Foto: M. F. de Jong 16 DIE ERFORSCHUNG DER GLOBALEN UMWÄLZ­B EWEGUNG DES OZEANS UND IHRE AUSWIRKUNGEN AUF UNSER KLIMA D I E E X Z E L L E N Z - I N I T I AT I V E D E R P R O F. D R . W E R N E R P E T E R S E N - S T I F T U N G PROF. DR. SUSAN LOZIER Position: Professor of Ocean Sciences, Nicholas School of ­Environment at Duke University, USA Spezialgebiet: Die Thermohaline Zirkulation des Ozeans Foto: M. Morr, Duke Photography 16. PETERSEN EXZELLENZ-PROFESSUR | NOVEMBER 2016 DAS GLOBALE OZEANFÖRDERBAND Gemälde von Thomas Gainsborough, 1783 GRAF RUMFORD Sir Benjamin Thompson, Reichsgraf von Rumford (1753 -1814) war Offizier, Politiker, Experimentalphysiker und Erfinder. Er hatte bedeutenden Anteil an der Weiterentwicklung der Wärmelehre. Schematische Abbildung des globalen Ozeanförderbandes. Die Pfeile weisen in ­Strömungsrichtung. Warme Oberflächenströmungen des oberen Förderbandes ­ in orange, kalte Tiefenströmungen in blau. Quelle: Lozier, 2010 Im Jahr 1800 analysierte der englische Physiker Graf Rumford Temperaturen des Meerwassers, die damals noch unter Verwendung eines Seils, eines Eimers und eines einfachen Thermometers gewonnen wurden. Aus den Ergebnissen entwickelte er eine Theorie für die globale Ozeanzirkulation, die Wärme aus den Tropen bis zu den Polen umverteilt. Heute wissen wir, dass diese Umwälz­ bewegung zusätzlich anthropogenes Kohlendioxid in die Tiefsee transportiert und somit weiteren Einfluss auf das globale Klima nimmt. Was wir bisher nur unzureichend verstehen, sind die Mechanismen, die die Stärke dieser Zirkula­ tion kontrollieren und wie sie sich in den nächsten Jahrzehnten verändern wird. Zwei Jahrhunderte nach Rumfords Arbeit soll nun das Ozeanbeobachtungs­ system OSNAP im subpolaren Nordatlantik Antworten auf diese Fragen geben. Im Jahre 1751 unterbrach der britische Kapitän Henry Ellis seine Reise in die amerikanischen Kolonien, um die Temperatur des tiefen tropischen Ozeans zu messen. Mit einem einfachen, mit Ventilen ausgestatteten Holzeimers konnte er Wassertemperaturen in ausgewählten Tiefen erfassen und so gemeinsam mit seiner Crew in mühsamer Kleinarbeit das erste bekannte Temperaturprofil des Ozeans erstellen. Wie Ellis in einem Brief erwähnte, „verstärkte sich die Kälte kontinuierlich mit der Tiefe bis in 3900 Fuß (ca. 1.200 Meter)“. Erfolgreiche Probennahmen aus großen Tiefen förderten Wasser mit Temperaturen zu Tage, das um rund 30 Grad Fahrenheit (17 Grad Celsius) kälter als die Lufttemperatur war. Jahrzehnte vergingen, bis die scheinbar offensichtliche Tatsache des kalten Tiefenwassers hinterfragt wurde. Graf Rumford, ein in Amerika geborener britischer Wissenschaftler, der Ellis‘ Briefe in den Archiven der Royal­Society of London fand, verwirrte die Tatsache, dass das Tiefenwasser in den Tropen so viel kälter als die Temperatur der darüber liegenden Atmosphäre sein konnte. Obwohl es bereits bekannt war, dass die vom Wind angetriebenen Oberflächenströmungen Wasser von einem Teil der Erde zum anderen bewegten, wurde die Tiefsee im 18. Jahrhundert allgemein für bewegungslos gehalten. Doch aus diesem einzigen Temperaturprofil schloss Rumford das Gegenteil. Im Jahr 1800 schrieb er: „Es scheint mir nur sehr schwer vorstellbar, wenn nicht ganz unmöglich, diese Kälte am