„Rererevolution: Sexualität und Beziehungskonstrukte zwischen Selbst- und Fremdbestimmung Foto: Rainer Kriesch Expertin: Verena Kuckenberger Im Workshop „Rererevolution: Sexualität und Beziehungskonstrukte zwischen Selbst- und Fremdbestimmung“ wurde eingangs versucht, eine allgemeine Reflexion des persönlichen Sexualitätsbegriffes durchzuführen. Anfänglich zaghafte Begriffe, die in den Raum geworfen wurden, verdichteten sich schon bald zu einem festen Netz aus Schlagwörtern, die viele von uns mit Sexualität assoziieren würden, manche auch nicht. Durch diese anfängliche Übung wurde bereits der erste Schritt in das inhaltliche Arbeiten gesetzt: Die Vielfältigkeit von Sexualität wurde von Anfang an aufgezeigt, auf ihr baute der Workshop auf. Auf diese Vielfältigkeit kehrte auch die inhaltliche Linie immer wieder zurück. Ein weiterer inhaltlicher Leitfaden für die Inputs und Diskussionen war die Orientierung an der „ersten und zweiten sexuellen Revolution“: Ein Teil der Workshopzeit wurde aufgewandt, um einen Text zu lesen, der die Phase der ersten sexuellen Revolution – der sexuellen Revolution des 18. Jahrhunderts - genauer beleuchtete. In der Zeit vor der ersten sexuellen Revolution - bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts - war Sexualität immer eine öffentliche Handlung und Angelegenheit. Sexuelles „Fehlverhalten“, wie etwa verbotene Stellungen beim Sex oder Geschlechtsverkehr mit einer Person, die nicht der/die eigene PartnerIn war, wurde schwer bestraft, Sexualität streng reglementiert. Die sexuelle Überwachung war ein fester Bestandteil der vormodernen Gesellschaft und Ausdruck der (noch immer) bestehenden Machtverhältnisse: Patriarchat und Klassen wurden dadurch gefestigt, sexuelle Überwachung wurde zum praktischen Mittel von Machterhalt. Erst nach langer Zeit, die von christlicher Scheinmoral geprägt war, änderten sich die Verhältnisse und parallel zur religiösen Toleranz erwuchs auch eine sexuelle Toleranz. Viele neue Freiheiten – vor allem für Männer – entstanden. Zur gleichen Zeit veränderte sich die Vorstellung von weiblicher Sexualität drastisch: Frauen durften nun nur mehr tugendhafte, reine Wesen sein. Gleichzeitig durften Männer ihre Sexualität voll auskosten – etwa mit Sexarbeiterinnen. Die Doppelmoral, die damals entstand, spüren wir heute oftmals noch immer. Nach einer Diskussion dieses Textes ging es an die Bearbeitung eines Textes, der die Veränderung der allgemeinen Situation beleuchtet: Lange Zeit blieben diese Moralvorstellungen bezüglich Sexualität relativ unverändert. Erst in den 1960er Jahren kam es zu einem spürbaren Umschwung. Gedacht als Gegenmodell zur bürgerlichen Kleinfamilie, als Reaktion auf autoritäre und konservative Strukturen, entstanden Kommunen. In ihrem Rahmen wurde versucht, die traditionellen Familienstrukturen aufzubrechen und Sexualität zu befreien. Sexualität – etwas vormals Privates – wurde vor allem in privilegierten und elitären Kreisen zu etwas Politischem und somit Öffentlichem gemacht. Durch Demonstrationen und ähnliches konnte dieser Diskurs in den späten 60ern auch in die breitere Gesellschaft getragen werden. Schließlich folgte ein breiteres Umdenken, das sich in einer „unpolitischen sexuellen Revolution“ äußerte. Sex wurde als etwas zu einer Beziehung Gehörendes diskutiert. Sex wurde mit Lust für beide PartnerInnen in Verbindung gebracht. Vor allem die Sexualität von Frauen wurde endlich erkannt. Erste Sexshops eröffneten und Sexualität gewann ganz neue Aspekte, unter anderem auch den konsumkapitalistischen, den sie bis heute in sehr vielen Bereichen fortträgt. Sexuelle Befreiung unter dem Diktat des Kapitalismus – auch das passierte zu dieser Zeit. Schließlich wurde im Workshop auch Bezug auf aktuelle Debatten rund um Sexualität Bezug genommen. 50 Shades of Grey waren ebenso ein Thema wie Rollenbilder und Pornographie. das Verhältnis zwischen Kapitalismus und Sexualität wurde ebenso diskutiert. Die gute Durchmischung der Workshop-Gruppe ermöglichte viele spannende Diskussionen rund um die verschiedensten aktuellen Entwicklungen und Themen. Der gemeinsame Nachmittag lässt sich mit den folgenden (politischen) Ableitungen zusammenfassen: Aus der Diskussion um die sexualitätsbefreiende Revolution der 68er ließ sich ableiten, dass viele Themen, die damals behandelt wurden, heute fast gänzlich aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden sind: Die Forderung nach einer Diskussion um die Verteilung von Reproduktionsarbeit ist eine enorm wichtige. Erst durch sie kann vieles aufgebrochen werden, das uns heute in Rollen zwängt und eine Gleichberechtigung von Frauen faktisch unmöglich macht. - Eine Diskussion um das Thema Frauenrecht Abtreibung wird heute kaum noch geführt. Die meisten Menschen nehmen dieses Recht als gegeben und unantastbar. Parallel dazu existieren aber bis heute zu viele reaktionäre Gruppierungen, die dieses Recht anzweifeln. Ihr Ziel ist ein Verbot der Abtreibung. Unser Kampf hat also noch lange kein Ende, vehementes Ankämpfen gegen diese Gruppierungen ist auch heute noch mehr als nur notwendig. Im Rahmen der Diskussion zum Thema aktuelle Entwicklungen in Bezug auf Sexualität und öffentliche Wahrnehmung wurde besonders intensiv das Phänomen 50 Shades of Grey diskutiert. Es ergab sich daraus die Forderung nach einem fundierten öffentlichen Diskurs zum Thema BDSM (Bondage/Discipline, Dominance/Submission und Sadomasochismus). Im Zusammenhang mit der Thematik BDSM wurde ebenso sexualisierte Gewalt diskutiert. Da Privates heute immer weniger öffentlich ist, liegt es an der Öffentlichkeit, dieses Thema aufs Tapet zu bringen und zu diskutieren. Die Forderung danach, sexualisierte Gewalt öffentlich „zum Thema“ zu machen wurde ebenso als eine sehr wichtige gewertet. Aus allen Texten und insbesondere aus der Diskussion um die aktuelle gesellschaftliche Situation in Hinblick auf Sexualität ließ sich vor allem die Forderung ablesen, dass eine kritische Reflexion von Rollenklischees gesamtgesellschaftlich dringend notwendig ist. Biologistische Ansätze beherrschen bis heute den größten Teil der Öffentlichkeit. Sie zählen mitunter zu den gefährlichsten und reaktionärsten, da durch sie das Patriarchat gerechtfertigt wird. Anknüpfend an das Thema Klischees und Rollenbilder entwickelte sich eine weitere Forderung. So wie die allermeisten Medien ist auch die Pornographie beherrscht von Rollenbildern. Sie reproduziert mitunter auf eine besonders gefährliche Art Rollenbilder und führt zu verzerrten Bildern von Sexualität und Lust. Die Forderung nach der Förderung von vielfältiger statt einfältiger Pornographie, fernab von Rollenbildern, Klischees und Heteronormativität kristallisierte sich somit als eine sehr wichtige heraus.