Woche 31 - Deutsche Bunsen-Gesellschaft für Physikalische Chemie

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Die Aktuelle Wochenschau
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Assoziationskolloide
oder
Der Widerstreit der Gefühle bei amphiphilen Molekülen
Amphiphile Moleküle sind jedem von uns bekannt, da sie uns in Form von Seifen oder anderen waschaktiven
Substanzen im täglichen Leben begegnen. Diese Moleküle verbinden zwei Eigenschaften miteinander,
nämlich die Eigenschaft sich gerne in Wasser zu lösen und die andere, konträre und eigentlich unvereinbare,
gut öllöslich zu sein. Amphiphilen Molekülen gelingt dies, indem eine gut wasserlösliche polare Gruppe mit
einem apolaren Molekülteil, häufig einer Kohlenwasserstoffkette, wie sie in Ölen auch vorkommt, verbunden
ist. Daraus ergeben sich vielfältige besondere Eigenschaften, die seit langem bekannt sind und erfolgreich
ausgenutzt werden. Amphiphile Moleküle reichern sich z.B. an der Wasser-Luft-Grenzfläche an und
erniedrigen stark die Oberflächenspannung des Wassers.
Chemische Struktur eines Tensids (Decylmaltosid) und schematische Darstellung der Orientierung eines
amphiphilen Moleküls an der Wasser-Luft-Grenzfläche
In Wasser werden kleine Aggregate, sogenannte Mizellen, gebildet, in denen öllösliche Substanzen
aufgenommen werden können. Amphiphile Moleküle können auch kleine Schmutzpartikel mit einer
Molekülschicht überziehen und so in Wasser suspendieren. Auf diesem Effekt beruht ihre Verwendung als
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waschaktive Substanzen. Schließlich können diese Substanzen auch noch Öl in Wasser "solubilisieren", d.h.
als kleine Öltröpfchen suspendieren, wobei die Oberfläche der Öltröpfchen mit einer monomolekularen
Schicht der amphiphilen Moleküle bedeckt ist. Dieser Vorgang wird Emulgierung genannt, es entsteht eine Ölin-Wasser Emulsion. Auch das umgekehrte, eine Wasser-in-Öl Emulsion ist herstellbar, in der kleine
Wassertröpfchen in Öl suspendiert sind. Diese Prozesse sind uns zum einen aus der Küche bekannt, nämlich
bei der Herstellung von Sauce Hollandaise, oder von Pasten und Salben in der Kosmetik und der Medizin.
Amphiphile Moleküle mit zwei Kohlenwasserstoffketten können noch einige andere wichtige
Aggregationsformen ausbilden, bei der die Kohlenwasserstoffketten sich zueinander hinwenden. Es wird eine
bimolekulare Schicht aufgebaut, die zwei wässrige Räume voneinander abtrennen kann. Ohne diese
Lipiddoppelschichten wäre die Entstehung des Lebens nicht möglich gewesen, ermöglichen sie doch die
Abtrennung von kleinen Reaktionsräumen von der Umgebung.
Schematische Darstellung der unterschiedlichen lamellaren Phasen, die z.B. von zweikettigen Amphiphilen in
Wasser ausgebildet werden können. Temperaturerhöhung führt häufig zu einer Veränderung der Struktur der
lyotropen Phasen, wie rechts durch den Pfeil angedeutet.
Lipiddoppelschichten sind essentiell für den Aufbau von Zellmembranen, sowohl in einfachen Organismen,
wie Bakterien, als auch in höheren, wie Pflanzen und Tieren. Bei letzteren beiden wird das Zellinnere von in
sich geschlossenen Membransystemen aufgeteilt, so dass verschiedene biochemische Prozesse im Inneren
einer Zelle geordnet ablaufen können. Zusätzlich sind in biologischen Membranen Proteine eingebaut, die
z.B. geregelten Transport durch diese Membranen ermöglichen oder wichtige enzymatische Reaktionen
katalysieren. Dazu gehören als Prozesse im Pflanzenreich die Photosynthese und im Tierreich die oxidative
Phosphorylierung, d.h. die Umsetzung von Sauerstoff für die Energiegewinnung.
