Verwilderte Hauskatzen sind sehr scheu und lassen sich nicht

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1
R. Binder
Zur tierschutzrechtlichen Zulässigkeit der Entfernung einer Ohrspitze
(ear tipping) zur Markierung verwilderter Hauskatzen
im Rahmen von Kastrationsprojekten
1.
Zweck und Methode der Ohrspitzenmarkierung
1.1.
Zweck
Das Konzept des Trap, Neuter and Return (TNR), also das Einfangen, Kastrieren und
Freilassen verwilderter Hauskatzen, hat sich, ausgehend von Großbritannien und
Dänemark, seit den 1970er Jahren als (tier-)ethisch unumstrittene Methode der
tierschutzkonformen Bestandsregulierung herrenloser Hauskatzen etabliert. Die
Tötung überzähliger Katzen bzw. unerwünschter Welpen ist nicht nur aus
tierschutzrechtlichen Gründen verboten und aus ethischer Sicht unvertretbar,
sondern kann als bloße „Symptombekämpfung“ auf Grund des wissenschaftlich
belegten „Vakuumeffektes“ auch keinen nachhaltigen Beitrag zur Lösung des
Bestandsproblems leisten. 1
Das TNR-Konzept wird von der US-amerikanischen Katzenhilfsorganisation Feral Cat
Project, deren Mitarbeiter in Washington State seit 1997 ca. 45.000 verwilderte
Katzen kastriert und einer medizinischen Grundversorgung unterzogen haben, wie
folgt beschrieben:
Trap, Neuter, Return (TNR) is a program that allows free roaming cats to live
their lives without adding to the homeless cat population. Cats are humanly
trapped, often evaluated to ensure they are healthy enough to live a freeroaming lifestyle, vaccinated, spayed/neutered, ear tipped to identify them as
being altered, and released back to their familiar environment. 2
Im Unterschied zu Katzen, die in menschlicher Obhut gehalten werden, handelt es
sich bei verwilderten Hauskatzen um herrenlose Tiere, die weitgehend unabhängig
vom Menschen leben, in aller Regel äußerst scheu sind und sich nicht berühren
lassen. 3 Das Einfangen und Handling dieser Tiere ist daher mit hohen Belastungen
(Leiden bzw. Distress und schwerer Angst) für die betroffenen Individuen verbunden
und folglich als unmittelbar tierschutzrelevant zu betrachten.
Da Katzen in frei lebenden Kolonien kaum zu unterscheiden sind und auch immer
wieder neue Tiere zuwandern, ist es erforderlich, bereits aus größerer Distanz (und
mitunter unter Verwendung eines Fernrohrs) kastrierte von unkastrierten Individuen
zu unterscheiden, um den bereits operierten Tieren das wiederholte Einfangen und
Handling zu ersparen. Das Kappen einer Ohrspitze ist die einzige Methode, die es
ermöglicht, kastrierte Tiere bereits aus der Ferne zu erkennen:
Ear tipping identifies free-roaming cats that have been sterilized. […] Ear
tipping provides immediate visual identification, which alerts animal control
that a cat is part of the colony. It also helps colony caretakers track which cats
have been trapped and altered, and identify newcomers who have not Ear
tipping protects the cats, because it visibly identifies a free-roaming cat as
altered, which prevents the need for future transport, stress and anaesthesia. 4
1
Vgl. B. KALZ (2001), S. 103.
www.feralcatproject.com, FAQ (Hervorhebung d. Verf.).
3
Vgl. Schweizer Tierschutz (STS, 1994).
4
www.feralcatproject.com, FAQ.
2
2
R. Binder
Nur wenn kastrierte Tiere bereits auf Sicht zu identifizieren sind, ist das selektive
Einfangen unkastrierter Artgenossen möglich, was den Kastraten die Belastung eines
unnötigen Handlings und den Hilfsorganisationen bzw. der Öffentlichen Hand
personelle und finanzielle Ressourcen erspart.
1.2.
