A Chancen- und Mängel-Profil für Altenhagen 1. Einleitung 1 2

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Inhaltsverzeichnis
A
Chancen- und Mängel-Profil für Altenhagen
1.
2.
3.
3.3
3.4
3.5
4.
Einleitung
Mängel und Chancen der sozialräumlichen Infrastruktur in Altenhagen
Mängel und Chancen der Integration der ethnischen Gruppen,
insbesondere Türken
Historische Entwicklung der Zuzüge von ethnischen Gruppen in
Altenhagen
Räumliche Verteilung und soziale Strukturen der ethnischen Gruppen in
Altenhagen
Probleme der Integration ethnischer Gruppen in den lokalen Arbeitsmarkt
Probleme der Integration von Frauen ausländischer Herkunft
Probleme der Integration von Jugendlichen ausländischer Herkunft
Schlußfolgerungen
B
Beteiligungsmodelle für Altenhagen
1.
2.
3.
Einleitung
Anforderungen an Partizipationsmodelle
Mögliche Beteiligungsmodelle
31
33
36
Literatur
45
3.1
3.2
1
5
7
7
10
15
21
23
27
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A Chancen- und Mängel-Profil für Altenhagen
1. Einleitung
Im Rahmen des Programms „City at Work“ werden sozial benachteiligte Stadtteile auf
vorhandene Entwicklungspotentiale hin untersucht. Dabei ist ein Kriterium für die
Bestimmung der sozialen Benachteiligung eines Stadtteils ein überdurchschnittlich hoher
Anteil von Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen. In diesem Zusammenhang wird von der
These ausgegangen, daß die sozioökonomische Situation der Stadtteilbewohner in enger
Beziehung zu räumlichen Bedingungen des Stadtteils steht. Bei der Untersuchung der
Faktoren, die die Entfaltung von Lebenschancen der Stadtteilbevölkerung verringern, sind
daher neben sozialstrukturellen stets auch räumliche und infrastrukturelle Aspekte des
jeweiligen Stadtteils zu berücksichtigen.
Der erste Teil der vorliegenden Studie zeigt für den Hagener Stadtteil Altenhagen Chancenund Mängellagen im Bereich der sozialen und räumlichen (Infra)Struktur sowie der lokalen
Arbeitsmarktentwicklung in ihren qualitativen und quantitativen Ausprägungen.
Dabei sollen unter Mängel jene räumliche und soziale Bedingungen, die eine Verbesserung
der Lebenssituation der Stadtteilbevölkerung beeinträchtigen oder verhindern, verstanden
werden. Eine Verbesserung der Lebenssituation soll dann vorliegen, wenn es durch eine
erweiterte Teilhabe an sozialen oder räumlichen Gelegenheiten zu einer Verbesserung von
Bildung und Einkommen oder zu einer subjektiv empfundenen Steigerung der eigenen
Lebensqualität kommt. In diesem Sinne bedeutet beispielsweise die Integration arbeitsloser
Bevölkerungsgruppen in Altenhagen in den Arbeitsmarkt für die Betroffenen eine
Verbesserung der individuellen Lebenssituation, die mit einer sozialstrukturellen Aufwertung
des Quartiers einhergeht.
Indikatoren für soziale und räumliche Mängel werden mit den anderen Gebieten der Stadt
verglichen (Indikatoren für Wohnversorgung, Übergangsquoten bei Schulen,
Umweltbelastungen etc.).
In der folgenden Studie beschreiben Indikatoren Mängelsituationen im Quartier
demgegenüber qualitativ, wenn sie soziale Muster angeben, die die Handlungen der Akteure
im Stadtteil in einer Weise strukturieren, die eine Verbesserung der Lebenssituation,
insbesondere die Integration in einen bestehenden, nach bestimmten vorgegebenen Strukturen
geordneten Arbeitsmarkt, erschweren.
Als Chancen sollen dem gegenüber alle Optionen auf bessere Lebens- und
Arbeitsperspektiven bezeichnet werden, die der Stadtteil seinen Bewohnern aufgrund der
personellen und materiellen Ressourcen bietet und zur Integration der Quartiersbevölkerung
beitragen.
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Die Chancen/Mängellage des Stadtteils Altenhagen kann derzeit vor allem durch folgende
Tatbestände gekennzeichnet werden:
•
überdurchschnittlich hoher Anteil an Sozialhilfeempfängern (darunter ca. doppelt so hoher
Anteil an nicht-deutschen Sozialhilfeempfängern);
•
überdurchschnittlich hoher Anteil ausländischer Bevölkerung;
•
überdurchschnittlich hoher Anteil an Alleinerziehenden;
•
hoher Anteil alter Bewohner deutscher Herkunft;
•
unterdurchschnittliches Einkommensniveau;
•
unterdurchschnittliches allgemeinbildendes und berufliches Qualifikationsniveau.
Eng mit der sozialstrukturellen Situation ist die räumliche Struktur des Stadtteils verbunden.
Der Stadtteil Altenhagen läßt sich in drei markante Bereiche aufteilen, die sich im
wesentlichen durch den Grad der Aneignung durch seine Bewohner, insbesondere durch jene
türkischer Herkunft, voneinander abgrenzen. Somit spiegelt sich die vorhandene
Sozialstruktur in den kleinräumlichen Strukturen wieder. Unabhängig von dieser Unterteilung
lassen sich räumliche Mängel für das gesamte Quartier Altenhagen verzeichnen, die in einer
ersten Annäherung anhand der Aufnahme der städtebaulichen Situation in Kapitel 2 erläutert
werden.
Die für den Stadtteil charakteristische Sozialstruktur ist nicht zuletzt Ergebnis und Ausdruck
eines quantitativen und qualitativen Wandels in der Bevölkerungszusammensetzung, der in
den 70er und 80er Jahre zunächst mit einem Einwohnerrückgang einsetzte. Vor allem mobile,
jüngere und besser gebildete Bevölkerungsgruppen verließen das Quartier. Nach und nach
zogen überwiegend Ausländer zu und trugen zu einer “Unterschichtung“ des Stadtteils bei.
Seit den 90er Jahren ist ein Anwachsen der Bevölkerung zu verzeichnen. Der Ausländeranteil
an der Gesamtbevölkerung von 9.500 Einwohnern beträgt 28,4 % (Stand: 31.12.1996), wobei
der größte Teil aus der Türkei stammt. Daneben leben vor allem Bewohner italienischer,
griechischer, russischer, polnischer Herkunft und jene, die aus Ländern des Balkans stammen,
in Altenhagen. In Kapitel 3.1 wird auf die Entwicklung der Zu- und Abwanderungen und
besonders auf die daraus entstehenden Mängellagen eingegangen.
Angesichts dieser heterogenen Bevölkerungszusammensetzung und ihrer residentiellen
Segregation im Stadtteil gilt es, besonders auch die spezifische Lebenssituation der ethnischen
Gruppen – und verstärkt die türkische Bevölkerung aufgrund ihrer zahlenmäßigen Dominanz
- im Blick zu behalten. In Anbetracht der vorhandenen sozialräumlichen Situation ist davon
auszugehen, daß sich Formen von „ethnischen Inseln“ im Stadtteil entwickelt haben, die als
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kleinräumige, quartierbezogene, nach außen hin sich stark abgrenzende Lebenswelten
beschrieben werden können.
Soweit dies anhand der vorhandenen Daten möglich ist, wird Kapitel 3.2 erläutern, in welcher
Weise sich diese quartierbezogenen Lebenswelten räumlich und in ihrer sozialen Struktur
gestalten und welche Problemlagen aus dieser Situation erwachsen.
Ein zentrales Ziel nachhaltiger Stadtteilentwicklung in Altenhagen ist, diese ethnischen
Gruppen verstärkt (wieder) in den (lokalen) Arbeitsmarkt einzubinden. Die Problematik der
Integration dieser Gruppe in Partizipationsstrukturen und den lokalen Arbeitsmarkt bildet
einen Schwerpunkt für die Ermittlung von Chancen- und Mängellagen. Eine weitere
Thematik ist die Analyse von Chancen- und Mängellagen der Lebenswelten von Frauen und
Jugendlichen ausländischer Herkunft. Welche Bedingungen hemmen oder begünstigen die
Integration in das Quartier und in die Stadt?
In diesem Sinne soll das vorliegende Chancen-Mängel-Profil also ermitteln, welche
materiellen und personellen Bedingungen des Quartiers die Zukunftschancen seiner
Bewohner befördern oder behindern können. Welche Möglichkeiten haben diese Menschen,
über strukturell relevante und relativ dauerhafte Ressourcen zu verfügen?
Dabei richtet sich der Blick insbesondere auf die sozialräumliche Lebenswelt der Migranten.
Worin liegen die besonderen Bedingungen für die verschiedenen Ethnien im gleichen
Stadtteil? Welche Lebenschance haben diese Bewohner derzeit und welche lassen sich ihnen
– auch unter den Gesichtspunkten einer nachhaltigen Entwicklung, also etwa auch der
Partizipationschancen – eröffnen?
Es ist davon auszugehen, daß nicht die residentielle Segregation oder die räumliche
Konzentration von sozialen Gruppen allein zentrale Bedeutung für das Handeln hat. Auch die
Veränderungen von Produktions- und Reproduktionsprozessen führen zu sozialen und
räumlichen Ungleichheiten.
Will man also Mängel und Lebenschancen genauer fassen, so muß eine Analyse die Bereiche
Arbeiten, Wohnen, Freizeit, Konsum, Bildung und Teilhabe am öffentlichen Leben
einbeziehen. Sie bilden die Strukturelemente des Stadtteils, die den Individuen und Gruppen
Chancen eröffnen oder verschließen. In diesem Sinne behandelt das Chancen-Mängel-Profil
folgende Dimensionen
•
Räumliche und soziale (Infra)Struktur (Wohnen, öffentliche und private Dienstleistungen,
Bildung, insbesondere Kindergärten und Schulen, sowie Jugendeinrichtungen);
•
ethnische Strukturen;
•
Strukturen des Arbeitsmarktes (erster und zweiter Arbeitsmarkt, Arbeitslosigkeit,
Beschäftigungsverhältnisse, qualitative und quantitative Merkmale);
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Methodisches Vorgehen
In der Studie fanden verschiedene methodische Verfahren Verwendung, deren Ergebnisse
aufeinander bezogen wurden.
Zum einem wurden von den Verfassern eine Reihe von Leitfadeninterviews durchgeführt,
zum anderen wurde eine Sekundäranalyse vorhandener Daten vorgenommen. Ergänzt wurden
diese Verfahren durch mehrere strukturierte Begehungen, die der Überprüfung der
gewonnenen Daten dienten.
Die Daten wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten ab 1996 erhoben. Die Befragungen der
GPDM Paderborn, des Amtes für Statistik und Stadtforschung sowie die
Expertenbefragungen stammen aus dem Zeitraum Ende 2000/ Anfang 2001.
Im einzelnen beruht die vorliegende Untersuchung auf folgender Datengrundlage:
•
Altenhagen. Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf (Stadtverwaltung Hagen);
•
Befragung von Arbeitslosen, Befragung zum bürgerschaftlichen Engagement (Stadt
Hagen, Amt für Statistik und Wahlforschung);
•
Unternehmensbefragung (GPDM Paderborn);
•
Expertengespräche (Vertreter der Stadtverwaltung, Kommunalpolitik, Kirche, Initiativen,
RAA).
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2. Mängel und Chancen der sozialräumlichen Infrastruktur in Altenhagen
Städtebauliche Situation
Das Plangebiet Altenhagen befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Innenstadt mit
einer räumlichen Orientierung zum Hauptbahnhof. An seiner südlichen und westlichen Seite
wird es von ausgeprägten Verkehrsbändern umfaßt. Dies sind zum einen große, ebenerdige
und aufgestelzte Autostraßen (Bundesstraßen) und zum anderen Schienen der Bahn AG. In
Verbindung mit Gebäuden bilden sie starke Sichtblenden zur benachbarten Bebauung. Die
optische Abgrenzung nach Norden bilden der Altenhagener Friedhof und Gewerbeflächen. Im
Osten steigt die Bebauung der Topografie folgend an. In diesem Bereich ist die optische
Abgrenzung des Plangebiets eher diffus. Je höher man in Richtung „Ischeland“ aufsteigt,
desto geringer wird die Geschossigkeit der Bebauung, die nun höherwertige Gebäude
aufweist.
Insgesamt umfaßt das Quartier Altenhagen 4,4 qkm. Es handelt sich um eine hochverdichtete
Wohn- und Mischnutzung mit zumeist viergeschossigen Wohnhäusern in überwiegend
geschlossener Bauweise. Ein Drittel wurde in der Gründerzeit erstellt, die Hälfte in den 50er
und 60er Jahren.
Das Gebiet zählt 3.686 Wohneinheiten, davon sind 11 % öffentlich gefördert – von diesen
407 Wohneinheiten entfällt die Bindungsfrist (Miethöhenbeschränkung) ab dem Jahr 2001 bei
46 und im Jahr 2006 bei 52 Wohneinheiten. Zudem ist bei 309 Wohneinheiten der Ablauf
dieser Frist unbestimmt. Der überwiegende Anteil der öffentlich geförderten Wohnungen
entfällt auf eine Hagener Wohnungsgesellschaft.
Insgesamt hat das Plangebiet einen ausreichenden Versorgungsstandard von öffentlichen und
privaten Einrichtungen. Das wird grundsätzlich durch die Nähe zur Innenstadt unterstützt,
wenngleich die beschriebene optische Dominanz der ausgeprägten Verkehrsführung eine
Barrierewirkung für die Inanspruchnahme der innerstädtischen Gelegenheiten hat. Dieser
Tatbestand könnte eine gewisse „Innenorientierung“ zur Folge haben. Bei der weiteren
Betrachtung wird zu berücksichtigen sein, wie das Quartier auch als Lebenswelt für die
Bewohner mit seinen spezifischen Ressourcen dem Rechnung trägt oder tragen kann.
In allen Teilen des Quartiers sind indes gravierende städtebauliche Mängel in den
Funktionsbereichen Wohnen und Arbeiten, baulicher Zustand der Gebäude, Struktur der
Grundstücke, Belichtung, Belüftung und Besonnung, Mischung von Wohnen und Gewerbe
sowie Grünflächenanteil (etwa 4 % des Plangebiets) festzustellen.
Der Freiflächenanteil innerhalb der Baublöcke und in den Straßen und Platzräumen ist ebenso
überproportional gering wie die Anteile an Spiel-, Sport- und Grünflächen und Anlagen für
den Gemeinbedarf.
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Die Belastung des Gebiets durch Verkehrsemissionen (Lärm, Verunreinigungen, Geruch)
liegt weit über dem städtischen Durchschnitt und beruht auf dem extrem hohen
Verkehrsaufkommen (Bundesstraßen, Altenhagener Straße und Bahn). Angrenzende
emittierende Gewerbe, wie etwa das westlich der Altenhagener Straße gelegene
Gewerbegebiet und das Frachtzentrum, belasten den Stadtteil erheblich und tragen zur
Unattraktivität des citynahen Stadtteils bei.
Ein Radwegenetz existiert nicht. Die Hauptfußwegeachse – Gertrudstraße, Friedensstraße,
Altenhagener Markt mit den Schnittstellen Düppelstraße, Krankenhaus, Kirche, Schulen,
Kindergarten und Markt/Einkaufen befindet sich in einer prekären Situation.
