Giordano Bruno und Adam Elsheimer Elsheimers Flucht nach Ägypten Frank Keim 6. Januar 2017 1 Giordano Bruno und Elsheimer Adam Elsheimers Flucht nach Ägypten war Gegenstand einer Publikation zu einer Ausstellung, die vom 17. Dez. 2005 bis zum 26. Feb. 2006 in der Alten Pinakothek in München stattfand (Abb. 1).1 Dort wurde u. a. der Versuch unternommen, den in Elsheimers Gemälde vorfindlichen Sternmustern bestimmte Sternbilder zuzuordnen. Dabei identifizierten die Autoren Hartl/Sicka den Großen Wagen (bei Elsheimer in der rechten, oberen Ecke).2 Ebenso konjunktivisch formuliert meinten sie die Plejaden zu erkennen (bei Elsheimer links über den Bäumen).3 Anders als Hartl/Sicka meine ich, dass mit dem hellen, strahlenden Stern nicht die lichtschwache Merope, sondern Alkione, der mit 2,86 m stärkste Stern des Sternbildes gemeint ist. Westlich von ihm hat der Maler die dunkleren Plejaden-Sterne platziert, wie Maia und Electra, sowie jene Sterne mit einer 4er-Helligkeit wie Taygeta und eben Merope. Für mich bestehen keinerlei Zweifel, dass mit diesen 5, dem bloßen Auge sichtbaren Sterne die Plejaden gemeint sind. Aus verständlichen Gründen überwog bei den Autoren jedoch die Skepsis in Bezug auf die Sternbilder: „Keinem der Sternmuster in Elsheimers Gemälde lässt sich eindeutig und zweifelsfrei ein bestimmtes Sternbild zuordnen.“4 Ich teile diese 1 31 x 41 cm, München, Alte Pinakothek. Für die anderen hier diskutierten Bilder Elsheimers sei auf die einschlägige Literatur Baumstark 2005, Klessmann 2006 und Thielemann 2008 verwiesen. 2 Gerhard Hartl und Christian Sicka: Komposition oder Abbild? Die Darstellung des Nachthimmels in Adam Elsheimers Flucht nach Ägypten - eine naturwissenschaftlich-kritische Betrachtung, in: Baumstark 2005, S. 118. 3 ebd., 119f. 4 ebd., S. 121. 1 Ansicht nicht. Möglicherweise ist den Autoren die eigentliche Motivation „hinter“ der Flucht nach Ägypten verborgen geblieben, so dass sie am Schluss ihrer Abhandlung einräumen mussten: „Mit den heute verfügbaren Quellen wird sich wohl nie mit Sicherheit feststellen lassen, unter welchen Umständen Elsheimers Himmel der Münchner Flucht nach Ägypten entstanden ist.“5 Worum also geht es in Elsheimers kleinem Bild, worin besteht seine Kernaussage? Sicher, da ist jenes Band der Milchstraße, deren Sterne in keinem anderen Bild zuvor in dieser Auflösung realisiert wurden. Ein zweites Bildelement ist der aufgehende, sich im Gewässer spiegelnde Mond. Andererseits ist dem Himmelsgewölbe, das ziemlich genau die Hälfte des Bildes ausmacht, ein religiöses Sujet untergeschoben: die hl. Famile, die vor den Häschern flieht und sich vorsichtig einem heimeligen Feuer nähert. All dies ergibt, wenn man es zusammen bedenkt, zunächst keinerlei Sinn. Es gilt, eine konkrete Begebenheit, einen Anlass ausfindig zu machen, auf den das Werk dann respondiert. Der Barockmaler lebte seit 1600 in Rom. Fest steht, dass er die Flucht nach Ägypten 1609 in Rom malte.6 Aufgrund dieses „Wohnorts“ liegt der Schlüssel zum Verständnis der Tafel eigentlich zum Greifen nah; doch weder den beteiligten Kunsthistorikern noch den Astronomen ist es gelungen, ihn zu finden: Es ist Giordano Bruno aus Nola, der als Ketzer am 17. Feb. 1600 in Rom (!) auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.7 Auf Bruno selbst gibt es im Bild - neben dem lodernden Feuer natürlich8 - weitere Hinweise: einmal das unscheinbare Detail des Steinbocks, der sich zum Himmel aufrichtet. Der Steinbock ist das Geburtszeichen für Bruno, der im Januar oder Februar 1548 geboren wurde.9 Sodann meine ich in der links neben dem Feuer liegenden, sich aufrichtenden Gestalt Giordano Bruno zu erkennen. Sein Haupt ist erleuchtet. Außerdem trägt er eine Kutte, eine Kappe und eine Priesterstola. Die Gestalt scheint von den beiden Männern, die sich um das Feuer kümmern, seltsam abgegrenzt zu sein.- Bruno war als einziger Philosoph des 16. Jh. ein Anhänger und Verteidiger des Kopernikus. Er war der Philosoph des Unendlichen, wovon u. a. seine Schriften De l’infinito 5 Baumstark 2005, S. 125. Vgl. ebd., 24 u. 47, Fußnote 8. Im Dezember 1610 verstarb Elsheimer, wohl in der Folge seiner Einkerkerung im Schuldenturm. 7 Ob Elsheimer die Hinrichtung Brunos persönlich miterlebt hat, ist unklar. Fest steht, dass er spätestens im April 1600, also zwei Monate später, in Rom anwesend war. 8 S. Gronert stellte nur hinsichtlich des Sternenhimmels eine Verbindung zu Bruno her: „Nicht allein aufgrund der Verbindung zwischen den Funken des Feuers [...] und dem Himmelszelt zeigt sich, daß beide Sphären eng miteinander verknüpft sind. In diesem Sinne könnte man in der Gestaltung des Himmels eine Metapher für Giordano Brunos Ansicht erkennen, daß Gott in der Welt sei.