung bezw. Umstellung des Personals vornehmen könnte«.48 Der Vorstand war sich bewusst, dass es den Verlust des größten Teils der Kundschaft und womöglich das Ende der Volksfürsorge bedeutet hätte, wenn er der Forderung einzelner SA- und NSBO-Funk­tionäre nachgegeben hätte, die sozialdemokratisch geprägten, im Außendienst tätigen Kassierer umfassend durch NSDAP-Parteimitglieder zu ersetzen. Innerhalb der Volksfürsorge konnten sich mithin Elemente der überkommenen Unternehmenskultur erhalten. Die ehemals sozialdemokratisch geprägte Versicherungsgesellschaft ist ein Beispiel dafür, dass sich selbst in herrschaftsnah privatisierten Unternehmen und aller verbalen Betonung des Führerprinzips zum Trotz ›Kultur‹ nicht auf »Mitarbeiterführung« reduzieren lässt, sondern diese selbst das jeweilige betriebliche Milieu (weiterhin) prägen konnten. Und auch der Vorstand selbst wurde nicht so radikal umgebaut, wie dies manchen SA- und NSBOFunktionären im Mai 1933 vorgeschwebt haben mag. Von erheblicher Bedeutung dafür, dass fast alle nebenamtlich tätigen Kassierer als Rückgrat der Gesellschaft gehalten werden konnten, war, dass der erwähnte, im Außendienst beliebte Leiter der Abteilung Organisation der Volksfürsorge Weißhaar bis Ende 1935 in seinem Amt blieb und unter dem Motto »Wir arbeiten mit!« die zu diesem Zeitpunkt etwa 13.000 nebenamtlichen Kassierer aufrief, ihre Stellung nicht aufzugeben. Darüber hinaus beschwor der neue Volksfürsorge-Vor­stand eine Corporate Identity, die ältere Elemente des Selbstverständnisses der Volksfürsorge aufnahm, diese jedoch völkisch wendete – nach dem Motto: »Die Volksfürsorge erhielt durch die Gleichschaltung zu der im Kern richtig verstandenen sozialen Grundlage nun auch die nationale.«49 Daneben durchsetzte die neue Führung des Versicherungsunternehmens die zuvor 48 Memorandum »betr. Personalabberufung, Neubesetzung von Rechnungsstellen etc.«, o.V., o.D. [Juli 1933], nach: Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 25. 49 Oe[strovsky], Vom Sinn der Gleichschaltung der Volksfürsorge, in: Volksfürsorge, Nr. 4 (Juli 1933), S. 26, nach: ebd., S. 27. 209 die versicherungsgruppe politisch und weltanschaulich ziemlich homogene Angestelltenschaft des Versicherungsunternehmens sukzessive durch die Neueinstellung langjähriger und ›kampferprobter‹ NSDAP-Mitglieder. Infolgedessen wuchs die hauptamtliche Belegschaft der Volksfürsorge in der Hauptverwaltung sowie in den Filialen zwischen 1932 und 1934 um ziemlich genau ein Drittel an (Tabelle 2.5.).50 Die Einstellung »Alter Kämpfer« spaltete die Belegschaft scharf. Nicht selten eskalierten die Gegensätze zu offenen Konflikten, manchmal sogar zu Schlägereien,51 zumal unter den neu Eingestellten offenbar nicht wenige waren, die sich durch gewalttätige Übergriffe gegenüber Funktionären der organisierten Arbeiter­bewegung hervorgetan hatten, »Landsknechtsgesellen«, die in SA-Uni­f orm und »Kanonenstiefeln« auftraten, darunter oft »notorische Säufer«.52 Obgleich zahlreiche sozialdemokratische geprägte Angestellte blieben, veränderte sich mit dem Ausbau des hauptamtlichen Personalapparats sukzessive die Unternehmenskultur. Der Tatbestand, dass die Volksfürsorge bereits im Januar 1936 mit 150 Mann die mitgliederstärkste DAF-Werkschar in ganz Norddeutschland besaß,53 mag 50 Bei den Zahlen in Tabelle 2.5. handelt es sich um ›Nettoangaben‹, die die Fluktuation nicht erfassen. Nach Böhle wurden allein 1933 insgesamt 398 neue hauptamtliche Arbeitskräfte eingestellt, d. h., dass 184 die Volksfürsorge im selben Jahr verließen oder – aus politischen sowie rassistischen Gründen – verlassen mussten. Die SoPaDe-Berichte führten die hohe Fluktuationsrate außerdem auf das Fehlen jeglicher Qualifikation bei den »Alten Kämpfern« zurück, so dass der Vorstand deshalb des öfteren zu fristlosen Entlassungen habe schreiten müssen. Auch Böhle spricht von einem anfangs »absoluten Vorrang der politischen vor der fachlichen Qualifikation«. Vgl. ebd., S. 40 f.; SoPaDe-Berichte, 1936, S. 235 f. Ein weiterer Grund für die anfänglich hohe Fluktuation war vermutlich die von den DAF-Versicherungen anscheinend pingelig befolgte Doppelverdiener-Kampagne. Vgl. (allgemein) Ehlers, Reichsverband, S. 103. 51 Nach einem SoPaDe-Bericht (1936, S. 235) zum Betriebsklima innerhalb der Volksfürsorge »arteten Diskussionen zwischen alten und neuen Angestellten oft in Schlägereien aus«. Vgl. außerdem die von Böhle (Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 46 f.) geführten Interviews. Noch am 29. Jan. 1937 behaupteten die Leiter des DAF-Schatzamtes und die drei Direktoren der DAF-Versi­che­rungsge­sellschaften während einer Besprechung über die Verhältnisse bei der Volksfürsorge Lebensversiche­rung, »dass bei der Volksfürsorge zwei Parteien bestehen, die sich sachlich und personell befehden«. In: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 18. 52 So die Worte eines ehemaligen, sozialdemokratisch geprägten Mitarbeiters der Volksfürsorge nach 1945, nach: Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich (MA), S. 41. Vgl. außerdem ebd., S. 27. 53 Die DAF-Werkscharen setzten sich aus der Minorität der engagierten Mitglieder der Arbeitsfront eines Betriebes zusammen und sollten dort den vom SA-Kampfgeist beseelten »Stoßtrupp« der Arbeitsfront bilden. Im Herbst 1936 gehörten im ganzen Reich 58.000 Männer diesen DAF-Werk­scha­ren an, also 0,42 % sämtlicher männlichen Mitglieder der Arbeitsfront. Die 150 Werkscharmitglieder bei der Volksfürsorge machten dagegen 11,2 % der gesamten hauptberuflich von der Volks­f ürsorge beschäftigten männlichen Arbeiter und Angestellten aus. Daneben besaß die Volksfürsorge ab 1938 eine 1942 schließlich gut fünfzig Mitglieder zählende Werkfrauengruppe (die – wie in diesen betrieblichen Subverbänden der DAF üblich – sich mit frauenspezifischen Tätigkeiten befaßte). Dies entsprach 2,5 % der hauptberuflich-weiblichen Belegschaft der Volksfürsorge 1942 und lag knapp über dem Organisationsgrad der weiblichen DAF- 210 die volksfürsorge (bis 1938) vor allem darauf zurückzuführen sein, dass sich in diesen »Stoßtrupps des Nationalsozialismus in den Betrieben« in erster Linie die neueingestellten »Alten Kämpfer« sammelten. Wenn der Anteil der NSDAP-Mitglieder 1934 unter den hauptamtlichen Mitarbeitern in dem Versicherungsunternehmen, der 1934 ›nur‹ bei 10,5 %, 1935 und 1936 dann bei 14,9 % bzw. 17,4 % gelegen hatte, bis 1939 auf 34,7 % kletterte54 und damit weit über dem allgemeinen NSDAP-Organisationsgrad in dieser Branche lag,55 dann lässt sich dies jedoch nicht allein auf Neueinstellungen oder einen ausschließlich äußerlichen »Anpassungsdruck« zurückführen. Auch ein wachsender Teil der ursprünglich gewerkschaftlich und sozialdemokratisch geprägten Angestellten in der Hauptverwaltung und den regionalen Filialen wird der NSDAP beigetreten sein. Förmlich gezwungen wurde zum Parteieintritt zwar niemand. Allem Anschein nach wich eine zunächst sicherlich zähneknirschende äußere Anpassung der sozialdemokratischen Stammbelegschaft aber unmerklich einer Integration in die NS-Gesellschaft – ohne dass dies ein Weiterbestehen informeller Netzwerke, in denen sich Sozialdemokraten und Gewerkschafter ihrer Treue zu alten Werten versicherten, ausschloss.56 Auch die auf der Basis von Provisionen tätigen Vertrauensleute wurden allein aufgrund der laufenden Erweiterung des nebenamtlichen Außendienstes in wachsendem Maße mit nationalsozialistischen ›Einsprengseln‹ durchsetzt, so dass die nebenamtlichen Kassierer der Volksfürsorge als bindendes Element innerhalb eines anfänglich noch starken sozialdemokratischen Milieus zunehmend ausfielen. Stabilisiert wurde der für die Volksfürsorge so wichtige Außendienst schließlich dadurch, dass die Provisionen für den Abschluss von Versicherungen erhöht wurden.57 Zugleich implementierte der Vorstand nach einem DAF-typischen Muster über ›Wettbewerbe‹ das Konkurrenzprinzip unter den Außendienstlern: Bereits in den ersten Jahren wurden Kampagnen unter militaristisch-mar­tia­ 54 55 56 57 Mitglieder in diesen Werkfrauengruppen im Reichsdurchschnitt (1,9 %). Angaben zur Volksfürsorge nach: Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 76, 78, 91. Zu Funktion und Bedeutung der Werkscharen vgl. Frese, Betriebspolitik, S. 441-448; Smelser, Hitlers Mann, S. 204 f.; Schneider, Unterm Hakenkreuz, S. 197 f. In der SS und dem NSKK war 1939 gleichfalls ein sehr hoher Prozentsatz der Volksfürsorge-Belegschaft Mitglied (24,9 %). Vgl. Geschäftsberichte der Volksfürsorge für 1938 und 1939, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 18 bzw. R 8120, Nr. 23; außerdem Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 48, 75; ders., Expansion, S. 183. Die Angaben für 1937 beziehen sich nur auf Männer. Lediglich die ohnehin lange vor 1933 antisemitische und semifaschistische Belegschaft des Deutschen Rings übertraf mit einem NSDAP-Organisationsgrad von 75 % den hohen Prozentsatz der Partei-Mitgliedschaft der Volksfürsorge. Vgl. Böhle, Lebensversicherung, S. 58; ders., Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 76. Eine größere Zahl ›überwinternder‹ Sozialdemokraten hielt offenbar weiterhin enge Kontakte aufrecht. Bis »in die Kriegszeit hinein« existierte außerdem »ein kleiner kommunistischer Zirkel«, dessen Mitglieder »offensichtlich nach 1934 den Kontakt mit den Leitungsstrukturen der KPD verloren hatten, aber sich gegenseitig unterstützten.« So Böhle, ebd., S. 100 (auf Basis von Interviews). Bis Ende 1934 wendete die Volksfürsorge etwa 300.000 RM mehr für Provisionen auf als im Vorjahr. Vgl. ebd., S. 35. Danach auch das Folgende. 211 die versicherungsgruppe lischen Bezeichnungen wie »Stoßtrupp 33« oder »Sommerfeldzug 34« initiiert, die zum Ziel hatten, dass sich die Vertrauensleute im Anwerben von neuen Versicherungsnehmern gegenseitig überbieten sollten. Angesichts der bis 1935 noch anhaltend hohen Erwerbslosigkeit war es außerdem von Bedeutung, dass der Volksfürsorge-Vorstand im Februar 1934 beim Reichsarbeitsministerium durchsetzen konnte, dass die Provisionen der nebenamtlich tätigen Vertrauensleute als gemeinnützige Tätigkeit im Rahmen der DAF anerkannt wurden, so dass sie nicht mehr auf die Erwerbslosenunterstützung oder andere Unterstützungen der öffentlichen Hand angerechnet wurden. In der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre wurde der hauptamtliche Apparat der Volksfürsorge weiter ausgebaut und bis 1939 mit sechs Generalinspektoren, 89 Organisationsleitern der größeren Geschäftsstellen sowie 250 Rechnungsführern zusätzliche Hierarchieebenen eingezogen. Der für die Werbung der Kundschaft zentrale nebenamtliche Außendienst wurde ergänzt durch ungefähr 300 »Zuschusswerber«, die zugleich als hauptberufliche Kundenbetreuer sowie Bezirksinspektoren tätig wurden und ihren Schwerpunkt auf den Verkauf von Großlebens-, Sach- und Industrieversicherungen legten.58 Entsprechend der Vorliebe der Arbeitsfront für Masseninszenierungen wurden die neben- wie hauptberuflichen Mitarbeiter der Volksfürsorge seit 1936 alljährlich durch aufwendige Reichstagungen auf ihre Tätigkeit eingestimmt.59 Wenn trotz der Durchsetzung des Außendienstes der Volksfürsorge mit »Alten Kämpfern« und trotz einer unverblümten Ausrichtung der Praxis dieser ehemals sozialdemokratischen Versicherungsgesellschaft auf die Ziele des Nationalsozialismus offenbar kaum nebenamtliche Kassierer kündigten, dann dürfte dies zunächst daran gelegen haben, dass jene auf diesen Zuverdienst angewiesen waren. Zwar erhielten sich viele der Alteingesessenen noch längere Zeit eine ostentative Distanz zum Regime und zur NS-Ideologie; so sprach der NSBOVorsitzende im Frühjahr 1934 von einer teils »feindlichen«, teils »abwartenden« Haltung der Mehrheit der Angestellten.60 Indes half das »in der Arbeiterbewegung verankerte Arbeitsethos« lediglich, wie Böhle resümiert hat, »die eigene Identität zu bewahren«. Für den neuen Vorstand zählte vor allem, dass dieses Arbeitsethos »die Kooperation der Stammbelegschaft mit der neuen NS-Führung ermöglichte«.61 Spätestens in den Vorkriegsjahren nahm diese die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse jedenfalls äußerlich hin und richtete sich, so gut es ging, im Privaten ein. 58 In enger Zusammenarbeit mit den örtlichen SD-Stellen wurde der hauptberufliche Außendienst zudem engmaschig überwacht. Ebd., S. 65 f. 59 Vgl. ebd., S. 65. 60 So der Sprecher der NSBO in der Volksfürsorge: Gentinne, Zum 1. Mai, in: Die Arbeit, Nr.3 (Mai 1934), S. 7, nach: ebd., S. 46. 61 Ebd., S. 47. Zu diesem Ethos »deutscher Qualitätsarbeit«, vgl. Alf Lüdtke, »Ehre der Arbeit«: Industriearbeiter und Macht der Symbole. Zur Reichweise symbolischer Orientierungen im Nationalsozialismus, in: ders., Eigen-Sinn, S. 283-350. 212 die volksfürsorge (bis 1938) Den weiterhin oft sozialdemokratisch geprägten Angehörigen des Außendienstes war es zu verdanken, dass die ehedem der Sozialdemokratie zuneigenden Versicherten dem Unternehmen auch unter ihrem neuen Besitzer treu blieben. Dass die jüdischen Angestell­ten der Volksfürsorge und ebenso die jüdischen Versicherten schäbig behandelt wur­den, scheint (wohl auch mangels Al­ternativen) kaum abgeschreckt zu haben. Gleich­zeitig gelang es dem Unternehmen infolge des raschen Abbaus der Massenerwerbslosigkeit und allmählich steigender Einkommen, innerhalb der Arbeitnehmerschaft in großem Maßstab zusätzliche Kunden zu gewinnen. Von 1932/33 bis 1937 verdoppelte sich die Zahl der Versicherten, bis 1939/40 verdreifachte sie sich (Tabelle 2.2.). In die ›besseren‹ Bevölkerungskreise stieß die Volksfürsorge dabei in den ersten Jahren der NSHerr­schaft freilich kaum vor. Die übergroße Mehrheit der Versicherungsnehmer blieben nach einer Erhebung Ende 1936 Industriearbeiter (71 %); der Rest verteilte sich auf Landwirte und Landarbeiter (8 %), Handwerker und sonstige ›Selbständige‹ (7 %), Angestellte, Beamte und Angehörige ›freier Berufe‹ (10 %) sowie Hausangestellte (4 %).62 Dies änderte sich ab dem letzten Vorkriegsjahr, als sich die Volksfürsorge Kundenpotentiale auch im alten ›Mittelstand‹ erschloss. Aggressive Werbung und ein zugkräftiger Markenname Der Aufschwung der Volksfürsorge war steil und stetig – und wurde auch durch ein größeres personelles Revirement an der Spitze des Unternehmens 1935/36, in dessen Gefolge Diedrich Pollmann den Vorstandsvorsitz erhielt,63 nicht gestört. Zwar besaß die DAF von Anbeginn maßgeblichen Einfluss auf die Volksfürsorge. Da die nominelle Aktienmehrheit der Volksfürsorge jedoch bei den Konsumgenossenschaften lag und diese bis zum Krieg, allen Restriktionen und aller Eingriffe von außen zum Trotz, relativ unabhängig waren, besaß der Vorstand der Volksfürsorge allein deshalb eine recht große Eigenständigkeit. Aber auch, 62 Nach: Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 30 f. Vgl. außerdem ders., Lebensversicherung, S. 59. Zur Gewinnung neuer Kundschaft auch in den Mittelschichten vgl. unten. 63 Pollmann (1891-?) war von 1933 bis Okt. 1935 stellv. Vorstandsmitglied der Allianz-Versicherung gewesen. Er amtierte danach als Vorstandsvorsitzender und »Betriebsführer« der Volksfürsorge Lebensversicherung, seit Nov. 1936 mit dem Titel »Generaldirektor«. Gleichzeitig wurde Pollmann mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet. Nominell war er ab Febr. 1945 nur noch stellv. Aufsichtsratsvorsitzender des fusionierten DAFVersicherungskonzerns. Da die Verschmelzung zwischen Volksfürsorge und Deutschem Ring faktisch jedoch nicht zustande kam, blieb Pollmann de facto Vorstandsvorsitzender der Volksfürsorge. Sein Rücktritt im Febr. 1946 wurde durch die Alliierten erzwungen. Im Dez. desselben Jahres verbot ihm die britische Militärregierung, künftig eine führende Stellung in der Wirtschaft einzunehmen. Nach einer ›Anstandsfrist‹ wurde Pollmann in den fünfziger Jahren Vorstandsmitglied der »Frankfurter Versicherung«. Anfang der sechziger Jahre leitete er die »Münchner Hagelversicherung«. 213 die versicherungsgruppe als die Arbeitsfront im Oktober 1935 die Aktien der Konsumgenossenschaften erwarb, änderte sich an den relativ großen Handlungsräumen substantiell nichts.64 Ähnlich wie die Arbeitsbank (und die Sparkassen generell) profitierte die Volksfürsorge sowohl von der Arbeitsmarktentwicklung als auch der Devisenentwicklung, die den Erwerb von Gütern des täglichen Bedarfs erschwerte – und im Effekt die Sparquote bzw. die Bereitschaft, Kleinlebensversicherungen abzuschließen, erhöhte. Hinzu trat die Nähe zur DAF und damit die Möglichkeit, über deren Amtsträger in den Unternehmen direkt in den Betrieben neue Kunden zu akquirieren, sowie überhaupt ein zunehmend aggressives Auftreten bei der Anwerbung neuer Versicherungsnehmer. Konkurrenzunternehmen der Volksfürsorge beschwerten sich wiederholt, dass deren Außendienstler den Eindruck erweckten, sie kämen direkt von ›der Partei‹ oder seien unmittelbar im Auftrag der Arbeitsfront tätig. Vertreter anderer Versicherungsunternehmen wurden politisch mitunter massiv unter Druck gesetzt und in ihrer Arbeit behindert.65 Das Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung sah diese Entwicklung mit großer Sorge, zumal sich beim Reichsnährstand und ebenso in der Deutschen Beamtenschaft Tendenzen abzeichneten, dem Vorbild der DAF nachzueifern und für die jeweilige Mitgliedschaft sogar korporativ bei bestimmten Gesellschaften Versicherungen abzuschließen.66 Das Reichsamt intervenierte schon bald bei der Leitung der Volksfürsorge. Diese mahnte daraufhin Ende 1933 bei ihren nebenamtlich tätigen Angestellten ein ›gemäßigtes‹ Auftreten an. Das allein reichte freilich nicht hin, um einen fairen Wettbewerb zu garantieren. Ende Februar 1934 wurde deshalb die – zu diesem Zeitpunkt politisch-organisatorisch noch schwache – Arbeitsfront vom Reichsaufsichtsamt für Privatver­sicherung veranlasst, einem Wettbewerbsabkommen beizutreten, das der Volksfürsorge und ihren Mitarbeitern verbot, die Versicherungsgesellschaft als »Unternehmen der DAF« zu bezeichnen. Zudem wurde es den Mitgliedern der Arbeitsfront ausdrücklich freigestellt, bei welchem Unternehmen sie sich versichern lassen wollten. 64 Kratzer und Käding mussten sofort, Scholze im Laufe des folgenden Jahres ausscheiden (während Franke und Oestrovsky bis 1945 blieben). Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf den mit Abstand wichtigsten Zweig der Volksfürsorge, die Lebensversicherung. Die Zweige der Sachversicherung werden anschließend separat thematisiert. 65 In Einzelfällen wurde Agenten der Konkurrenz sogar mit der Einweisung in ein Konzentrationslager gedroht. Hierzu und zum Folgenden ausführlich: Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 36 f.; ders., Lebensversicherung, S. 63 ff.; ferner Ehler, Reichsverband, S. 95. 66 So forderte der Reichsbauernführer und Reichsernährungsminister, Walter Darré, in seiner Funktion als Präsident des Reichsverbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften (Raiffeisen) e.V. die Mitglieder des Reichsnährstandes auf, alle ihre Versicherungen bei den Regeno-Raiffeisen-Versicherungsgesell­schaf­ten (ab 1934: Deutscher Bauerndienst-Gesellschaften) abzuschließen. Der Reichsführer der Deutschen Beamtenschaft Hermann Neef wiederum wollte alle Beamten bei der Deutschen Beamtenversicherung versichert wissen. Vgl. ebd., S. 98. 214 die volksfürsorge (bis 1938) Die aggressive Werbetätigkeit der Volksfürsorge-Agenten wurde auf diese Weise freilich nur kurzzeitig eingedämmt. Die Klagen konkurrierender Unternehmen darüber, dass politischer Druck ausgeübt würde, um ökonomische Vorteile zu erlangen, rissen nicht ab. Tatsächlich gingen die Bemühungen, den Versicherungsunternehmen der Arbeitsfront mit politischen Mitteln Kunden zuzuführen, nach Kriegsbeginn nicht nur weiter, sie intensivierten sich sogar. Höchste Funktionsträger der DAF waren an dieser zunehmend unverhohleneren Instrumentalisierung von politischem Einfluss für wirtschaftliche Interessen maßgeblich beteiligt. So regte Heinrich Simon, dem in letzter Instanz die Aufsicht über die Unternehmen der Arbeitsfront oblag, am 25. Oktober 1939 gegenüber dem Aufsichts­rat der Volksfürsorge-Lebensversicherung an, »Landesausschüsse der Volksfürsorge in den einzelnen Gebietsteilen zu bilden und durch DAF-Organe – einschließlich Gauobmänner – zu besetzen, die den Auftrag haben, die Dienststellen und Mitarbeiter der DAF weitestgehend für die Organe der Volksfürsorge heranzuziehen«. Damit wäre die politische Organisation der Arbeitsfront sogar förmlich zur Außenorganisation der Volksfürsorge und womöglich weiterer DAF-Unternehmen geworden. Vermutlich wider Willen sah sich der Vorstandsvorsitzende der Volksfürsorge Pollmann gezwungen, Simon zu bremsen, da »eine Verwirklichung der Anregung mit Rücksicht auf die derzeitige Wettbewerbslage und die im Fluß befindliche Bereinigung des Gewerbes verfrüht sei«.67 Dagegen konnte es sich der Volksfürsorge-Vorstand 1940, als die DAF auf dem Zenit ihres politischen Einflusses innerhalb des NS-Herr­schafts­ systems stand, erlauben, sich über das Anfang 1934 geschlossene Wettbewerbs­ abkommen hinwegzusetzen: Seitdem führte das Unternehmen den Namen »Deutsche Arbeitsfront« auch offiziell in der Firmenbezeichnung und setzte diesen offensiv für die eigene Öffentlichkeitsarbeit ein. Wenn die Volksfürsorge bei der Akquirierung neuer Versicherungsnehmer weit überdurchschnittlich erfolgreich war, dann ist dies freilich keineswegs nur auf das aggressive Auftreten ihrer Außendienstler und die Nähe zur DAF oder auch darauf zurückzuführen, dass man mit besseren Konditionen der Konkurrenz Kunden abspenstig machte. Ein zugkräftiges Werbeargument war außerdem der etablierte Name des Unternehmens, der nun mit neuen, ›zeitgemäßen‹ Bedeutungen aufgeladen wurde. Das von der Versicherungsgesellschaft im Unternehmensnamen geführte Suffix »Volk« stand im Zentrum des nationalsozialistischen Sprachhaushalts. »Volksgemeinschaft« war ein zentrales NS-Ideologem, das in breiten Bevölkerungsschichten zunehmend positiv konnotiert wurde. In Verbindung mit einem auf die breite Bevölkerung abgestellten Produkt suggerierte das Suffix »Volk-« das, was man heute mit dem Terminus ›Massenkonsumgesellschaft‹ verbindet: Vormalige Luxusgüter wurden in Quantitäten und zu derart niedrigen Preisen hergestellt, dass sie auch vom einfachen »Volksgenossen« erworben werden 67 Niederschrift der Aufsichtsratssitzung der Volksfürsorge-Lebensversicherung vom 25. Okt. 1939, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 18. 215 die versicherungsgruppe konnten. Die sprachliche Verkettung mit »Volk« und »Volksgemeinschaft« freilich machte gleichzeitig für alle erkennbar deutlich, dass dabei immer nur an den »deutsch-arischen« und »erbgesunden Volksgenossen« gedacht war. Entsprechende Markenbezeichnungen wurden ab 1933 in geradezu inflationärer Häufung kreiert. Sie reichten von der »Volksgasmaske«, dem »Volksempfänger« und »Volksfernseher«, der »Volksmarmelade« über das »Volksmotorrad«, die »Volksschreib-«, »Volkswasch-« und »Volksnähmaschine«, den »Volksstaubsauger«, den »Volksherd« und das »Volksklavier«68 bis hin zum »Volkswagen«. Der im Volksmund schon bald zum »Volkswagen« mutierte KdF-Wagen, den die Volkswagenwerk GmbH im Besitz der Arbeitsfront dem staunenden Publikum in Prototypen und auf Werbeplakaten vorstellte und der selbstverständlich in »Volksgaragen« unterzubringen war (die vom KdF-»Amt Schönheit der Arbeit« konzipiert wurden), war keineswegs das einzige Produkt, durch das sich die Arbeitsfront und ihr Konzern auch sprachlich als ›volksgemeinschaftlicher Dienstleiter‹ auswiesen. Zur Vielzahl an Volksprodukten, die einer völkischen Massenkonsumgesellschaft angeboten werden sollten, gehörten außerdem prominent der »Volkstraktor«, den Ley und die DAF in einem gleichfalls riesig dimensionierten Werk in der Nähe von Waldbröl herzustellen planten, sowie der »Volkskühlschrank«, für dessen Massenproduktion die Arbeitsfront ein Großunternehmen im Wiener Umland errichten wollte, und eben die »Volksversicherung«, die die »Volksfürsorge« anbot. Der zweite Teil des Firmennamens ›passte‹ aufgrund des paternalistischen Untertons, der in den Termini »Fürsorge« und »Fürsorglichkeit« mitschwingt, ebenfalls vorzüglich in die neue Zeit. Wichtig waren auch hier die veränderten Konnotationen, der Tatbestand nämlich, dass (wie es im Volks-Brockhaus von 1939 so knapp wie präzise heißt) durch »die nationalsozialistische Weltanschauung [der] ›Fürsorgegedanke‹ mit neuem Leben erfüllt« wurde: Fürsorglich »betreut« wurden nurmehr lediglich »die für das Volksganze wertvollen Volksgenossen«.69 Glücklicher als »Volksfürsorge« konnte ein Firmenname mithin kaum gewählt sein: Es war makaber, dass die von den freien Gewerkschaften und der sozial­demokratischen Bewegung geschöpfte und mit ganz anderen Absichten verbundene Bezeichnung »Volksfürsorge« die völkisch-rassistische Ideologie und ebenso den autoritär-paternalistischen Führungsanspruch des Regimes und der DAF als seiner Vorfeldorganisation wie kaum ein andere Name so ›auf den Begriff brachte‹. »Volks«-Nähe und Kundenfreundlichkeit sowie Konformität mit den pronatalistischen Zielen des Regimes demonstrierte die Volksfürsorge freilich auch praktisch. So erweiterte sie ab Mitte 1934 die Palette ihrer Angebote durch die Einführung einer »Familien-Zusatz­ver­si­cherung«. Daneben begann die DAFVersicherung ähnlich wie zuvor schon der Deutsche Ring sowie überhaupt die 68 Zu diesen und weiteren zahllosen »Volks«-Produkten vgl. ausführlich König, Volksprodukte. 69 Der Volks-Brockhaus, Leipzig 1939, S. 224. 216 die volksfürsorge (bis 1938) meisten Privatgesellschaften »Gemeinschaftsversicherungen« anzubieten, die ganze Belegschaften oder Organisationsabteilungen gegen materielle Unwägbarkeiten aller Art absicherten. Allein auf dem Sektor der Lebensversicherung suchte die Volksfürsorge – und ebenso der Deutsche Ring – den Wunsch nach materieller Sicherheit auf immer komplexere Weise zu befriedigen. Man kann das zuspitzen: Die beiden DAF-Versicherungsgesellschaften antizipierten den Versicherungs-Hype, der spät­moderne Industriegesellschaften charakterisiert, nicht zuletzt die Bundesrepublik. In dieser Vorwegnahme des Versicherungs-Hypes der Spät- und Postmoderne der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeig­ten sich Deutscher Ring und noch mehr die Volksfürsorge elastischer und erfolgreicher als die Konkurrenz – wie das überdurchschnittliche Wachstum von Umsätzen und Bilanzsummen ausweist. Eine offensive Imagepolitik Die nach der »Machtergreifung« eingesetzten Vorstände der Volksfürsorge beschieden sich nicht damit, darauf zu setzen, dass der »volksgemeinschaftliche Fürsorglichkeit« suggerierende Name der ›Firma‹ unter den veränderten politisch-ideologischen Konstellationen zum Selbstläufer wurde. Ebensowenig spekulierten sie darauf, dass ihre »volksnahen« Angebote von selbst neue Kunden ansprechen würden. Mit einer aggressiven Imagepolitik verankerte die Leitung des Unternehmens den Namen und das Unternehmen im breiten öffentlichen Bewusstsein in der Absicht, weitere Kundenpotentiale zu mobilisieren und die Spitzenstellung, die die Volksfürsorge im Bereich der Kleinlebensversicherungen bereits 1932/33 erreicht hatte, weiter auszubauen. Man bediente sich dabei – und in offensichtlicher Absprache mit den Presseund Propagandaämtern von DAF und KdF – überaus moderner Werbemethoden. Erst während des Dritten Reiches richtete das Unternehmen eine eigenständige Werbeabteilung ein. Die Ausgaben für Außendarstellung und Reklame wuchsen stetig; sie erhöhten sich von 276.000 RM im Jahr der NS-Machtübernahme auf 424.000 RM drei Jahre später.70 Neben Anzeigenkampagnen71 setzte die Versicherungsgesellschaft besonders auf Filmvorführungen. 1936 besaß sie mehr als hundert Filmvorführapparate und zwei komplette Tonfilmwagen.72 Ende 1937 zeigte die Volksfürsorge den ersten 3D-Film, der in Deutschland überhaupt zur Aufführung gelangte. 1940 präsentierte sie farbige Werbefilme. Bereits im ersten Geschäftsjahr unter nationalsozialistischer Führung führte sie 70 Vgl. Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 38. Danach auch das Folgende. 71 Bereits im Aug. 1933 inserierte die Volksfürsorge gleichzeitig in etwa 200 Tages­ zeitungen. 72 Ob sie damit »nach der NSDAP die größte Filmorganisation Deutschlands besaß«, wie Böhle (Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 67) meint, sei dahingestellt – allein weil KdF mit ihrem ungleich größeren Organisationsapparat ebenfalls eine umfängliche und moderne Infrastruktur für Filmvorführungen aufbaute. 217 die versicherungsgruppe knapp 4.000 Filmveranstaltungen durch, die von 643.000 Interessierten besucht wurden. Nach Kriegsbeginn setzte die Volksfürsorge ihre massiven Werbekampagnen auf hohem Niveau fort. Noch 1942 besuchten eine Viertelmil­lion Menschen die Filmveranstaltungen der Volksfürsorge, der einzigen reichsdeutschen Ver­ sicherungsgesellschaft, die sich aufwendige eigene Filmproduktionen überhaupt leistete; in den okkupierten Gebieten hätten die Filmvorführungen, so Böhle, »den Siegesparaden der deutschen Besatzer geglichen«.73 In diesem Jahr der Kriegswende – und damit extremer Verluste an den östlichen Fronten sowie sich intensivierender Bombenangriffe auf deutsche Städte – schwante dem Vorstand allerdings, was auf die Volksfürsorge an langfristigen Belastungen zukommen würde. Ab dem Frühjahr 1943 wurden Werbung und Kunden­ak­quise weitgehend eingestellt und Werbebroschüren aufgrund der Kontingentierung von Papier kaum mehr gedruckt.74 Unabhängig von den aufwendigen Werbekampagnen entwickelte die Volksfürsorge ab 1935 erste Elemente der Marktforschung, indem sie 500 der eigenen, im Außendienst tätigen Angestellten systematisch zu ihren Werbemethoden und -erfolgen befragte. Zudem veränderte die Volksfürsorge ihr Logo. Statt wie bis 1933 »mit dem Sargdeckel zu winken« (Böhle), machte sie den »Schrittmacher«, eine Spielzeugfigur aus dem Erzgebirge, zu ihrem Markenzeichen.75 Umsatz, Gewinnentwicklung und Kapitalanlagen bis 1939 Über das vormals sozialdemokratische Milieu – das dem Unternehmen offensichtlich treu blieb – hinaus begann die Volksfürsorge in den Vorkriegsjahren immer stärker in Kundenkreise zu expandieren, die dem gewerkschaftseigenen Unternehmen zuvor skeptisch gegenübergestanden hatten. Allerdings blieb die Arbeiterschaft weiterhin die Hauptkundschaft, auch aufgrund sehr konkreter Zugeständnisse. Unmittelbar nachdem der neue Vorstand im Mai 1933 sein Amt angetreten hatte, senkte er die monatliche Mindestprämie von zwei auf eine Reichsmark – und band damit die von Lohneinbußen während der Krise und auch in der Folgezeit gebeutelte Arbeiter-Kund­schaft weiterhin an das Unternehmen. Die niedrigen Effektivverdienste erlaubten den meisten Arbeitern und niederen Angestellten keine Erhöhung der Versicherungspolicen. Noch 1939 betrug die Durchschnittsprämie bei Neuzugängen im Bereich der Kleinlebensversicherungen lediglich 2,13 RM.76 Bereits zwischen 1933 und 1936 hatte die Volksfürsorge die Zahl der Versicherungsverträge knapp verdoppeln können. Ihre Prämieneinnahmen steigerte sie in diesen drei Jahren um fast 62 % (Tabel73 Vgl. ebd., S. 65-69, 83 f. Zitat: S. 83. 74 Ab Sommer 1944 musste aufgrund akuter Papierknappheit auch das bürokratische Procedere im Versicherungsfall, die Zahl und der Umfang der auszufüllenden Formulare, reduziert werden. Vgl. ebd., S. 95. 75 Vgl. ebd., S. 38. 76 Vgl. ebd., S. 58. 218 die volksfürsorge (bis 1938) len 2.2. und 2.3.), die gesamte Versicherungsbranche dagegen nur um 28 %.77 Vor allem in den beiden letzten Vorkriegsjahren beschleunigte sich dieser Trend noch einmal. 1939 hatte die Volksfürsorge die Summe ihrer jährlichen Prämieneinnahmen gegenüber 1933 fast verdreifacht. Gewiss prosperierten auch andere private Lebensversicherungsgesellschaften. Die Volksfürsorge lag mit ihrem Wachstum jedoch deutlich an der Spitze. Zwischen 1934 und 1939 stieg die von der Volksfürsorge ausgewiesene Versicherungssumme um drei- bis fünfmal so stark wie die ihrer wichtigsten Konkurrenten: Die »Victoria zu Berlin Allgemeine Versicherungs-AG« (Victoria) verzeichnete in diesen fünf Jahren eine Bestandssteigerung von 27,3 %, der Gerling-Konzern von 37 %, die »Karlsruher Lebenversicherungs-Bank« von 51,2 %, die »Allianz Lebensversicherungs AG« von 53,2 % und die »Deutsche Herold Volks- und Lebensversicherungs AG« um 55 %. Das Wachstum der Volksfürsorge lag dagegen bei 150,2 %. Lediglich die Lebensversicherung des Deutschen Rings konnte einigermaßen mithalten. Sie wies zwischen 1934 und 1939 eine Bestandssteigerung von 122,8 % aus.78 Ein halbes Jahr vor Kriegsbeginn verwalteten die Ver­sicherungsgesellschaften der Arbeitsfront 10,2 % des Gesamtbestandes aller deutschen Lebensversicherungen in Höhe von etwa 29,5 Mrd. RM.79 Auf einen unbedingten Expansionskurs getrimmt, begnügte sich der Vorstand der Volksfürsorge nicht mit einem Wachstum ausschließlich aus eigener Kraft. Seit 1938 verhandelte sie mit dem Ziel der Übernahme mit einer Reihe kleiner Versicherungsgesellschaften, die ebenfalls auf dem Markt der Kleinlebensversicherungen aktiv waren. Im Oktober 1939 übernahm sie schließlich die Lübecker »Hansa Volksversicherung« mit 180.000 Versicherten und deren Bestand von 40 Mio. RM.80 Bereits 1938 hatte sie (wie geschildert) den Bestand an Kleinlebensversicherungen von der liquidierten, vormals christ-gewerk­ schaftlichen Deutschen Leben erhalten. Ebenfalls 1938 war die Volksfürsorge zur Mehrheitsaktionärin der »Gisela Lebens- und Aussteuerversicherungs AG/ Mün­chen« geworden.81 In den Besitz der Aktienmehrheit der Gisela war die Volksfürsorge dadurch gelangt, dass sie wenige Monate nach dem »Anschluss« Österreichs die Muttergesellschaft der Münchner Gisela erworben hatte, die Wiener »Allianz und Giselaverein AG« (Allgis), die sie dann in der Folgezeit zur auf dem österreichischen 77 Nach ebd., S. 29. 78 Nach: ebd., S. 57 f. Vgl. außerdem Feldman, Allianz, S. 345. 79 Nimmt man nur die privaten Lebensversicherungsgesellschaften und deren Gesamtversicherungssumme von 24,9 Mrd. RM, konzentrierten Volksfürsorge und Deutscher Ring plus angeschlossene Unternehmen sogar 12 % auf sich. Vgl. ZfW, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 16. 80 Vgl. Leistungsbericht des Amtsleiters für die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF für 1939/40 (Anm. 36), sowie Niederschrift über Aufsichtsratssitzung der Volksfürsorge-Lebensversicherung vom 25. Okt 1939, in: ebd., Nr. 18. 81 Vgl. Niederschrift über Aufsichtsratssitzung der Volksfürsorge-Lebensversicherung vom 22. Juni und 25. Okt. 1939, in: ebd. 219 die versicherungsgruppe Lebensversicherungs-Markt dominierenden Ostmärkischen Volksfürsorge ausbaute. Zunächst hielt die Volksfürsorge nur gut die Hälfte (52 %) der Aktien an der 1926 von der Wiener Allgis abgespaltenen und firmenrechtlich verselbständigten Münchner Gisela. 1941 erwarb sie die restlichen Aktien.82 Gegenüber der Muttergesellschaft blieb die Münchner Gisela selbständig. Blickt man auf die in den Geschäftsberichten präsentierten Zahlen, agierte das bayerische Unternehmen nach seinem Erwerb durch die DAF ähnlich erfolgreich wie die Hamburger oder auch die Ostmärkische Volksfürsorge: Die Zahl der bei der Münchner Gisela abgeschlossenen Versicherungen, die 1939 bei 68.000 gelegen hatte (und damit unter dem Niveau von 1935 mit 78.000 Versicherungen), stieg bis 1943 auf über 100.000. In ungefähr der gleichen Größenordnung – um etwa zwei Drittel – erhöhte sich auch die Bestandssumme (Tabelle 2.6.). Mit der Übernahme der Münchner Gisela und vor allem der Wiener Allgis war die Versicherungsgruppe der Volksfürsorge nicht nur die größte Volksversicherungsgesellschaft im (Groß-)Deutschen Reich. Das war sie bereits während der freigewerkschaftlichen Ägide in der Weimarer Republik gewesen. Nun stand sie auch in ganz Europa bei den Kleinlebensversicherungen an der Spitze. Unter der Gesamtheit der reichsdeutschen Versicherungsunternehmen (inkl. der lukrativeren Großlebensversicherungen) belegte sie bei Kriegsbeginn nach der Allianz Lebensversicherungs-AG (232 Mio. RM Prämienaufkommen) mit 99,9 Mio. RM Prämienaufkommen unangefochten den zweiten Platz, vor der »Victoria« (66,4 Mio. RM), dem Gerling-Konzern (50,4 Mio. RM) und dem Deutschen Herold (46,9 Mio. RM). Der Gerling-Konzern und der Deutsche Herold hatten 1934 noch vor der Volksfürsorge gelegen. Die gleichfalls im Besitz der Arbeitsfront befindliche DR-Lebensversi­che­rung lag 1939 mit einem Prämienaufkommen von 45,7 Mio. RM unter den deutschen Lebensversicherungen auf einem beachtlichen sechsten Rang.83 In der Tat war der führenden Allianz, wie Gerald Feldman konstatiert hat, vor allem »aus den Reihen der der DAF nahestehenden Unternehmen eine ernst zu nehmende Konkurrenz er­wachsen«.84 Während die anderen Versicherungsunternehmen, auch der Deutsche Ring, das Hauptgeschäft mit Großlebensversicherungen machten, war die Volksfürsorge mit Kleinlebensversicherungen – »Volksversicherungen« – groß geworden. 82 Bis 1941 waren diese Aktien von der Münchner Rückversicherungs-Gesellschaft AG ­gehalten worden. Nach Böhle (Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 107) war deren Erwerb für das DAF-Unternehmen außerordentlich günstig. Zur Wiener Allgis vgl. unten. 83 Der DR-Lebensversicherung folgten die »Karlsruher« (41,6 Mio. RM), die Alte Leipziger Lebensversicherungsgesellschaft a.G. (37,9 Mio. RM), die Gothaer Lebensver­ sicherungsbank a.G. (37,2 Mio.), die Vorsorge Lebensversicherungs AG (33,3 Mio. RM) sowie die Berlinische Lebensversicherungs-Gesellschaft AG (32,8 Mio. RM Prämienaufkommen). Nach: Feldman, Allianz, S. 345. Nach Angaben Hans Strauchs lag das Prämienaufkommen der beiden DAF-Lebensversicherungsgesellschaften 1939 sogar noch um knapp 20 Mio. RM über den von Feldman genannten Zahlen. Vgl. AWU, Leistungsbericht für 1939/40 (Anm. 36). 84 Feldman, Allianz, S. 345. 220 die volksfürsorge (bis 1938) Seit 1933 bot die Volksfürsorge verstärkt allerdings auch Großlebensversicherungen (mit einer Versicherungssumme von 2.000 RM und mehr) an. Zwar blieben die »Kleinlebensversicherungen« mit minimalen Prämien und Versicherungssummen das Hauptgeschäft; der Anteil der Großlebensversicherungen an der Gesamtheit der abgeschlossenen Versicherungen betrug durchgängig eineinhalb Prozent. Hinsichtlich ihres finanziellen Volumens gewannen die Großlebensversicherungen in den ersten sechs Jahren der NS-Herr­schaft jedoch an Bedeutung: Der Anteil der Großlebensversicherungen am Gesamtbestand (Versicherungssumme) erhöhte sich von 6,8 % 1933 auf 20,1 % im Jahr des Kriegsbeginns und 23,2 % 1941.85 In den letzten Kriegsjahren lag er bei knapp 30 %.86 Bereits im Oktober 1939 konstatierte der Vorstandsvorsitzende der Volks­f ürsorge Pollmann vor diesem Hintergrund zufrieden, dass die Volksfürsorge-Lebens­versi­che­rung »keine reine Volksorganisation mehr [ist], sondern eine in unserer Branche seltene Vereinigung von kleinen und größeren Bringern des Neugeschäfts«.87 Der größte Konkurrent der DAF-Versi­che­rung, die Allianz, sah denn auch mit Sorge, dass die Volksfürsorge zunehmend in ihr Stammgeschäft mit Großver­ sicherungen einbrach, weil diese ihre Produkte zu günstigeren Prämien anbot.88 Auch die seit Sommer 1934 angebotenen »Familien-Zusatzversicherun­gen« fanden erhebliche Resonanz89 und waren gleichfalls mitverantwortlich für den überdurchschnittlichen Aufschwung der Volksfürsorge. Wie entwickelte sich die Rentabilität? Die Verwaltungskosten, zentraler Indikator für die Rentabilität des Unternehmens, lagen im Vergleich zu anderen Versicherungen aufgrund des kostengünstigen Außendienstes bei der Volksfürsorge traditionell niedrig. Wenn sie von 1933 auf 1934 deutlich, von 21,4 % auf 27 % anstiegen (Tabelle 2.5.), dann vor allem deshalb, weil sich das Unternehmen nach der Übernahme durch die DAF der Arbeitsbeschaffung »Alter Kämpfer« verschrieb und weit über das betriebswirtschaftlich notwendige Maß 85 Vgl. die entsprechenden Geschäftsberichte der Volksfürsorge Lebensversicherungs AG; ferner Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 58. 1939 überstieg der Neuzugang an Großlebensversicherungen (Gesamtversicherungssumme) kurzzeitig sogar den der Klein­policen. Dies war zwar nur vorübergehend, weil Anfang 1939 die gesetzliche Rentenversicherung auf die selbständigen Handwerksmeister ausgeweitet wurde und diese sich von dieser Versicherungspflicht befreien konnten, indem sie eine Lebensversicherung abschlossen. Nicht wenige Handwerksmeister gingen aufgrund der niedrigen Prämien zur Volksfürsorge. Bereits bis Spätsommer 1938 verzeichnete die Volksfürsorge in dem »Handwerkergeschäft über 100 Millionen Reichsmark Zugang«. 86 Nach Böhle (ebd., S. 81) betrug der Anteil der Großlebensversicherungen am Gesamtaufkommen an Prämieneinnahmen Ende 1943 27,3 %. Nach dem von Pollmann für die Aufsichtsratsmitglieder erstellten Geschäftsbericht vom 9. Sept. 1943 hatte dieser Prozentsatz 1941 bei 20,3 % und 1942 bei 22,3 % gelegen. In: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 18. 87 Bericht Pollmanns auf der Aufsichtsratssitzung der Volksfürsorge-Lebensversicherung vom 25. Okt 1939, nach: ebd. 88 Vgl. Feldman, Allianz, S. 346. 89 Bereits 1934 wurden mehr als 156.000 Familien-Zusatzversicherungen abgeschlossen, 1935 dann fast 235.000. Vgl. Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 30. 221 die versicherungsgruppe hinaus neue Leute einstellte. Aufgrund der rasch wachsenden Zahl neu abgeschlossener Kleinlebensversicherungen – und obwohl die Gehälter der hauptamtlichen Volksfürsorgeangestellten deutlich über dem Durchschnitt der Branche lagen90 – sanken die Verwaltungskosten in der Folgezeit allerdings wieder. Einen entsprechenden Verlauf nahm das Verhältnis der Kapitalerträge zur Jah­ resprämie (Tabelle 2.3.). Ebenso lagen die Abschlusskosten bei Neugeschäften vor allem aufgrund der nebenberuflich tätigen, agilen Vertrauensleute deutlich unter denen der Konkurrenz: Sie betrugen 1938 bei der Volksfürsorge 30,9 %, bei der Allianz dagegen satte 51 %.91 Nach internen Feststellungen der Allianz war dieser Vorsprung der Volksfürsorge keinesfalls nur auf die Nähe zur DAF zurückzuführen; offenbar hatte es die Volksfürsorge darüber hinaus verstanden, gegenüber den Anfangsjahren des Dritten Reiches trotz steigender Gehälter und Werbeprämien die Kosten generell deutlich zu senken.92 Wie wurden die angesammelten Kapitalien angelegt? Angesichts der Anbindung in die DAF überrascht wenig, dass die Volksfürsorge – und ähnlich die DR-Versicherungen – in ihrer Kapitalanlagepolitik den Zielsetzungen des Hitler-Regimes folgte (Tabelle 2.4.): Anfangs verwendete die Volksfürsorge wie viele andere Versicherungsgesellschaften auch ihre Bestände noch in größerem Umfang für Hypothekendarlehen. Sie vergab Hypotheken zu günstigen Konditionen für den Siedlungs- und Wohnungsbau, den die einschlägigen DAF-Unternehmen verantworteten, war auch bei »Prestigeprojekten« anderer Bauträger dabei und unterstützte nicht zuletzt die Wehrmacht mit Hypothekendarlehen, wenn diese als Bauträger auftrat.93 Bemerkenswert ist freilich, dass der Anteil der Hypotheken inkl. Gemeindedarlehen in v.H. des Gesamtbestandes aller Kapitalanlagen schon in den ersten Jahren der NS-Diktatur deutlich niedriger lag als 1930, also zu Zeiten, als die Volksfürsorge noch im Besitz der freien Gewerkschaften gewesen war: Von fast 90 % schrumpfte dieser Prozentsatz auf knapp 90 Vgl. Kapitel 9, S. 533 f. 91 Vgl. Feldman, Allianz, S. 345 f. Nach Feldman hatte die Volksfürsorge damit neben der Allianz auch die Victoria und die Gerling überholt. Während des Krieges entwickelten sich die Abschlusskosten nach dem Geschäftsbericht für 1942 wie folgt: 1939 38,9 %, 1940 34,5 %, 1941 34,3 % und 1942 30,3 %. 92 Vgl. Bericht des Allianz-Generaldirektors Schloeßmann vom 5. März 1940, nach: ebd., S. 346. Entscheidend war auch nach den Feststellungen Schloeßmanns der Außen­ dienst; die Verwaltung und der Innendienst waren dagegen bei der Volksfürsorge aufwendiger, da sie als eine Kleinlebensversicherung eine viel größere Zahl an Policen zu verwalten hatte als der Großlebens-Versi­cherer Allianz. 93 1936 lag das Volumen der an DAF und Wehrmacht zum Zwecke des Wohnungs- und Siedlungsbaues gewährten Hypotheken bei 30,6 Mio. RM; das waren knapp 20 % sämtlicher in diesem Jahr getätigten Vermögensanlagen der Volksfürsorge. Nach: Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 33. Zur wahrscheinlichen Beteiligung der Volksfürsorge an der »Arisierung« von Immobilien vgl. ebd., S. 60. Zum Engagement der Volksfürsorge im Rahmen von »Prestigeprojekten« vgl. exemplarisch Bernhard Gotto, Nationalsozialistische Kommunalpolitik. Administrative Normalität und Systemstabilisierung durch die Augsburger Stadtverwaltung 1933-1945, München 2006, S. 250, Anm. 427. 222 die volksfürsorge (bis 1938) zwei Drittel 1933, um anschließend kontinuierlich weiter abzusinken. Dies bedeutete, dass schon früh vom jährlich zufließenden Kapital ein geringer und in den Folgejahren stetig sinkender Prozentsatz als Hypotheken, Siedlerdarlehen etc. vergeben wurde.94 Seit Ende 1938 zeichneten die Versicherungsunternehmen der DAF weit überwiegend Reichsanleihen, und zwar noch über dem Trend, der die Versicherungen neben den (öffentlich-rechtlichen) Sparkassen vor den Banken als zentrale »Kapitalsammelstellen« des Reiches auswies. Mit einem Anteil von gut 70 % an den jährlich neu getätigten Anlagen bis Herbst 1939 bewegte sich die Volksfürsorge – und ähnlich der Deutsche Ring – bei der Zeichnung von Reichsanleihen im Spitzenfeld der reichsdeutschen Versicherungsgesellschaften. Bei der Allianz betrug der Anteil der Staatsanleihen an der Gesamtheit aller Anlagen 1939 dagegen ›nur‹ 54,6 %.95 Zur Kapitalanlagepolitik bis 1938 gehörte schließlich wesentlich der Erwerb vormals gewerkschaftlicher Immobilien. Dies geschah nicht allein, um Hypotheken zu sichern. Dahinter stand außerdem politischer Druck der ArbeitsfrontFührung, die für das ehemalige Gewerkschaftseigentum nominelle Besitzer suchte. Mit dem Kauf ehemaliger Gewerkschaftshäuser akkumulierte die Volksfürsorge vor allem Verluste. Denn diese Immobilien waren meist von lokalen und regionalen Stellen der DAF und der NSDAP okkupiert, die oft nicht daran dachten, Mieten zu zahlen, oder mindestens auf deutliche Mietnachlässe drängten. Weil die Volksfürsorge als parteinahes Unternehmen hier wenig Druck entfalten konnte und um Interessenkollisionen mit den politischen Organen der DAF zu vermeiden, wollte die Volksfürsorge ihre Immobilien einer nominell eigenständigen Grundstücksgesellschaft übertragen. Dies wurde allerdings vom Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung abgelehnt.96 Die von der Volksfürsorge nicht ganz freiwillig praktizierte, auf die Ziele des Regimes und der Arbeitsfront abgestellte Kapitalanlagepolitik war alles in allem so wenig lukrativ, dass die Kapitaleinnahmen der Volksfürsorge (Zinsen aus der Anlage in Anleihen und anderen Wertpapie­ren etc.) trotz einer quantitativen Steigerung der Anlagen relativ und sogar absolut zu­rückgingen, wie das Reichs­aufsichtsamt für Privatversicherung im Herbst 1935 kritisch bemerkte.97 94 In Gemeindedarlehen und Krediten an sonstige öffentliche Körperschaften war das Unternehmen lediglich anfangs (begrenzt), spätestens seit 1936 dann kaum noch engagiert. Der vorübergehende Anstieg der »Schuldscheindarlehen« in den Jahren 1937 und 1938 ist u. a. darauf zurückzuführen, dass die Volksfürsorge gemeinsam mit dem Deutschen Ring ein Darlehen von 30 Mio. RM für das Volkswagenwerk zeichnete. Zur Kapitalanlagepolitik des Deutschen Rings vgl. unten. 95 Vgl. Kopper, Bankenpolitik, S. 159; Feldman, Allianz, S. 195; Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 61. 96 Vgl. ausführlich ebd., S. 32 ff. 97 Vgl. ebd., S. 31. 