I n Fragen der Wissenschaft ist die Autorität von tausend nicht so viel wert Inhalt wie die bescheidene Logik eines Einzelnen. Galileo Galilei D er aufregendste Satz, der 15 Meteore und Meteoriten 82 Der Himmel stürzt herab! 16 Meteorströme 86 Inmitten der Nacht regnete es Sterne in der Wissenschaft zu hören ist, der Satz, der neue Vorwort Entdeckungen ankündigt, ist 17 12 nicht »Heureka«, sondern »Das Unser Schutzschild gegen die Sonne 18 ist ja seltsam …« Isaac Asimov 19 2 3 5 22 Merkur 118 Das Große Bombardement 23 Der Treibhauseffekt 122 Erde und Venus 24 Mars 126 Der sterbende Planet Die Sonne 42 Im Zentrum des Sonnensystems Die Entstehung des Mondes 110 Entstand der Mond aus oder mit der Erde? Die Sternbilder des Südens 36 Die Erdneigung macht verborgene Sterne sichtbar 6 21 Die Form der Erde 30 Eine abgeplattete Kugel Asteroiden stürzen auf die Erde 104 Barringer, Tilghman und die Erdgeschichte Die Milchstraße 26 Weg der Götter, Seelen und Pilger 4 20 Sterne und Sternbilder 22 Unsere Verbindung zur Eiszeit Erdklima, Jahreszeiten, Wetter 100 Astronoische Zyklen Die sieben Planeten 18 Wandelnde Sterne Kometen 96 Sandbänke oder schmutzige Schneebälle? Entdeckungen ohne Teleskop 1 Die Magnetosphäre der Erde 90 25 Wasser auf Mars und Europa 130 Anzeichen für extraterrestrisches Leben? Entdeckungen im Sonnensystem N ichts beweist mir die Einheit der 26 Eine Zufalls entdeckung Gottheit so überzeugend wie diese rein geistigen Konzepte der mathemati- 7 schen Wissenschaft, die dem Menschen nach und nach zuteil wurden. Mary Somerville A us diesem winzigen Globus 8 9 10 13 Einfallsreichtum der Natur, der die kühnste Phantasie des Menschen so oft weit hinter sich lässt. 14 29 30 Die Grenze des Sonnensystems Relativitätstheorie 154 Das Wesen von Raum und Zeit 31 Die großen Entdeckungen Radiowellen 158 Ein neues Fenster ins All Pluto 74 Der Kuipergürtel 78 Gravitation 150 Determinismus und Chaos Asteroiden 70 Ein eifrig gesuchter Planet, der keiner ist ch glaube fest an den unbegrenzten Helium 146 Das kosmische Element Neptun 66 Ein Planet wird am Schreibtisch entdeckt 12 28 Uranus 62 Überreste des frühen Sonnensystems I Entdeckungen im dynamischen Universum Die Venusphasen 58 William Herschel entdeckt den ersten neuen Planeten 11 Saturn und die Gasriesen 140 Der Herr der Ringe Die Jupitermonde 54 Das kopernikanische Weltbild wird sichtbar in der Ferne zu sehen hoffen. Giordano Bruno 27 Galilei zerschmettert die Kristallsphären der sternenübersäten Nacht. Und lasse hinter mir, was andere Kometen 50 Katastrophen, Sonnenstreifer und der Damenkomet wage ich mich hinaus. In die Weiten jenseits der Grenzen Vulkane auf Io 136 32 Röntgenstrahlen aus dem All 162 Das energetische Universum 33 Veränderliche Sterne 166 Die Entdeckung von Sternsystemen Bruno Rossi D-10_Timeline_Univers_deutsch.indd 1 10.06.09 18:49 34 Sirius B und Weiße Zwerge 170 Entdeckungen im Universum und seinen Galaxien Die Entdeckung stellarer Asche 35 Neutronensterne und Pulsare 174 Leuchttürme im Kosmos 36 52 Das häufigste Element des Universums Schwarze Löcher 178 Eine Lösung sucht ihr Problem 53 54 38 39 40 42 Das Schwarze Loch in der Milchstraße 276 Ein schlafendes Monster 58 Gammastrahlenausbrüche 280 Die größten Explosionen seit dem Urknall 59 Die Evolution des Universums 284 Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Supernovae 200 60 Die kosmische Hintergrundstrahlung 288 Der Nachhall des Urknalls Supernova 1987A 206 Flüstern und Leuchten 43 57 Sternhaufen 196 Sternstaub, aus dem wir gemacht sind Supermassive Schwarze Löcher 272 Monster im Zentrum von Galaxien Interstellare Nebel 192 Aufgelöste Nebel 41 56 Die Erforschung der Galaxis 188 Sterne, Moleküle, Staub und Gas Quasare 266 Aktive Galaxien Entfernungen von Sternen 184 Eine Sterneninsel im All Magellanische Wolken 262 Unsere Nachbargalaxien 55 Ein Leuchten aus der Vergangenheit Galaxien 256 Ellipsoide, Spiralen und Zusammenschlüsse Entdeckungen in unserer Galaxis 37 Wasserstoff 252 61 Die Dunkelheit der Nacht 292 Fehlende Galaxien Cepheiden 210 Herzschlag von Sternen – Maß des Universums 44 Exoplaneten 214 Zukünftige Entdeckungen Andere Welten 45 Die Energie der Sonne 220 Die Entdeckung der Kernfusion 46 Die Entstehung der Elemente 224 Der Stoff, aus dem die Sterne sind 47 Das Innere der Sonne 228 Geflüster und Glockenklang 48 Der Krebsnebel 234 Ein Supernovarelikt 49 Entstehung der Sterne und Planeten 244 Der Sonnennebel und die Prolyden 51 Dunkle Materie 298 Ein finsteres Geheimnis 63 Dunkle Energie 302 An der Schwelle einer bahnbrechenden Entdeckung 64 Gravitationswellen 306 Das Geflüster von Neutronensternen 65 Leben im Universum 310 Sind wir allein? Planetarische Nebel 238 Ein Blick ins Verborgene 50 62 Interstellarer Staub 248 Vorhänge aus Diamanten und Graphit D-00_Frontpage_Unviers_deutsch.indd Sec1:11 