1 Evolutionsbiologie: Geschichte und Fundament Charles Darwin (Eckstein, Berlin) 26 Kapitel 1 Evolutionsbiologie: Geschichte und Fundament Abb. 1-12 a–f. Symbiosen im Korallenriff. a, b Putzerfische (Labroides) säubern die Oberfläche von Fischen. c Putzerfisch und Garnele beim Säubern. d Garnelen säubern eine Muräne. e, f Symbiose von Fisch (Gobiidae) und Krebs (Alpheidae), die in einer Höhle leben. Photos W. Werzmirzowsky „The Descent of Man“. Darwin starb am 19. April 1882 und wurde trotz großer Ferne zu Kirche und Christentum in der Westminster Abbey beigesetzt, die größte Ehre, die England ihm zuteil werden lassen konnte. Die weitere biologische Forschung stand jetzt im Rahmen der Gedanken Darwins und unter dem Konzept der Evolution. 1.2 Wissenschaften, die zum Fundament der Evolutionsbiologie beigetragen haben Abb. 1-19 a–e. Antarktis. a Schelfeis (links) und Meereis (Vordergrund und rechts). b Glyptonotus (Assel), c Epimeria (Flohkrebs). d von Schwämmen dominiertes Benthos, e von Cnidariern und Echinodermen dominiertes Benthos. Photos b, c: M. Rauschert; d, e: J. Gutt 35 1.2 Wissenschaften, die zum Fundament der Evolutionsbiologie beigetragen haben Listera ovata Himantoglossum hircinum Gymnadenia conopsea Dactylorhiza maculata Platanthera bifolia Ophrys holosericea Ophrys insectifera Ophrys apifera Abb. 1-31. Diagrammatischer Typus (= Grunddiagramm; Mitte) und Einzelformen monandrischer Orchideen. Außen sind verschiedene Blüten europäischer Orchideen dargestellt 53 2 Entfaltung der Organismen in der Erdgeschichte Orthacanthus (Stapf, Nierstein) 80 Kapitel 2 Entfaltung der Organismen in der Erdgeschichte Abb. 2-1. Geologische Karte Deutschlands mit verschiedenen Leitfossilien unter Angabe der Perioden, aus denen man sie kennt 2.3 Mesozoikum (Erdmittelalter) Abb. 2-54 a–c. Dinosaurier im Museum, am Fundort, auf Briefmarken und im Freiluftpark. a Senckenberg Museum (Frankfurt/Main), b Fundstätte im Dinosaurier-Nationalmonument (USA), c Saurierpark Kleinwelka. Foto a Herkner 155 3 Mechanismen und molekulare Ursachen der Evolution 260 Kapitel 3 Mechanismen und molekulare Ursachen der Evolution letzten 5000 bis 10 000 Jahre) selektiert wurden, oder an die verschiedenen Kohlsorten, die aus der Wildform Brassica oleracea entstanden (Abb. 3-32). Fände man die verschiedenen Haustier- und Kulturpflanzenvarietäten in einer Museumssammlung ohne eine Kenntnis ihrer Vorgeschichte, so würde man vermutlich eine größere Anzahl von distinkten Arten beschreiben und nicht auf die Idee kommen, dass es sich nur um junge Varietäten weniger Arten handelt. Charles Darwin hatte eine große Sammlung von verschiedenen Taubenrassen angelegt. Als C. Lyell ihn im April 1856 besuchte, legte ihm C. Darwin Bälge von 15 Taubenrassen vor, die so unterschiedlich aussahen, dass „three good genera, and about 15 species according to the received mode of species and genera making of the best ornithologists“ [drei gute Gattungen und mindestens 15 Arten entsprechend dem Art- und Gattungskonzept der besten Ornithologen] plausibel gewesen wären. Ein solches Variieren von Bauplan- und Entwicklungsgenen (insbesondere von Hox-Genen und Genen des Wnt-Signalweges) hat sicherlich zu einer schnellen Evolution auf morphologischer Ebene beigetragen (man könnte sie auch „Makromutationen“ nennen) (EXKURS, S. 262). Wenn ein schneller Wechsel der Morphologie in erdgeschichtlich neuerer Zeit erfolgte, ist er auf der Ebene der Markergen-Sequenzen (Kap. 3.5) meist nicht zu sehen. Mit anderen Worten, bei jungen Ereignissen kann sich das sichtbare Tempo zwischen morphologischer und molekularer Evolution deutlich unterscheiden. In anderen Fällen beobachtet man eine Konstanz der Baupläne über viele Jahrmillionen hinweg, obwohl diese Arten weiterhin der molekularen Evolution unterlagen. Diese werden als „lebende Fossilien“ bezeichnet (Kap. 2.4.2.1). Umformung und Neukombination von Vorhandenem ist offenbar ein wichtiges Evolutionsprinzip, das von dem französischen Molekularbiologen F. Jacob als tinkering [spielen, basteln] bezeichnet wurde. Durch diese Prozesse verlief die Evolution natürlich schneller als durch Veränderung der Proteine über einfache Punktmutationen. Man kann sich so eher jene sprunghaften morphologischen Veränderungen vorstellen, die bei Fossilien oft beobachtet wurden. Abb. 3-32 a–i. Sprunghafte Veränderung einer Wildform durch Züchtung, am Beispiel von Kohl Brassica oleracea, den man auch heute als Wildform noch an der deutschen Nordseeküste finden kann, z. B. auf Helgoland. Schematische " Illustration der Merkmalsvariation in den kultvierten Kohlsorten: a