Die Aktuelle Wochenschau Seite 1 von 11 Assoziationskolloide oder Der Widerstreit der Gefühle bei amphiphilen Molekülen Amphiphile Moleküle sind jedem von uns bekannt, da sie uns in Form von Seifen oder anderen waschaktiven Substanzen im täglichen Leben begegnen. Diese Moleküle verbinden zwei Eigenschaften miteinander, nämlich die Eigenschaft sich gerne in Wasser zu lösen und die andere, konträre und eigentlich unvereinbare, gut öllöslich zu sein. Amphiphilen Molekülen gelingt dies, indem eine gut wasserlösliche polare Gruppe mit einem apolaren Molekülteil, häufig einer Kohlenwasserstoffkette, wie sie in Ölen auch vorkommt, verbunden ist. Daraus ergeben sich vielfältige besondere Eigenschaften, die seit langem bekannt sind und erfolgreich ausgenutzt werden. Amphiphile Moleküle reichern sich z.B. an der Wasser-Luft-Grenzfläche an und erniedrigen stark die Oberflächenspannung des Wassers. Chemische Struktur eines Tensids (Decylmaltosid) und schematische Darstellung der Orientierung eines amphiphilen Moleküls an der Wasser-Luft-Grenzfläche In Wasser werden kleine Aggregate, sogenannte Mizellen, gebildet, in denen öllösliche Substanzen aufgenommen werden können. Amphiphile Moleküle können auch kleine Schmutzpartikel mit einer Molekülschicht überziehen und so in Wasser suspendieren. Auf diesem Effekt beruht ihre Verwendung als file://T:\Homepage\jdc\woche31p.htm 18.07.2007 Die Aktuelle Wochenschau Seite 2 von 11 waschaktive Substanzen. Schließlich können diese Substanzen auch noch Öl in Wasser "solubilisieren", d.h. als kleine Öltröpfchen suspendieren, wobei die Oberfläche der Öltröpfchen mit einer monomolekularen Schicht der amphiphilen Moleküle bedeckt ist. Dieser Vorgang wird Emulgierung genannt, es entsteht eine Ölin-Wasser Emulsion. Auch das umgekehrte, eine Wasser-in-Öl Emulsion ist herstellbar, in der kleine Wassertröpfchen in Öl suspendiert sind. Diese Prozesse sind uns zum einen aus der Küche bekannt, nämlich bei der Herstellung von Sauce Hollandaise, oder von Pasten und Salben in der Kosmetik und der Medizin. Amphiphile Moleküle mit zwei Kohlenwasserstoffketten können noch einige andere wichtige Aggregationsformen ausbilden, bei der die Kohlenwasserstoffketten sich zueinander hinwenden. Es wird eine bimolekulare Schicht aufgebaut, die zwei wässrige Räume voneinander abtrennen kann. Ohne diese Lipiddoppelschichten wäre die Entstehung des Lebens nicht möglich gewesen, ermöglichen sie doch die Abtrennung von kleinen Reaktionsräumen von der Umgebung. Schematische Darstellung der unterschiedlichen lamellaren Phasen, die z.B. von zweikettigen Amphiphilen in Wasser ausgebildet werden können. Temperaturerhöhung führt häufig zu einer Veränderung der Struktur der lyotropen Phasen, wie rechts durch den Pfeil angedeutet. Lipiddoppelschichten sind essentiell für den Aufbau von Zellmembranen, sowohl in einfachen Organismen, wie Bakterien, als auch in höheren, wie Pflanzen und Tieren. Bei letzteren beiden wird das Zellinnere von in sich geschlossenen Membransystemen aufgeteilt, so dass verschiedene biochemische Prozesse im Inneren einer Zelle geordnet ablaufen können. Zusätzlich sind in biologischen Membranen Proteine eingebaut, die z.B. geregelten Transport durch diese Membranen ermöglichen oder wichtige enzymatische Reaktionen katalysieren. Dazu gehören als Prozesse im Pflanzenreich die Photosynthese und im Tierreich die oxidative Phosphorylierung, d.h. die Umsetzung von Sauerstoff für die Energiegewinnung. file://T:\Homepage\jdc\woche31p.htm 18.07.2007 Die Aktuelle Wochenschau Seite 3 von 11 Zellmembran nach dem von Singer und Nicholson (1972) vorgeschlagenen Flüssig-Mosaik-Modell. In die bimolekulare Schicht aus