Glossar 318 Literatur 326 Danksagung des Autors 330 Bildnachweis 331 Register 334 10.06.09 18:47 12 Vorwort Astronomische Entdeckungen sind eine Herausforderung für unsere Grundvorstellungen über das Universum. Sie modifizieren unsere Begriffe von Materie, Zeit und Raum, verändern unsere Sicht der Geschichte und der Zukunft des Menschen. Sprachen die Astronomen der Antike noch von Fixsternen, so sprechen wir von wirbelnden Galaxien, vom Tod und von der Geburt von Sternen in Supernovae. Galt einst die Erde als Mittelpunkt des Universums, so ist sie für uns Heutige ein kleiner Planet unter Millionen von Sonnensystemen, von denen einige wenige Leben hervorgebracht haben könnten. Diese radikal neuen Sehweisen verdanken sich tausenden von Sternstunden der Forschung, in denen ein Wissenschaftler erkannte, dass ein Baustein des Universums – ein winziges Teilchen oder eine riesige Masse – anders ist, als man zuvor gedacht hatte. In jeder dieser Sternstunden wurde eines der unzähligen Geheimnisse des Universums gelüftet. Das Anglo-Australische Observatorium liegt in Neusüdwales in den Warrumbungle-Bergen am Rande des Nationalparks, hinter dem sich die weiten Ebenen des Outback nach Westen erstrecken. Davor erheben sich Vulkane, Rücken und Kegel mit pittoresken Namen wie Brotmesser, Belougery-Spitze oder Kraterkliff. Die mit Eukalyptusbäumen bewachsenen Hänge bieten Kängurus, Koalas und bunten Vögeln Lebensraum. Die Anlage liegt in einer vor Lichtverschmutzung geschützten Zone, am Nachthimmel glitzert eine Unzahl von Sternen, vor allem im Winter, wenn sich im Zenit das Zentrum der Milchstraße wölbt. D-00_Frontpage_Unviers_deutsch.indd Sec1:12 1975 hatte ich das Glück, im ersten Team des Observatoriums mitzuarbeiten. Sein Vier-Meter-Teleskop war damals das größte der Südhalbkugel. Es entsprach sehr speziellen Anforderungen, und seine hochempfindlichen, computergesteuerten elektronischen Detektoren entsprachen dem neuesten Stand der Technik. Wohin man es auch richtete, es ermöglichte eine astronomische Entdeckung. In den folgenden drei Jahren verbrachte ich etwa 150 Nächte am Teleskop. Mitarbeiter, die in Großbritannien geblieben waren, und Kollegen in aller Welt übersandten mir Vorschläge für meine Forschungstätigkeit. In dieser Zeit arbeitete ich an etwa 150 Veröffentlichungen mit, deren jede die jeweils aktuellste Entdeckung behandelte. An eine meiner Entdeckungen erinnere ich mich besonders gut. Ich hatte mich die ganze Nacht über mit der Identifizierung einer Röntgenquelle beschäftigt, d. h. ich hatte versucht, den Stern zu finden, der die von einem Satelliten registrierte Röntgenstrahlung aussandte. Nach zwölfstündiger Suche fand ich ihn: Es handelte sich um den Überrest einer Supernova, die vor etwa 3000 Jahren explodiert war. Seine Entfernung schätzte ich auf etwa 2000 Lichtjahre. Bei Tagesanbruch half ich, das Teleskop abzustellen, dann machte ich mich auf den Weg zur Wohneinheit, um zu Bett zu gehen. Im goldenen Licht der aufgehenden Sonne beendeten Kängurus und Wallabys ihre nächtliche Mahlzeit, Kookaburras begrüßten den Morgen mit irrem Gelächter, auf den Gummibäumen waren die Currawongs erwacht und ließen ihr melodiöses Trällern ertönen. Ich war müde, aber es war ein herrlicher Morgen, und niemand wusste über diesen Stern, was ich wusste. 10.06.09 18:47 13 Unterwegs schoss mir ein aufregender Gedanke durch den Kopf. Das von der Supernova ausgesandte Licht war nur für Beobachter sichtbar, die sich in einem kugelförmigen Raum mit einem Radius von 5000 Lichtjahren befanden. Außerhalb davon existierte es noch nicht. 5000 Lichtjahre – das klingt nach einer riesigen Entfernung, im Vergleich zu den Dimensionen unserer Galaxis ist es aber wenig, und in dem beschriebenen Raum ist nur einen Bruchteil ihrer Sterne enthalten. Gibt es in dieser Kugel nur einen einzigen bewohnten Planeten mit einer astronomisch interessiertenen Zivilisation, nämlich den unseren, so war ich nicht nur der einzige Mensch der Erde, der über den Stern Bescheid wusste, sondern der einzige der Galaxis oder sogar des Universums. Beglückt legte ich mich mit meinem Geheimnis zur Ruhe und schlief tief und fest. Es freute mich, bei den Recherchen für dieses Buch zu erfahren, dass andere nach einer Entdeckung das gleiche Hochgefühl empfanden. Henry Norris Russell erinnerte sich an die Freude, zu den Privilegierten zu zählen, die in ein Geheimnis eingeweiht waren: »In diesem Moment waren Pickering, Mrs. Fleming und ich die Einzigen auf der Welt, die von Weißen Zwergen wussten« (34). Einsteins Zweifel über seine Allgemeine Relativitätstheorie waren beseitigt, als er die Ursache einer Veränderung der Merkurbahn entdeckte und »vor Freude völlig aus dem Häuschen« war (30). William Crabtree stand 1639 bei der Beobachtung des Venustransits »eine Weile regungslos da und traute vor Freude kaum