Für die Veränderung der Hauptbelastungsquellen – Bundesstraßen, Gewerbegebiet – sieht die
Stadt (das Planungsamt) derzeit keine großräumigen Lösungsvorschläge vor. So ist auch die
Frage der fußläufigen Anbindung über die Verkehrsadern hinweg -– und damit die
Anbindung an die City – nicht als Handlungsvorschläge aufgenommen worden. Das
Maßnahmenspektrum ist auf die Quartierssituation selbst beschränkt. Es umfaßt Wohnen
(Instandsetzung, Renovierung, Entkernung), Verkehrsberuhigungsmaßnahmen, die
Verbesserung der Aufenthaltsqualität einschließlich der Grün- und Freiflächen sowie ein
sicheres Fußwegenetz, die Aktivierung von Gewerbeflächen sowie die Einrichtung einer
Jugendbegegnungsstätte und eines Zentrums für Arbeitslose. Dabei wird vor allem im
Funktionsbereich Wohnen weitgehend auf die Aktivierung von Privatinitiativen gesetzt.
Die schwache Qualität der Bausubstanz wird auch durch die vergleichsweise – gemessen an
der Baulandausnutzung - niedrigen Grundstückspreise (siehe Bodenrichtwertkarte der Stadt
Hagen) unterstrichen.
Die schlechte baulich-räumliche Ausstattung des Quartiers wird außerdem anhand der Daten
zum Entwicklungsstand/Wohnwert deutlich, die im September 1993 auf Basis von 7
Großbaublöcken erhoben wurden. Es handelt sich um eine zusammenfassende (eher ordinale)
Wertung von 1. Bevölkerungsstruktur (15 %), 2. Gebäude- und Grundstücksstruktur (40 %),
3. Versorgung mit Infrastruktur (20 %), 4. Beeinträchtigung durch Verkehr und Gewerbe (25
%) auf der Grundlage von mehreren, zusammengefaßten Indikatoren, die in den prozentual
vorgegebenen Anteilen in die Gesamtbewertung eingehen.
Wie sich die Eigentumsverhältnisse auf Deutsche und Bürger ausländischer Herkunft
verteilen, geht aus der Darstellung nicht hervor.
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3. Mängel und Chancen der Integration der ethnischen Gruppen, insbesondere Türken
3.1 Historische Entwicklung der Zuzüge von ethnischen Gruppen in Altenhagen
Mit dem Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts begann in Altenhagen ein
Sukzessionsprozeß, der mit dem allmählichen Austausch von Bevölkerungsgruppen auch
Fragen der sozialen Integration für den Stadtteil aufwarf.
Während es einerseits im Zuge des gestiegenen Wohlstandes und der Bildungsexpansion zu
Abwanderungen von Angehörigen der Mittelschicht in bevorzugtere Wohnlagen Hagens kam,
rückten andererseits in verschiedenen Wellen Ausländer in diesen sozial eher schwachen
Stadtteil nach, der mehr und mehr von Gruppen der unteren Mittelschicht bzw. der
Unterschicht geprägt wurde.
Die erste Invasionsphase Ende der 60er Jahre begann mit dem Zuzug von Italienern. Es
kamen junge Männer, die zunächst in Behelfswohnungen oder überbelegten Wohnungen von
Unternehmen untergebracht wurden, ihre Familien später nachziehen ließen und
insbesondere im Bereich Altenhagener Straße ansässig wurden.
Hier entwickelte sich auch ein erster Ansatz einer ethnienspezifischen Geschäftsstruktur in
Form italienischer Gaststätten oder anderer Geschäfte, die von wegziehenden deutschen
Eigentümern übernommen wurden. Als typisch für diese Entwicklung kann eine Sippe
gesehen werden, die in den Bereichen Gastronomie, Sportverein, Organisation von
Veranstaltungen (so z.B. Fußballsport, Musik und populäre Kultur) und Weinhandel in Hagen
aktiv wurde, ohne jedoch in ihrer öffentlichen Darstellung und Raumaneignung die ansässige
Wohnbevölkerung zu verdrängen. Vielmehr ist für die Gruppe der italienischen Zuwanderer
kennzeichnend, daß sie sich relativ problemlos in vorhandene kulturelle deutsche Strukturen
einfügte, wie ein Experte im Rückblick beurteilt.
„Das sind die ersten Arbeiterfamilien oder zunächst einmal die sogenannten
Gastarbeiterfamilien, die in den 60er Jahren hierhin gekommen sind, wo man dem
Großvater, der Großmutter, der Mama begegnet, wo halt jetzt schon wieder eine
Abwanderungstendenz da ist; die gehen nach Hause in ihr eigenes, mit deutschem Geld
erwirtschaftetes Eigentum, die Kinder bleiben hier, und deren Kinder sind letztendlich
assimiliert in unserem Umfeld.“ ( H-K: 32-36)
Auch andere Ethnien: wie zum Beispiel Griechen, Portugiesen, Ex-Jugoslawen, Polen
(Aussiedler) und Rußlanddeutsche, die den Italienern folgten, drückten – mit Ausnahme der
Türken - diesem Gebiet nicht ihren Stempel auf. Zwar existieren vereinzelt Geschäfte
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(„Polen-Kiosk“, portugiesische Gaststätte mit je spezifischer Kommunikationsstruktur), aber
sie dominieren nicht das Erscheinungsbild.
In dem Maße, in dem die türkische Ethnie in den letzten Jahren begann, ihre eigene
Infrastruktur aufzubauen (Hauskauf, Geschäfte aufkaufen, Moschee errichten, Präsenz
türkischer Pädagogen an Schulen), und zudem türkische Familien bzw. Sippen (nach Angaben
der befragten Experten) in steigendem Maße Immobilien erwarben, kommt den Türken unter
den Ethnien in Altenhagen eine wachsende Bedeutung zu.
Dieser Erwerb von Immobilien kann in der Regel nur dann eingeleitet werden, wenn
Deutsche nicht um Wohnungen mit Ausländern konkurrieren können oder wollen. Es sind
meist Wohnhäuser mit relativ schlechter Ausstattung. Obwohl Forschungsergebnisse (vgl.
Eichener) zeigen, daß Ausländer auf dem Wohnungsmarkt schlechtere Chancen haben (diese
beruhen in erster Linie auf der von Einheimischen empfundenen „Fremdartigkeit“), setzten
sich hier Türken durch.
Nach und nach sind sie in Altenhagen – insbesondere in dem Bereich Brinkstraße,
Kochstraße, Friedensstraße, Röntgenstraße, Alleestraße (im wesentlichen der Bereich Boeler
Straße/Altenhagener Friedhof) - mit inzwischen ca. 2.500 Einwohnern eine einflußreiche
ethnische Gruppe geworden. Während Altbauten (es handelt sich meist um billige Objekte)
häufig in türkischer Hand sind, gehören Neubauten überwiegend Deutschen oder Polen
Während viele Angehörige anderer Ethnien – wie etwa die Italiener –infolge des gestiegenen
Einkommens den Stadtteil verließen und woanders eine (bessere) Wohnung nahmen,
bestimmt die türkische Ethnie zunehmend das Alltagsleben in Teilbereichen von Altenhagen.
Türkische Kinder, insbesondere die Jungen, demonstrieren ein modisches Bewußtsein in ihrer
Kleidung und zeigen häufiger ein eher „machohaftes“ Verhalten in der Schule und im
öffentlichen Raum. Türkische Frauen tragen hier oft Kopftücher. Hier hat sich ein kultureller
Wandel vollzogen.
„Es gab ein paar Jahre, da sahen Sie kaum noch Frauen mit Kopftüchern, das war
schlagartig weg. Es war auch in den Schulen so, daß den Kindern das Kopftuchtragen
verboten wurde, von den Lehrern, das war verboten. Zwischen 1985 und 1990 weiß
ich, daß es an verschiedenen Schulen verboten war, an den Grundschulen, daß die
Lehrer gesagt haben: Wir können die Kinder nicht integrieren, wenn sie anders
aussehen. Da hat es dann natürlich Theater gegeben, aber im großen und ganzen
haben sich die Eltern dann gefügt. Da mußten die kleinen Mädchen dann vielleicht
noch zur Koranschule ihre Kopftücher tragen, aber das Kopftuch war weg aus
Altenhagen. In den letzten Jahren – ich habe das gar nicht so bewußt erlebt – auf
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einmal taucht es wieder auf. Die Frauen fielen zwar nicht unangenehm auf (...), aber
sie waren wieder zu. Das war irgendwie so ein Zeichen, die Türken auf ihre Identität
zurückzuholen.“ (EK: 167-177)
Das Straßenbild wird von türkischen Männern bestimmt. Abends ist häufig Musik im
öffentlichen Raum zu hören, und es riecht nach Knoblauch. An diesen olfaktorischen
Wahrnehmungen ist inzwischen kaum noch Fremdes. Auch bei italienischen Zuwanderern
wurden ähnliche Erfahrungen gemacht. Frau K. schildert dies so:
„Das Besondere hat sich oft verwischt. Man ißt ja jetzt Pizza, und der Geruch
italienischer Küche stört einen nicht mehr. Das war zu meiner Kindheit noch so: da
hatten wir eine italienische Familie in der Nachbarschaft und da haben wir immer
gesagt: Ach, was stinkt das hier furchtbar! Das roch, als ob man an einer Pizzeria
vorbei geht. Das war ungewohnt, und da haben wir gesagt, das riecht komisch. Dann
waren die auch lauter, das erzeugt dann Angst“ (EK: 585-589)
Konflikte mit Jugendlichen unterschiedlicher Nationalität im Bereich Altenhagener Friedhof
deuten auf die quantitative Präsenz (Dominanz) der jungen Ausländer hin – nur jedes vierte
Kind ist dort deutscher Herkunft. Dem gegenüber stehen die Alten. Etwa drei Viertel der
Menschen über 65 in diesem Bereich sind Deutsche. Die Begegnung dieser Menschen mit den
ausländischen Jugendlichen und deren besonderen Lebensgewohnheiten und
Handlungsmustern hat auf dem Altenhagener Friedhof zu Auseinandersetzungen geführt.
Plastisch und drastisch beschreibt Experte V. den Sachverhalt: „... und da kann ich nicht mehr
auf Deutsch sagen: halt mal den Ball fest! Und die Blagen spielen weiter und Oma kriegt den
Ball vor die Buchse. Da kriegt die Schiss.“ So entstanden Wohnbereiche, deren Konfliktlage
durch das Zusammentreffen von einkommensschwacher Bevölkerung mit einem hohen Anteil
an Sozialhilfeempfängern, einer Dominanz der (oft jungen) Menschen türkischer Herkunft im
Wohnumfeld der alten, seßhaften Deutschen und der Zugehörigkeit zur Unterschicht bzw.
unteren Mittelschicht der Bewohner insgesamt, gekennzeichnet ist.
Obwohl gerade die türkische Ethnie in Teilen von Altenhagen inzwischen eine eigene
kulturelle Lebenswelt aufgebaut hat, so kann jedoch derzeit für das gesamte Quartier
Altenhagen noch nicht von einem kompletten türkischen Angebot ausgegangen werden. Es
scheint auch wenig dafür zu sprechen, daß diese „Invasorengruppe“ den gesamten Stadtteil
beherrschen wird. Von einer Dominanz des türkischen Anteils ist im Rahmen des
Sukzessionsvorgangs daher nicht auszugehen.
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3.2 Räumliche Verteilung und soziale Strukturen der ethnischen Gruppen in Altenhagen
Räumliche Verteilung der ethnischen Gruppen
Die Qualität der räumlichen Struktur variiert in Altenhagen. Innerhalb des Stadtteils lassen
sich drei markante Bereiche unterscheiden, die nach baustrukturellen Merkmalen sowie auch
nach der Aneignung durch die Bewohner, insbesondere jener türkischer Herkunft,
voneinander abgegrenzt werden können.
Wie oben geschildert hat vor allem die türkische Ethnie in Altenhagen dynamische Prozesse
hervorgerufen. Diese führten zur markanten Veränderung von Eigentums- und
Wohnverhältnissen und zur eigentümlichen Ausfärbung des Lebens in Bereichen dieses
Stadtteils: Spezifische Ladenstruktur, Kleidungsverhalten, demonstrative Darstellung des
Konsums bei Jugendlichen, Belebung des öffentlichen Raumes in Abendstunden usw.
Dabei vollzieht sich die Dynamik im Wandel des Erscheinungsbildes von Wohnbereichen vor
allem aufgrund von religiösen, politisch-kulturellen, geschlechts- und generationsspezifischen
Einflüssen.
Ein ethnienspezifischer Bereich ist um die Dianet-Moschee lokalisiert. Er befindet sich in der
Nähe der Wittekindstraße nahe der Altenhagener Brücke. Es läßt sich eine stark wachsende
islamische Gemeinde in Altenhagen beobachten, die nach Schätzung der interviewten
Experten zur Zeit 400- 500 Mitglieder umfaßt, die aus ganz Hagen kommen.
Vor allem im Umfeld der Moschee ist häufig ein Immobilienerwerb durch Türken feststellbar.
Die Immobilienpolitik führt auch zu Verdrängungen der Altbewohner und zu (potentiellen
oder tatsächlichen) Konkurrenzen mit deutschen Interessenten. Damit ist eine Abwanderung
und Verdrängung der deutschen Bevölkerung verbunden. Innerhalb dieser
Moscheegemeinschaft existiere (so die Auskunft des politischen Experten) eine straffe
Organisation. Das Investitionskapital sei so groß, daß Verkaufsangebote zügig angenommen
werden könnten. Die Türken in diesem Bereich Altenhagens bleiben überwiegend unter sich,
haben ihre eigenen Treffpunkte, kaufen in ihren eigenen Läden, benutzen darüber hinaus
Second-Hand Geschäfte. Auch im Bereich Altenhagener Straße haben Kurden aus der Türkei
und Türken Immobilien erworben.
Im Bereich Altenhagener Brücke befindet sich der deutsch-kurdische Freundschaftsverein.
Anfang der 90er Jahre sind Aktivitäten der PKK in diesem Raumbereich auffällig geworden.
Die Versammlungsstätte wurde seinerzeit vor der Polizei geschlossen. Der öffentlich
gewordene Konflikt zwischen Kurden aus der Türkei und den Türken ist seit etwa zehn
Jahren einer weitgehenden Normalisierung des Verhältnisses unter diesen Ethnien gewichen.
Demgegenüber fallen die relativ stark verbreiteten türkischen Läden und Gaststätten an dieser
Hauptverkehrsstraße auf.
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Der zweite Bereich, in dem ein hoher Anteil nicht-deutscher Bevölkerung lebt, befindet sich
zwischen
der
Boeler
Straße
und
dem
Altenhagener
Friedhof
(Brinkstraße/Alexanderstraße/Pettenkofer Str./Alleestraße), in der Nähe des Standorts für das
neue Jugendzentrum. Hier liegt der Ausländeranteil bei ca. 40 %.