223 4.4. Die Volksfürsorge ab 1938/39 Umsatz, Gewinnentwicklung und Kapitalanlagen im »Altreich« ab 1939 Bereits bis 1939 war das Wachstum der deutschen Versicherungsunternehmen von einer ungehemmten Dynamik gekennzeichnet. Nach Kriegsbeginn änderte sich daran nichts. Im Gegenteil: Angesichts der kriegsbedingten Risiken für Leib und Leben sowie des Tatbestandes, dass die gesamte deutsche Lebensversicherungsbranche aus politischen Gründen das Kriegsrisiko in den Versicherungsverträgen »sehr großzügig regelte« (Böhle), boomte das Lebensversicherungsgewerbe wie nie zuvor. Hinzu kam, dass der kriegsbedingte Kaufkraftüberhang zunehmend auch Arbeitnehmerhaushalte einschloss; trotz relativ niedriger Netto­einkommen sammelten auch sie angesichts der Rationierung einer wachsenden Zahl von Gütern des alltäglichen Bedarfs Vermögen an, die gleichsam nach Anlage suchten. Sich mit diesen Geldern für den Versehrtenoder Todesfall abzusichern, lag auch deshalb auf der Hand, weil das Reichs­ aufsichtsamt für Privatversicherung bereits wenige Wochen nach Kriegsbeginn verfügte, dass aktive Kriegsteilnehmer und von Kriegshandlungen betroffene Zivilpersonen in den Versicherungsschutz bestehender Verträge ungeachtet anderer Formulierungen einzubeziehen seien. Der am 1. September 1939 eingeführte »Kriegszuschlag« war mit ein bis drei Prozent vergleichsweise moderat; er galt zudem nur für Versicherungen mit einer Summe über 500 RM. Die Prämien von Versicherten, die einberufen wurden und ihre Verträge vor dem 1. September 1939 abgeschlossen hatten, wurden zudem bis zu einer Höhe von 5 RM von den Sozialbehörden übernommen.98 All dies waren politisch motivierte Maßnahmen, dazu gedacht, die reichsdeutsche Bevölkerung ruhigzustellen. Abzusehen war, dass die Regelungen die reichsdeutschen Privatversicherungen ökonomisch in den Ruin treiben würden – sobald die Kette an »Blitzsiegen« einmal unterbrochen würde. Der Volksfürsorge-Vorstand kalkulierte indes nicht mit Niederlagen der Wehrmacht. Das Kriegsgeschehen veranlasste ihn bis 1943 jedenfalls nicht zu einer vorsichtigeren Praxis bei der Anwerbung neuer Kunden. Noch nach der verlorenen Schlacht um Moskau und dem Kriegseintritt der USA setzte die Volksfürsorge ihre (oben skizzierten) Werbekampagnen auf hohem Niveau fort. Den Außendienstlern wurde eine weiterhin offensive Kundenakquirierung ans Herz gelegt, nach dem im Dezember 1939 formulierten Motto: »Auch im Bunker wirbt der Volksfürsorge-Mann.«99 Infolgedessen konnten auch ausländische Beobachter eine »kräftige Weiterentwicklung des Geschäfts feststellen«.100 Darüber hinaus blieb Networking in die für Finanz- und Versicherungswirtschaft zuständigen Institutionen hinein, mit dem Ziel der Einverleibung kleine98 Vgl. ebd., S. 82, 85 f. 99 Die Arbeit, Nr. 12 (Dez. 1939), S. 7, nach: ebd., S. 83. 100 Kommentar der NZZ vom 9. Dez. 1943 zu den Abschlüssen der Volksfürsorge von 1942. 224 die volksfürsorge ab 1938/39 rer Versicherungsunternehmen, ein wichtiges Element der Unternehmenspolitik. So waren führende Angestellte der Volksfürsorge im »Altreich« federführend an der Ausarbeitung von Plänen beteiligt, kleine Sterbekassen unter dem Vorwand, Kosten und Arbeitskräfte zu sparen, aufzulösen und deren Bestände in größere Versicherungsunternehmen überzuleiten. Das Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung setzte die Volksfürsorge »als Auffanggesellschaft für Sterbekassen bevorzugt ein«.101 Zwar setzte sich der Aufschwung der Vorkriegsjahre für alle privaten Lebensversicherungsgesellschaften bis 1942/43 ungebrochen fort. Die Volksfürsorge partizipierte an dieser Hochkonjunktur jedoch erneut in überdurchschnittlichem Maße und wuchs noch stärker als vor dem Krieg in die Rolle »einer sehr starken Konkurrenz für die übrige alte deutsche Versicherung« hinein.102 Zwischen 1938 und 1943 verdoppelte sich ihr Bestand (Gesamtsumme an Versicherungen) noch einmal. 1943/44 erreichte die Zahl der bei der Volksfürsorge Versicherten mit mehr als sieben Millionen schließlich ihren höchsten Stand (Tabelle 2.2. und 2.3.). Innerhalb der Branche baute die DAF-Ver­sicherung ihre Spitzenstellung weiter aus; Anfang der vierziger Jahre konzentrierte die Volksfürsorge etwa 15 % aller Lebensversicherungsverträge auf sich.103 Indes war dieser Boom eine Scheinblüte: Wenn die Neuzugänge an Versicherten von 1940 bis 1942 mit jährlich deutlich über 800.000 (Tabelle 2.2) alle bisherigen ›Erfolge‹ weit in den Schatten stellten, dann erklärt sich dies aus dem wachsenden individuellen Kriegsrisiko. Vom Sinn eines kurzfristigen Abschlusses von günstigen Lebensversicherungen musste kaum jemand mehr überzeugt werden. Erst 1942/43 – angesichts der vernichtenden Niederlage der deutschen Wehrmacht bei Stalingrad – begann sich der Vorstand der Volksfürsorge darauf einzustellen, dass das Wachstum des Unternehmens mit unkalkulierbaren Risiken erkauft war und zudem bei vielen Neuabschlüssen nach Kriegsende mit einem Storno zu rechnen war. Die Werbung neuer Kunden, die eingezogene Volksfürsorge-Männer in den ersten Kriegsjahren selbst in Schützengräben und Lazaretten betrieben hatten,104 wurde seit ›Stalingrad‹ infolgedessen systematisch gedrosselt. Der Außendienst sollte die »Bestandspflege« in den Vordergrund stellen.105 Die Zahl der Neuzugänge lag jedoch 1943 immer noch bei knapp 400.000. Bis Sommer 1944 schlossen noch einmal mehr als 100.000 Deutsche bei der Volksfürsorge eine Versicherung ab, obwohl diese die Annahme von Neuanträgen mit dem Hinweis auf fehlendes Personal abzuwimmeln versuchte. Gänzlich verweigern konnten sich die DAF-Versicherungen aller­dings nicht. 101 102 103 104 105 Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 81. Zitat: NZZ vom 11. Jan. 1940. Vgl. Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 81. Vgl. ders., Lebensversicherung, S. 67 f. Ein noch 1944 gedrehter Kurzfilm zielte nicht auf neue Kunden, sondern sollte den langjährig Versicherten ein Wegweiser sein, wo sie in den zunehmend zerstörten Städten und Regionen die Volksfürsorge erreichen konnten. Vgl. ders., Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 85 f. 225 die versicherungsgruppe Das Ansinnen, den Neuabschluss von Versicherungspolicen förmlich zu verbie­ ten, lehnte das 1943 in »Reichsaufsichtsamt für das Versicherungswesen« umbenannte ehemalige Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung lange Zeit ab, um die Stimmung an der deut­schen Heimatfront nicht noch weiter zu verschlechtern. Erst ab Frühherbst 1944 erließ das Reichsamt eine Anordnung, die für Lebensversicherungen sowie ähnlich auch für Kranken- und Unfallversicherungen »jeden Neuabschluss von Versicherungsverträgen« verbot. Obgleich jeder Neuabschluss von Versicherungsverträgen seit 1939/40 un­ kalkulierbare Risiken barg, blieb die Volksfürsorge noch lange Zeit nach Kriegsbeginn ein ausgesprochen profitables Unternehmen. Dazu trug bei, dass die Stammbelegschaft kriegsbedingt ›ausgedünnt‹ werden muss­te und zudem die Arbeitszeiten ausgeweitet wurden. Am Jahresende 1938 und 1939 hatte die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter bei etwa 2.500 gelegen (Tabelle 2.5.). Infolge der umfänglichen Auslandsaktivitäten (auf die gleich ausführlicher eingegangen wird) wuchs die hauptamtlichen Belegschaft bis Ende 1940 auf fast 4.000 Köpfe, um dann in den Folgejahren aufgrund einer rasch wachsenden Zahl an Einberufungen dramatisch zu schrumpfen. Ende 1943 belief sich die Zahl der verblieben­en hauptamtlich von der Volksfürsorge Beschäftigten auf nicht einmal die Hälfte des Standes von 1940. Bis Herbst 1944 war sie auf ungefähr tausend Köpfe zu­rückge­gan­gen, in­klusive sämtlicher Zweig- und sonstigen Geschäftsstellen. Parallel dazu kam es ab 1937 zu einer ausgeprägten Feminisierung der Angestelltenschaft; in der zweiten Kriegshälfte stellten Frauen schließlich die überwiegende Mehrheit der insgesamt schrumpfenden hauptamtlichen Belegschaft. Weil die Belegschaftszahlen teilweise dramatisch zurückgingen und überdies an Stelle männlicher Mitarbeiter gering bezahlte Frauen eingestellt wurden, gleichzeitig die Zahl der Versicherten weiter stieg und die Prämieneinnahmen wuchsen, konnten die Verwaltungskosten gesenkt und die Rentabilität des Unternehmens erhöht werden. Allein der »Verwaltungskostengewinn« verdoppelte sich von 13,6 Mio. RM im ersten Kriegsjahr auf 24,6 Mio. RM im folgenden Jahr knapp. In den ersten Kriegsjahren konnte die Volksfürsorge zudem sogar einen »Sterblichkeitsgewinn« ausweisen; er lag 1940 bei 5,4 Mio. RM.106 In die roten Zahlen begann das Unternehmen zu geraten, als die Phase erfolgreicher Blitzkriege definitiv zu Ende ging, die Zahl der getöteten deutschen Soldaten in die Höhe schnellte – und nun immer mehr Lebensversicherungen fällig wurden. Obwohl die Versicherungsleistungen für Kriegs­sterbefälle 1942 bereits bei 25 Mio. RM lagen,107 konnte der Vorstand der Volksfürsorge in die106 Der »Sterblichkeitsgewinn« markiert die Differenz zwischen versicherungsmathematisch prognostizierter und realer Sterblichkeit (der Versicherten); der »Verwaltungskostengewinn« bezieht sich auf die Differenz zwischen den in die Prämieneinnahmen einberechneten Verwaltungsgebühren und den tatsächlichen Verwaltungskosten. Angaben nach: ebd., S. 87 f., 92. 107 1939 hatten die »Versicherungsleistungen für Kriegssterbefälle« bei 0,5 Mio. RM, im folgenden Jahr bei 2,5 Mio. RM, 1941 dann bereits bei 9,5 Mio. RM gelegen. 1943 be- 226 die volksfürsorge ab 1938/39 sem Jahr noch mit einem ausgeglichenen Ergebnis aufwarten. 1943, als sich die Volksfürsorge in dem Ruhm sonnte, ein »Weltunternehmen« zu sein, »das heute die größte Versichertengemeinschaft Europas umfasst«,108 wies die DAF-Lebensversicherung ein letztes Mal einen kräftigen »Geschäftsüberschuss« aus.109 Im selben Jahr war freilich mehr als deutlich abzusehen, dass auf absehbare Zeit starke Verluste drohen würden. Da die Deckungsrücklagen angesichts der rasch wachsenden Sterblichkeit nicht mehr ausreichten, forderten alle Versicherungen von den Versicherten mit staatlichem Einverständnis »neben einem Kriegszuschlag in Höhe von 3 von Tausend für neuabzuschliessende Versicherungen noch zusätzlich die Erhebung einer Umlage für sämtliche bestehenden Versicherungen in Höhe von 6 von Tausend«.110 Die Probleme ließen sich dadurch jedoch nicht lösen. Im letzten Kriegsjahr erreichten die Verluste astronomische Höhen. 1944 fehlten der Volksfürsorge 73,5 % des ausgewiesenen Deckungskapitals (690 Mio. RM). Verloren waren vor allem die Reichs­anleihen in Höhe von 554 Mio. RM, die spätestens mit dem Ende des Krieges abgeschrieben werden mussten.111 Während des gesamten Zeitraumes von September 1939 bis Ende 1944 standen außerordentlichen Ausgaben in Höhe von knapp hundert Mio. RM lediglich Einnahmen von 11 Mio. RM aufgrund zusätzlicher Einnahmen aus Kriegszuschlägen sowie weitere 19 Mio. RM Einnahmen aufgrund einer außerordentlichen Umlage in Höhe von 6 Promille der Versicherungssumme, die alle Versicherten aufzubringen hatten, gegenüber. Die ungedeckten Verluste beliefen sich bei Kriegsende also auf etwa 70 Mio. RM.112 108 109 110 111 112 liefen sie sich auf 25,7 Mio. RM, 1944 auf 36,4 Mio. RM. Zahlen nach den Geschäftsberichten der Volksfürsorge-Lebens­versicherung für 1939 bis 1943 bzw. den Niederschriften der Aufsichtsratssitzungen zwischen dem 22. Juni 1939 und dem 14. Febr. 1945. So die stolze Selbstbeschreibung in: 30 Jahre Volksfürsorge, in: Kameradschaft [Hauszeitschrift], 3-5/1943, S. 4, nach: Böhle, Expansion, S. 181 bzw. ders., Lebensversicherung, S. 49. Der Geschäftsüberschuss – nicht identisch mit dem Reingewinn, den der Volksfürsorge-Vorstand wohlweislich für sich behielt – lag 1943 bei 23,3 Mio. RM, gegenüber 18,4 Mio. RM im Vorjahr. 1939 bis 1941 betrug der Geschäftsüberschuss jeweils 22,8 Mio. RM, 26,3 Mio. RM und 28,8 Mio. RM. Nach den Geschäftsberichten für 1941 bis 1943, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 18. ZfF/AWU, Leistungsbericht für 1943, in: BA Berlin, NS 5 I, Nr. 33. Ohne konkret zu werden, erklärte Pollmann in seinem im Juni 1944 abgefassten vorläufigen Jahresbericht für 1943 (in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 17), dass man auch sonst alles versucht habe, »um die ›Geldunterbringer nur für den Krieg‹ und die ›Summenübersetzer mit spekulativem Hintergrund‹ abzuschütteln«. Vgl. Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 142. Nach: ebd., S. 87 f.; ders., Lebensversicherung, S. 68. Hinzu traten die Verluste durch zerstörte Immobilien. Bereits Anfang 1944 waren zwanzig der insgesamt 119 regionalen Geschäftsstellen der Volksfürsorge zerstört worden. Infolge der katastrophalen Angriffsserie auf Hamburg vom Juli und Aug. 1943 (»Operation Gomorrha«) wurde der »technische Betrieb« der Hauptverwaltung des Unternehmens »auf 5 Stützpunkte im Reich« verlagert. Vgl. ZfF/AWU, Leistungsbericht für 1943 (Anm. 110). 227 die versicherungsgruppe Bis Kriegsmitte hatte man geglaubt, den eingeschlagenen Kurs weiter verfolgen zu können – auch in der Kapitalanlagepolitik. Das seit 1939 eingesammelte Kapital legte die Volksfürsorge fast ausschließlich in staatlichen Wertpapieren an. Die staatlichen Vorgaben wurden damit übererfüllt. Infolgedessen ging der Anteil der Hypotheken an den gesamten Vermögensanlagen relativ und auch absolut weiter stark zurück. Last but not least ließen die niedrig verzinsten Reichsanleihen113 die Zinsgewinne der Volksfürsorge insgesamt deutlich schrumpfen (Tabelle 2.4.). Der »Anschluss« Österreichs und der Sudeten – ein Expansionsschub für die Volksfürsorge Oben war konstatiert worden, dass die Volksfürsorge auch zu expandieren versuchte, indem sie kleinere Unternehmen schluckte. Innerhalb des ›Altreichs‹ musste das DAF-Unterneh­men seinen Appetit zügeln. In den seit 1938 angegliederten Gebieten war das anders. Der »Anschluss« Österreichs ließ ähnlich wie bei zahllosen reichsdeutschen Unternehmen auch bei der Volksfürsorge Wachstumsgelüste wach werden. Die Chancen auf Expansion schienen noch rosiger als im Deutschen Reich, da das Volksversicherungsgeschäft – der Abschluss von Kleinlebensversicherungen – in Österreich im Vergleich zu Deutschland unterentwickelt war. Bereits 1936 hatte die Volksfürsorge versucht, in Österreich Fuß zu fassen. Dies war jedoch misslungen, da das Schuschnigg-Regime hinter diesen Bemühungen der Volksfürsorge den Versuch witterte, dadurch die Infrastruktur für den Aufbau eines illegalen NSDAP-Netzes zu schaffen.114 Nach der Einverleibung Österreichs war der Weg frei für Expansion und Neuerwerbungen. Die zunächst akquirierte Österreichische Versicherungs­ gesellschaft (ÖVAG) gab die Volksfürsorge aufgrund des politischen Drucks der DAF-Führung noch im Sommer 1938 an das zweite große DAF-Versicherungsunternehmen, die Deutscher Ring Versicherungen, weiter.115 Zum Kern der österreichischen Volksfürsorge wurde stattdessen die »Allianz und Giselavereins Versicherungs AG (Allgis)«, deren Aktien die Volksfürsorge Ende 1938 von einer italienischen Versicherung, der »Assicurationi Generali«, sowie von der »Star113 Namentlich für den starken Rückgang von 1942 auf 1943 waren die staatlicherseits veranlassten Zinssenkungen der Schuldverschreibungen des Versicherungsfonds verantwortlich, bei dem die Volksfürsorge – und ebenso der Deutsche Ring – ab 1939 den Hauptteil ihrer Kapitalanlagen untergebracht hatte. 114 Dieser Verdacht war offenbar nicht unbegründet: Führende Vertreter der NSDAP hatten der Volksfürsorge vorgeschlagen, aus Mitgliedern der Partei und NS-nahen Organisationen ein Mitarbeiternetz aufzubauen. Hierzu und zum Folgenden vgl. Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 101-104; ders., Expansion, S. 184 f. 115 Vgl. zu diesem Vorgang BA Berlin, NS 5 III, Nr. 24. Für die definitive Übergabe dann an den Deutschen Ring – und nicht an die Volksfürsorge – war die oben beschriebene politisch motivierte Privilegierung der DHV-nahen DR-Versicherungen gegenüber der ursprünglich sozialdemokratischen Volksfürsorge maßgeblich. 228 die volksfürsorge ab 1938/39 Versi­che­rung«116 erwarb. Sie wurde am 4. Oktober 1938 offiziell in »Ostmärkische Volksfürsorge« umbenannt. Das war keine bloße Umetikettierung. Nicht nur der Vorstand, auch die führenden Positionen im Außendienst wurden mit vormaligen Angestellten aus der reichsdeutschen Volksfürsorge besetzt. Darüber hinaus kamen bei Umbau und Neustrukturierung der Ostmark-Volksfürsorge die antisemitischen Grundströmungen des DAF-Unternehmens massiv zum ­Tragen.117 Wie sehr die Ostmärkische Volksfürsorge expandierte, lässt sich Tabelle 2.7. entnehmen: Die Zahl der Versicherungspolicen wuchs von 1939 bis 1943 von knapp 141.000 auf fast 230.000, d. h. um mehr als 60 %. Verantwortlich dafür war in erster Linie der nebenberufliche Vertrauensleutestamm, den die österreichische Volksfürsorge nach dem Vorbild des Hamburger Mutterunternehmens vermutlich aus dem Korpus der österreichischen DAF-Funktionäre rekrutierte; die Allgis hatte diesen Typus nebenamtlicher Werber und Kassierer nicht besessen. Die Zahl dieser Vertrauensleute verdoppelte sich zwischen 1939 und 1942 von gut fünfhundert auf mehr als 1.100 Personen. Ihnen gelang offenbar auch der Abschluss durchschnittlich höherer Versicherungspolicen. Jedenfalls verdoppelte sich die Bestandssumme von 1939 bis 1943 sogar fast und lag 1943 bei schließlich 124 Mio. RM.118 Dies gelang, obwohl sich die hauptberufliche Belegschaft der österreichischen Tochtergesellschaft der DAF-Versicherung von zunächst 184 im Jahr des Kriegsbeginns auf 113 drei Jahre später und schließlich 85 (ohne Lehrlinge) 1943, also um deutlich mehr als die Hälfte verminderte.119 116 Die »Star« war die tschechoslowakische Auffanggesellschaft der 1936 zusammen­ gebrochenen Phönix und im Besitz der Zentralbank Deutscher Sparkassen Prag. Sie besaß 50,05 %, die Assicurazioni Generali 44,28 % der Anteile der Allgis. Die übrigen Aktien verteilten sich auf die österreichischen Bundesländer (2,57 %), die Münchner Rückversicherungs-Gesellschaft (1,55 %) sowie weitere (1,75 %). Vgl. Dieter Stiefel, Die österreichische Lebensversicherung und die NS-Zeit. Wirtschaftliche Entwicklung. Politischer Einfluß. Jüdische Polizzen, Wien/Köln/Weimar 2001, S. 78, 85. 117 So wurden die Pensionsreserven für die entlassenen jüdischen Vorstandsmitglieder in einen »Grundstock für eine Altersversorgung der jetzt noch aktiven [nicht-jüdischen] Gefolgschaftsmitglieder« umgewidmet, eine scheinbar generöse betriebliche Sozialpolitik also mit antisemitischen Grundsätzen verschmolzen. Zitat: Bericht der Ostmärkischen Volksfürsorge für das Geschäftsjahr 1937, in: BA Berlin, NS III, Nr. 19. Hierzu sowie zur rigorosen Entlassung jüdischer Vorstandsmitglieder vgl. auch Stiefel, Österreichische Versicherungen, S. 83 f. 118 Entsprechend wuchs das von der Ostmärkischen Volksfürsorge verwaltete – und überwiegend in Staatspapieren – angelegte Vermögen von 23 Mio. RM (1939) über 24,6 Mio. RM (1940) und 34,1 Mio. RM auf 37,1 Mio. RM 1943. Vgl. den vorläufigen Jahresbericht Pollmanns für 1943 – Versicherungsgruppe Volksfürsorge, vom Juni 1944, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 17. Daraus auch die folgenden Zahlen. 119 Böhle (Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 104) betont allerdings, dass die Erwartungen des Hamburger Vorstandes dennoch enttäuscht worden seien, weil die Entwicklung der österreichischen Volksfürsorge relativ hinter der im Altreich zurückgeblieben sei: Während in Österreich in den ersten drei Kriegsjahren jährlich 0,3 bis 0,4 % der Bevölkerung als Versicherte neu aufgenommen wurden, waren dies im »Altreich« etwa 1,1 bis 1,2 %. 229 die versicherungsgruppe Von untergeordneter Bedeutung für den Versichertenzuwachs in der angeschlossenen »Ostmark« war die zwangsweise Auflösung traditioneller Unterstützungseinrichtungen, die als »67er Vereine« firmierten.120 Die von diesen 67er Vereinen genossenschaftlich verwalteten Sterbekassen bildeten nicht wie die privaten Versicherungsgesellschaften, einschließlich der Volksfürsorge und Deutscher Ring-Versiche­run­gen, Kapitalrückstellungen, um Versicherungen im Todesfall etc. auszahlen zu können, sondern funktionierten über eine Art Generationenvertrag; die aktuellen Mitglieder dieser Vereine kamen für die Versicherungsleistungen an die älteren Kollegen auf. Infolgedessen konnten die 67er Vereine, die in allen ehemaligen Teilgebieten der Habsburgermonarchie bestanden, leicht zusammenbrechen, sobald ein angemessener Mitgliedernachwuchs ausblieb. Im Rahmen der Zerschlagung der insgesamt 1.400 Sterbekassen der österreichischen 67er Vereine sowie noch älterer »Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit« mit knapp 1,7 Mio. Mitgliedern bildete sich ein Übernahmekonsortium aus sieben privaten Versicherungsgesellschaften, an dem neben der Allianz und dem Deutschen Ring auch die Ostmärkische Volksfürsorge beteiligt war.121 Dieses Übernahmekonsortium bot den Mitgliedern der 67er Vereine zu einheitlichen und von einem Beauftragten des »Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Reich« kontrollierten, relativ günstigen Bedingungen Versicherungspolicen (»Überleitungstarife«) an. Bemerkenswert ist die Beteiligung der DAF-Versicherungsgesellschaften an dieser ›Bereinigung‹ der österreichischen Versicherungslandschaft weniger wegen des Zuwachses an Versicherten, der bei der Ostmärkischen Volksfürsorge nicht sonderlich ins Gewicht fiel.122 Aufschlussreich ist vor allem, dass sich die Arbeitsfront-Unternehmen auf diesem Feld in ähnlicher Weise exponiert engagierten, wie sie dies bereits bei den im Mai 1933 den Gewerkschaften geraubten Konsum-, Bauproduktiv- und Wohnungsgenossenschaften getan hatten: Sie beteiligten sich an vorderster Front an der Zerschlagung der genossenschaftlichen Strukturen von Organisationen, die auf der Grundlage des Selbsthilfe- und Solidaritätsprinzips gegründet worden waren – und trugen damit maßgeblich dazu bei, dass auch in Österreich das 120 Ihren Namen hatten die 67er Vereine erhalten, weil sie seit 1867 im Kontext der Neuordnung des Habsburger-Imperiums zur K.u.K.-Monarchie zahlreich als Selbsthilfeeinrichtungen des Handwerks und der frühen Arbeiterbewegung entstanden waren. Zu ihrer Genesis, Bedeutung sowie Struktur bis 1937/38 vgl. (am österreichischen Beispiel) ­Peter Ulrich Lehner, Österreichs Versicherungswirtschaft, in: Versicherungsgeschichte Österreichs, Bd. 3, S. 675-702, hier: S. 683-690. 121 Weitere Mitglieder dieses Konsortiums waren »Der Anker«, die »Donau-Concordia Allgemeine Versicherungs AG«, die Ostmark-Versicherungs-AG sowie die Wiener Städtische Versicherung. Vgl. Stiefel, Österreichische Lebensversicherungen, S. 45 f. 122 Die Volksfürsorge übernahm von den 67er Vereinen 4.359 Policen im Wert von einer knappen Mio. RM – und damit erheblich weniger als die ÖVAG, d. h. die DR-Lebensversicherung, sowie die anderen am Übernahmekonsortium beteiligten Gesellschaften erhielten. Vgl. Lehner, Österreichs Versicherungswirtschaft, S. 688. 230 die volksfürsorge ab 1938/39 konventionell-privatkapitalistisch organisierte Versicherungsgewerbe danach keiner genossenschaftlichen Konkurrenz mehr ausgesetzt war. Trotz des aus der Perspektive der Volksfürsorge-Akteure eher enttäuschend langsamen Wachstums konnte die Ostmärkische Volksfürsorge/Allgis ihren Gesamtbestand (Versicherungssumme) bis 1943 – dem Jahr, in dem die österreichische Volksfürsorge mit der Hamburger Muttergesellschaft verschmolzen wurde – mit 124 Mio. RM gegenüber 1939 (63 Mio. RM) verdoppeln. Wesentlich verantwortlich für diese nominell dann doch beeindruckende Steigerung war die Übernahme des gesamten Bestandes an Kleinlebensversicherungen in Höhe von 14 Mio. RM Ende 1941, den die »Donau-Concordia Allgemeine Versicherungs AG« sowie der »Der Anker. Allgemeine Versicherungsgesellschaft AG/Wien« besessen hatten. Damit schluckte die österreichische Volksfürsorge die einzig relevanten – kleineren – Konkurrenten im Segment der Kleinversicherungen und konnte ihren Versicherungsbestand vor allem in der ersten Kriegshälfte beträchtlich erhöhen (Tabelle 2.7). In ihrer Kapitalanlagepolitik verfolgte die Ostmärkische Volksfürsorge denselben Kurs, den die Muttergesellschaft in Hamburg seit 1936/37 eingeschlagen hatte. Die seit 1938 einfließenden Gelder wurden fast ausschließlich in Reichsanleihen angelegt. Wie die Hamburger Volksfürsorge (und andere Versicherungen) geriet auch der »ostmärkische« Ableger aufgrund der hohen Kriegssterblichkeit ab 1943 tief in die Verlustzone. 1944 war das Unternehmen faktisch bankrott. Ähnlich wie in Österreich begann die Volksfürsorge auch in das Sudetenland zu expandieren, nachdem dieses tschechoslowakische Gebiet im Herbst 1938 in das Deutsche Reich einverleibt worden war.123 Im Frühjahr 1939 übergab der »Stillhaltekommissar für den Sudetengau« der Volksfürsorge die Aktien der »Vorsorge Allgemeine Versicherungs AG« (Vorsorge). Diese Lebensversicherungsgesellschaft war erst 1935 ins Leben gerufen worden und eine ›verspätete‹ gewerkschaftlich-genossenschaftliche Einrichtung gewesen. Entstanden war sie auf Initiative des oben vorgestellten ehemaligen Vorstandsmitgliedes der Volksfürsorge Emil Thiele, der 1933 – und erneut 1938/39 – hatte emigrieren müssen.124 Anfang 1939 trat die DAF auch dieses genossenschaftliche Erbe an. Allerdings war die Vor­sorge aufgrund des Phönix-Skandals125 und der ›pro-deut123 Zum Folgenden vgl. Böhle, Expansion, S. 195-200; ders., Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 111-117; ferner Andreas Reich, Von der Arbeiterselbsthilfe zur Verbraucherorganisation. Die deutschen Konsumgenossenschaften in der Tschechoslowakei 19181938, München 2004, S. 574 f. 124 Nach 1945 wurde Thiele von den britischen Militärbehörden wieder als Leiter der Volksfürsorge eingesetzt. Von 1947 bis zu seiner Pensionierung 1956 war er ihr Vorstandsvorsitzender. Zu seiner Biographie vgl. auch Anm. 41. 125 Die 1882/89 gegründete »Österreichische Phönix Leben« als eine der europaweit führenden Lebensversicherungsgesellschaften war Anfang 1936 aufgrund von Spekulationsgeschäften und horrenden Defiziten von mehreren Mio. RM zusammengebrochen. Der vor allem in Südosteuropa angerichtete Schaden wurde durch Leistungskürzungen und Umlagen anderer Versicherungsgesellschaften aufgefangen, die Versichertenverträge zu neuen Konditionen von anderen Versicherungsunternehmen 231 die versicherungsgruppe schen‹, d. h. pro-national­sozialistischen Haltung der meisten Sudetendeutschen seit 1935 kaum aus den Startlöchern herausgekommen. Bis Ende 1938 hatte sie gerade 7.000 Versicherungen abgeschlossen. Diese Verträge wurden im Frühjahr 1939 der Volksfürsorge übergeben.126 Dennoch war die Übernahme der »Vorsorge« für die Volksfürsorge höchst attraktiv. Auf diese Weise erhielt die Hamburger Volksfürsorge umgehend eine Konzession für das Sudetenland sowie das »Protektorat Böhmen und Mähren« und den slowakischen Satellitenstaat. Da die meisten anderen reichsdeutschen Versicherungsgesellschaften erst seit Anfang 1940 die Zulassung für den »Sudetengau« erhielten, besaß die im September 1939 mit einem weiteren von der DAF übernommenen Unternehmen, der »Versicherungsschutz GmbH«, zur »Vorsorge« fusionierte und in »Sudetendeutsche Volksfürsorge« umgetaufte Gesellschaft im Sudetengebiet eine zeitweilig monopolartige Position, die sie zügig zu nutzen verstand. Die Sudetendeutsche Volksfürsorge, die faktisch eine Vertriebsorganisation des Hamburger Mutterkonzerns war, behauptete, dass der Wunsch der Sudetendeutschen nach Kleinlebensversicherungen so stark sei, dass diese sich »in Massen an die Volksfürsorge als nationalsozialistisches Versicherungsunternehmen wenden.« Die reichsdeutsche Volksfürsorge könne, »gerade vom parteimäßigen Standpunkt aus, die betreffenden Volksgenossen unmöglich sitzenlassen«. Man müsse sich »unter Hintanstellung aller bürokratischen und vielleicht aller versicherungsmässigen und rechtlichen Bedenken dieser Frage mit höchster Energie zuwenden«.127 Deutlicher ließ sich kaum formulieren, wie sehr politische – »parteimäßige« – Interessen mit ökonomischen Ambitionen verquickt und für den Ausbau des DAF-Konzerns funktionalisiert wurden. Damit war die Sudetendeutsche Volksfürsorge erfolgreich: Im April 1939 verfügte der Stillhaltekommissar für die Sudeten die Auflösung der auch hier bestehenden erwähnten 67er Vereine. Die Mitglieder der 67er Vereine und ihrer Sterbekassen sollten von einer »Überleitungsstelle« übernommen. Der tschechoslowakische »Star« (Anm. 116) oder die österreichische ÖVAG waren Auffanggesellschaften des ehem. Phönix. Zum Zusammenbruch der Phönix-Lebensversicherung vgl. Isabella Ackerl, Der Phönix-Skandal, in: Wissenschaftliche Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938 (Hg.), Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte, Hintergründe und Folgen, Wien 1977, S. 241-279; Arps, Unruhige Zeiten, S. 62-68; Feldman, Allianz, S. 188-191; Hans Thür, Die »Österreichische Versicherungs-AG« (ÖVAG) und »Deutscher Ring Österreichische Lebensversicherungs-AG der Deutschen Arbeitsfront« (1936-1945), in: Versicherungsgeschichte Österreichs, Bd.3: Das Zeitalter des modernen Versicherungswesens, Wien 1988, S. 703-742, hier: S. 707-717. 126 Die Volksfürsorge zahlte dafür nicht einmal 80 % des Nennwertes der Verträge, obwohl der tatsächliche Wert von Wirtschaftsprüfern auf deutlich mehr als 100 % geschätzt worden war. Die Hälfte des Kaufpreises musste überdies erst später entrichtet werden. Vgl. Böhle, Expansion, S. 196. 127 Volksfürsorge-Vorstand vom 11. Febr. 1939, nach: ebd., S. 196 f. bzw. Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 112. Hierzu sowie zum Schicksal der sudetendeutschen Volksfürsorge nach 1945 vgl. außerdem Reich, Arbeiterselbsthilfe, S. 574 ff. 232 die volksfürsorge ab 1938/39 in Reichenberg möglichst weitgehend auf die Vorsorge/Sudeten-Volks­f ür­sorge überschrieben werden; allerdings hatte dies auf freiwilliger Basis zu geschehen. Auf diese Weise rekrutierte die Sudentendeutsche Volksfürsorge immerhin gut die Hälfte der 200.000 Mitglieder der aufgelösten 67er-Ster­be­kassen und akquirierte zu sehr günstigen Konditionen eine Versicherungssumme von 18 Mio. RM.128 Mit der De-facto-Übernahme der 67er Vereine gewann die Sudetendeutsche Volksfürsorge auch einen Teil der Vertrauensleute der angeschlossenen Sterbekassen und konnte infolgedessen ihr Vertriebsnetz zügig ausbauen. Über die Zuweisung der Mitglieder der 67er Vereine hinaus partizipierte die Sudetendeutsche Volksfürsorge auch unmittelbar am Phönix-Skandal. 1936/37 war die Star-Versi­che­rung mit Sitz in Prag gegründet worden, als tschechoslowakische Auffanggesellschaft für die ehemals bei der Phönix Versicherten. Die Star-Versicherung wiederum wurde liquidiert, als die CSR nach dem Einmarsch deutscher Truppen aufgelöst und das verbliebene Tschechien in das »Protektorat Böhmen und Mähren« umgewandelt wurde. Während die zweite DAF-Versi­cherung, der Deutsche Ring, den verbliebenen Bestand an Star-Versi­ che­rungsverträgen im »Protektorat« übernahm, erhielt die Volksfürsorge den sudetendeutschen Bestand der Star an Kleinlebensversicherungen zugewiesen.129 Obwohl sie diesen Bestand lediglich treuhänderisch verwaltete – da der Sanierungsbedarf des Star mit geschätzten 50 Mio. RM erheblich war und sich die Volksfürsorge damit nicht belasten wollte –, war auch diese Übernahme für die Volksfürsorge mit beträchtlichen Vorteilen verbunden. Sie gewann en­ge Kontakte zu zahlreichen ehemaligen Star-Kunden, indem sie die Star-Vertriebsorga­ ni­sation in die Verkaufsorganisation der Volksfürsorge integrierte, und konnte auf diese Weise ihren Versichertenbestand beträchtlich erhöhen. Ergebnis dieser dreifachen politischen Bevorteilung (Übernahme der Vorsorge, Auflösung der 67er Vereine und Übernahme des Star-Bestandes) war, dass die Volksfürsorge zur größten Lebensversicherung des Sudetenlandes aufstieg. Die Versicherungssumme ihres sudetendeutschen Bestandes betrug infolge der Übernahme der »Vorsorge« zunächst bescheidene 0,2 Mio. RM; sie verzehnfachte sich bis Kriegsbeginn auf 20,1 Mio. RM, um sich bis 1942 noch einmal auf 60,7 Mio. RM zu verdreifachen. Die 270.000 Versichertenverträge bei Kriegsende hatten ein Volumen von schließlich 70,2 Mio. RM. Die jährlichen Prämien­ einnahmen lagen im letzten Kriegsjahr bei 4,1 Mio. RM.130 128 Die Reichenberger Überleitungsstelle wurde mit einem Betrag von 24.000 RM für die ihr entstehenden ›Unkosten‹ abgefunden. Das war eine lächerliche Provision von 1,33 Promille angesichts der in die (neuen) Versicherungstarife einberechneten 35,0 Promille Abschlusskosten. Vgl. Böhle, Expansion, S. 198. 129 Die Großlebensversicherungen der Star wurden der Donau-Concordia zugewiesen. Zur Übernahme des Bestandes der Star-Versicherten im Protektorat durch die Deutscher-Ring Lebensversicherung vgl. unten. 130 Nach: Böhle, Expansion, S. 199 f. Nach dem Leistungsbericht des Amtsleiters für die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF für 1939/40 (Anm. 36) lag der Bestand bereits Ende 1938 bei 20,3 Mio. RM. 233 die versicherungsgruppe Die weitere Ausdehnung nach Osteuropa Weit schwieriger war die Situation im »Protektorat Böhmen und Mähren«. Hier war es aufgrund des offenen und versteckten Boykotts der tschechischen Bevölkerung gegenüber deutschen und hier wiederum besonders sudetendeutschen Unternehmen faktisch ausgeschlossen, dass die Volksfürsorge unter ihrem Konzernnamen nennenswerte Marktanteile unter tschechischen Kunden gewann.131 So verstand der Volksfürsorge-Kon­zern die Errichtung der »Repräsentanz Volksfürsorge Lebensversicherungs-AG Prag« im Frühjahr 1941 in erster Linie als »Option auf die Zukunft« (Böhle), die angesichts des scheinbar unmittelbar bevorstehenden »Endsieges« in gar nicht so weiter Ferne zu liegen schien. Im Geschäftsbericht für 1941 wurde mit dem der Volksfürsorge eigenen Zynismus offen formuliert, dass »überhaupt im Protektorat erst dann mit einem wirklich normalen Geschäft gerechnet werden könne, wenn die Tschechen sehen, dass keinerlei Hoffnungen für [die] Rückkehr eines selbständigen tschechischen Staates vorhanden ist.«132 Mit dem Überfall auf die Sowjetunion und dem Kriegseintritt der USA zerschlugen sich die Hoffnungen auf einen raschen deutschen »Endsieg« bekanntlich, während die Hoffnungen der national eingestellten Tschechen neue Nahrung erhielten. Folgerichtig ging die Volksfürsorge zu einer Strategie über, wie sie sie ansonsten vor allem im Westen praktizierte: Sie verstärkte ihre Anstrengungen, eine tschechische Lebensversicherungsgesellschaft zu erwerben. Dies schien ihr Ende 1941 mit dem Erwerb eines Aktienpaketes der Cechoslavia-Versicherung auch zu gelingen. Dass die Hamburger Volksfürsorge die Cechoslavia übernehmen wollte, lag wiederum nicht zuletzt in der Geschichte und Tradition dieser Versicherung begründet. Die Cechoslavia war von den tschechischen Konsumgenossenschaften 1919 gegründet worden, um – ähnlich wie dies für die reichsdeutsche Volksfürsorge gegolten hatte – einkom­mensschwächeren Schichten den Abschluss kleiner Lebensversicherungen zu ermöglichen, und den dortigen Gewerkschaften eng verbunden. Vor diesem Hintergrund, der Entstehung der Cechoslavia aus der organisierten Arbeiterbewegung der Tschechoslowakei heraus, glaubte das strukturell ähnliche DAF-Unterneh­men eine Art politisches Vorrecht auf die Übernahme der tschechischen Versicherung zu besitzen. Allerdings desavouierte sie ihre Absichten bereits durch die Art und Weise des Erwerbs eines größeren Aktienpakets: Erhalten hatte sie diese Aktien von der Gestapo, nachdem zwei Verwaltungsräte der Cechoslavia als Widerstandskämpfer hingerichtet worden waren. Letztendlich nutzte ihr dieser Aktienerwerb nur begrenzt, da sie Minderheitsaktionär blieb und die der Cechoslavia seit den zwanziger Jahren eng verbundene Münchner Rückversicherungs-Gesellschaft AG erfolgreich alle weiteren Übernahmeversuche zum Scheitern brachte.133 131 Zum Folgenden vgl. Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 117 ff.; ders., Expansion, S. 200 ff. 132 AWU, Leistungsbericht für 1939/40 (Anm. 36), S. 1. 133 Ausführlich: Feldman, Allianz, S. 422-425; ferner Reich, Arbeiterselbsthilfe, 258 f. 234 die volksfürsorge ab 1938/39 Neben der Cechoslavia suchte die Volksfürsorge eine zweite große Lebensversicherung zu kaufen, die Nationale-Versicherung. Die »Nationale« war allerdings gleichfalls mit der Münchner Rückversicherung verbunden. Folglich ging die Volksfürsorge daran, die Konkurrenz bei den Protektoratsbehörden zu diskreditieren. Die Münchner Rück habe die »Nationale« nur unzureichend im Griff. Darüber hinaus ließ die Volksfürsorge den für den SD-Abschnitt Prag zuständigen SS-Obersturmbannführer Gerhard Eilers Ende 1941 wissen, »nur die Volksfürsorge [sei] in der Lage, Ihre Wünsche und Ziele, die tschechische Versicherungswirtschaft deutschen Einflüssen zuzuführen und auch allmählich in deutsche Hände überzuleiten, zu verwirklichen.«134 Nachdem dies nicht fruchtete, ging der Vorsitzende der Sudetendeutschen Volksfürsorge zur offenen Denunziation über.135 Als auch das nichts nutzte, schlug der Chefmathematiker der Hamburger Volksfürsorge Hermann Haack Anfang 1943 den reichsdeutschen Aufsichtsbehörden vor, die tschechischen Versicherungen zu wenigen »Gruppen« zusammenzufassen, die von deutschen Gesellschaften »geführt« werden sollten. Sein ›Argument‹: »Es ist für den politischen Sektor wesentlich einfacher, wenige zusammengefasste Betriebe politisch zu lenken und zu überwachen, während bei einer Vielzahl kleinerer Betriebe diese besonders in der Übergangszeit [!] erforderliche politische Überwachung auf Schwierigkeiten stößt und einen größeren Apparat erfordert.«136 Über die Cechoslavia und die »Nationale« reklamierte die DAF-Versicherung schließlich die »Lebens- und Elementar-Volksversicherung« für sich. Die Volksfürsorge wäre damit zur mit Abstand größten Lebensversicherung im Protektorat aufgestiegen. Indes ­erübrigten sich diese Pläne infolge des weiteren Kriegsverlaufs. Auch in der Slowakei wurde die Volksfürsorge aktiv,137 und zwar nicht nur über die kleine Sudetendeutsche Volksfürsorge, die eine Konzession auch für die Slowakei besaß, sondern ebenso über die Ostmärkische Volksfürsorge, die Anfang Dezember 1940 neben zwei weiteren reichsdeutschen Gesellschaften gleich134 Nach: Böhle, Expansion, S. 201. Der promovierte Jurist Eilers (1903-?) war mit seiner ›Versetzung‹ nach Prag im April 1938 zum SS-Obersturmbannführer ernannt worden. 135 Der Vorsitzende der Sudetendeutschen Volksfürsorge, Adolf Köhler, kolportierte nach dem Attentat auf Heydrich gegenüber SS- und SD-Stellen in Prag, dass die Vorstände der »Nationale« in Lebensmittelschiebereien verwickelt seien und der Gesellschaftsarzt der »Nationale« die Heydrich-Attentäter medizinisch versorgt habe. Köhler war ein ehemaliger Vorsorge-Angestellter und Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Nach der Angliederung der Sudeten war er, so Böhle (Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 117), »zu einem der schärfsten Chauvinisten und Rassisten konvertiert«. 136 Nach: Böhle, Expansion, S. 202. Haack (1895-?) war bis 1934 Versicherungsmathematiker bei der »Deutsche Leben«, danach Bilanzprüfer der »Treuhandgesellschaft von 1933 mbH (Berlin)«, ehe er dann 1939 als Chefmathematiker zur Volksfürsorge wechselte. In dieser Funktion blieb er auch nach 1945, bis zu seiner Pensionierung in den sechziger Jahren. 137 Zum Folgenden vgl. Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung der VolksfürsorgeLebensversi­cherung vom 17. Febr. 1941, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 18, sowie Böhle, Expansion, S. 189 ff.; ders., Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 109 f. 235 die versicherungsgruppe falls die Zulassung für das Staatsgebiet der Slowakischen Republik erhielt. Die Tätigkeit des österreichischen Ablegers der Volksfürsorge war freilich von nur geringem Erfolg gekrönt. Bis 1942 wurden lediglich 900 Verträge abgeschlossen. Aufgebessert wurde die Bilanz der slowakischen Volksfürsorge-­Aktivitäten dadurch, dass die Ostmärkische Volksfürsorge insgesamt 5.000 Versicherungen aus dem slowakischen Bestand der erwähnten Anker-Ver­­si­cherung/Wien, die sie sich Ende 1941 einverleibt hatte, im Wert von etwa sechs Mio. RM übernahm. Bereits die Expansion in die Slowakei seit Ende 1940 war von der Intention getragen, sich für die erwartete Neuordnung der Versicherungsbranche nach dem – wie zahlreiche Zeitgenossen vermuteten – unmittelbar bevorstehenden »Endsieg« eine günstige Ausgangsbasis zu verschaffen. Dieses Kalkül prägte die Aktivitäten der Volksfürsorge in Ungarn noch weit stärker.138 Ende 1940 erwarb die Volksfürsorge die »Ungarische Renten- und Lebensversicherungsanstalt« (Ungar-Leben) von der schwedischen »SVEA Feuer- und LebensversicherungsAG (Göteborg)« zum außerordentlich niedrigen Preis von 100.000 RM, der dann von der DAF-Versicherung nicht einmal gezahlt, sondern zunächst im Rahmen eines notwendigen Bilanzausgleiches verrechnet wurde. Die Ungar-Leben war eine vergleichsweise große Lebensversicherung; neben einem Bestand von 30.000 unmittelbar bei ihr Versicherten verfügte sie über weitere 250.000 »Abonnementversicherte«, die mit dem Erwerb des Abonnements einer Zeitschrift des Tolnai-Verlages zugleich eine Sterbeversicherung der Ungar-Leben erworben hatten. Dennoch waren der Expansion dieses neuen Volksfürsorge-Unternehmens enge Grenzen gesetzt. Es war als deutsches Unternehmen einem verdeckten, teilweise sogar offenen Boykott der Ungarn ausgesetzt. Darüber hinaus gab die Gruppe der ungarischen Volksdeutschen der Ungar-Leben einen Korb; sie blieb über einen Provisionsvertrag mit der Konkurrenzversicherung Donau-Concordia verbunden und ließ sich auch durch antisemitische ›Überzeugungsarbeit‹ des zum geschäftsführenden Direktor der Ungar-Leben ernannten Vorstandsmitgliedes der Volksfürsorge und »Beauftragten« der DAF-Versiche­rung für Südosteuropa Gerhard Hecklinger139 nicht abwerben. Bereits deshalb ließ sich die Übernahme der Ungar-Leben bestenfalls als halber Erfolg verbuchen. Hinzu kam, dass die Fixkosten hoch waren, weil sich die ungarische Lebensversicherung nicht so einfach wie die Ostmärkische Volksfürsorge als quasi Außenstelle des Hamburger Mutterkonzerns neu organisieren ließ. Überdies bekam Hecklinger zunehmend Probleme, in das bis März 1944 nominell unabhängige Ungarn 138 Zum Folgenden vgl. Niederschriften über die Aufsichtsratssitzungen der Volksfürsorge-Lebens­ver­si­cherung vom 9. Jan. und 17. Febr. 1941 (Anm. 137), sowie Böhle, Expansion, S. 192-195; ders., Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 123-126. 139 Hecklinger (1901-?), seit 1936 Vorstandsmitglied der Volksfürsorge, wurde im März 1938 zum »Übernahmebeauftragten« für Österreich ernannt, avancierte dann auch förmlich zum Vorstandsvorsitzenden und »Betriebsführer« der Ostmärkischen Volksfürsorge. In dieser Funktion war er innerhalb des Gesamt-Unternehmens verantwortlich für die »Südost-Arbeit«. 236 die volksfürsorge ab 1938/39 überhaupt einzureisen, so dass der für ein Überleben notwendige Außendienst der Ungar-Leben nicht aufgebaut werden konnte. Bis Ende 1942 waren die Hoffnungen auf einen baldigen deutschen »Endsieg« zerstoben. Zudem erhielt die Volksfürsorge nach längerem Hin und Her keine Devisengenehmigung für den endgültigen Kauf des ungarischen Unternehmens und war infolgedessen gezwungen, die Ungar-Leben wieder abzustoßen. Für 40.000 RM fand die UngarLeben 1943 schließlich einen Käufer. Allerdings behielt sich die Volksfürsorge ein Vorkaufsrecht vor. Sie hoff­te offensichtlich, das Unternehmen bei einer – von vielen DAF-Funk­tionsträgern weiterhin erwarteten – positiven Kriegswende für das Deutsche Reich erneut erwerben und dann mit Hilfe politischen Drucks zur größten magyarischen Volksversicherung ausbauen zu können. Während Expansionspläne für Kroatien, Serbien und andere südosteuropäische Länder scheiterten,140 gelang es der Volksfürsorge, in Polen eine starke Stellung zu gewinnen.141 Zwar hatte sich die Volksfürsorge nach dem Sieg des Dritten Reiches über das östliche Nachbarland auch dort mit der privaten deutschen Konkurrenz auseinanderzusetzen, der die Bestände vormals englischer und französischer Versicherungsunternehmen überschrieben wurden. Indessen wurden der Volksfürsorge noch 1939 die recht ansehnlichen Bestände der Polnischen Postsparkassen-Versicherung (PSV), »eine Art öffentlich-rechtlicher Lebensversicherungsgesellschaft«, die mit insgesamt 150.000 Policen die größte polnische Lebensversicherung war, zur treuhänderischen Verwaltung übergeben. Gleichzeitig erhielt die Volksfürsorge die Konzession für die polnischen Gebiete im deutschen Herrschaftsbereich. Mit der treuhänderischen Übernahme der PSV durch die Volksfürsorge wurden de facto scharfe ras­sistische Kriterien in das polnische Lebensversicherungswesen implementiert: Einen ungeschmä­lerten Anspruch auf Versicherungsleistungen hatten lediglich »Volksdeutsche«, die aktiv im »Volkskampf« für ihr Deutschtum eingetreten waren, nach den ab Ende 1939 von der SS entwickelten 140 Am 13. Aug. 1940 hatte der Aufsichtsrat beschlossen, »dass für die Übernahme des Portefeuilles der jugoslawischen Fenika eine neue Gesellschaft mit einem Kapital von 5 Millionen Dinar zu gründen wäre, an der die Hamburger Volksfürsorge mit 50 %, die Ostmärkische Volksfürsorge mit 25 % und jugoslawische Wirtschaftskreise mit 25 % beteiligt sein sollen.« Der Plan, ein solches Joint-Venture-Unternehmen aufzubauen, zerschlug sich in den folgenden Monaten. Am 17. Febr. 1941 erklärte der Aufsichtsrat lakonisch, dass man in Jugoslawien »zunächst noch etwas kurztreten wolle«. In: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 18. Im Endeffekt durfte sich die Volksfürsorge glücklich schätzen, in Jugoslawien nicht zum Zuge gekommen zu sein. Denn für die zunächst erfolgreicheren deutschen Konkurrenzunternehmen »erwies sich das Versicherungsgeschäft« infolge des eskalierenden Partisanenkrieges, aber auch aufgrund der ebenfalls rührigen italienischen Konkurrenz, als ein großes »Desaster«. Vgl. Feldman, Allianz, S. 426 ff., Zitat: S. 427. Ähnliches galt für die Ambitionen deutscher Versicherungsgesellschaften, in Griechenland Fuß zu fassen. Vgl. hierzu sowie zur ähnlich ›schwierigen‹ Situation in Rumänien ebd., S. 429-434, Zitat: S. 430. 141 Vgl. zum Folgenden Leiter des AWU, Leistungsbericht für 1939/40 (Anm. 36), S. 5; Böhle, Expansion, S. 202-205; ders., Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 119-123. 237 die versicherungsgruppe Kriterien also der Gruppe 1 der »Deutschen Volksliste« (DVL) zuzurechnen waren.142 Diese sollten auf diese Weise, wie das Vorstandsmitglied der Volksfürsorge Albert Franke in einem Aktenvermerk vom 23. November 1942 festhielt, dafür belohnt werden, dass sie »in polnischer Zeit für das Deutschtum mannhaft eingetreten sind, zum großen Teil sogar geblutet haben«.143 Zur Kategorie 1 der DVL gehörten lediglich zwei Prozent sämtlicher Versicherten der PSV. Die übrigen, Juden und nicht-jüdische Polen, wurden entschädigungslos enteignet. Erst Anfang 1944 konn­te sich die Volksfürsorge dazu durchringen, auch Angehörige der Gruppen 2 und 3 der DVL mit Versicherungspolicen zu beglücken. Zuvor hatte die Haupttreuhandstelle Ost die Deckung der Auszahlungen zugesichert. Die Neigung der »passiven«, also eher zweifelhaften »Volksdeutschen«, sich auf diese Weise »Eindeutschungsfähigkeit« attestieren zu lassen, war zu diesem Zeitpunkt freilich ausgesprochen gering. Pech für die Volksfürsorge war im Übrigen, dass das Vermögen der PSV bereits 1939/40 zugunsten des Reichsfiskus liquidiert wurde, so dass die Volksfürsorge daran nicht unmittelbar partizipieren konnte (von einem Restbetrag von einer Mio. RM, der ihr 1943 zugesprochen wurde, abgesehen). Das hinderte die Volksfürsorge jedoch nicht, auch in diese Regionen, vor allem in die dem Deutschen Reich unmittelbar eingegliederten Gebiete Polens zu expandieren. Eine erste Geschäftsstelle wurde bereits Mitte Oktober 1939 in Kattowitz eröffnet. Sie gedieh prächtig, weil es ihr gelang, die meisten der von den Betrieben vor Ort mit der PSV abgeschlossenen Gruppenversicherungs-Verträge auf die Volksfürsorge überzuleiten. Neben der PSV wurden auch die polnischen Sparkassen im engeren Sinne aufgelöst; die bei ihnen unmittelbar abgeschlossenen Versicherungsverträge gingen gleichfalls, mit 90 % sogar zu einem noch höheren Prozentsatz, auf die Volksfürsorge über. Zugute kam der Volksfürsorge dabei die Verquickung von politischen und ökonomischen Funktionen. Im ehemaligen polnischen Oberschlesien wurde der Chefmathematiker der Volksfürsorge Hermann Haack als Bevollmächtigter für eine sog. Überleitungsstelle eingesetzt, die für die Auflösung der Sterbekassen der Bergbau-Beschäftigten zuständig war. Haack gelangte auf diesen Po­sten, weil sich die DAF als politische Organisation im oberschlesischen Steinkohlebergbau eine einflussreiche Stellung verschaffte – und dies auch für ihre Unternehmen nutzte. Dank seiner Position und guten Beziehungen zur Arbeitsfront erreichte Haack, dass die Mitglieder der ober­schle­sischen Bergbau-Sterbe­kas­sen fast vollständig zur Volksfürsorge wechselten. Das Vorgehen der von Haack geführten 142 Zur DVL und den Problemen der Kategorisierungen dabei vgl. Isabel Heinemann, »Rasse, Siedlung, deutsches Blut«. Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas, Göttingen 2003, bes. S. 263-282; Gerhard Wolf, Deutsche Volksliste, in: Ingo Haar/Michael Fahlbusch, Handbuch der Völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – For­schungsprogramme – Stiftungen, unter Mitarbeit von Matthias Berg, München 2008, S. 129-135. 143 Nach: Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 120. Hierzu und zum Folgenden: ebd., S. 119-123. 238 die volksfürsorge ab 1938/39 Überleitungsstelle war derart aggressiv und so unverblümt von Parteinahme für die Volksfürsorge geprägt, dass sich das Reichs­aufsichtsamt für Privatversicherung veranlasst sah, in deutlichen Worten darauf hinzuweisen, dass diese »nicht den Auftrag hat, einer bestimmten Versicherungsgesellschaft ein Monopol zu geben«,144 sondern alle konzessionierten Gesellschaften berücksichtigen müsse. Diese Mahnung verhallte freilich weitgehend ungehört. Allein im Bezirk Kattowitz akquirierten Haack und seine Mitarbeiter 140.000 »Überleitungsversicherungen« und sicherten der Volksfürsorge auf diese Weise eine Versicherungssumme von insgesamt 49 Mio. RM.145 Im fast ausschließlich von Polen besiedelten Generalgouvernement erhielt die Volksfürsorge erst 1942 eine Konzession und die auch nur für Volksdeutsche. Anfänglich hatte die Volksfürsorge auch polnischsprachiges Werbematerial verteilt. Im Unterschied zu den Deutscher Ring-Versicherungen, die von Anbeginn um polnische Kundenpotentiale einen Bogen geschlagen hatten, suchte die Volksfürsorge anfangs auch in den einkommensstärkeren polnischen Bevölkerungsschichten neue Kunden zu gewinnen. Sie rechtfertigte dies mit den Worten: »Es soll uns gerade angenehm sein, dass der Pole bei einer deutschen Gesellschaft Kapital anlegt; denn die deutsche Gesellschaft ist in der Lage, mit den polnischen Spargroschen deutsche, d. h. nationalsozialistische Interessen zu vertreten.«146 Ob­gleich es ihr also nur darum ging, die »polnischen Spargroschen« der deutschen Kriegsfinanzierung zuzuführen, musste die Volksfürsorge ihr polnisch-sprachiges Werbematerial nach Interventionen der DAF und NSDAP zurückziehen. Die DAF-Versicherung rechtfertigte ihre Wendung um 180 Grad mit den Worten, dass es »für uns als Arbeitsfrontgesellschaft und NS.Musterbetrieb eine Selbstverständlichkeit ist, [den] Kampf um Auslö­schung des polnischen Sprachgebrauchs zu unterstützen.«147 Das waren keine leeren Worte, sondern es war eine Devise, die schon zuvor das gesamte Handeln der Volksfürsorge gegenüber der als »Untermenschen« stigmatisierten einheimischen Bevölkerung des zerschlagenen Polens leitete. Noch im Herbst 1939 einigte sich der Aufsichtsrat des Unternehmens auf den Grundsatz, dass »die polnischen Policen, die noch nicht 3 Jahre laufen und nach allgemeinen Bedingungen der Postsparkasse nicht rückkaufsfähig sind, entschädigungslos [verfallen], ebenso die Policen von Juden und Flüchtlingen« vor der deutschen Gewaltherrschaft. Demgegenüber sollten »die volksdeutschen Policen unbeschadet ihrer Laufzeit, soweit Weiterzahlung der Prämien erfolgt, in die Volksfürsorge übernommen [werden] unter gleichzeitiger Umstellung auf [die günstigeren] Volksfürsorge144 Böhle, Expansion, S. 204 f. 145 Begünstigt wurde dieser relative ›Erfolg‹ dadurch, dass der Abschluss einer Versicherung bei der von der Volksfürsorge verwalteten PSV den Anspruch auf »Eindeutschung« verbesserte. 146 Der Volksfürsorge-Vorstand Albert Franke an den Volksfürsorge-Geschäftsführer in Posen, vom 7. Aug. 1940, nach: ebd., S. 205 bzw. ders., Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 123 f. 147 Nach: ebd., S. 122 bzw. ders., Expansion, S. 205. 239 die versicherungsgruppe Tarife«.148 Deutlicher ließ sich kaum artikulieren, wie man die vom NS-Regime vorgegebene rassistische Segregation zur Leitlinie der Geschäftspolitik machen wollte. Verdeckte Expansion im Westen Auch in Westeuropa legte man der Unternehmenspolitik das von den Nationalsozialisten praktizierte Prinzip des rassistischen Raumes zugrunde, das die Bevölkerungen in den von der Wehrmacht besetzten Regionen nach ihrer angeblichen Wertigkeit gliederte. Die im Westen Europas lebenden Nationen galten freilich als höherwertig, die Niederländer, die belgischen Flamen und die Dänen sogar als den Deutschen verwandt. Vor allem sollten die 1938 angegliederte »Ostmark« und ebenso das Sudetenland, so wollte es das NS-Regime, als hinzugewonnene »großdeutsche« Regionen »keineswegs wie besetztes Gebiet behandelt« werden.149 Aber auch in anderen, nach nationalsozialistischem Verständnis ›urdeutschen‹ Regionen, namentlich in den dem Deutschen Reich im Westen unmittelbar benachbarten Gebieten, also im Elsass, in Lothringen und Luxemburg, versuchte die Volksfürsorge unter eigenem Firmenschild Fuß zu fassen. Dies gelang vor dem Hintergrund partikularistischer Ten­denzen der deutschen Besatzungsbehörden und vor allem der ablehnenden Haltung der weiter existierenden französischen Versicherungs­ gesellschaften insgesamt freilich nur begrenzt.150 Während in Luxemburg immerhin die Versichertenbestände von achtzig aufgelösten Sterbekassen auf die Volksfürsorge übergeleitet und außerdem die dortigen Bestände zweier französischer sowie einer englischen Versicherungsgesellschaft dem DAF-Unternehmen zur treuhänderischen Verwaltung übertragen wurden, war der Volksfürsorge mit ihren Plänen für Elsass-Lothrin­gen kein durchschlagender Erfolg beschieden. Zwar wurde auch hier etwa die Hälfte der in Sterbe- und Unterstützungskassen Versicherten der Volksfürsorge überschrieben. Die zu Beginn der deutschen Besetzung gehegten Absichten, die Bestände der großen und populären »Socièté Anonyme de Prèvoyance et de Capitalisation (Esca)«, die in Straßburg ihren Hauptsitz hatte, sowie sämtliche elsass-lothringischen Versichertenbestände von 35 weiteren französischen Versicherungsunternehmen zu übernehmen, scheiterten jedoch. Auch offene Denunziationen des Lyoner Hauptaktionärs der »Esca« 148 Von Franke formulierte »Pläne hinsichtlich der Zukunft der Postsparkassenversicherten«, denen der Aufsichtsrat anschließend zustimmte, nach: Niederschrift über Aufsichtsratssitzung der Volksfürsorge-Lebens­versicherung vom 25. Okt 1939, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 18. 149 Bis Anfang 1940 galten in Österreich deshalb besondere »Gebietsschutzbestimmungen« für die Betätigung der Versicherungsunternehmen des »Altreichs«. Bis Anfang 1941 galt außerdem im Kern weiterhin das frühere österreichische Versicherungsvertragsrecht. Vgl. Stiefel, Östereichische Lebensversicherungen, S. 46 f., Zitat: S. 47. 150 Zum Folgenden vgl. Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 126-130; ders., Expansion, S. 209 f. 240 die volksfürsorge ab 1938/39 durch den Volksfürsorge-Vorstand nutzten wenig,151 da die deutschen Behörden davor zurückscheuten, dem DAF-Unternehmen die Erlaubnis zu erteilen, in Elsass-Lothringen mit seiner »volksdeutschen« bzw. »rassisch höherwertigen« Bevölkerung ähnlich rigoros vorzugehen wie etwa bei der Übernahme der Polnischen Sparkassenversicherung. Während die Volksfürsorge in den genannten drei Grenzgebieten offen unter ihrem Namen agierte, handelte sie in anderen westlichen Ländern verdeckt und versuchte sich dort größere Marktanteile zu sichern, indem sie – ähnlich dem Vorgehen anderer deutscher Privatversicherer – einheimische Unternehmen aufkaufte oder sich auf unredliche Weise aneignete. In Belgien gerierten sich die DAF-Unternehmen – wie schon 1933 im Deutschen Reich und dann 1938 in Österreich sowie den Sudeten – als Erbfolger gewerkschaft­licher Versicherungsgesellschaften. Beim Reichs­wirtschaftsministerium erreichte die Volksfürsorge, dass sie das Vorkaufsrecht an der größten belgischen Lebensversicherung, der »Prèvoyance Sociale«, dem Pendant zur sozialdemokratischen Volksfürsorge, erhielt. Da im Unterschied zu den okkupierten osteuropäischen Gebieten eine von den Besatzungsbehörden veranlasste simple Enteignung der einheimischen Unternehmen nicht in Betracht kam, war dieses Vorkaufsrecht im Endeffekt wertlos. Zum Leidwesen des Vorstandes der Volksfürsorge waren »dem Sicherheitsdienst in Brüssel, zu dem wir enge Beziehungen unterhalten, keine Fälle bekannt geworden, in dem Agenten der Prèvoyance Sociale etwa deutschfeindlich oder marxistisch aufgetreten wären«,152 mithin eine Handhabe für die Übernahme der belgischen Versicherungsgesellschaft bestanden hätte. Dagegen waren die Bemühungen der Volksfürsorge erfolgreich, Anteile des Hauptaktionärs der belgischen Constantia-Gruppe zu erwerben. Erneut kam der Volksfürsorge die unmittelbare Vermischung von politischen und ökonomischen Interessen zugute: Der Hauptaktionär der Constantia-Gruppe war in die Fänge des SD geraten und wurde gegen die Überlassung seiner Aktien in das unbesetzte Vichy-Frankreich entlassen.153 Unter dem Volksfürsorge-Dach prosperierte die Constantia kräftig; zwischen Anfang 1941 und 1943 verdoppelte sich ihr Bestand von 17 Mio. RM auf 35 Mio. RM.154 151 So empfahl Franke dem Oberregierungsrat Spaeth in einem Schreiben vom 29. Dez. 1941 die Verhaftung eines verkaufsunwilligen Hauptaktionärs mit den Worten: »Die zum Teil unflätigen und provozierenden, oft auch gegen den Führer selbst gerichteten Angriffe sollten Veranlassung geben, die Angelegenheit staatspolitisch zu untersuchen«. Nach: ebd., S. 210; ders., Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 128. Frankes Pech war, dass sich der betreffende Aktionär im Vichy-Frank­reich befand und damit dem unmittelbaren Zugriff der Gestapo entzogen war. 152 Aktennotiz Frankes vom 1. Juli 1941, nach: ebd., S. 130, bzw. ders., Expansion, S. 210. 153 Nach der Befreiung 1945 erklärte Albert Franke, auf diese Vorgänge von der britischen Militärverwaltung befragt, unverfroren, er habe »die Gelegenheit« der Besetzung Belgiens nur »benutzt, um am Wiederaufbau unserer Tochtergesellschaft (Constantia Versicherungsgesellschaft) zu arbeiten.« Nach: ebd. 154 Die Constantia war bei der Übernahme durch die Volksfürsorge im Febr. 1941 freilich faktisch illiquide. Vgl. Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 131 f. Vgl. ferner 241 die versicherungsgruppe Mit der Übernahme der Constantia erhielt die Volksfürsorge prinzipiell auch die Zulassung für das Lebensversicherungsgeschäft in Frankreich, da das belgische Versicherungsunternehmen über eine französische Tochtergesellschaft, »Eveil«, verfügte. Damit hatte sich das DAF-Unter­nehmen auch für diesen Markt eine lukrative Ausgangsposition für den bis Herbst 1941 ja noch erhofften baldigen deutschen »Endsieg« verschafft. Praktisch nutzte der Volksfürsorge die Konzession jedoch wenig, nicht zuletzt, weil die französischen Gewerkschaften eine Kooperation mit dem DAF-Unternehmen verweigerten und diesem da­mit faktisch den Zugang zum französischen Versicherungsmarkt versperrten.155 Die Anfang 1941 geplante Übernahme einer Pariser Versicherungsgesellschaft (»Segunaise«) und damit die Absicht, sich eine »Basis für das künftige Geschäft« in Nord- und West-Frankreich zu verschaffen, scheiterten ebenfalls.156 Erfolgreicher als in Frankreich und Belgien agierte die Volksfürsorge in den Niederlanden. Hier gerieten die 1903 gegründete »N.V. de Centrale Arbeiders Levensverzekerings Maatschappij ’s-Gravenhage«, Den Haag, sowie die »Coöperative Levensverzekering Maatschappij Concordia«, Utrecht, in den Einflussbereich der DAF. Sie hatten bis zur Invasion der Wehrmacht im Mai 1940 zu gleichen Teilen den belgischen Gewerkschaften sowie der dortigen sozialdemokratischen Partei gehört und waren zunächst der faschistischen Mussert-Bewegung kommissarisch übergeben worden. Die gab die beiden niederländischen Versicherungsgesellschaften einige Monate später an die Volksfürsorge weiter, die damit in den Niederlanden zur stärksten Versicherung wurde.157 Bemerkenswert ist, dass die »N.V. de Centrale Arbeiders Levensverzekerings Maatschappij ’s-Gra­venhage« die Zahl der Versicherungskontrakte von 1940 bis 1943 um beachtliche 32,3 % (von 528.567 auf 699.103) und die Gesamtbestandssumme sogar um 62,9 %, d. h. von 92.479,5 Mio. holländische Gulden (etwa 122 Mio. RM) auf 150.679,3 Mio. holländische Gulden (knapp 200 Mio. RM) erhöhen konnte.158 Die jährlichen Bestandssteigerungen lagen damit deutlich über den Werten, die die Hamburger Volksfürsorge-Lebens­versi­che­rung als Muttergesellschaft erzielen konnte. Eine ähnlich rasante Entwicklung machte die »Coöperative Levensverzekering Maatschappij Concordia«. Deren gesamte Versicherungssumme lag 155 156 157 158 242 NZZ vom 9. Dez. 1943, in der berichtet wurde, dass die belgische Bank neben den weiterhin dominanten Kleinlebensversicherungen 1942 außerdem »mit Erfolg das Großlebensversicherungsgeschäft aufgenommen« habe. Vgl. Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 133. Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung der Volksfürsorge-Lebensversi­cherung vom 17. Febr. 1941, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 18. Vgl. Niederschrift über Aufsichtsratssitzung der Volksfürsorge-Lebensversi­cherung vom 17. Febr. und 24. Sept. 1941 sowie 5. Dez. 1942, in: ebd. Vor allem zwischen 1941 und 1943 stieg die Zahl der Versicherten um jeweils gut 70.000 oder 12 % bis 13 % jährlich kräftig (Gesamtzahl 1941: 554.106; 1942: 626.588). Jahresbericht der N.V. De Centrale Arbeiders-Levensverzekering-Maatschappij ’sGrevenhage für 1943, in: ebd. der deutsche ring Ende 1942 bei umgerechnet 70 Mio. RM; gegenüber 1941 war dies ein Anstieg um 39 %.159 Da die Bevölkerung des nordwestlichen Nachbarstaates den Nationalsozialisten als den Deutschen rassisch verwandt galt, agierte die Volksfürsorge vorsichtig. Das Arbeitsfront-Un­ternehmen praktizierte ein Geschäftsprinzip, wie es ähnlich auch z. B. für die DAF-Ar­beitsbank gegenüber der von ihr erworbenen »Bank voor Nederlandsche Arbeid N.V.« zu beobachten war: Man beließ es bei einer Mehrheitsbeteiligung. Beide von der Volksfürsorge erworbenen Versicherungsunternehmen konnten sich ihren niederländischen Charakter weitgehend erhalten, da der Hamburger Volksfürsorge-Vorstand, der sich gleichwohl de facto die entscheidenden personellen Positionen sicherte, um die starke antideutsche Stimmung in den Niederlanden wusste. Die Volksfürsorge begann, so kann man resümieren, auf den Spuren der Wehrmacht eine europäische Dimension zu gewinnen. Allerdings blieb das Versicherungsgeschäft im »Altreich« der Schwerpunkt. Nach Schätzungen Böhles lag der Anteil des Auslandsgeschäftes 1942 bei knapp 30 %; danach sank er kontinuierlich.160 In den letzten beiden Kriegsjahren geriet die Volksfürsorge-Lebensversicherung161 im Auslands- wie Inlandsgeschäft tief in die Verlustzone. 1944 war sie de facto bankrott. Ähnlich erging es den DR-Versicherungen, die – im Unterschied zur Volksfürsorge – bereits 1943 rote Zahlen und im folgenden Jahr dann noch höhere Verluste als die Volksfürsorge schrieben. 4.5. Der Deutsche Ring Trotz völkisch-antisemitischer Traditionen: nicht »die« Versicherung der Partei In mancherlei Hinsicht – mit Blick auf ein überdurchschnittlich expansives Wachstum seit 1933, das im Gefolge der NS-deutschen Annexionen und Okkupationen seit 1938 noch forciert wurde, oder auch in der Kapitalanlagepolitik – ähnelt die Geschichte des Deutschen Ringes während des Dritten Reiches der der Volksfürsorge. In anderer Hinsicht nahm die zweite DAF-Ver­sicherungs­ gesellschaft jedoch eine davon stark abweichende Entwicklung. Die DR-Versicherungen waren zwar 1913, also fast zum selben Zeitpunkt wie die Volksfürsorge entstanden, als Unternehmen des antisemitisch geprägten und semifaschistisch orientierten Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes 159 Vgl. NZZ vom 9. Dez. 1943. 160 Vgl. Böhle, Expansion, S. 184. Nach Angaben des Hamburger Fremdenblattes vom 24. Nov. 1943 lag der Anteil der ausländischen Tochtergesellschaften Ende 1942 noch deutlich darunter, nämlich bei 7,1 % des Gesamtbestandes an Einlagen (3.275 Mio. RM gegen 232,06 Mio. RM). 161 Zu den anderen, kleineren Zweigen der Volksfürsorge und ebenso des Deutschen Rings (Transport-, Fahrzeug- und Sachversicherungen) vgl. unten. 243 die versicherungsgruppe (DHV).162 Wenn der Deutsche Ring des DHV – und nicht dagegen die Volksfürsorge des ADGB – neben der Lebensversicherung und weiteren Versicherungssparten eine schon bald prosperierende eigene Krankenversicherung aufbaute, dann resultierte dies aus seiner stark mittelständischen Orientierung. Die Mitgliedschaft des DHV zählte in erster Linie zum neuen Mittelstand (Ange­stellte). Darüber hinaus fand die konservativ-völ­kische Organisation Resonanz im alten (selbständigen) Mittelstand. Beide sozialen Großgruppen waren nicht gesetzlich versichert, sondern gezwungen private Versicherungen abzuschließen.163 Ein zweiter grundsätzlicher Unterschied zur Volksfürsorge bestand darin, dass die Belegschaft wie die Kundschaft des Deutschen Rings aufgrund der antisemitischen Haltung des DHV von Anbeginn »judenfrei« war. Dahinter standen grundsätzliche Überzeugungen. Es gelte, so begründete Max Habermann, eine der einflussreichsten Persönlichkeiten innerhalb des DHV,164 retrospektiv den Aufbau eines eigenen Versicherungsunternehmens, den antisemitischen, deutsch-völkischen Verbandsmitgliedern zu ermöglichen, neben der privaten Krankenversicherung auch »ihre Lebensversicherung bei einer judenfreien Versicherung abzuschließen«. Gleichzeitig sollte mit dem Deutschen Ring ein Kontra­punkt gegen das angeblich »jüdische Bankkapital« gesetzt werden, das »gerade in diesem Geschäftszweig bis zum Frühjahr 1933 einen überragenden Einfluss« besessen habe. Die Gründung des Deutschen Rings markiere den 162 Der DHV, in dem die Ende der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts gegründete »Deutschsoziale Partei« bzw. »Deutschsoziale Reformpartei« als zwei der wichtigsten antisemitischen Parteien des Wilhelminischen Kaiserreiches über erheblichen Einfluss verfügten, schloss in all seinen Satzungen seit 1893 die Aufnahme von Juden aus. In der auch nach 1933 immer wieder aufbrechenden Frontstellung des Deutschen Rings gegen die Volksfürsorge spiegelt sich der Tatbestand, dass der DHV, der zunächst in Hamburg sein Hauptzentrum hatte, 1893 explizit gegen den 1891 von sozialdemokratisch orientierten Handlungsgehilfen gegründeten »Verein ›Vorwärts‹« ins Leben gerufen wurde. Der DHV war Nov. 1919, als mitgliederstärkster Angestelltenverband, dem christlich-nationalen »Deutschen Gewerkschaftsbund« beigetreten und zählte 1929 380.000 Mitglieder. Ab 1930/31 entwickelte er starke – allerdings keineswegs konfliktfreie – Affinitäten zur NSDAP. 163 Das Gros der Arbeitnehmer, vor allem die Arbeiterschaft, war und blieb auch nach 1933 weiterhin in den gesetzlichen Krankenkassen versichert, namentlich in den bis zur NS-Machtübernahme sozialdemokratisch geprägten Allgemeinen Ortskrankenkassen. Das »Gesetz über den Aufbau der Sozialversicherung« vom 5. Juli 1934, mit dem die gesetzlichen Kassen politisch ›gesäubert‹, organisatorisch gestrafft sowie auf das Führerprinzip ausgerichtet wurden, änderte daran im Grundsatz nichts. 164 Habermann (1884-1944), ab 1904 Mitglied des DHV und ab 1907 hauptamtlicher Mitarbeiter in dessen Sozialpolitischer Abteilung, leitete ab 1911 das Zentralorgan des Verbandes, die »Deutsche Handelswacht«. In der Weimarer Republik war er Leiter der Abteilung »Jugend, Berufsbildung und Allgemeinbildung« des DHV. Ab 1928 stand er dem »Internationalen Bund christlicher Gewerkschaften« als Präsident vor, 1931 entwickelte er enge Kontakte zu Brüning, nach 1933 zu Kaiser und Leuschner; nach dem 20. Juli 1944 wurde er verhaftet und nahm sich im Gefängnis das Leben. Zu seiner verlagspolitischen Tätigkeit vgl. Kapitel 5, S. 276. 244 der deutsche ring »Einbruch in diese Stellung« und sei insofern ein Akt »von höchster nationalpoli­ti­scher Bedeutung« ge­wesen.165 Die in der Formel »schärfster Kampf gegen Judentum und Marxismus« gebündelte Obsession, die den DHV samt seinen Ver­si­cherungsgesellschaften und ebenso seinen anderen Unternehmen in ihrem Handeln bis zur NS-Macht­ übernahme geleitet hatte,166 markiert ein Selbstverständnis, an das die DAF nahtlos anknüpfen konnte. Die Berührungspunkte zwischen beiden Seiten waren jedoch nicht allein ideologischer Natur, sondern auch sehr konkret. Nicht nur der Stahlhelm, bis 1931 die mitgliederstärkste rechtsextremistische Organisation der Weimarer Republik, hatte seine Gruppenversicherungen ab 1928 beim Deutschen Ring abgeschlossen. Noch vor ihrem Aufstieg zur Massenpartei, nämlich bereits 1929, war der Deutsche Ring zum Versicherungspartner auch der NSDAP geworden. U.a. hatte die Partei, die einen blutigen Bürgerkrieg gegen die Weimarer Republik führte, für ihre Mitglieder eine Sterbegeldversicherung beim Deutschen Ring abgeschlossen. Anfangs war der Versicherungskonzern des DHV außerdem Partner der SA gewesen (Haftpflicht- und Unfallversicherung), bevor diese NS-Mas­senorganisation mit ihrer Hilfskasse einen eigenen Versicherungsschutz aufbaute.167 Nach der Machteroberung der Nationalsozialisten setzte man diese Kooperation einige Zeit fort. Insbesondere bei der Krankenversicherung, dem wichtigsten Zweig des Deutschen Rings, sowie der Lebensversicherung dieses DHV-Unternehmens war eine Reihe von NSDAP-Gliederungen versichert. Die Gemeinschaftsversicherungen der HJ, der »Adolf-Hitler-Schüler« und der Winterhilfswerk-Los­ver­käufer bestanden zunächst allein unter dem Dach der DR-Versicherungen, allerdings nur bis 1935. In der Folgezeit verlor der Deutsche Ring in dieser Kundschaft erheblich an Boden. In der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre tätigte die NSDAP lediglich fünf Prozent ihrer Versicherungsgeschäfte bei den beiden Gesellschaften der Arbeitsfront.168 Auch die meisten Vorfeld- 165 Max Habermann, Im Kampf um das Reich (1934), nach: Meyer, Verlagsfusion, S. 12. 166 So die Lobeshymne auf den DHV in der von der ZfF der DAF Mitte 1939 herausgegebenen Schrift »Die wirtschaftlichen Unternehmungen der Deutschen Arbeitsfront« (S. 115). 167 Vgl. Arno Surminski, Versicherung unterm Hakenkreuz, Berlin 1999, S. 72 f., sowie Ingo Böhle, »Juden können nicht Mitglieder der Kasse sein …«. Versicherungswirtschaft und die jüdischen Versicherungen am Beispiel Hamburg, Hamburg 2003, S. 24. 168 Die von der DR-Krankenversicherung verwaltete Gemeinschaftsversicherung der NSDAP war freilich auch nicht sonderlich lukrativ, da 80 % des Gewinns an deren Reichsschatzmeister Franz Xaver Schwarz abgeführt werden mussten. Dagegen setzte das DAF-Unternehmen auf das Image als ›Versicherung der Partei‹ und wollte noch 1937 auf diese Weise »den Namen des Deutschen Ringes in weiten Kreisen bekannt machen und sein Ansehen heben.« Bericht über den Geschäftsverlauf Jan.-Okt. 1937 für den Aufsichtsrat des Deutschen Ringes, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 12. Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Böhle, PKV, S. 86-90. 245 die versicherungsgruppe organisationen der Partei präferierten die Konkurrenten der Arbeitsfront-Unternehmen.169 Nicht zuletzt die SS schloss ihre Versicherungen lieber bei der Allianz und anderen Privatgesellschaften als bei den DAF-Unter­nehmen ab. Die Allianz versicherte die Produktionsstätten in den Ghettos sowie die Baracken der Konzentrationslager und wurde schließlich zum Versicherungskonsortialführer des Lager­komplexes Auschwitz. Ab Herbst 1940 stieg die Allianz auch unmittelbar zum wichtigsten Versicherer der SS auf (KfZ-Haftpflicht- und Unfallversicherung, Feuer-, Diebstahl- und sonstige Sachversicherungen). Der DAF-Konzern, der auch über eine Sach- und Transportversicherung verfügte, ging dagegen leer aus; an den Konsortien für Auschwitz und andere Lage partizipierte er nicht einmal mit einer Minderheitsbeteiligung.170 Wenn der Deutsche Ring trotz seiner rechtsextremistischen Traditionen nicht zu der Versicherung der gesamten NS-Bewegung wurde, dann war dafür weniger eine Anweisung des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung verantwortlich, die vorschrieb, dass an den seit 1935 abgeschlossenen Verträgen über Gemeinschaftsversicherungen auch andere Versicherungsunternehmen beteiligt werden mussten, um (so der offizielle Grund) das Versicherungsrisiko zu streuen. Wichtiger war, dass namentlich die Allianz der SS schlicht bessere Konditionen bot als der Deutsche Ring. Wie schon in der Frage, welches Geldinstitut zur Hausbank der jeweiligen NS-Orga­ni­sation aufstieg, entschieden die SS und ebenso andere Vorfeldorganisationen der NSDAP im allgemeinen nicht nach ideologischem Gleichklang und politischem ›Verdienst‹, sondern wesentlich nach ökonomischen Kriterien. Es ist symptomatisch, wie die Funktionäre der SS, die für deren »Deutschen Wirtschaftsbetriebe GmbH«, also die den KZ angegliederten Unternehmen, verantwortlich waren, noch im Sommer 1944 über die Angebote sowohl der Allianz als auch der DR-Lebensversicherung über eine Generalversicherung der SS-Wach­mannschaften befanden. Die Allianz offerierte ein ausgesprochen generöses Versicherungspaket, das eine umfassende Altersversicherung des jeweiligen SS-Man­nes als Versicherungsnehmer vorsah und im Falle eines vorzeitigen Ablebens eines (männlichen) SS-»Gefolg­schaftsmitgliedes« eine vergleichsweise üppige Witwen- und Waisenrente für die Hinterbliebenen einschloss. Der Deutsche Ring dagegen bot lediglich eine Individualaltersrente bei Vollendung des 65. Lebensjahres an171 – so dass sich die SS nach ausgiebiger Prüfung für die Allianz entschied. 169 So brachten der NS-Lehrerbund, der NS-Rechts­wahrerbund, die NS-Frauenschaft und die NS-Kriegs­opfer­ver­sorgung einen großen Teil ihrer Gruppenversicherungen bei der Allianz unter. Vgl. Feldman, Allianz, S. 154 f., Zitat: S. 155. 170 Vgl. ebd., S. 466-488. 171 Vgl. Aktenvermerk des SS-Hauptsturmführers Hoffmann vom 25. Aug. 1944, sowie Allianz Lebensversicherungs AG. an die Deutsche Wirtschaftsbetriebe GmbH, vom 12. Aug. 1944, DR-Lebensversicherung an dies. vom 3. Juni bzw. 10. Aug. 1944, in: BA Berlin, NS 3, Nr. 1058, Bl. 2-3, 25 f., 33, 84. Lediglich der Deutsche Ring und die 246 der deutsche ring Ähnlich schwer wie ökonomische wogen in vielen Fällen politische Über­ legungen pro oder contra Deutscher Ring. So wie dies bereits für die Bank der Deutschen Arbeit zu konstatieren war, veranlasste die Furcht vor einer ab 1936 scheinbar übermächtig werdenden Arbeitsfront viele NS-Organisationen, zur Konkurrenz zu wechseln: Sie wollten die Unternehmen der DAF als ökonomische Basis der Arbeitsfront-Füh­rung nicht noch durch eigenes Zutun stärken und das Streben der Arbeitsfront nach immer mehr politischer Macht zusätzlich stimulieren. Es waren mithin auch die Rivalitäten zwischen den NS-Organi­ sationen sowie die persönlichen Eifersüchteleien unter den maßgeblichen Akteuren, die für die Abwanderung vom Deutschen Ring zur Konkurrenz verantwortlich waren.172 Verstärkt wurde das Misstrauen gegen die DAF-Ver­siche­rungsgesell­schaften dadurch, dass bei diesen auch sonst ökonomische und politische Interessen miteinander verquickt wurden. Wie die Volksfürsorge bedienten sich auch die Ring-Versicherungen der Arbeitsfront-Funktionäre, um neue Kunden zu akquirieren. DAF-Funktionsträger warben ab Herbst 1933 vielfach unverblümt für den Deutschen Ring. Umgekehrt arbeiteten die hauptberuflichen Außendienstler der DR-Ver­sicherungen eng mit den Dienststellen der Arbeitsfront vor Ort zusammen.173 Der Protest der anderen Unternehmen der Branche dagegen war zwar ähnlich kräftig wie der des Bankgewerbes gegen die ganz ähnliche Praxis der Arbeitsbank. Die Katze ließ jedoch das Mausen nicht. Wie das DAF-Geldinstitut setzten auch die Ring-Versi­che­run­gen ungerührt von allen Protesten weiterhin politische Mittel ein, um neue Kunden zu gewinnen. Noch Anfang 1938 klagte der Leiter der Reichsgruppe Versicherungen dem Reichswirtschaftsminister, dass der Leiter der DAF-Reichs­betriebs­gemein­schaft »Druck und Papier« allen Unternehmen dieser Branche eindringlich »nahegelegt« habe, »Gefolgschaftsver­ sicherungen« nur beim Deutschen Ring sowie bei einer weiteren, den Prinzipien des Nationalsozialismus angeblich besonders verpflichteten Versicherung, der Gothaer Lebensversicherungsbank a.G., abzuschließen.174 Unterbinden ließ sich durch solche Beschwerden ein Engagement der DAF-Funktionäre für ›ihren‹ Deutschen Ring auch in der Folgezeit nicht. Allianz gaben überhaupt Angebote ab. Infolge des Zusammenbruchs des NS-Regimes kam es dann allerdings nicht mehr zum Abschluss des Vertrages. 172 Hier ist allerdings nach Zeit und Organisation zu differieren. Im Herbst 1944 war die DAF im Unterschied zur SS oder NSDAP politisch kaum mehr von Bedeutung. Gerade die SS dürfte auch zuvor die Arbeitsfront und ihre Unternehmen politisch kaum gefürchtet haben – im Unterschied etwa zum NS-Lehrerbund, NS-Rechtswahrerbund usw., die tatsächlich zeitweilig Angst hatten, von der DAF geschluckt zu werden. 173 Vgl. Böhle, PKV, S. 55, sowie ders., »Juden«, S. 25 bzw. S. 48. 174 Hilgard an Schacht vom 7. Jan. 1938, in: BA Berlin, R 3101, Nr. 10 317, Bl. 9 f. 247 die versicherungsgruppe Eher durchschnittliche Wachstumsraten: die Ring-Versicherungen in den ersten Jahren nach der NS-»Machtergreifung« Die enge Verfilzung zwischen der DAF und ihren Versicherungsgesellschaften sollten nicht vergessen lassen, dass sich Deutscher Ring und Volksfürsorge noch in einer weiteren Hinsicht grundsätzlich voneinander unterschieden. Der DHV als der Eigentümer der DR-Versicherungen hatte den »nationalen Aufbruch« des Reichskabinetts Hitler enthusiastisch begrüßt und sich der Arbeitsfront freiwillig angeschlossen. Mit der Selbstauflösung des DHV in die DAF hinein, die im Mai 1933 begann und Ende Februar 1934 abgeschlossen war,175 glich die Inbesitznahme der DR-Versicherungen durch die Arbeitsfront einer ›freundlichen Übernahme‹, während die Volksfürsorge offen geraubt worden war, nachdem die NS-Bewegung den ADGB wie die anderen Organisationen der linken Arbeiterbewegung brachial zerschlagen hatten. Aufgrund der geschilderten Affinitäten zwischen dem DHV und der NS-Bewegung vor 1933 kam es in den Geschäftsführungen sowie den Vorständen der DR-Versicherungen zu keinen politisch begründeten personellen Veränderungen.176 Auch auf den mittleren und unteren Angestelltenebenen scheinen Fluktuationen infolge der NS-Macht­ergreifung gering gewesen zu sein. Diese personelle Stabilität, die auf eine Kontinuität auch der inneren Unternehmenskultur schließen lässt, trug zur ökonomischen Stabilisierung und zum schon bald einsetzenden Aufschwung der DR-Versi­che­rungen maßgeblich bei. Hinzu kam, dass die politischen Präferenzen der DAF-Führung bis 1945 eindeutig beim Deutschen Ring lagen, wie der Vorstand der Volksfürsorge mehrfach schmerzlich erfahren musste. Daneben erwies sich die stabile Verankerung des DHV und mit ihm der Ring-Versicherun­gen im deutsch-völ­ki­ schen Angestelltenmilieu als Startvorteil in die neue Zeit, die der Nationalsozialismus 1933 versprach. Angesichts der starken Stellung des DHV in der deutschen Angestelltenschaft besaßen und behielten die DR-Versicherungen einen festen Kundenstamm, den sie durch gezielte Werbeaktionen sowie durch die erwähnte enge Kooperation mit dem politischen Apparat der Arbeitsfront systematisch ausbauten. Der Erfolg blieb nicht aus. Zunächst der Blick auf die DR-Kran­kenversicherung als dem wichtigsten Zweig des Deutschen Rings, und hier wiederum auf die Individual- bzw. Familienversicherungen:177 1933 lag die Zahl der Versicherungsnehmer hier bei 175 Nach einer Vereinbarung zwischen Ley und dem Vorsitzenden des DHV vom 4. Mai 1933 firmierte der DHV zunächst als einziger Verband für männliche kaufmännische Angestellte innerhalb der DAF. Mit der Organisationsreform vom Febr. 1934 verschwand der DHV auch nominell. 176 Anscheinend gab es zwei Ausnahmen von dieser Regel: So nahm sich der Vorstandsvorsitzende der DR-Lebensversicherung im Frühjahr 1933 das Leben, der Aufsichtsratsvorsitzende desselben Zweigs der DR-Versicherungen trat im Mai 1933 zurück. Vgl. Fortschrittlicher Versicherer seiner Zeit, S. 14; Böhle, PKV, S. 42. Dass dahinter politische Motive standen, ist wahrscheinlich, jedoch nicht nachgewiesen. 177 Nach einer Aufstellung aus dem Jahre 1936 waren 33,8 % der Mitglieder der DR-Krankenversicherung Männer, 44,7 % Frauen und 21,5 % Kinder. In: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 11. 248 der deutsche ring gut 260.000, zehn Jahre später (1943) hatte er sich auf mehr als 500.000 Individualversicherungen in etwa verdoppelt. In ähnlichen Dimensionen wuchsen die Prämieneinnahmen, von 12,5 Mio. RM auf 23,0 Mio. RM (Tabelle 2.8.).178 Hinzu kam, dass der Deutsche Ring an »Gefolgschaftsversicherungen« – einer Sonderform der »Gemeinschaftsversicherung«, die Unternehmer für ihre Belegschaften abschlossen – noch stärker partizipierte als die Volksfürsorge. Hintergrund dieser Entwicklung war, dass die Arbeitsfront vor allem in den ersten »Leistungskämpfen der Betriebe« Leistungen der betrieblichen Alters- und Krankenvorsorge in besonderem Maße prämierte. Da die Auszeichnung »Musterbetrieb« in diesen Leistungskämpfen für die einzelnen Unternehmen oft ausgesprochen werbewirksam war, übten örtliche sowie betriebliche Repräsentanten der DAF erfolgreich Druck aus, eine »Gefolgschaftsversicherung« über betriebliche Zuschüsse im Krankheits- oder Invaliditätsfall mit einem der beiden DAF-Un­ter­neh­men abzuschließen. Vor allem wegen dieser kollektiven Belegschaftsversicherungen vervierfachte sich die Zahl der in beim Deutschen Ring in Gemeinschaftsversicherungen krankenversicherten Personen allein innerhalb der vier Jahre von 1935 bis 1938 von 170.000 auf 691.000. 1943 sollen es schließlich eineinhalb Millionen Menschen gewesen sein, die auf diese Weise beim Deutschen Ring krankenversichert waren. Aufs Ganze gesehen hielt sich der Stellenwert der Gemeinschaftsversicherungen für Unternehmen wie für NS-Organisatio­nen im Rahmen der DR-Krankenversi­che­rung allerdings in Grenzen: Die Prämien für diese kollektiven Versicherungen hatten sich zwischen 1936 und 1939 von 450.000 RM auf 1,6 Mio. RM absolut zwar mehr als verdreifacht. Ihr Anteil an der Gesamtheit der Prämieneinnahmen blieb mit 2,4 % 1936 und 7,6 % 1939 letztlich jedoch bescheiden. Bis 1942 sank ihr Anteil sogar wieder auf 4,2 % (Tabelle 2.8.). Davon, dass sich die DR-Krankenversiche­rung ideologisch starke Affinitäten zu den Zielen des NS-Regimes nach 1933 erhielt, zeugt ihre versicherungstechnisch umgesetzte Unterstützung der pronatalistischen Politik des Regimes. Während andere private Krankenversicherungen sich häufig weigerten, bei Normalgeburten Leistungen zu erstatten, war genau dies für die DR-Kran­ken­ versicherung selbstverständlich. In einem Schreiben an die Wirtschaftsgruppe Privatversicherung begründete der Vorstand der DR-Krankenversiche­rung dies damit, dass die Erstattung von Leistungen bei Entbindungen »nicht einseitig von Standpunkt der Rentabilität, sondern nur unter Berücksichtigung der übergeordneten Belange einer nationalsozialistischen Gesundheitsführung« betrachtet werden könne. Ebenfalls im Einklang mit NS-Ideologemen verweigerte 178 Inkl. Prämien für Gruppenversicherungen. Alle Angaben beziehen sich auf das »Altreich«; nicht einbezogen sind die Tochtergesellschaften in Österreich und anderen Gebieten Europas. Wenn sich der Be­stand an Versicherten von 1938 auf 1939 im Vergleich zu den Vorjahren und ebenso den nachfolgenden Jahren um etwa 20 % weit überdurchschnittlich erhöhte, dann war dies wesentlich darauf zurückzuführen, dass sich die DR-Krankenversicherung Mitte 1939 die Bestände des in Konkurs gegangenen »Hamburger Krankenversicherungs-Vereins von 1882« einverleibte. Vgl. Böhle, »Juden«, S. 32. 249 die versicherungsgruppe der Deutsche Ring bei einem Suizid von Wehrmachtsangehörigen die Zahlung von Sterbegeld (sofern die Selbsttötung nicht »in geistiger Umnachtung« geschah). Die »feige Flucht vor der Verantwortung« in zugespitzten militärischen Situationen wollte das stramm nationalsozialistische Versicherungsunternehmen nicht noch prämieren.179 Gleichzeitig wurde die DR-Krankenversicherung zum Vorreiter bei der Modernisierung der Versicherungsstrukturen: Mitte der dreißiger Jahre führte die Ring-Versicherung die Selbstbeteiligung der Versicherten ein, um auf diese Weise die Krankheitskosten zu senken.180 Die Absicht, dadurch die Ausgaben zu reduzieren und die Rentabilität zu erhöhen, ließ sich vorzüglich mit den Interessen des Regimes vereinbaren, die Krankenstände und die Krankheitsdauer zu drücken und auf diese Weise zusätzliche Leistungspotentiale für Aufrüstung und Krieg zu mobilisieren. In den ersten Jahren lag das Wachstum des Versichertenbestandes und der Prämieneinnahmen der DR-Krankenversicherung über dem der meisten anderen Gesellschaften. In den Vorkriegsjahren bewegten sich die entsprechenden Wachstumsraten und ebenso die Verwaltungskosten dieses Zweiges des Deutschen Rings dann im Trend der Großen der Branche (Tabelle 2.9.). Hintergrund dieser Entwicklung war, dass der Ring (wie geschildert) nur in den Anfangsjahren der NS-Diktatur als die Versicherung der Hitler-Bewegung gegolten hatte und danach dann die Partei und ihre Organisationen auch andere Versicherungsunternehmen mit Krankengemeinschaftsversicherungen beglückten. Diesen Bedeutungsschwund und gleichzeitigen Image-Verlust konnte die DRKrankenversicherung durch die angesprochene Verflechtung mit der Arbeitsfront und den politischen Druck, den die DAF vor allem durch den »Leistungskampf der Betriebe« aufbaute, lediglich kompensieren. Extraordinäre Vorteile erwuchsen ihr daraus offensichtlich nicht. Im Unterschied zur starken Ring-Krankenversicherung als der fünftgrößten deutschen privaten Krankenversicherung (Tabelle 2.9.) – und ebenso im Unterschied zur Volksfürsorge-Lebens­versi­che­rung – blieb die Entwicklung des DRZweigs Lebensversicherung zunächst verhalten. Die Gesamtversicherungssumme, die 1932 bei etwas mehr als 400 Mio. RM lag, hatte sich bis 1937 zwar um 50 % erhöht. Zu den Großen der Branche konnte sie jedoch erst 1938 aufschließen. In diesem Jahr verdoppelte sich der Bestand der DR-Lebens­ver­sicherung von 618 Mio. RM (1937) auf 1.389 Mio. RM (Tabelle 2.10.). Hintergrund dieses Sprunges war die oben angesprochene Übernahme der Großlebensversicherungen der vormals christlich-natio­nalen, von der DAF dann liquidierten Deutschen Lebensversicherung. Hinzu kamen einige Monate später die Bestände der Österreichischen Ring-Lebensversicherungs AG in Höhe von 135 Mio. RM. 179 Nach: Böhle, PKV, S. 168 ff. 180 Vgl. Deutscher Ring, Geschäftsbericht 1938, S. 6; Böhle, PKV, S. 70. 250 der deutsche ring Antisemitismus als Konkurrenzvorteil – innerhalb und außerhalb des Konzerns Für den Deutschen Ring des DHV war der ihm seit seiner Gründung eingeschriebene Antisemitismus nach 1933 ein kaum zu unterschätzender Konkurrenzvorteil. Er war ein Konkurrenzvorteil gegenüber den etablierten Unternehmen und ebenso innerhalb des Konzerns, also gegenüber der Volksfürsorge, der – als vormals freigewerkschaftlichem Unternehmen – Rassismus und Antisemitismus 1933 von außen oktroyiert werden mussten. Weil die Belegschaft wie die Kundschaft der DR-Versicherungen »judenfrei« waren, konnte der Deutsche Ring nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten glaubhaft Konkurrenten wie die »Barmenia« und deren »Nationale Versicherungs AG«, aber auch die Allianz als »verjudet« denunzieren.181 Entsprechende Diffamierungen trafen sich mit der unter Nationalsozialisten verbreitete Forderung nach »Entjudung« der privaten Krankenversicherung (PKV) und hier nicht zuletzt mit dem in der deutschen Ärzteschaft besonders ausgeprägten Antisemitismus. Bereits im Mai 1933 vereinbarte der »Leipziger Verband« der PKV mit dem Hartmann-Bund und der Kassenärztlichen Vereinigung, dass jüdische Ärzte lediglich für jüdische Versicherte Rechnungen ausstellen, mithin auch nur diese behandeln durften.182 Vor diesem Hintergrund erwies sich die werbende Feststellung der Ring-Versicherungen, immer schon »judenfrei« gewesen zu sein, mit Blick auf künftige Kun­denpotentiale als ausgesprochen zugkräftig. Namentlich im – alten wie neuen – Mittel­stand, der die Hauptklientel der PKV bildete, waren Judenfeindschaft und Antisemitismus seit langem weit stärker verbreitet als in der zumeist gesetzlich versicherten Arbeiterschaft.183 Eine besonders perfide Form antisemitischer Praxis ließen sich die verantwortlichen Akteure der DR-Krankenversicherung nach dem Novemberpogrom einfallen. Im September 1938 war den jüdischen Ärzten die Approbation aberkannt worden; nur wenigen von ihnen war – zu »Heilbehandlern« degradiert – erlaubt worden, jüdische Patienten, und nur sie, medizinisch zu betreuen. Diese Verordnung bot der Ring-Kran­kenversicherung noch im Oktober 1938 die Möglichkeit, die – wenigen – bis dahin unerkannten jüdischen Versicherten (die laut Verordnung lediglich jüdische Mediziner aufsuchen durf­ten) zu identifizieren 181 Vgl. Böhle, PKV, S. 56. Zur Denunziation durch Repräsentanten des DR, die Allianz sei »eine Hauptstütze der jüdischen Hochfinanz« Mitte 1933 und der anschließenden gerichtlichen Auseinandersetzung vgl. auch Feldman, Allianz, S. 120. Antisemitische Diffamierungen waren freilich keine Spezialität nur des Deutschen Rings. Vgl. Böhle, »Juden«, S. 25. 182 Vgl. ders., PKV, S. 58. 183 Zum weit überdurchschnittlich hohen Prozentsatz mittelständischer Wähler an der Gesamtwählerschaft der NSDAP (als wichtigstem Indikator) vgl. Jürgen Falter, Hitlers ­Wähler, München 1991, bes. S. 288; allgemein z. B. Helmut Berding, Moderner Antisemitismus, Frankfurt a. M. 1988, S. 120-133, oder Shulamit Volkov, Zur sozialen und politischen Funktion des Antisemitismus. Handwerker im späten 19. Jahrhundert, in: dies., Antisemitismus als kultureller Code, München 2000, S. 37-53, hier: S. 37 ff. 251 die versicherungsgruppe und aus der Kasse auszustoßen. Die DAF-Gesell­schaft nutzte die Verordnung außerdem, um nicht-jüdi­schen Patienten den Versicherungsschutz zu entziehen, wenn diese sich weiterhin von jüdischen Ärzten behandeln ließen; gleichzeitig wurden letztere kriminalisiert.184 Von der DAF als Mutterorganisation wurden solcherart antisemitische Praktiken wie überhaupt die antisemitische Tradition des Deutschen Rings besonders goutiert, ließen sich Ley und die Arbeitsfront in puncto Antisemitismus doch von kaum einer anderen NS-Orga­ni­sation übertreffen. Zugleich brachten die Protagonisten des Deutschen Rings damit die Volks­f ürsorge, die auf eine demokratische, nicht-antisemitische Vorgeschichte zurückblickte und von den NS-Rassisten als »Juden« stigmatisierte Menschen unter ihren Angestellten wie ihren Kunden zählte, im konzerninternen Konkurrenzkampf ins Hintertreffen. Wie reagierte die Volksfürsorge darauf ? Deren im Frühjahr und Sommer 1933 überwiegend neu eingesetzten Vorstände wurmte, dass sie nicht ihrerseits mit eingespielten antisemitischen Praktiken protzen konnten. Sie traten mit dem Deutschen Ring in einen Wettbewerb um antisemitische Systemkonformität und such­ten das von ihnen geführte Versicherungsunternehmen mög­lichst rasch »judenfrei« machen. Bereits in den ersten Monaten nach der NS-Machter­ oberung waren die jüdischen Angestellten und ebenso die nach den nationalsozialistischen Rassegesetzen als »Juden« klassifizierten Vertrauensleute, die nebenberuflich die monatlichen Beiträge der Versicherer kassierten, entlassen worden.185 Als Versicherte nahm die Volksfürsorge Juden dagegen auch nach 1933 auf – mit der zynischen Begründung, es sei »verwerflich, wenn Juden ihre Prämien an ausländische, im Deutschen Reich zugelassene Gesellschaften abführen.«186 Das Unternehmen verstand sich also als Teil der Institutionen des NS-Regimes, die es sich zur erklärten Aufgabe gemacht hatten, die deutschen Juden ihrer Vermögen und ihres sonstigen Eigentums zu berauben. Nach den Novemberpogromen ließ die Volksfürsorge ihre jüdischen Versicherten gänzlich fallen. Anfang Dezember 1938 ordnete der Vorstand unter dem Signum »Abwickeln« an, dass der Außendienst das Inkasso jüdischer Versicherter einzustellen habe, die Versicherungen zu stornieren und die »nicht-­­ari­ schen« Versicherten zum – niedrigen – Rückkaufswert auszuzahlen seien. Dieses Verfahren war ein eklatanter Rechtsbruch; denn eigentlich durften Versiche184 In der Arbeitsanweisung vom Okt. 1938 wurden die Geschäftsstellen des DR angewiesen, alle Rechnungen und sonstigen Unterlagen jüdischer Ärzte »zwecks des Ausschlussverfahrens« an die Hauptverwaltung in Hamburg zu schicken. Auch wenn »es sich bei den einen jüdischen Heilbehandler in Anspruch nehmenden Mitgliedern nicht um Juden« handele, seien »die Unterlagen zwecks Prüfung der etwa zu veranlassenden Maßnahmen nach Hamburg zu senden«, da sich dann »der jüdische Heil­behandler eines strafbaren Verstoßes gegen Grundgesetze des deutschen Volkes schuldig gemacht« habe. Nach: Böhle, »Juden«, S. 41. 185 Nach NS-Kriterien »halbjüdische« Angestellte wurden anfangs noch weiter beschäftigt. Ihnen wurde ab 1935 gekündigt. Vgl. ebd., S. 45 f. 186 Vgl. ebd., S. 15, bzw. Böhle, PKV, S. 99. 252 der deutsche ring rungsgesellschaften Verträge nicht einseitig kündigen. Dass man hier Gesetze und überkommene rechtliche Gepflogenheiten empfindlich verletzte, störte auf Seiten der Volksfürsorge indes offenkundig nie­manden.187 In der Folgezeit intensivierte sich dieser Wettstreit zwischen der Volksfürsorge und dem auf seine antijüdische Vorgeschichte stolzen Deutschen Ring weiter. Ähnlich skrupellos wie im »Altreich« verfuhr die Volksfürsorge mit jüdischen Versicherten von Unternehmen, die sie sich in den seit 1938 okkupierten Gebieten angeeignet hatte. Jüdische Pensionäre des slowakischen Ablegers der Wiener Anker-Versicherung wurden mit »lächerlich geringen Beträgen« (Böhle) abgefunden. Die slowakischen Staatspapiere, in denen die »Anker« einen hohen Prozentsatz ihres Versicherten-Kapitals angelegt hatte, wurden 1943 in Hypothekendarlehen für den Siedlungsbau der Reichswerke »Hermann Göring« umgewandelt. Es war der Volksfürsorge ausdrücklich »eine besondere Genugtuung, gerade auch das nicht aus volksdeutschen Kreisen herrührende Geld unseren deutschen Zwecken nutzbar zu machen.« Für die Polnische Sparkassenversicherung, die das DAF-Unternehmen »treuhänderisch« verwaltete, verfügte der Volksfürsorge-Vorstand Anfang November 1939, dass »die jüdischen Policen sowie diejenigen, deren Inhaber außer Landes gegangen sind, entschädigungslos zum Storno gebracht« werden sollten. Ähnlich verfuhr die Volksfürsorge mit Juden, die in den Gesellschaften und Sterbekassen versichert waren, die sie in Luxemburg und Elsass-Lothringen übernahm. Auch in Ungarn wollte sich der Volksfürsorge-Vorstand von der jüdischen Kundschaft mit »Stornogewinn befreien«. Mit der Expansion der Volksfürsorge in den ›europäischen Großraum‹ hinein wurden Versichertenbestände teilweise im bewussten Kalkül übernommen, jüdische Versicherte zu enteignen. So erhielt z. B. die Ostmärkische Volksfürsorge zahlreiche Versicherungen von österreichischen Juden aus dem Bestand der »Allianz und Gisela Versicherungsverein AG« (Allgis), die aufgrund der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 zugunsten des Reichs enteignet wurden.188 Dasselbe war der Fall, als die »ostmärkische Volksfürsorge« 1940 den slowakischen Bestand der Wiener Anker Allgemeine Versicherungsgesellschaft AG übernahm. Die Leitung des DAF-Versicherungsunternehmens verbarg in einem auf den 25. Februar 1943 datierten Schreiben an den »Volksgruppenführer« der »deutschen Volksgruppe« in der Slowakei ihre Befriedigung über diese stille »Arisierung« nicht. »Diese Gelder stammen […], da der Anker sehr stark in jüdischen Kreisen arbeitete, nur zu einem verschwindend geringen Teil aus volksdeutschen Kreisen.« Es war der Volksfürsorge »eine besondere Ge187 Das Vorgehen der Volksfürsorge war auch durch rechtliche Sondervorschriften »zur Behandlung jüdischer Lebensversicherungen« nicht sanktioniert. Vgl. Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 67 f.; ders., Lebensversicherung, S. 66 f.; ders., Expansion, S. 184; ders., »Juden«, S. 15. Böhle vermutet, dass die Zahl der Betroffenen klein gewesen sei, da das Gros der bei der Volksfürsorge Versicherten aus der Arbeiterschaft kam und dort der Anteil der Juden traditionell gering war. 188 Vgl. Böhle, Expansion, S. 188. 253 die versicherungsgruppe nugtuung, gerade auch das nicht aus volksdeutschen Kreisen herrührende Geld unseren deutschen Zwecken nutzbar zu machen.«189 Im Vorfeld von Übernahmen südost-europäischer ­Versicherungsunternehmen wurde auch sonst unverblümt mit solchen »Arisierungs«-Gewinnen kalkuliert. So forderte der Vorstandsvorsitzende des Volksfürsorge-Konzerns ­Diedrich Pollmann den Vorstandsvorsitzenden der Ostmärkischen Volksfürsorge und SüdostBeauftragten des Hamburger Unternehmens Gerhard Hecklinger auf, ge­nau zu prüfen, »wieviel jüdische Kundschaft sich bei der Ungarn-Leben befindet und ob die Judengesetzgebung irgendwie die Möglichkeit bietet, sich von dieser Kundschaft mit Stornogewinn zu befreien«, als dieser sich Ende 1940 anschickte, die Bedingungen für die Übernahme der magyarischen Versicherung im bis Mitte März 1944 nominell unabhängigen Ungarn auszuhandeln.190 Ebenso verfielen die Policen der jüdischen Versicherten der Polnischen Sparkassen-Versicherung. Die Volksfürsorge konnte den Deutschen Ring zwar nicht übertrumpfen. Sie eiferte den ehemaligen DHV-Versicherungen jedoch nach, indem sie den Antisemitismus nun ihrerseits gegenüber anderen, ›normalen‹ Versicherungsunternehmen in Stellung brachte. So wurde die Donau-Concor­dia Allgemeine Versicherung, die mit der »Ungarischen Lebens- und Rentenversicherungsanstalt (Ungar-Leben)«, einer Ende 1940 erworbenen Tochtergesellschaft der Volksfürsorge, konkurrierte, bei führenden Vertretern der deutschen Volksgruppe in Ungarn Anfang 1942 mit dem Hinweis denunziert, »dass der Organisationsleiter der Donau[-Concordia] in Ungarn der Jude Fjodor ist«.191 Nicht zuletzt bestimmte der Antisemitismus das Handeln der verantwortlichen Akteure auf Seiten der Volksfürsorge beim Immobilienerwerb. So stellte der erwähnte Hecklinger den Kauf eines neuen Verwaltungsgebäudes für die Ungar-Leben Anfang Oktober 1941 (!) mit der so zynischen wie prophetisch anmutenden Bemerkung zurück, dass die anstehende »weitere Lösung der Judenfrage einen sehr gründlichen Wandel gerade auf dem Grundstücks­markt mit sich bringen wird und dass deshalb in einem oder einem halben Jahr die schönsten Geschäftshäuser zu sehr billigen Preisen zu haben sein werden.«192 Schon zuvor war die Volksfürsorge in größerem Umfang an »Arisierungen« von Immobilien beteiligt gewesen.193 Eine wieder andere Variante der »Arisierung« war die umgehende Liquidierung der Pensionszusagen für ehe­malige jüdische Direktoren nach der Übernahme eu- 189 Nach: ebd., S. 191. 190 Vgl. ebd., S. 194. Zum Umgang der Volksfürsorge mit den jüdischen Versicherten der Polnischen Sparkassen-Versicherung vgl. ders., Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 120. 191 Zuvor hatte der neu eingesetzte Vorstand der Ungar-Leben sämtliche jüdischen Angestellten, etwa ein Drittel der Gesamtbelegschaft, entlassen. Vgl. ders., Expansion, S. 193. 192 Vgl. inkl. Zitate: ders., Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 110, 120, 125, 129; ders., Expansion, S. 194; ders., Lebensversicherung, S. 73 f. 193 Vgl. ebd., S. 61. 254 die expansion des deutschen rings ab 1938 ropäischer Versicherungsunternehmen durch den DAF-Konzern. Dies war z. B. 1938 bei der erwähnten »Allgis« der Fall.194 Die Bemühungen der Volksfürsorge, den Vorsprung der DR-Versicherungen in Sachen Antisemitismus aufzuholen, gestalteten sich alles in allem betrachtet allerdings wie das Rennen zwischen dem Hasen und dem Igel: Der Deutsche Ring war immer schon da. Dies galt z. B. für die antisemitischen Praktiken in Österreich, wo die ÖVAG bis zur Übernahme durch die DR-Ver­sicherung mehr als die Hälfte aller jüdischen Versicherungspolicen gehalten hatte;195 sie wurden von der DAF-Versicherungsgesell­schaft nach dem Eigentümerwechsel umgehend enteignet. Eine vergleichbare antisemitische Geschäftspolitik praktizierte der Deutsche Ring auch im übrigen besetzten Ausland. Da sich die DRVersicherungen auf diesem für die NS-Diktatur zentralen Feld weder praktisch noch ideologisch eine Blöße gaben, konnte die Volksfürsorge konzerninternen Vorsprung des Deutschen Rings hier bis 1945 nicht wettmachen. 4.6. Die Expansion des Deutschen Rings ab 1938 Die Rivalität zwischen Volksfürsorge und Deutschem Ring beschränkte sich nicht auf den Antisemitismus. Beide Versicherungsgruppen wetteiferten auch miteinander, als es darum ging, auf den Spuren des, wie der Leiter der TWU formulierte, »siegreichen deutschen Heeres« in die unterworfenen Gebiete »einzudringen«.196 Eine marktbeherrschende Stellung in Österreich Die Österreichische Versicherungsgesellschaft (ÖVAG), die größte Privatversicherung der neuen »Ostmark« – 1937 entstanden aus dem Zusammenbruch der Versicherungsgesellschaft Phönix197 – wurde zum Standbein der DR-Lebensversicherung in Österreich. Sie war im Sommer 1938 zunächst von der Volksfürsorge aufgekauft und dann an die Ring-Versicherung nicht ganz freiwillig ›weiterge- 194 Vgl. Böhle, Expansion, S. 189. 195 Vgl. Stiefel, Österreichische Lebensversicherungen, S. 116. 196 Leiter des AWU, Leistungsbericht für 1940, Jan. 1941, S. 5, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 87. Zur besonderen Aggressivität der beiden DAF-Versicherungsgruppen im Ausland vgl. auch Feldman, Allianz, S. 418. 197 Zur Entstehung der ÖVAG als eine der Auffanggesellschaften der zusammengebrochenen Phönix und ihrer Entwicklung bis Anfang 1938 vgl. Thür, Österreichische Versicherungsgesellschaft, S. 710-722, sowie Stiefel, Österreichische Lebensversicherungen, S. 32 ff. Ende 1937 zählte die ÖVAG 440 Angestellte. Vgl. Thür, Österreichische Versicherungsgesellschaft, S. 717. Bis Anfang der vierziger Jahre wuchs diese Zahl auf knapp tausend an. Im April 1945 zählte die ÖVAG 819 hauptberufliche Mitarbeiter. 255 die versicherungsgruppe reicht‹ worden.198 Der Vorstand der Volksfürsorge hätte die lukrative ÖVAG gern selbst behalten, konnte sich jedoch gegen die Besitzansprüche des Deutschen Rings nicht wehren, da jene von der DAF-Führung massiv unterstützt wurden. Den Kauf der ÖVAG finanzierte der Deutsche Ring via DAF aus dem Vermögen der aufgelösten österreichischen Gewerkschaften.199 Seit März 1939 firmierte die ÖVAG, die nach ihrer Inbesitznahme durch die Arbeitsfront umgehend und rigoros alle jüdischen Belegschaftsmitglieder entließ,200 als »Deutscher Ring, Österreichische Lebensversicherungs-AG«. Mit der ÖVAG wurde der Deutsche Ring in der »Ostmark« zu einem Schwergewicht in der dortigen Lebensversicherungsbranche. Nach dem »jüdischen Schock«201 von 1938, d. h. der de facto entschädigungslosen Enteignung der relativ großen Zahl jüdischer Versicherter infolge der Übernahme der Österreichische Versicherungsgesellschaft durch den Deutschen Ring,202 prosperierte die ÖVAG-Leben kräftig: Die Neuzugänge an Versicherungen lagen 1940 bei 40,2 Mio. RM und 1941 bei 41,7 Mio. RM. Der Gesamtbestand wuchs bis Ende September 1942 auf schließlich 470,2 Mio. RM. Insgesamt konzentrierte die ÖVAG zunächst ein Drittel, später gut die Hälfte sämtlicher österreichischer Lebensversicherungen auf sich.203 Die Verwaltungskosten des österreichischen Ablegers der DR-Lebensversicherung sanken von 56,5 % 1939 auf 1941 48,1 %. Entspre­ chend erhöhte sich der Reingewinn. Ab 1940 wurde die DR-Lebensversiche­ rung/ÖVAG »im gesamten Donauraum« aktiv.204 Auch im Bereich der Krankenversicherung gelang es dem Deutschen Ring, sich im angegliederten Österreich ein kräftiges Standbein zu verschaffen, indem er die traditionsreiche Wiener Versicherung »Krankenhilfe-Collegialität«, eine Wahlkasse für Angestellte, übernahm und sich einverleibte. Sie wurde im März 1939 in »Deutscher Ring, Österreichische Krankenversicherung Anstalt auf Gegenseitigkeit« umbenannt.205 Die Krankenversicherung des österreichischen 198 Zum ganzen Vorgang: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 24. Vgl. auch die Tagespresse vom 10. bzw. 11. Jan. 1939 sowie oben, S. 255 ff. 199 So jedenfalls Stiefel, Österreichische Lebensversicherungen, S. 86. Vgl. ferner Gerhard Schreiber, Die Interunfall Versicherung und die Riunione di Sicurtà in Wien (1890-2004), Wien 2007, S. 47 f. 200 Vgl. Böhle, PKV, S. 215. 201 Thür, Österreichische Versicherungsgesellschaft, S. 726. 202 Die große Zahl jüdischer Versicherter in der ÖVAG erklärt sich damit, dass deren Vorgänger-Gesellschaft, »der Lebens-Phönix, die von den österreichischen Juden favorisierte Versicherung gewesen war.« Vgl. zu diesem Enteignungsvorgang Feldman, Allianz, S. 328 f., Zitat: S. 328; ferner Böhle, »Juden«, S. 17, 20. Die 1938 gegenüber den jüdischen Versicherten der ÖVAG geübte Praxis wiederholte die DR-Krankenversicherung wenig später, als sie 600 jüdische Versicherte aus dem von ihr übernommenen Hamburger Krankenversicherungsverein von 1882 ausstieß. Vgl. ebd., S. 32. 203 Stiefel, Österreichische Lebensversicherungen, S. 86, 113 204 Thür, Österreichische Versicherungsgesellschaft, S. 727. Genauere Angaben über Formen und Dimensionen der ÖVAG-Geschäf­te außerhalb Österreichs liegen freilich nicht vor. 205 Böhle, PKV, S. 213 f.; Thür, Österreichische Versicherungsgesellschaft, S. 725. 256 die expansion des deutschen rings ab 1938 Deutschen Rings boomte gleichfalls. 1938/39 zählte sie rund 24.000 Versicherte; bis 1940 hatte sich deren Zahl auf 41.864 fast verdoppelt. Sie stand damit, wie der zuständige DAF-Amtsleiter stolz zu berichten wusste, »an der Spitze der gleichgerichteten Unternehmen in diesem Wirtschaftsgebiet«.206 Die anfangs kleine Sachversicherung unter dem Dach der ÖVAG bzw. des Deutschen Rings (auf die noch einzugehen ist) konnte ihren Bestand sogar verzehnfachen.207 Angelegt wurde das angesammelte Kapital aller drei österreichischen »Ringe« ganz ähnlich wie bei den Hamburger Muttergesellschaften fast ausschließlich in ­Staatsanleihen, d. h. es wurde für die Kriegsfinanzierung verpulvert.208 Die Expansion in andere europäische Länder Überaus aktiv war der Deutsche Ring außerdem im Elsass, in Lothringen und in Luxemburg. Hier kamen ihm die guten Kontakte der DAF zu den Stellen der deutschen Zivilverwaltungen zugute, die über die Zulassung der Versicherungen in diesen Gebieten entschieden bzw. darüber zu befinden hatten, welche deutsche Gesellschaft die den französischen Versicherungsunternehmen geraubten Bestände »treuhänderisch verwalten« sollte. Der DR-Krankenversicherung wurden die Bestände der Compagnie D’Assurances Générales Paris, der Straßburger Krankenkasse, der Elsass-Lothringischen Krankenversicherungs-Gesellschaft, der luxemburgischen Terra-Versi­che­rung sowie weiterer französischer Unternehmen und damit der weitaus größte Teil aller Versichertenbestände übergeben. »Treuhänderische Verwaltung« war ein Euphemismus: Über lang oder kurz sollten die Versicherungen in den Besitz der deutschen Gesellschaften übergehen. Bei der Ring-Krankenversicherung begann dies 1943, als die Bestände der luxemburgischen Terra-Ver­siche­rung auch faktisch auf die Hamburgische DAFGesell­schaft übertragen wurden.209 Wie die Volksfürsorge ließ es der Deutsche Ring nicht bei einer Ausdehnung der Unternehmensaktivitäten in die dem Großdeutschen Reich unmittelbar eingegliederten Gebiete bewenden. Die Krankenversicherung des Rings expandierte insbesondere in Belgien, als deutsche Gesellschaft, ohne sich hinter dem Firmenmantel einer einheimischen Gesellschaft zu verstecken. Die DR-Le­bens­versicherung wiederum verzeichnete noch 1943 namentlich »im niederländischen Raum gute Erfolge«.210 Auch das östliche Europa war im Fo206 Leiter des AWU, Leistungsbericht für 1940 (Anm. 196), S. 16. 207 Nach den Prämieneinnahmen. Alle Angaben nach: Thür, Österreichische Versicherungsgesellschaft, S. 726. 208 Entsprechend niedrig waren die Zinssätze. Im Herbst 1938 wurde die DR/ÖVAG außerdem angewiesen, der Volkswagen GmbH ein Darlehen von zwei Mio. RM zur Verfügung zu stellen. Vgl. ebd., S. 735. 209 Böhle, PKV, S. 236 f. 210 Zitat aus dem von Hans Strauch in seiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender erstellten Jahresbericht der DR-Lebensversicherungs AG für 1943 (vom Dez. 1944), in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 9. 257 die versicherungsgruppe kus des DAF-Unterneh­mens. In Tschechien über­nahm der Deutsche Ring die Lebensversicherungsbestände der aus dem Zusammenbruch des »Phö­nix« hervorgegangenen, nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die CSR dann zunächst liquidierten »Star«-Versiche­rungsge­sell­schaft. Zusätzlich wurde der DRLebensversicherung der »Bestand der Versicherungsgesellschaft Vita-Kotwica treuhänderisch« überwiesen.211 Den – unbedeutenden – Bestand der Einzelunfallversicherungen sowie der Unfall-Zusatz­ver­sicherungen des »Star« erhielt die Ring-Versi­che­rung »unter stiller Duldung der hiesigen Aufsichtsbehörde« erst Anfang 1944.212 Das änderte allerdings nichts daran, dass die Erfolge der RingLebens­versi­cherung dort noch 1943/44 »alle Erwartungen übertroffen« hätten und insbesondere die Entwicklung der von der zum DR-Konzern gehörenden ÖVAG »mitbegründeten STAR Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft in Prag einen überaus günstigen Verlauf genommen« habe.213 Über ihre österreichische Tochter wurde die DR-Krankenver­si­cherung außerdem in der Slowakei aktiv. In Polen erhielt die Krankenversicherung des Rings den Zuschlag für die ostoberschlesischen Ver­sicherten der bis September 1939 einzigen polnischen Krankenversicherung, der »Warschauer Krankenversicherungs AG«. Symptomatisch ist, dass sie ausdrücklich ausschließlich nur deren »volksdeutschen Bestand« betreuen wollte,214 nicht-deutsche Versicherte dagegen abstieß. Darüber hinaus wurde die DR-Krankenversicherung auf ›eigene Rechnung‹ aktiv und suchte unter den »Volksdeutschen« auch im Übrigen ehemaligen Polen neue Versicherte zu gewinnen. Legt man den Versichertenbestand des »Warthegaus« zugrunde, war sie mit 1.375 Versichertenverträgen bis Ende 1941 und einer Versichertensumme von 134.000 RM dabei freilich lange nicht so erfolgreich wie ihre privatwirtschaftlichen Konkurrenten.215 Vor allem im Osten und Südosten Europas segregierten die maßgeblichen Manager der DAF-Unternehmen (dies zeigen die vorstehenden Ausführungen in aller Deutlichkeit) die Kundenpotentiale nach rassistischen Kriterien. Geradezu programmatisch formulierte der Amtsleiter für die wirtschaftlichen Unternehmungen der Deutschen Arbeitsfront Hans Strauch dies als Leitlinie in seinem Leistungsbericht für das erste Kriegsjahr: »Die Versicherungsgesellschaften sahen nach den Siegen des deutschen Heeres im Osten und im Westen und der Besetzung dieser Räume durch die deutsche Wehrmacht eine besondere Aufgabe darin, die deutschen Volksgruppen in den Gebie­ten versicherungstechnisch zu 211 Bericht der DR-Lebensversicherung über das Geschäftsjahr 1939, in: ebd. 212 Kratochwill an Strauch (als Leiter des Amtes für die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF) vom 16. Mai 1944, in: BA Berlin, NS 5 I, Nr. 23. Vgl. außerdem ZfF/ AWV, Leistungsbericht für 1943 (Anm. 110). 213 So Strauch im Ende 1944 abgefassten Jahresbericht der DR-Lebensversicherungs AG für 1943 (Anm. 210) bzw. Kratochwill im gleichfalls im Dez. 1944 geschriebenen Bericht der Wiener DR-Versicherungs­grup­pe für 1943, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 9. 214 Böhle, PKV, S. 234. 215 Vgl. ebd., S. 234 f. 258 die expansion des deutschen rings ab 1938 betreuen.«216 Den Protagonisten der beiden DAF-Versiche­rungs­kon­zerne – und ebenso aller anderen DAF-Unternehmen – galten die polnische und später dann die russische Bevölkerung sowie andere ost- und südosteuropäische Nationen als so minderwertig, dass ihnen keine Lebens-, Kranken- oder Sachversicherungen angeboten werden durften.217 Hieraus einen Gegensatz zwischen wirtschaftlichem Kalkül und ideologischen Erwägungen zu konstruieren, wäre freilich verfehlt. Die rassistischen Vorgaben des Regimes zu befolgen hätte sich in einem nationalsozialistisch beherrschten Europa – das die DAF-Versicherungsgesellschaften zur Prämisse ihrer Politik machten – auch ökonomisch ausgezahlt. Denn dort hätten perspektivisch nur die rassistisch privilegierten »deutsch-arischen Herrenmenschen« sowie die Angehörigen weniger »artverwandter« Nationen überhaupt über die finanziellen Mittel verfügt, die angebotenen Versicherungen tatsächlich zu erwerben. Überall dort, wo Beute zu machen war, drängelten sich die zentralen Akteure der DR-Versiche­run­gen wie der Volksfürsorge in die erste Reihe. Namentlich die Protagonisten des Deutschen Rings saßen mindestens ab und an auch selbst am Tisch, wenn die politischen Entscheidungs­träger auf deutscher Seite mit den maßgeblichen Leuten aus den mit dem Dritten Reich verbündeten Staaten aushandelten, welcher Staat bzw. welche Region versicherungs­öko­no­misch zu seinen Einflusssphären zählen durfte. So war der Vorstandsvorsitzende der Deutscher-Ring-Gesellschaf­ten Kratochwill um die Jahreswende 1940/41 führend an den »Besprechungen in Rom über die Neuordnung und Aufteilung der Versicherungsaufgaben zwischen dem Reich und Italien im Südostraum«, also der Verteilung der Pfrün­de in den kurz zuvor okkupierten Regionen der Mittelmeerregion und den mit den Achsenmächten verbündeten Ländern, beteiligt.218 In seiner Kapitalanlagepolitik schließlich unterschied sich der Deutsche Ring nicht grundsätzlich von der Volksfürsorge (Tabelle 2.11.). Bis Kriegsbeginn war der Anteil der Hypotheken bei der DR-Lebensversicherung beträchtlich gewe216 Amtsleiter für die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF, Leistungsbericht für 1940 (Anm. 196). 217 In der Slowakei wandte sich die Ostmärkische Volksfürsorge bei der Ausdehnung ihrer Aktivitäten gleichfalls ausschließlich an »Volksdeutsche«. Vgl. Böhle. Expansion, S. 190. In einzelnen Ländern nahmen die beiden DAF-Versicherungsgesellschaften einheimische Bevölkerungsgruppen (sofern dies ›rassisch vertretbar‹ schien und soweit es sich um kaufkräftige Kundenpotentiale handelte) freilich ebenfalls ins Visier, allerdings unter anderem Namen. Die Firmenschilder »Deutscher Ring« und »Volksfürsorge« sollten nach Möglichkeit für die Bevölkerung der deutschen »Volksgemeinschaft« reserviert bleiben. Auch deshalb bemühte sich die Volksfürsorge so verbissen darum, im Protektorat Böhmen und Mähren die »Cechoslavia« bzw. die tschechische »Nationale« aufzukaufen. Die schmalbrüstige Ungar-Leben wurde unter vorläufiger Beibehaltung des eigenen Namens lediglich organisatorisch gesplittet, in einen Zweig für die ungarische Bevölkerungsmehrheit und einen für die dort beheimateten deutschen Volksgruppen. 218 Vgl. Amtsleiter für die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF, Leistungsbericht für 1940 (Anm. 196), S. 6. 259 die versicherungsgruppe sen; 1939 betrug er noch ein Drittel. In den folgenden Jahren wurde das für ­Hypotheken zur Verfügung gestellte Kapital gezielt gedrosselt; 1943 lag es nurmehr bei 17 Prozent sämtlicher Vermögenswerte der DR-Lebensversicherung. Wie die Volksfürsorge (und die Arbeitsbank) steckte auch der Deutsche Ring einen rasch wachsenden Anteil des erwirtschafteten Kapitals in Staatspapiere. 1936 machten die staatlichen und kommunalen Anleihen gut 40 Prozent, drei Jahre später 50 Prozent aus; bis 1943 stieg dieser Anteil an den gesamten Kapitalanlagen auf 75 Prozent – bei gleichzeitig fallenden Zinsen. Gewinne und Kapitalien wurden mithin auch beim Deutschen Ring fast vollständig für den Krieg verpulvert. 4.7. Die Gründung der »Deutsche Sachversicherungs AG« und der »Versicherungsring der Deutschen Arbeit GmbH« als Konzerndach Volksfürsorge und Deutscher Ring waren nicht nur im Bereich der Lebens- und privaten Krankenversicherung aktiv. Die freien Gewerkschaften hatten parallel zur »Volksfürsorge Lebensversicherung«, ihrem Hauptgeschäft, außerdem eine genossenschaftliche »Eigenhilfe Allgemeine Versicherungs« AG gegründet. Sie ging nach der »Machtergreifung« gleichfalls in den Besitz der DAF über und wurde Anfang September 1933 in »Volksfürsorge Allgemeine Versicherungs AG« umbenannt. Anfänglich fungierte dieser Versicherungszweig in erster Linie als Sachversicherung der Konsumvereine. Bis Mitte der dreißiger Jahre war er eher eine Subabteilung der Konsumgenossenschaften denn eine eigenständige Versicherung. Zudem war die Volksfürsorge Allgemeine mit der Volksfürsorge Leben eng verknüpft. Die Vorstände beider Gesellschaften waren mit denselben Personen besetzt. Schließlich residierte die Volksfürsorge Allgemeine mit ihren 1933 85, drei Jahre später dann bereits 193 Angestellten im Gebäude der Hamburger Hauptverwaltung der Lebensversicherung.219 Auch der Deutsche Ring besaß zwei weitere Versicherungsgesellschaften, die auf dem Feld der Sachversicherung tätig waren, nämlich die »Deutscher Ring Allgemeine Versicherungs AG« mit Sitz in Hamburg, die 1929 aus der dortigen »Deutschnationalen Feuerversicherungs a.G.« hervorgegangen war, sowie eine weitere »Deutsche Feuerversicherungs AG« mit Sitz in Berlin. Beide Gesellschaften waren für sich genommen kleiner als die Volksfürsorge Allgemeine, die mit Prämieneinnahmen von rund 3 Mio. RM etwa 45 % der Prämien aller drei DAFSachver­si­cherungs­unter­nehmen auf sich konzentrierte. Nach ihrer Eigentumsübertragung auf die DAF Mitte 1933 nahmen alle drei Versicherungen einen kräftigen Aufschwung (Tabelle 2.12.), offenbar parallel zum Auf- und Ausbau der Arbeitsfront. Das Wachstum der Prämieneinnahmen des Sektors der Sachversicherung verweist auf den wachsenden Besitz der DAF an Immobilien und sonstigen versicherungswürdigen Sachwerten. Dieser Zweig 219 Vgl. Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 34. 260 die gründung der »deutsche sachversicherungs ag« machte zwar den Löwenanteil an den Prämieneinnahmen der Deutschen Sachversicherungs AG insgesamt aus. Sie erhöhten sich jedoch deutlich langsamer als die der drei anderen Sparten »Autokasko«, »Unfall« und »Haftpflicht«. Überproportional war auch das Wachstum der Transport- und Fahrzeugversicherung, die 1936 nicht der Sachversicherung angegliedert wurde, sondern innerhalb des Deutschen Rings selbständig blieb. Während sich die gesamten Prämieneinnahmen der Vorläufer der Deutschen Sachversicherung von 1932 bis 1936 ›nur‹ knapp verdoppelten, verdreifachten sie sich in der Sparte Unfallversicherung während dieses Zeitraums. Die absolut freilich kleine Abteilung Autokasko konnte ihre Prämieneinnahmen in diesem Zeitraum sogar verfünffachen, die »Haftpflicht« immerhin vervierfachen. Die DR-Transport- und Fahrzeugversicherung wuchs ebenfalls kräftig, um etwa das Dreifache. Hinter dieser Entwicklung standen die vom Regime gezielt forcierte Motorisierung, vor allem die Automobilisierung, außerdem Technikbegeisterung und Reiselust der Deutschen des Dritten Reiches – sowie schließlich konkret der Aufbau eines großen Fuhrparks, der der DAF und ihren führenden Funk­tionären zur Verfügung stand. Bis Frühjahr 1936 verfügte allein die Berliner Zentrale der Arbeitsfront über ungefähr 1.500 Personenwagen, etwa sechzig »Grosswagen« (d. h. vor allem Busse und LKW) sowie über 190 Motorräder.220 In der Folgezeit dürfte dieser Fuhrpark erheblich ausgebaut worden sein und sich zudem auch die Gauwaltungen der Arbeitsfront einen eigenen Bestand an PKW zugelegt haben, von den Omnibussen der DAF-Tourismusorganisation KdF ganz abgesehen. In welchen Dimensionen es den Vorläufern der DAF-Sachversicherung gelang, darüber hinaus den Fuhrpark der NSDAP und anderer Organisationen in versicherungstechnische Ob­hut zu übernehmen, ist ebenso unbekannt wie die Zahl der sonstigen (Individual-)Ver­si­che­rer (Firmen und Privatleute). Die Deutsche Sachversicherungs AG Mitte Dezember 1936 wurden die drei bis dahin separaten Sachversicherungen der Arbeitsfront, also die »Volksfürsorge Allgemeine Versicherung«, »Deutscher Ring Allgemeine Versicherungs AG« sowie die »Deutsche Feuerversicherungs AG«, zur Deutschen Sachversicherungs AG fusioniert. Die neue Gesellschaft beschäftigte insgesamt etwa 450 hauptamtliche Mitarbeiter.221 Bei der Anwerbung neuer Kunden – über die DAF und deren Unternehmen hinaus – war die Sachversicherung faktisch auf die mehrere Zehntausend zählenden nebenamtlichen 220 Vgl. Eicke-Gutachten vom Juli 1936, nach: Hachtmann, Koloss, S. 214. 221 Bis Ende 1943 war die Zahl der Beschäftigten der Deutschen Sachversicherung nominell auf 573 angewachsen; davon waren allerdings 266 einberufen oder dienstverpflichtet. Die Zahl der Versicherungsnehmer (Verträge) lag im vorletzten Kriegsjahr bei rund eineinhalb Millionen. Die Zahl der Neuanträge lag 1942 bei 90.000 und 1943 bei 59.000 Stück. Nach: Zentralstelle für die Finanzwirtschaft der DAF, Amt für wirtschaftliche Unternehmungen, Leistungsbericht für 1943, in: BA Berlin, NS 5 I, Nr. 33. 261 die versicherungsgruppe ›Außendienstler‹ vor allem der Volksfürsorge angewiesen. Wie zuvor schon der Volksfürsorge Allgemeine vermittelten diese auch der Deutschen Sachversicherungs AG die meisten neuen Versicherungsverträge. Die beachtlichen Wachstumsraten dieses Arbeitsfront-Versicherungszweiges, die sich ab 1937 allerdings abschwächten und seit Kriegsbeginn einer stagnierenden Entwicklung wichen, waren über die genannten Faktoren hinaus einer Versicherungspolitik des DAF-Konzerns geschuldet, die den Interessen der Autofahrer und damit denen des Regimes bewusst entgegenkam. Bereits die Vorgängerunternehmen der Deutschen Sachversicherungs AG zeigten Mitte 1936 keine Hemmungen, die Tarifgemeinschaft der reichsdeutschen KfZ-Sachversicherer zu ihrem Vorteil zu sprengen. Diese Tarifgemeinschaft der Sachversicherungsgesellschaften hatte vor dem Hintergrund eines hohen Schadensaufkommens die Selbstbeteiligung der Versicherten im Schadensfalle einführen wollen.222 Die DAF-Versicherung weigerte sich nicht nur, diesen Schritt mitzuvollziehen, sie senkte sogar die Versichertenprämien um 20 % bis 25 %. Vom Leiter der Wirtschaftsgruppe »Privatversicherung« Andreas Brass, der als Generaldirektor der DAF-eigenen und 1938 aufgelösten »Deutschen Lebensversicherung« als eine Art Sprachrohr der Versicherungsunternehmen der Arbeitsfront auftrat, wurde diese Politik mit der Bemerkung gerechtfertigt: »Wie darf ich eine Prämie direkt oder indirekt erhöhen, wenn zugleich der Führer vordringliche Mobilisierung fordert?«223 Deutlich wird an diesen Worten von Brass, dass die Deutsche Sachversicherungs AG – wie die anderen Unternehmen der Arbeitsfront auch – nicht allein nach Kriterien betriebswirtschaftlicher Effizienz agierte, sondern bei ihrer Geschäftspolitik auch politisch-ideologische Gesichtspunkte berücksichtigte. Der KfZ-Bereich der Sachversicherungs AG der DAF spielte den Eisbrecher. Im März 1938 wurden die Tarife für KfZ-Versi­cherungen durch den Reichskommissar für die Preisbildung Josef Wagner dann generell um 15 % reduziert. Die Fahrzeugversicherung war das Feld der Zukunft – einer Zukunft allerdings, die bis 1945 uneingelöst blieb. Wenn der Käfer als ziviles Fahrzeug in großer Zahl von den Bändern des Volkswagenwerkes gerollt wäre, hätte sich für die DAF-Versicherungen ein lukrativer Markt von ungeahnter Größe aufgetan. Bereits die Sparer für einen KdF-Wagen zahl­ten ja nicht nur fünf Reichsmark pro Woche, um irgendwann ein solches Auto ihr Eigen nennen zu können. Hinzu kam wöchentlich eine weitere Reichsmark für die Haftpflicht- und TeilkaskoVersicherung, durch die der in Aussicht gestellte Käfer zwei Jahre versichert sein sollte, nachdem er das Werkstor verlassen hatte. Dieser Betrag wurde von der 222 Vgl. oben, S. 199. 223 Nach: Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 64. Vgl. außerdem Feldman, ­Allianz, S. 198, 208 f. Auch die im Vergleich zu PKW-Besitzern zahlreicheren Motorradfahrer kamen in den Genuss der durch die DAF-Versicherungen bewirkten gesenkten Tarife für KfZ-Versicherungen. Vgl. Frank Steinbeck, Das Motorrad. Ein deutscher Sonderweg in die automobile Gesellschaft Stuttgart 2012, S. 258 f. 262 die gründung der »deutsche sachversicherungs ag« Arbeitsbank und anderen Banken eingezogen. Profitiert hätten vor allem die DAF-Ver­sicherungen.224 Die Gründung des »Versicherungsrings der Deutschen Arbeit GmbH« 1937 – ein vergeblicher Versuch, den Deutschen Ring und die Volksfürsorge zu fusionieren Bahnbrechend sollte die Sachversicherungs AG der Arbeitsfront außerdem nach innen wirken, war hier doch erfolgreich die Fusion von Teilen der Versicherungsgesellschaften Volksfürsorge und Deutscher Ring gelungen. Tatsächlich sollte denn auch der gesamte Versicherungskonzern der DAF durch die fast zeitgleich, Anfang 1937, erfolgte Gründung des »Versicherungsrings der Deutschen Arbeit GmbH« zusammengefasst werden. Geplant war, dass dieses Konzerndach die beiden Lebensversicherungen (Volksfürsorge und Deutscher Ring), die Deutsche Sachversicherungs AG sowie außerdem die Deutscher Ring Krankenversicherungs AG und die DR-Transport- und Fahrzeugversicherungs AG überwölbte.225 Nominell scheint dieser Zusammenschluss, der auch den Rahmen für die oben geschilderte Liquidierung der ehemals christlich-gewerkschaftli­chen Deutsche Lebensversicherung AG im Jahre 1938 abgab, zwar vollzogen worden zu sein. Faktisch jedoch blieb der »Versicherungsring der Deutschen Arbeit« ein Potemkinsches Dorf. Er wurde deshalb im Dezember 1938 von der zu Anfang diesen Jahres neu formierten Zentralstelle für Finanzwirtschaft der DAF und die Treuhandgesellschaft für die wirtschaftlichen Unternehmungen der Arbeitsfront (TWU) unter Heinrich Simon und Hans Strauch wieder aufgelöst. Die notwendigen konzernpolitischen Koordinationen zwischen den einzelnen Versicherungsgesellschaften wurden seitdem auf die in Kapitel 2 geschilderte Weise elastisch und weitgehend reibungsfrei sichergestellt: durch eine enge personelle Verflechtung der Aufsichtsräte. Der Chef der für das Wirtschafts­ imperium der Arbeitsfront verantwortlichen TWU Hans Strauch, der Geschäftsführer der Zentralstelle für die Finanzwirt­schaft Bruno Raueiser, der Leiter des DAF-Fach­amtes »Banken und Versicherungen« Rudolf Lencer sowie der Leiter des Rechtsamtes der Arbeitsfront Gustav Bähren sollten gemeinsam mit den Vorstandsvorsitzenden der Volksfürsorge und der DR-Versicherungen Diedrich Pollmann und Rudolf Kratochwill als Mitglieder der Aufsichtsräte die innere Kohärenz des DAF-Versicherungs­sektors herstellen und durch Absprachen auf höchster Ebene die weiterhin schwelenden Streitigkeiten dämpfen. 224 Vgl. Arps, Unruhige Zeiten, S. 142 f.; ferner Mommsen/Grieger, Volkswagenwerk, S. 192. 225 Vgl. Niederschrift über eine Besprechung vom 10. Nov. 1936 zwischen den führenden Repräsentanten des Schatzamtes und der Unternehmensverwaltung der DAF (Brinckmann, Boltz und Bierlein) und Pollmann, Kratochwill und Brass als den drei leitenden Direktoren der DAF-Versicherungs­ge­sellschaften, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 18, sowie Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 62 f. 263 die versicherungsgruppe Die Fusion der DAF-Versicherungsgesellschaften im Februar 1945 Einen zweiten Anlauf zur Fusion von Deutschem Ring und Volksfürsorge unternahmen die maßgeblichen Akteure erst wieder im Angesicht des Unterganges der Diktatur. Im Sommer 1944 wurden beide Versicherungsunternehmen »aus Anlass der Totalisierung des gesamten Kriegsgeschehens in Form einer ›Arbeitsgemeinschaft der DAF-Lebensversiche­rungs­gesellschaften‹« stärker miteinander verbunden.226 Die Erklärung an die »Gefolgschaften« der Gesellschaften des Deutschen Rings und der Volksfürsorge, der dieses Zitat entnommen ist, wurde nicht zufällig namens der Generaldirektion der »Deutscher Ring Lebensversicherungs-AG« abgegeben. Unterzeichnet war sie von Hans Strauch, dem Chef der TWU, und von Rudolf Kratochwill, dem Generaldirektor, Vorstandsvorsitzenden und ›starken Mann‹ innerhalb des Deutschen Ringes – nicht dagegen von Diedrich Pollmann, dem Vorstandsvorsitzenden der Volksfürsorge. Damit war angedeutet, wer innerhalb des Konglomerats an DAF-Versicherungsgesell­ schaften künftig das Sagen haben sollte. Dass die Fusion des Deutschen Rings und der Volksfürsorge am 14. Februar 1945 unter dem Dach der DR-Versicherungen stattfand und die Volksfürsorge als Firmenname verschwinden sollte, konnte Insider ebensowenig überraschen wie die personellen Entscheidungen: Kratochwill blieb Vorstandsvorsitzender des Gesamtunternehmens, Pollmann sollte mit dem stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitz abgespeist werden.227 Diese Degradierung wollte der bisherige Vorstandsvorsitzende der Volksfürsorge nicht hinnehmen; er trat noch am Tage des Fusionsbeschlusses von all seinen Funktionen innerhalb der DAF-Versicherungsgruppe zurück. Im Sommer 1944 war das Zusammenrücken beider Unternehmen damit begründet worden, auf diese Weise der »Totalisierung des gesamten Kriegsgeschehens in Form einer ›Arbeitsgemeinschaft der DAF-Lebens­ver­siche­rungs­ gesellschaften‹« gerecht werden zu wollen. Bei Lichte besehen zeigt sich, dass diese Formel vorgeschoben war.228 Die behaupteten Synergieeffekte, die die Fusion bringen sollte (eine Einsparung an Arbeitskräften, Material und Büroraum) ließen sich kurzfristig und unter Kriegsbedingungen gar nicht realisieren. Sie wäre schon zu ›normalen‹ Zeiten schwierig gewesen, da beide Unternehmen sehr unterschiedlich strukturiert waren. So besaß die Volksfürsorge einen riesigen, nach Zehntausenden zählenden Vertrauensleutekorpus, während der Außen226 Vgl. Rundschreiben Kratochwills und Strauchs namens der Generaldirektion der »Deutscher Ring Lebensversicherungs-AG« an die »Gefolgschaften« der Gesellschaften des »Deutscher Rings« und der Volksfürsorge vom 15. Febr. 1945, in: BA Berlin, NS III, Nr. 25. 227 Vgl. Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung der Volksfürsorge-Lebensver­sicherung vom 14. Febr. 1945, sowie Niederschrift über die Hauptversammlung der Aktionäre der Volksfürsorge Lebensversicherungs AG der DAF vom selben Tag (unterzeichnet von Hans Strauch, notariell beglaubigt von Dr. O. Bartels), beides in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 18. 228 Ebd. Ausführlich: Böhle, Volksfürsorge im Dritten Reich, S. 138 ff. 264 die gründung der »deutsche sachversicherungs ag« dienst des Deutschen Rings hauptberuflich beschäftigt war. Auf dem Feld der Lebensversicherungen hatte die Volksfürsorge zwar auch begonnen, Großlebensversicherungen anzubieten, die Kleinlebensversicherungen blieben jedoch ihr Schwerpunkt, während die DR-Le­bens­versiche­rung überwiegend Großpolicen verkaufte. Tatsächlich war der Deutsche Ring ökonomisch am Ende. Er hatte weit stärker als die Volksfürsorge und die meisten anderen Lebensversicherer »Front­ soldatenversicherungen« verkauft und damit Kriegsrisiken akkumuliert, die spätestens 1943 zum faktischen Zusammenbruch hätten führen müssen. Hinzu trat, dass der aufwendige Außendienst mit hauptberuflichen Mitarbeitern im Unterschied zum Vertrauensleute-Korpus der Volksfürsorge enorm kostenintensiv war und bereits bei Kriegsbeginn alle Kapitalreserven aufgezehrt waren. Selbst im Rahmen einer zusammenbrechenden Kriegswirtschaft war es riskant, einen Konkurs bis Kriegs­ende hinauszuzögern. Eine offene Pleite allerdings hätte dem – freilich ohnehin ramponierten – Image der DAF geschadet. Mit der wirtschaftlich gesünderen Volksfürsorge als Fusionspartner hofften die wirtschaftspolitisch verantwortlichen Akteure in der Arbeitsfront den Zusammenbruch des Deutschen Rings vermeiden oder wenigstens aufschieben zu können. Warum aber sollte die Volksfürsorge im Deutschen Ring aufgehen? Betriebswirtschaftlich logisch wäre das umgekehrte Verfahren gewesen: Die Volksfürsorge war ökonomisch stabiler und zudem deutlich größer. Die politische Führung der Arbeitsfront entschied nach politischen Kriterien – wie sie das schon bei der Verteilung des Erbes der Deutschen Lebensversicherung 1938 und bei der Verteilung der österreichischen Beute getan hatte. So begründete der Leiter des Amtes für wirtschaftliche Unternehmen der DAF Hans Strauch die Fusion unter dem Mantel des Deutschen Ringes denn auch ausdrücklich damit, dass der Deutsche Ring »immer eine deutschvölkische Versicherung gewesen sei und der NSDAP schon vor 1933 nahegestanden habe.«229 Aus der Sicht der DAF-Führung blieb die Volksfürsorge ein marxistisches Schmuddelkind. Ihr Glück war, dass das Schicksal der Diktatur relativ kurze Zeit nach dem Fusionsbeschluss endgültig besiegelt wurde und die Verschmelzung der beiden Gesellschaften nicht mehr wirksam werden konnte.230 229 Vgl. ebd., S. 139; ders., Expansion, S. 206; ders., Lebensversicherung, S. 69 f. 230 Allerdings begann die DAF bereits Anfang 1945, die Volksfürsorge auszuschlachten: So war bis Mitte Febr. das Hamburger Verwaltungsgebäude der Volksfürsorge an das Deutsche Gemeinschaftswerk der DAF und ein großes Grundstück des Unternehmens in Stettin an die Bank der Deutschen Arbeit verkauft worden. Vgl. Nieder­schrift über die Aufsichtsratssitzung der Volksfürsorge-Leben vom 14. Febr. 1945 (Anm. 227). 265 5. Die Verlage Im Bankenbereich, den die Arbeitsfront beherrschte, dominierte mit der Arbeitsbank die sozialdemokratische ›Erbschaft‹. Im Versicherungsbereich herrschte grob Gleichstand zwischen den Unternehmen, die der Sozialdemokratie und den freien Gewerkschaften geraubt worden waren, und denen, die der DAF vom vormaligen rechtskonservativen Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband (DHV) zugefallen waren – die Volksfürsorge war innerhalb dieses Konzern­ bereichs wirtschaftlich, die Deutscher Ring-Versicherungen politisch stärker. Im Verlagsimperium der DAF spielte die sozialdemokratische Erbschaft nur eine letztlich randständige Rolle. Hier blieben bis in die zweite Hälfte der dreißiger Jahre hinein die Unternehmen die politischen Schwergewichte, die zuvor dem DHV angehört hatten. Es waren dies die »Hanseatische Verlagsanstalt« (HAVA) und der »Langen-Müller-Verlag« (LMV). Das war selbstredend kein Zufall. Der DHV war seit seiner Gründung rechtskonservativ-anti­se­mitisch geprägt gewesen und bewegte sich in den zwanziger Jahren in einem prä- bzw. semifaschistischen Milieu. Insofern lag es nahe, dass die DAF politisch-kultu­rell an die Traditionen des DHV anknüpfte, diese den neuen Rahmenbedingungen anpasste, dabei auf die Verlage der deutschnationalen Handlungsgehilfen zurückgriff und den beiden, in NS-Perspektive durchaus bewährten Verlagshäusern zunächst erhebliche Freiräume zugestand. Erst ab Ende 1936, nachdem sich die Arbeitsfront als Massenorganisation stabilisiert hatte und über einen allmählich auch verwaltungstechnisch eingespielten Organisationsapparat verfügte, begann der Aufstieg des »Verlages der Deutschen Arbeitsfront«, der hier kurz als Zentralverlag der DAF firmiert. Dieser war zwar auf den Ruinen des 1933 zerstörten freigewerkschaftlich-so­zial­de­mokratischen Vertriebs- und Verlagswesens, nämlich auf den Trümmern der Verlagsgesellschaft des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und des »Sieben-StäbeVerlages« des Gewerkschaftsbundes der Angestellten (GDA), gegründet worden. Die beiden Vorgängerunternehmen wurden indes politisch und personell rigoros entkernt. Insofern war der von Anbeginn als Organisationsverlag konzipierte Zentralverlag letztlich eine Neuschöpfung. Darüber hinaus wurden der Unternehmensgruppe des Zentralverlages die vormals freigewerkschaftliche Büchergilde Gutenberg und der dieser assoziierte Buchmeister-Verlag zugeschlagen. Zum Verständnis der im Vergleich zu anderen Teilen des Unternehmenskonglomerats ziemlich eigentümlichen Entwicklung des Verlagsimperiums der Arbeitsfront ist ein weiterer Aspekt zentral. Das Verlagswesen ist eine sehr politiknahe Branche. Bücher, Broschüren und Zeitschriften werden ganz generell weit stärker nach politisch-ideologischen Prä­missen produziert als Versicherungs­ policen verkauft oder Sparkonten eingerichtet werden. Dies gilt nicht nur für die Zeit des Dritten Reiches, für jene Jahre jedoch in besonderem Maße. Das ge- 266 die verlage rade für die höchsten nationalsozialistischen Funktionsträger maßgebliche Prinzip der auf dem Grundsatz des Privateigentums basierenden »freien Wirtschaft« wurde für die Printmedien deshalb partiell außer Kraft gesetzt. Infolgedessen machte dieser Bereich auch innerhalb des DAF-Wirtschafts­im­pe­riums eine in mancherlei Hinsicht markant andere Entwicklung durch als die übrigen Säulen des Arbeitsfront-Kon­zerns. Im Folgenden wird von drei Großverlagen gesprochen, die den Verlagskonzern innerhalb des gesamten DAF-Wirtschaftsimperiums bildeten. Der Begriff »Großverlage« für die HAVA, dem LMV und den Zentralverlag ist mit Bedacht gewählt. Groß waren die genannten Verlage zunächst in quantitativer Hinsicht. Die Zahl der Neuerscheinungen der HAVA lag Mitte der dreißiger Jahre mindestens gleichauf mit dem vormals führenden S. Fischer-Ver­lag. Dasselbe gilt grundsätzlich auch für den kleineren Langen-Müller-Verlag. Der Umsatz des Zentralverlages wiederum stellte seit den Vorkriegsjahren den der vormaligen DHV-Verlage zusammen deutlich in den Schatten. Reichsweit wurde der Umsatz dieses Verlages, eher eine Art Organisationsdruckerei der Arbeitsfront denn ein ›regulärer‹ Verlag, lediglich vom Eher-Verlag der NSDAP übertroffen. ›Größe‹ besaßen vor allem der LMV und die HAVA außerdem aufgrund des literaturpolitischen Gewichts ihrer Hausautoren. So verlegten Hans Friedrich Blunck, von 1933 bis 1935 Präsident der Reichsschrifttumskammer, und ebenso sein Nachfolger Hanns Johst bereits vor 1933 im Langen-Mül­ler-Verlag.1 Wie stark namentlich der LMV das nationalsozialistische Geistesleben repräsentierte, zeigt sich fast mehr noch daran, dass die »Preußische Dichterakademie« ab 1933 numerisch von Schriftstellern dominiert wurde, die beim LMV Hausautoren waren.2 Die HAVA wiederum war auf dem politisch-juristischen Feld und anderen Wissenschaftsbereichen führend und versammelte zahllose Autoren in ihren Reihen, die während der NS-Zeit und weit darüber hinaus in hohem Ansehen standen. Großverlage waren alle drei genannten Unternehmen schließlich, weil sie für eine Reihe von Tochtergesellschaften firmenrechtlich als Dach dienten. Das folgende Kapitel konzentriert sich auf die Entwicklung der einzelnen Verlage, d. h. es werden Programme, Vertrieb und interne Strukturen der drei 1 Blunck (1888-1961) war ab 1920 zunächst Regierungsrat im Hamburg und von 1925 bis 1928 Syndikus der dortigen Universität, ehe er zum freien Schriftsteller und zu einem der wichtigsten Repräsentanten der völkischen, schwülstig-mystischen »Nordischen Renaissance« wurde. Bei der HAVA publizierte er insgesamt 31 Romane und Theaterstücke. Blunck war im Juni 1933 zum Zweiten Vorsitzenden der Akademie der deutschen Dichtung bestimmt worden und fungierte ab Nov. 1933 für knapp zwei Jahre als Präsident der neugeschaffenen Reichsschrifttumskammer. Johst (1890-1978), 1932 der NSDAP beigetreten, war seit Juni 1933 Vorsitzender der Akademie der NS-Schreiberlinge; er wurde im Okt. 1935 Nachfolger Bluncks als Präsident der Reichschrifttumskammer. Johst renommierte vor allem mit dem einschlägigen Drama »Schlageter«. Nach 1933 veröffentlichte er nur noch politische Essays und propagandistische Aufsätze. 2 Neun von 14 Akademie-Dichtern wurden vom LMV bzw. der HAVA verlegt, später kamen noch zwei weitere Autoren der HAVA (Hermann Claudius und Rudolf Huch) hinzu. 267 die verlage großen Verlagsgruppen sowie die Entwicklung der beiden Buchgemeinschaften der Arbeitsfront skizziert. Außerdem werden der Umgang der Treuhandgesellschaft für die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF (TWU) mit den drei Großverlagen der Ar­beitsfront sowie deren konfliktreiches Verhältnis zueinander thematisiert. Ferner geht es um den Zukauf weiterer Verlagsunternehmen durch die DAF-Führung und die da­f ür maßgeblichen Motive bis 1941, dem dann ab 1942 eine nicht ganz freiwillige ›Verschlan­kung‹ des Verlags­imperiums der Arbeitsfront, die Veräußerung der HAVA und des LMV, folgte.3 Zunächst aber sind die Rahmenbedingungen zu skizzieren, innerhalb derer der DAF-Verlagskon­zern bzw. dessen Vorläufer bis 1939 agierten. 5.1. Eine politiknahe Branche – die Rahmenbedingungen Der Buch- und Zeitschriftenmarkt bis 1933 Die Weimarer Republik war für die meisten Verlagsanstalten und Vertriebsgesellschaften eine Zeit der Dauerkrise mit nur kurzen Erholungsphasen. Die Zahl der Verlage und Sortimente ging von 9.262 (1918) auf 8.869 (1932) zurück. Gegenüber dem letzten Friedensjahr des Spätwilhelminismus (1913: 12.412) war das zwar ein Rück­gang um mehr als ein Viertel, aber noch keine wirkliche Bereinigung der überbesetzten Verlagsbranche. Auch ab 1918 blieben die meisten Verlage sehr klein, ihre Existenz oft prekär und infolgedessen die Zahl der Konkurse, aber auch die der Neugründungen hoch. Lediglich 429 von ihnen produzierten 1930 mehr als zehn Titel. Die Zahl der jeweils jährlich erschienenen Buchtitel entsprach in ihrem Auf und Ab grob dem allgemeinen Krisenverlauf der Weimarer Republik. 1918 lag die Zahl der Neuerscheinungen bei knapp 14.000 (ohne Zeitschriften). Zwei Jahre später hatte sie sich auf fast 28.000 verdoppelt. Nach einem scharfen Einbruch in den Jahren der galoppierenden Inflation wurde 1925 im Deutschen Reich mit 31.600 verlegten Buchtiteln der Höhepunkt erreicht.4 Bis 1932 schrumpfte diese Zahl auf 21.500 Buchtitel, darunter galten 18.100 als Novitäten. Dieser dramatische Rückgang der Neuerscheinungen ab Mitte der zwanziger Jahre wurde von vielen konservativen und faschistischen Zeitgenossen 3 Sofern dies nicht gesondert vermerkt ist, stützen sich die folgenden Ausführungen vor allem auf: Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt; Meyer, Verlagsfusion; Barbian, Literaturpolitik. 4 Dass die Buchproduktion selbst Mitte der zwanziger Jahre nicht wirklich prosperierte, wird deutlich, wenn man Zahlen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg heranzieht: Im letzten Vorkriegsjahr 1913 waren fast 35.000 Neuerscheinungen auf den Buchmarkt gelangt. Diese und die folgenden Zahlen (jeweils gerundet) nach: Erwin Stemmle, Das deutsche Buchgewerbe in Konjunktur und Krise. Ein Beitrag zur Untersuchung der Konjunktur- und Saisonempfindlichkeit im graphischen Gewerbe, Zürich 1958, Tabellenanhang, S. 161-187, bes. S. 177 (Tab. 43); Reinhard Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels. Ein Überblick, München 1991, S. 271 f., 301; sowie Saul Friedländer/Norbert Frei/Trutz Rendtorff/Reinhard Wittmann, Bertelsmann im Dritten Reich, München 2002, S. 119. 268 eine politiknahe branche – die rahmenbedingungen lautstark als Ausdruck einer die vorgeblich kulturfeindliche Weimarer Demokratie kennzeichnende Kulturkrise interpretiert. Hätten sie die Entwicklung ab 1933 vorhersehen können, wären sie wohl stiller geblieben. Denn bis 1938 hatte die Zahl der Neuerscheinungen (mit 20.100 im letzten Vorkriegsjahr) die Zahl der Novitäten auf dem Höhepunkt der Krise 1932 kaum überschritten. In den Folgejahren gingen die Novitäten dann dramatisch zurück. Obwohl es 1940/41 im Verlagswesen und Buchhandel zu einer Hochkonjunktur kam, sank die Zahl der Neuerscheinungen auf 11.900 im zweiten Kriegsjahr.5 Da die späteren DAFVerlage neben Büchern und Broschüren außerdem zahlreiche Zeitschriften herausgaben, sei ein kurzer Blick auch auf diesen Markt und seine Entwicklung vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten geworfen. In der Weimarer Republik war die Zahl der Wochen- und Monatsperiodika von 4.600 (1920) auf schließlich 7.300 im ersten Krisenjahr 1930 gestiegen – ein Wachstum, dem zum Teil ein noch höherer Anstieg der Auflagen korrespondierte. Während des Dritten Reiches ging die Zahl der Zeitschriften auf 5.600 bei Kriegsbeginn zurück, allerdings ohne parteinahe Periodika, mit danach weiterhin sinkender Tendenz.6 Es war weniger die Konkurrenz der Zeitschriften als vielmehr das Bestreben der Verlage, die Buchproduktion von unkalkulierbaren Marktentwicklungen möglichst weitgehend zu entkoppeln, das zur Gründung von Buchgemeinschaften oder Buchgemeinden führte. Die Idee der Buchgemeinschaft, die den Wünschen der Konsumenten nach preiswerten Büchern entgegenkam, war so simpel wie genial: Durch die Übertragung des Abonnementprinzips von den Zeitschriften auf Buchveröffentlichungen konnten aufgrund eines garantierten Massenabsatzes die Preise gesenkt und zudem die Mitglieder der Gemeinschaf­ten im gewünschten Sinne politisch-ideologisch beeinflusst werden. Auch und gerade der letztgenannte Aspekt war für die DHV-eigene »Deutsche Hausbücherei«, die bereits im Ersten Weltkrieg dem Prinzip der Buchgemeinschaft Bahn brach, und abgeschwächt auch für die freigewerkschaftliche »Büchergilde Gutenberg«, die ein knappes Jahrzehnt später gegründet wurde, zentral. Die Büchergilde Gutenberg und die Deutsche Hausbücherei waren im Übrigen nur zwei von mehr als dreißig Buchgemeinschaften. Auf der bürgerlichen 5 Während die Neuauflagen älterer Titel auf bis dahin nie erreichte Höhen schnellten (1942: 10.300), verharrte die Zahl der Novitäten auf niedrigem Niveau (1942: 11.300) und sackte bis 1944 auf 7.300 ab. 6 Von 1935/36 bis etwa 1940/41 stieg freilich die Auflage der meisten Periodika, so dass die verkaufte jährliche Gesamtauflage an Zeitschriften, die 1934 und 1935 bei 3,3 Mio. Exemplaren gelegen hatte, 1939 schließlich einen Spitzenwert von 5,2 Mio. Exemplaren erreichte. Alle Angaben: »Altreich«. Die Werte für 1936: 3,4 Mio., 1937: 3,8 Mio. und 1938: 4,5 Mio. Angaben bis 1933 sind aus methodischen Gründen nicht vergleichbar. Vgl. im Einzelnen Karl-Christian Führer, Pleasure, Practicality, and Propaganda. Popular Magazines in Nazi Germany, in: Pamela E. Swett/Corey Ross (Hg.), Pleasure and Power in Nazi Germany, 1933-1939, Basingstoke usw. 2011, S. 132-153, hier: S. 137 (Tabelle 1). Diese Angaben schließen noch nicht die in den Auflagenzahlen stark steigenden DAF-Zeitschriften (die teilweise durchaus Illustrierten-Charakter besaßen) ein, ebenso wenig solche, die von anderen NS-Organisationen herausgegeben wurden. 