seinen Sinnen« (06). Meine Entdeckungen entsprachen den in der Astronomie üblichen kleinen Schritten, über die alljährlich mehr als D-00_Frontpage_Unviers_deutsch.indd Sec1:13 50 000 Seiten publiziert werden. In diesem Buch hingegen geht es um wissenschaftliche Großtaten, um die Aufdeckung der großen Geheimnisse des Universums. Daran waren interessante Menschen beteiligt, deren Geschichten zeigen, wie die Astronomie als Wissenschaft funktioniert. Wissenschaft ist ein zyklischer Prozess, der zwischen der Realität (Beobachtung, Experiment) und ihrem Bild im Kopf des Wissenschaftlers (Theorie) hin und her schwingt. Eine wissenschaftliche Entdeckung kann sich als konkreter Beweis in der realen Welt äußern (als Laborversuch oder kosmische Entdeckung) oder als Vorstellung im Kopf eines Menschen, die allgemein als Illustration einer realen Gegebenheit akzeptiert wird. Galilei konnte Berge auf dem Mond ausmachen, Kopernikus erkannte, dass die Sonne Mittelpunkt des Sonnensystems ist. Beides waren Entdeckungen, die eine glückte durch Beobachtung, die andere war Theorie. Für den Normalbürger hat der Begriff »Theorie« oft einen negativen Beigeschmack, auf »eine bloße Theorie« kann man sich nicht verlassen. Für den Wissenschaftler kann er etwas bezeichnen, das ebenso fest ist wie der Stuhl, auf dem er sitzt, und eindeutig als Entdeckung zu werten ist. Eine Theorie stellt einen bis dahin nicht erkannten Zusammenhang zwischen Phänomenen her, der so klar formuliert ist, dass alle davon überzeugt sind. Sie kann auch ein Phänomen vorhersagen, das noch niemand gesehen hat, das sich aber nach entsprechender Suche als existent erweist. Manche astronomische Entdeckungen sind ein glücklicher Zufall, sie verdanken sich dem rechten Mann am rechten Ort zur rechten Zeit. Tycho Brahe war nach einem Abendessen auf dem Heimweg, als eine Supernova am Him- 10.06.09 18:47 14 mel erschien (41). 400 Jahre später richtete Ian Shelton sein Teleskop zufällig auf die Position der Supernova 1978A (42). Entscheidend war, dass beiden bewusst wurde, was sie da sahen. Andere Entdeckungen sind unerwartete Nebenprodukte von Projekten mit ganz anderer Zielsetzung. Gursky und Giacconi hatten eine Rakete gestartet, die den Mond untersuchen sollte. Die von ihrem Detektor aufgespürte Röntgenquelle lag jedoch hinter dem Mond (32). Jocelyn Bell entdeckte bei der Beobachtung von Quasaren als Quelle eines »Geräuschs« mehrere Pulsare (35). In beiden Fällen bewiesen die Wissenschaftler große Beharrlichkeit bei ihrer Suche nach der Ursache der »merkwürdigen Erscheinung«. Im Begriff »Entdeckung« schwingt »Überraschung« mit, aber viele davon wurden erst durch technische Fortschritte möglich. Galilei lernte zuerst, wie man ein Fernrohr baut, ehe er ein solches auf den Himmel richtete. Was er entdeckte – die Jupitermonde (08), die Venusphasen (09) und die Sternhaufen (40) –, bestätigte, dass die Sonne und nicht die Erde den Mittelpunkt des Sonnensystems bildet, dass die Erde im Universum keine Sonderstellung hat und nur ein Teil davon ist. Wilhelm Herschel baute Teleskope, die das Fenster zum Universum langsam öffneten (10, 38), das Hubble-Teleskop schlug die Tore auf. Im 20. Jahrhundert ermöglichten uns Radioastronomie (31), Röntgenastronomie (32) und Infrarotastronomie (53), optisch nicht sichtbare Objekte wahrzunehmen. In der Radioastronomie ermöglichte Martin Ryles Technik der Interferometrie und der Synthetischen Apertur die Erforschung von Radiogalaxien, wobei sich zeigte, dass das Universum einen eigenständigen Beginn hatte (59). Ein völlig neues Bild des Universums werden uns hochempfindliche Gravitationswellendetektoren bescheren (64). Seit 1957 hat die Möglichkeit, Teleskope in entfernte Regionen des Sonnensystems zu transportieren, neue Perspektiven der Planetenbeobachtung eröffnet. D-00_Frontpage_Unviers_deutsch.indd Sec1:14 Entdeckungen mit neuen Geräten können unerwartet kommen, sind aber in gewisser Weise geplant, da die Geräte hergestellt und eingesetzt werden müssen. Man muss die richtige Idee haben, die nötigen Mittel zusammenbringen und die Geräte für einen bestimmten Zweck einsetzen. Wilhelm Herschel baute ein neues Teleskop und durchmusterte damit den Himmel. Er fand den Planeten Uranus (10), seine Schwester Caroline entdeckte ihren Kometen mit derselben Methode (07). Heute müssen die Geräte gekauft werden, was hohe Kosten verursacht. Der Astronom muss einen detaillierten Antrag auf Finanzierung stellen und darlegen, was mit dem teuren Teleskop oder Satelliten entdeckt werden soll. Sagt er einfach die Wahrheit, nämlich dass das Universum eine Fülle faszinierender Dinge bietet und jeder technische Fortschritt eine interessante Neuentdeckung ermöglicht, so wird der Antrag abgelehnt. Wer ernst genommen werden will, muss zumindest einen Rahmen für seine Entdeckungen abstecken. Es kommt