Das Leben geht weiter / Kontinuität und Wandel in den Provinzen

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UE Sek I/II
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Das Leben geht weiter
Kontinuität und Wandel in den Provinzen
Dieter Belde
Der Unterrichtsbeitrag setzt
sich nicht mit der "großen
Politik" sondern mit dem
Leben der "kleinen Leute"
auseinander, in einer Zeit,
als das Reich der Römer in
Westeuropa verschwand und
das Mittelalter begann.
Informationen liefert hierbei
eine Schrift, die zunächst
nicht als geschichtliche
Quelle gedacht war.
E
ugippius erwähnt hier in der Lebensbeschreibung des heiligen Severin
die Ereignisse des Jahres 476 n. Chr.,
als der Skire Odoaker den Kaiser des Weströmischen Reiches absetzte. Ein Ereignis,
welches bis in die Gegenwart hinein als eine
der wichtigen Epochengrenzen angesehen
wird. Doch die Menschen jener Zeiten
sahen diesen Regierungswechsel kaum als
einen entscheidenden politischen Einschnitt
an, da sich in der Provinz der Tagesablauf
wenig änderte. Ihre Probleme waren anderer
Natur. Der Bruch wird erst aus der historischen Distanz deutlich. Auch ist der "Untergang des Römischen Reiches" eigentlich
kein politisches oder juristisch punktuelles
Ereignis, sondern eher ein Prozeß, der sich
langsam im Bewußtsein vollzogen hat.
Eher als in politischen und wirtschaftlichen Umgestaltungen liegen die Ursachen
für historischen Wandel im Bewußtsein der
Menschen, wobei dieses mit politischen und
wirtschaftlichen Gegebenheiten in einem
stetigen gegenseiten Prozeß sich entwickelt.
Umso bemerkenswerter ist der Hinweis des
Eugippius. Denn einen gewissen Bruch in
der historischen Kontinuität gibt es um
diesen Zeitpunkt tatsächlich; die gelegentlich zu findende These, die mittelalterliche
Welt, besonders die der Städte, sei aus dem
Römerreich entstanden, stimmt so nicht
(vgl. H. Borger, Stadtarchäologie; in: Archäologie in Deutschland 1/89, S. 22 - 33).
Die Archäologie kann an vielen Beispielen
zeigen, daß man von Kontiniutät oft nur bei
den "Ruinen" sprechen kann, während es
bei der Besiedlung durchaus Brüche
gegeben hat. Anschaulich zeigt dies der
Bericht des Eugippius vom Leben des heiligen Severin.
Die Schrift vom Leben
des heiligen Severin
Über den Autor wissen wir nicht viel. Vermutlich hat er als Abt des Severin-Klosters
in Castrum Lucullanum bei Neapel im Jahre
511 n. Chr. den Bericht abgeschlossen. Über
Herkunft und weite Teile seines Lebens ist
nichts bekannt. In die Mönchsgemeinschaft
von Favianis/Mautern, in der Severin
gewirkt hatte, trat Eugippius wohl erst nach
Severins Tod ein. Das Wissen über Severin
hat er somit durch Erzählungen von älteren
Mitbrüdern erhalten. Zusammen mit dieser
Klostergemeinschaft siedelte er später nach
Italien über, wurde Abt eines neugegründeten Klosters und verfaßte dort weitere
Schriften. Er kann zu den bedeutendsten
Persönlichkeiten seiner Zeit gezählt
werden.
Die o.g. Schrift hat ein fest umrissenes
Ziel: Lebensbeschreibung eines Heiligen.
Dabei wollte Eugippius nicht in der Form
einer Biographie lückenlos den Lebensablauf darstellen, sondern die Heiligkeit von
Severin beweisen. Hierzu gehören, neben
etlichen Prophezeiungen und Voraussagen,
die für einen Heiligen üblichen Wunderheilungen und Totenerweckungen.. Über das
Vorleben von Severin gibt Eugippius keine
Auskunft. Mehr oder weniger chronologisch überliefert er die Ereignisse vom
ersten Auftreten Severins in Noricum (ca.