Methode der Ohrspitzenmarkierung
Die am weitesten verbreitete Methode des ear tipping besteht darin, dass der Katze
unmittelbar vor oder nach der Kastration, jedenfalls aber noch in Vollnarkose, ein
kleines Stück einer – zumeist der linken – Ohrspitze mit einer sterilen Schere
abgetrennt wird: „The international standard for adult cats is to remove one
centimeter from one ear tip. Kittens are ear tipped a proportional amount less that
one centimeter.” 5 Dadurch entsteht ein gerader Schnitt, der nicht mit den Folgen von
Kampfverletzungen verwechselt werden kann. Seltener wird das Ohr abgerundet
oder eingekerbt, da diese Art der Markierung aus der Ferne schwerer erkennbar ist
bzw. beim Einkerben die Gefahr des Hängenbleibens und Einreißens der
Ohrmuschel besteht.
Wie jede veterinärmedizinische Maßnahme hat auch das ear tipping fachgerecht zu
erfolgen. Tierärztliche Mitarbeiter amerikanischer Katzenschutzorganisationen haben
daher Schulungsunterlagen 6 und Anweisungen zur Guten Fachlichen Praxis 7
verfasst, die genau zu befolgen sind.
2.
Das ear tipping im Lichte des Eingriffsverbotes gem. § 7 TSchG
Gem. § 7 TSchG 8 sind Eingriffe iSd § 4 Z 8 leg. cit. nur zum Zweck der Diagnose
oder Therapie einer vermuteten oder bestehenden Erkrankung bzw. Verletzung
(veterinärmedizinische Indikation) oder zum Zweck der „fachgerechten
Kennzeichnung von Tieren in Übereinstimmung mit den anwendbaren
Rechtsvorschriften“ (Abs. 1), zur Verhütung der Fortpflanzung (Abs. 2 Z 1) und auf
Grund einer besonderen Ermächtigung durch die 1. TierhaltungsV (Abs. 2 Z 2)
zulässig. Da Rechtsvorschriften zur Kennzeichnung von Tieren nur im Bereich der
Nutztierhaltung 9 , im Hinblick auf Hunde 10 und – im Zusammenhang mit dem
innergemeinschaftlichen Verbringen – für Hunde, Katzen und Frettchen (Pet Pass) 11 ,
nicht hingegen für verwilderte Hauskatzen vorhanden sind, ist die Zulässigkeit des
ear tipping nur unter Zugrundelegung der allgemeinen Vorschriften des TSchG, d.h.
im Lichte des Verbotes der Tierquälerei (§ 5 Abs. 1 TSchG), zu prüfen. 12
Im Hinblick auf die Kennzeichnung von Tieren sind zwei Gruppen von
Kennzeichnungsmethoden zu unterscheiden: Einerseits die der individuellen
Kennzeichnung, durch die ein Tier nicht nur dauerhaft, sondern – durch einen
5
http://www.feralcatproject.org
Vgl. Physical exam: ear tip
(www.vetmed.auburn.edu/extras/styles/catnap/protocols/physicalexameartip.htm)
7
Alley Cat Allies (2003): Eartipping: Feral Cat Identification Protocol and Eartipping
Instructions (vgl. Anlage 1); Feral Cat Coalition (2000): Clinic Procedures: Effective Eartipping.
8
Bundesgesetz über den Schutz der Tiere (Tierschutzgesetz – TSchG), BGBl. I Nr. 118/2004,
Artikel 2, vom 28. September 2004, idF BGBl. I Nr. 35/2008 vom 11.1.2008.
9
Vgl. z.B. Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit, Familie und Jugend über die
Kennzeichnung und Registrierung von Schweinen, Schafen und Ziegen (Tierkennzeichnungsund Registrierungsverordnung 2007), BGBL. II Nr. 166/2007.
10
Vgl. § 24a TSchG.
11
Verordnung (EG) Nr. 998/2003 über die Veterinärbedingungen für die Verbringung von
Heimtieren zu anderen als Handelszwecken und zur Änderung der Richtlinie 92/65/EWG.
12
Vgl. dazu unter 3.