natürlich vor, dass Wissenschaftler von Haus aus nach einer ganz spezifischen Erscheinung suchen. Urbain Le Verrier entdeckte den Planeten Neptun »am Ende seines Bleistifts« und »bestimmte ihn allein durch Berechnungen« (11). Barringer war besessen von der Idee, der CoonButte-Krater in Arizona sei durch einen Meteoriteneinschlag entstanden, wobei ihn die Hoffnung beflügelte, eine gewinnbringende Eisen- und Nickelmasse zu finden (20). Chandrasekhar berechnete auf einer Schiffsreise zum Zeitvertreib die Struktur von Weißen Zwergen (34) und entdeckte die Ursache Schwarzer Löcher. Raymond Davis suchte mehr als zehn Jahre nach Neutrinos aus dem Sonneninneren (47). Seine Entdeckung führte zur Entwicklung eines neuen Bereichs der Physik, was ihm den Nobelpreis einbrachte. Die Computermodellierung hat auf bereits bekannte Phänomene ein neues Licht geworfen und überraschende 10.06.09 18:47 Vorwort Erkenntnisse ermöglicht. Alle Welt kennt den Satz »Wo man Mist hineintut, kann auch nur Mist herauskommen«; genauso könnte man sagen: »Gib eine bekannte Wahrheit ein, dann kommt eine bekannte Wahrheit heraus.« Bei großen Datenmengen oder komplexen Berechnungen können Computer jedoch unerwartete oder bis dahin unbemerkte Merkmale des realen Universums aufzeigen. Computersimulationen der Wechselwirkungen von Asteroiden und Kometen führten zu unserem heutigen Verständnis der Oortwolke und des Kuipergürtels (14). Für Satelliten ist es schwierig, die Magnetosphäre der Erde zu erforschen (17). Sie ist derart groß, dass sie nur Teile davon absuchen können – gleich der Fabel, nach der ein Mensch nur Füße, Stoßzähne, Schwanz und Rüssel des Elefanten erkennt, sich aber nicht das vollständige Tier vorstellen kann. Computer hingegen können aus Fragmenten ein Gesamtbild erstellen. Das Universum lässt sich schwer untersuchen, weil man es nicht mit anderen vergleichen oder in Kontrast setzen kann, aber die Millennium-Simulation modelliert Welten mit einer anderen Struktur, sodass man abschätzen kann, wie viel Dunkle Materie und Dunkle Energie in unserem Universum vorhanden sind (62, 63). 1854 bemerkte Louis Pasteur bei einer Vorlesung in Lille: »Auf dem Gebiet der Beobachtung begünstigt das Glück nur den vorbereiteten Geist«. In der Astronomie gilt das für den multidisziplinären Geist. Astronomie ist die Untersuchung von allem, was im Raum existiert. Physik, Mathematik, Chemie, Computeranwendung, Gerätekonstruktion, Statistik – all diese Wissenschaften und mehr werden von Astronomen eingesetzt, um das Gesehene zu verstehen und kosmische Geheimnisse aufzudecken. Einige der bedeutendsten Entdeckungen verdanken sich Forschungen, die viele Wissenschaftler über mehrere Generationen durchführten, meist findet sich jedoch ein D-00_Frontpage_Unviers_deutsch.indd Sec1:15 15 großer Geist, der alles verbindet. Die Gesetze der Planetenbewegung beschäftigten eine Schar genialer Denker, lange bevor der sprichwörtliche Apfel Newton dazu verhalf, die universelle Schwerkraft zu entdecken (29). »Wenn mein Blick weiter reichte«, schrieb er, »so deshalb, weil ich auf den Schultern von Giganten stand.« Die Entdeckung des Treibhauseffekts in der Atmosphäre von Venus und Erde (23) erforderte 150 Jahre und verdankt sich dutzenden Wissenschaftlern und nicht einer Einzelperson. Inzwischen hat man erkannt, dass vom Verständnis dieses Problems das Überleben der Menschheit abhängen könnte. Die Spezielle und die Allgemeine Relativitätstheorie (30) hingegen ist das Werk eines Individuums, Albert Einsteins, der daran nur einige Jahre arbeitete. Science-Fiction-Autoren wie Isaac Asimov beschrieben als wichtigstes Merkmal einer wissenschaftlichen Entdeckung die Aufgeschlossenheit und Neugier des Forschenden: »Der aufregendste Satz, der in der Wissenschaft zu hören ist, der Satz, der neue Entdeckungen ankündigt, ist nicht ›Heureka‹, sondern ›Das ist ja seltsam …‹«. Ich versuche in diesem Buch zu schildern, was einigen der großen astronomischen Entdeckungen zugrunde liegt, den Ablauf der Ereignisse und die Entwicklung der Ideen, die Wissenschaftler dazu brachten, »Heureka« oder »Das ist ja seltsam« zu rufen. Deshalb geht es zumeist um Wissenschaftsgeschichte – um meine Hitliste kosmischer Entdeckungen. Es geht aber auch um Ausblicke auf zukünftige Forschungsarbeit – über Dunkle Materie (62), Dunkle Energie (63), Gravitationswellen (64) und außerirdisches Leben (65) – wobei es natürlich sein kann, dass wir nicht finden, was wir erwarten. Diesen Geheimnissen auf den Grund zu gehen wird die Herausforderung für die nächste Generation von Astronomen sein. Mit ihnen teile ich die Hoffnung, dass ihre Aufdeckung bald gelingt. Paul Murdin 10.06.09 18:47 47. Das Innere der Sonne Geflüster und Glockenklang Ein direkter Blick ins Sonneninnere ist uns zwar verwehrt, aber dank raffinierter Techniken wissen wir, was darin vorgeht. Zunächst gelang es, Neutrinos einzufangen, winzige in der Sonne erzeugte Teilchen. Dazu wurden große Mengen eines Trockenreinigungsmittels in einer Goldmine gelagert. Analysen von Sonnenbeben gaben Aufschluss über die Struktur der Sonne und zeigten, dass sie wie eine gigantische Glocke tönt. 1 D-06_Secrets_Universe_ch41_47.indd Sec2:228 10.06.09 18:56 Chapter Das Innere der Sonne 229 1 Sonnenprotuberanzen (rot) sind am leichtesten zu beobachten, da sie über den Rand der granulierten Sonnenoberfläche hinausragen. 