467) bis zu seinem Tod (482).
Obwohl Eugippius keineswegs im modernen Sinne Geschichte schreiben will,
übermittelt er doch zahllose Fakten, die das
Leben gerade der einfachen Bevölkerung in
diesen schwierigen Zeiten anschaulich
werden lassen. Denn der Text, "gegen den
Strich" gelesen, enthält viele Informationen
über die sozialen Verhältnisse, die wirtschaftliche und kulturelle Lage und die militärischen Ereignisse in den Wirren der Völkerwanderungszeit. Dabei ist zu bedenken,
daß diese Quelle Einzelcharakter besitzt;
kaum eine andere gibt uns in dieser Weise
Auskunft über jene Zeit. Die archäologische
Forschung der letzten Jahre konnte viele
Aussagen des Textes bestätigen, z.B. die
Ausgrabungen in Passau-Innstadt (Abb. 1)
und Lorch-Enns.
Wer war Severin?
Aus den Untersuchungen der letzten Jahre
läßt sich folgendes Bild über die Person Severins gewinnen: Seine Herkunft ist auf die
vornehmsten Kreise Italiens zurückzuführen, eine Verbindung mit dem Kaiserhaus
nicht ausgeschlossen. Vor seiner Tätigkeit in
Noricum bekleidete er vermutlich höhere
Staatsämter. Nach dem gewaltsamen Tod
des Kaisers Maiorianus im Jahre 461 floh
Severin in die ägyptische Wüste. Dort lernte
er asktetisch lebende Mönche kennen, deren
Beispiel ihn so beeindruckte, daß er ca. 467
"auf Grund göttlicher Offenbarung" (epistula Eugippii 10) zurückkehrte, um in
Noricum für die Bevölkerung zu sorgen. Bis
476 geschah dies in amtlicher Funktion,
danach auf eigene Verantwortung. Wie auch
in anderen Provinzen übernahmen nun
kirchliche Organe die weltlichen Aufgaben.
Severin war in dieser Zeit nicht nur der
Seelsorger der ihm anvertrauten Bevölkerung, sondern auch Nachfolger der nicht
mehr vorhandenen weltlichen Beamten. Er
verhandelte mit den Germanenführern,
sorgte für die Verwaltung und Verteidigung
der Provinz, organisierte die Versorgung mit
Lebensmitteln und Kleidung und kümmerte sich um den Rückkauf der von Germanen
gefangenen Römer. Als die Lage in der ehemaligen Provinz unhaltbar wurde, organisierte er die allmähliche Evakuierung von
West nach Ost.
Nach dem Tode Severins wurde auf
Befehl Odoakers 488 die Provinz von der
römischen Bevölkerung geräumt. Bei der
Umsiedlung nach Italien wurde der Leichnam Severins mitgeführt, kam zuerst nach
Castrum Lucullanum und wurde 1807 nach
Frattamaggiore bei Neapel überführt.
Das Leben in der Provinz
Die Provinzreform Diokletians (284 - 305)
hatte auch für Noricum Auswirkungen gehabt: Die Provinz wurde geteilt in Ufernoricum (Noricum ripense) im Norden an der
Donau und Binnennoricum (Noricum mediterraneum) im Süden am Alpenrand (s. M2).
Für Ufernoricum waren um die Mitte
des 5. Jhs. die ruhigen Zeiten vorbei. Bei
ihrem Zug nach Gallien zogen die Hunnen
zweimal durch diese Provinz und verwüsteten sie schwer. Der archäologische Befund
zeigt, daß über den planierten Trümmern
nur noch bescheidene, behelfsmäßige Notbauten errichtet wurden. Die neuen Bewohner dieser zum Teil wohl ganz verlassenen
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oder nur noch dünn von römischer Bevölkerung besiedelten Gebiete geben sich aufgrund der wenigen schriftlichen Quellen nur
indirekt zu erkennen. Erkennen kann man
die Veränderung in der Besiedlung; einerseits an der andersartigen Keramik - so ist
die germanische Keramik im Gegensatz zu
der auf der Töpferscheibe gedrehten römischen meist frei von Hand geformt, und andererseits durch einen Wandel in den Begräbnissitten - dabei verraten die dem Toten
mitgebenen Gegenstände recht genau die
Herkunft des Besitzers.