6
3
R. Binder
Nummerncode (Microchip und Registrierung, Tätowierung, Ohrmarke) – auch
individuell identifizierbar wird. Da der Zweck einer solchen individuellen
Kennzeichnung im Hinblick auf Nutztiere insbesondere in der Rückverfolgbarkeit der
aus diesen Tieren gewonnenen Produkte besteht und eine individuelle
Kennzeichnung von Heimtieren dazu dient, entlaufene, ausgesetzte oder sonst
abhanden gekommene Tiere ihrem Halter zuzuordnen und „auf diesen
zurückzuführen“, erweisen sich Methoden der individuellen Kennzeichnung im
Hinblick auf herrenlose Tiere als überflüssig. Was die Populationskontrolle
verwilderter Hauskatzen betrifft, kann vielmehr mit einer Markierung, die die
Unterscheidung zweier Gruppen von Tieren (kastrierte vs. unkastrierte Individuen)
ermöglicht, das Auslangen gefunden werden.
Nach den Materialien zum TSchG umfasst das Eingriffsverbot gem. § 7 Abs. 1
TSchG insbesondere „chirurgische Eingriffe zur Veränderung der äußeren
Erscheinung eines Heimtiers“. 13 Durch diese Formulierung bringt der Gesetzgeber
zum Ausdruck, dass sich das Verbot gem. § 7 Abs. 1 TSchG auf kosmetisch
motivierte chirurgische Maßnahmen bezieht, wie sie dann vorliegen, wenn das
phänotypische Erscheinungsbild bestimmter Hunderassen aus traditionellen oder
ästhetischen Überlegungen durch das Kupieren der Ohren bzw. des Schwanzes
verändert werden soll.
Die Vornahme des ear tipping bei Katzen ist aber – weder was das Ausmaß bzw. den
Schweregrad des Eingriffe noch was seinen Zweck betrifft, mit dem verpönten
Kupieren von Hundeohren vergleichbar, da es einem ganz anderen Zweck – nämlich
dem Schutz der Tiere – dient. Da das Anbringen einer Ohrspitzenmarkierung
zweifellos eine besondere Form der Kennzeichnung darstellt, die ausschließlich der
Kenntlichmachung bereits kastrierter Individuen verwilderter Hauskatzenkolonien
dient, und keine gelindere gleichwerte Alternative zur Verfügung steht, ist das ear
tipping
im
Hinblick
auf
verwilderte
Hauskatzen
als
fachgerechte
Kennzeichnungsmethode aus dem Eingriffsverbot des § 7 TSchG ausgenommen.
Dies entspricht – wie im Rahmen dieser Stellungnahme gezeigt wird – auch dem
international anerkannten Standard.
3.
Belastung
Im Lichte des § 5 TSchG (Verbot der Tierquälerei) ist die Vornahme einer
Ohrspitzenmarkierung aus folgenden Gründen als gerechtfertigt zu betrachten:
Da die Markierung in Vollnarkose erfolgt, ist die Schmerzempfindungsfähigkeit der
Katze ausgeschaltet, sodass der Eingriff weder akute Schmerzen noch zusätzliche
Angst verursacht. 14 „Ear tipping is completely safe and it is performed under general
anaesthesia.“ 15
Das Risiko postoperativer bzw. chronischer Schmerzen, wie sie z.B. durch
Wundheilungsstörungen verursacht werden, kann durch die fachgerechte
Durchführung des Eingriffs erfolgreich ausgeschaltet bzw. minimiert werden. So
verhindern z.B. die ordnungsgemäße Reinigung der Schnittstelle und die
13
RV TSchG 446 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII.
GP.
14
Ein Vergleich mit der Labortierkunde zeigt, dass das zur Kennzeichnung von Mäusen weit
verbreitete Lochen oder Kerben der Ohrmuschel nach der Schweregradskala des Schweizer
Bundesamtes für Veterinärwesen (BVET) sogar dann dem Belastungsgrad „Null“ (keine
Belastung) zugeordnet, wenn es ohne Anästhesie erfolgt.Vgl. BVET (1994), S. 7.