Boden der heißen Zone unseres Planeten lokal zu erklären, sondern es legt die Vermutung nahe, dass dafür kalte Strömungen von den Polen verantwortlich sind“. Rumford führte ferner aus, dass diese kalte Strömungen in der Tiefe „unbedingt Oberflächenströmungen in eine entgegengesetzte Richtung erzeugen müssten“. Längsschnitt entlang von 20 Grad West für den Salz­gehalt des Atlantiks aus den Messungen der Deutschen Altantischen Expedition 1925-27. Zeichnung: G. Wüst, aus „Die Meteor-Fahrt“, G. Spieß, 1928 OZEANOGRAFISCHE GLEITER Island es rü ck jan Pla tea Irla nd Ro ck all nd Is la Faröer u be ck en Re yk I rm ing ers ee en Grönland Anteil beeinflusster Arten MEERESTRÖMUNGEN IM NORDATLANTIK Labrador Nordatlantikstrom Neufundland Schematische Abbildung der Stromsysteme im Nordatlantik. Auch wenn diese ­Darstellung schon realitätsnäher ist, sind die angedeuteten Strömungsverläufe noch stark vereinfacht. Quelle: OSNAP Mit diesen beiden Sätzen beschrieb Rumford die Umwälzbewegung in den ­ Ozeanen, die fast zwei Jahrhunderte ­später als globales Ozeanförderband bekannt wurde. Während seine Theorie auf dem einzigen Temperaturprofil von Ellis fußte, konnte später durch meridionale Schnitte nachgewiesen werden, dass das Tiefenwassers in den Tropen aus hohen Breiten stammt. Messungen während der ­ Deutschen Atlantischen Expedition 1925-1927 konnten anhand von Salzgehaltsmessungen bestätigen, dass sich Wassermassen aus dem nördlichen Nordatlantik äquatorwärts ausbreiten und dort zwischen relativ frischem Wasser antarktischen Ursprungs einschichten. bewies das Vordringen von Tritium in die Tiefe des nördlichen Nordatlantiks und seine äquatorwärtige Ausbreitung nun sehr anschaulich ihre Existenz. In den folgenden Jahrzehnten wurden Dutzende von hydrographischen Schnitten entlang verschiedener Breiten- und Längengerade im Nord- und Südatlantik erstellt, mit deren Hilfe ein dreidimensionales Bild der Temperatur-, Salzgehaltsund Sauerstoffverteilung des Tiefenwassers, das in der Labradorsee, im Mittelmeer und im Europäischen Nordmeer gebildet wird, erstellt werden und von den aus der Antarktis stammenden Wassermassen unterschieden werden kann. Ein 1972 erstellter Meridionalschnitt vom nördlichen Nordatlantik bis in äquatoriale Breiten zeigte, dass Tritium, ein Nebenprodukt aus den Atombombentests in den 1950er bis frühen 1960er Jahren, in hohen Breiten bis in große Tiefen vordringt. Während bisher Messungen von Temperatur, Salzgehalt und Sauerstoff zur Hypothese der meridionalen Umwälzbewegung benutzt wurden, Die Aufnahme von Tritium an der Ozean­ oberfläche und die nachfolgende Verlagerung in den tiefen Ozean demonstriert auch deutlich die Fähigkeit der Tiefsee als Reservoir. Heute wissen wir, dass das Meer auch ein Reservoir für anthropogen erzeugtes Kohlendioxid ist. Aus einer Serie von Expeditionen in den frühen 1990er Jahren wurde die Konzentration von anthropogenem Kohlendioxid im Ozean entlang einer Route von den Aleuten im Nordpazifik bis in den Südlichen Ozean ostwärts in den Atlantischen Ozean, und schließlich nordwärts bis nach Island ermittelt. Die Auswirkungen der Umwälzbewegung im Nordatlantik wurde anhand dieser Messungen deutlich: hohe Konzentrationen von anthropogenem Kohlendioxid in großen Tiefen in diesem Becken