An manchen Orten läßt sich der Bruch
in der Besiedlung bei gleichzeitiger Kontinuität der Gebäude beobachten. So konnte
man bei der Untersuchung der Offiziersgebäude im Legionslager Castra Regina feststellen, daß die bis dahin sorgfältig instandgehaltenen Gebäude mit der Belegung
durch Germanen zwar weiter als Wohnräume benutzt wurden, aber in völlig anderer
Weise: So verfiel z.B. die Fußbodenheizung
und auf dem mit Lehm ausgebesserten
Estrich legte man offene Feuerstellen an.
Gerade aus der Beobachtung der archäologischen Fakten läßt sich die Erkenntnis gewinnen, daß in dieser Zeit drei ganz
unterschiedliche Volksgruppen im gleichen
geographischen Raum zusammentrafen: die
christliche Provinzbevölkerung, die sich als
römisch empfand (Romani), die vom Senat
einquartierten hunnisch-germanischen
Gruppen, die zum Teil römisches Kulturgut
übernommen hatten (Foederati), und die
Germanenscharen, die auf ihren Beutezügen die Provinz regelmäßig heimsuchten.
Die ansässige Bevölkerung lebte dabei
unter dem recht zweifelhaften Schutz der
nördlich der Donau wohnenden germanischen Rugier, denen sie hierfür tributpflichtig waren. Der Steuerdruck auf die ländliche
Bevölkerung war gewaltig gewachsen,
hinzu kamen Einquartierungen und Requisitionen. Durch den Abfluß von Gold und
Silber herrschte Geldmangel. Das Wirtschaftsleben erlahmte, man kehrte zum
Tauschhandel zurück.
Da der Transport unsicher wurde und
wichtige Provinzen als Lieferanten von notwendigen Produkten ganz ausfielen, kam es
vorwiegend in den Städten zu Versorgungsengpässen, zu Hungersnöten und zu Unruhen. Die Großgrundbesitzer hatten jedoch
ihre Landhäuser burgartig befestigt und
hielten sich zum Schutz bewaffnete
Knechte. Viele Bauern begaben sich in ihren
Schutz, sofern sie ihr Land nicht ganz aufgegeben hatten. Den vom Staat angesiedelten Barbarenscharen mußte ein Drittel vom
Besitz abgetreten werden. Die kleine
Gruppe der privilegierten Reichsbevölkerung (honestiores) war für das Steueraufkommen haftbar geworden, und diese Aufgabe wurde erblich. Noricum war nunmehr
eine arme Provinz. Als Alarich von Rom
Siedlungsland verlangte und Noricum als
Besitz forderte, tat er es mit dem Hinweis,
daß es "weitgehend verwüstet wäre und
doch nur geringen Steuerertrag brächte".
-.__- Abb. 1 : Vom archäologischen Befund zur Rekonstruktion - Beispiel Passau
Die römische Zeit Passaus ist recht verwickelt und nicht völlig geklärt. Die Lokalisierung des spätantiken Batavis
ganz an der Spitze der Landzunge scheint jetzt gesichert (Abb. 2). Schon im 2. Jh. hatte es auf der schmalen
Landzunge ein Kastell für die Neunte Bataverkohorte gegeben. Am linken Ufer existierte seit der Zeit Domitians
(81 - 96) ein kleines Kastell namens Boiodurum. Dieses scheint den Alamannenüberfall im 3. Jh. nicht überstanden zu haben. 1974 fand man beim Ausschachten für einen Kindergarten die Mauern des spätantiken Befestigungswerkes Boiotro, das bislang nur aus der Literatur bekannt war und dessen Existenz angezweifelt wurde.
