Pitolisant

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Pharmazeutische Chemie - Pitolisant
Pitolisant (Wakix®)
Pitolisant (Wakix®) ist ein neuer Histamin-H3-Rezeptor-Modulator, der jetzt zur
Behandlung der Narkolepsie zugelassen wurde (Strukturformel s. Abbildung 1).
Abbildung 1
Indiziert sind die Filmtabletten mit 4,5mg bzw. 18mg Pitolisant bei Erwachsenen, die
an Narkolepsie mit oder ohne Kataplexie leiden. Die tägliche Gesamtdosis sollte
morgens beim Frühstück eingenommen werden. Die optimale Dosierung sollte je
nach therapeutischem Ansprechen und Verträglichkeit ermittelt werden. Empfohlen
wird laut Fachinformation eine schrittweise Aufdosierung. In der ersten Woche
werden zwei Tabletten mit 4,5mg Pitolisant entsprechend 9mg Pitolisant
eingenommen. Sofern die Wirkung nicht ausreicht und in Abwesenheit störender
Nebenwirkungen kann die Dosis in der zweiten Woche auf eine Tablette mit 18mg
Pitolisant und in der dritten Einnahmewoche auf zwei Tabletten entsprechend 36mg
Pitolisant erhöht werden. Die Dosierung ist jeweils dem Ansprechen des Patienten
anzupassen. Die Maximaldosis von 36mg Pitolisant pro Tag sollte nicht überschritten
werden. Die Dosis kann jederzeit je nach Ansprechen des Patienten bis auf 4,5mg
pro Tag verringert werden (Fachinformation Wakix® 2016).
Das biogene Amin Histamin besitzt zahlreiche physiologische Wirkungen, die durch
insgesamt vier Histamin-Rezeptoren vermittelt werden (H1, H2, H3 und H4). Diese
Einteilung in verschiedene Subtypen basiert auf unterschiedlichen Sequenzen,
unterschiedlichen intrazellulären Signalkaskaden und auf dem jeweiligen
einzigartigen pharmakologisches Profil eines jeden Subtyps. Die beiden RezeptorSubtypen H1 und H2 sind bekanntermaßen sogenannte „druggable targets“, was
durch die Wirksamkeit von H1-Antagonisten beispielsweise bei der Therapie der
Allergie und von H2-Antagonisten bei der Therapie des Sodbrennens oder
Magengeschwüren eindrucksvoll belegt ist. Die Funktion des H4-Rezeptors ist nach
wie vor nicht vollständig geklärt, obwohl davon ausgegangen wird, dass der H4Subtyp eine Rolle im Entzündungs- und Schmerzgeschehen sowie bei
Immunreaktionen spielt (Brioni et al. 2011, Schwartz 2011).
Der Histamin-H3-Rezeptor ist erstmals 1983 beschrieben worden, 16 Jahre später ist
die DNS-Sequenz aufgeklärt worden (Arrang et al. 1983, Lovenberg et al. 1999). Der
H3-Rezeptor umfasst insgesamt 445 Aminosäuren. Er gehört wie der H4-Rezeptor zu
den membranständigen Rezeptoren, die an ein inhibitorisch agierendes G-Protein
gekoppelt sind. Die höchste Homologie innerhalb der Aminosäuresequenz besteht
mit ca. 60% in der transmembranären Domäne zum H4-Rezeptor; H3- und H4Rezeptor sind also auf molekularer Ebene eng miteinander verwandt. Die Homologie
zu den H1- und H2-Rezeptoren ist mit ca. 20% wesentlich geringer (Leurs et al. 2005,
Esbenshade et al. 2008, Schwartz 2011). Die Expression des H3-Rezeptors in
peripheren Geweben ist relativ gering (Herz, Placenta, Lunge, Leber,...) (Lovenberg
et al. 1999), dagegen ist die H3-Rezeptor-Expression im Gehirn deutlich höher
(Ashworth et al. 2010, Schwartz 2011), was den zentralen H3-Rezeptor damit
natürlich aufgrund wahrscheinlich geringer ausfallender peripherer Nebenwirkungen
zu einem attraktiven Target macht. In Tabelle 1 sind die Gewebeverteilung und die
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(patho-)physiologischen Funktionen der einzelnen Histamin-Rezeptoren sowie eine
Auswahl bislang zugelassener Arzneistoffe aufgeführt (nach Stark 2011).
Gewebeverteilung
Physiologische
Funktion
Pathophysiolog.