„Als uns von der Stadt die Erhebung zur Beantragung des Stadtteils für
Erneuerungsbedarf vorgestellt wurde, konnte aufgezeigt werden, daß in den
sogenannten Hinterhäusern oder den Häusern, wo kein Deutscher mehr wohnen
wollte, die Besitzer dieser Häuser keine notwendigen Investitionen mehr vornahmen,
eben gerade Ausländerfamilien hineingezogen waren, vorwiegend türkische Ethnie
und von dort aus eine Entwicklung einsetzt, daß Türken diese Häuser zum Teil
aufgekauft haben, also durchaus ein großer Immobilienstand in türkischem Besitz ist
in diesem Stadtviertel rund um die Alleestraße, Richtung Brinkstraße, Richtung
Brüderstraße, eine Art Aufreißung des türkischen Immobilienbesitzes einher geht, und
damit wiederum der Zuzug anderer Familien aus deren persönlichen beziehungsweise
Landstrichen, aus denen sie herkommen, Landstrichbezug“ (HK: 59-68)
Dieser Bereich ist durch eine Reihe von städtebaulichen Mängeln gekennzeichnet. So stellt
die Verkehrssituation im Bereich Boeler Str./Friedensstrasße ein hohes Gefährdungspotential
für Fahrradfahrer und Fußgänger dar.
Der Spielplatz Röntgenstraße ist in einem desolaten Zustand. Er bietet keine
Aufenthaltsqualität für Kleinkinder und alte Menschen. Die Wegebeziehung (Laufachse zum
Friedhof) müßte sicherer gestaltet werden (insbesondere durch Beleuchtung).
Der Straßenraum im Bereich Kreuzung Röntgenstraße/Friedensstraße ist in einem desolaten
Zustand, die Bausubstanz ist schlecht, die Innenhöfe liegen brach. Hier werden eine bessere
Gestaltung und die Errichtung einer Jugendbegegnungsstätte vorgeschlagen.
Der Kreuzungsbereich Brinkstraße/Kochstraße weist ähnliche Mängel auf. Hinzu kommen
störende gewerbliche Nutzungen. Hier ist neben der Begrünung eine Baulückenschließung
angezeigt.
Für den Raum um die Kreuzung Friedensstraße/Altenhagener Straße gelten folgende
Mißstände: Desolater Zustand der Innenhofbereiche, störende gewerbliche Nutzungen für die
Aufenthaltsbereiche, schwache Bausubstanz. Vorgeschlagen werden: Entkernung der
Innenhöfe, Grünvernetzungen (Bereich Hermannstraße/Josefskirche), Verlagerung des
Gewerbes in den Gewerbepark westlich der Altenhagener Straße an die Flächen der
Deutschen Bahn AG.
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Der dritte Bereich befindet sich zwischen Friedensstraße und Altenhagener Straße. Auch hier
liegen nur Zahlen auf der Ebene von Großbaublöcken vor, die sich zum Teil mit anderen
Bereichen überlappen. Vermutlich ist der Anteil ausländischer Bevölkerung erheblich über
30% anzusetzen (Östlich der Friedensstraße (Richtung „Ischeland“) ist der Ausländeranteil
vergleichsweise gering - ca. 8 %).
Hier befinden sich störende emittierende gewerbliche Nutzungen. Auffällig ist die
ausgeprägte Hinterhofbebauung und eine weit unterdurchschnittliche Bausubstanz. Die
Verlagerung störender Gewerbe, Entkernung und Begrünungsmaßnahmen werden aus Sicht
der Stadtplanung gefordert.
Ethniespezifische Plätze und Gelegenheiten
Im folgenden sind einige öffentliche Räume in Altenhagen benannt, die bevorzugt von
ausländische Bewohnern aufgesucht werden.
Unter Mitarbeit des Stadtteilforums wird im Bereich Boeler Straße/Altenhagener Friedhof
(Alleestraße, Röntgenstraße) ein Jugendzentrum errichtet. In der Nähe befinden sich eine
Apotheke, eine Kebap-Bude und ein Einzelhandelsladen mit langen Öffnungszeiten. Hier
sammeln sich bis in die späten Abendstunden türkische Jugendliche mit ihren Motorrädern
und Autos.
Auf dem Altenhagener Markt findet sich eine Mischung aus türkischen Bewohnern,
Menschen aus Balkanländern, Slawen und polnisch-litauische (Auto)Händler.
„Was hier in Altenhagen das absolute Fest des Ausländers ist, das sind die privat
organisierten Trödelmärkte, Flohmärkte auf dem Altenhagener Marktplatz“ (HK 237-240)
Imbißläden, kleine Restaurants, Gemüsemarkt-Läden, „betreiben für meine Begriffe Türken
und Italiener perfekt“ (HK 253-254).
Von der Boeler Straße, beginnend in Altenhagen bis zur Meinolf-Kirche (Alexanderstraße)
wechseln Türken (Bereiche Friedensstraße, Alleestraße), die Kioske führen und Gemüse
anbieten und Italiener, die ihre Spezialitäten anbieten (incl. mobilem Lieferservice) sowie
deutsche Kioskbetreiber und Ladenbesitzer sich ab. Ab Meinolfkirche gibt es nahezu
ausschließlich Läden mit deutschen Besitzern.
An warmen Sommertagen gehen türkische Familien oft zum Rastebaum. „... da steht dann ein
Grill, den die Frau dann dort hingeschafft hat, Getränkekasten, Grillgut. Die Frau hält die
Familie zusammen, erzieht die Kinder, der Mann palavert, ist mit den anderen Männern
zusammen.“ (HK 431-433)
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Soziale Strukturen innerhalb der ethnischen Gruppen
Die sozialen Strukturen der türkischen Ethnie bilden sich – so unsere Hypothese – entlang
von Religion, Besitzverhältnissen, Familien (mit patriachalischer Ordnung) und sind in
gewisser Weise ein Abbild ländlicher Strukturen in der Türkei
Zum Einfluß von türkischen Sippenverbänden (bzw. „Clans“) äußert sich Pfarrer HK, der im
Stadtteilforum Altenhagen Erfahrungen mit dem Kooperationsverhalten gesammelt hat:
„... aber wenn ich mir so manches Mal vorstelle, wie wir in Kontakt zu türkischen
Familien treten oder wo wir sie erreichen können, dann erreichen wir sie über die
patriachalen Strukturen, also indem wir entweder den Iman, den Hoca oder den
Gemeindeältesten oder den Vorsitzenden einer Gemeinde haben, der entweder ein
junger Emporkömmling ist, der sich profilieren muß, oder ein alter Hase, der eben
sein Standing hat, dann kann ich mir das schon vorstellen. Als wir an unserem ersten
Stadtteilfest versäumten, die türkischen eigenen Geschäfte zu befragen, hatten wir eine
sehr geringe Akzeptanz durch die türkischen Mitbewohner. Beim zweiten Stadtteilfest
ist es viel geschickter gemacht worden, da waren dann nachher auch sehr viele
türkische Vereine zumindest mit ihren Vereinsmitgliedern präsent. Sie haben sich da
nicht eingebracht, aber es war ein viel höherer Ausländeranteil bei diesem Fest zu
beobachten.“ (HK: 120-130)
Hinsichtlich ihrer Wirkung im Alltag bilden die Sprecher und Funktionsträger so etwas wie
eine „Schattenmacht“ gegenüber den eingelebten Gewohnheiten der deutschen Bevölkerung –
einschließlich der nahezu assimilierten Zuwanderer – sowie gegenüber den Regelungen des
Systems aus Politik und Verwaltung. Hier wirkt vermutlich ein informelles Regelwerk auf der
Basis von sippenähnlichen Strukturen, das mit hierarchischen Ordnungsmustern Teilbereiche
des Lebensalltags mehr oder weniger stark beeinflußt. Das bestätigen auch die befragten
Experten für die einzelnen ethnischen Gruppen.
„A3: Das ist zum Beispiel ganz stark bei den Alewiten, das ist eine Tradition. Sie
haben einen Wortführer im traditionellen Sinne. Klar, er bestimmt nicht alles, aber er
hat Gewicht. Wenn er etwas sagt, dann halten sich daran die Leute. (RAA 288-290)
Das bezieht sich - so die Vermutung der befragten Experten - auch auf den Ankauf von
Häusern und die Belegungspolitik der Wohnungen: Familien kaufen Immobilien auf, die
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Gemeinde der Dianet-Moschee unterstützt den Ankauf von Immobilien durch Türken. Die
Vergabe der Wohnungen wird in der Regel informell unter den türkischen Familien geregelt.
Das Auftreten von Frauen im öffentlichen Raum ist relativ stark eingegrenzt. Viele tragen,
muslimischen Vorstellungen folgend, Kleidung, die nicht den westlichen Modevorstellungen
entspricht, sowie Kopftücher: Dies deutet sowohl auf die Macht in der islamischen
Gemeinschaft, repräsentiert durch Iman und Hoca, hin wie auch auf die patriarchalischen
Strukturen innerhalb der türkischen Familien.
Ein weiteres Beispiel ist der türkische Lehrer. Er vermittelt gleichsam zwischen den Kulturen,
ist einerseits dem deutschen Bildungssystem verpflichtet und andererseits den kulturellen
Mustern seines Landes verbunden. Dieser Spagat zwischen den Erwartungen des
Bildungssystems und dem Druck deutscher Eltern wegen befürchteter Senkung des
Bildungsniveaus und den constrains, die durch Wertvorstellungen und Normen der türkischen
Ethnie hinsichtlich der Bedeutung von Schule bestimmt sind, ist nur schwer auszuhalten und
führt zu Inter- und Intrarollenkonflikten bei diesen Lehrkräften.
Wie diese Konkurrenz zwischen den traditionell-hierarchisch ausgerichteten türkischen
Sippen- bzw. Clanstrukturen auf der einen Seite und den eingelebten Verhaltensweisen im
Stadtteil Altenhagen sowie den rational orientierten politisch-rationalen Regelungen auf der
anderen Seite ausgehandelt wird, läßt sich nur schwer festmachen. In Ansätzen ist dies im
Rahmen der Aktivitäten des Stadtteilforums Altenhagen möglich. Hier wurde deutlich, daß
die Beteiligung der Vertreter der türkischen Ethnie an den Belangen des Stadtteils eher auf
konkrete Projekte beschränkt ist. Jene Ziele, die der türkischen Ethnie auf den Nägeln
brennen, werden in das Forum hineingetragen und dort werden Lösungsmöglichkeiten eruiert.
Insbesondere Fragen, die die Moschee und den Immobilienmarkt betreffen, stehen im
Vordergrund. Das Leben im Stadtteil Altenhagen – also Fragen der Integration – finden
hingegen bisher relativ wenig Aufmerksamkeit
Dies bedeutet zusammengefaßt: Die Strukturen der Bewohner türkischer Herkunft sind in
Altenhagen über sippenartige Figurationen wirksam und deshalb bezüglich der Frage nach
Entwicklungschancen und Mitwirkungsmöglichkeiten im Rahmen von Stadtteilkonzepten
einzubeziehen. Dies ist besonders dann wichtig, wenn die Ziele von Integration und
Identifikation im Stadtteil verfolgt werden.
15
3.3 Probleme der Integration ethnischer Gruppen in den lokalen Arbeitsmarkt
Im Hinblick auf die Situation des lokalen Arbeitsmarktes und unter besonderer
Berücksichtigung der skizzierten Lebenswelt der ethnischen Gruppen ist zu bestimmen, wie
Strukturen des Arbeitsmarktes beeinflußt werden können, daß gering bzw. nicht qualifizierte
Arbeitslosen wieder in den lokalen Arbeitsmarkt integriert werden können. Welche Umstände
räumlicher und sozialer Art erschweren oder verhindern diese Integration?
Räumliche Faktoren können wesentliche Hemmnisse der Integration der Stadtteilbevölkerung
darstellen, wenn sie etwa die Nutzung von Einrichtungen, die Ausbildung und Verbesserung
sozialer Fähigkeiten und Kompetenzen begünstigen, nur eingeschränkt zulassen
(infrastruktureller Aspekt) oder gar eine Stigmatisierung der Stadtteilbevölkerung bewirken
(Image-Aspekt).
Wie Kapitel 2 gezeigt hat, sind auch in Altenhagen räumliche Bedingungen etwa hinsichtlich
der Ausstattung des Wohnumfeldes und der Umweltbelastungen vorhanden, die in diesem
Sinne zu sozialer Benachteiligung führen.
Indem der Stadtteil inzwischen in der öffentlichen Wahrnehmung ein negatives Image
erhalten hat, steht zu befürchten, daß auch die Bereitschaft sinkt, in dem Bezirk sowohl im
privaten als auch gewerblichen Bereich Investitionen zu tätigen. Eine mögliche Aufwertung
des Bezirkes durch Kapitalbindung ist derzeit nicht zu erwarten.
Auch in der Wahrnehmung der - insbesondere deutschen - Bevölkerung hat der Stadtteil ein
negatives Image. In der wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung mit ihrer
Stadtteilzugehörigkeit liegt aber auch eine Gefahr, daß die Bereitschaft zur Partizipation stark
abnehmen könnte.
Wie Stadtteilexperten in Gesprächen unabhängig voneinander berichtet haben, werden ihnen
gegenüber immer wieder Wegzugwünsche aus dem Quartier vorwiegend von der deutschen
Bevölkerung geäußert.
Auch die hohe Fluktuation der Bevölkerung im Bezirk der letzten Jahre, wie sie aus den
amtlichen statistischen Berichten hervorgeht, unterstreicht die sinkende Attraktivität des
Quartiers in der öffentlichen Wahrnehmung.
Unter der Prämisse, daß Räumen eine so starke soziale und Verhalten strukturierende
Wirkung zu eigen ist, soll der Blick auf die Trennung bzw. den Zusammenhang zwischen
(individueller) Privatsphäre und (gesellschaftlichem) öffentlichen Raum gelenkt werden.
Die Aktivierung und Integration der Arbeitslosen, insbesondere der ethnischen Gruppen
bedeutet, sie aus ihren privaten sozialen Netzen wieder verstärkt in öffentliche
Handlungsräume, etwa den lokalen Arbeitsmarkt, einzugliedern.
16
Verfahrensweisen bzw. Modelle der Partizipation sollen dabei als Schnittstelle zwischen dem
Individuum (Arbeitslosen) und öffentlichen gesellschaftlichen Betätigungsfeldern dienen.
Diese Handlungsstrategie ergibt sich nicht zuletzt auch zwingend aus dem Umstand, daß
allein hier im öffentlichen Raum eine effiziente Steuerungsmöglichkeit von
Arbeitsmarktprozessen von politischer bzw. staatlicher Seite gegeben ist.
Die Möglichkeit einer erfolgreichen Integration der arbeitslosen (ausländischen)
Bevölkerungsgruppen hängt wesentlich davon ab, ob die Handlungsmuster, die diese im
Rahmen ihrer privaten sozialen Netzwerke verinnerlicht haben, in ausreichender
Übereinstimmung zu den strukturellen Erfordernissen gesellschaftlicher Handlungsräume,
etwa des Arbeitsmarktes, stehen. Entsprechen die aus den privaten Netzwerken gewonnenen
Beziehungs- und Wertemuster den Strukturvorgaben, die übergeordnete gesellschaftliche
Handlungsfelder machen? Welche Verhaltensmuster begünstigen demzufolge die Integration
in den lokalen Arbeitsmarkt, welche sozialen Strukturen, soziale Rollen und Machtpositionen
verzögern eine Reintegration bestimmter Bevölkerungsgruppen in öffentliche
Handlungsfelder?
Diese Fragen sollen anhand einer Gegenüberstellung der lokalen privaten Netzwerke mit den
Strukturen des lokalen Arbeitsmarktes und demokratischer Beteiligung diskutiert werden.