“ (Gronert in Thielemann 2008, S. 83.) 9 Vgl. Spampanato 1921, 56, Fußnote 6. 6 2 von 1584 und De immenso von 1591 zeugen.10 Einen weiteren Stein des Anstoßes lieferte er mit der Aussage, Gott müsse, als unendliche Ursache, eine ebenso unendliche Wirkung (= die Welt) hervorbringen. Was Bruno verkündete, kam einer kosmologischen Revolution gleich: die Sonne als ein Stern unter vielen, inmitten der Unendlichkeit des Alls. Es wird deutlich, dass der Prozess um Elsheimers Affinität, ja seine Komplizenschaft mit Giordano Bruno neu aufgerollt werden muss. Dabei lassen sich zwei Hinsichten unterscheiden: eine zutiefst menschliche Annäherung, die das tragische Ende des Nolaners reflektiert, und eine naturwissenschaftliche, die dessen Ansichten uneingeschränkt zum Ausdruck bringt. Beredte Beispiele für letzteren Zugang sind die Aurora und das letzte Bild: die Flucht nach Ägypten. Am Anfang jedoch, zeitnah zur Hinrichtung Brunos, hat der Maler ihn in Gestalt zweier christlicher Märtyrer „chiffriert“. 2 Das Martyrium Brunos Elsheimer hat dem Heiligen Laurentius eine kleine Kupfertafel gewidmet, die zu einer heute in Petworth verwahrten Bilderfolge gehört. Es zeigt den nachdenklichen Heiligen auf einer Anhöhe mit den typischen Attributen, Palmzweig und Rost.11 Beim größeren Laurentius12 hat sich Elsheimer nur formal an die Legenda aurea gehalten: Der Verurteilte im weißen Habit wird entkleidet, während die Schergen unten den Rost und Scheiterhaufen zubereiten. Zur Datierung, Anfang 1600, schreibt Klessmann: „Das vorliegende Gemälde reflektiert die ersten Eindrücke, die der Maler nach seiner Niederlassung in Rom empfing [...]“13 Der Ort des Geschehens ist Rom. Es ist unübersehbar, dass sich die Szene in Wahrheit auf die Hinrichtung Brunos bezieht, sie lediglich eine Chiffre für dieses Ereignis ist. Wie bei jeder Hinrichtung gibt es Schergen, die Befehle ausführen. Der Befehl kommt vom Kaiser Decius, der einen römischen Hauptmann in einem prächtigen, orange-roten Mantel angewiesen hat, den Beschuldigten zu ergreifen. Seiner Kleidung beraubt, die achtlos am Boden liegt, macht sich ein Scherge daran, ihn vollständig zu entkleiden. Beim Rost beaufsichtigt ein anderer Hauptmann zu Pferde die Aufrichtung des Scheiterhaufens. Andere Zuschauer des Geschehens, wie zwei Obere, die vielleicht der Regierung angehören, oder Einzelne aus 10 Ein Zusammenhang zwischen Elsheimer und Bruno wurde auch von I. Sapir gesehen: „After all, Elsheimer is said to have been aware of Galileo’s discoveries, so can we exclude the possibility of him being conscious at least of the idea of an infinite universe?“ (Sapir 2006, S. 87). 11 Nach Joh. 7, 9 ist der Palmzweig ein Symbol des Martyriums und des himmlischen Lohns. 12 26 x 20 cm, London, The National Gallery. 13 Klessmann 2006, S. 97. 3 dem Volk vermitteln den Eindruck von Passivität: Sie wohnen, teils gelangweilt, teils in sich versunken dem Ereignis bei. Ein alter, auf einem Auge blinder Priester zeigt zur antiken Statue des Herkules, der mit Keule, einem Löwenfell und einem Efeukranz, dem Symbol ewigen Lebens, angetan ist.14 In Wahrheit zeigt er einmal auf den Befehlshabenden und dessen scheinbare Überlegenheit. Das zweite Deuten gilt Herkules, dem mythischen Sieger aus der Vergangenheit. Über den Priestern schwebt ein Engel mit einem Palmzweig in der Hand. Er zeigt, mit sinnendem Blick auf den Hauptmann und Bruno, zum Himmel. Die Symbolik der Szene besagt, dass Bruno später einmal, im Himmel wie auf Erden, als Sieger dastehen wird, wie einst Herkules, der große griechische Held. Beide - Herkules wie Bruno zeichnete eine unerschöpfliche Schaffenskraft aus. Auch der mythische Held endete auf dem Scheiterhaufen.15 Gerade in der Verbindung der Hinrichtung Brunos mit dem antiken Helden erweist sich der Laurentius als ein typisches Bild der Spätrenaissance. Es wurde bereits gesagt, dass die Inschrift auf dem Sockel der Statue bislang nicht befriedigend aufgeklärt werden konnte. Die Abfolge der Buchstaben lautet: 1. Zeile: FA 2. Zeile: O 3. Zeile: <leer> 4. Zeile: H16 Die Identität jener männlichen Person, die entspannt auf der Säule steht, steht eindeutig fest: der mythische Herkules. Von daher dürfte das H in der 4. Zeile für die Abkürzung seines Namens stehen. Die anderen Buchstaben sind verschlüsselte Hinweise auf Giordano Bruno. Die Folge FA in der ersten Zeile lässt sich auflösen, wenn man weiß, dass dessen Vorname ursprünglich Filippo gewesen war: F für Filippo. Er stammte bekanntermaßen aus Nola bei Neapel, und bezeichnete sich selbst häufig als „Nolaner“. Das A steht für den letzten Buchstaben seines Geburtsortes: NOLA. Wenn man will, ist die Chiffre ’FA’ auf das Kind Filippo, seine Familie und eben den Geburtsort bezogen. Davon abgegrenzt ist das O in 14 „Unstimmig dagegen erscheint der grüne Efeu, welcher das Haupt des antiken Gottes [besser: Halbgottes] umkränzt [...] Die Figurenbildung ist für einen Herkules untypisch.