Thema: Die Saar im Nationalsozialismus

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Thema: Die Saar im Nationalsozialismus
LK Ge Hannig
1. Die Saarabstimmung 1935
Der Zusammenbruch des Wilhelminischen Reiches im November 1918 traf die Menschen in der Saarregion
unerwartet. Für sie begann nun mit der Besatzung durch französische Truppen eine Zeit großer politischer
Unsicherheit. Gegen ihren Willen wurden sie bei den Friedensverhandlungen in Versailles zum Objekt
und Spielball der Interessen großer, mächtiger Nachbarstaaten. Die Abtrennung von Deutschland und die
Unterstellung des Saargebietes unter eine vom Völkerbund eingesetzte Regierungskommission für 15
Jahre erschien den Saarländern mehrheitlich als ein Akt der Fremdbestimmung und Willkür. Sie nutzten jede
Gelegenheit, um ihre Zugehörigkeit und Anhänglichkeit zu Deutschland zu beweisen.
Als Abstimmungstermin war der 13. Januar 1935 festgesetzt. Entscheiden konnten sich die Saarländer für a)
die Rückkehr zu Deutschland b) den Anschluss an Frankreich c) Verbleib unter der Verwaltung des
Völkerbundes (= Status quo).
Seit 1933 hatten sich die bürgerlichen Parteien, das Zentrum, die christlichen Gewerkschaften und die
NSDAP-Saar zu einer Massenbewegung in der Deutschen Front zusammengeschlossen. Durch den Einsatz
vielfältiger Werbemethoden und propagandistische Mittel konnten viele Saarländer als Mitglieder für die
Deutsche Front und somit für einen Anschluss an Deutschland geworben werden. Durch die Betonung von
Heimat und Vaterland in den Veranstaltungen der Deutschen Front sollte ein Gefühl von
Volksverbundenheit und Zugehörigkeit zur neuen Deutschen Volksgemeinschaft erzeugt werden.
Obwohl die Anhänger der NSDAP an der Saar eine kleine Wählergruppe waren, betrieben sie einen
engagierten Abstimmungskampf und profitierten von den unpopulären Alternativen (Status quo,
Angliederung an Frankreich). An der Saar war – im Unterschied zur Entwicklung im Deutschen Reich – eine
stärkere Annäherung an demokratische Ideen und eine positivere Sicht der Weimarer Republik zu
beobachten. Vor allem fehlte bis 1933 der Rechtsradikalismus fast vollständig.
Bei der Machtübernahme Hitlers am 30. Januar 1933 verschränkte sich die Forderung nach nationaler
Selbstbestimmung mit dem Problem der Rückgliederung an ein jetzt nationalsozialistisches,
undemokratisches und diktatorisch geführtes Deutschland. In der Völkerbundszeit waren die politischen
Gruppen an der Saar von der nationalen Zugehörigkeit zu Deutschland ausgegangen. Der
Abstimmungskampf überlagerte nun die Auseinandersetzung der Parteien mit dem Nationalsozialismus.
Während die Francophilen (Anschluss an Frankreich) nie eine echte Chance hatten, schlossen sich die
Linksparteien, unterstützt von christlich sozialen Volksbund (Hauptfigur: der Journalist Johannes
Hoffmann), zu spät zur Status-quo Position zusammen. SPD und KPD konnten sich bei ihren Anhängern
mit der Ablehnung der Rückkehr in ein faschistisches Deutschland nicht mehr durchsetzen. Zudem war die
Aktionseinheit bei derart heterogenen Partnern nach den gegenseitigen Diffamierungen nur schwer
vorstellbar. Selbst Erfahrungsberichte über den NS-Terror und auch die gegen Ende des Jahres 1934
zunehmenden Warnungen vor der drohenden Kriegsgefahr durch Hitler fanden bei der Bevölkerung kaum
noch Resonanz. Ebenso verbreiteten die Plakate der „Einheitsfront“ eher Belagerungsmentalität statt
Siegeszuversicht.
