Weltwoche Nr. 48, 02.12.2010 Der Weg ins nachhaltige Paradies Klimaschutz, wie er derzeit an der Konferenz von Cancún verfolgt wird, ist zum Selbstzweck geworden. Eine Welt ohne fossile Brennstoffe wird als alternativlos gut angepriesen. Ob sich die Erde tatsächlich weiter erwärmt, spielt dabei immer weniger eine Rolle. Von Dirk Maxeiner Über die internationale Klimaforschung wird viel diskutiert, eines aber ist unstrittig: Ihr Unterhaltungswert steigt von Jahr zu Jahr. So auch dieser Tage wieder, als Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung verkündeten: «Harte Winter widersprechen nicht dem Bild globaler Erwärmung, sondern vervollständigen es eher.» Vor zehn Jahren behauptete die Zunft genau das Gegenteil. «Winter mit starkem Frost und viel Schnee wird es in unseren Breiten nicht mehr geben», gab damals das Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie als verbindliche Parole aus. Prompt legte die globale Erwärmung eine Pause ein, die nun schon zehn Jahre anhält. Wie formulierte es Johann Wolfgang von Goethe so schön: «Seltsam ist Propheten Lied, doppelt seltsam, was geschieht.» Diese Sachlage führt für die Vertreter der These von der menschengemachten globalen Erwärmung zu einem völlig neuen Arbeitsschwerpunkt: Sie haben alle Hände voll zu tun, ihre Theorien und Computermodelle nachträglich mit dem tatsächlichen Klimaverlauf in Übereinstimmung zu bringen. Und das tun sie wirklich konsequent: Völlig egal, was passiert, es bestätigt in jedem Fall die eigenen Annahmen. Selbst eine neue Eiszeit würde die Theorie von der unaufhaltsamen globalen Erwärmung nicht widerlegen, sondern sie «vervollständigen». Die Klimadebatte erinnert insofern stark an den Witz über die vier Hauptfeinde in der sozialistischen sowjetischen Landwirtschaft: Frühling, Sommer, Herbst und Winter, die beiden Nebenfeinde Tag und Nacht. Immun gegen Kritik Der Astrophysiker Stephen Hawking beschrieb das Phänomen einmal so: «In der Praxis widerstrebt es Menschen, eine Theorie aufzugeben, in die sie viel Zeit und Mühe investiert haben. Gewöhnlich stellen sie deshalb die Genauigkeit der Beobachtungen in Frage. Wenn das nicht klappt, versuchen sie die Theorie von Fall zu Fall so abzuändern, dass sie zu den Beobachtungen passt. Schliesslich verwandelt sich die Theorie in ein schiefes und hässliches Weltwoche Nr. 48, 02.12.2010 Gebäude.» Die Hohepriester der globalen Erwärmung bilden mehr und mehr eine Parallelgesellschaft, die sich gegen Kritik völlig immunisiert hat. Sie glauben ihren Computerbildschirmen mehr als dem Blick aus dem Fenster oder dem auf das Thermometer. Einzig der Bürger, dieser ignorante Lümmel, wird allmählich skeptisch, wie viele Umfragen zeigen. Den Widerspruch fördern neben frostigen Wintern auch willkürlich hochangesetzte Strompreise, staatlich verordnete Dämmstoff-Exzesse, europäische Glühbirnenverbote und dergleichen. Wen wundert es: Der ursächliche Zusammenhang zwischen solchen Klimaschutzmassnahmen und der künftigen Klimaentwicklung ist etwa so nachvollziehbar wie der zwischen einer Sonnenfinsternis und dem Intelligenzquotienten der Weltbevölkerung. «Ändert die Story» Doch, um mit Erich Honecker zu sprechen: Den Klimaschutz in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf. Weil das Klima macht, was es will, wechseln die Weltretter vorsorglich schon mal die Argumentationsebene. Es geht darum, den Menschen klarzumachen, warum all die verordneten Massnahmen und Opfer auch dann alternativlos sind, wenn das Klima sich anders entwickelt als prognostiziert. Connie Hedegaard, Präsidentin des letzten Klimagipfels in Kopenhagen, musste seinerzeit bei den entscheidenden Verhandlungen der USA mit Indien und China zusammen mit den anderen Europäern leider draussen bleiben. Hedegaard, jetzt Klimakommissarin der Europäischen Union, hat daraus für den Gipfel in Cancún gelernt: «Ändert die Story. Erzählt positive Geschichten.» Klimapolitik ist in diesen Erzählungen so eine Art Eier legende Wollmilchsau, die Ressourcen schont, Arten rettet, Arbeitsplätze schafft, den Hunger beseitigt und Gerechtigkeit über die Welt kommen lässt. «Leben in einer kohlenstoffarmen Welt» hiess unlängst eine Konferenz in Brüssel, an der diese neue, diesmal grüne Utopie beschworen wurde. «Der Klimagipfel in Cancún ist keine Klimakonferenz, sondern eine der grössten Wirtschaftskonferenzen seit dem Zweiten Weltkrieg», sagt beispielsweise Ottmar Edenhofer, Ökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Und er fügt hinzu: «Man muss sich von der Illusion frei machen, dass internationale Klimapolitik Umweltpolitik ist.» Es geht plötzlich nicht mehr um die Welttemperatur, sondern um den Weg ins nachhaltige Paradies und ähnlich ambitionierte Ziele. Und der führt über eine «grosse Transformation», wie sie der Direktor des Potsdam-Institutes, Hans Joachim Schellnhuber, Weltwoche Nr. 48, 02.12.2010 herbeiwünscht. Beide Transformateure haben im «Weltklimarat» IPCC grossen Einfluss. Und wie sie den zu nutzen gedenken, formulierte Ökonom Edenhofer in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung so: «Man muss ganz klar sagen: Wir verteilen durch die Klimapolitik de facto das Weltvermögen um.» Erschienen in der Weltwoche Ausgabe 48/10