zeigten, dass diese Wassermasse noch vor kurzem Kontakt mit der Atmosphäre gehabt haben musste. Bergung einer CTD-Rosette mit Wasserproben vom Nordatlantik an Bord des R/V Knorr. Foto: Carolina Nobre Zur Unterstützung der fest installierten Verankerungen werden auch Gleiter eingesetzt, die autonom Meeresdaten sammeln und übermitteln können. Foto: Penny Holliday, NOC Diese Beobachtungen und entsprechende Quantifizierungen ergaben, dass etwa 30 Prozent des seit der industriellen Revolution freigesetzten anthropogenen Kohlendioxids im Ozean gespeichert sind und warfen die Frage nach der Bedeutung des Ozean im globalen Klimawandel auf: In welchem Umfang wird die Tiefsee auch in Zukunft als Reservoir für anthropogenes Kohlendioxid zur Verfügung stehen? Die Antwort auf diese Frage hängt entscheidend von unserem Verständnis der Variabilität der Umwälzbewegung ab. Es wird seit langem angenommen, dass die Stärke der Umwälzbewegung in Zusammenhang mit der Bildung konvektiver Wassermassen im Bereich der Labradorsee sowie des Zustroms von arktischem Tiefenwasser über die Schwellen des Grönland-SchottlandRückens steht. Aufbauend auf Rumfords ursprünglicher Vermutung waren die Ozeanographen im 20. Jahrhunderts der Auffassung, dass eine Erwärmung und Aussüßung des Oberflächenwassers in den hohen Breiten zu einer Verringerung der konvektiven Aktivität und Rückgang der Tiefenwasserproduktion in dieses Regionen führen würde. Jüngere Studien, unter anderem auch solche von physikalischen Ozeanographen des ­GEOMAR, zweifeln jedoch an der Gültigkeit dieses einfachen Zusammenhangs. Insbesondere ergab eine Analyse von hydrographischen Schnitten durch die Labradorsee in den Jahren 1990-1997 unter anderen durch den am Institut für Meereskunde Kiel und an der Christian-Albrechts-Universität Kiel durchgeführten Sonderforschungs­ 16. P E T E R S E N E X Z E L L E N Z - P R O F E S S U R | N O V E M B E R 2016 bereich 460, dass, obwohl die dort stattfindende Produktion von Tiefenwasser in diesen Jahren die stärkste jemals registrierte war, eine Verstärkung der Umwälzbewegung in dieser Region nicht nachgewiesen werden konnte. Daten einer Verankerung des GEOMAR im tiefen westlichen Randstrom ­ in der Labradorsee bei 53 Grad Nord zeigen eine allmähliche Erwärmung des Wassers von 1997 bis 2009, was auf eine Verringerung der Konvektionsaktivität hindeutet, jedoch keine nachweisbare Änderung in der Stärke der Tiefenströmungen. Nach den derzeitigen Erklärungsmodell müssten diese sich aber abschwächen. So bleibt die offene Frage: Welcher Mechanismus treibt die Schwankungen der Umwälzbewegung? Die Beantwortung ist für eine Reihe von anderen Fragen wichtig. Modellstudien weisen darauf hin, dass die Umwälzbewegung die Meeresoberflächentemperaturen im Nordatlantik beeinflusst, die wiederum die Niederschläge in der afrikanischen Sahel­zone, Indien und Brasilien beeinflussen. ­Ferner hängen auch die Hurrikanaktivität im Atlantik oder das sommerliche Klima in Eu­ropa und Nordamerika davon ab. Die Schwankungen der Umwälzbewegung haben, beeinflusst durch den nordwärtigen Transport von warmem Wasser, auch einen Einfluss auf den Rückgang des arktischen Meereises und den Massenverlust des grönländischen Eisschildes, beides Prozesse die ihrerseits auch die