Der weiße Fleck

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THEMA
ALTE MENSCHEN IN DER ENTWICKLUNGSPOLITIK
Der weiße Fleck
Der Anteil der SeniorInnen wächst weltweit, auch in den Entwicklungsländern. Doch im Gegensatz zu Deutschland können
sie selten mit staatlicher Unterstützung rechen. Die Armut im
dritten Lebensabschnitt ist groß.
TEXT: ALBERT RECKNAGEL
K
einer der Ingenieure aus dem
Projekt hat uns jemals nach unseren Ansichten gefragt“, stellt
Don Feliciano, ein 67-jähriger guatemaltekischer Bauer, enttäuscht fest.
Auch in Guatemala hat sich ein gravierender Wandel in der Wahrnehmung
von Alter und Erfahrung durchgesetzt:
Alt ist gleichbedeutend geworden mit
dumm, macht- und nutzlos.
In staatlichen wie nicht-staatlichen
Entwicklungsprojekten setzt man ausschließlich auf junge und möglichst
studierte Fachleute. Lokales Wissen,
praktische Lebenserfahrung, Lebensweisheit, natürliche Autorität – das ist
„out“, nicht gefragt. Alte Menschen
werden übergangenen oder sogar bewusst ausgeschlossen, indem sie z.B. zu
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den Gemeinde- und Projektsitzungen
erst gar nicht eingeladen werden. „Die
Entwicklungsexperten, egal ob einheimische oder ausländische, übersehen
uns einfach. Wir gelten als sterbende
Generation, die man für die weitere
Zukunftsplanung nicht mehr braucht“,
fasst Don Feliciano seine Erfahrungen
mit Projekten der Entwicklungshilfe
verbittert zusammen.
1 Dollar pro Tag
Die persönliche Erfahrung des guatemaltekischen Kleinbauern spiegelt
sich in den Konzeptpapieren, Informationsbroschüren und Websites der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Die Internet-Suche auf der BMZWebsite ergibt ganze 14 Treffer für die
EL SALVADOR
MITTELAMERIKA
Stichworte „alte Menschen“ und „Se- gen. Der größte und schnellste Anstieg
nioren“. Bei der „Zielgruppe“ Frauen wird in den Entwicklungsländern prosind es immerhin 500,
gnostiziert. Dann
bei Kindern 450. Zwar
wird es erstmals in
tauchen in den jüngsten
der Geschichte der
„Wir gelten als sterStrategie- und PolitikpaMenschheit mehr
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soziale Modernisieeine
Entwicklungspolirung zielenden Enttik, die alte Menschen einbezieht und wicklungsprogramme stigmatisieren
fördert. Der Zwischenbericht des BMZ alte Menschen bis heute als wirtschaftüber den „Beitrag Deutschlands zur lich unproduktive, passive und rückUmsetzung der Milleniums-Entwick- wärtsorientierte Vertreter traditioneller,
lungsziele“ (MDG) von 2005 erwähnt will sagen: veralteter Lebensstile. Ballast
alte Menschen nicht ein einziges Mal.
für die Zukunft.
Dabei würde allein die MDG-Zielvorgabe „den Anteil der Menschen [zu] Weisheit ist out
halbieren, deren Einkommen weniger Die Rolle und Wirkung alter Menschen
als 1 Dollar am Tag beträgt“, auch min- auf der Ebene von Familie, Gemeinde
destens 50 Millionen Menschen über und Gesellschaft werden systematisch
60 Jahre betreffen. Es finden sich keine übersehen. Das Potential alter MenHinweise, wie Armutsbekämpfung und schen, ihr Erfahrungswissen, ihr prakEntwicklungspolitik diese Menschen tisches Können, ihre soziale Kompeerreichen wollen. Dabei sind die Fakten tenz am Arbeitsplatz, im öffentlichen
bekannt: Bis zum Jahr 2050 wird die Leben und der Familie wird nicht zur
Zahl der über 60-jährigen weltweit von Kenntnis genommen. Selbst in interna600 Millionen auf 2 Milliarden anstei- tionalen und staatlichen Bildungs- und
Ihre Lebensweisheit
und ihre natürliche
Autorität ist heute
nicht mehr gefragt:
Alte Menschen leben
am Rand der Gesellschaft und meist in
bitterer Armut.
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„Das Alter ist
unwichtig, was
zählt ist die Geisteshaltung“,
steht auf diesem
Plakat eines alten
Bolivianers bei
einer Demonstration.
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Gesundheitsprogrammen werden sie
kaum wahrgenommen.
Die AIDS-Statistiken hören bei 49
Jahren auf. Soweit dies zu ermitteln war,
gibt es im Rahmen der Entwicklungshilfe keine Kreditprogramme für alte
Menschen. Das Risiko der „Nichtrückzahlung aufgrund von Tod“ erscheint
als zu hoch.
