Die „Beherrscherin der Männer“ ist die Königstochter Andromeda aus der griechischen Mythologie dem Namen nach. Professor Ralf Bender von der Universitäts-Sternwarte München und seine überwiegend, aber nicht ausschließlich männlichen Kollegen hat sie immerhin schon in ihren Bann geschlagen. Das international besetzte Astronomenteam untersuchte das blau leuchtende Zentrum unserer nach Andromeda benannten Nachbargalaxie – und stieß dabei auf ein Ungeheuer. SUSANNE WEDLICH die schöne und ihr monster E in menschliches Opfer für das Seeungeheuer Ketus sei die letzte Hoffnung, bestimmte das Orakel, als die Verzweiflung im Lande groß war. Zu lange schon suchte das Monster die Küste Äthiopiens heim. Begonnen hatte alles mit einer Prahlerei: Königin Kassiopeia brüstete sich, schöner als Poseidons Begleiterinnen, die Nereiden, zu sein. Der Meeresgott ließ daraufhin eine gewaltige Flut mitsamt Seeungeheuer Ketus auf die Bevölkerung los. Ein menschliches Opfer sollte dem nun ein Ende gebieten. Doch laut Orakel hatte nicht etwa Königin Kassiopeia ihr Leben verwirkt. Ihre Tochter Andromeda wurde stattdessen als Gabe für Ketus an einen Küstenfelsen gekettet. Der Rest ist schnell erzählt. Held Perseus traf auf die unglückliche Königstochter und verliebte sich in sie. Er tötete Ketus und bekam Andromeda zur Frau. Unsterblich wurde diese Geschichte durch ihren Eingang in die griechische Mythologie. Die ganze Familie wurde schließlich auch an den nächtlichen Himmel versetzt, wo es jetzt Sternbilder für Kassiopeia und ihren Gemahl Cepheus, sowie Perseus, das Monster Ketus und natürlich auch Andromeda gibt. Deren Konstellation kann mit ein wenig Fantasie als sitzende Frau mit ausgebreiteten Armen interpretiert werden. Für Astonomen ist das Sternbild wichtig, weil es die Spiralgalaxie M31 enthält. Etwas altertümlich wird sie auch Andromedanebel genannt und ist unserer Galaxie, der Milchstraße, sehr ähnlich in Alter und Aussehen. Galaxien sind große Ansammlungen von Sternen, Planeten und anderer Materie, die durch Anziehungskraft zusammengehalten werden und sich auch zusammen bewegen. M31 etwa ist die unserer Milchstraße am nächsten gelegene Galaxie – und kommt immer näher. Mit einer Geschwindigkeit von etwa 120 Kilometern pro Sekunde bewegt sie sich auf uns zu. Trotzdem ist mit einer Kollision in nächster Zeit nicht zu rechnen. Noch sind beide Galaxien etwa 2,3 Millionen Lichtjahre voneinander entfernt, so dass es auch bei passendem Kurs erst in etwa drei Milliarden Jahren zu einer Begegnung käme. Wegen der relativen Nähe und den Übereinstimmungen mit der Milchstraße war die Andromeda-Galaxie seit jeher von großem Interesse für die Wissenschaft. Auch der große Edwin Hubble rückte 1925 Andromeda in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen. Da passt es, dass letztes Jahr mit Hilfe des nach ihm benannten Teleskops ein Durchbruch in der Erforschung der Spiralgalaxie und ihres inneren Bereichs gelang – genau 80 Jahre nach seinen Beobachtungen. Das Hubble Space Telescope ist ein gemeinsames Projekt der europäischen Weltraumorganisation ESA und der NASA, der National Aeronautics and Space Administration. Ein internationales Team von Astronomen nutzte die Aufnahmen des Teleskops, um einen Blick mitten in das Herz der Andromeda zu werfen. Geleitet wurde die Untersuchung von Professor Ralf Bender von der Universitäts-Sternwarte und seinem Kollegen Professor John Kormendy von der University of Austin in Texas, USA. Beide Forscher gehören zu den weltweit meist zitierten 74 NATURWISSENSCHAFTEN 3 Die