Der fächerförmige Grundriß der Ecktürme war schon von einer Reihe anderer Militärbauten donauabwärts
bekannt, und die Besiedlung im 5. Jh. konnte nachgewiesen werden. 1976 konnte man durch Grabungen belegen,
daß auch der Bau der südwestlich von Boiotro gelegenen Kirche St. Severin bis in die Zeit Severins zurückreicht.
Damit war der Text des Eugippius bestätigt. Die Grabungen zeigten auch, daß es eine "Kontinuität der Trümmer"
gegeben hatte, die bis in die Gegenwart immer wieder verwendet worden waren. (Rechte Uferseite auf der
Anhöhe: Veste Oberhaus; Mitte Landzunge: Passauer Dom).
Foto: Adolph, Stadt Passau. Luftbild freigegeben unter Nr. GS 300/388/88
Erläuterung der
Materialien
Es folgen einige Kapitel aus der Vita Sancti
Severini, die das vorher Beschriebene deutlich werden lassen. Da viele, abgeschlossene Episoden für den Unterricht angeboten
werden sollten, wurde der Text frei übersetzt. Die Episoden sind nach übergeordneten Themen ausgewählt, die folgenden Erklärungen und Hinweise sollen das Verständnis erleichtern:
Zu M 1: Neben charakteristischen Legendenmotiven enthält der Text wichtige
Hinweise auf die Verhältnisse in der
Provinz. Man kann erkennen, daß Severin
über ein gut funktionierendes Informationssystem verfügt; die Mönche und seine Untergebenen dürften ihn mit Informationen
versehen haben. Daß die reiche Witwe aus
der grundbesitzenden Oberschicht Severin
das Getreide überläßt, ist ein Zeichen dafür,
daß sie sich seiner zu dieser Zeit noch staatlichen Autorität beugt. Man erkennt auch,
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Abb. 2: Lageplan von Passau in römischer Zeit
Quelle: Führer zu römischen Militäranlagen in Süddeutschland. Stuttgart 1983, S. 169
Abb. 3: Tabula Peutingeriana (Ausschnitt). Die Tabula besteht im Original aus einer
6 m langen Rolle zusammengeklebter Pergamentblätter und wurde wohl im 12./13. Jh.
gezeichnet. Der Kopist benutzte dabei Vorlagen aus dem 3. und 5. Jh. n. Chr.
Diese Karte ist eine der wichtigsten Quellen für den Verlauf römischer Straßen
Die Tabula Peutingeriana arbeitet mit einer starken Längsstreckung, was zu groben Verzerrungen in der Darstellung führt. Einige Orte sind durch Vignetten hervorgehoben. Die Vignette "Doppelturm" bedeutet, daß dem
Reisenden dort eine gut ausgestattete Herberge zur Verfügung steht, Eine Vignette, die ein Haus mit Eingang und
Fenstern zeigt, bezeichnet eine Unterkunft im Bereich eines Heiligtums. Ein Haken in der Straßenführung mit
Ortsnamen und Meilenzahl (Meile = 1480 m) zeigt eine Straßenstation an. Für Noricum ripense werden hervorgehoben die Städte Iuvavum (Mitte oben) und Ovilia. Angabe der Ortsnamen auf der Karte meist im Ablativ.
Foto: Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz
daß Noricum auf den Import von Lebensmitteln angewiesen war und daß der Transport auf der Donau noch durchgeführt
werden konnte.
Zu M 2: Die Karte (ergänzend auch
Abb. 3) sollte bei der Erarbeitung der Materialien herangezogen werden: die landschaftlichen, politischen Bedingungen, die
Voraussetzungen von Verwaltung und Verkehrswesen und die Reiseziele Severins
können mit ihrer Hilfe verfolgt werden.