“ (Bachner 1997, S. 251) und ähnlich Klessmann 2006, S. 94. 15 Dies wird im 9. Buch von Ovids Metamorphosen - dieses Buch besaß Elsheimer - beschrieben. 16 Vgl. Klessmann 2006, S. 95. Andrews las die Folge ’FA-ON-HE’, ohne die Leerzeile zu erwähnen. Er brachte sie in einen Zusammenhang mit einer Versstelle aus den Metamorphosen, wo es um die Aufnahme des Herkules in den Olymp geht (zitiert nach Bachner 1997, S. 252). Neben dem O kann auch in der Vergrößerung kein N erkannt werden. Selbst wenn - ein N kommt auch in GIORDANO vor. 4 der 2. Zeile. Es bezieht sich auf sein Leben und Wirken als Erwachsener. Filippo nahm den (zweiten) Vornamen Giordano erst an, als er in den Dominikanerorden eintrat. Das O bezieht sich auf diesen angenommenen Namen: GIORDANO. Mit Herkules, dem mythischen Helden, wird Bruno hier verglichen. Sinngemäß enthält die Sockelinschrift daher den Satz: Giordano Bruno wird dereinst, wie Herkules, alle überragen. In dieser Prophezeiung liegt auch der Sinngehalt des Elsheimer’schen Laurentius. Auch beim Hl. Stephanus sind die Bezüge zu Bruno klar, wenn auch nicht so deutlich.17 So fehlt der Hinweis auf das Feuer, der Scheiterhaufen.18 Das Licht fällt scharf abgegrenzt von oben herab und beleuchtet Stephan und seine Peiniger. Ein Engel, von Gottvater und Sohn gesandt, saust hernieder, um den Heiligen im Augenblick seines Todes mit einem Siegeskranz zu bekrönen. Er wird von einer Schar blumenbegränzter Putten begleitet, von denen einer den Palmzweig in der Hand hält. Der Diakon hat bereits einen ersten Schlag erhalten, so dass er blutüberströmt nach vorn fällt. Hinter ihm hat sich ein junger, halbnackter Mann aufgebaut. Mit einem mächtigen Stein wird er ihm im nächsten Moment den Todesstoß versetzen. Der prächtig gekleidete Reiter mit Turban gleicht dem Kaiser Decius aus dem Laurentius. Hilfesuchend, mit geöffnetem Mund, schaut Stephan zu ihm, der die Angreifer jedoch gewähren lässt. Nach Jost handelt es sich bei dem jungen Mann links vorn um Saulus, der Zeuge der Exekution wird.19 Das Ambiente ist wiederum Rom, mit seinen Ruinen und Resten von Tempeln. Dies steht in Gegensatz zur Tatsache, dass der Diakon in Jerusalem gesteinigt wurde. Elsheimer stellte durch diesen Ortswechsel klar, dass das jüngste Opfer der römischen Inquisition, dass Giordano Bruno gemeint ist. Die Mordtat erfährt durch die himmlischen Instanzen - und auch durch Elsheimer selbst - keinerlei Billigung. Dies geht aus der Tatsache, dass die himmlischen Heerscharen 17 34 x 28 cm, Edinburgh. Quelle: Apostelgeschichte 6, 7. Zur zeitlichen Einordnung: „Elsheimers Steinigung des Hl. Stephanus, von der Nachbarschaft der Kunst Caravaggios geprägt, setzt die Komposition seines Laurentius voraus [...] so daß ihre Datierung, wie bereits von Jost und Andrews vorgeschlagen, um 1603/04 gerechtfertigt erscheint.“ (Klessmann 2006, S. 101). 18 In einer Fußnote ist A. Thielemann auf Giordano Bruno eingegangen: „Bruno sei allerdings 1600 hingerichtet worden. Tatsächlich hielten die Lincei und die Freunde Elsheimers Distanz zu Thesen Brunos. Schoppe rechtfertigte die Verbrennung Giordano Brunos.“ (Thielemann in Albrecht 2014, 153, Fußnote 66). Wenn man den klaren Bezug zu Bruno in Abrede stellt, nimmt man sich die Chance, schon die Märtyrer-Bilder auf seine Person zu beziehen.- Thielemann hat sich nicht nur mit seinen Arbeiten um Elsheimer verdient gemacht. Er hat auch maßgeblich dazu beigetragen, dass im Jahr 2010 ein Epitaph für Adam Elsheimer in der Basilika San Lorenzo in Lucina angebracht wurde. In der italienischen Inschrift heißt es: [...] Nel 1609 dipinse/ in cielo stellato/ osservandolo/ con uno dei primi/ telescopi. 19 Quelle: Apostelgeschichte 7, 57. Zitiert nach Klessmann 2006, S. 98. 5 dem Gepeinigten zu Hilfe eilen, klar hervor. Mehr noch als beim Laurentius hat Elsheimer die Zuschauer des Geschehens profiliert. Berittene Soldaten in Rüstungen und mit der Fahne Roms, aber auch Turbanträger wohnen der Steinigung bei. Im Hintergrund haben Zwei einen Baum bestiegen, um Zeugen des Schauspiels zu werden. Wie beim Laurentius herrscht schiere Passivität vor: Niemand aus dem Volk oder den höheren Kreisen ergreift Partei zugunsten des Gepeinigten. 