Wildform; b Weißkohl, c Rotkohl, d Grünkohl, e Blumenkohl, f Brokkoli, g Markstammkohl, h Kohlrabi, i Rosenkohl Veränderung Varietät Gehemmte Knospenentfaltung Vergrößerung der Blätter; Anthocyanbildung Verdickung des Stiels und Vergrößerung des Blütenstandes Vergrößerung des Blütenstandes; Stauchung der Blütenstandachsen Verlängerung und Verdickung des Stiels Starke Verdickung des Stiels Vergrößerung der Blätter Vergrößerung und Vermehrung der Achselknospen mit Kopfbildung Kopfkohl, Weißkohl Rotkohl Broccoli Blumenkohl Markstammkohl Kohlrabi Grünkohl Rosenkohl 3.4 Veränderung des Genoms während der Evolution 261 4 Molekulare Evolutionsforschung 5 Evolution des Menschen und seiner nächsten Verwandten, der nicht-humanen Primaten 416 Kapitel 5 Evolution des Menschen und seiner nächsten Verwandten, der nicht-humanen Primaten 5.2 Primaten liegt. In den vergangenen Jahrzehnten wurden oft nur zwei Familien anerkannt (Cebidae und Callitrichidae), andere Klassifikationen schufen dagegen sechs oder sieben Familien für die ca. 130 südamerikanischen Primatenarten. Es wird noch lange umstritten bleiben, ob einer Gruppe der Rang einer Familie (z. B. Pitheciidae) oder Unterfamilie (Pitheciinae) zugebilligt wird, und bei den südamerikanischen Affen ist die Bewertung und Einordnung der Krallenäffchen besonders umstritten. Auch die Zahl der südamerikanischen Affenarten sowie die Bewertung der Gattungen Aotus, Callicebus, Alouatta und anderer sind kontrovers. Hier liegt noch erheblicher Forschungsbedarf vor. Im Folgenden werden die südamerikanischen Affen in 6 Gruppen eingeteilt, jeweils mit dem Rang einer eigenen Familie. Manche Familien stehen einander näher als andere, z. B. sind die Callitrichidae und die Cebidae so ähnlich, dass sie manchmal zu einer Familie vereint werden. • Cebidae (Kapuzineraffen (Cebus), Totenkopfaffen (Saimiri)) Abb. 5-4 e; • Callitrichidae (Springtamarins mit der Gattung Callimico, und Krallenäffchen mit den Gattungen Callithrix, Leontopithecus, Mico, Cebuella und Saguinus); • Aotidae (Nachtaffen (Aotus)); • Callicebidae (Springaffen (Callicebus)); • Pitheciidae (Uakaris (Cacajao), Satansaffen (Chiropotes,) Sakis (Pithecia)); • Atelidae (Wollaffen (Lagothrix), Spinnenaffen (Brachyteles), Klammeraffen (Ateles), Brüllaffen (Alouatta)). Cebus (Kapuzineraffen) zeigt viele Besonderheiten, die vermuten lassen, dass diese Gattung eine lange Eigenentwicklung hinter sich hat; z. B. ist das Muster der Hirnwindungen recht ursprünglich, andererseits sind Kapuzineraffen sehr intel- ligent und geschickt und gebrauchen nicht selten Werkzeuge. Cebus besitzt einen Greifschwanz, der aber anders strukturiert ist als der der Atelidae und wohl eine Eigenentwicklung darstellt. Adulte Totenkopfäffchen besitzen keinen Greifschwanz, junge Tiere zeigen noch eine Andeutung davon. Das bekannte Totenkopfäffchen (Saimiri, Abb. 5-4 e, Systematik sehr umstritten: 2 bis 7 Arten) lebt oft in Gruppen von 25 bis 50 Tieren, z. T. wurden Großgruppen von einigen Hundert Tieren beobachtet. Die Gruppen umfassen viele Männchen und viele Weibchen, die Tiere sind wahrscheinlich polygam. Die Männchen sind i. Allg. größer als die Weibchen und werden vor der Fortpflanzungszeit auffallend fett; sie betreuen die Jungtiere nicht. Auffallend ist, dass Saimiri kaum Aggressivität gegen andere Gruppenmitglieder zeigt („egalitäre“ Gesellschaft). Lediglich in der Fortpflanzungszeit gibt es bei diesen friedfertigen Tieren Auseinandersetzungen und Streit. Anatomische Spezialisierungen weisen z. B. die Brüllaffen mit ihrem einzigartigen großen Zungenbein- und Kehlkopfapparat auf, wobei sie andererseits recht primitiv strukturierte Molaren und Prämolaren besitzen, oder die Klammerund Spinnenaffen mit ihren langen Extremitäten und einer Hakenhand mit rückgebildetem Daumen. Die Atelidae besitzen einen echten Greifschwanz mit großem motorischen und sensorischen Repräsentationsfeld in der Großhirnrinde. Bei Pithecia, Cacajao und Chiropotes bilden die oberen und unteren schlanken Schneidezähne ein „Pinzettengebiss“, sie ernähren sich von Samen und oft harten Früchten. Aotidae und Callicebidae weisen viele ursprüngliche Merkmale auf, wobei Callicebus die primitivere Gattung ist, vor allem in Hinsicht auf die Zahnmorphologie. Aotus ist wohl sekundär z. T. nachtaktiv. Sowohl Aotus als auch Callicebus leben monogam. 3 Abb. 5-4 a–i. Eine Auswahl rezenter Primaten: a Microcebus (Madagaskar), b Lemur (Madagaskar), c Sifaka (Madagaskar), d Tarsius (Südostasien), e Saimiri (Südamerika), f Co lobus (Afrika), g Macaca (Hutaffe, Indien), h Orang-Utan (Borneo), i Gorilla (Afrika) 417