2 SOHO-Aufnahme Auf über Sonnenflecken gewölbten Magnetfeldern bewegen sich gigantische Sonnenprotuberanzen. Die Felder werden durch unterschiedlich rotierende innere Schichten erzeugt. 3 Sonnenaktivität Bilder des Satelliten SOHO zeigen die Turbulenzen der Sonnenoberfläche, die durch aufgewölbte Schleifen verbundenen Sonnenflecken und die Magnetschlieren der Sonnenatmosphäre. 2 3 Astronomen, die die Vorgänge im Inneren der Sonne verstehen wollten, waren mit einem Problem konfrontiert: Durch die Opazität der Sonne ist keiner dieser Vorgänge sichtbar. Durch direkte Beobachtung konnten nur Oberflächenmerkmale und allgemeine Kennwerte wie Durchmesser und abgestrahlte Energiemenge bestimmt werden. Dass man heute auch die Abläufe im Sonneninneren kennt, verdankt sich drei Gebieten der astronomischen Forschung. Komplexe mathematische Berechnungen ergaben ein theoretisches Modell des Sonneninneren. Verifiziert wurde dieses Modell durch die nach enormen Anstrengungen geglückte Detektion einer winzigen Anzahl von der Sonne erzeugter Neutrinos und später durch die Messung der von den Bewegungen im Sonneninneren erzeugten Schallwellen. Unser Verständnis der Vorgänge im Sonneninneren ist das Ergebnis einer Glanzleistung der modernen Mathematik. Die physikalischen Bedingungen im Sonneninneren waren den Astronomen schon in den 1920er-Jahren durch Berechnungen bekannt, in den 1930er-Jahren zeigte sich, dass die Sonnenenergie durch Kernreaktionen erzeugt wird (45). Nach 1950 begann man durch vergleichende Beobachtung von D-06_Secrets_Universe_ch41_47.indd Sec2:229 Sternhaufen die Entwicklung der Sterne zu verstehen (40). Die zunehmende Genauigkeit der Berechnungen und die Tatsache, dass ihre Ergebnisse mit den Beobachtungen übereinstimmten, verstärkten das Vertrauen der Astronomen in ihr theoretisches Wissen über das Sonneninnere. Physiker betrachteten die Sonne als sprudelnde Neutrinoquelle. Neutrinos sind winzige Teilchen, deren Existenz der aus Wien stammende Schweizer Physiker Wolfgang Pauli bereits 1930 angenommen hatte, um bestimmte Vorgänge bei Kernreaktionen zu erklären. Experimentell wurden sie erstmals 1956 nachgewiesen. Neutrinos entstehen bei Kernreaktionen im Sonneninneren. Sie transportieren kleine Energiemengen. Die Zahl der aus der 10.06.09 18:56 230 Entdeckungen in unserer Galaxie Zwei Protonen vereinigen sich Neutrino Eines davon wird durch Emission eines Neutrinos und eines Positrons zum Neutron. Positron Ein weiteres Proton stößt hinzu, wodurch ein Heliumkern aus zwei Protonen und einem Neutron entsteht. Zwei ähnliche Heliumkerne kollidieren, wobei zwei Protonen ausgestoßen werden, sodass ein Heliumkern aus zwei Protonen und zwei Neutronen zurückbleibt. 4 4 Proton-Proton-Kette Das Diagramm zeigt die Entstehung von Neutrinos bei Kernreaktionen im Sonneninneren. Als Endergebnis dieser Kette ist, aus vier Protonen (orange) ein Heliumkern entstanden. Bei jedem Schritt wird Energie freigesetzt, beim ersten ein Teil davon in Form eines Neutrinos. Wenn dieses Neutrino auf der Erde eingefangen wird, stellt es einen direkten Beweis für eine solare Kernreaktion dar. 5 Raymond Davis Jr. beim Baden über dem in der Homestake Mine installierten Chemie-Tank (1971). Nahezu 1,5 Millionen Liter Wasser schirmten den Detektor gegen Hintergrundstrahlung ab. In der Bruthitze, die die Wissenschaftler in ihren 12-Stunden-Schichten im Bergwerk ertragen mussten, boten sie eine willkommene Abkühlung. D-06_Secrets_Universe_ch41_47.indd Sec2:230 Sonne entweichenden Neutrinos ist enorm – pro Sekunde durchqueren etwa 10 Milliarden davon jeden Quadratzentimeter der Erde. Diese Fluten können 10 Billionen Kilometer (ein Lichtjahr) Materie durchdringen, ohne mit ihr zu interagieren. Da sie mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs sind, erreichen sie die Erde nach acht Minuten. Einige wenige dieser Sonnenneutrinos lassen sich trotz ihrer Geschwindigkeit und Unfassbarkeit mit Detektoren einfangen. Der erste Neutrinodetektor wurde von Raymond Davis Jr. vom Brookhaven National Laboratory gebaut. Er stützte sich auf technische Vorschläge des berüchtigten, aus Italien stammenden Physikers Bruno Pontecorvo und des USPhysikers Luis Alvarez. Drei amerikanische Astrophysiker – William Fowler, Alastair Cameron und John Bahcall – hatten die