Wendet man sich der Analyse des lokalen Arbeitsmarktes zu, so können zwei Merkmale
hervorgehoben werden, die die Prozesse in diesem Bereich entscheidend mitgestalten:
•
Erstens findet man einen hochkomplexen sich wandelnden Arbeitsmarkt vor, der auf die
flexible aus sozialen Netzen herauslösbare Verfügbarkeit individueller Arbeitskraft
ausgerichtet ist. Die steigende Anzahl von Zeitarbeitsfirmen verdeutlicht, wie stark sich
der Arbeitsmarkt in den letzten Jahren in diese Richtung eines beliebigen Einsatzes von
Arbeitskräften hin entwickelt hat. In diesem dynamischen Arbeitsmarkt, dessen primäres
Ziel in Wirtschaftlichkeit gründet, wird die Ressource Arbeit vorrangig aufgrund
erforderlicher Qualifikationen verteilt. Die Vergabe von Arbeit ist somit den
konjunkturellen Erfordernissen des Arbeitsmarktes untergeordnet und weniger abhängig
von sozialen Merkmalen des Arbeitsuchenden wie etwa der Zugehörigkeit zu einer
bestimmten sozialen Gruppe.
Die von der GPDM Paderborn durchgeführte Befragung Hagener Unternehmer bestätigt
im Trend diesen Befund: So geben über 50% der befragten Unternehmer an, bei der
Rekrutierung ihres Personals in erster Linie auf die Institutionen Arbeitsamt,
Zeitarbeitsfirmen oder Zeitung zurückzugreifen. Nur 6% stellen ihr Personal aufgrund
persönlicher Beziehungen ein. Das heißt: zunächst ist die erworbene Qualifikation, die
sich nach dem entsprechenden Bedarf des Arbeitsmarktes richtet, Schlüssel zur
Berufstätigkeit.
17
•
Zweitens sind die Prozesse des lokalen Marktes zunehmend globalen Entwicklungen
unterworfen. Damit entziehen sie sich aber immer stärker auch der Einflußnahme und der
Steuerbarkeit durch lokale Akteure.
Die Folgen der globalen Entwicklung von einer Industriegesellschaft hin zu einer
Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft lassen sich in Teilen auch am lokalen
Arbeitsmarkt ablesen. Auch hier läßt die bereits erwähnte Unternehmerbefragung
Trendaussagen zu: Auf einen zunehmenden Niedergang des lokalen produzierenden
Gewerbes könnte der Befund hindeuten, daß lediglich nur noch etwa ein Drittel der
befragten Unternehmen im produzierenden Bereich tätig ist. Große Betriebe, in denen
vermutlich noch am ehesten Einsatzmöglichkeiten für gering qualifizierte Arbeitskräfte
bestanden, sind kaum noch anzutreffen. Dies läßt insgesamt den Schluß zu, daß die
Einsatzmöglichkeiten von und der Bedarf an gering qualifizierten Mitarbeitern eher als
gering einzuschätzen ist.
Über die Hälfte der befragten Unternehmen beschäftigt derzeit weniger als 50 Mitarbeiter,
auch der Einsatz an ungelernten Arbeitskräften ist beschränkt: so haben 43% der befragten
Unternehmen gar keine Beschäftigungsmöglichkeit für un- bzw. angelernte Mitarbeiter,
und in den meisten Unternehmen, die gering Qualifizierte beschäftigen, sind höchstens 10
gering Qualifizierte angestellt.
Auch der zukünftige Bedarf an gering qualifizierten Mitarbeitern ist sehr klein: gerade
einmal 9 von 114 Unternehmen geben an, überhaupt gering qualifizierte Mitarbeiter zu
suchen, nur 14% der befragten Unternehmen gehen davon aus, daß in den nächsten 18
Monaten die Anzahl der Stellen für gering Qualifizierte in ihrem Betrieb steigen wird.
Im Ergebnis zusammengefaßt bedeutet dies: 1. Der lokale Arbeitsmarkt ist für gering
Qualifizierte zur Zeit nur schwach ausgebildet. 2. Die Entwicklung des Arbeitsmarktes wird
zunehmend lokal „enträumlicht“.
Beteiligungsmodelle in Altenhagen sollen diesem Trend Rechnung tragen, sie sollen die
Integration der arbeitslosen Bevölkerung verstärken. Das bedeutet, daß die Teilhabe an
solchen Beteiligungsmodellen in erheblichem Maße von den Handlungsdispositionen der
jeweiligen Akteure abhängt. Für eine Akzeptanz solcher sozialen Formen muß eine
Übereinstimmung zwischen ihrer Struktur bzw. inneren Organisation und den
Handlungsdispositionen der Akteure, die sie aufrecht erhalten, bestehen.
Welche Rahmenbedingungen in Form von Handlungsdispositionen und privaten Netzwerken
sind für eine Integration der ethnischen Gruppen in den Arbeitsmarkt gegeben und welche
Beteiligungsmodelle sind möglich?
18
Wie in Kapitel 3.1 und 3.2 bereits ausgeführt, existieren in Altenhagen verschiedene ethnische
Gruppen, die sich räumlich und sozial stark von einander abgrenzen. In ihrer zahlenmäßigen
Dominanz und in der öffentlichen Wahrnehmung ist besonders die Gruppe der türkisch
stämmigen Bevölkerung in Altenhagen hervorzuheben. Was diese Gruppe vor allem von
anderen ethnischen Gruppen im Bezirk wie etwa den Italienern oder Deutsch-Russen
unterscheidet, ist, daß sie den Angaben der befragten Experten zufolge seit einiger Zeit
begonnen hat, systematisch Besitz in Altenhagen zu erwerben und zunehmend auch
Ressourcen wie Wohnraum zu verwalten.
Diese Entwicklung zieht aber zunehmend die Bildung „ethnischer Inseln“ nach sich, deren
Strukturen, soweit dies von außen beschrieben werden kann, vermutlich auf hierarchischen,
machtkonzentrierten, persönlichen Beziehungsmustern basieren.
Betrachtet man den Bereich des Arbeitsmarktes in Altenhagen, so findet sich diese
Vermutung im Ansatz bestätigt, da allgemein unter den ethnischen Gruppen die Arbeitsform
bzw. -organisation des Familienbetriebes stark verbreitet ist: In diesen Betrieben, die vor
allem im Dienstleistungs- bzw. Einzelhandelssektor tätig sind, wird Arbeit aufgrund
verwandtschaftlicher Beziehung vergeben; es fehlt die für moderne Gesellschaften
kulturgeschichtlich bedeutsame Trennung von Haushalt und Arbeit, die auch eine
Verlagerung von personellen Abhängigkeiten hin zu institutionellen Abkommen (Verträgen)
beinhaltet.
Wenn die Vergabe von Arbeit nicht in erster Linie durch erworbene Qualifikation geregelt
wird, hat das vermutlich auch Folgen für die Einstellung der Akteure zu Fragen der
(Weiter)Bildung; eine eher gleichgültige Haltung gegenüber Weiterbildungsmaßnahmen wird
vermutlich noch mehr zunehmen, wenn die personellen Netze sich verfestigen.
Ein Beleg für diese Vermutung könnte ein Ergebnis der von der Stadt Hagen durchgeführten
Arbeitslosenbefragung sein: in der Umfrage zeigt sich, daß der Anteil der Personen, die über
berufliche Weiterbildung keine Verbesserung ihrer Berufschancen erwarten, bei den NichtDeutschen überproportional hoch ist. Ebenso ist der Wunsch, sich in Medienbereichen wie
Computer weiterzubilden, deutlich geringer ausgeprägt als bei Deutschen; man bleibt - so
ließe sich mutmaßen - weitgehend auf den Arbeitsmarktsektor fixiert, zu dem sich ein
Einstieg vor allem durch persönliche Beziehungen ergeben könnte.
In diesem Zusammenhang erstaunt aber dann vor allem, daß eine Weiterbildung im
kaufmännischen Bereich bei den Nicht-Deutschen wenig gefragt ist, obwohl gerade unter den
Ausländern in Altenhagen in dem Bereich schätzungsweise die meisten
Dienstleistungsbetriebe zu finden sind. Das scheint eng mit dem Umstand in Verbindung zu
19
stehen, daß es auch nur wenige ausländische Betriebe gibt, die ausbilden können. So mußte
nach Angaben der Stadtteilexperten der Modellversuch „Ausländer bilden Ausländer aus“
fallengelassen werden, weil es in Hagen zuwenig ausländische Betriebe mit einer
Ausbildungsberechtigung gab.
Dieses Defizit im Bereich der Ausbildung und Unternehmensführung und die daraus
entstehenden Folgen veranschaulicht auch ein weiterer Fall aus dem Quartier, von dem ein
Stadtteilexperte berichtet.
„Ich weiß das von einem arabischen Laden, der eine Fleischtheke hat, wo eine Frau
arbeitet, eine Araberin, die aber davor in einem deutschen Laden tätig war. Und die
wußte, daß der Metzgermeister in Ruhestand geht und nachdem das
Gewerbeaufsichtsamt den Laden schließen wollte, weil er die Auflagen nicht erfüllt
hat, sie den Metzgermeister angerufen hat: „hör mal du kennst dich doch da aus,
kannst du nicht mal herkommen, kannst du nicht mal helfen“, und wo dieser Mann da,
der pensionierte Metzger quasi über vier Jahre lang diesen Ali „Sowieso“ dann da
betreut hat, seinen Laden also nach den Kriterien, die so hier aus der
Hygieneverordnung als Minimalstandards festgelegt sind, dann auch in den Griff zu
kriegen. (...) Aber auch da war das so, das hat mit sowohl der Metzgermeister
bestätigt als ich auch aus diesen Untersuchungsergebnissen herausgelesen habe, der
Anteil von mitarbeitenden Familienangehörigen ist extrem hoch (...) Kusinen, Nichten,
Neffen oder sonstwie, die keinen Job haben, daß die - „du hast doch sowieso Zeit, geh
doch dahin, kannst du bei Onkel „Sowieso“ mit arbeiten -, daß die von morgens bis
abends in diesen Dingern dann (rackern), keine Ausbildung haben, und auch
„scheiße“ bezahlt werden. Also das haben wir schon mal so herausgefunden“ (TD)
Insgesamt läßt sich feststellen, daß (die Ressource) Bildung sowohl bei den Arbeitsuchenden
als auch bei möglichen Arbeitgebern innerhalb der ethnischen Gruppe eine eher geringe
Bedeutung hat.
Anhand dieser Beobachtungen läßt sich davon ausgehen, daß die ausländische Bevölkerung
weitgehend auf Bereiche des Arbeitsmarktes fixiert bleibt, zu denen sie durch persönliche
Beziehung Zugang hat. Laut Befragung setzen Nicht-Deutsche bei der Suche nach Arbeit eher
auf persönliche Verbindung als auf Einrichtungen wie Arbeitsamt oder Zeitung. Die Bereiche
des Arbeitsmarktes (wie Einzelhandel/Lebensmittelgeschäft/Gastronomie), in denen durch
personelle Netze eine Einstiegsmöglichkeit besteht, entwickeln sich nicht in dem Maße, daß
sie eine ausreichende Erwerbstätigkeit der Stadtteilbevölkerung gewährleisten können.
Die ökonomische Handlungsarena, die zunehmend globalen Entwicklungen unterworfen ist,
verlangt jedoch andere Qualifikationen und eine hohe Mobilitätsbereitschaft. Diese erwerben
20
die Arbeitslosen in Hagen kaum, wenn sie ihr Netzwerk ein Stück weit zu verlassen nicht
bereit sind. Die öffentliche Handlungsarena entfernt sich zunehmend dem Zugriff der
Akteure, zumal deren durch die privaten Netzwerke verfestigten Handlungsdispositionen sie
nicht befähigen, sich in diesen Systemvorgaben angemessen zu bewegen. So scheinen sich
Strukturen zu verfestigen, die die Reintegration der Arbeitslosen erschweren.
Diese beschriebene sozialräumliche Inselbildung mit ihrem Effekt auf Einstellung und
Verhaltensweisen der ethnischen Gruppen in Altenhagen könnte eine Integration in die
öffentlichen Handlungsarenen wie etwa Arbeits- und Bildungssystem in zweierlei Hinsicht
ungünstig beeinflussen:
Einzelne Gruppen finden sich mit der derzeitigen Situation ab: solange die ethnischen Netze
ideellen Halt und noch ein Mindestmaß an Sicherheit bieten, besteht keine Notwendigkeit,
sich zu engagieren; dies könnte zu einer nur gering ausgeprägten Identifikation mit der
Entwicklung des gesamten Stadtteils führen (Experten berichten von nur sporadischer
Teilnahme der ethnischen Gruppen am Stadtteilforum oder an Bürgerversammlungen). Damit
wird die Übernahme und Implementierung aus der Heimat mitgebrachter Strukturen
befördert. Als Indikator hierfür könnten der interne wachsende Zusammenschluß und die
zunehmende Hinwendung zu religiösen Normen gewertet werden. Die Motivation zur
Partizipation außerhalb der eigenen privaten oder ethnischen Netzwerke ist daher vermutlich
gering einzuschätzen; erschwert wird eine Annäherung der ethnischen Gruppen und der
deutschen Bevölkerung zudem durch die vorhandene unterschiedliche Altersstruktur – junge
Ausländer stehen einer vorwiegend alten deutschen Stadtteilbevölkerung gegenüber - , die
eine Vernetzung über gleiche Alltagsinteressen schwer erreichbar erscheinen läßt.
Es finden zunehmend Verdrängungsprozesse statt, die eine Beteiligung erschweren; nach
Angaben der Experten von einzelnen Gruppen werden nicht nur Abwanderungswünsche
geäußert, sondern es erfolgen verstärkt Wegzüge von einzelnen Gruppen bzw. Verdrängungen
„A2: (...) also, es ist schon so, daß, wenn Menschen länger in Altenhagen leben, sie
sich dahin gehend äußern, daß der Stadtteil sich stark verändert habe, daß Probleme
sich häuften in den letzten Jahren, und wenn ich so mit Migranten spreche, gibt‘s die
Klage, daß in Altenhagen sich ... Schlagwort: fundamentalistische Gruppen häufen,
die andere offenere Migrantengruppen aus dem Stadtteil quasi vertreiben, nicht
militant vertreiben, sondern schon durch sozialen Druck ihnen das Gehen erleichtern.
(RAA 35-40)
21
3.4 Probleme der Integration von Frauen ausländischer Herkunft
Über die tatsächliche Lebenssituation türkischer Frauen in Altenhagen lassen sich anhand der
bisherigen Datengrundlage kaum genaue Aussagen treffen. Um Chancen und Mängel
hinsichtlich der Integration dieser Gruppe näher beschreiben zu können, wäre eine
eingehendere empirische Analyse ihrer Lebenswelt notwendig.
Zunächst läßt sich feststellen, daß diese soziale Gruppe in der öffentlichen Außendarstellung
der Ethnie nur selten in Erscheinung tritt. Das läßt vermuten, daß viele türkische Frauen sehr
stark in die beschriebenen patriarchalischen Strukturen eingebunden sind, die ihren sozialen
Handlungsbereich und ihre geschlechtspezifische Aufgabe vor allem auf die
Haushaltsführung und die Aufsicht der Kinder beschränken. In ihrer familiären Stellung sind
sie dem Mann untergeordnet, der die Familie nach außen hin vertritt.