15
http://www.feralcatproject.org
R. Binder
4
Behandlung des Wundrandes mit einem Hämostatikum die Bildung von Wundschorf,
sodass das Tier später nicht zum Kratzen verleitet wird.
Eine gesamthafte Betrachtung legt nahe, dass die
durch die Kastration verursachten postoperativen
Beeinträchtigungen
mögliche
Unlustgefühle
im
Zusammenhang mit dem ear tipping deutlich
überwiegen. Schließlich ist auch zu bedenken, dass
schwerwiegendere Verletzungen des äußeren Ohres,
die sich Katzen durch Kämpfe mit Artgenossen oder
anderen Raubtieren (z.B. Mardern) zuziehen, trotz
hoher Infektionsgefahr in der Regel auch ohne
tierärztliche Intervention komplikationslos abheilen. 16
Abb.: www.floridacatnews.com/cat_network_voucher_program.htm
Was tierschutzrelevante Leiden betrifft, so liegen keine Hinweise darüber vor, dass
durch eine fehlende Ohrspitze der physische Zustand – z.B. die akustische
Wahrnehmung bzw. die Schallleitungsfähigkeit der Ohrmuschel – oder die
psychische Befindlichkeit der Tiere negativ beeinflusst werden könnte. Da die Katze
das gesamte äußere Ohr und nicht etwa nur dessen Spitze als Signalgeber bei der
sozialen Kontaktaufnahme einsetzt, 17 kann davon ausgegangen werden, dass auch
das Ausdrucksverhalten durch eine fehlende Ohrspitze nicht beeinträchtigt wird.
Wenn die fehlende Ohrspitze als „Verstümmelung“ bezeichnet wird, so entspringt
diese Wahrnehmung dem subjektiven ästhetischen Empfinden bzw. der
anthropozentrischen Perspektive des jeweiligen Betrachters. Der Schaden, der dem
Tier durch das Abtrennen der Ohrspitze zweifellos zugefügt wird, ist als gerechtfertigt
zu beurteilen, weil er
•
eine dem Ausmaß nach
Normalzustand darstellt,
•
dem Schutz der Tiere dient und
•
keine Markierungsmethode verfügbar ist, die es ermöglicht, kastrierte Tiere von
unkastrierten Individuen bereits aus der Entfernung zuverlässig zu unterscheiden.
geringfügige
Abweichung
vom
4.
Alternativen:
Mögliche Kennzeichnungsmethoden für verwilderte Hauskatzen
4.1.
Microchip
physischen
Obwohl der österreichische Gesetzgeber die in der Stammfassung des TSchG
vorgesehne verpflichtende elektronische Kennzeichnung von Katzen durch die
TSchG-Novelle 2008 beseitigt hat, stellt das Chippen und Registrieren von Katzen,
die in menschlicher Obhut gehalten werden, die Kennzeichnungsmethode der Wahl
dar. Jeder Katzenhalter, dessen Tiere die Möglichkeit zum Freigang haben oder gar
im Freien gehalten werden, sollte die Katzen schon deshalb chippen und registrieren
lassen, um einer möglichen Verwechslung mit einem herrenlosen Tier vorzubeugen.
16
17
Pers. Mitteilung Prof. J. Troxler.
Vgl. z.B. F. Brunner (1994), S. 117.
5
R. Binder
Bei verwilderten Hauskatzen hingegen kann die Kennzeichnung mit Microchip das
Markieren der Tiere durch ear tipping insbesondere aus folgenden Gründen nicht
ersetzen:
4.2.
•
Da der Chip nicht aus der Distanz wahrnehmbar ist, sind selektive, d.h. gezielt
auf unkastrierte Katzen gerichtete Fangaktionen unmöglich, wenn die Tiere nur
gechippt sind. 18
•
Ein Microchip ist äußerlich nicht zu erkennen, sodass ein in einer Falle
befindliches Tier „gehandelt“ werden muss, um einen möglicherweise
vorhandenen Chip aufzufinden bzw. abzulesen.