Da der überwiegende Teil der Saarländer katholisch war (72%) muss die katholische Kirche als
wesentlicher Faktor im Abstimmungskampf angesehen werden. Obwohl die Bischöfe von Trier und Speyer
gelegentlich gegen nationalsozialistische Exzesse protestierten, machten sie keinen Hehl aus ihrer
Parteinahme für den Anschluss und ihrer Kooperation mit der neuen Reichsregierung. Autoritäres Verhalten
der Bischöfe und anderer kirchlicher Amtsträger und die religiös begründete Gehorsamspflicht der
katholischen Bevölkerung haben die Abstimmung beeinflusst.
Bei der Volksabstimmung im Saargebiet entschieden sich am 13. Januar 1935 90,5% der gültigen Stimmen
für den Anschluss an Hitlerdeutschland. Das eindeutige Votum der Saarbevölkerung beendete die
Sonderentwicklung für die Saar und bedeutete gleichzeitig einen großen Erfolg für die nationalsozialistische
Revisionspolitik.
Viele Hitlergegner und Befürworter des „Status quo“ mussten nach Frankreich fliehen oder gingen ins Exil.
Am 1. März 1935 wurde die Saar ins Deutsche Reich eingegliedert. Der pfälzische Gauleiter Joseph
Bürkel, der schon 1934 zum Saarbevollmächtigten der Reichsregierung ernannt worden war, organisierte die
Eingliederung der Saar in das nationalsozialistische Herrschaftssystem. Die innenpolitische Situation an der
Saar (integriert in den NSDAP-Gau Saarpfalz) unterschied sich nach der Rückgliederung kaum von der im
Reich.
(aus: Die Saarregion Zeugnisse ihrer Geschichte, Hrsg. J. Hannig, Diesterweg, Frankfurt M. 1995 S. 140 ff.)
2. Die Reichspogromnacht 1938
Überall in Deutschland und auch an der Saar kam es in der Nacht vom 9./10. November 1938 zu Übergriffen
auf Juden, auf ihre Synagogen, ihre Friedhöfe. In Saarbrücken bereitete die SS-Einheit Standarte 85 in
Zivilkleidung den Überfall vor. Sie rissen jüdische Männer – 130 – 150 an der Zahl – aus ihren Betten,
bedrohten die Angehörigen mit dem Tode, zerstörten ihre Wohnungen, um sie dann in Schlafanzügen
verhöhnt quer durch die Stadt zu treiben. Nachdem die jüdischen Männer ihr eigenes Grab geschaufelt
hatten, wurden sie über den Schlossplatz, den Sitz der Gestapo, zur Lerchesflur (Gefängnis) verbracht und
von dort schließlich nach Dachau abtransportiert. Gleichzeitig waren 30 SS-Leute damit beschäftigt, die
Synagoge zu zerstören und in Brand zu setzen. Das jüdische Gebetshaus wurde völlig vernichtet, weil die
herbeigerufene Feuerwehr lediglich das Übergreifen des Feuers auf Nachbarhäuser verhinderte. Das
Schicksal der Juden in anderen saarländischen Gemeinden entwickelte sich ähnlich. Die Synagogen wurden
z.T. zerstört, z.T. verkauft, z. T. umgewidmet. Der Betriebe und Läden von Juden „arisiert“. Im Oktober
1940 wurden alle noch im Saarland verbliebenen Juden nach Gurs in den Pyrenäen deportiert. Von dort
wurden sie gegen Kriegsende nach Auschwitz transportiert und umgebracht.
3. Widerstand und Verfolgung
3.1. Gestapo-Lager „Neue Bremm“ in Saarbrücken
Das KZ „Neue Bremm in Saarbrücken wurde wahrscheinlich 1943 als Sammellager für Häftlinge vor allem
aus Frankreich errichtet, die in große Konzentrationslager (häufig Mauthausen) verschickt werden sollten.
Gleichzeitig wurde die „Neue Bremm“ als Disziplinierungslager für Deutsche, Kriegsgefangene und
ausländische Zwangsarbeiter benutzt.
(nach: Die Saarregion Zeugnisse ihrer Geschichte, Hrsg. J. Hannig, Diesterweg, Frankfurt M. 1995 S. 142 f)
3.2. Der Student Willi Graf (Saarbrücken) als „Mitglied der Weißen Rose“
Willi Graf wurde geboren am 2. Januar 1918 in Kuchenheim/Rheinland, zum Tode verurteilt am 19. April
1943, ermordet am 12. Oktober 1943 in Stadelheim.