269 die verlage Rechten fanden sich die größten Buchgemeinschaften, da – neben überkommenen Lektüregewohnheiten – die Kaufkraft bürgerlicher und kleinbürger­ licher Schichten trotz aller Einbußen an Vermögen und Einkommen höher blieb als die der Un­terschichten.7 Aber auch die Linke besaß neben der freigewerkschaftlichen Büchergilde mit dem sozialdemokratischen »Bücherkreis« und der kommunistischen »Universum-Bü­che­rei für Al­le« sowie anderen kleineren Einrichtungen weitere Buchklubs, die auf dem Abonnement-Prin­zip basierten.8 Das Aufblühen der Buchgemeinschaften während der zwanziger Jahre wie überhaupt die Buchproduktion auf einem quantitativ vergleichsweise hohen Niveau änderte allerdings nichts daran, dass die Majorität der Verleger die Jahre der krisengeschüttelten Weimarer Republik mindestens ökonomisch als eine Leidenszeit wahrnahm. Für die beiden Verlage, die bis 1933 im Besitz des DHV waren und nach der NS-Macht­er­grei­f ung der DAF zufielen, gilt dies allerdings nicht. Sie wuchsen auch ab 1929/30 gegen den allgemeinen Trend. 1933 – ein scharfer Einschnitt für das Verlagsgewerbe Die Installierung des Präsidialkabinetts Hitler markierte für Buchhandel und Verlagswesen einen scharfen Bruch. Die Bedingungen für Produktion und Vertrieb von Literatur jeglicher Couleur veränderten sich gravierend. Hinzu kam, dass die politisch-staatlichen Zuständigkeiten für die Literaturüberwachung und damit -produktion im Dritten Reich nicht eindeutig abgesteckt wurden und sich die entsprechenden Kompetenzen im Laufe der Zeit mehrfach verschoben. Da die Eckpflöcke der nationalsozialistischen Literaturpolitik ziemlich erschöpfend dargestellt sind,9 reicht es hier, die Faktoren zu benennen, die den fortgesetzten Aufstieg der beiden DHV-Verlage begünstigt haben. Wichtig ist zunächst, dass sowohl die 1926 gegründete »Sektion für Dichtkunst« der Preußischen Akademie der Künste – die »Preußische Dichterakademie«, wie sie später gern genannt wurde – als auch die am 22. September 1933 per Gesetz aus der Taufe geho­bene Reichsschrifttumskammer, als Abteilung der Reichskulturkammer, von Personen repräsen­tiert und gelenkt wurden, die 7 Die größte Buchgemeinschaft war bei Einbruch der Krise der konservative »Volksverband der Buchfreunde« mit 1929/30 ungefähr 600.000 Mitgliedern vor der kommerziell orientierten »Deutschen Buch-Gemeinschaft« mit einer halben Million Mitgliedern. 8 Der 1924 gegründete sozialdemokratische Bücherkreis zählte zu Beginn der dreißiger Jahre etwa 45.000, die im Okt. 1926 gegründete KPD-nahe Universum-Bücherei 40.000 Mitglieder. Daneben gab es seit 1928 noch eine anarchistische »Gilde freiheit­ licher Bücherfreunde« mit 1.200 Mitgliedern sowie eine 1931/32 entstandene Marxistische Büchergemeinschaft, die der linkssozialistischen SAPD nahestand. Vgl. Dragowski, Büchergilde Gutenberg, S. 28 f., 154; Wolfgang Kaiser, Buchgemeinschaften der Arbeiterbewegung, in: Jürgen Holstein (Hg.), Blickfang. Bucheinbände und Schutzumschläge. Berliner Verlage 1919-1933, Berlin 2005, S. 77 ff. 9 Vgl. neben der Arbeit von Barbian vor allem Volker Dahm, Die nationalsozialistische Schrifttumspolitik nach dem 10. Mai 1933, in: Ulrich Walberer (Hg.), 10. Mai 1933. Bücherverbrennung in Deutschland und die Folgen, Frankfurt a. M. 1983, S. 36-83. 270 eine politiknahe branche – die rahmenbedingungen (wie erwähnt) überwiegend Hausautoren des Lan­gen-Müller-Verlages, zu einem kleineren Teil auch der HAVA waren. Die literaturpolitische Bedeutung beider Einrichtungen und ihre ständige Präsenz in der nationalsozialistischen Öffentlichkeit kamen infolgedessen einer Dauer(schleich)wer­bung für beide Verlage nahe. Sie verschaffte ihnen überdies das Image, systemkonform und dennoch anspruchsvoll zu sein. Starken Einfluss auf die Entwicklung des Verlagsgewerbes generell nahmen eigens eingerichtete kulturpolitische Lenkungsorgane des Regimes. Von erheb­ licher Bedeutung war – neben dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Joseph Goebbels sowie der diesem Ministerium unterstehenden Reichskulturkammer – die von Rudolf Heß als dem »Stellvertreter des Führers« am 16. April 1934 unter Philipp Bouhler ins Leben gerufene »Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des nationalsozialistischen Schrifttums« (PPK). Heß hatte in seiner Anordnung über die Grün­dung der PPK verfügt, dass ­»Manuskripte, die nationalsozialistische Probleme und Stoffe zum Gegenstand haben, in erster Linie dem Zentralparteiverlag, der im Eigentum der NSDAP ist, zum Verlage angeboten werden« mussten. Mit dieser dehnbaren Formulierung wurde dem Unternehmen Franz Eher Nachf. als dem Zentralverlag der Partei faktisch ein weitgehendes Monopol auf die politische Publizistik eingeräumt. Der Vorsteher des »Börsenvereins der Deutschen Buchhändler« Friedrich Oldenbourg sprach denn auch in unmittelbarer Reaktion auf diese Anordnung treffend von einem faktischen »Totalitätsanspruch« des Eher-Verla­ges für politisches Schrifttum.10 Diese als Kritik gemeinte Feststellung perlte an Heß wie am Eher-Verlag freilich ab – und Oldenbourg wurde im September 1934 durch Wilhelm Baur als Vorsteher des Börsenvereins abgelöst: Baur war seit 1933 unter dem NSDAP-Reichs­leiter für die Presse Max Amann, der seit 1922 den EherVerlag geführt hatte und nach der NS-Machter­grei­f ung als ›graue Eminenz‹ im Hintergrund wirkte, der ›starke Mann‹ des NSDAP-Zentralver­lages.11 Die Verfügung des »Führer«-Stellvertreters vom April 1934 und der Aufstieg des EherGeschäftsführers zur zentralen politischen Figur innerhalb des Verlagsgewerbes 10 Vgl. (inkl. Zitate) Barbian, Literaturpolitik, S. 44 f. bzw. S. 128 f. Oldenbourg (18881941), von 1921 bis zu seinem Tod Geschäftsführer des Oldenbourg-Verlages, war von 1925 bis 1930 Zweiter und von 1930 bis Mai 1934 Erster Vorsitzender des traditionsreichen »Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig«. Zum Börsenverein als Überblick: Jan-Pieter Barbian, Der Börsenverein in den Jahren 1933 bis 1945, in: Stephan Füssel (Hg.), Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels 1845-2000. Ein geschichtlicher Aufriß, Frankfurt a. M. 2000, S. 97-117. 11 Baur (1905-1945), der der NSDAP angeblich schon ab Nov. 1920 angehört und am Hitlerputsch von 1923 teilgenommen hatte, der NSDAP unmittelbar nach der Wieder­ zulassung 1925 erneut beitrat (als Mitglied Nr. 51), war Ende 1920 mit fünfzehn Jahren (!) zunächst als Volontär in den Eher-Verlag eingetreten und bereits 1922 dort zum Abteilungsleiter avanciert. Er blieb bis Kriegsende Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels sowie gleichfalls ab 1934 Vorsitzender des Bundes Reichsdeutscher Buchhändler. 1935 wurde er außerdem in den Beirat der Reichsschrifttums­kammer gewählt und war von Aug. 1937 bis 1945 deren Vizepräsident. Zu Amann vgl. unten. 271 die verlage beeinträchtigte (wie noch zu zeigen sein wird) auch die Entwicklung des DAFVerlagskonzerns nachhaltig. Zunächst freilich befanden sich der LMV, die HAVA und selbstredend der Zentralverlag bei Ley und seiner Arbeitsfront in vergleichsweise guter Obhut. Selbst Goebbels musste auf die starke Stellung Leys als einem der engsten ­Paladine Hitlers Rücksicht nehmen und durfte ihn mit seinen Machtambitionen nicht allzu sehr provozieren.12 Goebbels, Heß bzw. Bouhler und immer wieder auch Ley13 waren freilich keineswegs die einzigen, die sich um Macht und Einfluss auf die Kultur des Dritten Reiches rangelten und damit auch auf die Literaturproduktion Einfluss nahmen. Ein weiterer »charismatischer Jünger« Hitlers, der hier sein ureigenstes Betätigungsfeld sah, war Alfred Rosenberg. Es war ausgerechnet Robert Ley, der Hitler am 24. Januar 1934 zu einer Ver­f ügung veranlasste, durch die Rosenberg »mit der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und der Erziehung der Partei und aller gleichgeschalteten Verbände sowie des Werks ›Kraft durch Freude‹« beauftragt wurde.14 Daraus wurde am 6. Juni 1934 das Amt des »Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung der NSDAP«, mit Rosenberg an der Spitze. Finanziert wurde dieses Amt durch Ley, d. h. aus den zu diesem Zeitpunkt bereits kräftig sprudelnden Beitragseinnahmen der Arbeitsfront. Der Reichsorganisationsleiter und Arbeitsfrontführer saß damit gegenüber Rosenberg am längeren Hebel und ließ diesen das auch schon bald spüren. 1935 bekam das Bündnis zwischen Rosenberg, der auch die NS-Kultur­gemeinde leitete, die ihrerseits aus einer Fusion des »Kampfbundes für deutsche Kultur« und der »Deutschen Büh­ne« – denen Rosenberg gleichfalls bereits vorgestanden hatte – entstanden war, und Ley kräftige Risse.15 12 Goebbels hatte bei der Errichtung der Reichskulturkammer, und mit ihm der spätere Reichswirtschaftsminister Walther Funk, gegen den Widerstand Leys zwar die Federführung übernommen. Nach 1939 stellte das Goebbels-Ministerium sukzessive auch die PPK als Zensurbehörde in den Schatten. Vgl. Bühler/Bühler, Frontbuchhandel, S. 117. Dem Propaganda-Minister war jedoch von Anbeginn auch an einem einvernehmlichen Verhältnis zum NSDAP-Reichsorganisationsleiter und Chef der DAF gelegen. Ley goutierte dies, indem er z. B. an der offiziellen Eröffnung der Reichskulturkammer am 15. November 1933 in der Berliner Philharmonie teilnahm. Vgl. Barbian, Literaturpolitik, S. 84, 365. 13 Zu späteren vergeblichen Versuchen Leys, auf die »Schrifttumspflege« stärkeren Einfluss zu nehmen, vgl. BA Berlin, NS 11, Nr. 9. 14 Nach: Barbian, Literaturpolitik, S. 116 f. Das Folgende nach ebd., S. 117 ff., 125, 132 ff. Vgl. außerdem Reinhard Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, 2. Aufl., München 2006, S. 54-71, 85-104; Ernst Piper, Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe, München 2005, bes. S. 391 f.; Dahm, Nationalsozialistische Schrifttumspolitik, S. 71 ff.; Bühler/Bühler, Frontbuchhandel, S. 11-15. 15 Die Zuschüsse der DAF an das Amt Rosenberg flossen schon bald spärlicher und begannen 1935 schließlich ganz zu versiegen. Rosenberg gelang es danach durchzusetzen, dass sein Amt in stärkerem Maße vom NSDAP-Reichs­schatz­meister finanziert wurde. In der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre verstrickte sich die Rosenberg’sche Über­wachungsstelle mit der Heß unterstellten PPK in heftige Konflikte, die dazu 272 eine politiknahe branche – die rahmenbedingungen Dennoch entwickelte sich die Zusammenarbeit der »Reichschrifttumsstelle«, die Rosenberg in seinem Amt für »geistige Überwachung« eingerichtet hatte, mit der DAF »weitgehend reibungslos« (Jan-Pieter Barbian). Das konnte kaum überraschen, hatte Rosenberg doch schon vorher den Hegemoniebestrebungen Leys insofern nachgegeben, als er seine NS-Kulturgemeinde bereits im Februar 1934 der NS-Gemein­schaft KdF, der größten Suborganisation der DAF, korporativ unterstellt hatte. Innerhalb der NS-Kulturgemeinde baute Walter Stang16 eine Abteilung, später das »Amt Schrifttum« auf, das ein »ambitioniertes Vortragsprogramm« (Barbian) mit namhaften Schriftstellern anbot, sowie Buchausstellungen organisierte, die beim Publikum große Resonanz fanden.17 Mitte 1937 wurde die NS-Kulturge­mein­de Rosenbergs mit dem ein Jahr zuvor gegründeten »Deutschen Volksbildungswerk«18 innerhalb der NS-Gemeinschaft KdF fusioniert – und damit den Vortragsprogrammen und gutbesuchten Buchausstellungen, die immer auch gleichzeitig Werbeveranstaltungen der einzelnen Verlage waren und 1937/38 von bis zu einer Million Interessenten besucht wurden,19 ein noch größerer Rahmen gegeben. Besonders nachhaltig wirkten sog. Dichterlesungen, von denen das Volksbildungswerk allein 1938 etwa 10.000 veranstaltete.20 Den Verlagen der Arbeitsfront konnte diese Entwicklung nur recht sein. Indem die NS-Kultur­ge­mein­de zu einer DAF-Organisation im weitesten Sinne wurde und schließlich im rührigen Deutschen Volksbildungswerk auf- 16 17 18 19 20 führten, dass die PPK ihren politischen Monopolanspruch auf Überwachung und Kontrolle ebenso wenig durchsetzen konnte wie die »Reichschrifttumsstelle« Rosenbergs. Die Folge war, dass andere NS-Größen ihrerseits weitere, eigene »Schrifttumsstellen« zur literatur­politischen Überwachung gründeten. Barbian (Literaturpolitik, S. 131) nennt neben Ley außerdem Baldur v. Schirach, Hans Frank, Fritz Wächtler »und andere«. Der Germanist und Literaturwissenschaftler Stang (1895-1945), Teilnehmer am HitlerPutsch 1923, Ende der zwanziger Jahre Dramaturg bei der Münchner Theatergemeinde und seit Anfang Aug. 1930 NSDAP-Mitglied, amtierte von Herbst 1930 bis Juni 1934 als Referent für Theaterfragen beim »Kampfbund für Deutsche Kultur«. 1933 gehörte er zu den Mitbegründern des Reichsverbandes Deutsche Bühne und war bis Juni 1934 dessen Leiter. Von Sommer 1934 bis Sept. 1943 leitete Stang neben der NS-Kultur­ge­ meinde und der Rosenberg’schen Schrifttumsstelle außerdem das »Kulturamt« in der NS-Gemein­schaft KdF, das seinerseits gleichfalls eine eigene »Abteilung Schrifttum« besaß. Aufgrund interner Querelen im Zusammenhang mit der Umstrukturierung der Dienststelle Rosenberg wurde Stang 1943 in den Ruhestand versetzt. Daneben errichtete Stang ein »Kulturpolitisches Archiv«, innerhalb dessen eine umfängliche Kartei erstellt wurde, die (in den Worten von Rosenberg:) über »nationalsozialistische Haltung und kulturpolitische Zuverlässigkeit« der einzelnen Autoren detailliert Auskunft gab. Das Deutsche Volksbildungswerk wiederum hatte sich unter der Leitung von Fritz Leutloff binnen Kurzem zum »zentralen parteiamtlichen Organisator von Autoren­ lesungen« (Barbian, Literaturpolitik, S. 143) entwickelt, da es enge Kontakte zu den einzelnen NSDAP-Gauleitungen aufbaute und mit der finanzstarken DAF im Rücken ein weitverzweigtes Netz an Volksbildungsstätten aufbauen konnte. Vgl. Barbian, Literaturpolitik, S. 126. Vgl. Dahm, Nationalsozialistische Schrifttumspolitik, S. 71. 273 die verlage ging, dessen Aktivitäten durch Veranstaltungen des KdF-Amtes »Feierabend« ergänzt wurden, wuchs ihnen ein neues Kundenpotential zu. Zudem war das Volksbildungswerk mit dem Aufbau von Werksbüchereien befasst – und griff auch dabei bevorzugt auf Produkte der DAF-Verlage zurück.21 Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass alle genannten und ebenso weitere Ämter, soweit sie mit ›Gutachter‹- und Überwachungstätigkeiten befasst waren, Titel der Verlagshäuser der Arbeitsfront wohlwollend behandelten. Eine maßgebliche Rolle im Rahmen der Überwachung des Literaturbetriebs spielte neben den genannten Stellen außerdem der »Sicherheitsdienst der SS« (SD). Die intensiven verlegerischen Kontakte, die insbesondere die Hanseatische Verlagsanstalt zum SD22 und auch zur PPK entwickelte,23 dürften neben der HAVA ebenso den anderen Teilen des DAF-Verlagsim­periums zugute gekommen sein. Auch sonst waren die Netzwerke namentlich der Hanseaten zu Überwachungseinrichtungen des Regimes engmaschig und die Kommunikationskanäle zu den Zensurbehörden kurz.24 Die HAVA und abgeschwächt auch die anderen DAFVerlagshäu­ser besaßen damit einen Schutzschirm, der willkürliche Angriffe von Seiten maßnahmenstaatlicher Instanzen der NS-Li­te­raturpolitik unwahrscheinlich machte. Das Verlagsimperium der Arbeitsfront war, so lässt sich resümieren, im politischen Kräf­te­f eld des Regimes gut positioniert. Der relativ kontinuier21 Weitere Werbemöglichkeiten boten sich z. B. durch die Listen mit Buchempfehlungen, die die »Reichsarbeitsgemeinschaft für Deutsche Buchwerbung« erstellte und – damit erreichte man einen großen Adressatenkreis – in den Reiseprospekten der NS-­ Gemeinschaft KdF veröffentlichte. Vgl. Dahm, Nationalsozialistische Schrifttums­ politik, S. 68 ff. KdF war in puncto Literaturförderung auch sonst sehr rührig. So führte das Goebbels’sche »Werbe- und Beratungsamt für das deutsche Schrifttum« in Kooperation mit KdF »Dichterfahrten« in interessante Natur- oder ›Kultur‹-Land­ schaften durch, z. B. in das noch vom Bürgerkrieg gezeichnete Spanien, um die beteiligten Schriftsteller auf diese Weise zur regime-adäquaten literarischen Produktion zu animieren. Ebd., S. 70. 22 Vgl. unten. Zum SD und seiner Rolle als literaturpolitischem Repressionsorgan inkl. einer Vorstellung der wichtigsten Akteure vgl. Barbian, Literaturpolitik, S. 110-116. 23 Vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 136, Anm. 155. Neben Franz Alfred Six (vgl. unten, Anm. 46) vom SD gehörte auch der Pressesprecher des Reichswirtschaftsministeriums und HAVA-Hausautor, Herbert-Rolf Fritzsche (1900-?), seit 1937 der PPK an. Fritzsche gab bei den Hanseaten die Reihe »Gesetz und Wirtschaft« heraus, in der namhafte wirtschaftspolitische Funktionsträger des Regimes publizierten. 24 In der mit der PPK konkurrierenden Schrifttumsstelle Rosenbergs standen die HAVAAutoren Oskar v. Niedermayer und Friedrich Ernst v. Cochenhausen wichtigen Lektoraten vor. Ein weiteres personelles Scharnier der vormaligen DHV-Verlage zu maßgeblichen literatur- bzw. verlagspolitischen Institutionen war u. a. Gunther Haupt, ein ehemals führender Mitarbeiter des LMV wie der HAVA; er wurde im Nov. 1933 auf Vorschlag Johsts zum Ersten Geschäftsführer der Reichsschrifttumskammer ernannt, ein Amt, das Haupt bis Okt. 1935 innehatte. Schon vorher, Mitte Juni 1933, war mit Hellmuth Langenbucher (1905-1980), NSDAP-Mitglied seit 1929, der vormalige Leiter der Presse­abteilung des LMV zum Hauptschriftleiter des »Börsenblattes des Deutschen Buchhandels« avanciert. 274 erbstücke des dhv liche Aufwärtstrend, den die DAF-Verlagsan­stalten in den dreißiger Jahren nahmen, kann vor diesem Hintergrund kaum überraschen. 5.2. Erbstücke des DHV: die Hanseatische Verlagsanstalt und der Langen-Mül­ler-Verlag Die Geschichte der Hanseatischen Verlagsanstalt im Dritten Reich – und ebenso die des Langen-Müller-Verlages – wird hier in vier Phasen gegliedert: erstens in die Vorgeschichte bis 1933, zweitens in die fünf ›Friedens‹-Jahre der Diktatur bis 1938, als die HAVA der wohl wichtigste DAF-Verlag war, sowie drittens in die Zeit von 1938 bis 1942, als das Hamburger Verlagsunternehmen vom Produk­ tionsvolumen, Umsatz usw. her durch den Zentralverlag der Arbeits­front deutlich in den Schat­ten gestellt wurde. Die letzten zwei Kriegsjahre markieren die vierte und letzte Phase der Geschichte des Verlages während der NS-Zeit. Sie werden hier lediglich ge­streift, da die HAVA im Juni 1943 aus dem Besitz der DAF ›entlassen‹ und reprivatisiert wurde. Die Frühgeschichte der Hanseatischen Verlagsanstalt (bis 1933) Wie der keine zwei Jahre vor der NS-Machtergreifung durch eine Fusion ent­ standene, in München beheimatete Langen-Mül­ler-Verlag war auch die in Hamburg ansässige Hanseatische Verlagsanstalt ein eigenständiges Unternehmen innerhalb des Verlagskonzerns, den der DHV aufgebaut hatte. 1893 von der antisemitischen »Deutschsozialen Partei«25 unter dem Namen »Hanseatische Druck- und Verlagsanstalt« gegründet, wurde die HAVA schon frühzeitig zum »Herzstück« (Andreas Meyer)26 der weitgefächerten verlegerischen Aktivitäten des DHV. Obwohl das Hanseatische Verlagshaus eigentlich ein Kind der Deutschsozialen Partei war, besaß es von Anbeginn eine enge Beziehung auch zum DHV. Spätestens nachdem die Deutschsoziale (Reform-)Partei in den letzten Jahren vor der Jahrhundertwende in die Krise geraten war, spielten Reprä25 Führende Mitglieder der im Frühjahr 1891 gegründeten und nicht zuletzt in Hamburg stark verankerten Deutschsozialen Partei (ab 1894: Deutschsoziale Reformpartei), die 1893 bei den Reichstagswahlen vier Mandate erhielt, waren maßgeblich an der Gründung des DHV beteiligt. Ausführ­lich zur Beziehung zwischen Deutschsozialer Partei und DHV: Hamel, Völkischer Verband und nationale Gewerkschaft, S. 110-122. In der von der Zentrale für Finanzwirtschaft kurz vor Kriegsbeginn 1939 herausgegebenen Schrift »Die wirtschaftlichen Unternehmungen der Deutschen Arbeitsfront« (S. 115) wird darüber hinaus auf die engen Beziehungen des Verlages »zu der Schönerer-Bewegung in Österreich« hingewiesen. Diese frühen Beziehungen zur radikalanti­ semitischen, völkisch-all­deutschen Bewegung des Georg Ritter v. Schönerer (1842-1921) galten im »Dritten Reich« als eine Art politischer Ritterschlag, da »der Führer [diese] zu seinen ersten Jugendeindrücken in Wien rechnet«. 26 Meyer, Verlagsfusion, S. 18. Vgl. hierzu und zum Folgenden neben Meyer auch Hamel, Völkischer Verband, S. 135 f., 139-142. 275 die verlage sentanten des DHV, die den Antisemiten ohnehin zuneigten, eine dominante Rolle im Verlag. Hinter diesem Engagement stand politisches Kalkül, wusste doch die Führung des rechtsextremistischen Angestellten-Verbandes nur zu gut um die bewusstseinsbildende Bedeutung von Büchern und Zeitschriften. 1917 rief der DHV mit der »Deutschnationalen Verlagsanstalt« ein eigenes Unternehmen ins Leben, dem 1918/19 mit dem neugegründeten »Hanseatischen Kunstverlag« sowie dem »Hanseatischen Handelsverlag« zwei gleichfalls DHVeigene Tochter­f irmen assoziiert wurden. 1920 wurde die inzwischen im Mehrheitsbesitz des DHV befindliche Hanseatische Druck- und Verlagsanstalt mit der Deutschnationalen Verlagsanstalt und beiden Tochterfirmen sowie weiteren DHV-nahen Kleinverlagen27 fusioniert und firmenrechtlich als »Hanseatische Verlagsanstalt« neu gegründet. Darüber hinaus wirkte der DHV verlegerisch und buchhändlerisch bahnbrechend, indem er 1916 die erste Buchgemeinschaft, die bereits erwähnte »Deutsch­ nationale Hausbücherei«, gründete. Diese Deutsche Hausbücherei (wie sie ab 1923 hieß) sollte eine »Trutz­burg gegen das Eindringen undeutscher Art« sein.28 Ergänzt wurde die Deutsch­na­tionale Hausbücherei durch die bereits 1904 vom DHV gegründete »Deutschnationale Buchhandlung« und eine Reihe weiterer organisationseigener Buchhand­lungen. Sie wurden ebenso wie die »Deutsche Hausbücherei« 1920 als Tochtergesellschaften in die HAVA übernommen. In den letzten Monaten vor und der ersten Zeit nach der NS-Machter­grei­ fung setzte eine geradezu sprunghafte Expansion der Verlagsanstalt ein. Dies zeigt sich an der Zahl der jährlichen Neuerscheinungen: Bis 1931 verlegte die HAVA ungefähr zwanzig neue Titel; auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 1932 waren es bereits 31, und 1933 hatte sich die Zahl der Neuerscheinungen gegenüber dem Vorjahr auf 74 mehr als verdoppelt.29 Wie gut der Verlag die Krise überstand, wie sehr er an ihr und den durch sie ausgelösten Ängsten auch 27 Es waren dies der »Verlag des Deutschen Volkstums« und, neben weiteren Kleinstverlagen, der »Verlag der Fichte-Gesellschaft«. Letzterer sollte, wie der Name schon sagt, den Rechtsintellektuellen der »Fichte-Gesell­schaft von 1914« als »den bewussten Trägern des Nationalen Geisteslebens« (Max Habermann) als Publikationsforum dienen. Nach: Meyer, Verlagsfusion, S. 13. Zu Habermann, einem der einflussreichsten Repräsentanten des DHV, vgl. Kapitel 4, S. 244 f. Die Fichte-Gesellschaft war 1916 von DHV-Mit­ glie­dern gegründet worden, um den radikalnationalistisch verstandenen »deutschen Geist« zur »beherrschenden Macht unseres gesamten Volkslebens [zu] machen«. Sie wurde nach 1918 zu einem der wichtigsten intellektuellen Zirkel der Jungkonservativen Bewegung und zugleich zu einem Bindeglied zwischen dem DHV und der frühfaschistischen Bewegung. Ausführlich: Hamel, Völkischer Verband, S. 126-135, Zitat (aus § 2 der Satzung der Fichte-Gesellschaft): S 130. Die Publikationen der Fichte-Gesellschaft wurden ab 1920 von der HAVA verlegt. 28 So die politische Aufgabenbeschreibung der »Deutschnationalen Hausbücherei« unmittelbar nach ihrer Gründung 1916. Nach: ebd., S. 136. 29 Vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 152 f. 276 erbstücke des dhv ökonomisch profitierte, zeigt stärker noch die Verdoppelung des Umsatzes von 1931 auf 1932.30 Hinter dieser Entwicklung stand wesentlich, dass die HAVA ein Weltanschauungsverlag war, dem die »nationale Missionierungsarbeit« (Reinhard Wittmann) zur Obsession geworden war. Er verstand sich ausdrücklich als »Kampfmittel gegen den jüdischen und undeutschen Geschäftemachergeist in der Verwaltung des geistigen Gutes des deutschen Volkes«.31 Zugute kam der Verlagsanstalt, dass sie als das »institutionelle Rückgrat der Konservativen Revolution« galt,32 einem mit dem Nationalsozialismus konkurrierenden elitären, rechtsintellektuellen Milieu, dessen Repräsentanten gleichfalls einen autoritären Führerstaat forderten und teilweise heftige Sympathien für den italienischen Faschismus entwickelten.33 Damit lag die HAVA in einem Anfang der dreißiger Jahre starken rechtsbürger­ lichen Mainstream, der auch den Absatzmarkt für entsprechende Schriften rasch wachsen ließ. Die politische Positionierung der HAVA gewann an Eindeutigkeit, als mit Benno Ziegler im Spätsommer 1931 ein prominenter Jungkonservativer zum Direktor der HAVA gemacht wurde, der verlegerisch sehr geschickt agierte. Ziegler, der die HAVA bis zu seinem Tod Anfang 1949 leitete,34 und die von ihm 1931 eingestellten leitenden Mitarbeiter, die gleichfalls den Jungkonservativen zuneigten, achteten bei der Konzipierung ihres Verlagsprogramms nämlich 30 Nach Lokatis (ebd., S. 26) und bezogen auf den Zeitraum zwischen Aug. 1931 und Nov. 1932. Die in der Literatur kursierenden Zahlen, die – nach Meyer (Verlagsfusion, S. 19) – auch für die Jahre zwischen 1926 und 1930 einen starken Anstieg ausweisen, sind freilich einigermaßen verwirrend. Manchmal beziehen sie sich auf den gesamten Verlagskonzern des DHV, einschließlich Langen-Müller, dann wieder nur auf die HAVA, entweder mit oder ohne Druckerei und Bücherborn, ohne dass dies ausreichend kenntlich gemacht wird. 31 So die Formulierung aus einer programmatischen Erklärung von 1924, nach: Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 312. Vgl. (mit weiteren Belegen) auch Hamel, Völkischer Verband, z. B. S. 139. 32 1930 hatte die HAVA die Rechte an den Publikationen des 1929 liquidierten RingVerlages als dem Verlag der Konservativen Revolution übernommen, einschließlich der von Heinrich v. Gleichen – einem der zentralen Ideologen der Konservativen Revolution – herausgegebenen »Ring-Bücherei« sowie weiteren Titeln aus dem Umfeld des jungkonservativen »Juni-Klubs«. Zitat: Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 5. 33 Der Verlag bot auch selbst Schriften zur »intensiven Auseinandersetzung mit Mussolini« an, u. a. »Faschismus und Nation« von Guido Bortolotto (1932). Vgl. Meyer, Verlagsfusion, S. 170. 34 Ziegler (1894-1949) war seit Spätsommer 1931 Direktor der zuvor kleinen historischpolitischen Verlagsabteilung der HAVA. Da deren Bedeutung während der allgemeinen politisch-wirtschaft­li­chen Krise 1932/33 rapide wuchs, weitete sich Zieglers Einflussbereich in dieser Zeit de facto auf den gesamten Verlag aus. Weil die Machtpositionen der anderen drei Direktoren aus unterschiedlichen Gründen im selben Zeitraum erodierten, wurde Ziegler spätestens 1932 zur entscheidenden Figur in der Verlagsanstalt. Ausführlich: Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt S. 23 ff. Nach 1933 gewann Ziegler auch verbandspolitische Bedeutung, u. a. indem er bei Kriegsbeginn zum Leiter der Fachschaft Buchgemeinschaft in der Reichsschrifttumskammer und Obmann des Reichsverbandes de deutschen Zeitungsverleger für die Nordmark avancierte. 277 die verlage darauf, auch nach ganz rechts ›anschlussfähig‹ zu sein.35 Deshalb partizipierte der Verlag auch am rasanten Aufstieg der Nationalsozialisten ab 1929/30. Bereits 1926 hatte man bei der HAVA eine eigene »Abteilung für Volkstum« eingerichtet, die das Hamburger Verlagshaus zur »geistige[n] Rüst­kammer un­ serer Bewegung« machen sollte, zum »Mittel, um die geistigen Kräfte und Bestrebungen des D.H.V. auf den weitesten Gebieten innerhalb und außerhalb unseres Verbandes zur Geltung zu bringen«.36 Sie war dafür verantwortlich, dass in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre das Gewicht stärker als zuvor auf politische Literatur gelegt wurde. So bot der DHV-Verlag z. B. einem Seekriegshelden wie Alfred v. Tirpitz mit Titeln wie »Deutsche Ohnmachtspolitik im Weltkrieg« (1926), dem rechtsnationalistischen Star­anwalt Friedrich Grimm für antifranzösische Pamphlete oder dem konservativen Journalisten Rolf Brandt u. a. mit einer Schlageter-Biographie (»Leben und Sterben eines deutschen Helden«, 1926) ein Forum. Zu den Schriftstellern, die der HAVA seit den zwanziger Jahren die Treue hielten, gehörte außerdem der ehemalige Sozialdemokrat August Winnig, der sich bis in die vierziger Jahre hinein großer Beliebtheit im rechtsextremistischen Lager erfreute.37 Hinzu traten historisierende Blut- und Boden-Romane. Im Vorfeld der »Machtergreifung« gewann der Verlag außerdem Autoren wie den Historiker Rudolf Craemer, der 1933 mit einer von der HAVA verlegten, »Der Kampf um die Volksordnung« betitelten Schrift hervortrat und ab Juli 1938 zu einem der wichtigsten Mitarbeiter des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der DAF werden sollte.38 35 Ausführlich: Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt S. 26-29, sowie Meyer, Verlags­ fusion, S. 19 f. 36 So programmatisch: Albert Zimmermann, Der Deutschnationale HandlungsgehilfenVerband. Sein Werden, Wirken und Wollen, Hamburg (HAVA), o.J. (ca. 1929), S. 122, nach: Meyer, Verlagsfusion, S. 18. Das Folgende nach: ebd., S. 18-21. 37 Der fanatische Antisemit Grimm (1888-1959), seit 1927 außerordentl. Prof. für Internationales Recht in Münster, hatte in der Weimarer Republik erfolgreich rechtsextremistische Feme-Mörder und andere Feinde der Demokratie verteidigt, ehe er ab 1933 zu einem der politisch einflussreichsten Juristen des Dritten Reiches wurde. Brandt (1886-1953) war u. a. in den zwanziger Jahren Schriftleiter des Berliner Lokal-Anzeigers. Winnig (1878-1956) hatte ab 1913 den freigewerkschaftlichen Deutschen Bauarbeiterverband geleitet. 1918/19 hatte er als »Generalbevollmächtigter des Reiches für die baltischen Staaten« und »Reichskommissar für Ost- und Westpreußen« reüssiert. Bis zum Kapp-Putsch (den er aktiv unterstützte) amtierte er außerdem als Oberpräsident von Ostpreußen. Danach konvertierte er offen zum Rechtsextremismus. Winnig bescherte der Verlagsanstalt bis Anfang der vierziger Jahre mehrere auflagenstarke Schriften. 38 Der Historiker Craemer (1903-1941) war seit 1930 bei Hans Rothfels in Königsberg und habilitierte sich 1932 dort. Als einer der führenden Theoretiker der jungkonservativen Bewegung wurden seine zeithistorischen Schriften 1933 indiziert. 1936 stand er vor dem Ende seiner akademischen Karriere, 1937 trat er in die NSDAP ein. Innerhalb des AWI, dem er bis zu seinem Tod im Mai 1941 angehörte, war er für zahlreiche politik- bzw. sozialhistorische Arbeiten verantwortlich, u. a. für solche, in denen Bismarck und die vom Eisernen Kanzler inaugurierte staatliche Sozialpolitik für die Sozialstaatskonzeptionen der DAF vereinnahmt wurde. Wenige Monate vor seinem Tod wurde er in Walter Franks »Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschlands« kooptiert. Vgl. 278 erbstücke des dhv Auf der Erfolgsspur: die Hanseatische Verlagsanstalt bis 1938 Der Regierungsantritt der Nationalsozialisten schien den Verlag weiter zu beflügeln.39 Ab 1933 wuchs die Zahl der Neuerscheinungen geradezu explosionsartig an; im Jahre 1936 hatten sie sich dann gegenüber 1931 mehr als verneunfacht (186 Titel). Die Zahl der Neuauflagen wuchs in ähnlichen Dimensionen, nämlich von durchschnittlich 15 pro Jahr bis 1932 auf ungefähr jeweils achtzig in den beiden Vorkriegsjahren 1938 und 1939.40 Einen besonderen Coup landeten die Hanseaten Zieglers, als es ihnen gelang, Carl Schmitt für die HAVA zu gewinnen. Schmitt als der autoritär-faschistische Staatsrechtsideo­loge in Deutschland, dessen Ausstrahlung weit über nationalsozialistische Kreise tief in das konservative und rechtsliberale Bürgertum hineinreichte, verstärkte das freilich ohnehin markante Profil der HAVA als wissenschaftlicher Verlag völkischer Couleur. Erstes Resultat der Zusammenarbeit mit Schmitt, die bereits 1931 begann, war eine stark überarbeitete Auflage der berühmten Schrift »Der Begriff des Politischen«, die von der Hanseatischen Verlagsanstalt im Oktober 1933 als Broschüre zum Niedrigpreis mit einer für wissenschaftliche Arbeiten sehr hohen Auflage von 6.000 Exemplaren als – so die marktschreierische Werbung – »politisches Exerzitium des neuen Staates« vertrieben wurde.41 In der von Schmitt herausgegebenen und von der HAVA verlegten Schriftenreihe »Der deutsche Staat der Gegenwart« publizierten so prominente NS-Juristen wie Ernst Rudolf Huber, Theodor Maunz, Paul Ritterbusch, Friedrich Schaffstein, Wolfgang Siebert und Franz Wieacker, die ihren rechtspolitischen Einfluss teilweise auch in der Bundesrepublik behalten sollten.42 An- 39 40 41 42 Roth, Intelligenz und Sozialpolitik, bes. S. 153-180, 204; ferner Helmut Heiber, Walter Frank und sein »Reichsinstitut des neuen Deutschlands«, Stuttgart 1966, S. 459 f. Die Turbulenzen, in die die HAVA zwischen Mai und Oktober 1933 vor dem Hintergrund der Gleichschaltung und schließlichen Auflösung des DHV kurzzeitig geriet, weiteten sich nicht zu einer existentiellen Krise aus, sondern konnten rasch beigelegt werden. Vgl. im einzelnen Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 36-41. Vgl. ebd. S. 26, Anm. 75. Die Zahl der Titel sagt freilich nichts über Umfang, Qualität der Buchbindung usw. aus. Bei einer wachsenden Zahl von Titeln ab 1932 handelte es sich eher um – auflagenstarke – Broschüren als um Bücher im engeren Sinne. Vgl. ebd., S. 31. Zu den Broschüren, also Titeln unter 64 Seiten, gehörten freilich so einflussreiche Schriften wie Hans Freyers »Herrschaft und Planung«, Ernst Forsthoffs »Der totale Staat« und Carl Schmitts »Der Begriff des Politischen«. Entsprechend dem Ausbau der Verlagsaktivitäten wurde auch das Personal erhöht. 1932 hatte die Verlagsanstalt ein Lektorat, 1936 verfügte es über sechs (für Wehrwissenschaft, Rechtswissenschaft, Geschichte, Handelswissenschaft, Freizeitliteratur und Belletristik). Ebd., S. 51. Später publizierte Schmitt den »Leviathan« (1938) und »Positionen und Begriffe« (1940) in der HAVA. Zur Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten vgl. ebd., S. 47-60, 66 f. Huber (1903-1990), ab 1933 Ordinarius in Kiel, ab 1937 in Leipzig, ab 1941 Direktor des Rechtswissenschaftlichen Seminars sowie des Instituts für Politik an der Reichsuniversität Straßburg, profilierte sich im Dritten Reich gleichfalls als entschiedener Verfechter des nationalsozialistischen Staatsrechts. Nach 1945 lehrte er u. a. an der Universität Freiburg i.Br., an der Hochschule für Sozialwissenschaften in Wilhelmshaven sowie, ab 279 die verlage dere Juristen wie Carl Bilfinger oder Ernst Forsthoff, die während des Dritten Reiches prominent wurden und ebenfalls nach 1945 einflussreich blieben,43 publizierten außerhalb der von Schmitt herausgegebenen Reihe gleichfalls bei der HAVA. Ab 1935, als der Stern Schmitts zu sinken begann,44 mutierte die HAVA dann zeitweilig zum »Hausverlag des SD« (Siegfried Lokatis). Verantwortlich waren dafür Karl August Eckhardt, von Oktober 1934 bis April 1936 Hauptreferent für Recht, Staat, Politik, Geschichte und Wirtschaft in der Hochschulabteilung des Reichsministeriums für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung und ab Dezember 1935 gleichzeitig Referent im Sicherheitsdienst der SS, sowie Reinhard Höhn, der ab 1935 im SD-Hauptamt für Kultur, Wirtschaft und Hochschule verantwortlich war.45 Beide hatten zuvor gleichfalls in Schmitts Schriftenreihe 1962, als Ordinarius an der Göttinger Universität. Ritterbusch (1900-1945), der ab 1941 Ordinarius für Verfassungs-, Verwaltungs- und Völkerrecht an der Berliner Universität war, diverse NS-Funktionen ausübte und sich Ende April 1945 das Leben nahm, fungierte ab 1942 gemeinsam mit Höhn (vgl. Anm. 45) als Direktor der »Internationalen Akademie für Staats- und Verwaltungswissenschaften«. Maunz (1901-1993), ab 1935 außerordentl. Prof., ab 1937 Ordinarius für Öffentliches Recht in Freiburg, war gleichfalls ein profilierter NS-Jurist, der in der ersten Hälfte der vierziger Jahre weiterhin bei der HAVA publizierte. 1952 erhielt Maunz wieder ein Ordinariat für Öffentliches Recht (in München). 1957 wurde er bayerischer Kultusminister, ein Posten, den er 1964 aufgrund seiner NS-Vergangenheit aufgeben musste. Maunz, Mitverfasser eines der wichtigsten Grundgesetz-Kom­men­tare (Maunz-Dürig-Herzog), war später Berater des Rechtsextremisten Gerhard Frey. Gleichfalls profilierte NS-Juristen waren auch die anderen gen. HAVA-Autoren: Schaffstein (1905-2001), der ab 1933 einen Lehrstuhl in Leipzig, ab 1935 in Kiel innehatte und 1941 Direktor des Instituts für Strafrecht an der Reichsuniversität Straßburg wurde, war u. a. maßgeblich an der Umgestaltung des Jugendstrafrechts nach NS-Prinzipien beteiligt; er wurde 1954 zum Ordinarius in Göttingen ernannt (und prägte das frühe bundesdeutsche Strafrecht maßgeblich). Siebert (1905-1959), der ab 1938 als Ordinarius an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin amtierte, wurde 1940 zum Leiter des Jugendrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht ernannt; er erhielt 1953 ein Ordinariat zunächst in Göttingen, 1957 dann in Heidelberg. Wieacker (1908-1994) war ab 1939 Ordinarius in Leipzig, ab 1948 in Freiburg i.Br. 43 Bilfinger (1879-1958) war ab 1924 Ordinarius für Staats- und Völkerrecht in Halle bzw. Heidelberg, ehe er 1943 zum Direktor des renommierten Kaiser-Wilhelm-Instituts bzw. ab 1949 des Max-Planck-Instituts für ausländisches Recht und Völkerrecht ernannt wurde. Forsthoff (1902-1974) war ab 1933 ordentl. Prof. für Staatsrecht in Frankfurt a. M., ab 1936 in Königsberg, ab 1941 in Wien und von 1943 bis 1945 in Heidelberg; von 1949 bis 1967 hatte er den Lehrstuhl für Öffentliches Recht in Heidelberg inne. 1960 bis 1963 war er gleichzeitig Präsident des Obersten Verfassungsgerichtes der Republik Zypern. 44 Die DAF war freilich noch bei Kriegsbeginn stolz darauf, Schmitt über die HAVA an sich gebunden zu haben. Vgl. ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 117. Zum allmählichen politischen Abstieg Schmitts vgl. bes. Dirk Blasius, Carl Schmitt. Preußischer Statsrat in Hitlers Reich, Göttingen 2001, S. 153-180. 45 Eckhardt (1901-1979), ab 1928 Ordinarius in Kiel, 1930 kurzzeitig ordentl. Prof. an der Berliner Handelshochschule, ab 1930 Ordinarius für Deutsches Recht und Handelsrecht an der Bonner Universität, ein Jahr später erneut ordentlicher Professor in Kiel, 280 erbstücke des dhv publiziert, sich ihrem wissenschaftlichen Lehrer allerdings zusehends entfremdet. Die Kooperation der HAVA mit Höhn und Eckhardt als herausragenden wissenschaftlichen Repräsentanten des SD46 bot dem Hanseaten-Verlag neben der Übernahme der ab 1935 von Eckhardt im Auftrag des Reichserziehungsministeriums herausgegebenen »Deutsche Rechtswissenschaft«, der verlegerischen Betreuung der Studienreform der Rechts- und Wirtschafts­wissenschaften und der Akquise von ›namhaften‹ Autoren aus den Reihen der SS – unter ihnen Heinrich Himmler, Werner Best und Hans Frank – noch den großen Vorteil, dass er auf weiteren Feldern als Wissenschaftsverlag, der »dem aus der nationalsozialistischen Revolution geborenen Denken verlegerische Möglichkeiten« bot,47 renommieren konnte. erhielt 1935 ein Ordinariat an der Universität Berlin. 1937 wechselte er wieder an die Bonner Universität; von 1938 bis Kriegsende leitete er außerdem das »Deutschrechtliche Institut des Reichsführer SS« in Bonn. Nach 1945 aus dem Hochschuldienst entlassen, fungierte er als Stadtarchivar und Direktor des Historischen Instituts des Werralandes in Witzenhausen. Höhn (1904-2000), 1933 in die NSDAP und SS eingetreten (ab 1944 SS-Oberführer), avancierte 1935 zum planmäßigen außer­ordentl. Prof. für Staatsrecht an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität; ab 1934 war er u. a. in der genannten Funktion für den SD tätig. 1939 wurde er zum Ordinarius an der Friedrich-WilhelmsUniversität sowie zum Direktor des Instituts für Staatsforschung in Berlin ernannt; ab 1942 fungierte Höhn gemeinsam mit Ritterbusch als wissenschaftlicher Direktor der »Internationalen Akademie für Staats- und Verwaltungswissenschaften«. Außerdem war er von 1934 bis 1941 Schriftleiter des Organs des NS-Rechtswahrerbundes »Deutsches Recht«. Ab 1956 leitete Höhn die »Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft« in Bad Harzburg. Vgl. zu Höhn ausführlich: Adelheid v. Saldern, Bürgerliche Werte für Führungskräfte und Mitarbeiter in Unternehmen. Das Harzburger Modell, 19601975, in: Gunilla Budde/Eckart Conze/Cornelia Rauh (Hg.), Bürgertum nach dem bürgerlichen Zeitalter. Leitbilder und Praxis seit 1945, Göttingen 2010, S. 165-184, zu Höhns Biographie: S. 179-182. 46 Die Kontakte der HAVA zu SD und SS beschränkten sich nicht auf Höhn und Eckhardt. Es existierte ein ziemlich dichtes Netzwerk. So brachte die HAVA die Zeitschrift »Volk im Werden« heraus, die 1937 und 1938 de facto von Franz Alfred Six geleitet wurde. Auch nachdem die Zeitschrift an den Armanen-Verlag abgegeben wurde, blieben die Kontakte zu Six intensiv. Zwischen 1937 und 1944 publizierte der führende SS- und SD-Mann fünf Titel im HAVA-Ver­lag. Vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 65 f. Six (1909-1975) führte ab 1935 das Amt »Presse und Schrifttum« bzw. die »Zentralabteilung für Presse und Museum«, ab 1937 dann die »Zentralabteilung Gegnerbekämpfung« im SD-Hauptamt. Er sollte später (1940 bis 1943) Dekan der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Berliner Universität sowie von 1941 bis Kriegsende Chef des Amtes »Weltanschauliche Forschung« im Reichssicherheitshauptamt werden. Six, von 1943 bis 1945 außerdem Leiter des Kulturpolitischen Amtes des Auswärtigen Amtes und noch 1945 zum SS-Brigadeführer ernannt, war ab 1953 Geschäftsführer des Verlages C.W. Leske in Darmstadt, nebenberuflich außerdem Dozent an der von Höhn geleiteten »Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft«, von 1957 bis 1964 Werbe­ leiter der Porsche Diesel Motorenbau GmbH und anschließend selbständiger Unternehmensberater. 47 So das Lob auf die verlegerische Tätigkeit der HAVA in: ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 116. 281 die verlage Folgt man Lokatis, war es vor allem Eckhardt zu verdanken, dass der bis dahin unbekannte Historiker und – seit 1931 – Hausautor der Hanseatischen Verlagsanstalt Walter Frank48 im August 1935 zum Direktor des von ihm begründeten »Reichsinstituts für die Geschichte des neuen Deutschlands« wurde. Ohne die HAVA sei dieses Institut »gar nicht zu denken« gewesen.49 Ohne Frank und sein Institut hätte sich aber auch das Unternehmen kaum so prononciert als Verlag profilieren können, der Geschichtswissenschaft und nationalsozialistischen Zeitgeist komplikationslos miteinander zu einer, wie seitens der DAF hervorgehoben wurde, »echten Wissenschaftlichkeit«50 zu verschmelzen verstand.51 Frank fungierte als Aushängeschild des Verlages. So forderte die HAVA anlässlich der Gründungs­f eier des Reichsinstituts am 19. Oktober 1935 den Buchhandel auf, die Bücher Franks werbewirksam in die Schaufenster zu stellen. Die Beziehungen des Hamburger Verlages zu Frank und ebenso zu seinen produktionsfreudigen Mitarbeitern, die gleichfalls fast ausnahmslos bei der HAVA veröffentlichten, blieben überaus eng, auch nachdem Frank 1941 von seinem Direktoren­posten beurlaubt worden war.52 Publikationen aus dem Hause Franks bildeten im Übrigen nur einen Teilausschnitt des historischen Programms der Hanseaten. Hinzu traten zahlreiche Titel zur Antike, zum späten (deutschen) Mittelalter, zum Dreißigjährigen Krieg oder zur preußischen Geschichte. Verlegt wurden außerdem Autoren, die erst nach 1945 zu Ruhm und Ehren gelangten, z. B. Helmut Krausnick.53 48 Im Herbst 1931 war Walter Frank ein von der Notgemeinschaft/DFG gewährtes Forschungsstipendium aufgrund drastischer Etatkürzungen, die die Vorläuferorganisation der heutigen DFG im Krisenjahr hinnehmen musste, gestrichen worden. Vgl. Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut, S. 59 f. Da Frank daraufhin in finanzielle Schwierigkeiten geriet, nahm ihn die HAVA auf Vermittlung von Hans Grimm unter Vertrag – und verpflichtete ihn damit dem Verlag. Vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 67 f. 49 Ebd., S. 5, 61, 64, 67 ff. W. Frank (1905-1945) hatte in München studiert und war Schüler von H. Oncken, K. Haushofer und K.A. v. Müller. 1927 promoviert, hatte er bereits 1923 für den »Völkischen Beobachter« geschrieben. Nach 1933 machte er eine steile Karriere, zunächst (ab 1934) als Referent für Geschichte in der Dienststelle Rosenberg; im Mai 1935 zum Professor ernannt, schlug er mehrere ihm angebotene Lehrstühle aus. Seit der Gründung seines Instituts galt er als führender deutscher Historiker, mit beträchtlichem Einfluss auf die Besetzung von Lehrstühlen und die Redaktionen von Fachzeitschriften. Ende 1941 wurde er nach Querelen mit Alfred Rosenberg als Direktor des Reichsinstituts beurlaubt. 50 ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 117. 51 Hierzu und zum Folgenden ausführlich: Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 6774. 52 Wie eng sie waren, hat Lokatis mit der Bemerkung pointiert, dass »die wichtigeren historischen Bücher des Instituts konzeptionell weniger dem Institut als der verlegerischen Gesamtkonzeption der HAVA verpflichtet« gewesen seien; »anscheinend ließ nicht Walter Franks Reichsinstitut, sondern die HAVA die deutsche Geschichte umschreiben«. Ebd., S. 70. 