3 Im Reich der Minerva Die Accademia dei Lincei (Akademie der Luchse) wurde vom Adligen Federico Cesi im Jahr 1603 in Rom gegründet.20 Neben Cesi gehörten ihr der Mathematiker Stelluti, der Astrologe und Astronom de Filiis und der Niederländer Johannes Heckius an. In einer Art WG lebten und studierten die Vier im Hause Cesis. Schon der Name (’Luchse’) machte deutlich, dass ein Schwerpunkt der Forschergruppe der Astronomie galt. Im Oktober 1603 stellte de Filiis eine Armillarsphäre her, und auch das Buch von Heckius zur Supernova von 1604 erschien unter der Federführung Cesis. Die Stadtoberen und die Kurie beäugten das Treiben dieser Akademie von Anfang an mit Argwohn. Tatsächlich wurde sie 1604 zeitweilig geschlossen. In der Folge mussten Stelluti und Heckius Rom verlassen. Möglicherweise hatte Johann Faber aus Bamberg, seit 1598 in Rom ansässig und „Elsheimers wichtigster Freund“21 , um 1605 Kontakte zu Cesi geknüpft. In Fabers Haus verkehrten u. a. Rubens, Paul Bril und eben auch Elsheimer.22 Der Naturforscher besuchte 1608 Giambattista della Porta in Neapel, der schon 1589 die Funktionsweise eines Teleskops beschrieben hatte. Die Gelehrten um ihn sollten später eine „Filiale“ der römischen Akademie bilden. Die kleine Tafel Im Reich der Minerva (8 x 14 cm), ursprünglich Teil einer dreiteiligen Bildfolge, beschreibt das karge Dasein der Hobbyforscher. Die dunkle Stube wird von zwei Kerzen und einem Oberlicht spärlich beleuchtet. Auf dem Boden steht eine Schale mit Glut, die für ein wenig Wärme sorgt. Vor einem Bücherregal steht ein großer Tisch, an dem zwei Männer in Folianten vertieft sind. Auf ihm steht auch ein Tintenfass samt Feder. Ein Mathematiker hantiert mit einem Zirkel. Vor ihm steht eine mit Wasser gefüllte Glaskugel. Die vielleicht interessanteste Person zeigt auf eine Himmelskugel, sie betreibt Astronomie. 20 Ich folge den Ausführungen bei Thielemann 2008, 144ff.- Interessanterweise kamen im selben Jahr sämtliche Schriften Giordano Brunos auf den Index, wo sie bis 1965 verblieben. Ein Standardwerk zu den Lincei ist Baldriga 2002, das ausführlich über Cesis und Johann Fabers Aktivitäten informiert. 21 Thielemann 2008, S. 134. 22 ebd., S. 135. 6 Unter die Gelehrten hat sich der Maler selbst gesellt: als pictor doctus. Mit einem Kollegen versucht er sich an einer Studie zum gemarterten Marsyas - auf dies ein Hinweis auf Bruno. Die Minerva ist die Göttin der Künste und Wissenschaften. Während sie bei Raffael noch über den sterblichen Menschen thronte23 , hat sie sich bei Elsheimer unter die Menschen gemischt. Mit Helm und Lanze ausgestattet, sitzt sie an einem Tisch, wobei sie ein Bein auf eine Kugel, dem Symbol der Vollkommenheit, abstützt. Nachdenklich harrt sie der Dinge, die die Wissenschaftler zustande bringen. Die Umstände, unter denen die Forscher ihre Studien betrieben, waren alles andere als erfreulich. Derartige Zustände dürften das Leben Elsheimers in Rom bestimmt haben. Dazu existiert eine - modern anmutende - Zeichnung: Sie zeigt den Künstler, wie er darüber verzweifelt ist, seine Kinder nicht ernähren zu können. Der Schrank, in dem diese nach Nahrung suchen, ist leer.24 Der mit Wasser gefüllten Glaskugel kommt eine besondere Bedeutung zu. In Deutschland als „Schusterkugel“ bezeichnet, dienten solche Glaskugeln dazu, das Licht einer entfernten Quelle, z. B. einer Kerze, auf einen Arbeitsbereich zu fokussieren.25 Davon profitierten alle Handwerker, die nachts arbeiten mussten und eben auch Maler wie Elsheimer. Für ihn, der mit feinen Pinseln Miniaturen herstellen musste, war eine ausreichende Beleuchtung besonders wichtig. Eine Karaffe kommt auch in seiner Pieta vor. Sie erzeugt dort „ein Spotlicht, mit dem die Nägel Christi herausgeleuchtet und zu einem eigenständigen Motiv der Passionsmeditation aufbereitet werden.“26 Der Schritt, die optischen Phänomene auch für teleskopische Zwecke nutzbar zu machen, war nur konsequent. Im Zusammenhang mit dem Gemälde Judith erschlägt Holofernes (Quelle: Buch Judith 13, 1-12, apokryph, von 1601/03) erwähnte Thielemann zwei runde, mit Wasser gefüllte Glaskugeln, die dort auf einem Tisch platziert sind. Er zog aus diesem Arrangement den erstaunlichen Schluss: „Elsheimer demonstriert eine Kombination zweier Linsen.“27 Tatsächlich stellen die Glasgefäße, wenn man das kleinere (als Okular) vor das größere anordnet, eine Vorform des Keplerschen Fernrohrs dar. Dabei erzeugt das erste Glas ein Abbild des realen Gegenstandes, den das zweite vergrößert: Das Bild steht auf dem Kopf. Die Vergrößerungswirkung hat der Maler 23 Gemeint ist die Minerva aus Raffaels Fresko Schule von Athen. Die dort unter ihrer Ägide versammelten Wissenschaftler widmeten sich vornehmlich der Mathematik und Physik (Archimedes) sowie der Geografie und Astronomie (Ptolemäus und Aristarch von Samos). 24 Vgl. Thielemann 2008, S. 34. 25 ebd., 150ff. 26 ebd., S. 150. 27 ebd., S. 149. Inzwischen wurde dieser Sachverhalt von Wenzel und Seggewiss in ihrem Beitrag Der Mond steht auf dem Kopf aufgegriffen und weiter veranschaulicht (Wenzel und Seggewiss 2016, S. 36-43). 