Seltene Erkrankungen Teil 3: Neurofibromatose Typ 1

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Seltene Erkrankungen Teil 3: Neurofibromatose Typ 1
(Professor Dr. med. Martin Zenker)
Die Neurofibromatose Typ 1 (NF1) oder "von Recklinghausen’sche Erkrankung" ist eine
autosomal-dominant vererbte Tumordispositions-Erkrankung mit vorwiegend neurokutaner
Manifestation. Mit einer Inzidenz von etwa 1:3.000 bei Geburt ist sie eine der häufigsten
monogenen Erkrankungen.
Klinische Zeichen
Molekulare und genetische Grundlage
Diagnose
Sonderformen der NF1 und Differentialdiagnosen
Therapie und Vorsorge
Literatur
Klinische Zeichen
Abb. 1:
Typische
kutane
Manifestationen
der NF1. A) Die
charakteristisch
Café-au-laitFlecken sind
ovoid geformt
mit scharfen
Grenzen,
homogen
gefärbt, 1-3 cm
groß und nicht
erhaben. B)
„Freckling“ und
ein größerer
Café-au-laitFleck in der
Axilla eines
Jugendlichen.
C) Multiple
kutane und
sukutane
Neurofibrome
bei einem
Erwachsenen
mit NF1. D)
Kutanes
plexiformes
Neurofibrom. E)
Segmentale
NF1 mit
kutanen
Läsionen nur im
Bereich der
linken Schulter
(gestrichelte
Linie). Foto:
Zenker
Haut
Multiple Café-au-lait-Flecken (siehe Abb. 1A) gelten als obligatorisches Zeichen der NF1.
Sie sind oft schon bei Geburt vorhanden und nehmen an Anzahl und Größe in den ersten
Lebensjahren zu. Sommersprossen-ähnliche Pigmentierungsanomalien ("Freckling") in der
Axilla (siehe Abb. 1B), der Leistenregion oder bei Frauen unter den Mammae entwickeln
sich erst später und sind bei bis zu 90 Prozent der erwachsenen Betroffenen sichtbar.
Kutane und subkutane Neurofibrome (siehe Abb. 1C) sind die zweite nahezu obligatorische
Manifestation der NF1, aber ihr Auftreten vor der Adoleszenz ist selten. Es handelt sich um
benigne Schwann-Zell-Tumoren, die prinzipiell an jedem peripheren Nerven entstehen
können und nur sehr langsam wachsen. Die Anzahl der Neurofibrome variiert
interindividuell stark und ist vom Alter abhängig. Bei Frauen wird in einer Schwangerschaft
oft eine Zunahme der Anzahl und Größe von Neurofibromen beobachtet (Roth et al., 2008).
Plexiforme Neurofibrome (siehe Abb. 1D) sind ein im klinischen Bild und
Wachstumsverhalten distinkter Subtyp der Neurofibrome, der vor allem im Kindesalter
rasch wachsen und dadurch zu Funktionseinschränkungen oder zu äußerlicher Entstellung
führen kann (Nguyen et al., 2012). Etwa die Hälfte der von NF1 Betroffenen entwickelt
diese Art von Neurofibromen, wobei die meisten aber asymptomatisch bleiben. Diese
Tumoren erscheinen typischerweise im Kleinkindalter. Neuauftreten jenseits der
Adoleszenz ist selten.
Andere Tumormanifestationen: Gliome des Nervus opticus entwickeln sich
typischerweise innerhalb der ersten sechs Lebensjahre bei etwa 15 Prozent der
Betroffenen. Sie bleiben oft asymptomatisch und jenseits des frühen Kindesalters im
Wachstum stationär. Symptomatische Optikusgliome können sich durch Proptosis und/oder
Visusminderung manifestieren und sind dann behandlungsbedürftig. Gliome können
seltener auch in anderer Lokalisation (zum Beispiel Kleinhirn, Hirnstamm) auftreten
(Häufigkeit 2 bis 3 Prozent).