Zu M 3: Die Auswirkungen der Ereignisse des Jahres 476 werden dargestellt. Seit
diesem Zeitpunkt bleiben die Soldzahlungen der Regierung aus, die Garnisonen an
der Donaugrenze lösen sich auf, die Städte
sind bedroht und das Binnenland ist nicht
mehr sicher.
Zu M 4 und M 5: Die Materialien geben
Hinweise auf die Probleme des Warentransports und auf die Versorgung überfüllter
Städte. Anstelle der Steuern, die auch aus
Geldmangel nicht mehr erhoben werden
konnten, hatte Severin die Abgabe eines
Zehnts organisiert, der aus Agrarprodukten
und Kleidern bestand. Die Flüchtlinge
mußten neben der Verteilung von Lebensmitteln auch mit warmer Winterkleidung
ausgestattet werden.
Zu M 6: Es wird deutlich, daß Severin
hier auch militärischen Widerstand organisiert und einem römischen Beamten Befehle
erteilen kann, also in amtlichem Auftrag
handelt.
Zu M 7: Man erfährt hier von den umfangreichen Evakuierungsmaßnahmen von
West nach Ost. Wie auch an anderen Orten
übernehmen Geistliche in dieser Zeit bei
fehlenden Beamten die Verwaltungsaufgaben, hier sogar militärische Aufgaben. Aufgrund seiner Erfahrung erkennt Severin
aber, daß man nur kurze Zeit erfolgreich Widerstand leisten kann. Weitsichtig rät er
daher zur Umsiedlung. Es ist klar, daß
gerade für die bäuerliche Bevölkerung dies
die Aufgabe jeder Existenzgrundlage bedeutet und ein schwerer Schritt ist. Daher
folgen nicht alle diesem Rat.
Zu M 8 - 10: Batavis (heute Passau-Altstadt) liegt schon in der Provinz Raetia, dort
war noch in Severins Zeit ein Militärstützpunkt. Am anderen Innufer (heute PassauInnstadt) in der Provinz Noricum lag das
Römerkastell Boiotro. Außerhalb des Kastells war eine Kirche, neben der Severin das
kleine Kloster errichtete. Diese Anlage
wurde 1974 ausgegraben und muß die von
Eugippius gemeinte sein. Wegen der Nähe
der Orte liegt dann eine Verwechslung vor.
Nach dem Ende der Verwaltung durch die
Römer übernehmen in vielen Fällen diese
kirchlichen Stützpunkte die Organisation
der Verwaltung. Die Verhandlungen zwischen Severin und dem Alemannenkönig
enden mit einem beachtlichen Verhandlungserfolg für Severin, da die Gefangenen
ohne Gegenleistung freigegeben werden.
Daß wilde Barbaren durch die Furchtlosigkeit von Heiligen bezwungen werden, ist ein
typisches Motiv von Heiligen-Legenden.
Zu M 11 : Die Absicht der Rugier wird
klar formuliert: sie wollen in einer Überraschungsaktion die flüchtige Bevölkerung in
Städte umsiedeln, die ihnen tributpflichtig
sind. Severin kann das nicht abwenden, erreicht aber durch Verhandeln, daß die Umsiedlung friedlich durchgeführt wird. Somit
ist in dieser Episode der Erfolg Severins eher
gering, und er deutet an, daß die Lage für die
römische Bevölkerung an der Donau insgesamt immer unhaltbarer wird.
Literatur
Eugippius, Vita Sancti Severini/Das Leben des heiligen
Severin; übers. u. hrsg. von Th. Nüßlein, Stuttgart 1986
(Reclam).
Eugippius, Vita Sancti Severini; mit Einführung, Übersetzungshilfen, Erläuterungen und einem Anhang hrsg.
von Th. Nüßlein, Bamberg 1985 (BVA).
Severin zwischen Römerzeit und Völkerwanderung.
Katalog zur Ausstellung des Landes Oberösterreich,
Linz 1982. (Dieser Katalog enthält weitere Literaturhinweise).