7 mittels zweier, unterschiedlich großer Kerzen demonstriert. Das ’Elsheimer-Fernrohr’28 war wohlgemerkt einige Jahre vor Cesis und Galileis Konstruktionen im Einsatz.29 Das Thema: Judith erschlägt Holofernes, ein beliebtes Thema der Renaissance, z. B. bei Giorgione und Caravaggio, macht abermals deutlich, dass eine biblische Geschichte dafür herhalten musste, die „eigentliche Botschaft“ und Aussage des Bildes zu illustrieren.30 Es hat mit dem naturwissenschaftlichen Vergrößerungsproblem und seiner Lösung nichts zu tun. 4 Die Aurora Es gibt kaum etwas Unschuldigeres als den Sonnenaufgang, wie ihn Elsheimer gemalt hat und wie man ihn jeden Morgen aufs Neue bestaunen kann. Thielemann hat zu Recht darauf verwiesen, dass „die aufgehende, in das Landschaftsprofil eindringende Sonne die Rolle des handelnden Protagonisten (!) [übernahm], demgegenüber die figürliche Staffage in der Dunkelzone von untergeordneter Bedeutung war und später getilgt werden konnte [...]“31 Versetzten wir das Bild ins 19. Jh., so würden wir es umstandslos unter der Rubrik Landschaftsmalerei einsortieren. Aber bei dem Zeitstempel, der ihm aufgeprägt ist, Anfang 1600, impliziert das Kleinod eine ungeheure Brisanz: Die Aurora32 Adam Elsheimers ist nichts Weniger als die Summe aller Bestrebungen seit der Frührenaissance, dem Heliozentrismus in Europa zum Durchbruch zu verhelfen.33 Er stellte sich in eine Reihe mit Giordano Bruno 28 Wenzel und Seggewiss 2016, S. 43. Als Erster im 16. Jh., der das Prinzip einer konkaven und einer konvexen Linse erläutert hat, gilt Giambattista della Porta, mit dem Cesi in brieflichem Kontakt stand (vgl. Thielemann 2008, S. 146). 30 In Bezug auf die Flucht nach Ägypten vertrat Thielemann eine andere Auffassung: „Die biblische Geschichte ist in diesem Bild eben keineswegs nur ein thematischer Vorwand, um neueste wissenschaftliche Erkenntnisse in einem Nachtbild darstellen zu können.“ (Thielemann in Albrecht 2014, S. 141.) 31 Thielemann 2008, S. 132. 32 17 x 22 cm, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum. Der Titel geht auf den Kupferstich zurück, den Hendrick Goudt 1613 nach dem Vorbild Elsheimers anfertigte (vgl. Klessmann 2006, S. 148). Von Andrews wurde 1606 als Entstehungszeit vorgeschlagen (vgl. ebd., S. 151). 33 Thielemann schreibt, „daß die ’Aurora’ [...] als ein kostbares Bilddokument [zu nehmen ist], das seinen Platz auch in der Wissenschaftgeschichte hat.“ (Thielemann 2008, S. 140). Einmal mehr beeindruckt dieser Autor mit seinem nahezu visionären Gespür.- Der Verfasser versuchte, in den Abhandlungen zu Giorgione (2009), Sandro Botticelli (2015) und Piero della Francesca (2016) dem heliozentrischen Gedanken seit der Frührenaissance nachzuspüren. Manches verbindet Adam Elsheimer mit dem Meister der Frührenaissance. Für beide war der hl. Hieronymus wichtig, den Elsheimer in einer kleinen Tafel festhielt, die ihn kniend in der Wildnis zeigt. Der Heilige kehrt in der Haupttafel zur Auffindung und Verherrlichung des wahren Kreuzes wieder, einer Szenenfolge, die 29 8 und dessen Vordenker, Nikolaus Kopernikus. Wie im Laurentius betonte er das antike Erbe, das es jetzt, in fortgeschrittener Neuzeit zu bergen gelte. Die Aurora ist das astronomische Werk der Spätrenaissance mit dem größten Bezug zu Kopernikus. An einer Stelle hat Bruno Kopernikus als Morgenröte (Aurora) definiert: Er erscheint ’come una aurora, che dovea precedere l’uscita di questo sole de l’antiqua vera filosofia.’34 An einer anderen warf er ihm vor, mehr die Mathematik denn die Natur studiert zu haben.35 Im 16. Jh. sorgte das 1543 erschienene Hauptwerk De revolutionibus des Kopernikus für Furore. Es wurde durch dessen Schüler, Georg Joachim Rheticus, angekündigt: Der Erste Bericht (Narratio prima) erschien 1540 in Danzig. Rheticus verglich den „Herrn Doctor“ - er nannte den Namen Copernicus nur auf der Titelseite - mit Regiomontan, ja mit Ptolemäus. Auch ging er, im Vorblick auf Bruno, von der Unermesslichkeit und Unendlichkeit der Welt aus. Im Jahr 1550, 10 Jahre nach seinem Besuch in Frauenburg, war Rheticus überzeugter Kopernikaner. Ein Jahr später gab er die Ephemeriden heraus, wobei an diesem Prognostikon neu war, „dass die Positionen der Sonne, des Mondes und der Planeten auf der Grundlage der im Hauptwerk von Copernicus entwickelten Theorie berechnet wurden.“36 Der Tübinger Professor Michael Mästlin war zeitlebens ein Anhänger des Kopernikus. Dies geht aus einem Traktat zur Nova in der Kassiopeia von 1572 ebenso hervor wie aus seinem 1596 verfassten Beitrag zu Keplers Mysterium cosmographicum.37 Im selben Jahr besorgte er eine Neuausgabe der Narratio prima, worin er u. a. Kopernikus verteidigte und in einer Bemerkung Aristarch von Samos, den ersten Heliozentriker des Altertums, erwähnte.38 Damit war die Gestalt aus den Drei Philosophen und der Schule von Athen auch am Ende des Säkulums präsent. Im Zuge der Gegenreformation kam De revolutionibus 1616 auf den Index der häretischen Bücher.