Möglichkeit postuliert, Neutrinos einzufangen. Aufgrund der riesigen Menge musste es gelingen, wenigstens einiger davon habhaft zu werden. Abgeschirmt gegen die kosmische Strahlung installierte Davis in den Tiefen der HomestakeGoldmine in Lead, Süddakota, einen Tank mit 615 Tonnen Tetrachlormethan, einem sonst für Trockenreinigung verwendeten Lösungsmittel. Die Chloratome fingen einige solare Neutrinos ein, wodurch Argonatome entstanden. Diese wurden alle zwei Monate aus dem Tank ausgewaschen und gezählt. Schätzungen zufolge ging man von nicht mehr als 17 Argonatome pro Extraktio aus. Nach dem ersten, sechs Monate dauernden Versuch musste man 1968 feststellen, dass es sogar noch weniger waren. Als Davis das Experiment mit einer verbesserten Anlage wiederholte, kam die Frage nach den fehlenden Neutrinos auf, das so genannte »Sonnenneutrino-Rätsel«. 1989 bestätigte der japanische Astrophysiker Masatoshi Koshiba mittels seines selbstgebauten Neutrinodetektors Kamiokande, dass Davis solare Neutrinos entdeckt hatte. Anders als Davis’ Tank in der Goldmine konnte Kamiokande erkennen, woher die Neutrinos stammten: Koshiba konnte nachweisen, dass die Neutrinos tatsächlich von der Sonne kamen und große Mengen davon fehlten. Einige Physiker dachten zunächst, die Diskrepanz zwischen der Theorie und den von Davis erzielten Resultaten sei auf Fehler bei den Berechnungen der Astronomen über das Sonneninnere zurückzuführen. Sie beruhten auf ihrem Wissen über Dichte, Zusammensetzung und Temperatur des Sonneninneren – Parameter, die sie eben nicht genau kannten. Die Astronomen wiesen diese Erklärung zurück, unter anderem, weil sie eine Methode gefunden hatten, ins Sonneninnere zu blicken, ihre Theorien über seine Struktur zu 10.06.09 18:56 Das Innere der Sonne überprüfen und das Rätsel der fehlenden Neutrinos zu lösen. Es war die »Helioseismologie«. Dieser Begriff kennzeichnet die Erforschung der Oszillationen des Sonnenkörpers, die an die von Seismologen untersuchten Erdbeben erinnern. Im Chaos der sich in ihrem Inneren bewegenden heißen Materie erzeugt die Sonne Schallwellen, die sich im Sonnenkörper ausbreiten und die Oberfläche vibrieren lassen. Die Sonne gleicht einer ruhig tönenden Glocke, die durch einen Sandkörnerregen zum Klingen gebracht wird. Die Oszillation der Sonnenoberfläche wurde 1960 von dem Physiker Robert Leighton entdeckt. Er bestimmte ihre Periode auf etwa fünf Minuten. In den 1970er-Jahren erklärte der Physiker Roger Ulrich von der Universität Kalifornien LA, dass Dauer, Frequenz und Klang dieser Oszillationen Schlüsse auf die Zusammensetzung des Sonneninneren ermöglichten. Ulrich wies darauf hin, dass die Frequenzen der Sonnentöne 5 6 7 D-06_Secrets_Universe_ch41_47.indd Sec2:231 6 Sonnenneutrinos (außerhalb der Abbildung oben links) dringen in die Atmosphäre ein. Die meisten rasen durch die Erde hindurch in den Weltraum. Im Neutrinodetektor Kamiokande interagieren einige mit Wasser und erzeugen ein »Tscherenkow-Licht«. Der Lichtblitz wird von einigen der 1000 Photovervielfacher an den Wänden des Wassertanks aufgezeichnet, sodass Energie und Richtung der eintreffenden Neutrinos gemessen werden. 7 Computergenerierte Darstellung der Sonne Sie zeigt eine sich im Sonneninneren ausbreitende Schallwelle. In den roten und blauen Zonen hebt und senkt sich die Sonnenoberfläche. Jede dieser Schwankungen dauert 340,613 Sekunden (etwas mehr als 5 Minuten). Sie ermöglicht eine erstaunlich genaue Messung der Geschwindigkeiten, mit der Schall die Sonne durchquert. 10.06.09 18:56 232 Entdeckungen in unserer Galaxie 8 Korona Photosphäre Konvektionszone Bogenprotuberanz Strahlungszone Kern 9 D-06_Secrets_Universe_ch41_47.indd Sec2:232 10.06.09 18:56 233 Das Innere der Sonne HELIOSEISMOLOGIE A 8 Sonnenoberfläche Die Außenschicht der Sonne ist opak, es gelang aber, die von ihr abgestrahlte Wärme in Relation zu ihrer Größe zu interpretieren und daraus Rückschlüsse auf ihr Innenleben zu ziehen. 9 Sonneninneres Die Abbildung zeigt den Sonnenkern und die ihn umgebenden Schichten einschließlich der Oberfläche (Photosphäre) und der Atmosphäre (Korona). uch nicht der kleinste Kreis, den du da siehst, Der nicht im Schwunge wie ein Engel singt. William Shakespeare, Der Kaufmann von Venedig 10 Magnetsturm Die durch die Reibung zwischen den inneren Schichten erzeugten Magnetfelder durchbrechen explosionsartig die Oberfläche, drängen die Gase zur Seite und transportieren Oberflächenmaterie in die Sonnenatmosphäre. 