Montag, 3. Dezember 2012 | Nordwestschweiz Montagsinterview 3 Willy Benz Der Astrophysiker spricht über «Cheops», die erste Weltraummission der Schweiz, und über Ausserirdische «Klar, ich möchte ausserirdisches Leben finden» der Fall ist. Könnten wir dann mit diesen Wesen Kontakt aufnehmen? Bis dorthin braucht das Licht etwas über vier Jahre Reisezeit. Es würde also acht Jahre dauern zwischen dem ersten Hallo und der Antwort. Eine etwas mühsame Konversation. VON RAFFAEL SCHUPPISSER Mit grossen Teleskopen und teuren Hightech-Instrumenten erforscht Willy Benz, Professor für Astronomie, den Weltraum. In seinem Büro an der Universität Bern ist davon wenig zu sehen. Es stapeln sich Bücher und Unterlagen. Im Zentrum steht ein Tisch für Besprechungen und am Fenster ein Laptop. Hier schreibt der Astrophysiker seine Forschungspapiere, die von Wissenschaftern in der ganzen Welt beachtet werden. Wozu tun wir das überhaupt – den Weltraum erforschen? Aus Neugierde. Wenn der Mensch nicht neugierig wäre, sässen wir noch immer in Höhlen. Der Mensch hat immer experimentiert. Heute nennt man das «Wissenschaft». Ich denke, es besteht für jede Generation die Pflicht, zu forschen, sodass die nächste Generation von den Ergebnissen profitieren kann. Hätten unsere Urgrosseltern nicht in die Forschung investiert, gäbe es weder Autos noch Computer noch Handys. Herr Professor Benz, können Sie sich an den Tag erinnern, als Neil Armstrong den Mond betreten hat? Willy Benz: Natürlich, das war sehr faszinierend. Ein grosser Moment! Ich habe das Ereignis als 13-Jähriger mitten in der Nacht am Fernseher live verfolgt. Dafür nehmen wir enorme Kosten auf uns. Kosten sind immer relativ zu sehen. Der Mars Rover Curiosity hat zwei Milliarden Franken gekostet. So viel hat der UBS-Trader in London verloren. Wenn Sie mich fragen: Die Nasa hat das Geld besser investiert. Und Cheops kostet uns deutlich weniger als ein Gripen-Kampfjet. Lassen Sie mich raten: Danach wollten Sie Astronaut werden? Nein, ich war weder flugbegeistert noch ein Draufgänger. Aber ich begann, mich für den Mond, die Planeten und die Sterne zu interessieren. Heute sind Sie Astrophysiker und Vorsitzender des «Center for Space and Habitability» in Bern. Was machen Sie und Ihre Kollegen da? An unserem Institut arbeiten ungefähr 60 Wissenschafter mit breiten Interessen. Wir bauen selber Messinstrumente für Teleskope und setzen diese ein, um das Weltall zu erforschen. Bern hat über 40 Jahre Erfah- Man könnte aber dieses Geld auch anders investieren. Etwa, um die Hungersnot zu bekämpfen oder die Klimakatastrophe abzuwenden. Es ist immer eine Frage der Priorität. Natürlich ist die Klimaforschung sehr wichtig. Dafür wird ja auch viel «Wir können Planeten identifizieren, auf denen es Leben geben könnte.» «Der Mensch hat immer experimentiert. Heute nennt man das ‹Wissenschaft›.» rung in der Weltraumforschung. Verschiedene Missionen mit Berner Instrumenten an Bord wurden geflogen. Bereits bei der ersten Mondlandung war ein Berner Instrument an Bord, das sogenannte Sonnensegel. Dieses haben die Astronauten noch vor der US-Flagge aufgerichtet. Geld ausgegeben. Und es werden dazu Instrumente genutzt, die sich unter anderem dank der Raumfahrt entwickelt haben, nämlich Satelliten. Die Schweiz übernimmt in den nächsten drei Jahren zusammen mit Luxemburg die Präsidentschaft der ESA. Was dürfen wir erwarten? Wir können Einfluss auf die Weltraumforschung nehmen in einer Zeit, in der die Rolle der Europäischen Raumfahrtagentur neu diskutiert wird. Für die Schweiz als NichtEU-Mitglied ist das sehr wichtig. Kürzlich hat die Universität Bern den Zuschlag der Europäischen Raumfahrtagentur ESA für eine Weltraummission erhalten. Ein bedeutender Schritt für die Schweiz? Ja, zum ersten Mal übernimmt die Schweiz die Federführung einer wissenschaftlichen Weltraummission. 