- Gerade die Kombination von ästhetischer Naturerfahrung und antikem Erbe macht den besonderen Reiz der Aurora aus. Schauplatz ist die Landschaft um Rom, wo sich auch die frühen Protagonisten Kopernikus und Raffael aufgehalten hatten.39 Kein Bild weist von der Gestaltung der Landschaft und dem eminent astronomischen auch Piero um 1460 in Arezzo schuf. Rechts von Hieronymus disputieren die Märtyrer Stephanus und Laurentius. Oberhalb schaut Saulus zum Kreuz. Ein zweites Paar wird von Sebastian, bei Piero ebenfalls thematisch, und dem Kirchenvater Gregor gebildet. Kontinuität in den Personen und Themen also, dennoch überrascht die Affinität zu Piero della Francesca. 34 zitiert nach H. Hufnagel in Albrecht 2014, S. 69. 35 Vgl. ebd., S. 69. 36 Vgl. Nobis 2015, S. 142. 37 Vgl. Granada 2014, 91 u. 99. 38 Vgl. Nobis 2015, S. 484. 39 Eine interessante Parallele zu Elsheimer: Auch Raffael lebte, ein Jahrhundert früher, bis zu seinem frühen Ableben 1520 ein Jahrzehnt in Rom, wo er seine klassischen Meisterwerke schuf. 9 Background eine größere Affinität zur Flucht nach Ägypten auf. 5 Die Sternbilder in der Flucht nach Ägypten Man kann sich gut vorstellen, das der (ruhige) Mond ein bevorzugtes Objekt der Elsheimer’schen Optik war. Wie Damianaki bemerkte, hat Elsheimer den Mond in der Flucht nach Ägypten auf dem Kopf stehend gemalt, während das Spiegelbild im Wasser dessen reale Ansicht zeigt.40 Der Maler hat den Mond also mit einem konvexen Fernglas gesehen. Ein weiterer Beleg sind die Krater, die man freiäugig nicht erkennt. Außerdem malte Elsheimer die Fixsterne mehrstrahlig.41 Die Milchstraße als eine Ansammlung einzelner Sterne zu sehen, wie in der Flucht nach Ägypten42 , setzt zwingend deren Betrachtung mit einem (kleinen) Teleskop voraus. Erstaunlicherweise gelangte Elsheimer zu dieser Erkenntnis „vor“ Galilei. Die Flucht nach Ägypten entstand 1609, während Galilei sein gleichlautendes Ergebnis erst im März 1610 publizierte.43 Thielemann hat überzeugend nachweisen können, dass Federico Cesi „im Sommer 1609 in Rom ein eigenes Fernrohr konstruierte“44 , das an einige Große der Stadt verteilt worden sei.45 Interessant ist, dass Cesi das neue Instrument als „Teleskop“ bezeichnete. Sein Bau sei gleichzeitig zu Galilei erfolgt - so heißt es rückblickend in einem Bericht Johann Fabers von 1628.46 Elsheimer konnte auch über den Kardinal Borghese ein Teleskop bezogen haben, das im August 1609 aus Flandern geschickt wurde.47 Der konkrete Anlass für Elsheimer, sich auf den naturwissenschaftlichen Bruno zu beziehen, war vermutlich der Ausbruch der Supernova von 1604. Dieses Ereignis hat möglicherweise sein Interesse am Fernrohr weiter verstärkt. Die Nova wurde erstmals im Oktober 1604 gesichtet und war ein Jahr lang zu sehen. Mit einer maximalen Helligkeit von -2,5 m überstieg sie diejenige des Sirius. Noch im Januar 1605 war sie heller als Antares. Die 40 Vgl. Damianaki 2000, 57f. Vgl. Becker 2007, S. 1145. Auf dem von Becker gebrachten Ausschnitt aus Elsheimers Gemälde (S. 1316) dürften die Spica und der Antares abgebildet sein. 42 Hartl/Sicka sprachen von etwa 1200 Punkten, die Elsheimer aufgebracht habe (vgl. Baumstark 2005, S. 116). 43 Dazu Thielemann: „Inzwischen hat die römische und bis nach Neapel reichende Kontextualisierung von Elsheimers ’Flucht nach Ägypten’ so viel Eigengewicht erlangt, dass auf die ohnehin unhaltbare Verbindung mit Galileo Galilei verzichtet werden kann.“ (Thielemann in Albrecht 2014, S. 164). 44 Thielemann 2008, S. 146. 45 Vgl. ebd., S. 146. 46 Vgl. ebd., S. 145. 47 Vgl. ebd., S. 146. 41 10 Erscheinung eines neuen Himmelobjektes jenseits der Mondsphäre zerstörte endgültig den Glauben an die aristotelische Kosmologie. Es ist davon auszugehen, dass auch Elsheimer den neuen Stern beobachtet hat.48 Im Jahr 1605 erschien in Rom die Schrift Disputatio de nova stella des Niederländers Johannes Heckius.49 Kepler widmete der Supernova zwei Schriften, darunter das Buch De Stella Nova In Pede Serpentarii, das 1606 erschienen ist. Es enthält eine Zeichnung, das den Neuen Stern unterhalb des Schlangenträgers lokalisiert. Auf beide Vorgaben konnte sich Elsheimer bei seiner Planung für die Flucht nach Ägypten beziehen. Im Katalog von 2005 wurden die auf Elsheimers Tafel vorfindlichen Sternbilder nicht vollständig erkannt.50 Aufgrund der Supernova war der Schlangenträger das entscheidende Sternbild; es ist im Sommer im Süden sichtbar. Hinzu