verschiedensten zweikettigen Lipiden, angedeutet durch verschiedene Farben der Kopfgruppen, sind Proteine eingelagert. Die Membran wird durch ein Netzwerk von Proteinen gestützt. Glykosylierte Proteine ragen aus der Außenseite der Membran heraus. Schon seit mehr als 25 Jahren wird intensiv über die Verwendung von künstlichen Membranvesikeln, so genannten Liposomen, als Arzneistoffträger geforscht. Hierbei möchte man sich die relative schlechte Durchlässigkeit von Lipiddoppelschichten für wasserlösliche Stoffe zu Nutze machen, indem man sie in diese Liposomen einschließt und hofft, dass sie dadurch kontrollierter an den Ort im Körper transportiert werden, wo sie gebraucht werden. Verbreiteter sind Liposomen in der Kosmetik geworden, wo sie in vielfältiger Weise in Cremes und Lotionen verwendet werden. Schematische Darstellung eines unilamellaren Liposoms. Der wässrige Innenraum ist durch eine Lipiddoppelschicht abgegrenzt. In den Innenraum können hydrophile Wirkstoffe eingelagert werden. Lipophile Wirkstoffe werden in die Doppelschicht eingelagert. Amphiphile Moleküle können jedoch noch eine Vielzahl von nicht-lamellaren Phasen ausbilden. Dazu zählen die hexagonalen Phasen, die in der normalen, als auch der invertierten Form vorkommen. In der invertierten hexagonalen Phase ordnen sich zum Beispiel mit Wasser gefüllte invertierte Röhrenmizellen in einer file://T:\Homepage\jdc\woche31p.htm 18.07.2007 Die Aktuelle Wochenschau Seite 4 von 11 hexagonalen Anordnung an. Außderdem treten häufig zwischen den lamellaren und den hexagonalen Phase bikontinuierliche kubische Phasen verschiedener Struktur auf. Schematische Darstellung von hexagonalen und kubischen lyotropen Phasen, die von amphiphilen Molekülen ausgebildet werden können. In diesen Phasen sind die Moleküle "flüssig" in dem Sinne, dass ihre Ketten annähernd so beweglich sind wie in einer isotropen Flüssigkeit und dass die Moleküle in bestimmten kontinuierlichen Bereichen frei diffundieren können. Bolaamphiphile bzw. -lipide sind Moleküle, bei denen zwei polare wasserlösliche Gruppen mit einer unpolaren Kohlenwasserstoffkette verbunden sind. Der Hintergrund für die Synthese derartiger Verbindungen war die Beobachtung, dass in den Zellmembranen von sogenannten Archaebakterien, die bei hohen Temperaturen in vulkanischen Seen leben und daher besonders stabile Membranen besitzen müssen, ähnliche Lipide gefunden wurden. Achaeol file://T:\Homepage\jdc\woche31p.htm 18.07.2007 Die Aktuelle Wochenschau Seite 5 von 11 Caldarchaeol Vom Archeol (oben) abgeleitete Bolalipide, wie z.B. das Caldarcheol (unten) mit gesättigten Phytanol- bzw. Biphytanylketten. R = H, Zuckerreste, Phosphatreste R' = H oder Polyolreste Als Modellsubstanzen eignen sich auch Bolalipide, die nur eine lange Alkylkette besitzen. Diese kommen auch in der Natur vor, und zwar in gewissen tropischen Planzen. Diese Bolalipide besitzen zwei Phosphocholin-Kopfgruppen, die durch eine C22-Alkylkette miteinander verbunden sind. Sie wirken antimykotisch und werden von Ureinwohnern schon seit langem medizinisch verwendet. Die Synthese dieser Verbindungen wurde im Institut für Pharmazeutische Chemie der MLU Halle-Wittenberg in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. B. Dobner durchgeführt. Bei den physikalisch-chemischen Untersuchungen stellte sich die Frage, ob diese Art von Verbindungen auch Schichtstrukturen ausbilden können oder nicht. Chemische Struktur und Molekülmodell eines Bolalipids mit einer langen Alkylkette. file://T:\Homepage\jdc\woche31p.htm 18.07.2007 Die Aktuelle Wochenschau Seite 6 von 11 Frage: Können Bolalipide mit nur einer langen Alkylkette auch lamellare Schichten ausbilden, wie