Andromeda-Galaxie (M31) setzt sich zusammen aus einem Ring älterer, roter Sterne und einer Scheibe junger, blauer Sterne. Der unscheinbare schwarze Punkt in der Mitte der blauen Scheibe der unteren bildlichen M31-Darstellung ist ein supermassereiches schwarzes Loch. wissenschaftlichen Autoren in der Astronomie. Das hat das Institute for Scientific Information (ISI) in Philadelphia, USA, festgestellt. Wissenschaftliche Autoren zitieren das Werk anderer Forscher in ihren Veröffentlichungen, wenn es relevant für ihre eigene Arbeit ist. Damit sind Zitate ein Maß für den Einfluss eines Wissenschaftlers auf seinem Gebiet. Ralf Bender und John Kormendy gehören laut ISI zu den Highly Cited Authors – ein Status, den weniger als 0,5 Prozent aller zitierten Forscher erreichen. Im Team mit ihren Kollegen konnten die beiden letztes Jahr eine Frage klären, die die Wissenschaft mehr als ein Jahrzehnt lang beschäftigt hatte: Sie fanden die Quelle des mysteriösen blauen Lichts im Zentrum der Andromeda. 1991 gelangen mit Hilfe des Hubble-Teleskops erste Aufnahmen von Andromedas Zentrum, das sich über eine Ausdehnung von mehr als 200.000 Lichtjahren erstreckt. Dort fanden sich zwei, nur wenige Lichtjahre voneinander entfernte Strukturen. Nachfolgende Untersuchungen bestätigten, dass das bekanntermaßen sehr aktive Innere der Galaxie tatsächlich aus zwei Zentren besteht und auch um einiges größer ist als bisher angenommen. 1995 wurde wiederum dank Hubble ein seltsames blaues Licht im Inneren von Andromeda gesichtet. Zu dieser Zeit wurde noch vermutet, es handle sich um einen einzelnen, blau leuchtenden Stern. Ein paar Jahre später gab es aber Hinweise auf eine größere Ansammlung blauer Sterne. Dank Ralf Benders Arbeit und der seiner Kollegen ist jetzt klar, dass es sich um etwa 200 Sterne handelt, die vor etwa 200 Millionen Jahren entstanden und damit noch sehr jung sind. „Die Sterne sind eng gepackt und in einer Scheibe angeordnet, die in etwa ein Lichtjahr misst“, so Ralf Bender. „Außerhalb dieser Sternenscheibe liegt ein elliptischer Ring aus sehr viel älteren, rötlichen Sternen.“ Die präzisen Aufnahmen waren nur vom Weltraum aus mit der exzellenten räumlichen Auflösung des Hubble Space Telescope und seinem Imaging Spectrograph, kurz STIS, möglich. Nur so konnte die Struktur der blauen Sternscheibe im Detail analysiert werden. Tatsächlich waren die Aufnahmen so gut, dass die Forscher auch noch die Masse des zentralen schwarzen Loches mit großer Genauigkeit bestimmen konnten. „Es handelt sich um ein supermassives schwarzes Loch mit der Masse von 140 Millionen Sonnen“, sagt Ralf Bender. „Dank der hohen Auflösung der neuen Aufnahmen können wir nun alternative Erklärungen wie beispielsweise kompakte Haufen aus weißen Zwergen oder Neutronensternen ausschließen.“ DIE ERDE ALS MURMEL Die Schwerkraft schwarzer Löcher ist so stark, dass praktisch nichts diese Objekte wieder verlassen kann, nicht einmal das Licht. Zwar haben neuere Überlegungen ergeben, dass schwarze Löcher Energie und damit auch Masse in Form der so genannten Hawking-Strahlung abgeben. Doch für das menschliche Auge und bislang zur Verfügung stehende Hilfsmittel sind schwarze Löcher unsichtbar. Nur ihre Auswirkungen auf die Umgebung können beobachtet und gemessen werden. Denn jedes massereiche Objekt verzerrt den umgebenden Raum, keines aber so sehr wie ein schwarzes Loch. Dessen gesamte Masse ist in einem äußerst kleinen Volumen komprimiert – die Masse der Erde etwa hätte die Größe einer Murmel. Die daraus resultierende ungeheuer starke