•
In vielen Fällen ist das Hantieren mit dem Lesegerät am Körper des Tieres –
schon aus Gründen der menschlichen Sicherheit – nur an der sedierten Katze
möglich, sodass alle gefangenen Tiere von den Mitarbeitern der
Hilfsorganisation zum Tierarzt transportiert werden müssen, um festzustellen,
on sie gechippt (und möglicherweise kastriert) sind.
•
Eine Chippung der Tiere ohne Registrierung geht überhaupt ins Leere, da ein
Chip nicht zwangsläufig bedeutet, dass das Tier bereits kastriert wurde
(immerhin gibt es auch gechippte, aber unkastrierte Tiere aus privater Haltung,
die z.B. entlaufen sind).
•
Wird vom Vorhandensein eines Chips fälschlicherweise auf eine Kastration
geschlossen und die Katze wieder freigelassen, so kann sie sich unkontrolliert
vermehren, was den Erfolg von Kastrationsprojekten zunichte machen kann.
Tätowierungen
Auch Ohrtätowierungen, die zudem mit der Zeit verblassen, sind nur aus der Nähe zu
erkennen und setzen daher die genaue Inspektion der gefangenen Katze voraus.
Noch weniger geeignet ist die mitunter anzutreffende Tätowierung der Bauchdecke
kastrierter Kätzinnen, da diese erst nach Verabreichung der Narkose und Vornahme
der Fellrasur sichtbar wird.
4.3.
Ohrmarken
Das Anbringen von Ohrmarken, das ebenfalls einen (minimal) invasiven, mit einer
Zerstörung (Perforation) von Gewebe verbundenen Eingriff darstellt, ist zur
Kennzeichnung von Katzen schon deshalb abzulehnen, weil die Tiere mit den
Marken in Buschwerk u.dgl. hängen bleiben können, was zu einem Ein- bzw.
Weiterreißen des Ohres führen kann. Darüber hinaus wird berichtet, dass Ohrmarken
nach einiger Zeit abfallen, sodass eine zuverlässige und dauerhafte Kennzeichnung
nicht gewährleistet ist. 19
4.4.
Halsbänder
Halsbänder zur Markierung kastrierter verwilderter Katzen haben sich in der Praxis
nicht bewährt. Ähnlich wie Ohrmarken stellen sie einerseits eine Verletzungsgefahr
18
Eine selektive Fangmethode besteht z.B. darin, die Tiere auf Distanz, d.h. mit Hilfe eines
Blasrohrs, zu narkotisieren, was nach C. LERCH-LEEMANN (1997), S. 792, die stressärmste
Methode darstellt; ihre Anwendung setzt aber jedenfalls voraus, dass gezielt unkastrierte
Tiere „geschossen“ werden können.
19
Vgl. www.savethecat.org/eartipping.html
6
R. Binder
(Hängenbleiben, Einwachsen, Strangulieren) 20 dar und können andererseits abfallen
oder von den Tieren abgestreift werden. 21
Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass es keine praktikable
Markierungsmethode gibt, die den Hauptzweck der Ohrspitzenmarkierung erfüllen
könnte: “Ear tipping is the only effective method that currently exists to identify a
sterilized feral cat in a managed colony.” 22
5.
Die Ohrspitzenmarkierung aus der Sicht von Experten, Praktikern und NGOs
5.1.
Fachliteratur und Expertenmeinungen
Bestandskontrolle und Management verwilderter Hauskatzenkolonien beschäftigen
seit den 1980er Jahren auch die Wissenschaft, 23 wobei mehrere Autoren bzw.
einschlägige Standardwerke das ear tipping ausdrücklich als geeignete
Markierungsmethode anführen:
5.2.
●
D.J.C. CUFFE et al. (1983), Ear tipping for identification of feral neutered cats,
in: The Veterinary Record, S. 129;
●
J. REMFRY (1996), Feral Cats in the United Kingdom, in:
American Veterinary Association, S. 521;
●
I. ROCHLITZ (2000), Feline welfare issues, in: D.C. Turner and P. Bateson
(ed.), The Domestic Cat, S. 213 f.;
●
A.C. WÖHR (2002), Tiergerechte Haltung von Katzen, in: W. Methling und J.