53 Krausnick verlegte bis 1945 bei der HAVA seine beiden bis zu diesem Zeitpunkt einzigen Buchpublikationen, nämlich als Hg. »Neue Bismarckgespräche« (1940) sowie 282 erbstücke des dhv Die Historiographie wiederum war nur ein Teil des geistes- und kulturwissenschaftlichen Gesamtprogramms der HAVA ab 1933. Hinzu traten Titel aus anderen Geisteswissenschaften; zu nennen sind neben der Philosophie, Germanistik, Orientalistik und Theologie auch schon frühzeitig z. B. die »Raumordnung«, die im Dritten Reich bekanntlich eine fatale Konjunktur erlebte, und ebenso die »politische Medizin« sowie weitere naturwissenschaftliche Disziplinen.54 Es ist vor diesem Hintergrund kein Zufall, dass die Hanseaten in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre zu einem der Hausverlage der DFG wurden und ab 1941 im Rahmen des »Kriegseinsatzes der Deutschen Geisteswissenschaften« – oder (benannt nach Paul Ritterbusch) der »Aktion Ritterbusch« – verlegerisch eine bedeutende Rolle spielten.55 Von ähnlich hoher Bedeutung wie ›zeitgemäße‹ Geschichts- und Kulturwissenschaften war schließlich das breitgefächerte verlegerische Programm der HAVA im Bereich der sog. Wehrforschung und der – kriegsbezogenen – Wirtschaftswissenschaften. Unter anderem wurde die HAVA zum Hausverlag der »Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrerziehung« bzw. der »Deutschen Gesellschaft für Wehrwissenschaften« als des ab 1933 zentralen Propagandisten der »Wehrwissenschaften«.56 Bis 1938 galt außerdem der Reichskriegsminister als »Schutzherr des Hauses«, nachdem die HAVA zu einem gewichtigen »Sprachrohr des Kriegsministeriums« (Lokatis) aufgestiegen war, das einschlägigen Ministerialbeamten und Offizieren ein Forum zur Werbung für den »Wehrgedanken« und allerlei historische Exkurse bot. Mindestens ebenso stark wie im Bereich der »Wehrwissenschaften« war die HAVA auf dem Markt für wirtschaftswissenschaftliche Fachliteratur präsent.57 In 54 55 56 57 »Holsteins Geheimpolitik in der Ära Bismarck 1886-1890« (1942). Krausnick (19051990), von 1959 bis 1972 Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München und Mitverfasser des Gutachtens für den Auschwitz-Prozess 1963 bis 1965, war seit 1932 NSDAP-Mitglied, von 1938 bis 1944 Mitarbeiter der »Zentralstelle der Nachkriegszeit« und wurde 1940 in die Archivkommission des Auswärtigen Amtes berufen. Trotz gewiß beeindruckender Autorennamen war die wissenschaftliche Bedeutung der HAVA nicht so groß, wie Lokatis (Hanseatische Verlagsanstalt, S. 74) dies meint. Zu diesem »Kriegseinsatz« vgl. Frank-Rutger Hausmann, »Deutsche Geisteswissenschaft« im Zweiten Weltkrieg: die »Aktion Ritterbusch« (1940-1945), 3. Aufl., Heidelberg 2007, bzw. (als Überblick) ders., Kriegseinsatz der Deutschen Geisteswissenschaften, in: Haar/Fahlbusch (Hg.), Handbuch, S. 338-344. Zur »Deutschen Gesellschaft für Wehrwissenschaften« (DGWW) ausführlich: ­Peter Kolmsee. Die Rolle und Funktion der Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften bei der Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges durch das faschis­ tische Deutschland (Diss.), Leipzig 1966; ders., Deutsche Gesellschaft für Wehr­politik und Wehrwissenschaften (DGW), 1933-1945, in: Lexikon zur Parteien­geschichte, Bd. 1, S. 704-710, sowie Jutta Sywottek, Mobilmachung für den totalen Krieg. Die propagandistische Vorbereitung der deutschen Bevölkerung auf den Zweiten Weltkrieg, Opladen 1976, S. 43 ff. Dazu gehörte das renommierte fünfbändige »Handwörterbuch des Kaufmanns«, der »Kleine Bott«, das biographische Nachschlagewerk »Deutsche Wirtschaftsführer« und zahlreiche weitere einschlägige bank- und handelswissenschaftliche Handbücher und 283 die verlage diesem Bereich hatte der Verlag weit vor der NS-Machtergreifung starke Wurzeln geschlagen. Unter Ziegler wurde diese Tradition ab 1933 umsichtig weiter ausgebaut, so dass die HAVA schon bald als der wirtschaftswissenschaftliche Verlag des Dritten Reiches gelten konnte. Ab 1935 gab der Hamburger Verlag u. a. die »Berichte des Instituts für Konjunkturforschung« und ebenso die »Halbjahresberichte« sowie die »Vierteljahreshefte« dieser von Ernst Wagemann geleiteten Forschungseinrichtung heraus.58 Darüber hinaus wurde die HAVA zum Hausverlag Wagemanns und seiner Mitarbeiter. Die intensive verlegerische Zusammenarbeit mit dem 1925 gegründeten und mit dem Statistischen Reichsamt verkoppelten Wirtschaftsinstitut zementierte die enge Kooperation, die das Institut für Konjunkturforschung ab Juni 1933 mit der DAF-Führung und deren Berliner Zentralämtern eingegangen war und die insbesondere dem Arbeitswissenschaftlichen Institut zugute kam.59 Daneben verlegte die HAVA Publikationen und Periodika des Hamburger Weltwirtschaftsarchivs.60 Gewonnen wurden außerdem so prominente Autoren wie Albrecht Czimatis, der später zum Leiter der wirtschafts- und wissenschaftspolitisch mächtigen »Reichsstelle für Wirtschaftsausbau« avancierte, die im Vorfeld des Vierjahresplanes als »Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe« gegründet worden war.61 Wenn die Verlagsanstalt ab 1935 außerdem drei Übersee-»Rund­schauen«, nämlich die »Ostasiatische Rundschau«, die »Afrika-Rundschau« sowie die »Iberoamerikanische Rundschau« herausbrachte, dann war dies keineswegs ­allein dem Verlagsort und realitätsfernen, nostalgischen Sehnsüchten der Hamburger Großkaufleute geschuldet.62 Das Diktum vom »Lebensraum im Osten« – ge- 58 59 60 61 62 284 Lexika (die zum Teil in anderen Verlagen bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Bundesrepublik immer neue Auflagen fanden). Hinzu kamen fachwissenschaftliche und fachdidaktische Zeitschriften, etwa »Welt des Kaufmanns« bzw. (ab 1934) »Deutsche Kaufmannspraxis« sowie (bis 1935) »Der deutsche Buchhandlungs­gehilfe«. U.a. verlegte die HAVA von Wagemann (1884-1956), von 1923 bis 1933 Präsident des Statistischen Reichsamtes, von 1925 bis 1945 Leiter des Instituts für Konjunktur­f orschung, eine ganze Reihe populärer Publikationen zum Thema Statistik. Hierzu und zum Folgenden ausführlich: Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt S. 43, 152-163. Zur engen Beziehung zwischen beiden Seiten vgl. Roth, Intelligenz und Sozialpolitik, bes., S. 130, 185 Vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 121. Czimatis (1897-1984), promovierter Ingenieur, seit 1931 Hauptmann einer ArtillerieBatterie (seit Dez. 1935 Major), veröffentlichte 1936 bei der HAVA eine Schrift mit dem Titel »Energie als Grundlage der Kriegswirtschaft«. Er löste Anfang 1938 Fritz Loeb als Leiter des »Amts für deutsche Roh- und Werkstoffe« ab. Unter ihm wurde dieses wichtigste Amt in Görings Vier­jah­res­plan­be­hörde zur »Reichsstelle für Wirtschaftsausbau« aufgewertet. Seit Jan. 1939 fungierte Czimatis als Verbindungsmann des Reichswirtschaftsministeriums zur Wehrmacht. Anfang Sept. 1939 nahm er als aktiver Offizier am Überfall auf Polen, später am »Frankreichfeldzug« und ab Sommer 1941 am Einmarsch der Wehrmacht in die Sowjetunion teil. Dies suggeriert Lokatis (Hanseatische Verlagsanstalt, S. 158), wenn er für die NS-Zeit von »einer in nationalen Kreisen nicht unbedingt selbstverständlichen Aufgeschlossenheit für Übersee« und Afrika spricht. erbstücke des dhv nährt durch Hans Grimm, der im Schwester-Verlag Langen-Müller publizierte, und sein Wort vom »Volk ohne Raum« – lässt leicht vergessen, dass gerade nationalsozialistische Funktionsträger trotz des Zusammenbruchs des Weltmarktes brennend an Informationen über Südamerika und stärker noch über den Fernen Osten interessiert waren. Dass Afrika im Fokus auch maßgeb­licher NS-Kreise lag, wurde 1940/41 virulent, als nach dem Blitzsieg über die ­Kolonialmacht Frankreich und mit den militärischen Erfolgen Rommels in Nordafrika Mitte 1942 allerorten Pläne für ein neues afrikanisches Kolonialreich und damit auch einen nordafrikanischen Zugang zum militärisch hochbedeutsamen Erdöl im Nahen Osten geschmiedet wurde.63 Nicht zuletzt die Arbeitsfront machte sich unmittelbar nach der Niederlage Frankreichs sehr konkrete Gedanken über eine künftige koloniale Sozialpolitik und begann Lehrgänge für diejenigen DAFFunk­tionäre vorzubereiten, die für den »Kolonialdienst« vorgesehen waren.64 Auch wenn die HAVA ab 1933 vor allem ihr wissenschaftliches Programm stärkte, gab sie deswegen belletristische Traditionen jedoch keineswegs auf. In dieser Hinsicht war für das bildungsbürgerliche Publikum, das zwischen Rechtskonservativismus und Faschismus changierte, und ebenso für die sich vor allem ab 1934 zunehmend verbürgerlichenden nationalsozialistischen Eliten,65 der Langen-Müller-Verlag zwar sicherlich attraktiver. Aber auch die HAVA 63 Vgl. vor allem Karsten Linne, »Weiße Arbeitsführer« im »kolonialpolitischen Ergänzungsraum«. Afrika als Ziel wirtschafts- und sozialpolitischer Kolonialplanungen in der NS-Zeit, Bremen 2002, bzw. ders., Deutschland jenseits des Äquators? Die NS-Kolonialplanungen für Afrika, Berlin 2008. Linne diskutiert zwar die Rolle des Hamburger Weltwirtschaftsarchivs für die Afrika-Planungen (»Weiße Arbeitsführer«, S. 208 ff.), geht jedoch auf die von Lokatis herausgearbeitete Rolle der HAVA in diesem Kontext nicht ein. Wie wichtig Nordafrika außerdem für ganz konkrete wirtschaftsstrategische Konzepte war, lässt sich namentlich den neueren Arbeiten von Dietrich Eichholtz (Krieg um Öl. Ein Erdölimperium als deutsches Kriegsziel (1938-1943), Leipzig 2006, bes. S. 110-115, bzw. ders., Deutsche Ölpolitik im Zeitalter der Weltkriege, Studien und Dokumente, bes. S. 437-446) entnehmen. 64 Linne, »Weiße Arbeiterführer«, S. 111 f., 114; ders., Deutschland jenseits des Äquators? S. 94-98. Die Unterlagen, die die Hanseaten boten, dürften neben den einschlägigen Expertisen des Arbeitswissenschaftlichen Institutes Grundlage der diesbezüglichen DAF-Schulung gewesen sein. Das kolonialpublizistische Programm der HAVA während der NS-Zeit knüpfte im Übrigen an ältere verlegerische Traditionen des Hamburger Verlages an. Zu denken ist dabei an die oben erwähnte Tirpitz’sche Schrift, außerdem an Titel, die an der Schnittstelle von volkswirtschaftlichem Sachbuch und politischer Bekenntnisschrift angesiedelt waren, etwa an die erstmals 1932 publizierte Schrift Wichard v. Moellendorffs »Konservativer Sozialismus«. Daneben erwarb die HAVA eine ganze Reihe von Zeitschriften, die das Renommee des Verlages innerhalb der neuen braunen Elite erhöhten, z. B. »Der deutsche Student«, das Zentralorgan der Deutschen Studentenschaft. 65 Zur Verbürgerlichung der NS-Funktionseliten vgl. Ulrich Herbert, Wer waren die Nationalsozialisten? Typologien des politischen Verhaltens im NS-Staat, in: Gerhard Hirschfeld/Tobias Jersak, (Hg.), Karrieren im Nationalsozialismus. Funktionseliten zwischen Mitwirkung und Distanz, Frankfurt a. M./New York 2004, S. 17-42, sowie Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, Bd. 1, S. 312-324. 285 die verlage hatte einige damals renommierte rechtskonservative oder faschistische Romanciers und Lyriker aufzubieten, zuvörderst Ernst Jünger. Jünger, der bereits ab 1930 freundschaftliche Kontakte zu leitenden Persönlichkeiten der HAVA unterhielt, veröffentlichte dort 1932 seinen »Arbeiter«, zwei Jahre später die EssaySammlung »Blätter und Steine« und im Jahr der Berliner Olympischen Spiele den Roman »Afrikanische Spiele«; »Feuer und Blut« und »Das abenteuerliche Herz« arbeitete Jünger noch vor Kriegsbeginn für Neuauflagen in der HAVA um. 1939 erschien schließlich der Roman »Auf den Marmor-Klip­pen«, der ein Renner im konservativen Bürgertum war und bis 1942 in einer Auflage von 82.000 verkauft wurde.66 Als weiterer Magnet für Bildungsbürger entpuppte sich Werner Bergengruen, dessen »Der Großtyrann und das Gericht« Ende 1935 in der Hanseatischen Verlagsanstalt erschien und bis 1941 60.000 mal verkauft wurde. Bemerkenswert ist, dass die für die Verlagspolitik letztverantwortliche TWU der DAF nicht gegen diese oder andere tatsächlich oder vermeintlich dissidente Schriften intervenierte – sondern sich vielmehr über den enormen Absatz der Bücher des HAVA-Erfolgsautors freute.67 Abgerundet wurde das belletristische Angebot der Hanseaten u. a. durch zahlreiche Romane und Erzählungen von NS-Erfolgs­autoren.68 66 Jünger (1895-1998), der vor allem mit seinem 1920 veröffentlichten Roman »In Stahl­ gewittern« (der erst ab 1934 Massenauflagen erreichte) zu einem der bekanntesten Kriegsautoren und einer Kultfigur der Weimarer Rechten aufstieg, wurde 1939 zum Kriegsdienst eingezogen und war von 1941 bis Mitte 1944 Besatzungsoffizier in Paris. Jüngers Kriegstagebuch »Gärten und Straßen« (1942) und der erste Band seines sechsteiligen Tagebuchs »Strahlungen« (1942) erschienen nicht mehr bei der HAVA. 67 Vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 96. Bergengruen (1892-1964), der den vom NS-Regime eingeleiteten »nationalen Aufbruch« begrüßte, aufgrund der »DreiviertelJudenschaft« seiner Frau und seines stark christlich getönten, rechtskonservativen Weltbildes jedoch mit NS-Organen in Konflikt geriet, publizierte neben dem »Großtyrann« bei der HAVA u. a. 1940 den Roman »Am Himmel wie auf Erden«, der wie der »Großtyrann« als Kritik der NS-Herrschaft interpretiert werden konnte, jedoch ebenso wenig verboten, im ersten Erscheinungsjahr vielmehr 61.000 mal verkauft wurde, oder 1939 den Novellenband »Die Leidenschaftlichen«, von dem bis 1943 55.000 Exemplare abgesetzt werden konnten. Zum hier lediglich grob skizzierten belletristischen Programm der HAVA vgl. ausführlich ebd., S. 89-101; ferner Meyer, Verlagsfusion, S. 132139; Friedländer u. a., Bertelsmann im Dritten Reich, S. 290. 68 Dazu gehörten die Romane von Gustav Schröer und Adolf Bartels, außerdem z. B. Hans Friedrich Bluncks »König Geiserich«. Von Richard Euringer (1891-1953), der bereits in den zwanziger Jahren der NSDAP beitrat und 1935 zum »Reichskultursenator« ernannt wurde, erschienen insgesamt 12 Titel bei der HAVA mit teilweise sehr hohen Auflagen. Heinz Steguweit (1897-1964), der in der Reichschrifttumskammer eine führende Rolle spielte, erreichte z. B. mit den von den Hanseaten verlegten »Jüngling im Feuerofen« Spitzenauflagen von 140.000 Exemplaren. Nach 1945 erzielte der u. a. von der »Bundeszentrale für den Heimatdienst« und dem »Westdeutschen Autorenverband« preisgekrönte Steguweit mit seinen Erzählungen erneut hohe Auflagen. 286 erbstücke des dhv In eigenständigem Fahrwasser, orientiert auf Bildungsbürger und Mittelstand sowie gut Freund mit der NS-Bewegung Angesichts der breitgefächerten Palette rechtsextremistischen Schrifttums belletristischer wie wissenschaftlicher Couleur verwundert nicht, dass das Renommee der HAVA innerhalb des nationalsozialistischen Milieus groß und die deutschnationalen Hanseaten zu den wenigen Verlagen gezählt wurden, die »in ihrem Wesen, ihrem Werden und ihrem Wirken […] im Kampf für den Nationalsozialismus und an der geistigen Erneuerung [den wesentlichsten] Anteil haben«.69 Insofern konnte die HAVA in den ersten Jahren der NS-Herr­schaft – gemeinsam mit dem in ihrem Kielwasser segelnden Langen-Müller-Verlag – als das Flaggschiff des DAF-Ver­lagsim­periums gelten. Das war freilich nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite bewegte sich die Hamburger Verlagsanstalt, und ebenso der Langen-Müller-Verlag, politisch-ideologisch de facto außerhalb der Arbeitsfront in eigenständigem Fahrwasser. Folgt man Lokatis, basierte der verlegerische Erfolg der HAVA auf der »Bewirtschaftung eines festen Kundenstammes mit vergleichsweise gut vorher­ seh­baren Kundenbedürfnissen«. Wenn der Hanseaten-Verlag ab 1933 seinen Kundenstamm erweiterte, dann nicht in die Industriearbeiterschaft – der das politische Hauptinteresse der DAF-Führung galt –, sondern in die neuen Eliten in Wirtschaft, Wissenschaft bzw. Hochschule, Politik und Militär und last but not least die bürgerliche Jugend hinein. Eine (nicht repräsentative) Markt­studie aus dem Jahre 1934, die die HAVA in enger Zusammenarbeit mit der NS-Stu­ dentenschaft erstellte und die etwa 10.000 Kunden der HAVA erfasste, ist hier aufschlussreich: Der Anteil der Arbeitnehmer, vor allem wohl der Angestellten als der traditionellen Klientel der HAVA, lag bei 21,8 %. Bereits danach folgte mit 20,2 % fast gleich­auf die nazifizierte bürgerliche Jugend (außerhalb der Angestelltenschaft). Wie stark sich das gebildete Bürgertum vom rechtskonservativen bis faschistischen Verlagsprogramm angezogen fühlte, weisen die für Lehrer, Studienräte und Hochschullehrer (16,4 %), für »Freie Berufe« (12,4 %) und für Beamte (6,3 %) ermittelten Prozentsätze aus. Die Geistlichen, deren Anteil mit 3,7 % unter den HAVA-Kunden gleichfalls weit über dem Bevölkerungsdurchschnitt lag, dürften fast ausschließlich protestantisch gewesen sein und zumeist den Deutschen Christen nahegestanden haben. Die hohen Prozentsätze an Kaufleuten und Gewerbetreibenden (5,1 %) sowie – zu einem Zeitpunkt, als gerade erst begonnen wurde, die Reichswehr auszubauen – an Offizieren (1,4 %) verweisen auf die beträchtliche Attraktivität der vor allem für diese Berufsgruppen konzipierten Spartenprogramme »Wehrwissenschaft« und »Handel/Wirtschaft«. 69 Gerhard Schröder, Aus dem Leben politischer Buchverlage, in: Der deutsche Student, 3/1935, Heft 6 (Juni 1935), S. 379-389, hier: S. 379, nach: Florian Triebel, Kultur und Kalkül. Der Eugen Diederichs Verlag 1930-1949 (Diss.), Konstanz 2001, S. 389. Neben der HAVA wurden lediglich der NSDAP-Zentralverlag Franz Eher Nachf. sowie zwei weitere kleinere Unternehmen mit diesem Lob bedacht. 287 die verlage Der sehr niedrige Anteil von Frauen an der HAVA-Kundschaft (5,4 %)70 bringt zum Ausdruck, dass die belletristischen, aber auch die wehrwissenschaftlichen und sonstigen Titel einem reaktionären bis faschistischen Männlichkeitsbild huldigten und kaum dazu angetan waren, ein weibliches Lesepotential – das freilich ohnehin weniger kaufkräftig war – zu begeistern. Eine so starke Orientierung auf Kundenschichten, die außerhalb des Verbandsinteresses des Eigentümers Deutsche Arbeitsfront lagen, ließ sich nur erreichen, wenn man sich eine relative Autonomie von eben diesem Eigentümer bewahrte. Verlegerische Unabhängigkeit gegenüber der DAF verschaffte sich die HAVA, indem sie zu zahlreichen wichtigen NS-Insti­tu­tionen und Vorfeldorganisationen der NSDAP engere Beziehungen aufbaute und sich eine möglichst vielfältige ›Organisationskundschaft‹ sicherte. Unabhängigkeit durch Abhängigkeit von vielen, auf diese Formel lässt sich die – alles in allem freilich nur begrenzt erfolgreiche – Strategie der HAVA-Füh­rung bringen. Die Liste der Organisationen und Institutionen, die die HAVA in den ersten Jahren der NS-Herr­schaft als Kunden an sich binden konnte, liest sich wie ein »Who is who« der NS-Bewegung: Neben der SS und ihrem SD, dem Reichswehr- bzw. Reichskriegsministerium sowie dem Reichsinstitut Walter Franks nahmen der Reichsnähr­stand, die NS-Frauen­schaft, der Bund Deutscher Mädel (BDM) und die Hitler-Jugend (HJ) gleich en gros Titel der HAVA ab, etwa das zum »Tag der Hitlerjugend« am 24. Juni 1933 auf den Markt geworfene »Hitlerbuch der Jugend« oder zum »Tag des deutschen Bauern« die Broschüre »Erntedankfest« – die innerhalb von drei Wochen vergriffen war – sowie das Laienspiel »Ewige Ernte« von Hans Franck. Überhaupt waren die zahlreichen neuen ›Feste‹ und Inszenierungen, die das braune Regime und seine Suborganisationen ab Januar 1933 einführten, ein willkommener Anlass, geeignete ›Ratgeber‹ zu produzieren. Darunter waren selbstverständlich auch zahlreiche Ratgeber für die Arbeitsfront, deren Funktionsträger der mittleren Ebene in den ersten Jahren der NS-Herrschaft in der Organisierung der DAF-typi­schen Inszenierungen noch wenig routiniert waren.71 Die wichtigste Organisationskundschaft außerhalb der DAF war der Arbeitsdienst. Sie resultierte aus der engen Bindung zwischen HAVA und DHV. Der DHV wiederum war 1932 und im ersten Halbjahr 1933 ein wichtiger Träger des »Freiwilligen Arbeitsdienstes« gewesen, ähnlich wie der Jungdeutsche Orden, 70 Angaben nach: Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 46, Anm. 11. 71 So erschien zum 1. Mai 1934 eine für den »Tag der nationalen Arbeit« verfasste Broschüre »Feste der Arbeit«. Zu den Schlageterfeiern Ende Mai 1933 brachte die HAVA 65.000 Exemplare eines Ladenhüters, der erwähnten Schlageter-Bio­graphie von Rolf Brandt, erfolgreich auf den Markt. Auch sonst konnte die HAVA auf ältere Titel zurückgreifen, etwa die Reihe »Feste und Feiern deutscher Art«, die zwischen 1926 und 1930 erschienen war; sie mussten nach dem Januar 1933 auf die »Anforderungen der Gegenwart« hin oft nur geringfügig modifiziert werden, um erfolgreich abgesetzt werden zu können. 288 erbstücke des dhv der Stahlhelm oder die NSDAP.72 Absatzmärk­te in den genannten und weiteren NS-Formationen und Verbänden verschaffte sich der HAVA-Vertrieb im Übrigen nicht in erster Linie über Vereinbarungen auf der Spitzenebene, sondern dadurch, dass er innerhalb der Statushierarchie der betreffenden Verbände gezielt untere und mittlere Funktionäre ansprach und diesen für den Weiterverkauf hohe Mengenrabatte in Aussicht stellte. Der Hamburger Verlag schuf sich so Absatzmärkte, auf denen Konkurrenten anfangs kaum zum Zuge kamen.73 Darüber hinaus fungierten die jeweiligen NS-Organisationen zudem indirekt als Werbeträger der HAVA in weite nationalsozialistische Kreise hinein. Weil die HAVA bereits während der gesamten Weimarer Republik als rechtsextremistischer Verlag ausgewiesen war, griffen Nationalsozialisten in der ersten Zeit meist unbesehen auf Produkte des Hanseaten-Verlages zu. Sie konnten sicher sein, dass der ihnen politisch-ideolo­gisch eng benachbarte Verlag in seinen Büchern, Broschüren und Zeitschriften politische Inhalte transportierte, die mit der eigenen Überzeugung übereinstimmten oder doch wenigstens große Schnittmengen aufwiesen. Das vormals dem DHV gehörende, nun von der DAF übernommene Verlagshaus verfügte als etabliertes Unternehmen in jeder Hinsicht über verlegerische Erfahrungen und eingespielte Routinen – ein Vorteil, der über die genannten Aspekte hinaus vor allem in der Anfangszeit der Diktatur schwer wog, als die NS-Bewegung sich mit der Adaption von Verwaltungsund Wirtschaftsroutinen schwer tat. Dieser Vorteil schwand in dem Maße, wie sich die neuen Machthaber etablierten und die genannten NS-Verbände ihre politischen Ambitionen durch den Aufbau eigener Verlage unterstrichen. Sie erkannten überdies schon bald, dass der Vertrieb von Broschüren, Zeitschriften oder gar Büchern lukrativ sein konnte, wenn man sich darauf innerhalb der eigenen Mas­sen­organisation das Monopol verschaffte; mindestens ließen sich durch den Aufbau eigener Verlage und Vertriebswege Kosten sparen. Bereits Ende 1934 begann sich deshalb der HJ-Buchhandel auf eigene Füße zu stellen. Andere Organisationen zogen nach. Nicht zuletzt die SS kupferte mit ihrem Nordland-Verlag und der angeschlossenen »Buchgemeinschaft für Polizisten« die Verlags- und Vertriebsstruktur der HAVA ab.74 Wenn sich die großen NS-Organisationen eigene Verlage zulegten und eigene Vertriebsstrukturen aufbauten, dann war dies außerdem auf die mindestens latente Furcht vor dem erwähnten politischen Totalitätsanspruch der Arbeitsfront zurückzuführen. Kontrahenten Leys und seiner DAF fürchteten, dass jene ihre Unternehmen einschließlich der Verlage einsetzen würden, um ökonomische 72 Vgl. Kiran Klaus Patel, »Soldaten der Arbeit«. Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933 – 1945, Göttingen 2003, S. 67 ff. Nach Patel verfolgte der DHV »mit dem Engagement im Arbeitsdienst ähnliche Zielvorstellungen wie die NSDAP«. Ebd., S. 85. 73 Zugute kamen der HAVA dabei vielfältige Erfahrungen im DHV-Umfeld bis 1933. Hierzu und zum Folgenden: Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 78 ff., 88 f., Zitat: S. 79. 74 Lokatis (ebd., S. 85) spricht von »glatter Kopie«. 289 die verlage Abhängigkeiten zu schaffen und diese dann zur politischen Einflussnahme zu nutzen. Vor dem Hintergrund, dass z. B. Walter Darré in den dreißiger Jahren zu den schärfsten Rivalen Leys zählte, ist es kein Zufall, dass sich die Beziehungen zwischen der HAVA und dem Reichsnährstand schon bald lockerten und in den Vorkriegsjahren schließlich ganz lösten. Ähnliches galt für Baldur v. Schirach und die Hitler-Jugend, deren Verhältnis zur DAF sich vor dem Hintergrund des von beiden Organisationen veranstalteten Reichsberufswettkampfes zwar einvernehmlicher gestaltete; die HJ wurde jedoch gleichfalls vom Verbandsimperia­ lismus der Arbeitsfront abgeschreckt. Unausgetragene Spannungen – das Verhältnis zwischen HAVA und DAF bis Kriegsbeginn Trotz aller verlegerischen Autonomie wurde die HAVA von der DAF und ihren Suborganisationen in den ersten Jahren der NS-Herrschaft auch als Hausverlag genutzt, da der Zentralverlag der Arbeitsfront anfangs nicht in der Lage war, den Bedürfnissen der DAF nach organisatorischer Selbstdarstellung und praktischen Ratgebern auf den verschiedenen Tätigkeitsfeldern der Organisation zu entsprechen. Dass sie mit der HAVA einen etablierten Verlag mit einem eingespielten Vertrieb besaß, der die Schulungs- und Bildungsaktivitäten des DHV über Jahrzehnte verlegerisch betreut hatte, musste der Führung der Arbeitsfront deshalb als Glücksfall erscheinen. So wie sich die DAF die Erfahrungen der in politischer Schulung und fachlicher Bildung eingespielten HAVA zunutze machte, profitierte der Hamburger Verlag seinerseits von der rasant expandierenden Bildungsarbeit der Arbeitsfront. Daneben verdankte insbesondere KdF den Hanseaten den raschen Aufbau ihres Geselligkeits- und Freizeitwesens. In den ersten Jahren wuchsen die HAVALektoren für »Freizeitliteratur« als (wie die DAF lobte) »praktische Mitgestalter unserer neuen deutschen Volkskultur« in die Rolle eines »konzeptionellen BrainTrusts« (Lokatis) für KdF hinein: Sie standen in »lebhafter Fühlungnahme« mit den Gliederungen dieser Organisation, und auch denen der HJ, des BDM usw., boten um­f assende Beratung und publizierten »praktische Gebrauchs­literatur für die Arbeit der For­mationen«.75 Der DAF-interne Absatzmarkt blieb dem Hanseaten-Verlag freilich nicht dauerhaft erhalten. Ab Mitte der dreißiger Jahre begann sich die DAF von ihrem Hamburger Verlag zu lösen. Zwar blieben relevante Bereiche der Arbeitsfront, 75 Neben einer Schriftreihe »Feste und Feiern deutscher Art«, einem »ersten Handbuch der Freizeitgestaltung im NS-Sinne«, Ratgebern für »Feste der Arbeit« und »Betriebs­ appelle und Kameradschaftsabende«, Liederbüchern oder Stücken für Laientheater gab der Hamburger Verlag zur internen Kommunikation der NS-Freizeitex­per­ten eine hauseigene Zeitschrift, die »Hanseatenkogge«, heraus, in der »alle Gliederungen und Persönlichkeiten in der Freizeitgestaltung« Erfahrungen und Über­legungen austauschen sollten. Vgl. (inkl. Zitate) ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 121 f., ferner Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 75 ff. 290 erbstücke des dhv wie die Reichsbetriebsgemeinschaft »Banken und Versicherungen«, bei der sich die HAVA eine Art Belieferungsmonopol gesichert hatte,76 den Hanseaten länger erhalten. Ein entscheidender und bald überlegener Konkurrent erwuchs dem Hanseaten-Verlag innerhalb der Organisation jedoch im verbandseigenen Zentralverlag. Dieser druckte und vertrieb ab der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre fast alle Publikationen und Zeitschriften der verschiedenen DAF-Äm­ter. Dieselbe Entwicklung ließ sich auch für einen anderen zentralen verlegerischen Bereich beobachten. Anfangs entwickelte sich die Anzeigenabteilung der HAVA zu einem Aktivposten, der der gesamten DAF zugute kam. Bereits in der Weimarer Republik galt die Hamburger Verlagsanstalt als das Unternehmen im rechtsextremistischen Lager, das die professionellsten Public-Rela­tions für die eigenen Produkte betrieb. Nach der NS-Machter­greifung stellte die HAVA dann der Arbeitsfront ihr eingespieltes Personal zur Verfügung, das mit geschickten Anzeigenkampagnen wesentlich für die enormen Auflagensteigerungen der DAF-Zeitschriften bereits während der Anfangsjahre der NS-Diktatur verantwortlich zeichnete. Dass die gesamte Anzeigenverwaltung der HAVA, nach Lokatis das »Prunkstück« des Verlages,77 bereits 1934 von Hamburg nach Berlin umzog, war da nur konsequent. Bis 1937 besaß die HAVA das Monopol auf die Akquirierung und Platzierung von Anzeigen in sämtlichen DAF-Zeitschriften. Die Anzeigenabteilung der Verlagsanstalt konnte auf diese Weise ihren Umsatz 1937 schließlich auf 2,7 Mio. RM steigern. Das war ein Viertel des Umsatzes der gesamten HAVA. Wie wichtig das DAF-Anzeigenmonopol war, zeigte sich, als dieses Anfang 1938 der HAVA entzogen wurde und auf den Zentralverlag der DAF überging78 – und sich hierdurch der Umsatz der Anzeigenabteilung der Verlagsanstalt im Geschäftsjahr 1938 mit 1,1 Mio. RM gegenüber dem Vorjahr mehr als halbierte.79 »… eine der einflussreichsten Kulturpositionen für das neue Deutschland«: der Langen-Müller-Verlag bis 1933 Legt man den Umsatz und die Zahl der Beschäftigten zugrunde, war die HAVA mehr als doppelt so groß wie die zweite Verlagsgruppe, die bis 1933 im Besitz des DHV war.80 Diese war das Resultat einer Fusion aus zwei renommierten Ver76 Vgl. ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 120; Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 155. 77 Dies und das Folgende nach ebd., S. 42 f. 78 Vgl. ebd., S. 43, 106, sowie unten. 79 Infolgedessen sank auch der Gesamtumsatz der Hanseaten von 8,4 Mio. RM 1937 auf 7,6 Mio. RM 1938 ab. Dass 1938 Österreich und die Sudeten dem Deutschen Reich eingegliedert wurden, der HAVA mithin neue Absatzmärkte zuwuchsen, machte sich erst 1939 bemerkbar, als der Umsatz um fast 30 % (27,6 %) auf 9,7 Mio. RM hochschnellte (Tabelle 3.1.). 80 Zum Umsatz vgl. Tabelle 3.1. Die Zahl der Beschäftigten des Langen-Müller-Verlages lag 1918 bei 115, 1934 bei 96 Arbeitern und Angestellten. In den Folgejahren stagnierte sie weiter und lag 1938/39 mit gut 80 Mitarbeitern sogar unter dem Niveau von 1918 291 die verlage lagsunternehmen, des 1893 gegründeten Albert Langen-Verlags sowie des 1903 entstandenen Georg Müller-Verla­ges. Langen galt weit über die in der Weimarer Republik breite rechte Szene hinaus als ambitionierter literarischer Verlag. Das Münchner Verlagshaus gab u. a. die Werke von Ludwig Thoma heraus, den die DAF als »größten bayerischen Dichter der Neuzeit« klassifizierte und dessen Gesamtauflage beim LMV 1939 bei knapp 1,5 Mio. Exemplaren lag.81 Ein Bestseller-Autor des Verlages war auch Hans Grimm, dessen »Volk ohne Raum« seit 1926 vom LMV mehr als 400.000 mal verkauft wurde. Hanns Johst, Erwin Guido Kolbenheyer und andere faschistische Schriftsteller, die später führende Positionen im NS-Lite­ra­turbe­trieb innehatten, waren ebenso wie Edgar J. Jung und andere Exponenten der Kon­ servativen Revolution weit vor 1933 zu Hausautoren des Langen-Verlages geworden. Daneben war das Unternehmen auf skandinavische Belletristik ausgerichtet und verlegte so prominente Autoren wie Selma Lagerlöf oder Knut Hamsun (mit einer Gesamt­auflage bis 1939 von 1,1 Mio.), zeitweilig außerdem Henrik Ibsen. Auch im nicht-literari­schen Bereich präsentierte sich der Langen-Verlag mit einem »auffallend disparaten Verlagsprogramm« (Andreas Meyer), in das auch z. B. die von Walter Gropius und László Moholy-Nagy herausgegebenen »Bauhausbücher« aufgenommen waren. Auch der Georg Müller-Verlag, der seit 1930 von Gustav Pezold geführt wurde,82 setzte prononciert bildungsbürgerliche Akzente. Ein Schwerpunkt waren literarische Klassiker wie Shakespea­re, Droste-Hülshoff und Baudelaire oder auch politische Klassiker wie Machiavelli. Zum Ärger des DHV brachte Pezold außerdem Heinrich Heines Sämtliche Werke heraus.83 Ansonsten aber, so attestierte der Chefideologe des DHV Wilhelm Stapel,84 der zugleich die Abtei- 81 82 83 84 und 1934. Die HAVA beschäftigte dagegen allein im Verlag Anfang 1939 knapp 600 Mitarbeiter (Tabelle 3.3). Einschließlich der großen Druckerei zählte die HAVA Mitte 1939 sogar 820 Belegschaftsmitglieder, mithin ungefähr zehnmal so viele Arbeiter und Angestellte wie der LMV. Die Geschichte der beiden Münchner DHV-Verlage während der Weimarer Republik und ihre schließliche Verschmelzung sind von Meyer (Verlagsfusion) ausführlich dargestellt worden. Die folgenden Zitate: ebd., S. 31, 59. ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 127. Pezold (1891-1961), der von 1931 bis zu seinem Ausscheiden Mitte Jan. 1938 auch der maßgebliche Mann des fusionierten Langen-Müller-Verlages wurde, hatte von 1920 bis 1930 die renommierte rechtskonservative Osiandersche Buchhandlung in Tübingen geführt. Heine wurde 1933, Shakespeare 1934 vom LMV abgestoßen. Auch Lion Feuchtwanger hatte beim Müller-Verlag veröffentlicht, mit diesem jedoch schon vor der Fusion mit Langen gebrochen. Der Antisemit, Anti-Republikaner und Stresemann-Gegner Stapel (1882-1954), als Redakteur der vom DHV gegründeten »Deutschen Volksstimme« ein zentraler Exponent der Konservativen Revolution und des deutsch-völkischen Protestantismus, stand der erwähnten Fichte-Gesellschaft und der mit dieser verbundenen Hamburger FichteHochschule vor. Seit 1918 gab er die DHV-Zeitschrift »Das Deutsche Volkstum« heraus. Profiliert hatte sich Stapel vor allem durch Schriften wie »Antisemitismus und Antigermanismus« (1928) sowie »Der christliche Staatsmann« (1932), die ihn als Anti- 292 erbstücke des dhv lung »Volks­tum« innerhalb der Hanseatischen Verlagsanstalt leitete,85 1927 dem Müller-Verlag bündig, war auch dieses Unternehmen dem Prinzip verpflichtet, »die Werte des Volkstums zu fördern«.86 Infolgedessen stand dem Erwerb des Ende der zwanziger Jahre überdies angeblich »unter jüdische Bestimmung zu fallen drohenden Verlages Georg Müller«87 durch den scharf antisemitischen DHV politisch gleichfalls nichts im Wege.88 Für den DHV war der Erwerb der Verlage Müller und Albert Langen, für den knapp drei Mio. RM89 aufgewendet werden mussten, betriebswirtschaftlich riskant. Insbesondere der Georg Müller-Verlag war verschuldet, seine Bilanzen waren geschönt. Bis 1933 blieb die wirtschaftliche Lage des LMV defizitär. Die wesentlich aus der wirtschaftlichen Not geborene Verschmelzung des Albert Langen-Ver­lags mit dem deutlich kleineren Georg Müller-Verlag im Mai 1931, die organisatorisch kaum Friktionen hervorgerufen zu haben scheint, hatte erhebliche Synergie­effekte zur Folge. Auch inhaltlich ergänzten sich die beiden in München ansässigen Verlage vorzüglich. So brachte das Unternehmen des 1917 verstorbenen Georg Müller mit August Strindberg seinerseits gleichfalls einen prominenten skandinavischen Schriftsteller in die Ehe mit dem Albert LangenVerlag ein. Es war nicht zuletzt die nordisch-germanische Ausrichtung, die die Verschmelzung beider Häuser aus der Sicht des DHV attraktiv machte und nach 1933 ein Schwerpunkt blieb. Verstärkt wurde mit der Fusion außerdem der traditionell starke deutsch-völ­kische Akzent, weil der Müller-Ver­lag seinerseits eine ganze Reihe heute unbekannter »Grenz- und auslandsdeutscher Dich­ter«90 in das gemeinsame Unternehmen einbrachte. Auch ökonomisch hatte der DHV mit seinen Verlagen Glück. Die Hanseatische Verlagsanstalt prosperierte, und auch der LMV stabilisierte sich 1932/33 – 85 86 87 88 89 90 semiten und »Theologen des Nationalismus« (DBE) ausweisen. Zu Stapels Stellung im rechts-protestantischen Milieu der Weimarer Zeit vgl. auch Manfred Gailus, Protestantismus und Nationalsozialismus. Studien zur nationalsozialistischen Durchdringung des protestantischen Sozialmilieus in Berlin, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 54, 73 f. Stapel leitete diese Abteilung bis Anfang 1938. Nach seinem Ausscheiden aus der HAVA nahm er Kontakte zum Konservativen Widerstand des »20. Juli« auf. So Stapel im DHV-Jahrbuch von 1927, S. 176, nach: Müller, Verlagsfusion, S. 31. Zitat: ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 116. Ökonomisch waren die Bedenken auf Seiten des DHV anfangs freilich erheblich. Vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 16. 1928 erwarb der Müller-Verlag dann Teile des 1855 gegründeten und in Leipzig ansässigen Avenarius-Verlags, in dem ab 1911 das Organ des rechten, faktisch von Stapel geleiteten Dürer-Bundes »Der Kunstwart« herausgegeben wurde. Im selben Jahr beteiligte sich der DHV außerdem am »Volksverein-Verlag« und dem »Verlag Alfred Roth«. Während der auf literarische Zeitschriften spezialisierte Avenarius-Verlag als eigenständiges Unternehmen innerhalb der DAFVerlagsholding weiter existierte, ist unklar, was mit den anderen Beteiligungen nach 1933 geschah. Die Summe schließt die Aufwendungen für den Erwerb des Dr. Benno-Filser-Verlages, Augsburg, ein, der 1930 abgewickelt wurde. Zum Folgenden (inkl. Zitat): Meyer, Verlagsfusion, S. 187 ff. Vgl. ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 127 ff. 293 die verlage nicht zuletzt dank einer 1931 auf den Markt geworfenen Volksausgabe des Grimm’schen Opus »Volk ohne Raum«, das im sich rechtsextremistisch radikalisierenden Bürgertum und Kleinbürgertum reißenden Absatz fand. Vor allem jedoch auf der politischen Ebene feierte der DHV die Übernahme der beiden Verlage als durchschlagenden Erfolg. Ein Vorstandsmitglied des DHV freute sich Mitte 1931, auf diese Weise habe man vorgebliche Absichten »der Juden« durchkreuzt, die darauf hinausliefen, »dass der geistige Besitz unseres Volkes von Volksfremden, ob sie nun Mosse oder Ullstein heißen, verwaltet wird«.91 Auch Beobachter aus dem demokratischen Lager der Weimarer Republik mussten dem DHV attestieren, mit Übernahme und Fusion des Langen-Müller-Verlages einen großen Coup gelandet zu haben. So konstatierte das »Berliner Tageblatt« am 19. Juni 1931 eine »literarische Diktatur der deutschnationalen Handlungs­ gehilfen«. Und die DAF lobte retrospektiv, dass der DHV mit der Fusion des Jahres 1931 »eine der einflussreichsten Kulturpositionen für das neue Deutschland« geschaffen habe.92 Der Langen-Müller-Verlag unter der Ägide der DAF (bis 1939) Diese letzte Bemerkung war durchaus zutreffend. Der Verlag arrangierte sich weitgehend reibungsfrei mit den neuen Verhältnissen. Es kam zu »keiner erkennbaren Korrektur der bisherigen Verlagspolitik«, wie Andreas Meyer als Chronist des Münchner Verlages lakonisch notiert. Sie war auch nicht notwendig, hatte der Langen-Müller-Verlag mit seinem literarischen Programm und den »Kulturpositionen«, die sich darin spiegelten, tatsächlich einer faschistischen Diktatur in breiten Schichten der ›besseren‹ Kreise den Boden bereitet. So nimmt es denn nicht wunder, dass in der im Juni 1933 in »Deutsche Akademie für Dichtung« umbenannten Sektion für Dichtkunst in der Preußischen Akademie der Künste Hausautoren des LMV fast unter sich waren, nachdem Lyriker und Romanciers, denen der Verlag schon Jahre, mitunter Jahrzehnte vor der »Machtergreifung« zu Ruhm, Ehre und hohen Auflagen verholfen hatte, mit der Installierung des »Kabinetts der nationalen Einheit« dort tonangebend geworden waren. Namen von langjährigen Hausautoren des LMV wie den Blut- und Boden-Literaten93 Hans Grimm, Hanns Johst, Erwin Guido Kolbenheyer, Hans Friedrich Blunck, Paul Ernst oder Will Vesper zeugen vom hohen literaturpolitischen Renommee, das der LMV unter den gebildeten NS-Funktionsträgern und in einem national91 Albert Zimmermann, Was geht der Albert-Langen-Verlag den deutsch-nationalen Handlungsgehilfen an? In: Deutsche Allgemeine Zeitung vom 21. Juni 1931, nach: ­Hamel, Völkischer Verband, S. 144. Daraus auch das folgende Zitat. 92 ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 116. 93 Die »Blut- und Boden«-Metapher ist durchaus auch wörtlich zu nehmen: Im Unterschied zu den verfemten »Asphalt-Literaten« erwarben sich die mit opulenten Honoraren ausgestatteten Hausautoren des LMV bzw. der HAVA wie Blunck, Ernst, Grimm, Vesper und andere schon bald nach der NS-Machtergreifung Landgüter. Vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 102, Anm. 90. 294 erbstücke des dhv sozialistisch infizierten Bürgertum genoss.94 Mit Blunck, dem schreibfleißigen Autoren in erster Linie der HAVA, der aber auch beim Münchner Verlag der Arbeitsfront verlegte, und Johst waren die Vorsitzenden der »Deutschen Akademie für Dichtung« und ebenso die Präsidenten der Reichsschrifttumskammer dem Langen-Müller-Verlag eng verbunden. Die Entscheidungsträger auf Seiten der DAF, insbesondere der ab 1938 für Aufsicht und Kontrolle auch der Verlage verantwortliche Chef der TWU Hans Strauch, wussten die literarische Reputation dieser Autoren zu schätzen. Ohnehin hatte Strauch, folgt man Lokatis, mäzenatische Allüren zu entwickeln begonnen. Jedenfalls tastete er die weiterhin durch die Jungkonservativen im Verlagshaus geprägte, bildungsbürgerliche Unternehmenskultur wie schon bei der HAVA auch beim LMV nicht an. Kritik am Verlagsprogramm wehrte er ab. So entgegnete er noch 1939 auf das Ansinnen von dritter Seite, bei den Autoren des LMV auf eine »strengere nationalsozialistische Ausrichtung« zu drängen, dass die TWU sich auch künftig zurückhalten und die LMV-Leitung »den Verlag in schöngeistiger Hinsicht in der bisherigen Form weiterführen« werde.95 Diese Strategie zahlte sich aus. Seit 1934/35 war der Langen-Mül­ler-Verlag auch ökonomisch in der Erfolgsspur. Er warf Gewinne ab96 und konnte seinen Umsatz deut­lich erhöhen. 1932 hatte der Umsatz bei 1,2 Mio. RM gelegen, bis 1937 hatte er sich auf 3,2 Mio. RM fast verdreifacht. 1940 erreichte der Umsatz des LMV schließlich 5,5 Mio. RM (Tabelle 3.1.). Wer kaufte und wer las nun die Bücher des Langen-Müller-Verlages? Genauere Daten zur Zusammensetzung der Kundschaft liegen zwar nicht vor. Die für den Hanseaten-Verlag konstatierte Orientierung auf die herrschenden Schichten der Diktatur und hier wiederum besonders den Elitenachwuchs dürfte aber mindestens ebenso für den Langen-Müller-Ver­lag gegolten haben. Da das Verlagsprogramm des LMV belletristisch war und im Unterschied zu dem der HAVA nicht bestimmte Berufsgruppen ansprach, werden Kaufleute und Offiziere nicht, wie bei den Hanseaten, überrepräsentiert, sondern entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtheit des Bürgertums und Kleinbürgertums vertreten gewesen sein. Wie hoch der Anteil der Frauen war, lässt sich nicht ausmachen; sicher ist allerdings, dass er deutlich über dem der ausgesprochen männlichen Kundschaft der HAVA lag. Formal gestaltete sich die Übernahme der beiden DHV-Verlage durch die DAF in den ersten Jahren der NS-Herrschaft komplizierter als die der Büchergilde Gutenberg mitsamt dem Buchmeister-Verlag, der Verlagsgesellschaft des 94 Neben den genannten gehörten außerdem Friedrich Griese, Wilhelm Schäfer und Emil Strauß als LMV-Autoren der Dichter-Akademie an. Vgl. ebd., S. 4, 103; außer­ dem Hans Sarkowicz/Alf Mentzer, Einleitung zu: dies. (Hg.), Literatur in NaziDeutschland. Ein biografisches Lexikon. Erweiterte Neuausgabe, Hamburg/Wien 2002, S. 14 ff.; Hillesheim/Michael, Lexikon; Barbian, Literaturpolitik, S. 30 f. 95 Aufsichtsratssitzung des LMV vom 25. Febr. 1939, nach: Meyer, Verlagsfusion, S. 218. 96 Die Dividende lag 1935/36 und 1936/67 bei zehn, in den folgenden Jahren bei sechs Prozent. Vgl. ebd., S. 192 f. 295 die verlage ADGB und der »Sieben-Stäbe-Verlags- und Druckerei GmbH« (auf die unten einzugehen sein wird). Aufgrund der Selbstgleichschaltung des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes blieben die Hanseatische Verlagsanstalt wie der Langen-Müller-Verlag de jure selbständig. Faktisch war die Eigentümerschaft der Arbeitsfront unstrittig, nachdem Ende Juni 1933 die alte Spitze des DHV abgelöst worden war und durch den Ley loyal ergebenen August Haid sowie weitere Gefolgsleute des DAF-Chefs ersetzt wurde.97 Anfang 1934 übernahm die kurz zuvor gegründete TWU die Aufsicht über die ehemaligen DHV-Verlage. Im November 1935 wurden sie dann auch offiziell dem Arbeitsfront-Konzern einverleibt.98 Bis Frühjahr 1939 besaß der LMV eine nominell selbständige Tochtergesellschaft: Ähnlich wie die HAVA suchte sich der Langen-Müller-Verlag recht erfolgreich auch für den weiten Bereich der NS-gesteuerten Freizeitgestaltung und der abendlichen Unterhaltung zu profilieren, allerdings nicht durch eine Erweiterung des Verlagsprogramms, sondern durch einen separaten »Theaterverlag«, der seinen Sitz in Berlin hatte und dem Langen-Müller-Verlag gleichsam in den Schoß gefallen war. Während der Weimarer Republik firmierte das 1920 gegründete Unternehmen als »Bühnenvolksbund Verlag«. An diesem Bühnenvolksbund e.V. wiederum war der DHV maßgeblich beteiligt gewesen. Er wurde 1933 aufgelöst. Die Führung des LMV, die hier eine Chance witterte, dessen systemkonformes literarisches Programm um eine wichtige Facette zu erweitern, kaufte den kleinen Verlag auf und taufte ihn Mitte Juli 1933 in »Theaterverlag Albert Langen/Ge­org Müller GmbH« um. Dieser LMV-Theaterverlag druckte, wie die 97 Haid (1891-?), der eine kaufmännische Lehre absolviert und eine Handlungsfortbildungsschule besucht hatte, war ein altgedienter DHV-Funktionär der mittleren Ebene. 1908 war er in den DHV eingetreten, 1919 wurde er beim DHV hauptamtlicher Kreisgeschäftsführer. Von Ende Juni 1933 bis Febr. 1934 amtierte Haid, der 1928 in die NSDAP eingetreten war, als Vorsitzender des DHV sowie (unter dem Danziger NSDAP-Gauleiter Albert Forster) als stellvertretender Führer der »Deutschen Angestelltenschaft« der DAF. Von Nov. 1934 bis Anfang 1936 übertrug Ley ihm die Führung des DAF-Berufsgruppenamtes. Im Febr. 1936 musste sich Haid wegen parteischädigenden Verhaltens (»unsittliche Handlungen«) vor dem NSDAP-Gaugericht Hamburg verantworten. Das Verfahren wurde zwar bald eingestellt; die Karriere Haids hatte jedoch einen Knick erhalten. Bis Anfang 1937 leitete er die Berufskrankenkasse der Angestellten in Hamburg. Danach übernahm er in der Hansestadt den Posten des NSDAP-Gauschatz­mei­sters. Zu Haid und zum Prozess der Selbstgleichschaltung des DHV: Hamel, Völkischer Verband, S. 265 ff. Zu den kurzzeitigen Friktionen, die die Übernahme vor allem der HAVA durch die DAF auslöste, vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 36-41. 98 Als Gesellschafter der Langen-Müller-Verlags GmbH firmierten die TWU mit anfangs 1,05 Mio. RM sowie die Vermögensverwaltung der DAF mit 0,15 Mio. RM am Grundkapital des LMV. Im Mai 1936 wurde das Stammkapital auf 400.000 RM herabgesetzt. Davon hielt die TWU 350.000 RM, die Vermögensverwaltung die übrigen 50.000 RM. Notwendig wurde die Senkung des Grundkapitals, weil TWU und Vermögensverwaltung auf die Rückzahlung von Darlehen in einer Höhe von insgesamt 820.000 RM verzichteten. 296 organisationsverlage DAF 1939 stolz resümierte, »gute deutsche Volksspiele für die NS.-Formatio- nen und Vereine« in einer eigenen Reihe unter dem Namen »Volksspieldienst«, die »als eine der wesentlichsten Sammlungen wertvoller Volksspiele anerkannt und weit verbreitet ist«. Darüber hinaus gab er im nationalsozialistischen Sinne »künstlerisch wertvolle Theaterstücke« heraus.99 Im Unterschied zum Mutterunternehmen blieb der kleine Berliner Verlag freilich defizitär und wurde ein halbes Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkrieges unter Ausschluss einer förmlichen Liquidation deshalb unmittelbar auf den LMV als hundertprozentigen Eigentümer übertragen. 5.3. Der Zentralverlag der DAF, die Büchergilde Gutenberg und weitere Organisationsverlage Der Zentralverlag der DAF – ein Verlag ganz anderen Typs Der Langen-Müller-Verlag und die Hanseatische Verlagsanstalt waren traditionsreiche Unternehmen. Der Zentralverlag der Arbeitsfront war dagegen de facto eine Neuschöpfung, auch wenn er auf die Produktionseinrichtungen zweier Verlage vormaliger Gewerkschaften zurückgreifen konnte. Aber nicht nur in dieser Hinsicht unterschied er sich von der HAVA und dem LMV. Hauptaufgabe des Zentralverlages war die Produktion von Presse- und Schulungsmaterial für die Arbeitsfront. Er war ein Agitprop-Unter­neh­men und besaß für die verlegerische Produktion der DAF im engeren Sinne eine Art Monopol. Außerdem konnte er darauf hoffen, mindestens in der Aufbauphase der Arbeitsfront mit Zuschüssen seitens der finanziell üppig ausgestatteten Gesamtorganisation bedacht zu werden. Da er seinen Sitz in Berlin hatte und die Ämter und Abteilungen der Arbeitsfront deshalb penibler als bei dem Münchner und bei dem Hamburger Unternehmen darüber wachen konnten, was in ›ihrem‹ Zentralverlag geschah, war der Zentralverlag nicht nur direkter mit den Wünschen der Zentralämter bzw. der Organisationsleitung konfrontiert, sondern auch Pressionen unmittelbarer ausgesetzt als die Hamburger HAVA oder der Münchner LMV. Dies galt nicht zuletzt für die Zeit ab 1938, als die neuformierte Zentralverwaltung für Finanzwirtschaft und die TWU unter Strauch sorgfältiger als in der ›Ära Brinckmann/Boltz‹ darauf achteten, dass die Arbeitsfront ihre Schriften möglichst kostengünstig produzierte. Für die DAF-Führung war der Berliner Verlag bis 1938 »kein eigentliches Wirtschaftsunternehmen mit Risiko, sondern eine Abteilung der DAF, die sehr viel Geld verbrauche«.100 Das sollte unter der neuen TWUFührung seit Mitte 1938 durch die Einführung genauer organisationsinterner Verrechnungen abgestellt werden; allerdings gelang dies nur begrenzt. 99 Alle Zitate: ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 131. 100 Gespräch Leys mit Pezold am 23. Febr. 1938, nach: Lokatis, Hanseatische Verlags­ anstalt, S. 116, Anm. 119. 