Für die große Mehrheit der etwa 350
Millionen Menschen über 60 Jahre in
den Entwicklungsländern ist „alt sein“
gleichbedeutend mit „arm sein“. Nur
eine Minderheit von 20 Prozent verfügt über eine soziale Grundsicherung
in Gestalt von Rente, Ersparnissen und
Krankenversicherung. 100 Millionen leben derzeit von weniger als 1 US-Dollar
am Tag. Die HIV/AIDS-Pandemie hat
zur Folge, dass inzwischen 30 Prozent
aller Haushalte in Subsahara-Afrika von
Großeltern gemanagt werden. Altersarmut ist chronisch und trägt ein weibliches Gesicht.
Erst als sich der entwicklungspolitische Fokus auf Wirtschaftswachstum
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entschärft und „menschliches Wohlbefinden“ mit dem Weltsozialgipfel in
Kopenhagen 1995 zum anerkannten
Entwicklungsziel aufsteigt, ändert sich
ansatzweise auch die Wahrnehmung
von alten Menschen wieder. Auch wenn
Armut und soziale Ausgrenzung weiterhin große Hindernisse darstellen, wird
dies nun zumindest anerkannt und
man beginnt etwas dagegen zu tun.
Der Weltaltenplan
Die 2. UN-Weltaltenkonferenz in Madrid (MIPAA) hat die Milleniums-Entwicklungsziele (MDG) mit besonderem
Blick auf die demographische Entwicklung, die Lebenssituation und Bedürfnisse älterer Menschen angewendet.
Der verabschiedete zweite Weltaltenplan „International Strategy for Action
on Ageing 2002“ verdeutlicht die mit
der Alterung der Gesellschaft verbundenen Konsequenzen für den Arbeitsmarkt, für die Gesundheits-, Bildungssowie die sozialen Sicherungssysteme
und macht Aktionsvorschläge. Dabei
FOTOS: ALBERT RECKNAGEL, HELPAGE INTERNATIONAL (LONDON), CIR-ARCHIV.
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bleibt man nicht bei der Beschreibung
der Defizite und negativen Seitens des
Alterns stehen, sondern betont auch die
Potenziale und Ressourcen älterer Menschen sowie die daraus resultierenden
Chancen.
Mit der Annahme des „2. Weltaltenplans“ (2002) verpflichtet sich auch die
deutsche Bundesregierung, die Belange
älterer Menschen zukünftig in die Entwicklungspolitik einzubeziehen. Vom
internationalen Netzwerk „HelpAge
International“ in Entwicklungsländern
durchgeführte Befragungen älterer
Menschen zeigen, dass diese weltweit
vor allem drei Forderungen aufstellen:
• ein regelmäßiges Einkommen
• Zugang zur Gesundheitsversorgung
• Respektierung ihrer Rechte.
Power über 60
ZUR PERSON
„Das Alter ist unwichtig, was zählt ist
die Geisteshaltung“, steht auf dem Plakat, das ein alter Mann anlässlich einer
Demonstration in Bolivien vor sich
herträgt (Foto S.6). Alte Menschen gewinnen wieder an Selbstbewusstsein,
kämpfen gegen Diskriminierung und
fordern Rechte und Mitsprache in der
Gesellschaft.
Es liegt nun an der Zivilgesellschaft
insgesamt die Stimmen der älteren
Generation aufzunehmen und ihnen
bei den Regierungen in Nord und Süd
Gehör zu verschaffen.
Die deutsche Entwicklungspolitik – staatliche wie nicht-staatliche
– muss endlich die berechtigten Forderungen alter Menschen
über Lobbyaktivitäten
und beispielhafte Projekte und Programme
zu sozialer Sicherheit,
Gesundheit und partizipativer Entwicklung
umsetzen.
Und hier noch einige
Literaturtipps:
• Mark Gorman: Development and the Rights
of Older People. In: The
Ageing and Development Report, London
1999; • HelpAge Deutschland/Caritas International:
Die unsichtbare Generation. Alte Menschen
in der Entwicklungszusammenarbeit. Neue
Herausforderungen für
die Armutsbekämpfung. (Dokumentation),
Berlin 2006; • Lutz Leisering, Petra Buhr, Ute
Traiser-Diop: Soziale Grundsicherung in der
Weltgesellschaft, Bielefeld 2006.
Weitere Informationen zum Schwerpunkt
gibt es unter www.ci-romero.de oder
bei HelpAge unter www.helpage.de/
www.helpage.com
Albert Recknagel ist
seit vielen Jahren
der CIR eng verbunden, von 2001
bis 2006 auch als
Mitglied des Vorstands. Auf seinen zahlreichen
Auslandsreisen
und Projektbesu-
chen, beruflich
vor allem als Programmkoordinator bei terre des
hommes, stieß
er immer wieder
auf die prekäre
Situation alter
Menschen in den
sogenannten
Mit 66
Jahren, da
fängt das
Leben an.
Entwicklungsländern. Um ein
Problembewusstsein hierfür zu
schaffen, engagiert er sich
ehrenamtlich bei
der NGO HelpAge.
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