Dadurch ist der Kontakt der türkischen Frauen zu der deutschen Umwelt nicht selten sehr
eingeschränkt, der Erwerb der deutschen Sprache oft mangelhaft. Die Bildung der
dargestellten ethnischen Inseln verstärkt zudem die Innenorientierung der türkischen Frauen
in ihre soziokulturelle Gemeinschaft, wie eine befragte Expertin aus ihrer Erfahrung mit
Frauen in der Stadtteilarbeit schildert.
„A:. Es hat sich ja nun auch schon eine türkische Welt gebildet, also man kann als
Türke (...) in seiner ethnischen Gruppe leben und kaum Berührungen nach außen
haben. Ich denke einmal, viele Frauen haben keine Berührungen mit anderer
Nationalität. Sie gehen in ihren türkischen Laden, halten sich in ihrer türkischen
Nachbarschaft auf, die kriegen Besuch von Verwandten und damit sind sie dann
ausgebucht. Die einzige Berührung ist dann über die Kinder, wenn die dann
irgendwelche Ansprüche mitbringen, schlechte Zensuren, mal eine Einladung zum
Elternabend, wo dann vielleicht der Mann hingeht und die Frau sitzt zuhause und
weiß von nichts. So kann man sich über Generationen in Altenhagen oder in anderen
Stadtteilen, wo viele Ausländer da sind , in einer ethnischen Gruppe aufhalten. Das
haben wir also auch schon gemerkt, das ist so da.“ (EK 184-194).
Diese Konzentration auf Pflichten im häuslichen Bereich und die geringe Teilnahme an
außerhäusigen Angeboten, die nicht im Zusammenhang mit den ethnischen Netzwerken
stattfinden, scheinen auch mit dem geringen Qualifizierungsniveau vieler türkischen Frauen in
Verbindung zu stehen. So weisen viele im Zuge der Familienzusammenführung zugewanderte
Türkinnen eine sehr geringe Bildungsqualifikation und –motivation auf. Nichtqualifizierte
und minderwertige Qualifizierungen sowie fehlende Schulabschlüsse sind hier
22
vergleichsweise häufig anzutreffen, wie die Stadtteilexperten der RAA aus ihrer Arbeit mit
Migranten im Bildungsbereich berichten.
A2: „Ich glaube, daß in Altenhagen trotzdem so eine allgemeine Erniedrigung oder
Reduzierung des Bildungsniveaus stattgefunden hat. Es sind jetzt mehr Migranten da
(...) Es gibt eine ganze hohe Zuwanderung von Ehepartnern, die als
Familienzusammenführung kommen ohne Deutsch zu können, ohne Deutsch zu lernen,
die seit etlichen Jahren jetzt in Altenhagen sind. Wir haben zum Beispiel in der
Knappschule so ein Forum für ausländische Frauen, die seit langem da sind und
schon Kinder haben (...)
Die sind auch nicht in der Türkei ausgebildet gewesen, um das hier eben noch
abzuschließen, die kommen wirklich ohne jegliche Qualifikation.“ (RAA: 177-186)
Diese vermutlich große Gruppe türkischer Frauen aus dieser kulturell bedingten Lage in die
deutsche Gesellschaft zu integrieren, wird eine schwere Aufgabe und große Herausforderung
sein, zumal fast alle befragten Experten eine starke Tendenz der Reislamisierung - gerade
auch der jüngeren Frauengeneration - innerhalb der türkischen Ethnie in Altenhagen
festgestellt haben (siehe auch 3.1 und 3.5). Für die Entwicklung von Integrationsstrategien
bedarf es aber einer genauen Untersuchung der Lebensfelder und Orientierungen türkischer
Frauen, die sich vermutlich wesentlich differenzierter darstellen, als dies aus den bisherigen
Daten geschlossen werden kann. Einen möglichen Ansatz der Integration bzw. der
Verbesserung der Lebenssituation dieser Bevölkerungsgruppe bietet sicherlich das Umfeld
Schule und Kindergarten, das aufgrund der Rollenzuordnung eng an die soziale Alltagswelt
vieler türkischer Frauen in Altenhagen anschließt.
23
3.5 Probleme der Integration von Jugendlichen ausländischer Herkunft
Der Stadtteil Altenhagen ist durch einen hohen Anteil ausländischer Jugendlicher
gekennzeichnet. Die Jugendlichen, vor allem die Jungen, weisen, ihrem
entwicklungspsychologischen Alter entsprechend - und vermutlich nicht zuletzt aufgrund der
persönlichen Wohnverhältnisse - im allgemeinen eine starke außerhäusliche Orientierung auf.
Sie besetzen öffentliche Räume, die zu informellen Treffpunkten werden, und suchen oft
Begegnungsorte auf, die sich der Einsicht und Kontrolle der Erwachsenen entziehen, um ihre
eigene Subkultur auszuleben. Dies hat in Teilbereichen von Altenhagen aufgrund
unterschiedlicher kultureller und altersspezifischer Verhaltens- und Wertmuster zu Konflikten
mit erwachsenen Bevölkerungsgruppen, vor allem deutscher Herkunft, geführt. Ein Experte
beschreibt diese Situation folgendermaßen.
„Es gab ja am Anfang unten den Altenhagener Friedhof, da gab es schwere Konflikte
mit Jugendlichen. Von diesen Jugendlichen waren zwei Drittel ausländische
Jugendliche (...), das heißt, ein hoher Anteil von jugendlicher und Kinderbevölkerung
steht einem hohen Anteil von deutscher Altenbevölkerung gegenüber und das macht
die Konflikte jetzt da aus (...). Das heißt, die Oma, die ihren Opa jetzt da auf dem
Friedhof besucht, (...) kriegt dann natürlich Schiss“ (RAA: 125 - 141)
Diese für Altenhagen charakteristische Sozialstruktur spiegelt sich auch im Ausländeranteil
an der Schulen wieder, der in der Gesamtstadt in Grundschulen 25,8 % (Stand: 15.10.1997)
beträgt.
Schulen im Plangebiet
Grundschule Knapp (Erwin-Hegemann-Schule), Fraunhofer Str. 41, 303 SchülerInnen, 206
ausländische (= 68 %). Muttersprachlicher Unterricht Arabisch (Dienstag und Freitag),
bespielbarer Schulhof, mit Geräten ausgestattet;
Luise-Rehling-Realschule, Friedenstr. 26, 369 SchülerInnen – 109 ausländische (29,5 %),
bespielbarer Schulhof;
Hauptschule Altenhagen, Friedensstr. 26, 394 SchülerInnen, 215 ausländische (= 54,6 %).
Der Ausländeranteil beträgt in der Gesamtstadt bei Hauptschülern 40 %. Muttersprachlicher
Unterricht in Türkisch: Montag, Dienstag, Donnerstag; Muttersprachlicher Unterricht in
Serbisch: Donnerstag; bespielbarer Schulhof.
24
Schulen außerhalb des Planbereichs, jedoch innerhalb des Schuleinzugsbereichs
Grundschule Funckepark, Funckestr. 33, 357 SchülerInnen, 159 ausländische (= 44,9 %),
Muttersprachlicher Unterricht in Tunesisch: Dienstag, Mittwoch; Portugiesisch: Dienstag,
Mittwoch; Griechisch: Dienstag; Italienisch: Mittwoch; Türkisch: Dienstag, Mittwoch.
Gesamtschule Helfe/Fritz-Steinhoff-Schule, 1.377 SchülerInnen, 351 ausländische (= 25,5 %)
Grundschule Meinolf, kath., Stadionstr. 22, 296 SchülerInnen, 59 ausländische (=19,9 %) –
überwiegend italienischer Herkunft und Spätaussiedler, Muttersprachlicher Unterricht in
Italienisch: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, bespielbarer Schulhof.
Nach Angaben der befragten Experten ist dabei die Bildungsbeteiligung bei den Jugendlichen
ausländischer Herkunft sehr unterschiedlich. Während zum Beispiel die Kinder von
Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien eine hohe Bildungsmotivation aufweisen,
bildet die türkische Ethnie eine besondere Problemgruppe. Die türkischen Kinder und
Jugendlichen weisen oft hohe Defizite im schulischen Bildungsbereich auf, die sich nicht
selten auch auf elementare Voraussetzungen wie den Erwerb der deutschen Sprache beziehen.
Im Hinblick auf diese Defizite von Kindern aus benachteiligten Wohngebieten wird von
Vertretern der RAA ein besonderes Förderprogramm im Zuge der Einschulung als sinnvoll
erachtet.
„da müßtest Du eigentlich für alle Kinder, die aus türkischen Familien kommen und
aus solchen Wohnsituationen kommen, wenn die eingeschult werden ins erste
Schuljahr, ein besonderes Förderprogramm laufen lassen. Die kommen mit ihrer
Altsprachlichkeit an, und die defizitäre Altsprachlichkeit ist um so höher, je
ausgeprägter diese Wohnmerkmale sind.“ (RAA 210-214)
Dabei sehen die Vertreter der RAA zur Zeit keine wesentliche Anhebung des
Bildungsniveaus bei den hier geborenen türkischen Jugendlichen, die nicht selten auch durch
mangelnde Anregung und Förderung im Elternhaus mit bedingt ist.
A1: „Das konnte man früher unterscheiden. Du konntest sagen, die Menschen, die
hier zu zwei Drittel in Hagen sich niedergelassen haben, das waren halt
Nichtqualifizierte, mit minderwertigen Qualifizierungen oder kaum mit Schulabschluß.
(...). Die, die hier aufgewachsen sind, die hier geboren sind - für mich besteht da so
ein Zusammenhang zwischen im Stadtteil wohnen und minderqualifiziert sein. In
solchen Stadtteilen hast Du, (...), eine hohe Quote von Ehenimport. Der Eheimport
25
kommt unqualifiziert und ohne Sprache. Also werden die Bildungsbemühungen der
Kinder, die da aufwachsen, niedrig gehalten. (RAA:189-200)
Das verweist zugleich auf das Spannungsfeld, in dem sich die türkischen Jugendlichen
bewegen: auf der einen Seite sich in die deutsche Gesellschaft integrieren zu müssen und auf
der anderen Seite in soziale Netze eingebunden zu sein, die stark auf den Erhalt der
kulturellen Identität des Herkunftslandes ausgerichtet ist.
Wo diese Spannungen jedoch nicht ausgehalten werden, nehmen die Integrationsbemühungen
der ethnischen Gruppe ab. Dies läßt sich auch bei den türkischen Jugendlichen feststellen. So
läßt sich - nach den Angaben der befragten Experten - bei vielen ausländischen Jugendlichen
die Tendenz beobachten, sich wieder verstärkt in die eigene ethnische Gemeinschaft und in
religiös geprägte traditionelle Rollenmuster zurückzuziehen. Der mißglückte Versuch, eine
Identität zwischen den zwei Kulturen aufrechtzuerhalten und darin eine zufriedenstellende
Lebensperspektive zu entwerfen, führt die türkischen Jugendlichen - so die Vermutung verstärkt wieder in ihren tradionellen kulturellen Hintergrund zurück und entfernt sie damit
womöglich auch wieder stärker von Integrationsangeboten.
Diese problematische Situation der türkischen Jugendlichen, insbesondere der dritten
Generation, ist in den Gesprächen mit den Experten immer wieder betont worden.
„(...) Es ist sicherlich nicht weit hergeholt, wenn man Filme über die türkischen
Familienverhältnisse oder Ablösungsprobleme türkischer Kinder oder Mädchen sieht.
Das kann ich mir in Hagen auch gut vorstellen. Die in Deutschland geborene zweite
Generation, die wirklich versucht hat, sich in diesem Spannungsfeld zu bewegen. Ich
merke, die Enkelgeneration (die dritte Generation, die Verf.) mag möglicherweise
auch schon, weil sie festgestellt hat, daß ihr eigener Vater, Vater-Mutter-Generation,
nicht gelandet sind in Deutschland, wiederum eine eigene Identität in den Traditionen
des Großvaters entdecken. Wir beobachten viele junge Mädchen mit Kopftüchern, sehr
viele türkische vierzehn-, fünfzehn-, sechzehnjährige, die wiederum auch zum Teil
freiwillig in den Koranschulen, in den Kulturvereinen sich treffen, Billard spielen, sich
dort versuchen, einem eigenen Kulturkreis zuzuwenden, und es wird von den
Moscheen, von den Vereinen auch gefördert, da das Angebot viel größer ist, als wir es
in diesen Kreisen dort anbieten können. Wir haben es erlebt, mein Sohn hat mit einem
türkischen Trainer Fußball gespielt und am Ende lief es darauf hinaus, es konnte in
der F-Jugend eigentlich nur eine türkische Mannschaft gebildet werden, weil die
Konflikte einfach zu groß waren. Es gab kein Miteinander, und das ganze Projekt ist
nachher gescheitert“ (HK:199-214)
26
Diese besondere Situation der türkischen Jugendlichen vor Augen, werden
Integrationsbemühungen vor allem darauf gerichtet sein müssen, nicht zuletzt durch eine
Verbesserung von Bildungsmöglichkeiten den Jugendlichen Entwicklungsperspektiven in der
Gesellschaft aufzuzeigen. Hierbei wird die Einbindung der Elterngeneration unter
Berücksichtigung ihrer oft traditionellen patriarchalischen Strukturen (siehe 3.2.) unerläßlich
sein.
27
4. Schlußfolgerungen
Aus dem bisher Dargestellten sind die Spannungen bereits deutlich geworden, die bei der
nachhaltigen Entwicklung des Stadtteils Altenhagens und der Integration der lokalen Akteure
unterschiedlicher Ethnien in die beschriebenen öffentlichen Handlungsarenen zu erwarten
sind.
Die Entwicklung des Stadtteils Altenhagen ist in den letzten drei Jahrzehnten von sozialen
und räumlichen Austauschprozessen begleitet worden, deren Dynamik seit Ende der 80er
Jahre des 20.Jahrhunderts zugenommen hat. Durch das Eindringen unterschiedlicher Ethnien
in diesen Stadtteil ist es zu Verschiebungen und Verdrängungen im sozialen und räumlichen
Bereich gekommen. Ein markantes Symbol für diese Sukzessionsprozesse bildet die DianetMoschee.
Wenn die Nutzungsstruktur, die vor allem durch kleine Geschäfte bestimmt wird, sich
insgesamt eher langsam gewandelt hat, so ist sie doch mittlerweile weitgehend in der Hand
von Bürgern vor allem türkischer, griechischer und italienischer Herkunft. Zudem werden
vorhandene Gelegenheiten umgenutzt bzw. umgelebt. Dies bezieht sich vor allem auf
öffentliche Bereiche – Straßen, die noch spät abends belebt (und belärmt) sind, der
Altenhagener Friedhof, in dessen Umfeld sich viele ausländische Jugendliche treffen sowie
die Märkte, die zum Austausch verschiedener Produkte unter den Ethnien führen.
Die sozialräumliche Analyse hat gezeigt, daß sich das Quartier Altenhagen – im Verhältnis zu
den meisten anderen Stadtteilen in Hagen – durch eine vergleichsweise hohe sozialräumliche
Segregation auszeichnet. Hierbei sind die Absonderungsvorgänge der türkischen Ethnie
besonders signifikant. Die räumliche Segregation wird innerhalb des Quartiers in bestimmten
Bereichen durch eine relativ hohe Eigentumsquote erkennbar. In diesem Zusammenhang
bilden die Strukturen des Herkunftslandes eine Folie für Eigentumsverhältnisse. Dies gilt
auch für die Frage sozialer, insbesondere kultureller Segregation: Der Zusammenhalt von
Familien und Sippen sowie die religiöse Orientierung haben ein besonderes Gewicht. Es wird
gleichsam in zwei Kulturen gedacht. Die eine bezieht sich auf das Herkunftsland, genauer: die
(eher ländlich orientierte) Herkunftsregion. Die andere ist auf Altenhagen und die türkisch
beeinflußten bzw. dominierten Wohnbereiche bezogen, in der die Familienoberhäupter und
die religiösen Führer unterhalb der Quartiersstruktur eine informelle Machtstruktur entwickelt
haben, in denen den eigenen Regelungsstrukturen über die Lebensweise und die
Lebenschancen (für Türken) in Altenhagen eine hohe Bedeutung zukommt. Insbesondere die
Entwicklungschancen von Frauen und Jugendlichen werden über diese „Schattenregime“ in
ihren Chancen beeinflußt.