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Zellmembran nach dem von Singer und Nicholson (1972) vorgeschlagenen Flüssig-Mosaik-Modell. In die
bimolekulare Schicht aus verschiedensten zweikettigen Lipiden, angedeutet durch verschiedene Farben der
Kopfgruppen, sind Proteine eingelagert. Die Membran wird durch ein Netzwerk von Proteinen gestützt.
Glykosylierte Proteine ragen aus der Außenseite der Membran heraus.
Schon seit mehr als 25 Jahren wird intensiv über die Verwendung von künstlichen Membranvesikeln, so
genannten Liposomen, als Arzneistoffträger geforscht. Hierbei möchte man sich die relative schlechte
Durchlässigkeit von Lipiddoppelschichten für wasserlösliche Stoffe zu Nutze machen, indem man sie in diese
Liposomen einschließt und hofft, dass sie dadurch kontrollierter an den Ort im Körper transportiert werden, wo
sie gebraucht werden. Verbreiteter sind Liposomen in der Kosmetik geworden, wo sie in vielfältiger Weise in
Cremes und Lotionen verwendet werden.
Schematische Darstellung eines unilamellaren Liposoms. Der wässrige Innenraum ist durch eine
Lipiddoppelschicht abgegrenzt. In den Innenraum können hydrophile Wirkstoffe eingelagert werden. Lipophile
Wirkstoffe werden in die Doppelschicht eingelagert.
Amphiphile Moleküle können jedoch noch eine Vielzahl von nicht-lamellaren Phasen ausbilden. Dazu zählen
die hexagonalen Phasen, die in der normalen, als auch der invertierten Form vorkommen. In der invertierten
hexagonalen Phase ordnen sich zum Beispiel mit Wasser gefüllte invertierte Röhrenmizellen in einer
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hexagonalen Anordnung an. Außderdem treten häufig zwischen den lamellaren und den hexagonalen Phase
bikontinuierliche kubische Phasen verschiedener Struktur auf.
Schematische Darstellung von hexagonalen und kubischen lyotropen Phasen, die von amphiphilen Molekülen
ausgebildet werden können. In diesen Phasen sind die Moleküle "flüssig" in dem Sinne, dass ihre Ketten
annähernd so beweglich sind wie in einer isotropen Flüssigkeit und dass die Moleküle in bestimmten
kontinuierlichen Bereichen frei diffundieren können.
Bolaamphiphile bzw. -lipide sind Moleküle, bei denen zwei polare wasserlösliche Gruppen mit einer unpolaren
Kohlenwasserstoffkette verbunden sind. Der Hintergrund für die Synthese derartiger Verbindungen war die
Beobachtung, dass in den Zellmembranen von sogenannten Archaebakterien, die bei hohen Temperaturen in
vulkanischen Seen leben und daher besonders stabile Membranen besitzen müssen, ähnliche Lipide
gefunden wurden.
Achaeol
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Caldarchaeol
Vom Archeol (oben) abgeleitete Bolalipide, wie z.B. das Caldarcheol (unten) mit gesättigten Phytanol- bzw.
Biphytanylketten. R = H, Zuckerreste, Phosphatreste R' = H oder Polyolreste
Als Modellsubstanzen eignen sich auch Bolalipide, die nur eine lange Alkylkette besitzen. Diese kommen
auch in der Natur vor, und zwar in gewissen tropischen Planzen. Diese Bolalipide besitzen zwei
Phosphocholin-Kopfgruppen, die durch eine C22-Alkylkette miteinander verbunden sind. Sie wirken
antimykotisch und werden von Ureinwohnern schon seit langem medizinisch verwendet. Die Synthese dieser
Verbindungen wurde im Institut für Pharmazeutische Chemie der MLU Halle-Wittenberg in der Arbeitsgruppe
von Prof. Dr. B. Dobner durchgeführt. Bei den physikalisch-chemischen Untersuchungen stellte sich die
Frage, ob diese Art von Verbindungen auch Schichtstrukturen ausbilden können oder nicht.
Chemische Struktur und Molekülmodell eines Bolalipids mit einer langen Alkylkette.
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Frage: Können Bolalipide mit nur einer langen Alkylkette auch lamellare Schichten ausbilden, wie hier
schematisch dargestellt?