Maligne periphere Nervenscheidentumoren (MPNST) sind die häufigste maligne Tumorart
bei der NF1 und betreffen etwa 10 Prozent der Patienten (Walker et al., 2006). Sie können
schon in der Adoleszenz und im jungen Erwachsenenalter auftreten.
Eine signifikante Assoziation zur NF1 hat eine bestimmte Leukämie des Säuglingsalters,
die juvenile myelomonozytäre Leukämie (JMML). Das absolute Erkrankungsrisiko für
Kinder mit NF1 ist aber gering (etwa 1 bis 2 Prozent). Weitere Tumoren mit Assoziation zur
NF1 sind gastrointestinale Stromatumoren, die sich am häufigsten durch gastrointestinale
Blutungen oder eine Anämie bemerkbar machen (Miettinen et al., 2006). Patienten mit NF1
haben auch ein erhöhtes Risiko für die gutartigen aber potenziell expansiv wachsenden
Riesenzelltumoren der Kieferknochen. Für Frauen mit NF1 besteht ein leicht erhöhtes
Brustkrebsrisiko (Madanikia et al., 2012).
Neurologie und Entwicklung: Obwohl die meisten von NF1 Betroffenen eine Intelligenz
im Normbereich haben, sind Lern- und Schulschwierigkeiten überdurchschnittlich häufig
(50 bis 75 Prozent). Die Leistungsschwächen können verschiedene Funktionen betreffen
wie Aufmerksamkeit, visuospatiale Fähigkeiten, Sozialkompetenz, exekutive Funktionen,
Gedächtnis, Sprache und Feinmotorik (Lehtonen et al., 2013). Auch Störungen aus dem
Autismus-Spektrum sollen bei bis zu 30 Prozent der Betroffenen vorkommen (Garg et al.,
2013) und eine geistige Behinderung ist etwa zweimal häufiger als in der
Allgemeinbevölkerung. Bis zu 10 Prozent der von NF1 Betroffenen haben eine Anamnese
zerebraler Anfälle oder die Diagnose einer Epilepsie (Ostendorf et al., 2013).
Kopfschmerzen und neuropathische Schmerzen sind häufig, und letztere können mit
plexiformen Neurofibromen assoziiert oder auch ein Zeichen für die Entwicklung eines
MPNST sein. Patienten mit multiplen Tumoren an den Nervenwurzeln können auch das
Bild einer Polyneuropathie entwickeln.
Augen: Die sogenannten Lisch-Knötchen sind ein besonders spezifisches
ophthalmologisches Zeichen der NF1. Diese an sich harmlosen Hamartome der Iris gibt es
bei etwa 90 Prozent der Erwachsenen, sind aber vor dem Schulalter selten. Sie sind am
besten mit der Spaltlampe zu erkennen. Retinale vasoproliferative Tumoren und Glaukome
sind seltene okuläre Manifestationen der NF1 (Shields et al., 2014).
Skelettsystem und Wachstum: Eine seltene (circa 2 Prozent der NF1-Patienten) aber
charakteristische angeborene Dysplasie langer Röhrenknochen bei der NF1 betrifft vor
allem die Unterschenkelknochen und wird auch als angeborene Tibiapseudarthrose
bezeichnet (Elefteriou et al., 2009). Die Dysplasie der Keilbeinflügel ist ebenfalls ein
seltener aber spezifischer Befund bei NF1. Sie kann als Zufallsbefund bei der zerebralen
Bildgebung entdeckt werden oder sich mit Strabismus oder Orbitaasymmetrie klinisch
manifestieren. Das Auftreten einer Skoliose ist gehäuft bei NF1 (circa 10 Prozent schwere
Skoliosen mit >20° nach Cobb). Aus nicht hinreichend geklärten Gründen neigen Patienten
mit NF1 zu Osteopenie und vorzeitiger Osteoporose (Tucker et al., 2009). NF1-Patienten
haben durchschnittlich ein Köperlängenwachstum unterhalb des Mittelwerts der
Allgemeinbevölkerung bei einem Kopfwachstum oberhalb des Durchschnitts.