hier schematisch dargestellt? Bei der physikalisch-chemischen Untersuchung dieser Verbindungen stellte sich nun heraus, dass ein völlig neuartiges Aggregationsverhalten zu beobachten ist. Versucht man diese Lipide in Wasser zu lösen, so bildet sich schon bei sehr niedrigen Konzentrationen von 1 mg pro Milliliter Wasser (0.1 Gewichtsprozent) ein klares hochviskoses Gel, ein sogenanntes Hydrogel. Beim Umdrehen der Gläschen fließt dieses Gel nicht heraus. Ein Bolalipid vermag also ca. 46000 Wassermoleküle zu "immobilisieren"! file://T:\Homepage\jdc\woche31p.htm 18.07.2007 Die Aktuelle Wochenschau Seite 7 von 11 Photographie zweier auf den Kopf gestellter Gläschen mit Hydrogelen aus verschiedenen Bolalipiden bei Konzentrationen von 1 mg/ml Die Ausbildung von Gelen ist jedem von der Gelatine bekannt, die aus Kollagen gewonnen wird, einer Proteinklasse, die für die Eigenschaften von Haut, Knorpel und Sehnen verantwortlich ist. Bei diesen hochmolekularen Proteinen lagern sich Proteinketten zu Fasern zusammen, die sich wiederum ineinander verschlingen. Bei höheren Temperaturen lösen sich solche Gele auf und man bekommt eine flüssige Proteinlösung. Dieses wurde auch bei dem Hydrogel der Bolaamphiphil-Lösung beobachtet. Allerdings muss der Mechanismus der Gelbildung hier ein völlig anderer sein, da es sich um niedermolekulare Verbindungen handelt. Die Lösung des Problems brachten schließlich elektronenmikroskopische Aufnahmen. Bei der Kryotechnik und bei Gefrierbruch-Aufnahmen wird die Lösung extrem schnell eingefroren, so dass sich amorphes Eis bildet. Dadurch werden empfindliche Strukturen nicht zerstört und können im Elektronenmikroskop sichtbar gemacht werden. Die Aufnahme bei Raumtemperatur zeigt schraubenförmige Filamente von ca. 6-7 Milliardstel Meter Dicke, die die wässrige Lösung durchziehen. Diese Dicke entspricht etwa der Moleküllänge. Die Verschlingung dieser "Nanofasern" führt zu dem beobachteten Gelcharakter. Bei hohen Temperaturen beobachtet man einen Zerfall dieser Nanofasern zu Nanopartikeln wie in den elektronenmikroskopischen Auf-nahmen zu sehen ist. Bis jetzt ist die genaue Struktur, d.h. der Aufbau der Nanofasern und Nanopartikel aus den Einzelmolekülen noch nicht aufgeklärt. file://T:\Homepage\jdc\woche31p.htm 18.07.2007 Die Aktuelle Wochenschau Seite 8 von 11 Elektronenmikroskopische Aufnahmen der Nanofasern von ca. 6-7 nm Dicke bei Raumtemperatur (M. Drechsler, Jena). Der Pfeil zeigt auf eine Stelle der Nanofaser, an der eine mögliche helikale Struktur zu erkennen ist. Bei höheren Konzentrationen scheinen sich die Nanofasern von ca. 6-7 nm Breite zu breiteren Bändern zusammenzulagern. Die Breite der Bänder kann bis in den Bereich von Mikrometern zu gehen. Die Bänder lassen sich sedimentieren auf festen Oberflächen und dann mit Hilfe der Atomic Force Mikroskopie darstellen. Die Oberflächenstruktur der Bänder ist allerdings nicht mehr auflösbar. AFM-Aufnahme einer sedimentierten PC-C32-PC Suspension auf Glimmer. Es sind breite Streifen von ca. 7 nm Höhe und 40-100 nm Breite zu sehen Wie bereits erwähnt zeigen die Hydrogele komplexes thermisches Verhalten. Bei Erwärmung tritt ab einer bestimmten Temperatur ein Zerfall des Gels ein. Gleichzeitig scheinen die Fasern zu zerbrechen und die Ketten des Bolalipids fluider zu werden. Bei hohen Temperaturen sind in elektronenmikroskopischen Aufnahmen nur noch Partikel zu erkennen. file://T:\Homepage\jdc\woche31p.htm 18.07.2007 Die Aktuelle Wochenschau Seite 9 von 11 Gefrierbruch-elektronenmikroskopische Aufnahme bei Raumtemperatur, wo aus der Bruchfläche Nanofasern herausragen (oben). Bei hohen Temperaturen (unten) zerfallen die Nanofasern zu kleinen