Im Dezember 1942 entschließt sich der Medizinstudent Willi Graf zum aktiven Widerstand gegen die
Hitler-Diktatur. Kurz zuvor ist er aus der Sowjetunion zurückgekehrt, wo er wie seine Freunde Hans Scholl
und Alexander Schmorell seine "Front-Famulatur" absolvierte. Graf weiß, dass die beiden im Sommer vier
regimekritische Flugblätter verbreitet haben. Nun will er sie dabei unterstützen. Seit seiner Jugend ist er
Gegner des Nationalsozialismus. Seine christliche Überzeugung lässt sich nicht mit der NS-Ideologie
vereinbaren.
Willi Graf wächst mit zwei Schwestern in einem streng katholischen Elternhaus in Saarbrücken auf. Ab
1929 gehört er der katholischen Jungengruppe "Neudeutschland" an, die in der Tradition der WandervogelBewegung steht. Als 16-jähriger tritt Graf dem Jungenbund "Grauer Orden" bei. Er nimmt an Fahrten und
Zeltlagern teil, diskutiert literarische und theologische Themen. Die Nationalsozialisten verbieten solche
Jugendgruppen. Seit 1936 ist die Hitlerjugend obligatorisch, doch Willi Graf weigert sich erfolgreich
einzutreten.
Nach Abitur und Arbeitsdienst beginnt Willi Graf Ende 1937 in Bonn sein Medizinstudium. Wegen seiner
Mitgliedschaft im "Grauen Orden" wird er 1938 inhaftiert und angeklagt. Das Verfahren wird im Zuge einer
Generalamnestie nach dem "Anschluss" Österreichs eingestellt.
1940 muss Graf zur Wehrmacht, wird zum Sanitäter ausgebildet und an der West- und Ostfront eingesetzt.
Dort wird er Zeuge der nationalsozialistischen Verbrechen. Im April 1942 wird Willi Graf in eine Münchner
Studentenkompanie versetzt, wo er sein Studium fortsetzt und Hans Scholl und Alexander Schmorell kennen
lernt. Willi Graf lebt in München mit seiner Schwester Anneliese zusammen, die er aber nicht in seinen
Entschluss zum aktiven Widerstand einweiht. Im Winter 1942/43 unternimmt Graf mehrere Reisen, bei
denen er ehemalige Kameraden aus der bündischen Jugend trifft. Er hofft, in ihnen Mitstreiter zu finden. Nur
vier von ihnen sagen Unterstützung zu. Graf beschafft Geld und zieht mit Hans und Alexander nachts los,
um in München Parolen wie "Nieder mit Hitler!" an Häuserwände zu schreiben. Im Februar 1943 ist er bei
einem Treffen mit Falk Harnack dabei, dessen Bruder Arvid als Kopf der Berliner Widerstandsgruppe "Rote
Kapelle" im Dezember 1942 hingerichtet wurde.
Willi Graf wird zusammen mit seiner Schwester am 18. Februar 1943 verhaftet. Am 19. April 1943 wird er
gemeinsam mit Alexander Schmorell und Professor Kurt Huber, der das sechste Flugblatt der „Weißen
Rose“ formuliert hat, vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. In den folgenden sechs Monaten wird er
immer wieder von der Gestapo verhört. Er soll Namen anderer Oppositioneller verraten, aber er schweigt.
Am 12. Oktober 1943 wird Willi Graf durch das Fallbeil hingerichtet. In einem geschmuggelten
Abschiedsbrief an seine Schwester Anneliese richtet er seinen Freunden aus: "Sie sollen weitertragen, was
wir begonnen haben." Willi Graf wird 25 Jahre alt.
(nach J.Hannig, Erinnern für die Zukunft, Saarbrücken 1989)
4. Das Saarland im zweiten Weltkrieg
Die Bedrohung durch den Krieg wurde in der Saarregion besonders intensiv erfahren. War man doch mit
dem Westwallbau und der Expansion der Rüstungsindustrie unmittelbar in die Kriegsvorbereitungen
verstrickt.