Kardiovaskuläres System: Patienten mit NF1 haben in jedem Lebensalter ein erhöhtes
Risiko für die Entwicklung einer arteriellen Hypertonie (Friedman et al., 2002). Diese kann
essenziell sein, vor allem bei jüngeren Betroffenen auch renovaskulär. Gefäßanomalien im
Sinne einer "NF1-Vaskulopathie" können auch andere Gefäßabschnitte, insbesondere die
Hirnarterien betreffen (Rosser et al., 2005). Zerebrovaskuläre Komplikationen und
Moyamoya-Erkrankung sind mehrfach bei NF1-Patienten auch schon im jungen Alter
beschrieben. Auch angeborene Herzfehler sind bei NF1 etwas häufiger als in der
Allgemeinbevölkerung (Lin et al., 2000).
Lebenserwartung: Die Lebenserwartung bei NF1 liegt im Mittel acht Jahre unter der in der
Allgemeinbevölkerung (Wilding et al., 2012). Maligne Tumoren (MPNST) und (zerebro)vaskuläre Komplikationen tragen vor allem zu der verminderten Lebenserwartung bei.
[nach oben]
Molekulare und genetische Grundlage
Ursächlich für die NF1 sind Mutationen im NF1-Gen. Dessen Genprodukt, Neurofibromin,
ist ein unmittelbarer Antagonist des bekannten Proto-Onkogens RAS. Während bei
Neurofibromatose-Patienten in der Keimbahn (und in Blutzellen) die NF1-Mutation
heterozygot vorliegt, ist die Grundlage der Tumorentwicklung - wie auch bei anderen
Tumordispositions-Erkrankungen durch Mutationen in Tumorsuppressorgenen - ein Defekt
auch des zweiten Allels in dem Tumorzellklon aufgrund einer somatischen Mutation
(Second-Hit-Hypothese). Der Ausfall der RAS-Inhibition durch Neurofibromin und die
konsekutive Überaktivierung der RAS-RAF-MEK-ERK-Signalkaskade ist die
pathogenetische Basis der Tumorentwicklung bei NF1.
Die NF1 wird autosomal dominant vererbt. Das bedeutet, dass Betroffene mit einer
Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent die Erkrankung ohne Einfluss des Geschlechts
weitergeben. Die Penetranz ist vollständig; alle Träger einer krankheitsverursachenden
NF1-Mutation entwickeln klinische Zeichen der Erkrankung. Die Krankheitsausprägung
kann jedoch erheblich variieren, auch innerhalb einer Familie. Die NF1 ist aber keineswegs
in allen Fällen von einem betroffenen Elternteil vererbt. Vielmehr hat fast die Hälfte der
Betroffenen eine Neumutation.
[nach oben]
Diagnose
Klinische Diagnose: Die Diagnose der NF1 wird in der Regel klinisch gestellt. Als
klinische Diagnose-Kriterien gelten die des National Institutes of Health (NIH) Consensus
Development Conference Statement (siehe Kasten). Für Erwachsene mit NF1 haben diese
Kriterien eine sehr hohe Spezifität und Sensitivität. Weil viele der in den NIH-Kriterien
genannten Symptome aber altersabhängig sind, ist im frühen Kindesalter die klinische
Diagnose insbesondere dann oft nicht eindeutig, wenn es keinen betroffenen Elternteil gibt.
Dann sind zunächst die multiplen Café-au-lait-Flecken die einzige Auffälligkeit. In solchen
Fällen ist trotz unzureichender Kriterien für die Diagnose der Verdacht auf eine NF1 zu
stellen, und es sollten regelmäßige Untersuchungen erfolgen, wie sie auch für Kinder mit
gesicherter NF1 empfohlen werden, bis Klarheit über die Diagnose besteht.