28
Auf der anderen Seite steht die Dominanz der Regelungen und Gesetze in Deutschland. Sie
bilden gleichsam die formell-materielle Hülle für die Bedingungen und Perspektiven im
Stadtteil. Im Hinblick auf die Integration der sozial benachteiligten ethnischen
Bevölkerungsgruppen in den Arbeits- und Bildungsbereich ergibt sich daraus aber folgende
Konfliktsituation:
Einem öffentlichen Handlungsraum, der in seiner Struktur in vielerlei Hinsicht auf das
autonome handlungsfähige Individuum und auf erworbene formale Qualifikationen
ausgerichtet ist, stehen lokale Akteure gegenüber, die in ihrer Handlungsweise auf ihre
persönlichen, vermutlich stark hierarchisch strukturierten sozialen Netzwerke fixiert bleiben,
in die sie aufgrund zugeschriebener Merkmale wie ethnischer oder familiärer Zugehörigkeit
eingegliedert sind. Durch diese starre Einbindung - so läßt sich mutmaßen - können sie jedoch
nicht diejenigen sozialen Kompetenzen bzw. Qualifikationen entwickeln, die sie zu
eigenständigem Handeln in den öffentlichen Handlungsarenen befähigen.
Die mangelnde Übereinstimmung von sozialen Strukturen und Handlungsdispositionen der
privaten Netzwerke und der Struktur der gesellschaftlichen Teilbereiche läßt sich
folgendermaßen zusammenfassen:
•
Personen zentrierte Netzwerke (Clans und ihre Wortführer) ethnischer Gruppen stehen
weitgehend institutionellen Netzen in den öffentlichen Handlungsfeldern (z.B.
Arbeitsmarkt) gegenüber. Während erste auf der Basis von a) personeller
Machtkonzentration und b) hierarchisch-traditionellen Mustern bestehen, folgen letzte
legitimen, rationalen Organisationsprinzipien und sind durch starke Differenzierung von
Kompetenzen und Aufgaben gekennzeichnet.
•
Aus dieser Situation heraus entstehen Konkurrenzgesellschaften, die für sich in Anspruch
nehmen, bestimmte Befugnisse auszuüben, Ressourcen zu verteilen (Wohnungsvergabe,
Arbeitsverteilung, Familienregelung). Hierbei erfolgen Handlungsorientierungen auf der
Grundlage von Merkmalen, die den Akteuren zugeschrieben werden (wie etwa ethnische
oder Familienzugehörigkeit), und nicht auf der Basis von Eigenschaften, die durch
Leistung und Qualifikation erworben sind.
•
An Stelle einer Integration, d.h. Öffnung der ansässigen Bevölkerungsgruppen für den
öffentlichen Raum als Forum, das einen Ausgleich verschiedener Interessen bereithalten
könnte, läßt sich zunehmend eine Entwicklung hin zu sozialer Abgrenzung und
räumlicher Konzentration beobachten. Die räumliche Segregation bedingt eine Festigung
interner Sozialstrukturen, die von einer verstärkten Hinwendung zu Handlungsmustern auf
der Grundlage religiöser Werte und Normen begleitet wird. Dieser Rückzug auf die eigene
29
Tradition mit seinen für die Partizipation im Sinne gegenseitiger Annäherung ungünstigen
Effekten läßt eine Situation entstehen, in der 1) zunehmend Verdrängungsprozesse
zwischen den einzelnen (ethnischen) Gruppen stattfinden und 2) vermutlich eine nur
geringe Identifikation mit der Entwicklung des Gesamtstadtteils ausgebildet wird.
Nach dem Stand der bisherigen Untersuchung läßt sich unter Vorbehalt daher folgende
(Arbeits)Hypothese aufstellen: Eine zentrale Barriere für eine nachhaltige Entwicklung des
Stadtteils Altenhagen besteht darin, daß private Netzwerke und öffentliche Handlungsräume
in ihren unterschiedlichen sozialen Ordnungsmustern zur Zeit nicht genügend in Einklang
stehen. Hier müßten konzeptionelle Überlegungen für den Stadtteil in den Bereichen Bildung,
Arbeit und Wohnen ansetzen.
Das Bildungsverhalten muß sowohl im Bereich der Allgemeinbildung (beginnend mit dem
Kindergarten) wie auch im Bereich der Berufsbildung verbessert werden. Dies setzt die
Bereitschaft zum Umdenken innerhalb der türkischen Meinungsträger in Familien (und
Kirche) voraus. Die türkischen Frauen müssen die deutsche Sprache lernen. Insgesamt muß
das Bildungsniveau im Stadtteil Altenhagen erhöht werden. Dies ist vor allem das kulturelle
Kapital, das für die Integration in diese Gesellschaft unverzichtbar ist.
Aufgrund von Bildungsvorgängen und peer-groups könnte eine Dynamik innerhalb der
türkischen Enklave einsetzen, die zu Veränderungen innerhalb von Sippen und Familien bei
den Geschlechterbeziehungen führen und die Optionen von Jugendlichen erweitern. Wie diese
potentiellen Konflikte unter und innerhalb der Generationen lokal erscheinen und umgesetzt
werden, läßt sich allerdings auf der Grundlage der bisherigen Daten noch nicht genau
eruieren.
Wenn die Ergebnisse der Studie einerseits erkennen lassen, daß räumlichen Merkmalen eine
soziale Bedeutung zukommt, so öffnen sie andererseits auch den Blick für die Möglichkeit
der Einflußnahme auf soziale Prozesse durch die Veränderung räumlicher Bedingungen. In
diesem Sinne könnte eine Verbesserung der räumlichen Situation in Altenhagen einen
wichtigen Beitrag zur Integration der derzeit sozial benachteiligten Gruppen leisten.
Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes dürften zur Identifikation mit dem Stadtteil
beitragen und damit die Bereitschaft zur Beteiligung für den Bezirk erhöhen. Der Aufbau von
Beteiligungsstrukturen wird auf lange Sicht positive Effekte auf die Stabilisierung des
Quartiers im Sinne kontinuierlicher sozialer Netzwerke haben. Damit könnte auch der
informelle Austausch von Informationen die Einbindung sozial benachteiligter Gruppen in
Vorgaben des Arbeitsmarkts erleichtern. Andererseits ist davon auszugehen, daß eine
räumliche Aufwertung auch die Attraktivität des Viertels erhöhen wird und die Bindung von
Investitionskapital mit sich bringt.
30
In diesem Sinne liegen räumlich-oganisatorische Chancen des Stadtteils Altenhagen zum
einen in der Tatsache, daß dieser Stadtteil im Rahmen des Erneuerungsprogramms in seiner
Entwicklung gefördert wird. Viele Mängel werden nach und nach behoben beziehungsweise
gemildert (Straßenräume, Baulückenschließung, Jugendeinrichtung etc.).
Hinsichtlich des sozialen Miteinanders ist festzustellen, daß das Quartier bunter und
vielfältiger – gerade im öffentlichen Raum – geworden ist. Dies bezieht sich vor allem auf
jene Bereiche, die von Türken dominiert werden und auf die Plätze und Märkte in
Altenhagen.
Aufgrund der vorangegangenen Überlegungen müssen die Problematik und insbesondere die
Folgerungen in Hinblick auf Mängel bzw. Risiken einerseits und Chancen andererseits
behutsam formuliert werden.
Die Vorschläge beziehen sich auf zwei Ebenen. Auf der einen besteht das Ziel, gleichwertige
Lebensbedingungen im Stadtteil Altenhagen zu erreichen. Damit sind unterschiedliche
Lebens- und Arbeitsbereiche im Quartier gemeint, die defizitär entwickelt sind: Struktur von
Wohnen und Wohnumfeld, Verkehrssituation, Freiraum, Immissionen etc. Sie können mit
dazu beitragen, daß Altenhagen sich zu einem attraktiveren, bunten Stadtteil entwickeln kann.
Die Vorschläge hierzu sind bekannt (siehe die Veröffentlichung : Altenhagen – „Stadtteile mit
besonderem Erneuerungsbedarf“ – des Planungsamts).
Die zweite Ebene betrifft das bürgerschaftliche Engagement in einem von vielen Kulturen
bewohnten und nach und nach umgelebten Stadtteil. Ausgehend von den
Lebensgewohnheiten im Quartier und mit Einschluß der ethniespezifischen kulturellen
Gewohnheiten, können Initiativen gefördert werden, die einen Beitrag zur Verbesserung des
Image und zur Identifikation der Bürger mit ihrem Stadtteil leisten.
Die Tätigkeitsbereiche gehen von Bildungs- über Wohnumfeldverbesserungsmaßnahmen bis
hin zu Konzepten für Sicherheit und Sauberkeit.
31
B Beteiligungsmodelle für Altenhagen
1. Einleitung
Neben der Erfassung sozialer Benachteiligungen sollen im Rahmen des Projektes „City at
Work“ für den Stadtteil Altenhagen mögliche Beteiligungsformen der Stadtteilbevölkerung
aufgezeigt werden. Dieser Zielsetzung liegt die Annahme zugrunde, daß die vielfältigen
Aufgaben einer sozial- und umweltverträglichen Quartiersentwicklung auf Dauer nur in der
Zusammenarbeit mit der ansässigen Bevölkerung zu bewältigen sein werden. Eine
zukunftsfähige, nachhaltige Quartiersentwicklung wird daher im wesentlichen Maße auch
davon abhängen, inwieweit es gelingt, die im Quartier lebenden, sozial benachteiligten
Gruppen in die sozialräumliche Aufwertung des Stadtteils mit einzubeziehen.
Der Aufbau von informellen Beteiligungsmodellen, die als Schnittstelle zwischen den
Bewohnern und ihrer sozialen Umwelt dienen sollen, kann daher als wichtiger Schritt auf dem
Wege hin zu einer langfristigen Verbesserung der sozialen Lebensverhältnisse in Altenhagen
gelten. Indem Beteiligungsmodelle eine Vermittlung zwischen der alltäglichen Lebenswelt
des Bewohners und seinen Interessen einerseits und andererseits übergreifenden
gesellschaftlichen Anforderungen und Entwicklungen, etwa aus dem Bereich des
Arbeitsmarktes oder der Politik anstreben, können sie einen wichtigen Beitrag gerade auch
zur Integration sozial benachteiligter Gruppen leisten.
Informelle Beteiligungsmodelle ermöglichen benachteiligten Bevölkerungsgruppen, denen in
der Regel nur begrenzt Chancen zur öffentlichen Artikulation und Durchsetzung ihrer
Bedürfnisse und Interessen offenstehen, außerhalb ihrer unmittelbaren Familien- und
Freundschaftsbeziehungen miteinander zu kooperieren und soziale Kompetenzen („soziales
Kapital“) zu erwerben. Diese Erweiterung von Handlungskompetenzen kann sich wiederum
positiv auf die Chance der gesellschaftlichen Eingliederung sozial benachteiligter
Bevölkerungsgruppen auswirken, unter Umständen auch einen Wiedereintritt in die lokale
Arbeitswelt erleichtern.
Zum anderen können gerade informelle Formen der projektorientierten Beteiligung, die im
Rahmen von quartiersbezogenen planerischen Maßnahmen stattfinden, positive Effekte auf
die Zufriedenheit der Quartiersbevölkerung haben und infolgedessen ihre Verbundenheit mit
dem Stadtteil verstärken. Wenn die Erfahrungen der Vergangenheit gezeigt haben, daß
bürgerschaftliches Engagement immer auch eng an die Betroffenheit und Wahrung eigener
Interessen geknüpft ist, so bietet gerade die Quartiersebene die Möglichkeit, Partizipation aus
einem abstrakten Gebot in die Gestaltung konkreter Projekte in einem sozialen Erfahrungsund Betätigungsfeld zu überführen, das die Interessen der Beteiligten unmittelbar berührt.
Hier können Möglichkeiten der Mitwirkung und der Einflußnahme im überschaubaren
Kontext erprobt und im Rahmen quartiersbezogener Projektarbeit die Interessenlagen der
32
verschiedenen Bevölkerungsgruppen erkundet, aber auch Aushandlungsprozesse eingeübt
werden, die das Transparentmachen, Bewerten und Anerkennen einer Vielfalt von Anliegen
und Problemlagen im sozialräumlichen Kontext des Quartiers zum Inhalt haben. Auf der
Basis der gemeinsamen Auseinandersetzung und Verständigung lassen sich
Entwicklungsstrategien erarbeiten, die nicht nur mögliche Konfliktlagen innerhalb des
Quartiers mindern helfen, sondern auch Ausdruck gemeinsamer Interessenlagen sind, die zu
einer Vernetzung und Optimierung von Handlungsspielräumen führen.
Gerade die Erfahrung der Anerkennung eigener Anliegen und der sichtbare Erfolg bei der
Gestaltung der eigenen Lebensumwelt versprechen einen tragfähigen Ansatz, das Bewußtsein
der eigenen Handlungsautonomie und der Verantwortung für das unmittelbare Lebensumfeld
zu fördern und die Bewohner zu anhaltendem Engagement zu ermutigen, das eine wesentliche
Voraussetzung für eine langfristige Stabilisierung des Quartiers bildet.
Zugleich erhöht sich durch die Teilhabe der Bevölkerung an der Gestaltung des Quartiers
auch die Aussicht auf eine langfristige erfolgreiche Umsetzung planerischer Maßnahmen, da
diese aufgrund der Kommunikation zwischen Bürgern und Interessengruppen einerseits und
Politik und Verwaltung andererseits mit einer größeren Akzeptanz rechnen können. Zudem
sind Interessen bestimmter Bevölkerungsgruppen, öffentlicher und privater Organisationen
und Betriebe als potentielle Investoren präziser zu ermitteln und eine kostensparende
Vernetzung der Stadtteilakteure kann weiter ausgebaut werden.
Auch wenn informelle Beteiligungsformen außerhalb kommunalrechtlicher Regelungen
stattfinden, so können dennoch die Gemeindeorgane hier im Sinne von Anregungen oder
finanzieller und personeller Unterstützung überaus wertvolle Impulse setzen. Diese können
sich von Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung über den Abbau von
Verkehrsgefährdungen und der Einrichtung von Erholungs- und Grünflächen bis hin zu
Unterstützung eines Jugendzentrums (siehe die Veröffentlichung der Stadt Hagen: Altenhagen
- „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“) erstrecken.