Leben in der Provinz
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M 1 Kap. 3
M2
Raetien und Ufernoricum zur Zeit Severins
Eine schlimme Hungersnot war über die
Stadt Favianis hereingebrochen. Deren Einwohner glaubten, es gebe nur ein Hilfsmittel, wenn sie aus der Stadt Comagenis den
Mann Gottes durch fromme Bitten einlüden.
Jener wußte schon im voraus, daß sie
kommen würden und wurde vom Herrn
ermahnt, daß er mitgehen solle. Als er dort
angekommen war, riet er den Bürgern mit
folgenden Worten: "Durch Buße werdet ihr
von der großen Hungersnot befreit werden
können." Als die Bürger den Anordnungen
folgten, erkannte der selige Severein durch
göttliche Eingebung, daß eine Witwe mit
Namen Procula einen großen Getreidevorrat versteckt halte. Er ließ sie vorführen und
beschuldigte sie heftig. ... Durch diese
Worte wurde die Frau heftig erschreckt und
fing an, die Vorräte an die Armen zu verteilen. Kurze Zeit später erschienen einige mit
Waren beladene Schiffe aus Rätien unerwartet am Ufer der Donau, die viele Tage
durch das dicke Eis des Inns festgehalten
worden waren. Als dies auf Befehl Gottes
plötzlich geschmolzen war, brachten sie den
Hunger leidenden Menschen jetzt Lebensmittel ...
Quelle: Vita Sancti Severini; übersetzt von D. Belde
Quelle: nach Fischer, Th.: Römer und Bajuwaren an der Donau. Regensburg 1988, S. 42
M 3 Kap. 20
M5
Zu der Zeit, als das Römerreich noch
bestand, wurden die Soldaten vieler Städte
als Bewacher der Grenze von öffentlichen
Geldern unterhalten. Als diese Gewohnheit
aufhörte, schwanden zugleich mit den
Grenzbefestigungen auch die Soldaten. Nur
in Batavis hielt noch eine kleine Abteilung
aus. Einige davon waren nach Italien
gezogen, um den letzten Sold zu holen.
Diese waren auf der Reise unbemerkt von
Barbaren umgebracht worden.
Zur selben Zeit wollte Maximus aus Binnennoricum, entflammt von der Hitze des
Glaubens, mitten im Winter, wenn die Wege
jenes Gebietes von starrendem Eis versperrt
werden, zum seligen Severin kommen in
kühnem Wagemut oder, wie später deutlich
wurde, in unerschütterlichem Glauben. Angeworben hatte er viele Begleiter, die auf
ihrem Rücken Kleidung für Gefangene und
Arme tragen sollten, die die fromme Sammlung der Einwohner von Noricum zusammengebracht hatte. Als sie zu den höchsten
Alpengipfeln kamen, fiel die ganze Nacht
über so viel Schnee, daß sie sich unter dem
Schutz eines großen Baumes verbargen und
wie in einer großen Grube eingeschlossen
waren.
Quelle: Vita Sancti Severini; übersetzt von D. Belde
Kap. 29
M 7 Kap. 27
Zur selben Zeit verließen die Einwohner der
Stadt Quintanis, durch die häufigen Überfälle der Alemannen erschöpft, ihre Wohnsitze und zogen zur Stadt Batavis. Aber ihre
Zufluchtstätte blieb den Barbaren nicht verborgen. Im Glauben, daß sie die Bewohner
zweier Städte in einem Angriff ausplündern
könnten, wurden sie noch mehr angetrieben.
(Severin organisiert den militärischen Widerstand, der auch erfolgreich ist; danach rät
er den Bewohnern, nach Lauriacum überzusiedeln, die meisten folgen dem Rat; die
andern werden wenige Tage später bei
einem erneuten Überfall entweder getötet
oder verschleppt.)