Unshelm (Hrsg.), Umwelt- und tiergerechte Haltung von Nutz-, Heim- und
Begleittieren, S. 589 f.;
●
M.R. SLATER (22007), The Welfare of Feral Cats, in: I. Rochlitz (ed.), The
Welfare of Cats, S. 150. 24
Journal of the
Praktizierende Tierärzte
Auch Tierärzte, die sich auf Katzen spezialisiert haben bzw. an Kastrationsprojekten
mitwirken, befürworten bzw. empfehlen das ear tipping. 25 Die Clinic Policies for Free
Surgical Services des Feral Cat Spay/Neuter-Projekts sehen das ear tipping
verpflichtend vor, wenn die Dienstleistung der Klinik unentgeltlich in Anspruch
genommen wird. 26
J. LEVY vom College of Veterinary Medicine der Universität Florida, die seit mehr als
15 Jahren Kastrationsprojekte in Kalifornien, North Carolina und Florida betreut,
bezeichnet das ear tipping als „universally accepted […] and only reliable choice for
identifying sterilized feral cats“ 27
20
Die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz zählt Halsbänder für Katzen auf Grund der
davon ausgehenden Verletzungsgefahr zum tierschutzwidrigen Zubehör (vgl. TVT, 1999, S.
4).
21
Vgl. www.savethecat.org/eartipping.html
22
Alley Cat Allies (2003).
23
Vgl. Literatur bei KALZ (2001), S. 103.
24
Die genauen Quallenangeben können dem Literaturverzeichnis entnommen werden.
25
Persönl. Mitteilung Dr. S. Schroll; vgl. auch unter 1.2.
26
Dies hält Katzenhalter im Allgemeinen davon ab, ihre Tiere im Rahmen von
Kastrationsprojekten unentgeltlich kastrieren zu lassen und verhindert so eine Vergeudung
zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen.
27
Pawprints & Purrs, Inc.: Ear tipping of Feral Cats – Universally Accepted
(www.sniksnak.com/cathealth/eartipping.html
7
5.3.
R. Binder
NGOs
Nach Auffassung der Humane Society of the United States (HSUS), Amerikas
ältester und größter Tierschutzorganisation, umfasst ein verantwortungsvoller
Umgang mit verwilderten Hauskatzenkolonien jedenfalls folgende Maßnahmen:
„[…] humane trapping, sterilization, rabies vaccination,, and treatment for illness
or injury; removal of kittens and friendly adults for possible placement in homes;
euthanasia of animals whose suffering cannot be alleviated; ear-tipping and
returning ferals to the same location where they were trapped, provided they
would not face imminent risks; and providing lifelong care consisting of
adequate food, water, and shelter as well as regular monitoring of the colony for
sickness, injury and the arrival of new animals. 28
In Ermangelung einer geeigneten Alternative wird das ear tipping auch in dem vom
Feline Advisory Bureau herausgegebenen Feral Cat Manual (2006) empfohlen;
dieses Handbuch kommt in allen Kastrationsprojekten zur Anwendung, die von der
World Society for the Protection of Animals (WSPA) durchgeführt werden. 29
Schließlich spricht sich – neben zahlreichen kleineren, regionalen Tierschutzvereinen 30 – selbst die dem eher radikalen Flügel der Tierschutzbewegung
zuzuordnende Organisation People fort he Ethical Treatment of Animals (PETA)
ausdrücklich für das ear tipping im Rahmen von Kastrationsaktionen aus. 31
6.