Wenn der große Nutzen von Beteiligungsmodellen für eine soziale Aufwertung des Stadtteils
unbestritten ist, dann sieht man sich in sozial benachteiligten Stadtteilen jedoch nicht selten
dem Problem der mangelnden Motivation zur Beteiligung seitens der Bevölkerung
gegenübergestellt. Denn geht man der Frage nach, welche Personengruppen vorrangig
Beteiligungsangebote wahrnehmen, so zeichnet die empirische Partizipationsforschung in
Deutschland der letzten 20 Jahre ein eindeutiges Bild. Demzufolge kann von einem Kreis von
Personen mit spezifischen sozialstrukturellen Merkmalen und politischen Einstellungen
ausgegangen werden. Die Gruppe der beteiligungswilligen Bürger charakterisiert im
allgemeinen,
•
daß sie über eine bessere formale Bildung als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung
verfügen,
33
•
daß ihr Einkommen über dem durchschnittlichen Einkommen der Gesamtbevölkerung
liegt,
• daß sie in überwiegender Mehrheit männlichen Geschlechts und die mittleren
Altersgruppen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung stark überrepräsentiert sind,
•
daß Vereinsmitglieder überproportional häufig zur Gesamtbevölkerung vertreten sind, in
verstärktem Maße solche Mitglieder, die den Verein auch zum politischen Gespräch
nutzen,
•
daß sie über mehr Handlungsressourcen wie etwa Geld und Zeit verfügen.
Daraus folgt andererseits, daß partizipationsferne Bevölkerungsgruppen in der Regel einem
sozial schwachen Milieu angehören. Dieser Aspekt ist bei der weiteren Erörterung von
Beteiligungsformen für den Stadtteil Altenhagen im Auge zu behalten. Da der Stadtteil
Altenhagen durch eine schwache Sozialstruktur im Sinne geringer Einkommens- und
Bildungsverhältnisse geprägt ist, kann erwartet werden, daß Einstellungen und
Handlungsweisen, die eine Beteiligungsbereitschaft begünstigen, bei diesen Bewohnern nur
schwach entwickelt sind. Vor diesem Hintergrund ergeben sich Problemlagen im Hinblick auf
die Aktivierung der Bevölkerung. Wie müssen demzufolge also Beteiligungsmodelle
strukturiert sein, um auch sozial benachteiligte Gruppen gewinnen zu können?
2. Anforderungen an Partizipationsmodelle
Wenn Beteiligungsangebote angenommen werden sollen, so ist von entscheidender
Bedeutung, daß ihr Kommunikationsangebot selektiv angelegt ist
In einem Stadtquartier leben unterschiedliche Bevölkerungsgruppen, die in sehr
verschiedenartige soziale Gefüge und Netze eingespannt sind, die bestimmte Formen der
Lebensweise vorgeben. Infolgedessen wird der Stadtteil als sozialer Lebensraum von den
einzelnen Bewohnern sowohl verschieden wahrgenommen als auch in ganz unterschiedlicher
Weise räumlich angeeignet. Aus diesen unterschiedlichen sozialen Stellungen, Lebenslagen
und Lebensorten erwachsen demzufolge sowohl sehr unterschiedliche Bedürfnisse und
Interessen hinsichtlich der Gestaltung des Stadtteils als auch unterschiedliche soziale Chancen
und kommunikative Kompetenzen der Teilhabe und Interessenvertretung. Wollen
Beteiligungsformen die Mitarbeit der Bevölkerung erreichen, so müssen sie dieser
Verschiedenartigkeit ausreichend Rechnung tragen, sie können bei der Bearbeitung konkreter
Aufgaben nicht von einem allgemeinen Beteiligungswillen ausgehen, sondern müssen
vielmehr in dem zu verhandelnden Anliegen sich an genau festgelegte Zielgruppen wenden,
und zwar in Formen, die den kommunikativen Fähigkeiten dieser Zielgruppe entsprechen.
34
In diesen Zusammenhang gehört auch die oft gemachte Beobachtung, daß soziale Klassen
unterschiedliche Handlungsstrategien wählen, um ihre Lebenswelt nach ihren Interessen zu
gestalten bzw. ihre soziale Umwelt anzueignen. Folgt man den Thesen der jüngeren
Partizipationsforschung, so bevorzugen dabei die unteren sozialen Klassen eher praktische
Aneignungsformen, während Angehörige der Mittelschichten ihre Interessen stärker in
symbolischen Handlungen, etwa Diskussionsforen, vertreten sehen. Bei der Entwicklung von
Partizipationsformen in sozial benachteiligten Gebieten ist dies zu berücksichtigen, um nicht
durch ein Überstülpen von Kommunikationsformen, die typischen Sicht- und
Verhaltensweisen der Mittelschicht entlehnt sind, die Teilnahme der eigentlichen Zielgruppen
zu gefährden.
Will man die sozial benachteiligten Bewohnergruppen zur Teilnahme bewegen, so bedarf es
also Modelle, deren Kommunikationsstruktur in Form und Inhalt auf die Besonderheiten
dieser Zielgruppen und ihre unterschiedlichen sozialen Interessenlagen Bezug nimmt. Die
Beteiligungsformen sind nach den Voraussetzungen der anzusprechenden Gruppen zu
differenzieren. Der Ungleichheit der Beteiligten im Quartier muß mit ungleichen
Beteiligungsangeboten begegnet werden. Aber nicht nur die Form des Beteiligungsangebotes
muß genau abgestimmt werden, auch der inhaltliche Bezug zur Lebenswelt der Zielgruppen
muß gegeben sein. Hierin liegt unter Umständen eine noch viel größere Gefahrenquelle für
Mißverständnisse, wenn Beteiligungsmodelle nicht auf das zugeschnitten sind, was die
Bewohner an ihrem sozialen Umfeld als Problem wahrnehmen, sondern eher das
wiedergeben, was Planer als problematisch empfinden.
Sollen Beteiligungsangebote auf eine hohe Akzeptanz stoßen, müssen sie im Mittelpunkt des
Bewohnerinteresses stehen. Unter diesem Blickwinkel wird es eine vorrangige Aufgabe sein,
zunächst im einzelnen herauszufinden, welche Rangordnung die Betroffenen hinsichtlich von
quartiersbezogenen Problemfeldern aufstellen. Insofern diese Prioritätensetzung letztlich den
Ausschlag für ein Interesse an und die Bereitschaft zur Partizipation gibt, muß der erkennbare
Bezug zwischen Sachproblem und Lebenslagen der Aufgeforderten gewährleistet sein. Das
bedingt, daß zwischen den Denkweisen der Planer von Beteiligungsangeboten und denen der
Bewohner eine Annäherung erfolgen und das Kommunikationsangebot mit der
Problemwahrnehmung der Bevölkerung übereinstimmen muß; denn aus dem Bezug zur
eigenen Lebenswelt kommt letztlich der entscheidende Impuls für ein Engagement, das in den
Augen der Beteiligungswilligen eng an die Fragen geknüpft bleibt: was hat das
Beteiligungsangebot mit mir zu tun, was verändert sich an meiner Lebenssituation im Quartier
durch meine Mitwirkung?
35
Will ein Beteiligungsmodell daher zwischen Beteiligungsangebot und Aktivität der
Zielgruppe angemessen vermitteln, so sollten zumindest folgende Aspekte berücksichtigt
werden:
• Das ausreichende Beteiligungsangebot muß die Bewohner erreichen. Das setzt voraus,
daß genügend Öffentlichkeits- bzw. Aufklärungsarbeit erfolgt.
•
Ein ausreichender Alltagsbezug der Beteiligungsfrage zur Zielgruppe muß gegeben sein:
Können die Bewohner überhaupt Bezüge zu ihren Problemen erkennen? Das schließt mit
ein zu klären, ob die Wahrnehmungen der Dringlichkeit von Problemen voneinander
abweichen. Sehen die Bewohner in dieser Frage überhaupt Handlungsbedarf?
•
Welche Rangordnung von Quartiersproblemen erstellen die Bewohner aufgrund ihrer
konkreten Lebenssituation und Alltagserfahrung? Viele Planungsprobleme berühren die
primären Interessen und Bedürfnisse der Bewohner nur geringfügig. Sollen von der
Bevölkerung Entscheidungen und Planungen mitgetragen werden, geht es also auf einer
gesicherten Informationsgrundlage um die Abstimmung von Handlungsangeboten mit den
tatsächlichen Interessen der Quartiersbevölkerung.
•
Ein wichtige Voraussetzung für eine Beteiligungsmotivation ist, daß die
Veränderungsmöglichkeit von Mißständen erkennbar sind. Hier sind diejenigen, die
Beteiligung anbieten, in besonderen Maße aufgefordert, - etwa anhand der Erörterung von
Beispielen oder andernorts gewonnenen Erfahrungen mit ähnlichen Problemen - zu
verdeutlichen, wo Einfluß- und Mitgestaltungsmöglichkeiten liegen.
•
Eine zufriedenstellende Beteiligung kommt in der Regel dann zustande, wenn in den
Augen der Aufgeforderten bzw. Mitwirkenden Aufwand und Nutzen der Beteiligung in
Einklang stehen. Das bedeutet aber auch, daß Erwartungen von allen Seiten nicht zu hoch
gesteckt werden dürfen. Vielmehr gilt es konkret aufzuzeigen, was zu tun ist und welche
Veränderungen zu erwarten sind.
•
Die Form der Beteiligung muß den sozialen und kommunikativen Kompetenzen der zu
Beteiligenden angemessen sein.
Unter Berücksichtigung dieser Aspekte hat sich im allgemeinen folgendes Vorgehen bewährt:
1. Zunächst erscheint es sinnvoll, die Inhalte der Beteiligung zu klären. Was soll Gegenstand
der Kooperation sein, was soll unter Mitwirkung der Bewohner erörtert bzw. erarbeitet
36
werden? Das beinhaltet auch, sich Rechenschaft darüber zu geben, wie weit Kooperation
reichen kann und soll, aber auch darüber, wo die tatsächlichen Problemlagen im Quartier
liegen.
2. Anschließend kann eine Differenzierung nach Zielgruppen vorgenommen werden. Es gilt
zu überlegen, wer kann/soll unter den vorhandenen (ermittelten) Bedingungen an dem
Beteiligungsmodell teilhaben.
3. Daraus resultiert schließlich die Entwicklung spezifischer Kommunikationsangebote:
welche Formen der Beteiligung sind zu wählen, wie ist das Kommunikationsangebot zu
gestalten, um die Zielgruppe zu erreichen?
In diesem Sinne lassen sich die minimalen Anforderungen an ein Beteiligungsmodell mit der
Zielgruppe sozial benachteiligter Stadtteilbewohner folgendermaßen zusammenfassen: die
Beteiligungsangebote sollten zielgruppenorientiert, problemorientiert und praxisorientiert
sein. Die Partizipationsmodelle sollten sich zwischen diesen drei Polen bewegen.
3. Mögliche Beteiligungsmodelle
Anknüpfend an die beschriebenen Befunde, die sich aus der Untersuchung der Chancen- und
Mängellagen ergeben haben, werden nun Vorschläge für die Entwicklung informeller
Beteiligungsmodelle für das Problemquartier Altenhagen gemacht. Die Modelle sollen
geeignet sein, einen kreativen Beitrag für die Entwicklung zukunftsfähiger
Maßnahmekonzepte zu leisten und vorhandene Benachteiligungen im Stadtteil zu verringern.
Der Erkenntnis folgend, daß eine zukunftsfähige Beteiligungsstrategie nur unter
Berücksichtigung der sozialen Verhaltensmuster, Normen und Bedürfnisse der
Quartiersbevölkerung zustande kommen kann, soll die Entwicklung der Modelle auf der
Grundlage der quartierbezogenen Spezifika Altenhagens erfolgen.
In diesem Sinne gilt es zu beachten, in welcher Weise unter Einbeziehung bereits bestehender
Netzwerke (z.B. Projekte, Vereine, quartierbezogene Organisationen) und bestehender
Strukturen (ethnische Clans) Beteiligungsmöglichkeiten verbessert und brachliegende
Potentiale genutzt werden können.
Dabei sei einschränkend darauf hingewiesen, daß auf der Grundlage der bisher ermittelten
verfügbaren Daten die hier vorgestellten Modelle nur als Vorschläge zu verstehen sind, in
welche Richtung Beteiligungsformen in Altenhagen gedacht werden könnten. Für die
Entwicklung von Beteiligungsformen, die gezielt auf die Bedürfnisse und Lebensumstände
bestimmter sozialer Gruppen in Altenhagen eingehen könnten, wäre ohne Zweifel eine
ausführlichere und detailliertere empirische Erforschung der sozialen Lebenswelten der
unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in Altenhagen erforderlich.
37
Die im folgenden skizzierten Vorschläge für Beteiligungsmodelle basieren daher im
wesentlichen auf folgenden oben zum Teil schon ausgeführten normativen Setzungen:
•
Eine Bürgerbeteiligung ist zielgruppen-, problem- und praxisorientiert.
•
Es gibt nicht ein allgemeines Beteiligungsmodell für Altenhagen, sondern mehrere, mit
selektiver Wirkung.
•
Die Modelle sind aufeinander bezogen.
Unter dieser Maßgabe sollen verschiedene mögliche Beteiligungsansätze für den Stadtteil
Altenhagen beschrieben werden, der, wie gezeigt, durch vielfältige Problemlagen und durch
eine sehr heterogene soziale Struktur gekennzeichnet ist. Dabei erfolgt eine Differenzierung
der Beteiligungsmodelle entlang der Dimensionen Ethnie, Schicht, Alter und Geschlecht,
indem kurz die bisher bekannten allgemeinen schicht- und ethnienspezifischen
Rahmenbedingungen für Beteiligungskommunikation in Altenhagen erläutert werden, um
daran anschließend konkret drei denkbare Formen für Beteiligungsmodelle von ausgewählten
Zielgruppen (Frauen, Jugendliche) bzw. Problembereiche (Wohnumfeld) vorzustellen.
In diesem Kontext sind diese modellhaften Anregungen als Ergänzung zu den bereits in
Altenhagen bestehenden und erfolgreich arbeitenden Beteiligungsformen: Bürgerbüro, Forum
und Frauengruppe zu betrachten (siehe Abbildung 1). Es soll veranschaulicht werden, welche
potentielle Aufgabenstruktur den ergänzenden Modellen zukommen könnte, die einerseits
ethniespezifischen
bzw.
geschlechtsund
altersspezifischen
Belangen
der
Stadtteilentwicklung, andererseits fach- und ethnieübergreifenden Zielen im Gesamtquartier
Altenhagen nachgehen.
38
Stadtteilforum
Ethnieorientiertes Modell
Bürgerbüro
Frauen in Altenhagen
Ethnieübergreifendes
(Quartier-) Modell
Abbildung 1: Mögliche Beteiligungsstruktur im Quartier Altenhagen
39
Ethnien- und schichtspezifische Voraussetzungen für Partizipation in Altenhagen
Die Ergebnisse der vorangegangen Stadtteilanalyse haben gezeigt, daß das Quartier
Altenhagen als sozialer Lebensraum sehr stark von der räumlichen Konzentration und
kulturellen Lebensweise unterschiedlicher Ethnien beeinflußt wird, unter denen die Türken
aufgrund ihrer zahlenmäßigen Dominanz eine herausragende Stellung einnehmen. Innerhalb
dieser türkischen Bevölkerungsgruppe haben sich - nach Angaben der befragten Experten zum Teil entlang etablierter Clans aus der Türkei straffe soziale Hierarchien entwickelt. Die
etablierten Strukturen des Herkunftslandes spiegeln sich in vielfacher Weise bei diesen
Bevölkerungsgruppen auch in den sozialen Lebensweisen im Stadtteil Altenhagen wieder.