Bei der physikalisch-chemischen Untersuchung dieser Verbindungen stellte sich nun heraus, dass ein völlig
neuartiges Aggregationsverhalten zu beobachten ist. Versucht man diese Lipide in Wasser zu lösen, so bildet
sich schon bei sehr niedrigen Konzentrationen von 1 mg pro Milliliter Wasser (0.1 Gewichtsprozent) ein klares
hochviskoses Gel, ein sogenanntes Hydrogel. Beim Umdrehen der Gläschen fließt dieses Gel nicht heraus.
Ein Bolalipid vermag also ca. 46000 Wassermoleküle zu "immobilisieren"!
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Photographie zweier auf den Kopf gestellter Gläschen mit Hydrogelen aus verschiedenen Bolalipiden bei
Konzentrationen von 1 mg/ml
Die Ausbildung von Gelen ist jedem von der Gelatine bekannt, die aus Kollagen gewonnen wird, einer
Proteinklasse, die für die Eigenschaften von Haut, Knorpel und Sehnen verantwortlich ist. Bei diesen
hochmolekularen Proteinen lagern sich Proteinketten zu Fasern zusammen, die sich wiederum ineinander
verschlingen. Bei höheren Temperaturen lösen sich solche Gele auf und man bekommt eine flüssige
Proteinlösung. Dieses wurde auch bei dem Hydrogel der Bolaamphiphil-Lösung beobachtet. Allerdings muss
der Mechanismus der Gelbildung hier ein völlig anderer sein, da es sich um niedermolekulare Verbindungen
handelt. Die Lösung des Problems brachten schließlich elektronenmikroskopische Aufnahmen.
Bei der Kryotechnik und bei Gefrierbruch-Aufnahmen wird die Lösung extrem schnell eingefroren, so dass
sich amorphes Eis bildet. Dadurch werden empfindliche Strukturen nicht zerstört und können im
Elektronenmikroskop sichtbar gemacht werden. Die Aufnahme bei Raumtemperatur zeigt schraubenförmige
Filamente von ca. 6-7 Milliardstel Meter Dicke, die die wässrige Lösung durchziehen. Diese Dicke entspricht
etwa der Moleküllänge. Die Verschlingung dieser "Nanofasern" führt zu dem beobachteten Gelcharakter. Bei
hohen Temperaturen beobachtet man einen Zerfall dieser Nanofasern zu Nanopartikeln wie in den
elektronenmikroskopischen Auf-nahmen zu sehen ist. Bis jetzt ist die genaue Struktur, d.h. der Aufbau der
Nanofasern und Nanopartikel aus den Einzelmolekülen noch nicht aufgeklärt.
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Elektronenmikroskopische Aufnahmen der Nanofasern von ca. 6-7 nm Dicke bei Raumtemperatur (M.
Drechsler, Jena). Der Pfeil zeigt auf eine Stelle der Nanofaser, an der eine mögliche helikale Struktur zu
erkennen ist.
Bei höheren Konzentrationen scheinen sich die Nanofasern von ca. 6-7 nm Breite zu breiteren Bändern
zusammenzulagern. Die Breite der Bänder kann bis in den Bereich von Mikrometern zu gehen. Die Bänder
lassen sich sedimentieren auf festen Oberflächen und dann mit Hilfe der Atomic Force Mikroskopie darstellen.
Die Oberflächenstruktur der Bänder ist allerdings nicht mehr auflösbar.
AFM-Aufnahme einer sedimentierten PC-C32-PC Suspension auf Glimmer. Es sind breite Streifen von ca. 7
nm Höhe und 40-100 nm Breite zu sehen
Wie bereits erwähnt zeigen die Hydrogele komplexes thermisches Verhalten. Bei Erwärmung tritt ab einer
bestimmten Temperatur ein Zerfall des Gels ein. Gleichzeitig scheinen die Fasern zu zerbrechen und die
Ketten des Bolalipids fluider zu werden. Bei hohen Temperaturen sind in elektronenmikroskopischen
Aufnahmen nur noch Partikel zu erkennen.
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Gefrierbruch-elektronenmikroskopische Aufnahme bei Raumtemperatur, wo aus der Bruchfläche Nanofasern
herausragen (oben). Bei hohen Temperaturen (unten) zerfallen die Nanofasern zu kleinen Partikeln (W.