Rechtslage am Beispiel Großbritanniens
In England, Schottland und Wales ist das Markieren verwilderter Hauskatzen durch
das Abtrennen oder Einkerben einer Ohrspitze ausdrücklich gestattet, sofern der
Eingriff unter Narkose vorgenommen wird. Diese Regelungen werden vom Royal
College of Veterinary Surgeons auch aus fachlicher Sicht nicht in Frage gestellt. 32
7. Kosten
Während Verbesserungen im Bereich des Tierschutzes zumeist Kosten verursachen
und daher häufig aus finanziellen Gründen zum Scheitern verurteilt sind, gehen im
Hinblick auf die Markierung verwilderter Hauskatzen Tierschutzerwägungen und
pekuniäres Nutzenkalkül Hand in Hand, da das ear tipping nicht nur eine im Interesse
des Tierschutzes gebotene Maßnahme, sondern auch die kostengünstigste Methode
zur Markierung kastrierter verwilderter Hauskatzen darstellt.
Andere Methoden zur Kennzeichnung bzw. Markierung von Tieren sind, jedenfalls
was den Materialeinsatz betrifft, teurer als das ear tipping; dies gilt insbesondere für
die elektronische Kennzeichnung. In Anbetracht des Umstandes, dass der Schutz
verwilderter Hauskatzen durch die Anwendung dieser Methoden aus den erwähnten
Gründen nicht verbessert, sondern, ganz im Gegenteil, eher verschlechtert wird, ist
der erhöhte Kostenaufwand, der z.B. durch die Anschaffung von Microchips und
durch die Registrierung der Tiere entsteht, grundsätzlich nicht zu rechtfertigen. Dies
gilt umso mehr als Kastrationsprojekte häufig von Ländern bzw. Kommunen cofinanziert werden und die dafür aufgewendeten Mittel letztlich das Budget der
Öffentlichen Hand belasten.
28
HSUS (2006, Hervorhebung des Verf.); vgl. dazu auch Anlage 2.
Persönl. Mitteilung Claire Bessant, FAB/ESFM (Chief Executive).
30
Vgl. z.B. Tierschutzverein Neuss: „Katzenelend frühzeitig verhindern: Der Tierschutzverein
kümmert sich um die Streuner von Neuss“; Tierschutzverein „Haus der Katzenfreunde“, Wien
(persönl. Mitteilung Frau Dr. J. Kernstock).
31
Vgl. PETA (2008; www.peta.de/tierischemitbewohner(verwilderte_katzen.htm
32
Pers. Mitteilung L Evans, Professional Conduct Department of the RCVS.
29
8
8.
R. Binder
Zusammenfassung
Bei verwilderten Hauskatzen ist das auch auf internationaler Ebene angewandte ear
tipping, d.h. das fachgerechte Abtrennen einer Ohrspitze, zur Markierung kastrierter
Individuen nicht nur als zulässig, sondern aus Gründen des Tierschutzes als geboten
zu betrachten, so lange keine schonendere Alternative zur Verfügung steht, welche
die dauerhafte und auf Distanz erkennbare Markierung kastrierter Katzen in gleicher
Weise gewährleistet wie das ear tipping.
Die Maßnahme dient der fachgerechten Kennzeichnung kastrierter verwilderter
Hauskatzen und ist damit aus dem Eingriffsverbot gem. § 7 Abs. 1 TSchG
ausgenommen.
Da die Maßnahme am narkotisierten Tier durchgeführt wird, verursacht sie weder
Schmerzen noch Leiden bzw. schwere Angst iSd § 5 Abs. 1 TSchG. Die durch das
ear tipping erzielten Vorteile für den Schutz der verwilderten Katzen und für den
zielgerichteten Mitteleinsatz überwiegen die Nachteile, die mit der Beschädigung der
körperlichen Integrität der Katzen verbunden sind. Der Schaden, der dem Tier durch
die Ohrspitzenmarkierung zugefügt wird, ist daher als gerechtfertigt zu betrachten:
„Ear-tipping does not count as an unnecessary mutilation […] because it
prevents more suffering that it causes, and aesthetically the affected ear is no
less attractive that a lot of the shredded ears that have been damaged by cats
themselves in fights.“ 33
Das ear tipping stellt daher eine allgemein akzeptierte Methode zur Markierung
kastrierter Individuen verwilderter Hauskatzenkolonien dar. Wer die Zulässigkeit bzw.