2017 werden wir den Satelliten Cheops in die Erdumlaufbahn schiessen. Möglich wird dies, weil die ESA nun auch kleine Missionen um die 100 bis 150 Millionen Euro unterstützt. Was wird Cheops im Weltall machen? Cheops wird den Durchmesser von Planeten ausserhalb unseres Sonnensystems bestimmen. Dafür misst er die Helligkeit ausgewählter Sterne. Diese nimmt ein wenig ab, wenn ein Planet vor dem Stern vorbeizieht. Aus diesem Helligkeitsunterschied lässt sich der Durchmesser des Planeten bemessen. Wenn wir nun die Planeten messen, von denen wir schon die Masse kennen, lässt sich die Dichte berechnen. Daraus lässt sich auf Willy Benz, hier in seinem Büro in Bern, vergleicht Weltraumforschung mit einer Ferienreise. die Zusammensetzung des Planeten schliessen. Wir wissen dann etwa, ob es ein Gasplanet wie Jupiter oder ein Gesteinsplanet wie die Erde ist. Werden Sie auch feststellen, ob auf den Planeten Ausserirdische leben? Nein, dafür sind unsere Instrumente nicht geeignet. Aber wir können Planetenkandidaten identifizieren, auf denen es Leben geben könnte, sodass sie in einer Folgemission weiter untersucht werden können. Eine dieser Folgemissionen wird das James-Webb-Teleskop sein, das die Nasa 2018 in die Erdumlaufbahn schicken will. «Cheops» wird einige der wichtigsten Ziele dafür liefern. Es geht aber nicht nur um die Suche nach ausserirdischem Leben, sondern auch darum, das Weltall besser zu verstehen. Letztlich möchte aber jeder Planetenforscher ausserirdisches Leben finden … Ja, klar. Aber auch der Weg zum Ziel ist spannend. Man kann das vergleichen mit einer Ferienreise in ein fremdes Land. Nicht nur das Hotel ist interessant, sondern auch die Strecke dahin: die neue Umgebung, die dort lebenden Menschen etc. So ist es auch bei unserer Forschung. Jeder Planet, den wir finden, ist spannend. Was wäre, wenn man tatsächlich Leben finden würde? Willy Benz Der 57-Jährige ist seit 2002 Direktor des Physikalischen Instituts der Universität Bern und Präsident des wissenschaftlichen Ausschusses am dortigen «Center for Space and Habitability». Benz studierte Physik an der Universität Neuchâtel und promovierte 1984 an der Universität Genf. Seit 2010 ist Benz Vorsitzender des «Space Science Advisory Comittee» der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern. (RAS) Das wäre natürlich sensationell. Wissenschaftlich gesehen hätten wir aber noch nicht viel gelernt. Wir wüssten noch nicht, warum sich gerade dort Leben entwickeln konnte. Sie sind zu bescheiden. Wir hätten eine der meist gestellten Fragen beantwortet. Ja, philosophisch betrachtet ist das sicher so. Wir wüssten dann, dass wir nicht allein sind im Weltall. Wann werden Sie oder Ihre Kollegen Leben finden? Das weiss ich nicht. Es ist schwierig, in der Wissenschaft, Vorhersagen ANETTE BOUTTELIER über mehr als fünf Jahre zu machen. Vor 20 Jahren hatten wir noch keine Idee von Planeten ausserhalb unseres Sonnensystems. Heute kennen wir Hunderte. Gut möglich, dass wir in weiteren 20 Jahren einen kennen, auf dem es Leben gibt. Kürzlich haben Sie mit Ihren Genfer Kollegen den ersten Planeten im benachbarten Sternsystem Alpha Centauri gefunden. Könnten dort Ausserirdische leben? Nein, dafür kreist der Planet zu nahe um seinen Stern. Auf diesem Planeten wäre es viel zu heiss für Leben. Aber es wäre möglich, dass es dort noch weitere Planeten gibt, und dass auf einem dieser Planeten Leben gedeiht. Die Chance, dass es dort weitere Planeten gibt, ist sogar ziemlich gross. Gemäss unserer Erfahrung kommen Planeten immer in Gruppen vor. So wie das ja in unserem Sonnensystem auch der Fall ist. Ob es aber einen Planeten gibt, der im richtigen Abstand zum Stern kreist, sodass die richtige Temperatur für Wasser in flüssiger Form vorherrscht, weiss niemand. Denn das ist die Bedingung für alles Leben, das wir kennen. Mal angenommen es gäbe dort tatsächlich Leben, so wie das etwa im Hollywood-Blockbuster «Avatar» Vermehrt investieren auch Private in die Raumfahrt. So übernimmt seit kurzem die Firma SpaceX für die Nasa die Versorgungsflüge zur Internationalen Raumstation ISS. Was halten Sie davon? Das ist ein Novum in der Weltraumforschung. Durch Konkurrenz soll der Zugang zum Weltall billiger werden. Davon profitiert hoffentlich auch die Wissenschaft. Verschiedene Unternehmen wollen in den nächsten Jahren Touristen in den Weltraum fliegen. Stehen Sie bereits auf einer Passagierwarteliste? Nein, dafür verdient ein Professor viel zu wenig. Das Unternehmen Planetary Resources des Raumfahrtpioniers Eric Anderson plant, Gold auf Asteroiden abzubauen. Kann das funktionieren? Die ESA plant eine Mission zu einem Asteroiden und will einige Gramm zurückbringen. Die ganze Mission kostet eine halbe Milliarde Euro. Es braucht also noch viel Fortschritte, bis sich so etwas lohnt. Und falls wirklich tonnenweise Gold zurückgebracht werden könnte, würde dieses sofort an Wert verlieren. Gold hat ja nur so viel Wert, weil es selten ist. Private Unternehmen wollen auch zum Mars. Könnten sie den Staaten zuvorkommen und zuerst einen Menschen auf den Mars senden? Ob Private oder Staaten: Solange das Ziel Wissenschaft ist, macht es für mich keinen grossen Unterschied.