10 von der Zeit abhingen, die der Schall braucht, um die Sonne zu durchqueren. Diese wiederum hängt von Zusammensetzung, Temperatur und Dichtestruktur des Sonneninneren ab. Die Schallwellen transportieren somit Informationen über das Sonneninnere zur Oberfläche, wo sie beobachtet werden können, so wie Bodenbewegungen bei Erdbeben Aufschluss über den Aufbau der Erde geben. Erdgestützte Teleskope unterliegen einer wesentlichen Einschränkung: Nach ihrem abendlichen Untergang ist die Sonne für sie nicht mehr greifbar. Also vernetzte man die Sonnenteleskope weltweit, um die Frequenzen der solaren Oszillationen genauer messen zu können. Aber selbst Teleskopnetze mit Namen wie GONG (Global Oscillation Network Group of the US National Solar Observatory), BiSON (Birmingham Solar Oscillations Network) oder HiDHN (High Degree Helioseismology Network) wurden bei ihren Beobachtungen durch Wolken gestört. Der Satellit SOHO (Solar and Heliospheric Observatory), ein Gemeinschaftsprojekt von ESA und NASA, unterliegt hingegen keinerlei Beeinträchtigungen. Seit seinem Start 1995 hat er den Blick unablässig auf die Sonne gerichtet. Durch seine umfassenden Beobachtungen lieferte SOHO neue Daten über die Temperaturen im D-06_Secrets_Universe_ch41_47.indd Sec2:233 Sonneninneren und die differenzielle Rotation. Das Innere der Sonne rotiert langsamer als ihre äußere Hülle, wodurch eine heiße Schicht entsteht, die letztlich die Ursache der Flecken und Protuberanzen auf der Oberfläche ist. SOHO lieferte auch den Beweis dafür, dass die Berechnungen der Schallgeschwindigkeit in verschiedenen Tiefen des Sonnenkerns zu 99,9 % genau waren. Damit zeigte sich, dass Davis’ fehlende Neutrinos nicht auf eine falsche Berechnung der im Sonneninneren gegebenen Bedingungen zurückgingen. In der Annahme, die Astrophysiker wüssten über das Sonneninnere Bescheid und die Kernphysiker wüssten, wie viele Neutrinos darin entstehen, begannen die Physiker zu vermuten, dass mit den Neutrinos nach ihrem Austritt aus der Sonne etwas geschieht. Manche schafften es offenbar nicht bis zur Erde. Diese Erklärung lieferte Pontecorvo 1969, ein Jahr nachdem durch Davis’ Versuch das SonnenneutrinoRätsel entstanden war. Sonnenneutrinos kommen in drei verschiedenen Arten vor. Auf ihrer achtminütigen Reise zur Erde kann es sein, dass sie die Art wechseln. Davis’ Detektor war darauf ausgelegt, die ursprünglichen Neutrinos zu entdecken, so wie sie tief im Sonneninneren entstehen. Wenn sie die Erde erreichen, sind viele davon durch Oszillation zu Vertretern einer anderen Art geworden. Sie konnten von seinem Detektor nicht registriert werden. Terrestrische experimentelle Beweise für diese Erklärung wurden am Beginn des 21. Jahrhunderts erbracht, in erster Linie durch den japanischen Kamiokande-Detektor. Die Astronomen waren stolz darauf, dass ihre sorgfältigen Arbeiten über die Sonnenaktivität zu einer neuen Entdeckung in der Teilchenphysik geführt hatten. Ihre Bedeutung wurde 2002 zu Recht mit der Verleihung des Nobelpreises an Masatoshi Koshiba und Raymond Davis gewürdigt – »für bahnbrechende Beiträge zur Astrophysik, insbesondere zur Detektion kosmischer Neutrinos«. 10.06.09 18:56 48. Der Krebsnebel Ein Supernovarelikt 1 1054 beobachteten chinesische Hofastronomen und Indianer im Südwesten der Vereinigten Staaten einen »neuen Stern«. Nahezu tausend Jahre später erkannten Knut Lundmark und Edwin Hubble, dass diese frühen Himmelsbeobachter Zeugen der Entstehung des Krebsnebels wurden, eines Supernovarelikts, das seit seiner Kartierung im 18. Jahrhundert die Neugier der Astronomen weckt. D-07_Secrets_Universe_ch48_51.indd Sec1:234 10.06.09 18:53 235 Der Krebsnebel 2 1 Krebsnebel Ein ellipsenförmiges Netz aus roten und orangen Filamenten ist alles, was von einem 1054 explodierten Stern bleibt. Der in dem Ellipsoid sichtbare weiße Lichtschein stammt von Elektronen, die ein Pulsar im Zentrum des Supernovarelikts ausstößt. 2 Eine Zeichnung als Namensgeberin Die Zeichnung, die Lord Rosse in Irland dank seines Sechs-Fuß-Reflektors anfertigen konnte, hat wenig Ähnlichkeit mit dem Nebel, den wir heute auf Fotos sehen. Nur die Maserung erinnert an seine faserige Struktur. Wie der Planet Uranus wurde auch der Krebsnebel bei einer systematischen Musterung des Himmels entdeckt. Sie wurde im 18. Jahrhundert von John Bevis durchgeführt, einem Arzt, der in der Nähe von London eine Sternwarte unterhielt. 1745 fasste er seine Beobachtungen in einem Atlas zusammen, der Uranographia Britannica. Die Herstellung der Kupferstiche war teuer, und der Druckereibesitzer machte Bankrott, noch ehe die Auflage gedruckt war, sodass nur wenige Exemplare existieren. Auf die Karte des Sternbilds Stier zeichnete Bevis in der Nähe des Sterns Zeta Tauri einen Fleck, der einen von ihm entdeckten Nebel darstellte. Der französische Astronom Charles Messier benutzte ein Exemplar von Bevis’ Atlas bei seiner Suche nach dem für 1758 angekündigten Halley-Kometen. Er fand einen anderen D-07_Secrets_Universe_ch48_51.indd Sec1:235 3 3 Der Leviathan von Parsonstown Das massive Sechs-Fuß-Teleskop von Lord Rosse in Parsonstown hing an Seilen und Ketten zwischen zwei Mauern. Wenn ein Himmelskörper durch den Meridian (genau südlich) ging, konnte es ihm eine gewisse Zeit nachgeführt werden. Zu den Okularen gelangte man über Leitern. In der Bildmitte Projektleiter Colonel Harry J. Watson. Kometen, der das Sternbild Stier durchquerte und seine Aufmerksamkeit auf den Nebel lenkte. In einem kleinen Teleskop sehen Kometen und Nebel ziemlich ähnlich aus. Um jede Verwechslung zu vermeiden, beschloss der als »Kometenjäger« bekannte Messier, eine Liste der bekannten Nebel zu erstellen. Als ersten trug er M1 ein, den von Bevis entdeckten Nebel, der später als Krebsnebel bekannt wurde, nachdem er auf einer seltsamen Zeichnung »Scheren« bekommen hatte. Diese war in den 1840er-Jahren von William Parsons angefertigt worden, dem Earl of Rosse, der den Nebel durch sein Sechs-Fuß-Teleskop (den »Leviathan of Parsonstown«) in Birr Castle in Irland beobachtet hatte. Auf heutigen Bildern hat der Nebel zumeist die Form eines ovalen Lichtscheins, der von faserigen Spitzen umrahmt ist. Sie sind die Frag- 10.06.09 18:53 236 Entdeckungen in unserer Galaxis mente eines zerborstenen Sterns, das weiße Licht stammt von Elektronen, die im Inneren des Ovals das Magnetfeld des Sterns in Spiralen umkreisen. Das Ereignis, bei dem der Nebel entstanden war, wurde 1931 von dem schwedischen Astronomen Knut Lundmark identifiziert, als er die von chinesischen Hofastronomen und Historikern aufgezeichneten Novae auflistete. Die chinesischen Kaiser umgaben sich mit einer Schar von Astrologen, die den Himmel beobachteten, um Prognosen über Staatsangelegenheiten zu erstellen. Manche der von ihnen erfassten Himmelszeichen waren »Gaststerne«, vorübergehende Himmelserscheinungen wie Kometen oder Novae. Wenn der »Gaststern« sich mehrere Tage oder Monate im Verhältnis zu anderen Sternen nicht bewegt, so ist er wahrscheinlich eine Nova. Nummer 31 auf Lundmarks Liste war ein im Juli 1054 erschienener »Gaststern«. Lundmark stellte fest, dass seine Position mit der von M1 übereinstimmte. Von 1913 bis 1921 maßen mehrere Astronomen (Vesto Slipher, Roscoe Sanford, Carl Lampland und John Duncan) jeder für sich und mit verschiedenen Methoden die Expansionsgeschwindigkeit des Nebels. Sie erkannten, dass er sich sehr schnell ausdehnt. Seine Filamente bewegen sich vom Zentrum der Explosion unablässig nach außen. Die endgültige Identifizierung des Nebels mit dem »Gaststern« der chinesischen Astrologen verdankt sich dem amerikanischen Astronomen Edwin Hubble, der entdeckte, dass die Expansion 1054 begonnen hatte. Hubble verwies auf die Übereinstimmungseiner Berechnungen mit dem chinesischen Bericht, sein Hinweis wurde jedoch erst 1942 zur Kenntnis genommen, als die Astronomen Jan Oort und Nicholas Mayall und der Orientalist Jan Duyvendak ihn aufgriffen. In der Folge fand man Aufzeichnungen über die Nova von 1054 in Korea, Japan und Bagdad, aber auch in Form von Felszeichnungen in Arizona und New Mexico. 4 5 D-07_Secrets_Universe_ch48_51.indd Sec1:236 6 10.06.09 18:53 237 Der Krebsnebel Da sich die Helligkeit des Gaststerns von 1054 langsam veränderte, verglichen die chinesischen Astronomen sie mit anderen Himmelsobjekten, so auch mit Venus. Dadurch war es möglich, eine Lichtkurve zu erstellen und auf diese Weise zu zeigen, dass es sich um eine eine Supernova handeln musste, eine Explosion, bei der sich ein Stern fast gänzlich auflöst, aber einen Rest stellarer Asche hinterlassen kann, einen Neutronenstern (41). Als die Radioastronomen David Staelin und Edward Reifenstein 1968 in Green Bank, West Virginia, im Krebsnebel nach einem Sternrelikt suchten, entdeckten sie genau in der Mitte des Nebels einen Radiopulsar: einen Neutronenstern, der pro Sekunde 30 Mal um seine Achse rotiert. Es war dies eine brillante Bestätigung des von Fritz Zwicky 30 Jahre zuvor geäußerten Gedankens, dass Supernovae Neutronensterne (35) hervorbringen. 4 Edwin Hubble Der kalifornische Astronom und Kosmologe erkannte, dass die Supernova von 1054 den Krebsnebel hervorgebracht hatte. 5 Supernova von 1054 Die Felsmalerei eines Angehörigen der frühen Pueblovölker im Chaco Canyon in New Mexico zeigt eine Mondsichel und einen hellen Stern. Der Handabdruck stellt die Signatur dar. Die Sterndarstellung gilt als Augenzeugenbericht der Supernova von 1054. 6 Hsi und Ho Illustration des Buches der Dokumente (späte Qing-Zeit): Die legendären Brüder werden von Kaiser Yao beauftragt, den Kalender zu organisieren und den Gestirnen Respekt zu erweisen. Der Kaiserhof ließ sich von seinen Astronomen über drohende Gefahren und die günstigsten Zeitpunkte für Gegenmaßnahmen beraten. 7 Krebspulsar Die Röntgenaufnahme des Chandra-Observatoriums zeigt den Krebspulsar (Zentralstern). Aus dem Mittelpunkt der ihn umkreisenden Materiescheibe, vermutlich in der Rotationsachse des Pulsars, tritt ein Lichtstrahl aus. 7 D-07_Secrets_Universe_ch48_51.indd Sec1:237 10.06.09 18:53