Diese stark patriarchalischen Strukturen, die zumeist durch Blutsverwandtschaft oder
religiöse Zugehörigkeit gefestigt sind, bestimmen die sozialen Normen und Werte der
Bewohner, sie ordnen ihnen bestimmte geschlechts- und alterspezifische Rollen zu und
prägen ihre Verhaltensmuster im öffentlichen Raum. Durch den engen (familiären)
Zusammenschluß und die aufgrund des zahlenmäßigen Zuwachs sich herausbildende Existenz
ethnischer Inseln wird zugleich eine starke soziale Kontrolle über die Einhaltung dieser
sozialen Netzwerke und ihrer zugehörigen Werte ausgeübt. Diese hierarchische Struktur ist
der zentrale Ausgangspunkt für die Bemühung, diese ethnischen Gruppen für die Mitarbeit an
Stadtteilarbeit zu gewinnen. Wie sehr der Erfolg der Teilnahme an Stadtteilarbeit von der
Berücksichtigung dieser sozialen Strukturen abhängt, haben die befragten Experten in den
Gesprächen immer wieder bestätigt. Ob es um die Organisation von Stadtteilfesten geht oder
die Mitarbeit an dem Stadtteilforum im Vordergrund steht, oft wird der Kontakt und die
Bereitschaft zur Mitgestaltung nur über diese patriachalen Strukturen erreicht, indem etwa ein
Gemeindevorsitzender oder Sprachführer in die Planung mit einbezogen wird.
Unter ethnienspezifischen Gesichtspunkten wird die Entwicklung von Beteiligungsformen in
Altenhagen daher nicht außer Acht lassen dürfen, daß die entsprechenden Kontaktpersonen in
den einzelnen Clans für die Unterstützung der Stadtteilarbeit gewonnen werden müssen und
daß in Inhalt und Form dem typisch patriarchalisch geprägten Rollenverhalten dieser
Bevölkerungsgruppen Rechnung zu tragen ist.
Dabei standen in der Begegnung mit den ethnischen Gruppen bisher weniger die
Thematisierung kultureller und politischer Fragen als vielmehr pragmatische Sachfragen im
Mittelpunkt, wie etwa nach Immobilien, Veränderungen der Moschee, Lobbyisten für
Grundstücksfragen, oder die Regelung von Kindergartenplätzen. Hier scheint zum großen
Teil auch der schichtspezifische Aspekt als Voraussetzung von Beteiligungsmotivation zur
Geltung zu kommen. Altenhagen wird insgesamt bestimmt von Angehörigen der unteren
Sozialschicht, deren Interessen vermutlich eher im Bereich praktischer Alltagsbelange und der
Freizeit- und Konsumgestaltung anzusiedeln sind.
40
Diesen schicht- und ethnienspezifischen Hintergrund in Altenhagen gilt es mitzubedenken,
wenn im folgenden drei mögliche Beteiligungsmodelle skizziert werden sollen, die
zielgruppen- oder problemorientiert ausgerichtet sind. Dabei sei nochmals ausdrücklich
betont, daß eine profilgerechte Erstellung von Beteiligungsformen eine tief gehende Kenntnis
der sehr differenzierten und komplexen sozialen Lebenswelt in Altenhagen verlangt. Um
Beteiligungsmodelle für Altenhagen zu entwerfen, die etwa der sozialen Lebenssituation und
den Bedürfnissen von Frauen und Jugendlichen genügen sollen, ist es daher unerläßlich,
Lebensraum und Lebenswelt dieser Bevölkerungsgruppen in Altenhagen eingehender als
bisher empirisch zu erkunden. Inhalte einer solchen zielgruppenbezogenen empirischen
Untersuchung könnten sich beispielsweise auf folgende Aspekte beziehen:
•
die Analyse familiärer Bindung und anderer sozialer Netze
•
die Erforschung
orientiert)
•
die Untersuchung der Bildungs- bzw. Erwerbssituation und der sozialen
Lebenslage
•
eine Lebensstilanalyse
•
die Untersuchung des Freizeit- und Konsumverhaltens
•
inter- und intraethnische Schichtungsspezifika
•
die Ermittlung der Verweildauer
•
die Untersuchung des Aktionsradius und kognitive Stadtpläne
•
die Erkundung bevorzugter Streif- und Aufenthaltsräume
•
die Erforschung räumlicher Orientierungsmuster (lokal/regional)
von
Wertorientierungen
(religiös
geprägt/westlich
Da zum jetzigen Zeitpunkt auf Daten solcher Art nicht oder nur ansatzweise zurückgegriffen
werden kann, sind die hier skizzierten Beteiligungsmodelle lediglich als erste Anregungen zu
sehen, die sich im wesentlichen an den oben beschriebenen Anforderungen an
Partizipationsmodelle orientieren oder sich auf einschlägige Erfahrungen im Bereich der
Partizipation beziehen.
41
Modell 1: Entwicklung eines Wohnbereichszentrums mit öffentlicher und privater
Infrastruktur
Zielgruppe/Orientierung
Wohnbereich mit Dominanz von Bewohnern, vorwiegend Frauen türkischer Herkunft
Soziale Merkmale der Zielgruppe
Frauen verbringen in der Regel einen weitaus höheren Anteil im Stadtteil und sind in
besonderer Weise auf die Ausstattung des unmittelbaren Wohnumfeldes angewiesen. Da
Frauen im allgemeinen räumlich immobiler sind und die Sorge um die Kinder sie verstärkt an
das eigene Wohnviertel bindet, sind ihre Handlungsräume stark an die Multifunktionalität des
Stadtviertels gebunden, in dem ausreichend Infrastruktureinrichtungen, etwa der
Kinderbetreuung, zur Verfügung stehen. Dies gilt um so mehr für Altenhagen, wo ein sehr
hoher Anteil allein erziehender Frauen lebt. Hinsichtlich der besonderen Situation
ausländischer Frauen ist zu berücksichtigen, daß sie oft in stark hierarchisch strukturierten
(familiären) Sozialgefügen leben. Beteiligungsmodelle müssen auf diese sozialen Netzwerke
und die daraus resultierenden Verhaltensmuster abgestimmt sein. Durch eine gezielte
Einbindung in die Institutionen Kindergarten und Schule über die rollenspezifische
Aufsichtspflicht der ausländischen Frauen oder durch die erweiterte Nutzung anderer, von
Frauen bereits aufgesuchten Gelegenheiten, wäre hier ein Ansatz für Beteiligung bzw. für
eine Verbesserung der Lebenssituation dieser Zielgruppe innerhalb des Stadtteils denkbar.
Beteiligungsform
Am Standort ist bereits eine Gelegenheit etabliert, die dieser Ethnie vertraut ist und von ihr
genutzt wird. So gibt es in Altenhagen zum Beispiel einen vom Kinderschutzbund
betriebenen Second-hand-Laden, der verstärkt von Frauen türkischer Herkunft aufgesucht
wird.
Ausgehend von diesem zunächst praktischen Interesse könnten zusätzliche Angebote diese
Gelegenheiten zum Wohnbereichszentrum erweitern:
• Einrichtung eines (priv.) Cafes
• Einrichtung privater Dienstleistungen (Reisebüro, Hol- und Bringedienste etc.)
• Einrichtung von öffentlichen Dienstleistungen (Beratung zu Wohnungsfragen,
Schuldnerberatung, Sozialhilfe, Schulangelegenheiten, Arbeitsvermittlung etc.).
Mögliche Ergebnisse
Das Projekt kann einen Beitrag zur Verbesserung der infrastrukturellen Versorgung für die
Ethnie leisten sowie die Versorgung des Gesamtquartiers verbessern, indem eine öffentliche
42
Förderung dieses Zentrums mit Versorgungsangeboten für das Gesamtquartier verknüpft
wird.
Zudem können positive Effekte für Unternehmensgründungen im Dienstleistungsbereich
entstehen.
Modell 2: Entwicklung von Wohnumfeldverbesserungsmaßnahmen im Quartier
Zielgruppe/Orientierung
Bereich mit besonderer Problemlage (z.B. hohe Verkehrsgefährdung, „Angstraum“, schlechte
Aufenthaltsqualität)
Wie sich den Expertengesprächen entnehmen läßt, besteht in den Augen vieler Bewohner
gerade
hinsichtlich
einer
mangelhaften
Aufenthaltsqualität
Handlungsbedarf.
Wohnumfeldverbesserungen können somit einen wichtigen Beitrag zur Aufwertung und zur
Wohnzufriedenheit im Quartier leisten.
Beteiligungsform
Mit den Maßnahmen ist eine praktische Mitarbeit von Bewohnern des Quartiers verbunden:
unter fachlicher Anleitung werden z.B. Ruhebänke aufgestellt, Bäume gepflanzt oder
Anstrich-, Pflaster- und Reinigungsarbeiten durchgeführt. Die Tätigkeit sollte in einem
überschaubaren (zeitlichen) Rahmen stattfinden, eine Betreuung etwa auch in Form von Essen
und Getränken sollte finanziell von der Stadt unterstützt werden.
Mögliche Ergebnisse
Das Projekt kann die Aufenthaltsqualität innerhalb des Quartiers verbessern.
Durch die praktische Mitarbeit von Quartierbewohnern kann ein Beitrag zur Identifikation mit
dem Stadtteil geleistet werden.
In Folge der praktischen Tätigkeiten können sich kommunikative Strukturen entwickeln, die
nicht zuletzt die Aktivitätsbereitschaft für Anschlußprojekte erhöhen.
Zudem könnten positive Effekte bezüglich der Wiedereingewöhnung in berufliche Tätigkeiten
erzielt werden.
43
Modell 3: Entwicklung von projektbezogener Jugendarbeit im Quartier
Zielgruppe/Orientierung
Jungen und Mädchen, insbesondere türkischer Herkunft
Soziale Merkmale der Zielgruppe
Altenhagen ist durch einen hohen Anteil Jugendlicher ausländischer Herkunft geprägt, bei
denen sich oft hohe Defizite im (schulischen) Bildungsbereich verzeichnen lassen. Wie
unterschiedliche Experten äußern, läßt sich zudem im Moment bei vielen Jugendlichen eine
Rückzugstendenz in die eigene ethnische Gemeinschaft und in religiös geprägte traditionelle
Verhaltensmuster beobachten.
Andererseits läßt sich vermuten, daß viele Jugendlichen eine ausgeprägte Konsumhaltung und
starke Freizeitorientierung haben, die sich auf praktische oft auch körperliche (sportliche)
Tätigkeiten bezieht. An diesem Interessen- und Aktionsfeld müssen sinnvollerweise
Beteiligungsangebote für Jugendliche ansetzen.
Beteiligungsform
Die Jungen und Mädchen beteiligen sich selbständig und/oder unter Betreuung von
Fachleuten an projektorientierter Arbeit. Die Projektarbeit kann an das im Aufbau befindliche
Jugendzentrum angeschlossen werden. Dabei sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:
•
Die Arbeit sollte in Gruppen stattfinden, die sich allen Ethnien öffnen, und eine
kommunikative Gruppendynamik zulassen, in diesem Sinne ein Alternativmodell zu
klassischen Schul- bzw. Unterrichtsformen darstellen. Da Jugendliche sich sehr stark über
Gruppenzugehörigkeit (peer-groups) bestimmen, könnte dies die Bereitschaft zur
Teilnahme erhöhen.
•
Die Arbeit muß in einem überschaubaren Rahmen stattfinden. Sie sollte den Jugendlichen
kurzfristige Erfolgserlebnisse vermitteln können.
•
Inhaltlich muß die Projektarbeit auf vorhandene (Freizeit)Interessen der Jugendlichen
Bezug nehmen. Zudem sind geschlechtsspezifische Aspekte zu berücksichtigen. Im
Einzelfall wird daher zu überlegen sein, ob man geschlechtlich gemischte oder nicht
gemischte Projektgruppen einrichtet.
•
Die Projektziele dürfen die Jugendlichen nicht überfordern, das Kommunikationsangebot
muß auf die Fähigkeiten der Jugendlichen zugeschnitten sein. Auf die Projektarbeit in
Altenhagen bezogen dürfte davon auszugehen sein, daß Tätigkeiten und Anforderungen
eher im praktischen Bereich anzusiedeln sind als etwa in Formen der verbalargumentativen Selbstdarstellung.
•
Es müssen genügend Räume der Selbstdarstellung geöffnet werden, d.h.
Aufsichtsfunktionen in der Projektarbeit sollten so gering wie möglich gehalten werden.
44
Solche Projektarbeit könnte beispielsweise in dem vielerorts schon mit gutem Erfolg
praktizierten Aufbau von lokaler Radioarbeit (Bürgerfunk) bestehen. Hier können Jugendliche
unter Anleitung ihre typische Subkultur, die häufig eng mit Interessen im Bereich Musik
verbunden werden kann, zum Ausdruck bringen.
Im Bereich Sport/Bewegung wäre als Beispiel für ein geschlechtsspezifisches Projekt eine
Mädchen-Tanzgruppe denkbar. Die Projektarbeit könnte sich aber ebenso auf den
handwerklichen Bereich beziehen, etwa Kfz-Werkstatt für Jungen. Hier könnte längerfristige
Projektarbeit eingerichtet oder etwa gezielt auf Veranstaltungen/Termine hingearbeitet
werden, z.B. Erstellen einer Bühnendekoration für ein Stadtteilfest. Hier bestünde etwa in
Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer oder mit lokalen Betrieben die Möglichkeit,
Einblicke in berufliche Felder zu gewähren und so möglicherweise vielleicht einen besseren
Einstieg in die Arbeitswelt zu schaffen.
Mögliche Ergebnisse
Die Projektarbeit kann wesentlich zur Stärkung des Selbstbewußtseins von Jugendlichen
beitragen. Durch Gruppenarbeit, in der die Jugendlichen angeleitet werden, sich auf andere
einzulassen und Meinungsverschiedenheit gewaltfrei und konstruktiv auszutragen, kann eine
Form der Konfliktprävention betrieben werden. Die Projektarbeit kann den Erwerb von
Kompetenzen unterstützen und den Einstieg in Berufs- und Ausbildungsfelder fördern. Durch
die Selbstverwirklichung der Jugendlichen in der Projektarbeit kann die Zufriedenheit mit der
gegenwärtigen Lebenssituation im Quartier gesteigert und eine höhere Verweildauer im
Stadtteil in der Zukunft erreicht werden.
45
Literatur
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Bauhardt, Christine; Ruth Becker (Hrsg.) (1997): Durch die Wand! Feministische Konzepte
zur Raumentwicklung, Pfaffenweiler
Hamm, Bernd; Neumann, Ingo (1996): Siedlungs-, Umwelt- und Planungssoziaologie,
Opladen
Isoplan (Hrsg.) (1985): Länderkundliche Informationen Türkei, Saarbrücken, Bonn
Selle, Klaus (2000): Zur sozialen Selektivität planungsbezogener Kommunikation. Angebote,
Probleme und Folgerungen; in Harth u. a. (Hrsg.): Stadt und soziale Ungleichheit
Stiftung Mitarbeit (Hrsg.) (1997): Bürgerbeteiligung und Demokratie vor Ort. Beiträge zur
Demokratieentwicklung von unten, Nr. 10, Bonn
Stiftung Mitarbeit (Hrsg.) (1999): Kinderpolitik − Kinderbeteiligung, Kinder− und
jugendpolitische Beteiligungsmodelle. Beiträge zur Demokratieentwicklung von unten, Nr.
13, Bonn
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