Funktion
Beispiele
zugelassener
Arzneistoffe
Tabelle 1:
H1-Rezeptor
Blutgefäße, Lunge,
ZNS
Vasodilatation,
Bronchokonstriktion
Allergische
Reaktionen,
Emesis
H1-Antihistaminika
(Diphenhydramin,
Cetirizin,
Loratadin)
H2-Rezeptor
Magen
H3-Rezeptor
ZNS
H4-Rezeptor
Leukozyten
Magensäureproduktion
Regulation der
Neurotransmitterfreisetzung
Störungen des
Neurotransmittergleichgewichts
Immunreaktionen
Pitolisant
---
Ulzerationen
(chronisch)
entzündliche
Erkrankungen
H2-Antihistaminika
(Cimetidin,
Ranitidin)
Vorkommen, Funktionen der vier Histamin-Rezeptor-Subtypen (nach Stark 2011)
Die Entwicklung eines Arzneistoffkandidaten, der am H3-Rezeptor wirkt, gestaltete
sich schwierig, da vom H3-Rezeptor zahlreiche gewebespezifische Isoformen (>20)
sowie starke Speziesunterschiede existieren, die eine Übertragung von
tierexperimentellen Ergebnissen in den Humanbereich erschwert (Schwartz 2011,
Stark 2011).
Der Histamin-H3-Rezeptor ist vorwiegend präsynaptisch lokalisiert und fungiert dabei
einerseits als Autorezeptor, indem er die Freisetzung von Histamin reguliert,
andererseits aber auch als Heterorezeptor, indem der die Freisetzung anderer
Neurotransmitter wie etwa Acetylcholin, Noradrenalin und Dopamin reguliert.
Dementsprechend stellen zentral wirksame Histamin-H3-Modulatoren natürlich
vielversprechende Arzneistoffe für Erkrankungen dar, denen ein gestörtes
Neurotransmittergleichgewicht zugrundeliegt (Lazewska und Kiec-Kononowicz
2010). In präklinischen Studien wurden viele H3-Antagonisten bzw. inverse Agonisten
z.B. bei Narkolepsie, Morbus Alzheimer, Epilepsie, ADHS oder neuropathischem
Schmerz getestet (Brioni et al. 2011, Schwartz 2011, Stark 2011, Bialer et al. 2015).
Der neue H3-Rezeptor-Modulator Pitolisant ist nun zur Therapie der Narkolepsie
zugelassen. Diese ist vor allem gekennzeichnet durch eine exzessive
Tagesschläfrigkeit mit unwiderstehlichen Einschlafattacken. Zusätzlich können
Kataplexien mit teilweisem oder sogar vollständigem Verlust des Muskeltonus
auftreten. Die Ursachen einer idiopathischen Narkolepsie sind größtenteils noch
unbekannt, neuere Untersuchungen deuten an, dass ein Mangel an bestimmten
Neuropeptiden, Hypocretin-1 und -2 (= Orexin-1 und -2), ursächlich für die
Narkolepsie sind (Nishino 2007). Bislang wird die Narkolepsie mit ZNSstimulierenden Substanzen wie Methylphenidat oder Modafinil therapiert. Für die
Kataplexien kommen patientenindividuell Antidepressiva - auch die neueren
selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) - zum Einsatz. Zusätzlich gibt
es eine Therapiemöglichkeit mit dem GABA-Agonisten Natriumoxybat (Xyrem®),
dem Natriumsalz der 4-Hydroxybutansäure, das zur Behandlung der Narkolepsie mit
Kataplexien zugelassen ist (Nishino 2007). Für die Zukunft stellen die Substitution
der Hypocretine bzw. die Entwicklung von Hypocretin-Analoga sicherlich eine
vielversprechende kausale Therapieoption dar.
Die bedeutende Rolle der histminergen Neurotransmission für die Aufrechterhaltung
des Wachzustandes wurde schon frühzeitig erkannt (Schwartz 1977) und
anschließend durch zahlreiche experimentelle Forschungsarbeiten bestätigt (Lin
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2000). Bei frühen inversen Agonisten am Histamin-H3-Rezeptor wie z.B.
Thioperamid, dem ersten inversen Agonisten, beoabchtete man durch eine
gesteigerte Freisetzung des „Weckamins“ Histamin verbunden mit einer Steigerung
anderer den Wachzustand fördernder neuronaler Aktivitäten (dopaminerg,
acetylcholinerg, noradrenerg) eine deutliche Zunahme der Wachphasen (Ligneau et
al. 2007, Sander et al. 2008). Dementsprechend schien die Entwicklung eines zentral
wirksamen H3-inversen Agonisten zur Behandlung von Hypersomnien wie etwa der
Narkolepsie eine vielversprechende Option zu sein.