Molekulargenetische Diagnose: Die molekulargenetische Sicherung einer NF1 gelingt
mit geeigneten Analysemethoden bei bis zu 95 Prozent der Fälle mit klinisch eindeutiger
Diagnose. Ein unauffälliges Untersuchungsergebnis (kein Nachweis einer
krankheitsverursachenden Mutation im NF1-Gen) schließt aber die Erkrankung nicht
absolut aus, weil es je nach Untersuchungsmethode immer einen kleineren oder größeren
Anteil von Veränderungen gibt, die der Test nicht nachweisen kann. Kein genetischer Test
eignet sich also zum sicheren Ausschluss einer NF1 bei zweifelhafter klinischer
Zuordnung.
Bei eindeutiger klinischer Diagnose ist nicht in jedem Fall von NF1 eine genetische
Untersuchung notwendig, weil die Tatsache einer genetischen Bestätigung oder die Art der
genetischen Veränderung keine unmittelbare Auswirkung auf Vorsorge- und
Therapieempfehlungen haben. Vor allem in folgenden Szenarien kann aber eine
molekulargenetische Untersuchung sinnvoll sein oder in Erwägung gezogen werden:
Bei einem Kind mit Verdacht auf eine NF1, bei dem aber die NIH-Kriterien für eine
klinische Diagnose (noch) nicht erfüllt sind.
Bei einem jungen Kind mit einer Tumorerkrankung, die zum NF1-Spektrum passt
(JMML, Optikusgliom), wo die Diagnose NF1 das therapeutische Vorgehen
beeinflussen würde.
Bei Verdacht auf eine seltenen Sonderform der NF1 mit oligosymptomatischem oder
besonders schwerem Verlauf.
Zur Feststellung der familiären Mutation, wenn eine pränatale oder
Präimplantationsdiagnostik angestrebt wird (in Deutschland sehr restriktiv).
[nach oben]
Sonderformen der NF1 und Differenzialdiagnosen
Zu den durch NF1-Mutationen bedingten Erkrankungen mit besonderem klinischen Bild
gehören insbesondere die Folgenden:
Segmentale NF1: Bei der segmentalen NF1 sind die klinischen Zeichen der NF1 auf
ein Körpersegment beschränkt (siehe Abb. 1E). Ursache sind postzygotische Mosaike
für die NF1-Mutation, die nur in dem betroffenen Segment vorhanden und im Blut
auch oft nicht nachweisbar sind. Die segmentale NF1 kann nicht von einem Elternteil
vererbt sein.
NF1-Mikrodeletion: Eine Deletion von 1,4 Mb Größe, die das gesamte NF1-Gen und
einige benachbarte Gene umfasst, wird bei etwa 3 bis 5 Prozent der Fälle von NF1
gefunden. Die NF1-Mikrodeletion ist mit früherem Auftreten von kutanen
Neurofibromen, ausgeprägteren kognitiven Einschränkungen und
dysmorphologischen Anomalien assoziiert (Mautner et al., 2010).
Milde/oligosymptomatische Formen der NF1: In Einzelfällen wurden Familien mit
ungewöhnlichen / oligosymptomatischen Verlaufsformen der NF1 beschrieben, wie
Café-au-lait-Flecken ohne Neurofibrome (Upadhyaya et al., 2007) oder spinale
Neurofibromatose ohne kutane Manifestationen (Burkitt-Wright et al., 2013).
NF1-Noonan-Syndrom (Watson-Syndrom): Manche NF1-Patienten haben zusätzlich
offensichtliche Zeichen des Noonan-Syndroms (faziale Anomalien, Pterygium colli,
Kleinwuchs, Herzfehler). Diskretere Noonan-Syndrom-ähnliche Merkmale finden sich
häufig vor allem bei Kindern mit NF1. Dies spiegelt die pathophysiologische
Verwandtschaft von Noonan-Syndrom und NF1 wieder, die beide Erkrankungen des
RAS-Signalwegs sind (sogenannte „RASopathien“). Das NF1-Noonan-Syndrom ist
keine eigenständige Entität, sondern die Extremform der Ausprägung NoonanSyndrom-ähnlicher Zeichen bei NF1.
Zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen der NF1 gehören:
Legius-Syndrom: Hier treten multiple Café-au-lait-Flecken und axilläres „Freckling“
mit autosomal dominantem Vererbungsmuster auf. Die Betroffenen haben aber nicht
die NF1-typischen Tumoren. Bei Kindern mit dem viel selteneren Legius-Syndrom
wird meist zunächst eine NF1 vermutet. Die Prognose des Legius-Syndroms ist aber
wegen des Fehlens einer signifikanten Tumorneigung wesentlich günstiger. Ursache
sind Mutationen im SPRED1-Gen (Brems et al 2012).
Noonan-/LEOPARD-Syndrom: Beim Noonan-Syndrom und vor allem bei dem
verwandten LEOPARD-Syndrom können Café-au-lait-Flecken auftreten, ein weiteres
Zeichen der Verwandtschaft unter den „RASopathien“. Beim LEOPARD-Syndrom
können gelegentlich auch paraspinale Neurofibrome vorkommen (Conboy et al.,
2016).
Neurofibromatose Typ 2 und Schwannomatose: Neurofibromatose Typ 2 und
Schwannomatose sind seltenere Erkrankungen mit Schwann-Zell-Tumoren. Sie
haben aber weder die NF1-typischen Pigmentanomalien noch kutane Neurofibrome
und sind dadurch klar unterscheidbar.
McCune-Albright-Syndrom: Hier sind die Café-au-lait-Flecken typischerweise von
größerer Ausdehnung und unregelmäßiger Konturierung. Fibröse Knochendysplasien
und Endokrinopathien sind darüberhinaus typisch für diese Erkrankung.
Mismatch-Repair-Deficiency-Syndrom: Biallelische Mutationen in den Genen für das
familiäre Kolonkarzinom führen zu multiplen Café-au-lait-Flecken, die oft zunächst
den Verdacht auf eine NF1 aufwerfen, und hohem Tumorrisiko schon im Kindesalter.
[nach oben]
Therapie und Vorsorge
Richtlinien für die Betreuung von Patienten mit NF1 wurden von verschiedenen
Expertengruppen vorgeschlagen (Übersicht bei Friedman, 2014). Grundsätzlich ist die
Therapie bei NF1 symptomatisch und richtet sich nach den individuellen Beschwerden. Die
Anbindung an ein Zentrum mit Erfahrung bei der Betreuung von NF1-Patienten wird
empfohlen. Spezialisierte Versorgungseinrichtungen für NF1-Patienten kann man im SEAtlas finden (www.se-atlas.de).
Die Behandlung der Tumormanifestationen bei NF1 hat verschiedene wichtige
Besonderheiten. Kutane Neurofibrome, die kosmetisch störend oder an ungünstigen
Stellen lokalisiert sind (Hosenbund, behaarter Kopf), können chirurgisch oder bei geringer
Ausdehnung durch Laser-Therapie entfernt werden. Eine Entfernung aller kutanen
Neurofibrome ist aber kein realistisches Therapieziel bei der NF1. Für Optikusgliome gilt
eine abwartende Haltung, solange sie asymptomatisch sind (Friedman, 2014). Die
Chemotherapie ist die Therapie der Wahl bei progressiven, symptomatischen
Optikusgliomen (Fisher et al., 2012). Schnell wachsende plexiforme Neurofibrome sind
prinzipiell eine OP-Indikation. Sie können häufig aber nicht komplett entfernt werden und
haben eine hohe Rezidivrate (Nguyen et al., 2013). Neue medikamentöse
Therapieoptionen bei plexiformen Neurofibromen ergeben sich durch erfolgreiche Studien
mit dem Einsatz des Tyrosinkinase-Inhibitors Imatinib (Robertson et al 2012) und vor allem
durch die Behandlung mit MEK-Inhibitoren (Dombi et al., 2016). Von einer Bestrahlung
NF1-assoziierter Tumoren ist Abstand zu nehmen, weil sie das Risiko von Gliomen (Sharif
et al., 2006) beziehungsweise MPNSTs erhöht (Evans et al 2002). Für MPNST ist die
komplette chirurgische Exzision die einzige kurative Therapie.
