Medienmitteilung Kristalle im Spiegel

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Medienmitteilung
Dübendorf, 25. Januar 2006
Empa-Forscher untersuchen Kristalle auf Ebene der Moleküle – neue Studie in „Nature“
1)
Kristalle im Spiegel
Manche Kristalle, etwa Quarz, kommen in der Natur in zwei spiegelbildlichen Formen vor.
Empa-Forscher haben mit Hilfe des Rastertunnelmikroskops Moleküle beim Kristallwachstum
„beobachtet“ – und dabei herausgefunden, warum sich unter bestimmten Bedingungen nur
eine Kristallform bildet. Darüber berichten sie diese Woche im renommierten
Wissenschaftsmagazin „Nature“.
Von Michael Hagmann
Was für einige Kristalle gilt, trifft oft auch für deren Moleküle zu: Bestimmte Substanzen kommen in
zwei Formen vor, die sich zueinander verhalten wie rechte und linke Hand. Bei Biomolekülen, den
Bausteinen des Lebens, ist diese Händigkeit – im Fachjargon „Chiralität“ genannt – besonders weit
verbreitet. So kommen Aminosäuren, aus denen Eiweisse bestehen, praktisch nur in einer Form vor;
das Gleiche gilt für Zuckermoleküle.
Auch viele Arzneimittelwirkstoffe liegen in zwei spiegelbildlichen Formen vor. Dieser kleine
Unterschied kann es in sich haben: So wirkt die Substanz Ethambutol in der einen Form gegen
Tuberkulose, in der anderen Form führt sie zur Erblindung. In Fällen wie diesen setzt die
pharmazeutische Industrie alles daran, die beiden Formen voneinander zu trennen – was häufig ein
kompliziertes und teures Unterfangen ist, da sich die beiden Formen nur in wenigen Eigenschaften
unterscheiden. Ein Weg, die beiden Spiegelbild-Moleküle in reiner Form zu erhalten, ist die
Kristallisation; unter bestimmten Umständen lagert sich im wachsenden Kristall nur eines der beiden
Moleküle ab.
Diese Erkenntnis geht auf den französischen „Allround-Forscher“ Louis Pasteur zurück, der 1848
unter dem Mikroskop Kristalle eines Salzes der Weinsäure mit der Pinzette in zwei spiegelbildliche
Formen trennen konnte. Wie und warum sich Moleküle beim Kristallisieren trennen und warum sich
daraus Spiegelbild-Kristalle bilden, ist indes bis heute ein Rätsel.
Kristalle in zwei Dimensionen
Da sich das Kristallwachstum aus der Lösung kaum auf molekularer Ebene beobachten lässt,
untersuchten die Empa-Forscher um Karl-Heinz Ernst „zweidimensionale“ Kristalle auf einer glatten
Oberfläche. Diese können sich im Vakuum – etwa auf Kupfer – spontan bilden. Dazu verdampften
die Forscher in einer kleinen Reaktionskammer über der Kupferoberfläche die chirale Substanz
Helicen, die aus sieben aneinander gereihten Kohlenwasserstoffringen in Form einer kurzen
Wendeltreppe besteht. (Diese kann sich entweder rechts oder links herumwinden – was dann die
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beiden Spiegelbildformen ergibt.) Der Kniff dabei: Die Empa-Wissenschaftler gaben nur gerade so
viel Helicen dazu, dass sich genau eine Schicht aus dicht und regelmässig gepackten
Helicenmolekülen auf dem Kupfer bildete.
Mit der ultrafeinen Spitze eines Rastertunnelmikroskops fuhren Ernst und seine Kollegen dann die
Oberfläche der einlagigen Helicenschicht ab, um die Anordnung der einzelnen Moleküle im
Kristallgitter zu bestimmen. Benutzten die Forscher reines „linksdrehendes“ Helicen, ergab sich eine
Kristallstruktur, die – wie erwartet – das exakte Spiegelbild des Kristalls aus ausschliesslich
„rechtsdrehenden“ Helicenmolekülen war. Die Chiralität der Helicenmoleküle hatte sich also auf die
beiden Kristallformen übertragen, wie Ernsts Team vor zwei Jahren im Fachblatt „Angewandte
Chemie“ berichtete.
Die Kristallform lässt sich vorherbestimmen
Doch welche Art von Kristall bildet sich, wenn ein Gemisch von links- und rechtsdrehenden
Helicenmolekülen verwendet wird? Dieser Frage gingen die Forscher in der aktuellen „Nature“-Studie
nach. Ergebnis: Auf der Kupferoberfläche entsteht eine Art Mischkristall; einige Bereiche zeigen die
eine Kristallstruktur, andere deren Spiegelbild. Die Empa-Forscher nahmen daher an, dass sich die
beiden Helicenformen getrennt hatten: Die linksdrehenden Moleküle bilden die eine Kristallform, die
rechtsdrehenden die andere. „Diese Theorie haben wir sogar veröffentlicht“, sagt Ernst.
Doch da irrten die Forscher, wie ein Heranzoomen mit dem Rastertunnelmikroskop zeigte. „Beide
Kristallformen zeigten eine wirklich seltsame Anordnung der Bausteine, eine Art Zickzack-Struktur,
die sich deutlich von den Kristallstrukturen der reinen chiralen Helicenmoleküle unterschied.“ Weitere
Untersuchungen ergaben, dass die Kristallbausteine nicht einzelne Helicenmoleküle, sondern
Molekülpaare waren. Diese „Dimere“ bestanden aus je einem rechts- und einem linksdrehenden
Helicenmolekül. Und da sich die Moleküle auf zwei spiegelbildliche Arten aneinander „anschmiegen“
können, ergeben sich zwei verschiedene Kristallformen.
Was passiert nun, überlegte sich Ernst, wenn man eine Helicenform – etwa die linksdrehende – in
leichtem Überschuss zugibt? Besteht die Mischung aus 54 Prozent linksdrehendem Helicen und 46
Prozent rechtsdrehendem (oder umgekehrt), bildet sich auf der gesamten Kupferoberfläche nur eine
Kristallform. Die überschüssigen Helicenmoleküle, die keinen Partner finden, sitzen an den Rändern
des Kristalls und zwingen diesen regelrecht dazu, eine bestimmte Struktur anzunehmen.
„Da diese zweidimensionale Kristallstruktur als Keim für „richtige“, also dreidimensionale Kristalle
fungieren kann, besteht die Hoffnung, über dieses Prinzip die Trennung von Medikamenten durch
Kristallisation zu erleichtern“, gibt sich Ernst zuversichtlich.
1)
Nature, 26. Januar 2006, Vol. 439, No. 7074
Kontakt:
Dr. Karl-Heinz Ernst, Molecular Surface Science, +41 44 823 43 63, [email protected]
Dr. Michael Hagmann, Abteilung Kommunikation, +41 44 823 45 92, [email protected]
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Spiegelbilder der Natur: Zwei spiegelbildliche Quarzkristalle werden von Helicenmodellen „umkreist“.
Helicen besteht aus sieben miteinander verknüpften Ringen aus Kohlenwasserstoff in Form einer
kurzen Wendeltreppe.
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Nahaufnahme (je 10 auf 10 Nanometer, also Millionstel Millimeter) der beiden spiegelbildlichen
Helicenkristallformen: Die Kristallbausteine sind in einem charakteristischen Zickzack-Muster
angeordnet und sind um je 10.9 Grad gegenüber der Spiegelebene „gekippt“, einmal im
Uhrzeigersinn, einmal dagegen.
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