Tierschutzkonformität dieser Markierungsmethode in Frage stellt, gefährdet die
Effizienz und damit letztlich den Erfolg der aus Tierschutzsicht dringend
erforderlichen Projekte zur Bestandskontrolle verwilderter Hauskatzen.
33
K. WHITCOMB (1977): A Veterinary View on Ear-Tipping.
9
9.
Quellenangaben
9.1.
Literatur
R. Binder
BRUNNER, F. (1994): Die unverstandene Katze. Augsburg: Naturbuch/WeltbildVerlag.
CUFFE, D.J.C., EACHUS, J.E., JACKSON, O.F., NEVILLE, J. und REMFRY, J.
(1983): Ear-tipping for identification of neutered feral cats. The Veterinary
Record 12 (1983), 129.
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KALZ, B. (2001): Populationsbiologie, Raumnutzung und verhalten verwilderter
Hauskatzen und der Effekt von Maßnahmen zur Reproduktionskontrolle. Diss.
rer.nat. Humboldt-Universität Berlin.
LERCH-LEEMANN, C. (1997): Bestandsregulierung bei Katzen. In: Das Buch vom
Tierschutz. Hrsgeg. v. H.H. Sambraus und A. Steiger. Bearbeitet von 61
Fachwissenschaftlern. Stuttgart: Ferdinand Enke. S. 791 – 795.
REMFRY, J. (1996): Feral Cats in the United Kingdom. Journal of the American
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SLATER, M.R. and SHAIN, St. (2005): Feral Cats: An Overview. The State of
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Cats. Springer (Animal Welfare vol. 3). S. 141 – 175.
WÖHR, A.-C. (2002): Tiergerechte Haltung von Katzen. In: W. Methling und J.
Unshelm (Hrsg.): Umwelt- und tiergerechte Haltung von Nutz-, Heim- und
Begleittieren. Berlin: Parey. S. 572-595.
9.2.
Materialien
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Alley Cat Allies (2003): Eartipping Instructions.
Alley Cat Rescue (2007): Ear Tipping – A Lifesaver for Feral Cats.
Bundesamt für Veterinärwesen (BVET, 1994): Einteilung von Tierversuchen nach
Schweregraden vor Versuchsbeginn (Belastungskategorien). Information
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Feral Cat Spay/Neuter Project (2009): Clinic Policies for free surgical services.
10
R. Binder
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(www.sniksnak.com/cathealth/eartipping.html)
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Einfangen ist die beste Lösung
(www.peta.de/tierischemitbewohner(verwilderte_katzen.htm)
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Auftrag des Aargauer Tierschutzvereins. Idee und fachliche Dr. C. LerchLeemann. Video.
Spurlin, L. (2008): Spay/ Neuter and Ear Tipping.
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Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT, 1999): Tierschutzwidriges Zubehör in
der Hunde- und Katzenhaltung. Merkblatt Nr. 70.
Tierschutzverein Neuss: Katzenelend frühzeitig verhindern: Der Tierschutzverein
kümmert sich um die Streuner von Neuss.
(www.tsv-neuss.de/cms/upload/pdf/SadtKurier_16-07-07.pdf)
Whitcomb, K. (1977): A Veterinary View on Ear-Tipping.
www.cat77.org.uk/articles/eartip.htm)
9.3.
Internetressourcen (accessed: 28.1./1.2.2009)
www.fabcats.org/
www.feralcatproject.com
www.feralcat.com
www.alleycat.org
www.savethecat.org/eartipping.html
www.vetmed.auburn.edu/extras/styles/catnap/protocols/physicalexameartip.htm)
www.twinkletrustanimalaid.org
www.ttaa-deutschland.de
www.verein-notleidende-tiere.de/aktionen.html
www.tierhilfe-fuerteventura.de_Katzen.html
11
Anlage 1:
Ear tipping: Feral Cat Identification Protocol und Ear tipping instructions
(Alley Cat Allies)
(gesondertes Dokument)
Anlage 2:
R. Binder
TNR-Statement der Humane Society of the United States
(gesondertes Dokument)
Foto: The Veterinary Record 12 (1983), p. 129.
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