Richter, Jena)
Der Zerfall des Gels und das Auftreten von Nanopartikeln äußert sich in thermischen Effekten, die mittels der
Differential Scanning Calorimetry (DSC) verfolgt werden können. Außerdem kann mit Hilfe der FT-IRSpektroskopie dieses Umwandlungsverhalten verfolgt werden, da bei Fluidisierung der Alkylkette eine
Verschiebung der Frequenzen der symmetrischen und antisymmetrischen Valenzschwinung zu beobachten
ist.
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Oben: DSC-Kurven im Aufheiz- und Abkühlmodus zweier Bolalipide. Es sind mehrere thermische
Umwandlungen zu sehen. Die bei niedrigen Temperaturen auftretenden sind mit einem Zusammenbruch des
Hydrogels verbunden. Beim Abkühlen bildet sich das Hydrogel verzögert aus.
Unten: Temperaturabhängigkeit der Streckschwingungsfrequenzen der CH2-Gruppen. Die Erhöhung der
Frequenzen wird durch eine Fluidisierung der Ketten erzeugt.
Die Eigenschaften dieser Nanofasern und Nanopartikel werden in einem Kooperationsprojekt zwischen dem
Institut für Physikalische Chemie und dem Institut für Pharmazeutische Chemie weiter untersucht. Die
bisherigen Experimente wurden im Rahmen einer Diplomarbeit im Fachbereich Chemie von Dipl.-Chem.
Karen Köhler durchgeführt.
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Die überraschenden neuen Strukturen konnten auf der Grundlage bisheriger Erkenntnisse nicht vorhergesagt
werden. Der "Zoo" der lyotropen Strukturen, die bisher bekannt und intensiv erforscht worden sind, muss also
erweitert werden um Aggregatformen, wie Nanofasern und Nanopartikel. Die Nanofasern sind dabei in
gewisser Weise den wurmartigen Mizellen verwandt, die von einkettigen monopolaren Amphiphilen
ausgebildet werden. Allerdings sind bei diesen Strukturen die Ketten der Amphiphile fluide und nicht starr, wie
bei den hier untersuchten Bolalipiden. Die Starrheit der Ketten bei Raumtemperatur verleiht dem aufgebauten
Gel eine besondere Eigenschaft, dass es nämlich hoch viskos ist mit Viskositätswerten, die bei
Konzentrationen von 1mg/ml 6 Größenordnungen größer sind als die von Wasser.
Das Beispiel zeigt, dass es wichtig ist, eine breit angelegte und vorurteilsfreie Grundlagenforschung zu
betreiben. Diese Art des Vorgehens abseits von ausgetretenen Pfaden kann zu unerwarteten und bisher nicht
bekannten Erkenntnissen führen. Das Anwendungspotential dieser neuartigen Hydrogele aus
Bolaamphiphilen ist noch nicht ausgelotet. Dies zu erforschen wird eine der zukünftigen Aufgaben in der
Zusammenarbeit zwischen synthetisch und physikalisch-chemisch arbeitenden Chemikern sein.
In der Arbeitsgruppe "Modellmembranen, Monolayer und lyotrope Flüssigkristalle" im Institut für Physikalische
Chemie werden verschiedene amphiphile Systeme und ihre Wechselwirkungen mit Peptiden und Proteinen
untersucht. Dabei werden eine ganze Reihe von verschiedenen physikalisch-chemischen Methoden benötigt.
Diese sind:
z
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Differential Scanning Calorimetry (DSC)
Isothermal Titration Calorimetry (ITC)
Untersuchungen an Langmuir-Monolayern
FT-IR-Spektroskopie in Transmission und Reflexion (ATR und IRRAS)
Zeitaufgelöste FT-IR-Spektroskopie (Drucksprungrelaxation)
Röntgenstreuung (SAXS und WAXS)
Dynamische Lichtstreuung
Atomic Force Microscopy
Vibrational Circular Dichroism (VCD)
Stopped-Flow Techniken mit Lichtstreu- und Fluoreszenzdetektion
Molecular Modeling (Cerius2)
Prof. Dr. Alfred Blume
Institut für Physikalische Chemie
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Arbeitsgruppe Modellmembranen, Monolayer und lyotrope Flüssigkristalle
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