297 die verlage Der Sitz in Berlin barg freilich auch Vorteile. Nicht zuletzt konnten die maßgeblichen Akteure des Zentralverlages allein aufgrund der räumlichen Nähe unmittelbarer auf die DAF-Führung Einfluss nehmen als der Hamburger oder der Münchner Verlag. Auch organisationsintern waren sie infolge dieser Herrschaftsnähe besser vernetzt. Dies wusste nicht zuletzt Eberhard Heffe als die entscheidende Figur des Zentralverlages zu nutzen. Heffe war wie so viele andere DAF-Funktionäre 1919 in Freikorps politisch sozialisiert worden und 1920 auf Seiten der extremen Rechten im Baltikum aktiv gewesen. Ab Mitte der zwanziger Jahre hatte er im Berliner Verlagswesen einschlägige Erfahrungen gesammelt.101 Wann genau Heffe die Leitung des Buchmeister-Verlages und der Büchergilde Gutenberg übernahm, ist nicht ganz klar. Mitte 1934 firmierte er jedenfalls als »Verlagsleiter«;102 wahrscheinlich übernahm er die Leitung der beiden freigewerkschaftlichen Unternehmen im April 1934. Im August 1935 erhielt Heffe dann das Amt des »Beauftragten für die Verlagsunternehmungen der DAF«. Anfang September 1936 wurde er förmlich zum Geschäftsführer und Leiter nun des Zentralverlages der DAF bestimmt, um (so Strauch) »die Zusammenfassung aller Verlag- und Druckereiunternehmungen der Deutschen Arbeitsfront mit Ausnahme zweier selbständig bleibender [HAVA und LMV, R.H.] zu einer Organschaft unter Führung des Verlages der DAF vorzubereiten«.103 Die Büchergilde Gutenberg und der Buchmeister-Verlag In den ersten Monaten und Jahren nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten bestand Heffes Hauptaufgabe darin, den Buchmeister-Verlag und vor allem die Büchergilde Gutenberg, »von alten gewerkschaftlichen Schlacken zu befreien«, wie Strauch 1944 resümierte.104 Dies tat Heffe offenbar gründlich. Entgegen kam ihm, dass sich das Verhalten der Spitze der »alten« Büchergilde Gutenberg im Frühjahr 1933 gegenüber den neuen braunen Machthabern grundsätzlich nur wenig von dem der Vorstände der Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, der Volksfürsorge, des Zentralverbandes deutscher Kon101 Heffe (1899-1972), der nach der Novemberrevolution zunächst im Landesinnern in verschiedenen Freikorps aktiv war und diese Tätigkeit Anfang der zwanziger Jahre als »Militär-Kriminal­berater« in der »Eisernen Division Kowno« im Baltikum fortsetzte, war danach zunächst als Sachbearbeiter beim Magistrat von Berlin beschäftigt. Ab 1924 wurde Heffe im Verlagswesen tätig, u. a. bei Julius Springer und der August Scherl GmbH (Hugenberg-Konzern). 1930 übernahm er dann die Geschäftsführung eines landwirtschaftlichen Verlages. Der NSDAP hatte er angeblich bereits 1921 bis 1923 angehört; 1930 trat er ihr erneut bei. 102 Vgl. Schreiben Heffes an die NSBO innerhalb der Obersten Leitung der NSDAP, vom 13. Aug. 1934 (in: BA Berlin [BDC], PK E 0064), in dem er erklärte, er »werde, wie bisher, auch künftig gern das Arbeitsgebiet ›Jugendertüchtigung‹ übernehmen«. Wahrscheinlich war er bereits zu diesem Zeitpunkt in dem in Entstehung begriffenen, noch nicht konsolidierten Zentralverlag der DAF in leitender Position beschäftigt. 103 Nach: Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 105. 104 Zeugnis Strauchs über Heffe vom 31. Mai 1944, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 55. 298 organisationsverlage sumgenossenschaften oder der dem ADGB nahestehenden Wohnungsbaugenossenschaften unterschied. Man versuchte zu überleben, indem man sich an das »Kabinett der nationalen Ein­heit« und die tonangebenden Nationalsozialisten anbiederte und sich von den freien Gewerkschaften distanzierte, obwohl die ihrerseits bereits von der SPD abgerückt waren.105 Einige führende Akteure der Büchergilde um ihren Gründer und Geschäftsführer Bruno Dreßler emigrierten in die Schweiz und bauten in Zürich eine Exil-Gilde auf.106 Die übrigen warteten gelähmt und resigniert ab, was die neuen Machthaber mit ihnen sowie der Mitgliedschaft der Büchergilde vorhatten.107 Wie bei allen anderen freigewerkschaftlichen Unternehmen wurde auch der Vorstand der Büchergilde Gutenberg und ihres Buchmeister-Verlages108 am 2. Mai 1933 abgesetzt. Genau eine Woche später wurde die Büchergilde dann offiziell zunächst durch die NSBO übernommen. Der NSBO-Landesobmann für Westfalen-Nord Walter Nagel, der sich im Mai 1933 in Berlin am Beginn einer großen Karriere glaubte, ernannte sich zum kommissarischen Vorsitzenden des »Bildungsverbandes der Deutschen Buchdrucker« und setzte in dieser Funktion Otto Jamrowski zum kommissarischen Leiter der Büchergilde Gutenberg ein. Jamrowski war anscheinend auch der erste Direktor des Zentralverlages der 105 Vgl. Dragowski, Büchergilde Gutenberg, S. 136 ff.; Scholl, Büchergilde Gutenberg, S. B 101. 106 Die Exil-Gilde zählte gegen Ende des Zweiten Weltkrieges mehr als 100.000 Mitglieder, die sich im Unterschied zur »Mutter«-Gilde allerdings aus einem überwiegend bürgerlichen und kleinbürgerlichen Publikum rekrutierten. Vgl. Beate Messerschmidt, »… von Deutschland herübergekommen«? Die Büchergilde Gutenberg im Schweizer Exil, München 1989; ferner Dragowski, Büchergilde Gutenberg, S. 139 ff. Neben der prosperierenden Schweizer Exil-Büchergilde mit Hauptsitz in Zürich bauten Emigranten aus dem Dunstkreis Dreßlers (1879-1952) auch in Prag und Wien ExilGilden auf. Die Wiener Exil-Gilde zählte 1934 etwa 8.500 Mitglieder. Sie wurde im März 1938, die kleinere Prager Exil-Gilde nach dem Einmarsch der Deutschen in die »Rest-Tschechei« Mitte März 1939 aufgelöst. 107 Die Klientel der im Oktober 1924 vom »Bildungsverband der [freigewerkschaftlichen] Deutschen Buchdrucker« auf genossenschaftlicher Basis gegründeten Büchergilde Gutenberg war von Anbeginn proletarisch gewesen. Nominell firmierte die Büchergilde als eigenständige Abteilung des Verlages des Buchdrucker-Bildungs­verbandes. Nach außen wirkte sie wie ein sozialdemokratisches Parteiunternehmen; die in ihrem Auftrag produzierten und von ihr vertriebenen Titel wurden in den Publikationen der SPD inseriert. Zudem durfte sie die Einrichtungen sozialdemokratischer Unternehmen, etwa die des Dietz-Verlages, nutzen. Vgl. Bruno Dreßler, Büchergilde Guten­ berg, in: ADGB Berlin-Brandenburg (Hg.), Unternehmungen der Arbeiterbewegung, S. 113-117, sowie die Darstellungen von Scholl, Dragowski und Messerschmidt; ferner Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 306. 108 Der Buchmeister-Verlag war der juristische Mantel für die verlegerischen Aktivitäten der Büchergilde, da die Buchgemeinschaft selbst nicht unmittelbar als Druckerei und Verlag tätig werden konnte. Vgl. ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 105. Hervorgegangen war der Buchmeister-Verlag aus der 1922 vom Bildungs­ verband der Deutschen Buchdrucker erworbenen Leipziger Druckerei »Freie Presse«, die der Bildungsverband 1924 in die Gründung der Büchergilde einbrachte. 299 die verlage Arbeitsfront. Seine Tätigkeit blieb freilich nur von kurzer Dauer. Nicht nur Nagel fiel 1934 den DAF-internen Machtkämpfen zum Opfer.109 Auch Jamrowski musste gehen.110 Statt seiner trat Heffe an die Spitze der Büchergilde. Ähnlich wie die Volksfürsorge (und auch andere Buchgemeinschaften) war die »Gemeinschaft von Bücherlesern der arbeitenden Klasse«, wie die Büchergilde Gutenberg auch genannt wurde, auf einen nebenamtlichen Vertrauensleute-Korpus angewiesen, der die Gebühren für die Buchgemeinschaft kassierte und den Mitgliedern die Pflichtbücher überbrachte.111 Diese auf Honorarbasis tätigen Vertrauensleute waren in den Milieus der Sozialdemokratie verankert, hatten zahlreiche Mitglieder der Büchergilde geworben und dieser das Gros der Mitgliedschaft selbst auf dem Höhepunkt der Krise der freigewerkschaftlichen Buchgemeinschaft erhalten. Ihnen gegenüber musste die DAF-Leitung Sensibi­ lität walten lassen, wollte sie nicht die Existenz der vom Buchhandel heftig befehdeten Büchergilde und ebenso des Buchmeister-Verlages unmittelbar gefährden. Wie prekär die Lage war, machte Heffe Ende 1935 mit der Bemerkung deutlich, »als wir die Macht übernahmen« sei die Basis der Büchergilde auf »etwa 25 000 Mitglieder, ehemalige Marxisten«, geschrumpft. Das allerdings war eine Aussage, die nicht zutreffend war und die Heffes ›Ver­dienste‹ um den Erhalt der vormals freigewerkschaftlichen Buchgemeinschaft grob übertrieb. Zu Austritten der geschmähten »Marxisten« kam es erst ab Anfang Mai 1933. Bis dahin hatte die Büchergilde ihren Bestand an Mitgliedern, der zu Beginn der Krise bei etwa 75.000 gelegen hatte, aufgrund kräftig ermäßigter Gebühren sogar auf 85.000 erhöhen können. Erst mit der Übernahme der Büchergilde durch die DAF kam es zu einer – vorübergehenden – Austrittswelle (Tabelle 3.2.). 109 Nagel (1901-?), Bergbauingenieur und Grubensteiger, fungierte von Juli 1931 bis April 1934 als Landesobmann der NSBO für das nördliche Westfalen und wurde im Mai 1933 als Gauwalter der DAF für Westfalen eingesetzt. Im April 1934 wurde er auf Betreiben Leys wegen »partei­schä­digenden Verhaltens« amtsenthoben und im Aug. 1934 aus der NSDAP ausgeschlossen. In einem anschließenden Strafverfahren wurde Nagel zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. 110 Wann Jamrowski die Leitung niederlegen musste, ist unklar. In Degeners Wer ist’s von 1935 (Zeitgenossenlexikon, Berlin 1935, S. 750) findet sich zu ihm die knappe Eintragung »bis 31. 1. 35 Geschäftsführer der Zeitung ›Der Deutsche‹«; sie war das zentrale Blatt der NSBO und wurde im Zuge der Entmachtung dieser Organisation Anfang 1935 schließlich eingestellt. Zum Zeitpunkt des Erscheinens von Degeners Wer ist’s von 1935 fungierte Jamrowski noch als »Vorstand der Berliner Druck- und Zeitungsbetriebe A.G.« sowie als »Direktor des Zentralverlags, G.m.b.H.«, d. h. des Zentralverlags der DAF. In den gängigen Darstellungen zur Büchergilde finden sich – über die in allen einschlägigen Darstellungen wiederholte Bemerkung, dieser sei ein SA-Sturmführer gewesen – keine Hinweise zur Biographie von Jamrowski. In den offiziösen Publikationen der (eigentlich selbstdarstellungs-freudigen) Arbeitsfront finden sich ebenso wenig Hinweise auf die Frühgeschichte des Zentralverlages. Sie war offenbar nicht sonderlich ruhmreich. 111 Im Sept. 1926 lag die Zahl dieser Vertrauensleute bei 539. Vgl. Dragowski, Büchergilde Gutenberg, S. 156. Zahlen für die folgenden Jahre liegen nicht vor. Zu vermuten steht, dass sie zu Beginn der Wirtschaftskrise bei zwei- bis dreitausend lag. 300 organisationsverlage Um den verbleibenden schmalen Bestand an Mitgliedern zu halten und langfristig wieder »erfolgreich arbeiten zu können, konnte der Vertrauensapparat im Reich nicht radikal umgestellt werden«. Deshalb seien, so Heffe in seinem Bericht Ende 1935 weiter, »von Fall zu Fall die alten Vertrauensleute in ihrer Funktion belassen [worden], um damit die Verbindung mit den Arbeitern selbst aufrecht zu erhalten und die Aufgabe einer weltanschaulichen Beeinflussung zu lösen«.112 Diese Aufgabe scheinen Heffe und seine Leute zur Zufriedenheit der DAF-Führung bewältigt zu haben. Jedenfalls finden sich – im Unterschied zu entsprechenden Bemerkungen über den freilich auch weit umfänglicheren ehrenamtlichen Mitarbeiterstab der Volksfürsorge und zu den gleichfalls sehr viel zahlreicheren Beschäftigten der Konsumgenossenschaften – in den Quellen keine Klagen darüber, dass der Vertrauensleute-Korpus der Büchergilde Gutenberg zu einer marxistischen »Brutstätte« oder ähnlichem geworden sei.113 Spätestens 1936 konnten Büchergilde und Buchmeister-Verlag zudem auch ökonomisch als konsolidiert gelten. An den äußeren Daten gemessen konnte die 1924 gegründete Büchergilde Gutenberg an die Jahre vor 1933 nicht nur anknüpfen. Zahlenmäßig übertrafen Heffe und seine Leute schon bald die Erfolge der freigewerkschaftlichen Büchergilde während der Weimarer Republik deutlich: Zu Beginn der Weltwirtschaftskrise war die Buchgemeinschaft des ADGB mit etwa 75.000 Mitgliedern ungefähr doppelt so groß gewesen wie die Deutsche Hausbücherei des DHV (Tabelle 3.2.). Für den kurzzeitig dramatischen Mitgliederrückgang dürfte neben der Ungewissheit, welches Schicksal den beiden Buchgemeinschaften nach ihrer Übernahme durch die DAF bevorstehen würde, auch der massive Druck des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler verantwortlich gewesen sein. Der hatte Mitte April 1933 den »Abbau der Buchgemeinschaften aller Art und ihre Überführung auf den Verlag zur Herstellung, auf das Sortiment zum Vertrieb« gefordert114 und dabei nicht zuletzt die Büchergilde im Blick gehabt. Diese Krise währte allerdings nur kurz. Seit dem Herbst 1933 wuchs die Gemeinde der GildeMitglieder erneut, anfangs freilich nur langsam. Erst 1936 – als die Familieneinkommen von Arbeitnehmerhaushalten rascher zu steigen begannen – übertraf die Zahl der Mitglieder mit knapp 100.000 wieder das Niveau von Anfang 1933. Was veränderte sich nun an der Literaturproduktion der Büchergilde während der Ägide der DAF – im Vergleich zur bis 1933 geübten Praxis? Weniger, als man annehmen sollte: Während der Weimarer Republik wollte die Büchergilde mit preiswerten – gegenüber dem freien Buchhandel um bis zu 70 % ermäßig112 DAF-Zentralbüro (Heffe) an das Polizeipräsidium Berlin vom 1. Nov. 1935, in: BA Berlin, R 58, Nr. 317. 113 Auf Basis retrospektiver Aussagen eines Gilde-Mitarbeiters vermutet Dragowski (Bücher­gilde Gutenberg, S. 142) allerdings, dass Antifaschisten die »Kommunika­ tionsstrukturen ihrer jeweiligen [Gilde-]Ortsgruppen« für die Aufrechterhaltung von Diskussionszusammenhängen genutzt haben. 114 Nach: Roger Charles Pfister, Zur Geschichte der Buchgemeinschaften in Österreich. Eine historische Untersuchung (Ms.-WWW), Wien 2000, S. 29. 301 die verlage ten – Titeln auch einkommensschwachen Arbeitnehmerschich­ten einen Zugang zur Literatur verschaffen.115 Durch die Bereitstellung von »Büchern voll guten Geistes und von schöner Gestalt«, von »innerer und äußerer Echtheit« wollte man das »werktätige Volk« aus »geistiger Vormundschaft« befreien und vor Schundliteratur bewahren.116 Nicht »um Kampf und schon gar nicht um Klassenkampf« ging es den leitenden Persönlichkeiten der Büchergilde in der freigewerkschaftlich-sozialdemokratischen Ära, sondern – wie den kommerziell orientierten »bürgerlichen« Buchgemeinschaften – um »Ent­spannung, Unterhaltung und Ablenkung« (Bernadette Scholl). Im Vergleich zur Deutschen Hausbücherei war das Buchangebot, das der »Gemeinschaft der Bücherleser der arbeitenden Klasse« – darüber kann die relativ lange Verbotsliste vom Mai 1933 nicht hinwegtäuschen – unterbreitet wurde, politisch deut­lich uninspirierter. Die »Linkskurve« höhnte, die Büchergilde sei eine »Literatur-Konsum-Ge­nos­senschaft«, die ihre Mitglieder statt mit Broten mit »nor­malgewichtigen Büchern« versorge und nach dem Motto handele: »Jedem Deutschen sein eigenes Bücherbrett«.117 Zwar hatte die Büchergilde mehrere Schriftsteller im Programm, die deutliche sozialistische Kontu­ren besaßen; so verhalf sie Oskar Maria Graf mit seiner Autobiographie »Wir sind alle Gefangene« zum Durchbruch. An der insgesamt unpolitischen Signatur, die Literaturproduktion und -ver­trieb der Büchergilde Gutenberg prägte, ändert dies jedoch wenig. Symptomatisch ist vielmehr, dass der Büchergilde-Vor­stand seinen Bestseller-Autoren B. Traven anhielt, Passagen, die allzu deutliche Kritik an sozialdemokratischer und freigewerkschaftlicher Politik zeigten, zu entfernen, da dadurch Leser verschreckt würden.118 Ansonsten sah man sich einem bürgerlichen Bildungs­kanon verpflichtet und verlegte Goethes »Faust«, Schillers Gedichte und andere konventionelle Klassiker. Gewiss verlor das Programm der Büchergilde an Attraktivität, nachdem ab dem 10. Mai 1933 die in der sozialdemokratischen Arbeiterschaft beliebten Werke etwa von Upton Sinclair, B. Traven, Jack London und Arnold Zweig aus dem Programm genommen und durch »Ladenhüter des Langen-Müller-Ver­lages« (Lokatis) ersetzt wurden. Da jedoch das Gros der vor 1933 produzierten Titel auch in nationalsozialistischer Perspektive als unpolitisch gelten konnte, waren die Veränderungen im Verlagsprogramm letztlich nicht sonderlich dramatisch. Die lesehungrige Arbeiterschaft war an unterhaltende Lektüre ohne politischen Anspruch gewöhnt und scheint auch die Ladenhüter des LMV verschlungen 115 Von ihren Gründern war die Büchergilde ausdrücklich als Non-Profit-Unter­nehmen konzipiert und »der übliche Verlegergewinn ausgeschaltet« worden. Er sollte »den Mitgliedern in Form einer besseren Ausstattung der Werke zugute kommen«. Nach: Bücher, Bilder und Ideen. 75 Jahre Büchergilde Gutenberg, Frankfurt a. M. 1999, S. 9. 116 Zitate nach: Dragowski, Büchergilde Gutenberg, S. 28, bzw. Scholl, Büchergilde, S. B 89. 117 Klaus Neukrantz, Über die Feierabendlyriker, in: Die Linkskurve 2 (1930), Heft 12. Zit. nach: ebd., S. B 90. 118 Vgl. ebd., S. B 101. 302 organisationsverlage zu haben. Der anfängliche Mitgliederverlust war vermutlich mehr den niedrigen Realeinkom­men als einer ausdrücklichen Ablehnung faschistisch getönter Unterhaltungsliteratur geschuldet, mit der die DAF-Büchergilde aufwartete. Zu bedenken ist freilich, dass auch die proletarischen Leseratten, die sich Dis­tanz zum NS-Regime bewahren wollten, keine echten Alternativen besaßen. Die linke Konkurrenz der Büchergilde war zerschlagen. Bereits bei der Lektüre linker Literatur liefen Leser Gefahr, in das Räderwerk der nationalsozialistischen Denunziationsmaschinerie zu geraten. Gleichgültig aus welchen Motiven auf Bücher der DAF-Gilde zugegriffen wurde: Die mentalitätsprägenden Wirkungen, die von der Gewöhnung an ein literarisch eher dürftiges Angebot ausgingen, das nach 1933 politisch ›bereinigt‹ und um »Blut-und-Boden«-Roma­ne aus der Produktion des Langen-MüllerVerlages ›ergänzt‹ wurde, dürften fatal gewesen sein. Ein solches Angebot beeinflusste auf Dauer nicht nur die ab 1933 hinzugewonnenen, ohnehin eher systemkonformen Mitglieder, sondern zweifellos auch die Kreise der ehemals sozialdemokratischen Arbeiterschaft, die der Büchergilde die Treue hielten. Denn Belletristik, mag sie sich noch so unpolitisch gerieren, transportiert immer auch ideologische Normen. Insofern kam das Programm der nationalsozialistischen Büchergilde nicht ›nur‹ einem verstärkten Rückzug ins Private entgegen, wie er in breiten Arbeitnehmerschichten zu beobachten war. Es trug darüber hinaus seinen Teil zur allmählichen völkischen, tendenziell faschistischen Zurichtung eines nicht unbedeutenden Teils der deutschen Arbeiterschaft bei, selbstredend im Zusammenspiel mit anderen, gewichtigeren Faktoren wie der Beseitigung der Massen­erwerbslosigkeit, den außenpolitischen ›Erfolgen‹ der Diktatur, dem Hitlermythos etc. Der Literaturhunger des reichsdeutschen Proletariats, von dem die Büchergilde in besonderem Maße profitierte, besaß insofern ein Janusgesicht. 1937 hatte sich die Zahl der ›Gutenberger‹ gegenüber dem Vorjahr auf fast 200.000 mehr als verdoppelt. Der »Anschluss« Österreichs und der Sudeten ließ die Mitgliederzahl der Büchergilde weiter in die Höhe schnellen: Bis Ende 1939 wuchs sie auf mehr als 400.000 (Tabelle 3.2). Danach schwächte sich der Zustrom an Mitgliedern ab. Da jedes Mitglied im Durchschnitt jährlich vier bis fünf Bücher abnahm, prosperierte mit der Büchergilde auch der Buchmeister-Verlag. Die Zahl der hauptamtlich Beschäftigten der Büchergilde und ihres Verlages lag inklusive der Zweigniederlassungen zum Zeitpunkt des Kriegsbeginns bei 182 Arbeitern und Angestellten.119 Die zweite große Buchgemeinschaft im Besitz der Arbeitsfront, die »Deutsche Hausbücherei« (mit dem dazugehörigen Verlag »Bücherborn«, Deutsches 119 Angaben nach: ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 105, sowie Leistungsbericht des Leiters des AWU für 1939/40 (vom Juli 1940), S. 18; für 1940 (vom Jan. 1941), S. 24, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 87. Vgl. ferner Marrenbach, Fundamente des Sieges, S. 381. 303 die verlage Buchhaus GmbH120) hielt die Büchergilde weiterhin deutlich auf Abstand. Seit Kriegsbeginn vergrößerte sich der Abstand zwischen beiden DAF-Buchgemeinden sogar noch deutlich: Hatte die Büchergilde Gutenberg Anfang 1939 gut doppelt so viele Mitglieder wie die Deutsche Hausbücherei in ihren Reihen gezählt, waren es Mitte 1940 ziemlich exakt dreimal so viele (Tabelle 3.2.).121 Diesen enormen Mitgliederzuwachs verdankte die Büchergilde ihrer engen Verzahnung mit den DAF- und KdF-Stellen auf der lokalen bzw. betrieblichen Ebene. Im Herbst 1934 hatte es zunächst eine Marktabsprache mit der Deutschen Hausbücherei gegeben, die letzterer die Werbung in der Angestelltenschaft als ihrer traditionellen Klientel vorbehielt, während die Büchergilde weiterhin auf die Arbeiterschaft als weniger lukrative Kunden konzentriert bleiben sollte. An diese Absprache fühlte sich die Büchergilde nicht mehr gebunden, als 1936/37 eine heftige Kontroverse zwischen den zentralen Akteuren der drei DAF-Ver­lage losbrach.122 Als Subunternehmen der eng an die Organisation gebundenen Unternehmensgruppe »Zentralverlag der Deutschen Arbeitsfront« gelang es der Büchergilde weit leichter, neue Kundenschichten zu erschließen, als der Deutschen Hausbücherei, die unter dem Dach der Hansea­tischen Verlagsanstalt blieb. Eine »große Gefahr für die teutonischen Wälder«: der DAF-Zentralverlag bis 1939 Dass die Büchergilde die Deutsche Hausbücherei als ihren DAF-internen Konkurrenten und ebenso der DAF-Zentralverlag die Hamburger und Münchner Verlagshäuser so eindeutig hinter sich lassen würde, war zunächst nicht abzusehen gewesen. Entstanden war der DAF-Zentralverlag aus der 1921 als GmbH gegründeten Verlagsgesellschaft des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), die u. a. die »Gewerkschafts-Zeitung« als das zentrale Organ des ADGB und weitere Periodika des Gewerkschaftsbundes, ferner Kommentare zum Arbeitsrecht oder auch programmatische Schriften wie die »Wirtschaftsdemokratie« von Fritz Naphtali herausgebracht hatte,123 sowie aus der »Sieben-Stäbe-Verlags120 Innerhalb der HAVA und der Deutschen Hausbücherei firmierten Bücherborn und Deutsches Buchhaus nicht als eigenständiges Unternehmen, sondern als eine »Abteilung unserer Muttergesellschaft«. So eine frühe Selbstdarstellung in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 41. 121 Der Umsatz beider DAF-Buchge­mein­schaften lag dagegen ungefähr gleichauf, da ein Mitglied der Deutschen Hausbücherei mindestens acht Bücher pro Jahr, eines der Büchergilde Gutenberg dagegen nur drei bis vier Titel im Jahr abnehmen musste. 122 Vgl. unten. 123 Vgl. Kurt Niebergall, Die Verlagsgesellschaft des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, in: ADGB Berlin-Brandenburg, Unternehmungen der Arbeiterbewegung, S. 109-112. Darüber hinaus stellte die Verlagsgesellschaft »auf Wunsch ganze Bibliotheken für Ortsausschüsse, örtliche Verwaltungsstellen und Arbeitersekretariate« des ADGB zusammen. Ebd., S. 112. Neben ihren verlegerischen und buchhändlerischen Aufgaben fungierte die Verlagsgesellschaft außerdem als Beteiligungsgesellschaft des ADGB. So war der ADGB über die Verlagsgesellschaft an der Arbeitsbank, am Verein Sozialer Baubetriebe, an der »Dewog« und anderen beteiligt. 304 organisationsverlage und Druckerei GmbH«, die bis 1933 Periodika und sonstige Publikationen des Hirsch-Dunckerschen »Gesamtverbandes der deutschen Angestelltengewerkschaften« bis zu dessen Selbstgleichschaltung Ende April 1933 herausgegeben hatte. Infolge der Besetzung der Ge­werkschaftshäuser und der Emigration führender Verbandsfunktionäre war der Betrieb beider Verlagshäuser im Frühjahr 1933 ­f aktisch zusammengebrochen. Im Mai dieses Jahres wurde zunächst offenbar die gesamte Belegschaft entlassen (zumindest die der ADGB-Ver­lags­gesell­schaft). Anfangs beschäftigte der Zentralverlag lediglich 16 neu eingestellte Arbeiter und Angestellte. Nominell insofern ein Kleinunternehmen, verfügte der DAFVerlag allerdings über erhebliche, anfangs brachliegende Produktionskapazitäten, die seinen raschen Ausbau ab 1935 wesentlich erleichterten. Ein Handicap war zunächst, dass die 1933/34 eingesetzten Manager des Zentralverlages nur geringe Erfahrungen auf dem verlegerischen Feld mitbrachten. Den gewieften Vorständen der beiden anderen Verlage waren sie jedenfalls unterlegen. Von der HAVA ließen sie sich das lukrative Anzeigenmonopol in DAF-Publika­tionen und Periodika abschwatzen. Der LMV wiederum nutzte die Unerfahrenheit der Akteure auf Seiten des Zentralverlages, insbesondere deren Unsicherheit, welches politisch-literarische Profil sie der Büchergilde geben sollten, um die vormals gewerkschaftliche Buchgemeinschaft mit anderweitig schwer verkäuflichen Titeln zu beliefern. Auch in puncto Buchhandelsvertrieb war der Zentralverlag in der Anfangszeit auf die Infrastruktur der beiden anderen Verlage angewiesen. Allerdings lernten die Verantwortlichen des Zentralverlages schnell. Spätestens, nachdem Heffe die Verantwortung übernommen hatte, veränderten sich die Konstellationen. Ende 1935 veranlassten Heffe und seine Mitstreiter die DAF-Führung, der HAVA das Anzeigenmonopol, das diese bis dahin für die DAF-Periodika besessen hatte, zu kündigen. Allerdings konnten sie erst ab 1938 auf diese lukrative Einkommensquelle zurückgreifen. Auch sonst wollten sich Heffe und seine Kollegen nicht mehr mit der Rolle des Juniorpartners zufriedengeben. Infolgedessen kam es 1935/36 zu einer Reihe von Konflikten mit der Leitung der HAVA und des LMV, in deren Folge Barrieren aus dem Weg geräumt wurden, die der Entfaltung des Zentralverlages zuvor im Wege gestanden hatten.124 Auf sie wird gesondert einzugehen sein. Zuvor ist der rasante Aufstieg des Zentralverlages während der Vorkriegsjahre in seinen quantitativen Dimensionen grob zu umreißen. Schon angesichts seines faktischen Monopols auf den Druck und Vertrieb der von den verschiedenen Ämtern und den von lokalen und regionalen sowie branchenbezogenen Einheiten der Gesamtorganisation »Deutsche Arbeitsfront« 124 Barbian (Literaturpolitik, S. 145) spricht von »finanziellem Missmanagement« des DAF-Verlags­kon­zerns unter der Leitung Heffes. Das ist angesichts der Korruptions­ skandale und des Chaos der Finanzorganisation des DAF-Apparates während der Ära des DAF-Schatzmeisters Brinckmann (bis Anfang 1938) zwar alles andere als unwahrscheinlich. Pezold, den Barbian hier als Beleg anführt, ist allerdings ein zweifelhafter Zeuge. 1944 hielten Korruptionsvorwürfe gegen Heffe gerichtlicher Überprüfung nicht stand. 305 die verlage herausgegebenen Publikationen war ein steiler Aufstieg des Zentralverlages programmiert. Mit dem Mitgliederwachs­tum der Arbeitsfront, die 1939 22 Mio. und 1942 schließlich 25 Mio. (ausschließlich deutsche) Arbeitnehmer in ihren Reihen zählte, und der Erweiterung ihrer Tätigkeitsfelder nahmen auch Produktion und Vertrieb des Zentralverlages der DAF gigantische Ausmaße an. Die Zeitschriften summierten sich 1938 zu einer Gesamtauflage von sage und schreibe 256 Mio. Exemplaren.125 Darunter waren freilich sehr auflagenstarke Zeitschriften wie die Zeit­schrift »Arbeitertum«, deren Auflage je Heft 1935 bei 2,1 Mio. Exemplaren gelegen hatte und über 2,6 Mio. (1936), 3 Mio. (1937) und 4,2 Mio. Exemplare (1938) auf schließlich 4,5 Mio. Exemplare Ende 1939 wuchs; die Jahresdruckauflage des »Arbeitertums« stieg entsprechend von 44,6 Mio. (1935), 69,7 Mio. (1937) über 88,1 Mio. (1938) auf 106,7 Mio. Exemplare im folgenden Jahr. Hinzu kamen die Zeitschriften der einzelnen Reichsbetriebsgemeinschaften bzw. (wie sie ab 1938 hießen:) Fachämter der DAF. Allein das Periodikum »Der Aufbau« für die Fachämter »Handel« und »Handwerk« wurde in einer monatlichen Auflage von 0,7 Mio. (1937) bzw. 1,2 Mio. Stück (1938) »zur Unterstützung für die Arbeit in den Betrieben« unter die Mitglieder gebracht. Die Monatsschrift für den Metallbereich der DAF lag bereits im Sommer 1937 bei 1,1 Mio., die für die Reichsbetriebsgemeinschaften »Bekleidung« und »Bau« bei jeweils 0,8 Mio. Stück. Für die Dienststellen der Arbeitsfront erschien außerdem zweimal täglich (!) die »Deutsche Arbeitskorrespondenz«, in der alles für DAF-Funktionäre Wissenswerte aus der »NS-Partei­korrespondenz« zusammengestellt wurde.126 Das war an Zeitungen und Zeitschriften noch keineswegs alles. Daneben gab der Zentralverlag der DAF 15 Fachzeitschriften für »Spezialwissensgebiete« heraus, die 1937 eine Auflage von 2,1 Mio. und 1938 eine von 2,5 Mio. Exemplaren erreichten. Neben zahllosen Broschüren usw. brachte der DAF-Zen­tralverlag ferner 1939 zwölf, im ersten Kriegsjahr (1940) sogar 13 offizielle DAF-Kalender in einer Gesamtauflage von zwei Mio. Stück auf den Markt.127 Damit jedoch nicht genug. Um sich die Dimensionen zu vergegenwärtigen, die die Tätigkeit des DAF-Hausverlages inklusive der verschiedenen Tochter­ gesellschaften schließlich annahm, muss man auch an die 1937 insgesamt 389 Papierfabriken und Druckereien denken, die allein in diesem Jahr vom Zentralverlag Aufträge in Höhe von 9,5 Mio. RM erhielten.128 1938 lagen die Ausgaben des Zentralverlages, ohne Tochtergesellschaften, für Papiereinkauf, Druck, Klischee sowie Buchbinderaufträge bei 14,4 Mio. RM, ein Jahr später bei 14,6 Mio. 125 Vgl. ZfF, Wirtschaftsunternehmungen der DAF 1939, S. 102; ferner Smelser, Hitlers Mann, S. 171. 126 Zur Deutschen Arbeitskorrespondenz vgl. Hachtmann, Koloss, S. 115 f. 127 Angaben nach: Presseamt der DAF, Außendienst, Aufstellung über die DAF-Zeitschriften, vom 1. Nov. 1937, in: Bundesarchiv-Militärarchiv (BA/MA) Freiburg, R 19, Nr. 1010, Bl. 157-179; Wirtschaftsunternehmungen der DAF 1939, S. 101 f., sowie Leistungs­bericht des Leiters der AWU für 1939/40 (Anm. 119), S. 16. 128 ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 103. 306 organisationsverlage RM.129 Angesichts dieser Zahlen bereits für die Vorkriegszeit hat Ronald Smelser mit Blick auf die Arbeitsfront und ihren Zentralverlag von einer »Orgie des Druckens« gesprochen, die zur »größten Gefahr für die bayerischen Wälder« (und nicht nur die) geworden sei, »bevor der saure Regen kam«.130 Das rasante Wachstum des Zentralverlages lässt sich auch an der Belegschaftsentwicklung ablesen: Noch im Herbst 1933 verloren sich in den Räumlichkeiten des Zentralverlags keine zwanzig Belegschaftsmitglieder, die mühsam damit begannen, die Produktion wieder aufzunehmen. 1937 war die »Gefolgschaft« auf etwa 690 Arbeiter und Angestellte angewachsen. Ende 1938 zählte der Zentralverlag schließlich 876 Mitarbeiter (Tabelle 3.3.). Als Organisationsverlag profitierte das von Heffe geführte Unternehmen enorm vom Aufstieg der Arbeitsfront zum mitgliederstärksten Verband der NSZeit und von den Kampagnen der beiden Organisationen DAF und KdF. Aber auch Werbeaktivitäten, die sich auf ein bestimmtes Publikum richteten, konnten zum Vorteil des Zentralverlages ausschlagen. So war die jährliche, dreimonatige Fachbuchwerbung ab 1936, die auf Titel für die berufliche Fortbildung wie die wissenschaftliche Produktion aufmerksam machte,131 von erheblicher Bedeutung für den Zentralverlag und ebenso die HAVA, die traditionell auch zahlreiche Publikationen zur fachlichen Weiterbildung verlegte. Beiden Verlagen kam zugute, dass die jeweils örtlichen Formationen der Arbeitsfront eine wichtige Rolle innerhalb der lokalen Werbegemeinschaften spielten, die die Fachbuchwerbung organisatorisch trugen und zu einem öffentlichen Ereignis machen sollten. Die DAF-Gliederungen vor Ort sorgten dafür, dass die Präsentation von Publikationen aus den DAF-Ver­lagen nicht zu kurz kam. Ergänzt wurden diese Werbekampagnen durch Buchausstellungen in Betrieben und Lehrwerkstätten, Arbeitsschulen der Arbeitsfront oder ›normalen‹ Fach- und Berufsschulen usw. Die exponierte Stellung der Arbeitsfront innerhalb dieser Werbekampagnen zeigte sich nicht zuletzt daran, dass die Eröffnungskundgebung zur ersten Fachbuchwerbung 1936 durch eine feierliche, vom Rundfunk übertragene Rede von Robert Ley eingeleitet wurde, in der dieser über den »Schaffenden und sein Buch« schwadronierte. Weitere Unternehmen in der »verlegerischen Front« der DAF Zur »gemeinsamen verlegerischen Front« des Zentralverlags der DAF zählten daneben der Buchmeister-Verlag (Berlin), als der ehemalige Hausverlag der Büchergilde Gutenberg, sowie eine Reihe assoziierter Verlagshäuser, ferner mehrere große Druckereien. Eine Sonderrolle innerhalb der Zentralverlags-Gruppe der DAF spielte die in Köln ansässige Aufbruch-Ver­lagsgesellschaft mbH. Sie war Mitte Mai 1936 gegründet worden und aus der Gaupressestelle der rheinischen NSBO 129 Leistungsbericht des Leiters des AWU für 1939/40 (Anm. 119), S. 17. 130 Smelser, Hitlers Mann, S. 171. 131 Ausführlich: Barbian, Literaturpolitik, S. 279-282. 307 die verlage hervorgegangen. Einen zeitweiligen Sonderstatus durfte dieser Verlag für sich beanspruchen, weil er im Herkunftsgebiet Robert Leys und im Zentrum seines früheren NSDAP-Gaues lag. Die Aktivitäten dieses Verlages waren freilich bescheiden. Sie reduzierten sich im Wesentlichen (daher auch der Name) auf den Druck und den Vertrieb der Zeitschrift »Aufbruch«, die vom stellvertretenden NSDAP-Gauleiter Richard Schaller herausgegeben wurde.132 Schaller unterstand zwar offiziell Josef Grohé, der Ley im Oktober 1931 als NSDAP-Gauleiter für Köln-Aachen beerbt hatte, blieb jedoch weiterhin ein enger Vertrauter Leys und war gewissermaßen dessen Statthalter im Rheinland, der dafür sorgte, dass der DAF-Chef bis Kriegsende eine starke regionale Hausmacht behielt. Schaller und seinen engen Beziehungen zu Ley zuliebe blieb der Kölner Aufbruch-Verlag bis in das erste Kriegsjahr ein separates Unternehmen. Erst Mitte 1940 wurde die Eigenexistenz des mit 18 Beschäftigten kleinen Aufbruch-Verlages aufgegeben und das Unternehmen in den Zentralverlag eingegliedert.133 Nach Kriegsbeginn wurde außerdem die bis dahin eigenständige Lehrmittelzentrale der Deutschen Arbeitsfront GmbH des DAF-»Amtes für Betriebsführung und Berufserziehung« unter das Dach des Zentralverlages gestellt. 1942 lag die Gesamtauflage der von dieser Lehrmittelzentrale produzierten Broschüren und sonstigen Schriften bei gut 3 Mio. und 1943 sogar bei 3,5 Mio. Exemplaren.134 Hintergrund des ungebrochenen Wachstums der Lehrmittelzentrale war die verstärkte Tätigkeit des DAF-»Amtes für Betriebsführung, Berufserziehung und Leistungssteigerung« (wie es seit 1942 hieß) im Bereich der Um- und Aufschulung vor allem deutscher Arbeitskräfte im Kontext des forcierten »Fremdarbeitereinsatzes«. Für das produktions- und publikationswütige Arbeitswissenschaftliche Institut als das politisch-strategische Zentrum der Organisation hatte die Arbeitsfront 1937/38 gleichfalls eine eigenständige Verlagsanstalt gegründet, die Arbeitswissenschaftliche Verlags GmbH mit Sitz in Berlin. Wie wichtig dieser Verlag der Führung der DAF war, lässt sich u. a. daran ablesen, dass Hans Strauch – innerhalb der Arbeitsfront die maßgebliche Persönlichkeit für die Vernetzung und Abstimmung der zahlreichen Unternehmen der Arbeitsfront – auch den Vorsitz 132 Die Auflage dieser Zeitschrift lag im Mai 1937 bei 54.000 und Ende 1938 bei 107.000 Exemplaren. Diese und weitere Angaben nach: ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 107. Schaller (1903-1982), Installateur und Bauarbeiter, war ab 1928 Geschäftsführer einer nationalsozialistischen Buchhand­lung und saß ab 1932 auch im Reichstag. Den späteren Leiter der DAF hatte Schaller im Frühjahr 1924 kennengelernt. Unter dem Köln-Aachener NSDAP-Gauleiter Ley ›diente‹ er von 1926 bis Herbst 1931 als Erster Vorsitzender der Ortsgruppe Groß-Köln. Danach fungierte Schaller im Ley’schen Gau als Organisationsleiter. Stellvertretender NSDAP-Gauleiter für Köln-Aachen war Schaller von Juni 1932 bis 1945. 133 Vgl. (inkl. Zitat) Leistungsbericht des Leiters des AWU für 1939/40 (Anm. 119), S. 18 ff., sowie Deutsche Allgemeine Zeitung vom 3. Okt. 1941. 134 Leistungsbericht des Leiters des AWU der DAF für 1943, S. 53, bzw. Leistungsbericht des DAF-Zentralver­la­ges, seiner Tochtergesellschaften sowie der ZfF für 1943, in: BA Berlin, NS 5 I, Nr. 33, bzw. ebd., NS 5 III, Nr. 55. 308 organisationsverlage des Aufsichtsrates dieses Verlages übernahm. 1943 musste der Verlag des AWI seine Tätigkeit allerdings weitgehend einstellen, weil ihm »vom Propaganda­ ministerium weder die eingereichten Planungen noch die hierfür benötigten Papiermengen genehmigt« wurden.135 Neben die genannten trat als weiteres größeres Unternehmen innerhalb der Zentralverlags-Gruppe der Verlag Freude und Arbeit GmbH für Publikationen und Zeitschriften der verschiedenen Ämter der NS-Gemeinschaft KdF. Dieser Verlag trat drei Jahre nach der Gründung der größten Suborganisation der DAF ins Leben. Hintergrund der Entstehung dieses Verlagshauses war der Kongress »Freude und Erholung«, den Ley und KdF im Vorfeld der Olympischen Spiele in Berlin, vom 23. bis zum 31. Juli 1936, mit starker internationaler Beteiligung in Hamburg durchführten. Im Gefolge dieses Kongresses entstand wenig später ein »Internationales Zentralbüro ›Freude und Arbeit‹« mit Sitz in der Reichshauptstadt, das als organisatorisches Scharnier der Arbeitsfront und ihrer Suborganisation KdF zu den sozialpolitischen Strömungen und Abteilungen in den faschistischen und sonstigen rechten Bewegungen in Europa fungieren sollte.136 Weil sich die internationalen Kontakte von KdF und DAF seit dem Hamburger »Weltkongress« erheblich intensiviert hatten, entschlossen sich die Entscheidungsträger der Arbeitsfront und von KdF, unter dem Titel »Freude und Arbeit« eine aufwendig gestaltete Zeitschrift in den wichtigsten europäischen Sprachen herauszugeben, die von Oktober 1936 bis Januar 1943 erschien. Die Gesamt­ auflage der anfangs in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt137 herausgegebenen Monatsschrift, die vor allem die Öffentlichkeiten des Auslandes von den angeblich großartigen sozialpolitischen Erfolgen des NS-Regimes überzeugen und den sozialpolitischen Führungsanspruch der DAF in Europa untermauern sollte, lag bei schließlich 100.000 Stück.138 Neben der Zeitschrift »Freude und 135 Leistungsbericht des Leiters des AWU für 1943, S. 53, bzw. Leistungsbericht des DAFZentralverlages, seiner Tochtergesellschaften sowie der ZdF für 1943 (Anm. 134). 136 Vgl. Daniela Liebscher, Freude und Arbeit. Zur internationalen Freizeit- und Sozial­ politik des faschistischen Italien und des NS-Regimes, Köln 2009, bes. S. 496-501, 519-526; Karsten Linne, Die Deutsche Arbeitsfront und die internationale Freizeitund Sozialpolitik 1935 bis 1945, in: 1999. Zeit­schrift für die Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts (1999), 10/1995, S. 65-81. Zu den organisatorischen Folgewirkungen des Hamburger Kongresses innerhalb der DAF vgl. Hachtmann, Koloss, S. 111 f. 137 An die ursprünglich mit dem Auswärtigen Amt getroffene Vereinbarung, dass dem Auswärtigen Amt die Korrekturfahnen der Zeitschrift »zur Begutachtung vor der Drucklegung« vorzulegen seien, hielt sich die DAF schon bald nicht mehr. Vgl. Notizen des Auswärtigen Amtes vom 24. Febr. und 1. März 1940, in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA) R 99027. 138 So jedenfalls: Karsten Linne, Sozialpropaganda – Die Auslandspublizistik der Deutschen Arbeitsfront 1936-1944, in: ZfG, 57/2009, S. 237-254, zur Zeitschrift »Freude und Arbeit«: S. 239-246. Die Auflage der ersten Nummer (9/10, 1939) scheint allerdings weit höher gewesen zu sein, als Linne angibt: In einem Schreiben des Auswärtigen Amtes (AA) an die Reichspressekammer vom 30. Okt. 1939 (in: PA AA 99027) ist von »einer zusätzlichen Auflage von 275.000 Stück« die Rede, die nach dem Willen des AA noch einmal durch »eine weitere Auflage in Höhe von 50.000« Exemplaren 309 die verlage Arbeit« brachte der Verlag ab Juni 1938 die alle zwei Monate erscheinende Zeitschrift »Das Neue Protokoll. Sozialpolitische Weltschau« heraus, gleichfalls in mehreren Sprachen. Dieses Blatt sollte nach dem Willen des Leiters der DAF »den verantwortlichen Männern aller Völker auf sozialpolitischem Gebiet ein brauchbares Instrument ihrer Arbeit sein«.139 Wie hoch der Stellenwert beider Zeitschriften und damit der des Verlages in der Perspektive der DAF-Führung war, zeigte sich an der Zusammensetzung des Vorstandes wie des Aufsichtsrates: Hauptschriftleiter war Walter Kiehl, der persönliche Pressereferent Leys in dessen Funktion als NSDAP-Reichsorganisa­tionsleiter;140 Geschäftsführer wurde Heinz Brüggen, der aus dem Kölner Umfeld Leys stammte und im Frühjahr 1944 Eberhard Heffe als Leiter des DAF-Zentral­verlages beerben sollte.141 Im Unterschied zu den Aufsichtsgremien der kleineren Verlage der Gruppe des DAF-Zentral­verlags, denen (mit Ausnahme des AWI-Verlages) Eberhard Heffe vorsaß, fungierte im Verlag »Freude und Arbeit« Hans Strauch als Aufsichtsratsvorsitzender. Bei Kriegsbeginn zählte dieser Verlag 80 Arbeiter und Angestellte.142 Der Verlag »Freude und Arbeit« besaß keine eigene Druckerei. Gedruckt wurden die dort entworfenen Publikationen ebenso wie zahlreiche der im Zentralverlag der Arbeitsfront herausgegebene Zeitschriften von der August Pries GmbH in Leipzig. Dieses Unternehmen, das 1862 gegründet worden war und bis 1913 nach einem ihrer frühen Besitzer als J.B. Hirschfeld GmbH firmierte, gelangte 139 140 141 142 310 aufgestockt werden sollte. Zusammen wären das 425.000 Stück gewesen. Unabhängig davon war die Zeitschrift ein horrendes Zuschussgeschäft: 1938 lag der Verlust bei 3,2 Mio. RM, 1939 bei immer noch 1,5 Mio. RM. Das Defizit übernahm der Zentral­ verlag der DAF. Zitat: ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 108. Die Auflage dieses Blattes war mit 5.000 Exemplaren freilich sehr niedrig. Vgl. Linne, Sozialpropaganda, S. 246 f. Demgegenüber erschien die ebenfalls in mehreren Sprachen für die Auslandspropaganda der DAF herausgegebene »Neue Internationale Rundschau der Arbeit« von Beginn an (Jan. 1941) unmittelbar im Zentralverlag der Arbeitsfront. Kiehl (1895-?) war ein erfahrener Zeitungsmacher. Er hatte von 1919 bis Anfang 1924 in Berlin und Breslau als Journalist gearbeitet. Von Anfang 1924 bis Mai 1933 war Kiehl Herausgeber und Chefredakteur der Wochen­zeitung »Zeit am Montag«, seit Aug. 1932 zugleich Redakteur der »Berliner 12-Uhr-Zeitung«. Seit Frühjahr 1934 fungierte Kiehl als leitender Redakteur der DAF-Zeitung »Der Deutsche«. Von Mai 1938 an amtierte er als Pressereferent der Reichsorganisationsleitung bzw. persönlicher Presse­referent Leys für vier Jahre. Anfang Mai 1942 legte er alle Ämter nieder, offiziell aus »gesundheitlichen Gründen«. Sein Nachfolger als Chefredakteur der Zeitschrift »Freude und Arbeit« wie als persönlicher Referent Leys wurde der Leiter des DAFPresse­am­tes und Hauptschriftleiter der Zeitschrift »Arbeitertum« Werner Scheunemann (1904-?), der ebenfalls bereits vor 1933 journalistische Erfahrungen gesammelt hatte. Brüggen, ein Diplom-Kaufmann, war 1908 in Köln geboren und damit deutlich jünger als Heffe. Er fungierte auch als Geschäftsführer des AWI-Verlages. Vgl. ZfF, Wirtschaftliche Unternehmungen der DAF 1939, S. 108. organisationsverlage Ende 1935 in den Besitz der DAF.143 Mitte Juli 1938 wurde die Pries GmbH auch förmlich »in die Organschaft des Verlags der Deutschen Arbeitsfront eingegliedert«. Die Druckerei befasste sich laut Eigendarstellung mit »der Satz-Herstellung sowie dem Werk-, Illustrations- und Buntdruck von Büchern, Zeitschriften, Prospekten und Katalogen in fast allen Sprachen der Welt« und verfügte neben einer Buchbinderei über 44 modernste Setz- und Gießmaschinen aller Systeme sowie 27 Druckmaschinen.144 Die Übernahme durch die DAF führte zu einer dauerhaften Auslastung der Kapazitäten und einem sukzessiven Ausbau des Unternehmens, das bei Kriegsbeginn zu den größten und modernsten Druckereien in Deutschland gehörte. Anfangs für die DAF ein Zuschussgeschäft, erreichte die August Pries GmbH 1937 die Gewinnzone (Tabelle 3.4.). 1935/36 wurden in dem Unternehmen gut 300 Arbeiter und Angestellte beschäftigt; drei Jahre später zählte die Belegschaft mehr als 400 und 1941 fast 600 Beschäftigte. Noch weit schneller erhöhte sich der Umsatz der (wie sie auch genannt wurde:) »Weltsprachendruckerei«: Er vervierfachte sich zwischen 1935 und 1938. Mit einer Belegschaft von mehr als 260 Angestellten kleiner, indes für sich genommen gleichfalls ein großes Druckereiunternehmen war die ehemals freigewerkschaftliche Buchdruckereiwerkstätte GmbH, die ursprünglich gleichfalls in Leipzig ansässig war, ihren Sitz jedoch 1926 nach Berlin verlegt hatte. Ihr Schwerpunkt lag ebenfalls in der Zeitschriftenproduktion. Von der Belegschaftsgröße für damalige Verhältnisse eher mittelständische Unternehmen wa­ren die Bochumer Druckerei GmbH, die bis 1933 dem Verband der Bergbauarbeiter gehört hatte und im Sommer 1940 unmittelbar in den Zentralverlag eingegliedert wurde, sowie die Berliner Großbuchbinderei Franz Wermke mit gut 50 bzw. knapp 130 Beschäftigten (Tabelle 3.3.). Ab 1939 wurden nicht nur außerhalb der Grenzen des »Altreiches« zahlreiche Unternehmen der Gruppe des DAF-Zentralverlages angeschlossen. Auch innerhalb des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 wurden weitere Verlagsunternehmen gegründet. Eines der bedeutenderen war der »Formularverlag«, dessen Funktion der Verlagsname umriss und dessen Gründung die innere Bürokratisierung des »charismatischen Verwaltungsstabes« Deutsche Arbeitsfront spiegelt. Einen Expansionsschub erfuhr dieses Unternehmen durch die Kompetenzerweiterungen Leys, namentlich durch die Übernahme des Reichswohnungskommissariats Ende 1942, das den Formularverlag mit der Produktion diverser Bescheinigungen, Fragebögen und sonstiger Vordrucke »für das vom Führer befohlene Wohnungshilfswerk für Bombengeschädigte« beauftragte.145 Daneben wurde dem Formularverlag Anfang 1943 »vom Generalbevollmäch- 143 Vgl. Auszug aus dem Handelsregister des Amtsgerichts Leipzig, Blatt 463, in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 42. 144 Zitate: Geschäftsbericht der Aug. Pries GmbH für 1939, in: ebd. 145 Vgl. Leistungsbericht des Zentralverlages der DAF, seiner Tochtergesellschaften sowie der ZdF für 1943 (Anm. 134). 311 die verlage tigten für den Arbeitseinsatz der Vertrieb von Verwaltungsformularen für die ausländischen Arbeitsläger [!] übertragen«.146 Die Arbeitsfront und ihr Zentralverlag als Geburtshelfer des Holtzbrinck-Konzerns Bücher und Zeitschriften mussten nicht nur gedruckt, sondern auch vertrieben werden. Für die Bücher fungierten die vorgestellten Buchgemeinschaften als die zentralen Vertriebskanäle; einen weiteren Teil der Auflagen verkauften die DAF-Verlage über den freien Buchhandel. Bei den Zeitungen und Zeitschriften bildeten die Betriebe und die dort tätigen DAF-Funktionäre den entscheidenden Verteiler. Der Führung der Arbeitsfront war dies allerdings nicht genug. Sie suchte darüber hinaus die Zahl der Abonnenten ihrer Zeitschriften auch im (sonstigen) Privatkundenbereich zu vergrößern. Zu diesem Zweck bediente sie sich einer Firma namens DEVEX und ihrer Drückerkolonnen.147 Die DEVEX aber war nichts anderes als die Keimzelle des heute in der Bundesrepublik zusammen mit dem Springer-Konzern und einigen anderen Medienunternehmen marktbeherrschenden Holtzbrinck-Konzerns. DEVEX war das Kürzel für »Deutsche Verlagsexpedition oHG, Stuttgart«. Dieses Unternehmen bzw. genauer: der Firmenmantel, wurde am 25. September 1935 von Georg v. Holtzbrinck148 sowie Wilhelm Schlösser und Paul Ackermann 146 Aufsichtsratssitzung des DAF-Zentralverlags vom 22. Okt. 1943, in: BA Berlin NS 5 III, Nr. 55. Vgl. außerdem Leistungsbericht des Leiters des AWU für 1943 (Anm. 134), S. 51, sowie Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 144. 147 Geführt wurden diese Drückerkolonnen von einem weitgehend eigenverantwortlich handelnden Hauptvertreter des jeweiligen WBZ-Unternehmens, der je nach Bedarf weitere, von ihm abhängige Werber einstellen konnte. Diese Werberkolonnen suchten nicht nur neue Abonnenten zu gewinnen, sondern fungierten zugleich vor Ort als Vertriebsapparat, der die Abonnenten belieferte. Die DEVEX und ihre Drückerkolonnen gewannen Abonnenten in erster Linie allerdings nicht vor den Wohnungstüren, sondern durch den Besuch von kleineren und größeren Unternehmen sowie lokaler Behörden und sonstiger Dienststellen, die durch Abonnements von DAFZeitschriften ihre Loyalität dem Regime gegenüber zum Ausdruck brachten. Vgl. im Einzelnen Thomas Garke-Rothbart, »… für unseren Betrieb lebensnotwendig …« ­Georg von Holtzbrinck als Verlagsunternehmer im Dritten Reich, München 2008, hier: S. 43, 101. 