Abbildung 3:
Wichtige Wechselwirkungen des Pitolisants inerhalb der
Bindungsstelle des H3-Rezeptors
Viele Substanzen wurden getestet, um einen möglichen H 3-Antagonisten/ inversen
Agonisten zu identifizieren. Es wurden wichtige Beobachtungen gemacht, so z.B. die,
dass der Imidazol-Ring des natürlichen Liganden Histamin durchaus durch andere
Sickstoff-haltige Heterozyklen ersetzt werden kann. Vorher war dieser Imidazol-Ring
für die Bindungsaffinität zum H3-Rezeptor als absolut erforderlich angesehen worden.
Ohne den Imidazol-Ring erhielt man dann H3-Liganden die natürlich einige der
Nachteile, die der Imidazol-Ring mit sich bringt - wie z.B. Interaktionen mit CYPEnzymen der Leber oder aber schlechte ZNS-Penetration - nicht besaßen (Schwartz
2011).
Pitolisant ist ein kompetitiver Antagonist/ inverser Agonist am Histamin-H3-Rezeptor.
Bindet dieser Antagonist/ inverse Agonist an die präsynaptischen Auto- bzw.
Heterorezeptoren im Gehirn, werden diese Rezeptoren schlechter aktiviert. Da eine
Aktivierung dieser Rezeptoren eine Hemmwirkung auf die Freisetzung hat, wird bei
der Bindung des Pitolisants an den Rezeptor diese Freisetzungshemmung
aufgehoben. Die Folge einer Bindung des H3-Antagonisten/ inversen Agonisten
Pitolisants an den präsynaptischen H3-Rezeptor führt also zu einer vermehrten
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Ausschüttung des jeweiligen Botenstoffs in den synaptischen Spalt, sei es an H3Autorezeptoren Histamin oder an H3-Heterorezeptoren Dopamin, Noradrenalin oder
Acetylcholin (Ligneau et al. 2007, Schwartz 2011, Stark 2011).
Pitolisant besitzt als zentralen Baustein einen Ether-Sauerstoff, von dem zwei nPropylketten abgehen. Am einen Ende der Propylkette sitzt ein p-Chlorphenyl-Rest.
Wie oben beschrieben enthält Pitolisant keinen Imidazol- sondern einen PiperidinRing, der an der anderen Propylkette mitdem Stickstoff-Atom des Piperidins fixiert ist
(IUPAC: 1-3-(3-(4-Chlorphenyl)propoxy)propylpiperidin). Die Bindungsstelle des
Pitolisants liegt transmembranär gerade unterhalb der extrazellulären Loops.
Glutamat Glu206 bildet eine Salzbrücke mit dem Piperidin. Die Hydroxyl-Gruppe des
Tyrosins Tyr374 ist über eine Wasserstoffbrücke mit dem zentralen Ether-Sauerstoff
des Pitolisants verbunden. Die Aminosäuren Phenylalanin Phe198 und Tyrosin
Tyr189 fixieren den p-Chlorphenyl-Ring des Liganden über π-π-Wechselwirkungen
der Aromaten (s. Abbildung 2) (Ligneau et al. 2007, Schwartz 2011).
Literatur:
Arrang, J.M. et al. Nature 1983, 302, 832
Ashworth, S. et al. J Nucl Med 201051, 1021
Bialer, M. et al. Epilepsy Res 2015, 111, 85
Brioni, J.D. J Pharmacol Exp Ther 2011, 336, 38
Esbenshade, T.A. et al. Br J Pharmacol 2008, 154, 1166
Fachinformation Wakix® 2016, Bioprojet Pharma
Lazewska, D. und Kiec-Kononowicz, K. Expert Opin Ther Pat 2010, 20, 1147
Leurs, R. et al. Nat Rev Drug Discov 2005, 4, 107
Ligneau, X. et al. J Pharmacol Exp Ther 2007, 320, 365
Lin, J.S. Sleep Med Rev 2000, 4, 471
Lovenberg, T.M. et al. Mol Pharmacol 1999, 55, 1101
Nishino, S. J Clin Psychiatry 2007, 68 Suppl13, 9
Sander, K. et al. Biol Pharm Bull 2008, 31, 2163
Scheartz, J.C. Ann Rev Pharmacol Toxicol 1977, 17, 325
Schwartz, J.C. Br J Pharmacol 2011, 163, 713
Stark, H. In: Pharmazeutische Zeitung 2011, Nr.32
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