Klimavariabilität beeinflussen. Die Bedeutung dieser Frage wird auch durch die aktuelle IPCC Studie zur Abschwächung der Umwälzbewegung im Nordatlantik, bedingt durch eine Erwärmung des Oberflächenwassers in hohen Breiten, unterstrichen. Gleichzeitig setzt sich der rasche Rückgang des arktischen Meereises fort, was zu einer Freisetzung von Süßwasser in Regionen führt, in denen Tiefenwasser gebildet wird. Es wird erwartet, dass diese salzarmen Wasser­massen VITA Bergung einer ozeanographischen Verankerung östlich von Grönland während ei­ner OSNAP Expedition. Foto: M. F. de Jong die Produktion von Tiefenwasser und somit den unteren Teil der Umwälzbewegung reduzieren. Angesichts der Bedeutung und Dringlichkeit, die Frage der Schwankungen in der Umwälzbewegung zu verstehen, hat die internationale Gemeinschaft im Sommer 2014 ein neues Beobachtungssystem im subpolaren Nordatlantik implementiert. Die USA, Deutschland, die Niederlande, Kanada, Frankreich, Großbritannien und China haben gemeinsam das Forschungsprogramm OSNAP (Overturning in the Subpolar North Atlantic Program) gestartet, um kontinuierliche Messungen der Umwälzbewegung durchzuführen. Weil der größte Teil des globalen Tiefenwassers aus dem Nordatlantik stammt und wegen der engen Verknüpfung der Änderungen in der Arktis und im Nordatlantik, werden die Messungen im subpolaren Nordatlantik den Wissenschaftlern Chancen bieten, die Faktoren zu bestimmen, die die Variabilität der Umwälzbewegung steuern. Eine erste Abschätzung der Stärke der Umwälzbewegung, die vom OSNAP Array gemessen wird, steht voraussichtlich im Sommer 2017 zur Verfügung. Mehr zu diesem Thema: www.geomar.de/ fileadmin/content/service/presse/publicpubs/petersen-essays/lozier_essay.pdf 1.000 m 2.000 m 3.000 m 4.000 m Ostgrönland 53 Grad Nord Westgrönland Mittel­atlantischer Rücken Ostatlantische Schwelle Schematische Darstellung des OSNAP Beobachtungsprogramms, das im Sommer 2014 ausgelegt wurde. Felder mit Strömungsmessern befinden sich in den Randströmen der Labrador-, Irminger- und Islandsee sowie im Rockall Trog. Felder mit Tiefseeinstrumenten wurden zu beiden Seiten des Reyjkanes Rückens ausgesetzt. Ferner sind auch Tiefen­drifter zur Bestimmung der Meereströmungen in großen Wassertiefen sowie Gleiter, die über die Rockall Bank kreuzen. Quelle: OSNAP, Grafik: Penny Holiday, NERC Die Physikalische Ozeanographin Prof. Dr. Susan Lozier studierte Sie ist Fellow der American Meteorological Society (AMS), an der Pudue University, West Lafayette, USA (B.A. 1979) und der American Geophysical Union (AGU) und der American promovierte an der University of Washington, Seattle, USA (PhD ­Association for the Advancement of Science (AAAS). Während 1989). Danach ging sie als Postdoc zunächst an die renommierte ihrer wissenschaftlichen Laufbahn hat sie bereits mehr als 80 Woods Hole Oceanographic Institution an der amerikanischen Artikel in begutachteten Fachzeitschriften veröffentlicht. Sie ist Ostküste, ehe sie 1992 zum Professor an die Duke University, gegenwärtig Präsidentin der Oceanography Society und leitet ­Durham, USA berufen wurde. Susan Lozier wurde für ihre ­Arbeiten das internationale Ozeanbeobachtungsprogramm OSNAP mehrfach ausgezeichnet. (­Overturning in the Subpolar North Atlantic Program).