kommen der Große Hund (Winter) und die Jungfrau (Frühling).51 In seinem Bild hat Elsheimer das Sternbild an einer prominenten Stelle oberhalb der hl. Familie platziert. Einen guten Orientierungspunkt zum Auffinden des Schlangenträgers bildet der Stern Antares im Skorpion (mit Sommer Sichtbarkeit). Antares zählt mit 0,9-1,8 m zu den hellsten Sternen am Firmament. Elsheimer hat ihn deutlich mit Strahlen gezeichnet. Westlich des Antares sind die Skorpion-Sterne β , δ und π zu finden. Sowohl ihre Lage als auch ihre Helligkeiten sind stimmig realisiert: π (der unterste Stern) fällt mit 2,89 m gegenüber den oberen Zwei (2,56 m bzw. 2,29 m) etwas ab. Bei der Darstellung des Sternbildes lassen sich obere und untere Sterngruppen unterscheiden. Bei der unteren fällt der mittlere Stern als heller auf, es dürfte sich um η mit einer scheinbaren Größe von 2,43 m handeln. Seine Nachbarn zur Linken und Rechten ξ und ζ sind mit 4,39 m und 2,54 m schwächer. Bei der oberen Gruppe sollten α und κ gemeint sein, mit Helligkeiten von 2,08 m und 3,19 m (der zweite α-Stern in der Nähe gehört zum Sternbild Herkules). Der davon abgesetzte hellere Stern - bei Elsheimer ist er genau oberhalb des Antares zu finden scheint schon zur Schlange zu gehören: der Stern α (2,63 m).- Man kann feststellen, dass Elsheimer den Skorpion und den Schlangenträger gut getroffen hat, mit der Einschränkung vielleicht, dass die Relation des Schlangenträgers zum Antares, der Elsheimer lediglich als 48 Thielemann erwähnte die Supernova 1604 in Zusammenhang mit Heckius’ Schrift, ohne die doch naheliegende Verbindung zu Elsheimer herzustellen (vgl. Thielemann 2008, S. 144). 49 In Deutsch erschienen die Traktate: David Herlicius, Astronomische und Historische Erklerung des Newen Sterns (1604), und Paul Nagel, Himmels Zeichen von 1605. 50 Vgl. Baumstark 2005. 51 Vgl. die Abbildungen 2-4.- Einen ersten Versuch, die Sternkonstellationen bei Elsheimer zu bestimmen, hatte C. Damianaki unternommen. Sie ging von einem Beobachtungszeitraum zwischen Dez. 1609 und Feb. 1610 aus (zitiert nach Thielemann 2008, S. 155). Dabei würden allerdings die bei Elsheimer vorhandenen Frühjahrs- und Sommersternbilder nicht berücksichtigt. 11 Orientierung diente, nicht ganz passend ist. Der Antares steht relational östlicher als bei Elsheimer. Dabei darf der eigentliche Hauptzweck seiner Unternehmung nicht außer Acht gelassen werden, nämlich die Demonstration jenes Ortes, an dem 1604 die Supernova ausgebrochen war: am Fuß des Schlangenträgers. Eben dieser Ausbruch bedeutete eine - sicherlich auch von Elsheimer so intendierte - Rehabilitierung Giordano Brunos, dem der Maler sein Bild widmete. Mit dem Großen Hund hat Elsheimer ein Sternbild des Winterhimmels wiedergegeben. Es findet sich bei ihm westlich des Schlangenträgers. Mit Sirius (-1,5 m) enthält es den hellsten, von der Erde aus beobachtbaren Stern. Daneben hat Elsheimer auch den β -Stern Murzim mit Strahlen ausgestattet. Dessen Helligkeit von 1,98 m wird allerdings von und δ übertroffen (1,5 m bzw. 1,83 m). Mit dem mittig zwischen δ und dem Sirius platzierten Stern dürfte o2 gemeint sein. In der Realität steht dieser näher bei δ . Ansonsten stimmt die Lage von δ , , ζ und η mit der realen Ansicht gut überein. Wie gesagt, Elsheimer verfolgte mit der Darstellung des Sternenhimmels zwei Ziele: Es ging ihm einmal darum, markante Sternbilder aller Jahreszeiten zu konstruieren, wobei der Große Wagen zirkumpolar, also ganzjährig sichtbar ist. Sodann interessierte er sich für die Hauptsterne dieser Sternbilder, wie den Antares oder Alkione in den Plejaden. In dieser Liste durfte natürlich auch der Sirius nicht fehlen.52 Er brachte sie gewissermaßen kontrastiv zur Supernova, die einige von ihnen in der Helligkeit übertraf. Diese war 1609 bereits verschwunden. Mit der Jungfrau, und Spica als Hauptstern, ist ein Sternbild des Frühjahrs abgebildet. Bei Elsheimer ist es südlich des Schlangenträgers zu sehen. Etwa auf einer Linie liegen die „unteren“ Serne: die mit „Strahlen“ versehene Spica (0,98 m) sowie der Außenstern β mit 3,59 m.53 Als oberer Stern kommt in Frage, mit 2,85 m zweithellster Stern des Sternbildes. Die Zuordnung eines 4. Sterns (zwischen β und ) bereitet Probleme. Denebola (vom Sternbild Löwe) scheidet wegen der Position, ν -Jungfrau wegen der zu geringen Helligkeit (4 m) aus. Elsheimer hat diesen „Stern“ an eine Stelle gemalt, an der sich der Virgo-Galaxienhaufen befindet (M49). Es ist gut möglich, dass er mit diesem „Punkt“ jene Ansammlung von Galaxien gemeint haben könnte, die man bereits mit kleinen Teleskopen beobachten kann. Dies könnte ein weiterer Beleg dafür sein, dass er den Sternenhimmel 52 Von Hartl/Sicka wurde eine Übereinstimmung