Anziehungskraft krümmt die Raumzeit derart, dass weder Materie noch Licht aus dieser Region nach außen gelangen können. Gewissermaßen als äußere Grenze hat das schwarze Loch einen so genannten Ereignishorizont, der sehr leicht überquert werden kann – aber 75 NATURWISSENSCHAFTEN 7 Das Hubble Space Telescope ist ein gemeinsames Projekt der europäischen Weltraumorganisation ESA und der NASA. Ein internationales Team von Astronomen nutzte die Aufnahmen des Teleskops, um einen Blick mitten in das Herz der Andromeda zu werfen. Geleitet wurde die Untersuchung von Ralf Bender von der Universitäts-Sternwarte und seinem Kollegen John Kormendy von der University of Austin in Texas, USA. nur in eine Richtung. „Körper, die auf ein schwarzes Loch einfallen, erreichen an dessen Oberfläche Lichtgeschwindigkeit“, so Ralf Bender. Sich von dort wieder zu entfernen, geht nicht. denn dazu müsste man sich schneller als das Licht bewegen, was physikalisch unmöglich ist. Im Inneren eines schwarzen Loches schließlich gelten eigene Gesetze über Raum und Zeit. SCHWARZE LÖCHER ENTZIEHEN SICH DIREKTER BEOBACHTUNG Es gibt verschiedene Arten schwarzer Löcher. Für die Entstehung eines supermassereichen schwarzen Loches etwa ist die millionen- oder sogar milliardenfache Masse unserer Sonne nötig. „Wir gehen davon aus, dass die Mehrzahl aller nahen normalen Galaxien supermassereiche schwarze Löcher von einer Million bis zu mehreren Milliarden Sonnenmassen enthält“, berichtet der LMU-Astronom. „Offensichtlich verlaufen die Bildung der schwarzen Löcher und die Entstehung der Galaxien in engem Wechselspiel. Der genaue Zusammenhang ist aber noch ungeklärt.“ Bei mehr als 40 Galaxien gibt es Hinweise auf ein schwarzes Loch im Zentrum, nur bei dreien konnte dies praktisch zweifelsfrei nachgewiesen werden. Die ersten beiden Galaxien waren die Spiralgalaxie NGC4258, bei der besonders günstige Bedingungen einen einfachen Nachweis ermöglichten, und unsere Milchstraße. In deren Zentrum befindet sich die starke Radioquelle Sagittarius A*, ein ebenfalls supermassives schwarzes Loch mit etwa vier Millionen Sonnenmassen. Andromeda nun enthält das mit Abstand schwerste schwarze Loch unter diesen dreien und war wohl in der Frühphase des Universums ein so genannter Quasar. In dieser Phase verschlingen schwarze Löcher gigantische Mengen von Materie und erreichen dabei Leuchtkräfte die 1.000 Mal größer sein können als das gesamte Licht der Galaxie. Die direkte Beobachtung eines schwarzen Loches ist unmöglich. Bevor dessen Existenz also in Andromeda als gesichert angesehen werden konnte, mussten erst andere Erklärungsansätze ausgeschlossen werden, so unwahrscheinlich sie im Einzelnen auch waren. Als eine Möglichkeit wurde gesehen, dass eine Ansammlung von so genannten Weißen Zwergen oder Neutronensternen im Zentrum Andromedas konzentriert sein könnte. Das sind die ausgebrannten Überreste von Sternen mit weniger als 25 Sonnenmassen. Dies konnte nun durch Ralf Bender, John Kormendy und ihre Kollegen widerlegt werden. Sie hatten die Masse und maximale Ausdehnung des unbekannten dunklen Objekts berechnet: Mehr als 100 Millionen dunkler Sterne wären dafür nötig. Im zur Verfügung stehenden Raum wären diese aber zu dicht gepackt gewesen. Ständige Kollisionen hätten die gesamte Struktur innerhalb weniger Millionen Jahre zerstört. Weil auch andere Ansätze nicht mit den Beobachtungen in Einklang gebracht werden konnten, 76 NATURWISSENSCHAFTEN blieb letztlich nur eine Erklärung für das dunkle Herz Andromedas übrig: Es muss sich um ein schwarzes