Quelle: Vita Sancti Severini; übersetzt von D. Belde
Quelle: Vita Sancti Severini; übersetzt von D. Belde
M 4 Kap. 28
M 6 Kap. 4
M 8 Kap. 19
Nach dem Untergang der Städte am oberen
Teil der Donau wurden alle Leute in die
Stadt Lauriacum evakuiert, die auf die Warnungen des heiligen Severin gehört hatten.
Er warnte sie ständig, nicht ihrer Tapferkeit
zu vertrauen, sondern sich zu schützen
durch Gebete, Fasten und Geben von milden
Gaben. Außerdem befahl der Mann Gottes
allen Armen an einem bestimmten Termin
zusammenzukommen, um ihnen nach
Bedarf Öl zu verteilen. Dies konnte hierher
nur mit größten Problemen von Händlern
geliefert werden. (Lauriacum, heute LorchEnns, war Sitz des Statthalters und auch Bischofssitz).
Zur selben Zeit raubten bei einem unerwarteten Raubzug barbarische Räuber, was
auch immer sie außerhalb der Mauern an
Mensch und Vieh gefunden hatten. Darauf
rannten einige der Bürger zum Mann Gottes
und berichteten ihm unter Tränen von dem
erlittenen Unglück, zugleich zeigten sie
Beweise für den jüngsten Raubzug. Severin
erkundigte sich bei Mamertinus, damals
Tribun (Stadtkommandant), der später
Bischof wurde, ob er einige Bewaffnete zur
Verfügung hätte, mit denen er sofort den
Räubern folgen könne.
Batavis heißt eine Stadt zwischen zwei
Flüssen, nämlich Inn und Donau, wo der
heilige Severin ein kleines Kloster für
wenige Mönche auf gewohnte Weise gegründet hatte, weil er selbst wegen der
Bitten der Bürger häufig dorthin kam, besonders wegen der beständigen Einfälle der
Alemannen, deren König Gibuld ihn sehr
schätzte.
Quelle: vita Sancti Severini; übersetzt von D. Belde
Quelle: Vita Sancti Severini; übersetzt von D. Belde
Quelle: Vita Sancti Severini; übersetzt von D. Belde
Leben in der Provinz
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M9
Modellzeichnung von Boiotro (Boidurum). Links die Kirche, rechts das Kastell
Quelle: Eugippius, Vita Sancti Severini; hrsg. v. Th. Nüßlein, Bamherg1985, S. 169
M 10
M 11 Kap. 31
Übersichtsplan von Passau ( Batavis) in römischer Zeit. Weite Schraffur: mittelkaiserzeitliche Besiedlung; enge Schraffur: spätkaiserzeitliche Besiedlung
Feletheus, der König der Rugier, hörte, daß
die restliche Bevölkerung aus allen Städten,
die den Schwertern der Barbaren entkommen waren, sich auf Veranlassung des
Dieners Gottes nach Lauriacum begeben
hätten, und er kam mit seinem gesamten
Heer und dachte daran, diese Menschen
plötzlich zu ergreifen, wegzuschleppen und
in den ihm benachbarten und tributpflichtigen Städten, von denen eine Favianis war,
anzusiedeln; diese Städte waren von den
Rugiern nur durch die Donau getrennt. Deswegen waren alle sehr aufgeregt und
wandten sich flehentlich an den heiligen
Severin, daß er dem König entgegenginge
und ihn mild stimmte. (Severin zieht sofort
los und trifft noch weit vor der Stadt auf den
König. Dieser ist ganz überrascht, und es
kommt zu einem längeren Gespräch zwischen den beiden. Am Ende zieht der König,
milde gestimmt, ab und nimmt die geflüchtete Bevölkerung mit, um sie in den von ihm
abhängigen Städten anzusiedeln. Severin
aber prophezeit jetzt schon, daß alle bald in
eine Provinz des römischen Landes (Italien)
auswandern müßten.)
Quelle: Führer zu römischen Militäranlagen in Süddeutschland. Landesdenkmalamt Baden-Württemherg,
Stuttgart 1983, S. 117
Quelle: Vita Sancti Severini; übersetzt von D. Belde
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