einer Konstellation bei Elsheimer mit dem Sommersternbild Delphin gesehen (vgl. Baumstark 2005, S. 119), was die Autoren aber gleichzeitig wieder problematisierten (vgl. ebd., S. 119). Der Delphin besitzt keinen markanten Stern, wie es bei den anderen, von Elsheimer gebrachten Sternbildern der Fall ist. 53 Auf den Reproduktionen des Bildes im Katalog von 2005 ist der Punkt in der Mitte der „unteren“ Sterne nicht zu erkennen (vgl. ebd., S. 134/5), weshalb er für eine Beurteilung des Musters nicht herangezogen wird. 12 oder zumindest Teile davon mit einem einfachen Teleskop betrachtet hat. Davon wurde ja bereits im Katalog von 2005 und nachdrücklicher noch in der Publikation von 2008 ausgegangen.54 Das letzte Bild, das Adam Elsheimer vollendete, ist eine „Hommage“ an Giordano Bruno, der auf dem Scheiterhaufen der römischen Inquisition endete. Dessen „Trauma“ und persönliche Katastrophe hat er in diesem Bild gewissermaßen ins „Positive“ gewendet. Das auflodernde Feuer hat nichts Bedrohliches mehr an sich. Im Gegenteil: Der umherirrenden Familie gewährt es Schutz, Zuflucht und Wärme. Dasselbe gilt für die Fackel, die Josef hält: Für Bruno Vorzeichen des nahenden Todes, ist sie für die hl. Familie positiv besetzt. Die „Verbrennung“ Brunos wurde durch Elsheimer klar als Unrecht erkannt.55 Und den naturwissenschaftlichen Bruno hat er ebenfalls, lange vor Anbruch der Aufklärung, voll rehabilitiert.56 54 Vgl. Baumstark 2005 und Thielemann 2008. Dazu brauchte die katholische Kirche 400 Jahre. Erst im Jahr 2000 erklärte Papst Johannes Paul II. die Hinrichtung Giordano Brunos für Unrecht. 56 Dagegen wurde Bruno von Galilei nicht erwähnt: „Giordano Bruno kommt bei Galileo Galilei nicht vor. Sein Name wird in den Schriften Galileis nicht ein einziges Mal erwähnt.“ (Hufnagel in Albrecht 2014, S. 51). 55 13 6 Abbildungen Abbildung 1: Adam Elsheimer, Die Flucht nach Ägypten 14 (a) (b) Abbildung 2: (a) Das Sternbild Schlangenträger (b) Die Flucht nach Ägypten (Detail) (a) (b) Abbildung 3: (a) Das Sternbild Großer Hund (b) Die Flucht nach Ägypten (Detail) 15 (a) (b) Abbildung 4: (a) Das Sternbild Jungfrau (b) Die Flucht nach Ägypten (Detail) 16 7 Abbildungsnachweis Abb. 1, 2b, 3b, 4b: Die Flucht nach Ägypten von Adam Elsheimer (Alte Pinakothek) URL der Seite: https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AAdam_Elsheimer_-_ Die_Flucht_nach_%C3%84gypten_(Alte_Pinakothek).jpg URL der Datei: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1e/ Adam_Elsheimer_-_Die_Flucht_nach_%C3%84gypten_%28Alte_Pinakothek%29.jpg Source/Photographer: The Bridgeman Art Library, Object 505268 (http://www.bridgemanimages.com/en-GB/asset/505268). Abb. 2a: Ophiuchus constellation map.png von Torsten Bronger (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ophiuchus_constellation_map.png). Das Original wurde unter einer „Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported“ (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en) Lizenz veröffentlicht. (Diese Abbildung steht unter einer „Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0“ Lizenz). Abb. 3a: Canis major constellation map.png von Torsten Bronger (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Canis_major_constellation_map.png). Das Original wurde unter einer „Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported“ (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en) Lizenz veröffentlicht. (Diese Abbildung steht unter einer „Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0“ Lizenz). Abb. 4a: Virgo constellation map.png von Torsten Bronger (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Virgo_constellation_map.png). Das Original wurde unter einer „Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported“ (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en) Lizenz veröffentlicht. (Diese Abbildung steht unter einer „Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0“ Lizenz). 17 Literatur Albrecht, Andrea u.a. Hg. (2014). Tintenfass und Teleskop. Galileo Galilei im Schnittpunkt wissenschaftlicher, literarischer und visueller Kulturen im 17. Jahrhundert. Berlin; Boston: De Gruyter. Bachner, Franziska (1997). „Gleichartigkeit und Gegensatz : zur Figurenbildung bei Adam Elsheimer“. In: Städel-Jahrbuch 16, S. 249–256. Baldriga, Irene (2002). L’occhio della lince. I primi lincei tra arte, scienza e collezionismo (1603-1630). Roma. Baumstark, Reinhold Hg. (2005). Von neuen Sternen. Adam Elsheimers Flucht nach Ägypten. München und Köln: Pinakothek-DuMont. Becker, Christoph (2007). Giordano Bruno - die Spuren des Ketzers. Ein Beitrag zur Literatur-, Wissenschafts- und Gelehrtengeschichte um 1600. 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