Als Früherkennungs-Maßnahmen bei NF1 werden folgende Untersuchungen empfohlen
(Friedman, 2014):
Jährliche klinische Untersuchungen durch einen Arzt, der mit der NF1 vertraut ist
Jährliche augenärztliche Untersuchungen im Kindesalter, danach in größeren
Abständen
Regelmäßige Kontrollen der Entwicklung bei Kindern
Regelmäßige Blutdruckkontrollen
Für bildgebende Verfahren (MRT) in der Routinekontrolle bei NF1-Patienten gibt es keine
allgemeine Empfehlung. Zwar kann das MRT vor allem innere Neurofibrome gut darstellen,
und die Tumorlast hat eine Korrelation mit dem Risiko maligner Tumoren (Nguyen et al.,
2014). Andererseits ergibt sich aber aus dem Nachweis von Tumoren, die keine klinischen
Beschwerden verursachen, in der Regel keine Handlungskonsequenz. Das MRT kann bei
mehr als 50 Prozent der Kinder mit NF1 in der T2-Wichtung hyperintense Läsionen
("nidentified bright objects" nachweisen, die keine verdrängende Wirkung haben und deren
klinische Bedeutung unklar ist (DeBella et al., 2000). Insgesamt gilt eher die Empfehlung
eines niedrigschwelligen Einsatzes bildgebender Verfahren bei unklaren Beschwerden.
Neu auftretende Schmerzen, neurologische Ausfälle oder die Größenzunahme eines
bekannten plexiformen Neurofibroms können Zeichen für die Entwicklung eines MPNST
sein und erfordern eine unmittelbare Abklärung (Valeyrie-Allanore et al., 2005).
[nach oben]
NIH-Kriterien für die klinische Diagnose einer NF1*
(mindestens zwei der folgenden sind für die Diagnose erforderlich)
Sechs oder mehr Café-au-lait-Flecken mit einer Größe >5mm bei Kindern und >15
mm bei Erwachsenen
Zwei oder mehr Neurofibrome oder ein plexiformes Neurofibrom
"Freckling" der Axillär- oder Inguinalregion
Optikusgliom
Zwei oder mehr Lisch-Knötchen
Eine NF1-typische Knochenläsion (Keilbeindysplasie oder Tibiapseudarthrose)
Ein erstgradiger Verwandter (Elternteil, Geschwister, Kind) mit NF1 nach den oben
genannten Kriterien
* National Institutes of Health Consensus Development Conference Statement:
neurofibromatosis. Bethesda, MD, USA, July 13-15, 1987.
Autor:
Professor Dr. med. Martin Zenker
Institut für Humangenetik am Universitätsklinikum Magdeburg
Bundesverband Neurofibromatose
Auf der Website bv-nf.de bietet der Bundesverband Neurofibromatose vielfältige
Informationen und Unterstützungsangebote für Betroffene und deren Angehörige. Dazu
gehören auch regionale Selbsthilfegruppen, die über diesen Link erreicht werden können:
bv-nf.de/beratung-selbsthilfe/selbsthilfe-niedersachsen
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[nach oben]
Weitere Teile der Reihe "Seltene Erkrankungen"
Teil 1: Syndromale kardiovaskuläre Erkrankungen
(Privatdozentin Dr. med. Mechthild Westhoff-Bleck, Privatdozent Dr. med. Christian
Veltmann, Professor Dr. med. Johann Bauersachs, Professor Dr. med. Jörg Schmidtke)
Teil 2: Erbliche Netzhauterkrankungen
(Professor Dr. med. Ulrich Kellner, Privatdozentin Dr. rer. nat. Heidi Stöhr, Professor Dr. rer.
nat. Bernhard H.F. Weber)
Teil 3: Seltene genetische Erkrankungen der Haut
(Prof. Dr. med. Jorge Frank, Prof. Dr. med. Michael P. Schön)
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