Partikeln (W. Richter, Jena) Der Zerfall des Gels und das Auftreten von Nanopartikeln äußert sich in thermischen Effekten, die mittels der Differential Scanning Calorimetry (DSC) verfolgt werden können. Außerdem kann mit Hilfe der FT-IRSpektroskopie dieses Umwandlungsverhalten verfolgt werden, da bei Fluidisierung der Alkylkette eine Verschiebung der Frequenzen der symmetrischen und antisymmetrischen Valenzschwinung zu beobachten ist. file://T:\Homepage\jdc\woche31p.htm 18.07.2007 Die Aktuelle Wochenschau Seite 10 von 11 Oben: DSC-Kurven im Aufheiz- und Abkühlmodus zweier Bolalipide. Es sind mehrere thermische Umwandlungen zu sehen. Die bei niedrigen Temperaturen auftretenden sind mit einem Zusammenbruch des Hydrogels verbunden. Beim Abkühlen bildet sich das Hydrogel verzögert aus. Unten: Temperaturabhängigkeit der Streckschwingungsfrequenzen der CH2-Gruppen. Die Erhöhung der Frequenzen wird durch eine Fluidisierung der Ketten erzeugt. Die Eigenschaften dieser Nanofasern und Nanopartikel werden in einem Kooperationsprojekt zwischen dem Institut für Physikalische Chemie und dem Institut für Pharmazeutische Chemie weiter untersucht. Die bisherigen Experimente wurden im Rahmen einer Diplomarbeit im Fachbereich Chemie von Dipl.-Chem. Karen Köhler durchgeführt. file://T:\Homepage\jdc\woche31p.htm 18.07.2007 Die Aktuelle Wochenschau Seite 11 von 11 Die überraschenden neuen Strukturen konnten auf der Grundlage bisheriger Erkenntnisse nicht vorhergesagt werden. Der "Zoo" der lyotropen Strukturen, die bisher bekannt und intensiv erforscht worden sind, muss also erweitert werden um Aggregatformen, wie Nanofasern und Nanopartikel. Die Nanofasern sind dabei in gewisser Weise den wurmartigen Mizellen verwandt, die von einkettigen monopolaren Amphiphilen ausgebildet werden. Allerdings sind bei diesen Strukturen die Ketten der Amphiphile fluide und nicht starr, wie bei den hier untersuchten Bolalipiden. Die Starrheit der Ketten bei Raumtemperatur verleiht dem aufgebauten Gel eine besondere Eigenschaft, dass es nämlich hoch viskos ist mit Viskositätswerten, die bei Konzentrationen von 1mg/ml 6 Größenordnungen größer sind als die von Wasser. Das Beispiel zeigt, dass es wichtig ist, eine breit angelegte und vorurteilsfreie Grundlagenforschung zu betreiben. Diese Art des Vorgehens abseits von ausgetretenen Pfaden kann zu unerwarteten und bisher nicht bekannten Erkenntnissen führen. Das Anwendungspotential dieser neuartigen Hydrogele aus Bolaamphiphilen ist noch nicht ausgelotet. Dies zu erforschen wird eine der zukünftigen Aufgaben in der Zusammenarbeit zwischen synthetisch und physikalisch-chemisch arbeitenden Chemikern sein. In der Arbeitsgruppe "Modellmembranen, Monolayer und lyotrope Flüssigkristalle" im Institut für Physikalische Chemie werden verschiedene amphiphile Systeme und ihre Wechselwirkungen mit Peptiden und Proteinen untersucht. Dabei werden eine ganze Reihe von verschiedenen physikalisch-chemischen Methoden benötigt. Diese sind: z z z z z z z z z z z Differential Scanning Calorimetry (DSC) Isothermal Titration Calorimetry (ITC) Untersuchungen an Langmuir-Monolayern FT-IR-Spektroskopie in Transmission und Reflexion (ATR und IRRAS) Zeitaufgelöste FT-IR-Spektroskopie (Drucksprungrelaxation) Röntgenstreuung (SAXS und WAXS) Dynamische Lichtstreuung Atomic Force Microscopy Vibrational Circular Dichroism (VCD) Stopped-Flow Techniken mit Lichtstreu- und Fluoreszenzdetektion Molecular Modeling (Cerius2) Prof. Dr. Alfred Blume Institut für Physikalische Chemie Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Arbeitsgruppe Modellmembranen, Monolayer und lyotrope Flüssigkristalle file://T:\Homepage\jdc\woche31p.htm 18.07.2007