148 Holtzbrinck (1909-1983), der als einer der großen bundesdeutschen Nachkriegsverleger gilt, hatte in Köln Jura studiert und war 1931 Mitglied des NS-Studentenbunds geworden. Er brach sein Studium ab, um Werbeleiter und schließlich Vorstandsmitglied der Deutschen Verlagsgesellschaft zu werden, die u. a. die »Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens« (BUW) produzierte. Ende der vierziger Jahre gründete er in der Nachfolge der BUW die »Stuttgarter Bibliothek« und führte ab 1954 das System des Quartalskaufs ein. 1957 übernahm er vom Droste-Verlag den »Deutschen Bücherbund«, der ab 1960 zum Synonym für seine Buchgemeinschaft mitsamt der Tochterunternehmen »Deutsche Hausbücherei«, »Deutscher Buchklub« und »Evangelische Buchgemeinde« wurde. Ab Ende der sechziger Jahre erwarb Holtzbrinck mehrere Tages- und Wochenzeitungen (»Handelsblatt«, »Saarbrücker Zeitung«, »Südkurier«, »Tagesspiegel«, »Zeit« usw.) und verschaffte seinem Unternehmen, der Stuttgarter 312 organisationsverlage als seinen Mitgesellschaftern149 erworben. Nominell war das Unternehmen mit dem Kürzel DEVEX zwar bereits 1929 ins Leben getreten; während der Wirtschaftskrise war das Geschäft jedoch zum Erliegen gekommen. Faktisch handelte es sich bei der Übernahme der Firma durch Holtzbrinck und seine Freunde im Herbst 1935 deshalb um eine Neugründung. Hauptzweck des Unternehmens, dessen Aufbau sich bis Anfang 1937 hinzog,150 war der Vertrieb von Zeitschriften, insbesondere der Vertrieb der »Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens«, die Holtzbrinck noch als Student seit 1931 mit aufgebaut hatte und zu deren Mitherausgeber er 1937 wurde. Schwerpunkt der DEVEX blieb der (so die Branchenbezeichnung) »werbende Buch- und Zeitschriftenbuchhandel« (WBZ). Nur ganz allmählich wandelte sich das Vertriebsunternehmen Holtzbrincks in einen Verlag.151 Kontakte zwischen der DEVEX und der Arbeitsfront entstanden zu Beginn des Frühjahrs 1937. Ende April 1937 schloss Heffe mit Schlösser einen Vertrag, der vorsah, dass deren Unternehmen »im Bereich des Gaues Gross-Berlin Sonder­ werbungen« für die Zeitschriften der DAF »unter Einsatz von Werbe­kolonnen durchführen« sollte.152 Wie wichtig die DEVEX schon bald für den Zentralverlag der DAF und den Vertrieb der dort hergestellten Zeitschriften wurde, zeigte sich etwa daran, dass die aufwendig gestaltete Zeitschrift »Schönheit der Arbeit« des gleichnamigen DAF-Amtes zu 60 % über die Drückerkolonnen der DEVEX abgesetzt wurde. Auch z. B. die DAF-Zeitschrift »Freude und Arbeit«, die das 149 150 151 152 G. Holtzbrinck GmbH, mit S. Fischer, Fischer-Ta­schen­buch, Rowohlt, Droemer-Knaur, Kindler u. a. auch in der bundesdeutschen Verlagslandschaft erheblichen Einfluss. Schlösser, der im April 1940 der NSDAP beitrat, und Ackermann erwarben Mitte der fünfziger Jahre den (dann 1977 von Klett übernommenen) Cotta-Verlag, nachdem sie bereits Anfang 1950 den Europäischen Buchklub/Stuttgart gegründet hatten, eine der größeren frühen bundesdeutschen Buchgemeinschaften, die einige Jahre später dann an den Bertelsmann-Konzern ging. Hintergrund des schleppenden Aufbaus des neuen Vertriebsunternehmens war das aufwendige Procedere um die Genehmigung der Gründung durch die Reichspressekammer. An sich wurde die Neugründung von Vertriebsunternehmen seit Herbst 1934 nicht mehr erlaubt; hier eine Ausnahme zu gestatten, kann als »weitgehendes Entgegenkommen« der Reichspressekammer gegenüber Holtzbrinck und seinen Mitgesellschaftern interpretiert werden. Der Eintritt Holtzbrincks in die NSDAP am 1. Mai 1933 dürfte dabei förderlich gewesen sein. Auch die Aufnahme neuer Vertriebsobjekte erforderte jeweils separate Bewilligungen, die durch die Parteigenossenschaft Holtzbrincks zweifelsohne befördert wurden. Vgl. Garke-Rothbart, Holtzbrinck, S. 40 ff., 47 f. Im engeren Sinne verlegerische Aktivitäten entwickelte die DEVEX, über die BUW hinaus, erst ab Sept. 1939. Von entscheidender Bedeutung war hier die immer engere Kooperation mit dem Kohlhammer-Verlag. Vgl. ebd., S. 75 ff. Der Vertrag vom 22. April 1937 nannte als Gegenstand dieser »Sonderwerbungen« die DAF-Fachzeit­schrif­ten sowie die von Albert Speer herausgegebene Monatszeitschrift »Schönheit der Arbeit«. Später kamen weitere DAF-Zeitschriften hinzu, vor allem das auflagenstarke Monatsperiodikum »Freude und Arbeit«. Die DEVEX erhielt laut Vertrag vom April 1937 45 % Rabatt sowie für nachgewiesene Jahresaufträge Freihefte. Hierzu und zum Folgenden vgl. ebd., S. 52-55. 313 die verlage von Robert Ley im Vorfeld der Olympischen Spiele von 1936 gegründete »Internationale Zentralbüro Freude und Arbeit« herausgab, hatte den Absatz eines beträchtlichen Teils der Auflage dem Holtzbrinck’schen Unternehmen zu verdanken. Welche Dimensionen das Geschäft schließlich annahm, das die DEVEX im Auftrag der Arbeitsfront und ihres Zentralverlages betrieb, lässt sich daran ablesen, dass von den DAF-Zeitschriften mit einer monatlichen Gesamtauflage von knapp dreißig Millionen Ende 1938 ein gutes Drittel durch WBZ-Firmen, darunter als wichtigste die DEVEX, an Einzelabonnenten verkauft wurden.153 Im selben Jahr begann die DEVEX außerdem Bücher aus dem Repertoire der drei großen DAF-Verlage zu vertreiben. Die Beziehungen zwischen der Arbeitsfront und der DEVEX kühlten sich ab, nachdem die Reichs­pressekammer als Aufsichtsbehörde ab Hochsommer 1938 der DEVEX mehrfach vorwarf, mit unlauteren Methoden Abonnenten zu werben, und zunächst Ordnungsstrafen aussprach, später dann den DEVEXGesellschaftern mit dem Ausschluss aus der Reichs­pressekammer drohte. Der Riss zwischen beiden Seiten vertiefte sich, als sich im Frühjahr 1939 immer mehr herausschälte, dass der Zentralverlag der Arbeitsfront den lukrativen Vertrieb der DAF-Zeitschriften selbst übernehmen wollte.154 Zum endgültigen Bruch zwischen dem Zentralverlag und dem Vertriebsunternehmen kam es schließlich, als die Zeitschriften »Schönheit der Arbeit« und »Freude und Arbeit«, die das Hauptgeschäft der DEVEX ausmachten, bei Kriegsbeginn eingestellt werden mussten. Das Unternehmen Holtzbrincks geriet daraufhin an den Rand des Konkurses, konnte in der Folgezeit den Ausfall der DAF-Zeitschriften jedoch durch den Vertrieb von Monatsperiodika anderer NS-Organisationen und -Institutionen weitgehend kompensieren. Beziehungen über den September 1939 hinaus unterhielt die DEVEX mit dem Fachamt »Eisen und Metall« der Arbeitsfront sowie dem Deutschen Volksbildungswerk, das der NS-Gemeinschaft »Kraft durch Freude« zugehörte, die ihrerseits eine Unterorganisation der DAF war. Das DAF-Fachamt beauftragte die DEVEX in Gemeinschaft mit dem Kohlhammer-Verlag, eine mehrteilige Publikationsreihe zur Berufserziehung und über die ökonomischen Verhältnisse in den wichtigsten Sektoren der metallverarbeitenden Industrie zu drucken und zu vertreiben. Zwischen Mitte und November 1939 wurde etwa 250.000 Exemplare dieser Broschüren verkauft.155 Nachhaltiger gestaltete sich die Beziehung zum Deutschen Volksbildungswerk der DAF. Am 16. März 1940 hatten Georg v. Holtzbrinck und Wilhelm Schlösser den Stuttgarter Verlag »Deutsche 153 So wie die DEVEX nicht das einzige Unternehmen war, über das die DAF Privat­ abonnenten zu akquirieren suchte, war die Arbeitsfront nicht die einzige NS-Organisation, die sich des WBZ bediente, um über die organisationseigenen Verteiler hinaus den Stamm an Abonnenten der verbandseigenen Zeitschriften zu erhöhen. Auch die NSDAP hatte von den insgesamt 9,2 Mio. Abonnenten parteiamtlicher Zeitschriften etwa eine Million mit Hilfe von WBZ-Drückerkolonnen geworben. Vgl. ebd., S. 45. 154 Vgl. ebd., S. 64 ff., 68 ff. 155 Ebd., S. 76 f. 314 organisationsverlage Volks­bücher« übernommen. Dieser Verlag produzierte seit 1900 im Auftrag des 1872 gegründeten Wiesbadener Volksbildungsvereins die »Wiesbadener Volksbücher«. Herausgegeben wurden diese Wiesbadener Volksbücher seit Juni 1939 wiederum vom Deutschen Volksbildungswerk. Für Holtzbrinck war diese Kooperation ein lukratives Geschäft, da die Wiesbadener Volksbücher – u. a. mit Erzählungen Hans Grimms, Heinz Steguweits, Hans Francks und anderer prominenter Autoren – bis Frühjahr 1943 in einer Gesamtauflage von mehreren Millionen Exemplaren abgesetzt wurden.156 Bereits vor Kriegsbeginn hatte die DEVEX zudem begonnen, die »Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens«, bis Ende der dreißiger Jahre eher eine umfängliche Familienzeitschrift als ein Buch, zu einer Art Hausbücherei auszubauen, die seitdem monatlich an die Abonnenten (auch) Bücher abgab. Das Holtzbrinck’sche Unternehmen begann sich auf diese Weise im eigent­ lichen Verlagsgeschäft zu etablieren und mit der »Bibliothek« eine Buchgemeinschaft aufzubauen, die mit 1941 etwa 40.000 Abonnenten zwar deutlich kleiner war als die Büchergebilde Gutenberg und die Deutsche Hausbücherei, dem ent­stehenden Verlag Holtzbrincks jedoch dauerhaften Absatz und damit eine stabile Existenz versprach.157 Von Bedeutung war dies auch deshalb, weil die Kürzung der Papierkontingente für Zeitschriften- und Buchverlage sowie die Fusion bzw. Einstellung von Zeitschriften vor allem in der zweiten Kriegshälfte den »werbenden Buch- und Zeitschriftenbuchhandel« als das ursprüngliche Geschäftsfeld der DEVEX immer mehr obsolet werden ließen und ihn schließlich gänzlich zum Erliegen brachten.158 Anfang 1943 musste dann allerdings auch die »Bibliothek« Holtzbrincks eingestellt bzw. mit dessen Wiesbadener Volksbüchern fusioniert werden. Die Kooperation zwischen Holtzbrinck und dem Deutschen Volksbildungswerk sowie der DAF bestand indes weiter. Allein im November 1943 produzierte der Verlag Deutscher Volks­bücher 100.000 Bücher für das Volksbildungswerk und noch einmal 150.000 Bände unmittelbar für die DAF. Darüber hinaus partizipierte der Verlag Holtzbrincks seit Mitte 1943 am Frontbuchhandel, der weitgehend in den Händen der Arbeitsfront und ihres Zentralverlages lag.159 156 Vgl. im Einzelnen ebd., S. 105, 110 ff., 114-120, 140-144. Zum Volksbildungswerk vgl. Josef Olbrich, Geschichte der Erwachsenenbildung in Deutschland, Opladen 2001, bes. S. 234-247, sowie (als Überblick) Smelser, Hitlers Mann, S. 213 f.; Schneider, Unterm Hakenkreuz, S. 229, 403. 157 Vgl. Garke-Rothbart, Holtzbrinck, S. 81 ff., 121 ff. 158 Im Okt. 1944 verfügte die Reichspressekammer ein generelles Verbot der mobilen Abonnentenwerbung. 159 Vgl. ebd., S. 154 ff. Zum Frontbuchhandel vgl. unten. 315 5.4. Konkurrenzen, Konflikte – und das Scheitern der Bemühungen um Verschmelzung der Verlage zu einem Konzern Launenhaft und desinteressiert – zur Aufsicht der Arbeitsfront über ihre Verlage bis 1938 Während der Zentralverlag als eine Art Unterabteilung der Gesamtorganisation funktionierte und straff an die Berliner Zentrale der Arbeitsfront angebunden war, blieben die Beziehungen zwischen Arbeitsfront und den beiden Verlagen, die aus der Erbmasse des DHV in ihr Eigentum übergegangen waren, sehr viel lockerer. Vor allem anfangs konnten diese weiterhin als eigenständige Unternehmen agieren. Die DAF-Füh­rung war in den ersten beiden Jahren der NS-Herrschaft mit der Formierung der Organisation sowie mit internen Querelen vollauf beschäftigt. Um in die einzel­nen Verlage hineinzuregieren, fand sie schlicht keine Zeit. Erst nachdem sich die Arbeitsfront 1935 organisatorisch zu konsolidieren begann, fingen die verantwortlichen Stellen der DAF an, die vormaligen DHV-Verlage stärker an die Leine zu nehmen. Aus einer Reihe von Gründen blieb diese Leine jedoch weiterhin ziemlich locker: Auch danach war die Arbeitsfront alles andere als ein im Innern rational strukturierter, schlagkräftiger Verband. Den Charakter eines »charismatischen Verwaltungsstabes« konnte sie zu keinem Zeitpunkt abstreifen. Organisationsinterne Rivalitäten und Eifersüchteleien konnten eingedämmt, jedoch niemals gänzlich abgestellt werden. Des Weiteren führte der ausgeprägte Antiintellektualismus Robert Leys und ebenso seiner Getreuen an der DAF-Spitze dazu, dass jene die Verlage eher als lästigen Appendix ihres riesigen und unübersichtlichen Wirtschaftsimperiums betrachteten – im offensichtlichen Unterschied zum Volkswagenwerk, aber auch zur Arbeitsbank, zum Wohnungskonzern, zu den Versicherungs­ unternehmen oder zu den Konsumgenossenschaften. Sie besaßen nicht nur die Mentalität kulturloser Kapitalisten, sondern ignorierten auch die ideolo­gisch›volks­pädagogischen‹ Potentiale, die ihnen die beiden im rechtsradikalen Lager verwurzelten ehemaligen DHV-Verlage boten.160 Konkurrenzen und Konflikte Zudem waren die Verantwortlichen der Treuhandgesellschaft für die wirtschaftlichen Unternehmen der DAF (TWU) mit verlegerischen Fragen überfordert und vor allem am ökonomischen Erfolg orientiert. Auch nach der Ablösung Karl Müllers Mitte 1935 und der Inthronisierung des DAF- und KdFReichsschatzmeisters Paul A. Brinckmann und seines Stellvertreters Boltz zu den Hauptverantwortlichen für die Wirtschaftsunternehmen der Arbeitsfront blieb die Verwaltung der Wirtschaftsunternehmen weiter im Fluss. Brinckmann und Boltz kümmerten sich noch weniger um die Verlage als ihr Vorgänger Müller. 160 Symptomatisch ist, dass der DAF-Geschäftsführer Otto Marrenbach sich in seinem »Fundamente des Sieges« betitelten und im Zentralverlag erschienenen Rechenschaftsbericht lediglich auf einer Seite, und – sehr untypisch für die Arbeitsfront – ohne konkrete Zahlen vorzulegen, den DAF-Verlagen widmete, während er in dem dickleibigen Opus die Wohnungsgesellschaften und Bauhütten mit drei und das VWWerk sogar mit vier Seiten würdigte. 316 konkurrenzen und konflikte Dies änderte sich, als Hans Strauch und Bruno Raueiser nach dem Abgang von Brinckmann und Boltz von Anfang 1938 bis zum Zusammenbruch der Dik­tatur innerhalb der DAF-Führung die Verantwortung (auch) für die Verlagshäuser und Druckereien erhielten. Sie kontrollierten die beiden früheren DHV-Verlage und ebenso den Zentralverlag der Arbeitsfront über die Aufsichtsräte.161 Allerdings mischten sich auch Strauch und sein Stellvertreter Raueiser in aller Regel nicht unmittelbar in die Geschäftspolitik der Verlage ein.162 Die Vorstände und Geschäftsleitungen der vormaligen DHV-Verlage verfügten infolgedessen über große Freiräume und konnten (zunächst) sicher sein, dass ihnen die DAF-Auf­seher bei der Gestaltung der Verlagsprogramme nicht genauer auf die Finger schauten. Diese Freiräume der Ein­zelverlage hatten freilich den paradoxen Effekt, dass die Führungsfiguren der drei DAF-Ver­la­ge Mitte der dreißiger Jahre zu Hahnenkämpfen antraten, nämlich den jeweils eigenen Verlag auf Kosten der beiden anderen zu vergrößern suchten. Erst nachdem sich Pezold, Ziegler und Heffe untereinander in die Haare bekamen, sah sich die Führung der TWU zu Interventionen veranlasst. Machtkämpfe und die Vernetzung der Verlage ab 1938 Nominell waren Heffe, Ziegler und Pezold als Direktoren bzw. Geschäftsführer der drei Einzelverlage einander gleichgestellt. Das änderte sich, als Heffe im Herbst 1935 neben der Leitung des noch im Aufbau befindlichen Zentralverlages zusätzlich das Amt eines »Beauftragten für die Verlagsunternehmen der DAF« erhielt. Wenn Heffe und nicht seinen beiden Konkurrenten der Aufstieg an die Spitze des DAF-Verlagskonsortiums gelang, dann lag dies erstens offensichtlich daran, dass Pezold ein 1930 in den Georg Müller-Verlag eingetretener Außenseiter blieb und Ziegler im DHV sozialisiert worden war und in den Nasen der DAF-Funktionäre den Stallgeruch der Jungkonservativen verbreitete. Beide liefen trotz der politisch-ideo­logi­schen Nähe, die der DHV mitsamt seiner Verlage während der letzten Jahre gegenüber der NS-Bewegung gezeigt hatte, nach 1933 Gefahr, kaltgestellt zu werden, wenn sie ein allzu eigenständiges Profil zeigten. Dass sie sich politisch anbiederten, änderte daran nichts. Heffe war dagegen ein politisch unscheinbarer »Alter Kämpfer« und ein nicht vorbelastetes Eigengewächs der Arbeitsfront. Hinzu kam, dass Pezold acht Jahre und Ziegler fünf Jahre älter waren als Heffe. Sie gehörten noch der »Frontgeneration« an, die den Krieg erlebt hatte, während Heffe – wie die meisten, oft sehr jungen DAF-Funktio­näre163 – bereits zur »überflüssigen Generation« zählte, die erst in den letzten Monaten des Ersten Weltkrieges eingezogen worden war oder diesen nur vom Hörensagen kannte. 161 Vgl. Kapitel 2, S. 74 ff. 162 Vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 132, 136 und 143, der namentlich Strauch ein »weitgehendes Verständnis« für die Verlagspolitik der HAVA attestiert. 163 Vgl. Hachtmann, Kleinbürgerlicher Schmerbauch, S. 256. 317 die verlage Obwohl der Altersunterschied mitunter nur wenige Jahre betrug, konnte diese Generationsdif­f erenz gerade im Rahmen der DAF schnell zu heftigen, für die Betroffenen mitunter existentiellen Konflikten eskalieren.164 Wichtig war außer­ dem die räumliche Nähe oder Distanz zum politischen Zentrum der Arbeitsfront. Heffe und das von ihm geführte Unternehmen wurden ganz anders an die Kandarre der DAF-Führung genommen als Ziegler in Hamburg und Pezold in München. Heffes Position war widersprüchlich: In Berlin war seine Stellung eher subaltern; innerhalb des DAF-Verlags­kon­sortiums durfte er sich nach seiner Ernennung zum »Beauftragten für die Verlagsunternehmen der DAF« als Vorgesetzter Zieglers und Pezolds fühlen. Auseinan­der­set­zungen waren damit program­miert. Auslöser der Konflikte waren Gegensätze zwischen dem ehrgeizigen Pezold und dem eher vorsichtigen Ziegler, die im Februar 1936 eskalierten und Heffe die Stellung eines Züngleins an der Waage verschafften.165 Letzerer sah die Chance gekommen, die beiden ehemaligen DHV-Verlage unter dem Dach ›seines‹ Zentralverlages zusammenzuführen und sich selbst in die Zentralposition innerhalb des Verlagsimperiums der Arbeitsfront zu katapultieren. Zunächst verbündeten sich Heffe und Pezold. Sie verständigten sich da­rauf, die Buch­ gemeinschaften der HAVA und des Zentralverlags – die Deutsche Hausbücherei und die Büchergilde Gutenberg – zwangszufusionieren. Außerdem sahen beide die Errichtung eines Zentrallektorates unter den Fittichen der TWU vor, das im Interesse der DAF die Arbeitsfelder der drei Verlage koordinieren und deren verlegerische Bereiche arbeitsteilig abstecken sollte. Darüber hinaus vereinbarten die beiden, dass ausschließlich der Zentralverlag auf dem lukrativen Feld der DAF-Zeitschriften und -Bro­schüren sowie a­uf dem bis dahin weitgehend von der HAVA beherrschten KdF-Markt tätig sein dürfe. Dem alarmierten Ziegler gelang es bis Ende 1936 durch geschicktes Intrigieren, das Bündnis zwischen Heffe und Pezold aufzusprengen. Er konnte die Fusion der beiden Buchgemeinschaften verhindern und der HAVA den Erhalt ihrer absatzstrategisch zentralen Deutschen Hausbücherei sichern.166 Auch in anderer Beziehung hatten Pezold wie Heffe die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Die maßgeblichen Leute der TWU erklärten zwar, sich in interne Kon164 Vgl. (exemplarisch für den Unternehmensberater und Organisationsanalytiker Karl Eicke und die Konflikte, die dieser mit seinem Gutachten über die Deutsche Arbeitsfront vom Juli 1936 auslöste) Hachtmann, Koloss, S. 46 f. Den Konflikten um Karl Müller, den bis 1935 wirtschaftspolitisch ›starken Mann‹ innerhalb der DAF, lagen gleichfalls untergründig auch generationelle Friktionen zugrunde. 165 Dazu und zum Folgenden ausführlich: Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 106 ff. Vgl. auch Barbian, Literaturpolitik, S. 139. 166 Auf der entscheidenden Besprechung der führenden Vertreter der TWU (u. a. Brinckmann, Boltz, Bierlein) mit Heffe, Pezold und Ziegler als den leitenden Direktoren der Verlagsunternehmen der DAF am 23. Nov. 1936 ließ Pezold Heffe im Regen stehen. Nur Heffe sprach sich noch für die Fusion der Buchgemeinschaften aus, die damit angesichts einer bewussten Zurückhaltung der TWU (Anm. 167) gescheitert war. Vgl. Niederschrift dieser Besprechung (vom 25. Nov. 1936), in: BA Berlin, NS 5 III, Nr. 42. 318 konkurrenzen und konflikte troversen zwischen den Verlagen nicht einmischen zu wollen.167 Sanktioniert wurde Mitte November 1936 allerdings eine schärfere Arbeitsteilung zwischen den drei Großverlagen faktisch zugunsten des Zentralverlags der DAF. Dieser erhielt das Monopol auf sämtliche Periodika und Schriften der Arbeitsfront wie den noch profitableren KdF-Markt. Die HAVA sollte sich »auf rein wissenschaftliche bzw. politisch-wis­sen­schaftliche und Zeitschriftenliteratur« beschränken, während sich der LMV auf »das Gebiet der schöngeistigen Literatur« zu konzentrieren hatte.168 In den folgenden Monaten spitzte sich der persönliche Konflikt zwischen Ziegler einerseits und Heffe sowie der TWU andererseits so zu, dass dem HAVAVorstand gekündigt wurde. Aus formalen Gründen wurde die Kündigung allerdings nicht rechtswirksam. Gehen musste dagegen Pezold. Ausschlaggebend war, dass der Chef des LMV sich nicht darauf beschränkt hatte, den Konflikt DAF-intern zu bereinigen. Pezold hatte den Fehler begangen, den »Stellvertreter des Führers« einzuschalten – den schärfsten Rivalen Robert Leys auf den zentralen politischen Bühnen des NS-Regimes. So erklärte Pezold während einer Unterredung mit dem Chef der Arbeitsfront und Reichsorganisationsleiter der NSDAP am 23. Februar 1938 wörtlich, dass er »lediglich dem entsprochen« habe, was ihm »als Wunsch des Stellvertreters des Führers […] mitgeteilt worden sei«. Ley unterbrach erbost, »das sei ja eben, was er mir vorwerfe, dass ich nicht zu ihm gekommen sei«. Pezold sei »daran schuld, dass der Stellvertreter des Führers in die Sache hineingezogen worden sei«. Alle Angelegenheiten, die die DAFVerlage betreffe, seien »ausschließlich seine, Leys, Sache und gehe[n] niemand anderes etwas an«; er, Ley, »lasse sich nicht drein reden«.169 Pezold hatte nicht verstanden, dass die Arbeitsfront als »charismatischer Verwal­tungs­stab« samt ihren Unternehmen ein Herrschaftsfeld war, das Ley vom »Führer« als eine Art Lehen übertragen bekommen hatte und autokratisch führte. Es musste Ley auf das empfindlichste treffen, dass Pezold dem Ley-Konkurrenten Heß Einfluss auf DAF-interne Angelegenheiten einräumen wollte. In seiner Perspektive konnte Ley gar nicht anders, als den illoyalen Pezold Anfang 1938 vor die Tür zu setzen.170 Heß wiederum oder andere hohe NS-Funktionsträger dachten nicht daran, sich für Pezold einzusetzen; es hätte diesem auch nichts genutzt. An Stelle 167 So Boltz gegenüber Ziegler nach einer Aktennotiz vom 23. Sept. 1936, nach: Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 105. 168 Niederschrift über die Besprechung am 23. Nov. 1936 (wie Anm. 166). Vgl. außerdem Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 108. 169 Gedächtnisprotokoll Pezolds über seine Besprechung mit Ley am 23. Febr. 1938 in München (an der auch H. Simon teilnahm), nach: ebd., S. 110, Anm. 152. 170 Pezold beging denselben Fehler, den ein gutes Jahr zuvor der erwähnte Unternehmensberater Karl Eicke begangen hatte. Eicke hatte in seinem Konflikt mit Leys Stabsleiter Simon um sein kritisches Organisationsgutachten über die Arbeitsfront gleich­f alls externe Stellen eingeschaltet, nämlich ebenfalls Heß sowie außerdem Schacht und den NSDAP-Reichsschatzmeister Franz Xaver Schwarz. Die DAF-Führung veranlasste, dass Eicke aus der NSDAP ausgeschlossen wurde und faktisch Berufsverbot erhielt. Ausführlich: Hachtmann, Koloss, bes. S. 50 ff. 319 die verlage des entlassenen Pezold übernahmen Walter Fischer und Korfiz Holm die Geschäftsführung des LMV.171 Heffe hatte den Machtkampf mit Pezold und Ziegler zwar gewonnen. Seine Ambitionen jedoch, die drei Großverlage de facto zu verschmelzen,172 zerschlugen sich. Den maßgeblichen literaturpolitischen Funktionären aus dem Dunstkreis des Goebbels-Ministe­riums waren die beiden vormaligen DHV-Verlage zu wichtig; sie wussten deren Unterordnung unter das von Heffe und der TWU geplante Zentrallektorat zu verhindern. Die DAF-Füh­rung ihrerseits hatte bündnispolitische Rücksichten zu nehmen und gab ihre Überlegungen zur Fusion der drei Verlage auf. Ziegler hatte seinen Kopf aus der Schlinge gezogen und stand der HAVA weiter vor, auch nach ihrer Privatisierung 1943. Zudem wurde er stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des Buchmeister Verlages und der Büchergilde Gutenberg. Heffes Titel als »Beauftragter der DAF für deren Verlage« war zwar nicht mehr viel wert, da die drei großen DAF-Verlage separiert blieben. Aber er blieb Geschäfts­f ührer (mit dem Titel des Direktors) sowohl des Zentralverlages der Arbeitsfront als auch der Büchergilde Gutenberg und ihres Buchmeister-Ver­ lages. Zudem wurde er seinerseits stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Hanseaten und des Langen-Müller-Ver­la­ges, ferner der August Pries GmbH.173 171 Holm (1872-1942), der seit 1919 Miteigentümer des Albert Langen-Verlages war, ­amtierte seit 1932 als Co-Geschäftsführer des LMV, zunächst mit Pezold, später mit W. Fischer und F.A. Beck. Holm blieb im Hintergrund. Der starke Mann im LMV war bis 1938 Pezold. Holm blieb auch in der zweiten Linie, als W. Fischer eingesetzt wurde. Über Fischer ist bis auf dessen NSDAP-Mitglied­schaft wenig bekannt. Er galt als Vertrauter des DAF-Aufsichtsrates, amtierte jedoch nur kurzzeitig. Auf ihn folgte bereits Mitte 1939 F.A. Beck (vgl. unten), dessen Nachfolge von Sept. 1942 bis Febr. 1943 dann kommissarisch der HAVA-Vorsitzende B. Ziegler antrat. Zu Holm: Meyer, Verlagsfusion, S. 56 ff. 172 Während einer Aufsichtsratssitzung des LMV Anfang Dez. 1937 hatte Heffe bereits kundgetan, dass die drei Verlage der Arbeitsfront »aus steuertechnischen Gründen« zu einem einzigen Unternehmen fusioniert werden sollten. Ziegler sollte (neben Heffe) Zweiter Geschäftsführer sowohl des LMV als auch des DAF-Zentralverlages werden. Das war wahrscheinlich nicht nur eine »Provokation« von Seiten Heffes, wie Lokatis vermutet, sondern entsprach Plänen innerhalb der DAF-Füh­rung (nicht nur der TWU). Sie wurden hinfällig, nachdem Pezold in den folgenden Wochen Heß mit den Plänen der Arbeitsfront-Führung bekannt gemacht hatte. Wahrscheinlich ist, dass Heß seinerseits den mächtigen NSDAP-Reichsschatzmeister einschaltete, der seit 1935 in finanzieller Hinsicht ein formelles Aufsichtsrecht gegenüber der DAF besaß und mithin auch jene Pläne zunichtemachen konnte. Dass Pezold während der Aufsichtsratssitzung den Vertretern der TWU gegenüber »mit seinen Beziehungen« gedroht hatte, passt in dieses Bild. Die Entlassung Pezolds wiederum wurde mit Unterschlagungen begründet, die dieser sich hatte zuschulden kommen lassen. Tat­ sächlich musste Pezold »Schulden« in Höhe von 33.000 RM gegenüber dem Verlag einräumen. Vgl. Meyer, Verlagsfusion, S. 218 f. Zum Folgenden vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 109 f. 173 Darüber hinaus war Heffe Aufsichtsratsvorsitzender der meisten Verlage, die zur »Gruppe« des DAF-Zentralverlages gehörten (Aufbruch-Verlag/Köln, Buchdrucker- 320 konkurrenzen und konflikte Ende 1939 sollte er mit der Leitung der Zentrale der Frontbuchhandlungen einen weiteren wichtigen Posten übernehmen. Vertieft wurden die personellen Verflechtungen der drei DAF-Verlagsgruppen dadurch, dass Mitte 1938 die HAVA wie der LMV eigentumsrechtlich in Aktiengesellschaften umgewandelt worden waren. Weniger wichtig war, dass die Vorstände der vormaligen DHV-Unter­nehmen nach deren Umwandlung in AGs nun ausführlicher sowohl über ihre Geschäftsführung als auch über die verlegerischen Aktivitäten Auskunft geben mussten. Von größerer Bedeutung war, dass nun die TWU als das Dach des DAF-Wirtschaftsimperiums konzernintern eine schärfere und effizientere Kontrolle ausübte; seitdem saßen die entscheidenden wirtschaftspolitischen Funktionsträger der Arbeitsfront in den Aufsichtsräten der großen Arbeitsfront-Unternehmen. Sie machten dem Namen dieser Gremien Ehre und führten dort auch tatsächlich die Aufsicht – nicht nur in den Verlagshäusern, sondern in allen Teilen des DAF-Konzerns. Die Vernetzung über Aufsichtsratsfunktionen war eine DAF-eigene Form, die die scheinbar disparaten Unternehmen der Arbeitsfront elastisch zusammenband und den stark personalistischen Herrschaftsformen des Nationalsozialismus angepasst war. So saß denn Hans Strauch als der Chef der TWU und die ab 1938 (neben dem Ley-Stell­vertreter Heinrich Simon) entscheidende Figur innerhalb des Wirtschaftsimperiums der Arbeitsfront, die Aufsichtsratsmandate geradezu sammelte, auch in den Aufsichtsgremien sämtlicher wichtiger Verlage im Besitz der Arbeitsfront. Bruno Raueiser, neben Strauch der zweite ›starke Mann‹ innerhalb des DAF-Wirtschaftsimperiums, fungierte als stellvertretender Aufsichtsrats­ vorsitzender des Zentralverlages der Arbeitsfront. Wenn Raueiser den Aufsichtsräten der HAVA und dem LMV als den beiden anderen großen Verlagen der Arbeitsfront nur als einfaches Mitglied angehörte, dann kann man dies auch als politische Präferenz der DAF-Führung werten: In ihrem Fokus stand der Zentralverlag; den beiden anderen Verlagshäusern maß sie demgegenüber eine geringere Bedeutung bei.174 werkstätte/Berlin, Großbuchbinderei Franz Wermke/Berlin, Adam Kraft Verlag/ Karls­bad, Wiener Verlagsgesellschaft, Lehrmittelzentrale der DAF). Als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender amtierte er im Verlag »Freude und Arbeit«. Heffe wie Ziegler saßen ferner im Aufsichtsrat des Verlages des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der DAF. Ziegler erhielt außerdem die Leitung der Fachgruppe »Buchgemeinschaften« in der Reichsschrifttumskammer; daneben fungierte er als Obmann des Landesverbandes Nordmark im Eichsverband deutscher Zeitungsverleger. 174 Vgl. zu Netzwerk-Funktion und personeller Besetzung der Aufsichtsräte der DAFUnternehmen Kapitel 2, S. 80 ff. 321 5.5. Expansion und »Fronteinsatz«: die DAF-Verlage im Krieg Rahmenbedingungen Der Kriegsbeginn veränderte die Rahmenbedingungen für Verlage und Buchhandel mindestens ähnlich stark wie die NS-Machtergreifung 1933.175 Auf der einen Seite blieben Verlage und Buchhandel auch nach dem 1. September 1939 unverzichtbar. Ihre Bedeutung wuchs sogar eher noch, als dass sie sank. Zentral waren die Printmedien als Stabilisatoren der Heimatfront und als ›Seelentröster‹ an den militärischen Fronten. Es entwickelte sich eine regelrechte Lesewut, die bei vielen einer Flucht in die von den tolerierten belletristischen Schriftstellern erzeugten virtuellen literarischen Welten gleichkam. Bereits im Frühjahr und Frühsommer 1940 war es vor allem die (aus der Sicht des SD) »leichte Unterhaltungslektüre« bzw. »minderwertige« oder »seichte Unterhaltungsliteratur«, nach der »eine überaus starke Nachfrage bestand«,176 ein Trend, der sich in der Folgezeit drastisch verstärkte. Hatten bis Ende 1941 daneben auch belletristisch angelegte Kriegsliteratur sowie »Sachbücher« zur Technik eine – wenn auch geringere – Resonanz gefunden, so änderte sich dies mit dem Scheitern der Blitzkriegsstrategie und den massiveren Luftbombardements ab 1942. Heroisierende Kriegsromane etc. erinnerten danach nur zu sehr an das Grauen, das seitdem die Deutschen an den militärischen und Heimatfronten traf. Die Flucht in die scheinbar harmlose Belletristik verstärkte sich. Je weniger man an den heimatlichen wie militärischen Fronten zu lachen hatte, desto stärker nahm man zu humoristischer Literatur Zuflucht. Das Regime konnte für solcherart Ablenkung nur dankbar sein und trat dem nicht entgegen. So mochte sich der SD zwar über den Geschmack des breiten Lesepublikums mokieren, der bis 1940 auch Margaret Mitchells »Vom Winde verweht« und weitere US-amerikanische Literatur zu reichsdeutschen Bestsellern machte. Mit Verboten oder sonstigen Erschwernissen mussten die NS-Stellen jedoch vorsichtig sein, wollten sie die durch ein ab 1941/42 rapide sinkendes Angebot an Büchern und Romanheften verärgerten Kunden an der Heimatfront nicht unmittelbar gegen sich und damit gegen das Regime aufbringen. Denn gleichzeitig verschärften sich die ökonomischen Zwänge. Die Kontingentierung von Papier wurde bereits im Herbst 1939 eingeführt. Je länger der Krieg dauerte, desto restriktiver wurde sie gehandhabt.177 Trotz z. B. der Lieferung großer Mengen von Papier aus dem von der Wehrmacht besetzten Norwe175 Einen guten Überblick bieten: Barbian, Literaturpolitik, bes. S. 306-313, für die letzte Kriegsphase bes. S. 238-242, 315-319; ergänzend Triebel, Kultur und Kalkül, bes. S. 242-247. 176 Zitate: Meldungen aus dem Reich, Bd. 4, S. 950 (3. April 1940), bzw. Bd. 5, S. 1493, 1752 f. (22. Aug. bzw. 11. Nov. 1940). Vgl. außerdem die in Anm. 184 genannten Belege. 177 Zu den zunehmend bürokratischeren Genehmigungsverfahren, den sich verschärfenden Engpässen bei der Belieferung mit Papier sowie den Schwarzmärkten für diesen Rohstoff ab 1942/43 vgl. vor allem Bühler/Bühler, Frontbuchhandel, S. 19-24; Hans- 322 die daf-verlage im krieg gen178 ging die Buchproduktion ab dem zweiten Kriegsjahr dramatisch zurück.179 Die Inanspruchnahme von Papierproduktions- und Druckereikapazitäten in den besetzten Gebieten verschaffte nur eine vorübergehende Entspannung,180 obwohl die entsprechenden Verlagerungen erheblich waren.181 Für die einzelnen Verlage rückte die Versorgung mit dem Rohstoff Papier sowie zunehmend außerdem mit Arbeitskräften in den Vordergrund. Die Knappheit an beiden Ressourcen sollte in der zweiten Kriegshälfte zu einem zentralen Hebel für einen beispiellosen Konzentrationsprozess im deutschen Buchhandel werden. Um den Absatz ihrer Bücher mussten sich die Verlage keine Sorgen machen. Zusätzlich unter Druck gesetzt wurde der Buchmarkt von der Nachfrageseite her durch eine »Flucht in die Sachwerte«.182 Da immer mehr Konsumgüter des täglichen Bedarfs rationiert und damit den offiziellen Märkten entzogen wurden, Bücher davon jedoch ausgenommen blieben, wurde der Kaufkraftüberhang zu erheblichen Teilen in Büchern ›angelegt‹.183 Die Verlage bauten ihre Lager­bestände rapide ab. Die Kunden standen schon bald vor leeren Schaufenstern und Bücherregalen. Selbst belletristische Ladenhüter fanden reißenden Absatz, aber auch in der Perspektive der Nationalsozialisten »schädliches und unerwünschtes Schrifttum« kam auf den Markt.184 Es würde wahllos »alles gekauft, 178 179 180 181 182 183 184 Eugen Bühler/Olaf Simon, Die blendenden Geschäfte des Matthias Lackas. Korrup­ tionsermittlungen in der Verlagswelt des Dritten Reichs, Köln 2004, S. 46-51. Vgl. Meldungen aus dem Reich (28. Okt. 1940), Bd. 5, S. 1713. 1940 hatte die Zahl der gedruckten Bücher bei 242,3 Mio. Stück gelegen. 1941 stieg die Buchproduktion auf 341,9 Mio. Stück, um im folgenden Jahr auf 244,2 Mio. Stück zu sinken. Vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 126, bzw. Barbian, Literaturpolitik, S. 308, Anm. 21. Vgl. etwa Meldungen aus dem Reich, Bd. 16, S. 6417 ff. (Inlandsbericht vom 16. März 1944). Zu einem bevorzugten Standort wurden die Niederlande. Dort konzentrierten die aus dem Reich verlagerten Produktionen bereits 1941 mehr als 10 % der Gesamtproduktion des graphischen Gewerbes. Vgl. Bühler/Bühler, Frontbuchhandel, S. 57 f.; Friedländer u. a., Bertelsmann, S. 420 bzw. 669 f. Zitat: Meldungen aus dem Reich, Bd. 9, S. 3317 (16. Febr. 1942). Der »Barumschlag« des Berliner Buchhandels stieg nach den Angaben des Hauptschriftleiters des Börsenblattes für den Deutschen Buchhandel Gerhard Menz von 1941 allein in der Reichshauptstadt von 1,3 Mio. RM 1937 über 1,5 Mio. RM und 1,8 Mio. RM in den beiden folgenden Jahren auf schließlich 2,5 Mio. RM im Jahre 1940. Nach: Triebel, Kultur und Kalkül, S. 204 f., Anm. 560. Zur konjunkturellen Scheinblüte der ersten Jahre des Zweiten Weltkrieges sind die vom SD der SS gesammelten »Meldungen aus dem Reich« aufschlussreich. Vgl. insbesondere Bd. 4, S. 949 (3. April 1940); Bd. 5, S. 1367, 1585 ff., 1713 (11. Juli, 19. Sept., 28. Okt. bzw. 11. Nov. 1940); Bd. 6, S. 1926-1929 (23. Jan. 1941); Bd. 7, S. 2533 (17. Juli 1941); Bd. 8, S. 2951 ff. (6. Nov. 1941); Bd. 9, S. 3155 f., 3317-3320, 3351-3356, 3969 ff. (12. Jan., 16. und 23. Febr. bzw. 20. Juli 1942); Bd. 12, S. 4652-4663 (11. Jan. 1943). Zitat: ebd., Bd. 6, S. 3396 (2. März 1942). Vgl. auch (mit weiteren Quellen) Triebel, Kultur und Kalkül, S. 255 f. 323 die verlage was nach Buch aussah«, klagte der SD. Lediglich die politisch-ideo­logischen Traktate führender Nationalsozialisten seien »wenig verlangt« worden.185 Die Folge der boomenden Nachfrage nach Literatur war, dass – bevor 1941/42 erste »Auskämmaktionen« durchgeführt wurden, der Rohstoff Papier allmählich versiegte und sich ab 1943 Betriebsstilllegungen im Verlagswesen häuften – die Produktionskapazitäten ausgelastet waren und Druckaufträge in zunehmendem Maße ins besetzte Ausland oder in neutrale Länder (Schweden, Schweiz) ver­ geben wurden. Ökonomisch profitierte in erster Linie der reichsdeutsche Buchhandel, aber auch die Erträge vieler Verlagshäuser blieben während der ersten Kriegshälfte, mitunter auch darüber hinaus, beachtlich. Aufstieg und abrupter Fall: die Büchergilde Gutenberg und andere Buchgemeinschaften im Krieg Ebenso fuhren Buchgemeinschaften satte Gewinne ein, allerdings nur bis 1942. Sie konnten sich in den ersten Kriegsmonaten neuer Mitglieder kaum erwehren, die sich von einem Beitritt die regelmäßige Belieferung mit Literatur sowie überhaupt den leichten Zugang zu preiswerten Titeln versprachen. Binnen zweier Jahre verdoppelte sich der Mitgliederbestand der Büchergilde Gutenberg, auf eine halbe Mio. Mitglieder im Sommer 1940. Einen solch starken Anstieg hatten die anderen Buchgemeinschaften nicht zu verzeichnen. Aber auch die Deutsche Hausbücherei vergrößerte in den beiden ersten Kriegsjahren die Zahl der Abonnenten um etwa 30.000, auf 1941 fast 175.000 Mitglieder (Tabelle 3.2).186 Wenn unter den reichsdeutschen Buchgemeinschaften vor allem die Büchergilde prosperierte, dann lag dies nicht nur daran, dass die breiten Arbeitnehmerschichten ein noch weitgehend unausgeschöpftes Kundenpotential waren.187 Die Büchergilde war darüber hinaus weit enger als die Deutsche Hausbücherei mit der Arbeitsfront verbunden und profitierte infolgedessen besonders stark auch von den Auslandsaktivitäten der DAF. So nutzte sie die vom Zentral­verlag der Arbeitsfront und von der »Zentrale der Frontbuchhandlungen« gegründeten, nominell selbständigen Verlage in Prag, Brüssel, Paris, Riga, Kopenhagen und anderen europäischen Metropolen, um bei den militärischen und sonstigen Dienststellen neue Mitglieder zu gewinnen. 185 Meldungen aus dem Reich, Bd. 6, S. 1926 bzw. 1928 (23. Jan. 1941). 186 1942 besaß die Deutsche Hausbücherei 24 größere Zweigstellen und um die 2.000 Buchausgabestellen. 187 Und blieben: Das relativ starke Mitgliederwachstum der Büchergilde Gutenberg sollte nicht vergessen lassen, dass für das Gros der Arbeiterhaushalte (und vermutlich ebenso bäuerlicher Haushalte) bis 1945 und darüber hinaus »der Zeitungsroman der einzig umfangreichere belletristische Lesestoff« blieb und gebundene Bücher dort eher selten zu finden waren. Zitat: Hermann Feller, Fragen um den Zeitungsroman, in: Zeitungsverlag 43/1942, S. 58, nach: Karl-Christian Führer, Medienmetropole Hamburg. Mediale Öffentlichkeit 1930-1960, Hamburg 2008, S. 398. 324 die daf-verlage im krieg Darüber hinaus warb die Büchergilde in den mit dem Dritten Reich verbündeten Staaten unter den dortigen »Trägern des Deutschtums« Mitglieder, etwa in der Slowakei sowie in Ungarn.188 Wie schon die Arbeitsbank und die DAFVersicherungen orientierte sich auch die Büchergilde im Osten Europas nicht auf die Gesamtheit der einheimischen Bevölkerung, sondern lediglich auf die dort lebenden »Volksdeutschen«. Im Osten bemühte sich die Büchergilde mindestens in einigen Fälle allerdings auch um die mit den Deutschen vorgeblich ›rassisch verwandten‹ Bevölkerungen. So beschränkte sie sich in der bilingualen belgischen Hauptstadt nicht darauf, die Buchgemeinschafts-Mitglieder, die nach Brüssel versetzt worden und in den Dienststellen der Wehrmacht, sonstiger NSInstitutionen oder auch reichsdeutschen Unternehmen tätig waren, mit Pflichtexemplaren zu versorgen. Darüber hinaus eröffnete sie 1940 oder 1941 eine Buchhandlung im Zentrum der Stadt, um über die deutschen Besatzer hinaus auch flämische Kundschaft anzulocken.189 Ob die Büchergilde in Ungarn, der Slowakei, in Belgien oder den Niederlanden tatsächlich Fuß fassen konnte, ist allerdings zweifelhaft. Zur Jahreswende 1941/42 nämlich endete der Aufschwung der Büchergilde Gutenberg und anderer Buchgemeinschaften abrupt. Anfang Januar 1942 gab Wilhelm Baur – der Geschäftsführer des Eher-Verlages und (neben Amann) ›Vater‹ des rasanten Aufstieges des Zentralverlages der NSDAP sowie darüber hinaus Vorsteher des Börsenvereins und damit »Leiter des Deutschen Buchhandels« – eine Anordnung heraus, nach der die Buchgemeinschaften nur noch die Hälfte ihrer Pflichtreihen an Mitglieder ausgeben durften.190 In einer zweiten Anordnung von Anfang 1942 verfügte Baur ein Werbe- und Aufnahmeverbot für neue Mitglieder. Lokatis hat wohl zu Recht vermutet, dass Baur dabei allgemeine Ziele und konkrete unternehmenspolitische Interessen verquickte, nämlich nicht nur die allgemeine ›Büchernot‹ dämpfen wollte, sondern gleichzeitig die DAF-eigene Deutsche Hausbücherei treffen und darüber wiederum vor allem den LangenMüller-Verlag, aber auch die »Hanseaten« sturmreif schießen wollte. Auch der Büchergilde Gutenberg wurde das Wasser abgegraben. Im Unterschied zu bürgerlichen Büchergemeinden wie der »Deutschen Buch-Gemein­ 188 Vgl. Geschäftsführer der DAF, Referat Ausland, an das Auswärtige Amt, Referat ­Partei (zu Hd. Pg. Büttner) vom 9. Febr. 1940, sowie Antwortschreiben des Auswärtigen Amtes (Ref. i.V. AR. Fleißner), vom 20. Febr. 1940, in: PA AA, R 99021. 189 Dies provozierte erheblichen Protest aus dem Goebbels-Ministerium. So mokierte sich der Leiter der Wirtschaftsstelle des Deutschen Buchhandels Paul Hövel, dessen dem Propaganda-Ministerium zugeordneter Behörde der Buchex- und -import sowie seit Kriegsbeginn die Papierbewirtschaftung oblagen, in einem Schreiben vom 15. Aug. 1941 an Hanns Johst (in dessen Funktion als Präsident der Reichsschrifttumskammer) darüber, dass die Büchergilde Gutenberg ausgerechnet auf »Brüssels Hauptstraße« einen großen Buchladen eingerichtet hatte, in unmittelbarer Nachbarschaft einer Frontbuchhandlung – ein Tatbestand, der auf ein abgestimmtes Vor­gehen beim Aufbau von Filialen beider Seiten schließen lässt. Vgl. Bühler/Bühler, Frontbuchhandel, S. 102. 190 Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 130. 325 die verlage schaft« und ebenso zu der 1943 vom Eher-Verlag der NSDAP übernommenen Deutschen Hausbücherei musste die Büchergilde Ende 1944 mitsamt dem Buchmeister-Verlag ihren Betrieb schließlich sogar ganz einstellen.191 Da die Schließung von Verlagen vor allem im letzten Kriegsjahr nur noch begrenzt nach ökonomischen Kriterien erfolgte und (stärker als zuvor) letzten Endes ein Willkürakt war, stellt sich die Frage, warum es ausgerechnet die große Buchgemeinschaft der Arbeitsfront traf. Vorbehaltlich der schlechten Quellenlage lässt sich nur vermuten, dass die DAF als Organisation – die sich infolge des ungeschickten Agierens ihres Leiters Robert Ley ohnehin viele Feinde gemacht hatte – inzwischen politisch so geschwächt war, dass sie derartigen Schließungsverfügungen keinen wirkungsvollen Widerstand mehr entgegensetzen konnte. Bis 1941 partizipierten die Buchgemeinschaften der Arbeitsfront dagegen überdurchschnittlich vom kriegskonjunkturellen Aufschwung, und ebenso die sonstigen im Verlagsgewerbe tätigen Unternehmen der DAF. Leihbibliotheken und ›modernes Antiquariat‹ Die zuständigen staatlichen Organe stellte das sinkende Angebot an Büchern und Broschüren vor ein Dilemma: Die Papierkontingente ließen sich nicht einfach erhöhen. Auch der allgemeine und sich rasch weiter verschärfende Arbeitskräftemangel ließ eine Ausweitung oder auch nur Stabilisierung des Niveaus der Papierproduktion nicht zu. Fertigungstechnischen Rationalisierungsbemühungen, die durch die üblich werdenden Großauflagen von mehreren 10.000 oder gar 100.000 Exemplaren erleichtert wurden, waren enge Grenzen gesetzt. Gleichzeitig war jedoch die Stimmung im »Altreich« aufrechtzuerhalten; den Lesern sollte die Illusion eines breiten Angebots an Literatur nicht genommen werden. Vor diesem Hintergrund erlebte der Ausbau der Werksbüchereien, in den die Arbeitsfront maßgeblich involviert war und den sie seit 1935 – oft faktisch auf Kosten der jeweils örtlichen öffentlichen Bibliotheken – massiv vorangetrieben hatte,192 nach Kriegsbeginn einen erneuten Schub.193 Aus den bis Anfang 1938 mehr als 191 Vgl. Bühler/Bühler, Frontbuchhandel, S. 81. 1943 konnten noch 9 Neuerscheinungen und 53 neuaufgelegte Titel in einer Gesamtauflage von 1,1 Mio. Exemplaren ausge­ geben werden. Darüber hinaus wurden im Ausland 14 Titel mit einer Gesamtauflage von 140.000 Exemplaren hergestellt. Vgl. Leistungsbericht des Leiters des AWU für 1943 (Anm. 134), S. 52. 192 Zu den Werksbüchereien, ihrem 1934 gegründeten Dachverband »Reichsarbeits­ gemeinschaft [der Betreuer] deutscher Werkbüchereien« sowie zur Rolle der DAF in diesem Kontext vgl. für die Zeit bis 1939 Barbian, Literaturpolitik, S. 357 f., 373. In der Reichsarbeitsgemeinschaft war zwar auch die DAF vertreten; es dominierte jedoch die Reichsschrifttumskammer, die auch den Vorsitzenden dieser Reichsarbeitsgemeinschaft stellte. Ende 1937 gründete die Arbeitsfront mit der Buchabteilung des Deutschen Volksbildungswerkes deshalb eine Konkurrenzorganisation, die den Ausbau der Werksbüchereien dann auf eigene Faust wesentlich forcierte. 193 Vgl. z. B. Meldungen aus dem Reich, Bd. 9, S. 3475 (16. März 1942). 326 die daf-verlage im krieg 5.000 Werksbüchereien (mit einem Gesamtbestand von drei Mio. Büchern, d. h. durchschnittlich 600 Titeln je Bibliothek) waren bis 1942 fast 15.000 geworden,194 die freilich meist recht überschaubare Buchbestände verwalteten.195 In den beiden letzten Kriegsjahren wurde der Ausbau des Werks­bibliothekswesens weiter forciert. Das war durchaus konsequent. Denn vor dem Hintergrund der um sich greifenden Zerstörung der Infrastruktur durch Luftbombardements wurde der Industriebetrieb zum Zentrum der Versorgung und allmählich auch zu einer Art Lebensmittelpunkt für breite Schichten der Arbeiter­schaft, deren Bindung an ›ihr‹ Unternehmen in Deutschland ohnehin traditionell stark war. Dass bei der, von den DAF-Funktio­nä­ren vor Ort veranlassten oder mindestens beaufsichtigten Ausstattung der betriebseigenen Büchereien das von den Verlagen der Arbeitsfront produzierte Sortiment bevorzugt erworben worden sein dürfte, liegt nahe. Angesichts der allgemeinen Begierde nach unterhaltsamen Lesestoffen konnten sich die zuständigen, um die Ruhe an der Heimatfront besorgten staatlichen und quasi-staat­lichen Stellen mit dem Ausbau der Werksbüchereien nicht zufriedengeben. So versuchte der Präsident der Reichsschrifttumskammer etwa mit einer Verordnung vom 8. März 1943 dem allgemeinen Lesebedürfnis entgegenzukommen, in der er Sortimentsbuchhandlungen die Angliederung von »Kriegsleihbüchereien« zur Pflicht machte. Deren Aufbau war allerdings vor dem Hintergrund der überbordenden Nachfrage nach Büchern keineswegs einfach. Verschärft wurde der Mangel an Büchern durch die ab 1942 immer heftigeren Luftangriffe, die auch Verlage, Druckereien und Lager nicht verschonten. Darüber hinaus fungierten Bücher zunehmend als eine Art ›Ersatzgeld‹, nämlich als bevorzugtes Tauschobjekt auf den wuchernden Schwarzmärkten. Die Versuche zunächst des Reichskommissars für die Preisbildung, später dann des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels,196 sich auch nur einen groben Überblick über die ausufernden Buchmärkte zu verschaffen, geschweige denn ihn zu kontrollieren und zu regulieren, blieben hilflose Gesten.197 194 Vgl. Barbian, Literaturpolitik, S. 359. 195 Das lässt sich aus den Angaben für Wien schließen: 1938 hatten dort 48 Werks­ bibliotheken existiert; ihre Zahl stieg bis 1944 auf 576 betriebseigene Büchereien, die freilich nur 181.262 Bücher beherbergten. Das waren durchschnittlich 315 Bücher pro Werksbibliothek. Vgl. VB (Wiener Ausgabe) vom 10. Jan. 1944, sowie OMGUS, Die Deutsche Arbeitsfront im 5. Kriegs­jahr, S. 48 f., in: BA Berlin, NS 5 I, Nr. 238. 196 Dem Börsenverein wurde Mitte Sept. 1944 die Befugnis übertragen, Anträge für Preiserhöhungen von Büchern und Broschüren (so sie nicht offen politisch-ideologischen Inhalts waren) zu genehmigen oder abzulehnen. 197 Selbst in