Loch handeln. Doch diese Lösung warf wieder neue Fragen auf. Unklar ist nun, wie sich im Inneren von Andromeda in unmittelbarer Nähe eines schwarzen Loches eine Sternenscheibe überhaupt bilden konnte, denn dessen extrem starke Gezeitenkräfte sollten die Ansammlung von Materie in unmittelbarer Umgebung verhindern. Die Kräfte des schwarzen Lochs sollten eher Materie auseinander reißen als eine neue Akkumulation zu erlauben. Die nähere Umgebung eines schwarzen Lochs ist eine derart feindliche Umgebung, dass kaum vorstellbar ist, wie Gas und Staub zu Sternen kollabieren können. „Nachdem wir jetzt das schwarze Loch im Zentrum der Sternenscheibe klar nachweisen konnten, ist die Bildung der Sternscheibe zu einem weiteren Rätsel geworden“, meint Ralf Bender. „Gas, das Sterne formen könnte, muss sich um das schwarze Loch wegen der hohen Anziehungskraft sehr schnell bewegen. Dabei gibt es sogar noch Unterschiede: Nahe am Zentrum ist die Geschwindigkeit höher als die der weiter entfernten Materie. Das lässt die Entstehung von Sternen fast unmöglich scheinen. Aber sie sind ganz eindeutig da.“ Und sie bewegen sich mit ungeheurer Geschwindigkeit. Die neue Technik des Hubble-Teleskops erlaubte auch die Messung dieser Größe. So rotiert die Scheibe im Mittel mit außerordentlichen 1.000 Kilometern pro Sekunde. Die schnellsten ihrer Sterne erreichen sogar über 1.700 Kilometer pro Sekunde und damit die höchste durchschnittliche Rotationsgeschwindigkeit, die je in einer Galaxie gemessen wurde. Aber auch die langsameren unter den Sternen könnten mit ihren 700 Kilometern pro Sekunde die Erde in nur einer Minute umrunden. Der Weg zum Mond würde ebenfalls zum Katzensprung: In nur zehn Minuten wäre der Erdtrabant erreicht. Von einer anderen Größenordnung sind hingegen die Entfernungen im Zentrum von Andromeda: Für eine Umrundung des schwarzen Loches benötigen die am nächsten stehenden und damit schnellsten Sterne etwa 100 Jahre. Bei den weiter entfernten Sternen dauert es bis zu fünfmal so lange. Außerhalb der schnell rotierenden Sternenscheibe befindet sich in fünf Lichtjahren Entfernung ein elliptischer Ring aus älteren und kühleren Sternen. Weil beide Systeme dieselbe Neigung haben, ist zu vermuten, dass sie nicht unabhängig voneinander entstanden sind. Es ist zudem wahrscheinlich, dass das aktive Zentrum von Andromeda ähnliche Sternenscheiben in der Vergangenheit produziert hat und auch weiterhin produzieren wird. Denn die blau strahlenden Sterne haben eine vergleichsweise kurze Lebenszeit. Das macht es schwer vorstellbar, dass in der zwölf Milliarden Jahre währenden Vergangenheit von Andromeda nur ein einziges Mal eine derartige Sternenscheibe entstand. Eher denkbar ist deshalb, dass in Andromedas Innerem ein Prozess abläuft, der immer wieder neue Sternenscheiben hervorbringt. Ganz so ungewöhnlich wie zuerst vermutet ist der Vorgang möglicherweise auch nicht: In der Nähe des schwarzen Lochs im Zentrum unserer Milchstraße befinden sich nämlich ebenfalls Sterne, die mit weniger als zehn Millionen Jahren Lebensdauer sogar noch jünger sind als die unserer Nachbargalaxie. Die innerste Struktur der Andromeda-Galaxie ist also vielleicht nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Prof. Dr. Ralf Bender ist seit 1994 Professor für Astronomie an der LMU. 1998 übernahm er die Leitung der Universitäts-Sternwarte der LMU, seit 2002 ist er zudem Direktor am Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik. [email protected] http://www.usm.lmu.de:81/people/bender/bender.html 77 NATURWISSENSCHAFTEN