4.1. „Evakuierung“ und „rote Zone“
Der Kriegsbeginn bedeutete für einen großen Teil der Bevölkerung in der Saarregion zunächst die
Evakuierung. Die offizielle Sprachregelung hatte hierfür den euphemistischen Begriff der „Freimachung“
geprägt. Evakuiert wurde die Bevölkerung innerhalb eines Gebietsstreifens von ca. acht bis 10 Kilometern
Breite zwischen der deutsch-französischen Staatsgrenze und der Hauptkampflinie des Westwalls. Dieser
Streifen wurde „rote Zone“ genannt. Die Evakuierung erfolgte in mehreren Phasen vom 30. August 1939 bis
zum Anfang Oktober. Sie bedeutete für viele, trotz aller Hektik und empfindlicher Organisationsmängel,
aber doch das Erleben und die reale Erfahrung der propagierten „Volksgemeinschaft“. Lagen doch die
Evakuierungsgebiete weit im Reich und für viele Evakuierte resultierten aus diesen Monaten dauerhafte
Beziehungen zu ihren Gastfamilien.
4.2. Bombenangriffe und Zerstörungen
Seit dem ersten Großangriff der britischen Luftwaffe auf Saarbrücken in der Nacht vom 29. auf den 30. Juli
1942empfand die Bevölkerung die Bombenangriffe als ernste Bedrohung. Der Luftangriff forderte in dieser
Nacht 185 Todesopfer, insgesamt starben während des 2. Weltkrieges allein in Saarbrücken 1200 Menschen.
Seit Frühjahr 1944 häuften sich Luftangriffe und Luftalarme derart, dass sich die Bevölkerung in Stollen und
Kellern wohnlich einrichten musste. Die ersten Angriffe lösten eine Welle von Hilfsbereitschaft aus, die
dauernde Lebensgefahr begann jedoch die Menschen zu zermürben. Durchhalteparolen der NS-Propaganda
sollten die Moral der „Heimatfront“ stärken. An der Saar wurden über 60% der Wohnungen und 40% der
Industrieanlagen und Geschäftsbauten durch Kriegseinwirkungen zerstört.
4.3. Fremdarbeiter
Während des Zweiten Weltkrieges wurden im Deutschen Reich in der Kriegswirtschaft insgesamt über 7
Millionen „Fremdarbeiter“ eingesetzt. Die Schätzungen für das Gebiet des heutigen Saarlandes schwanken
zwischen 60 000 und 70 000 ausländischen Arbeitskräften. Überwiegende handelt es sich um
Kriegsgefangene und Verschleppte oder mit falschen Versprechungen angelockte Zivilpersonen. Die
„Fremdarbeiter“, die häufig in Barackenlagern und dürftigen Massenunterkünften untergebrachten waren in
der Industrie, in Landwirtschaft, Handel und Gewerbeaber auch in Privathaushalten eingesetzt.
Kriegsende
4.4. Kriegsende an der Saar
Mit der Invasion der Normandie durch amerikanische und englische Truppen am 6. Juni 1944 begann die
letzte Phase des Zweiten Weltkrieges. Seit Ende September 1944 war an der Saar der Geschützdonner der
Front zu hören. Die „Rote Zone“ wurde ein zweites Mal evakuiert. Ein Teil der Bevölkerung befolgte den
Räumungsbefehl nicht und versteckte sich in Stollen, Kellern und Häuserruinen, um sich von den
Amerikanern überrollen zu lassen. Dieses Verhalten wurde von Parteidienststellen, Polizei und SS als
Landesverrat eingestuft. Trotz der hektischen Verteidigungsanstrengungen, der großmäuligen
„Mobilisierung eines Volkssturmes“ und gewaltsam durchgesetzter und sinnloser Schanzarbeiten konnte der
militärischen Überlegenheit der amerikanischen Truppen nichts entgegengesetzt werden. Bis zum 31. März
1945 besetzten amerikanische Truppen das gesamte Gebiet des heutigen Saarlandes. Die Amerikaner wurden
zwar nicht als „Befreier“ begrüßt, allgemein war aber die Erleichterung über das Ende der
Kampfhandlungen. Nach den Vereinbarungen der Siegermächte wurde die amerikanische Besatzung im
Frühsommer 1945 wurde von französischen Truppen abgelöst. Ab dem 27. Juli 1945 übernahm die
französische Militärregierung die Verwaltung des Saarlandes.
(nach: Die Saarregion Zeugnisse ihrer Geschichte, Hrsg. J. Hannig, Diesterweg, Frankfurt M. 1995 S. 142 f)
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