Dr. Hannes Bezzel, Predigt am 6. Sonntag nach Trinitatis, 19.07

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Dr. Hannes Bezzel, Predigt am 6. Sonntag nach Trinitatis, 19.07.2009 in der Predigerkirche Erfurt
Gnade sei mit euch und Friede, von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus!
„Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und
als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. Und Jesus trat herzu und
sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum geht hin und
machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des
heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei
euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Liebe Gemeinde,
es ist heiß. Die Sonne steht schon hoch am Himmel. Es gibt keinen Baum, der ein wenig
Schatten spenden könnte, nur braunes Gras, vertrocknetes Buschwerk und Steine. Vor allem
Steine. Spitzig bohren sie sich den Wanderern in die Fußsohlen. Die Sandalen, die sie
anhaben, sind kaum das richtige Schuhwerk für so ein Gelände. Die Zehenspitzen sind schon
wundgestoßen, und immer wieder sieht man einen aus der Gruppe anhalten. Er steht auf
einem Bein, stützt sich mit der linken Hand auf seinen Stock und fingert mit der Rechten an
seinem Schuh herum: Schon wieder ist ein Kiesel zwischen Ledersohle und Fuß gerutscht.
Das tut ... weh – der kräftige Fluch lag ihm schon auf der Zunge, aber er hat die Zähne
zusammengebissen. Er ist ein frommer Mann, genau wie die anderen, die da als kleine
Karawane in Serpentinen den Hang hinaufkeuchen und sich ab und zu den Schweiß aus den
Augen wischen. „Wieso muß es eigentlich ausgerechnet ein Berg sein?“, fragt er laut. „Kann
mir das mal jemand von euch verraten?“ Die anderen bleiben stehen. Jakobus nimmt einen
Schluck Wasser aus dem Ziegenbalg, den er umhängen hat, dann grinst er und meint: „Na ja.
Es soll halt eine richtige Gipfelkonferenz werden.“
Wieso steigen Menschen auf Berge? Stehen früher auf, als sie es vielleicht müßten, wuchten
sich einen schweren Rucksack auf den Rücken, strengen sich an, daß ihnen der Schweiß nur
so herunterläuft, bringen sich vielleicht sogar in die Gefahr abzustürzen. Wieso? Wieso muß
es ausgerechnet ein Berg sein – der „Große Beerberg“ im Thüringer Wald, der Watzmann,
das Matterhorn, der Kilimandscharo – der Berg Sinai? Ich kann mir diese Frage selbst stellen,
denn ich bin ein begeisterter Berggeher, wenn ich dazu komme. Wieso also?
Ein bißchen ist es das Gefühl, sich nach oben zu arbeiten, heraus aus dem Tal zu kommen,
Dinge unten einfach zurücklassen zu können. Man steigt durch die Morgenkühle und hört,
wie die Geräusche von unten immer leiser werden. Alles wird stiller um einen herum, fast
ganz still. Und dann natürlich: Das Obensein, der Gipfel. Ein Ort, von dem aus es nicht mehr
höher geht. Der Blick reicht weit in die Tiefe und in die Ferne, über einem ist nur noch der
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Himmel, und der scheint auch recht nah gekommen zu sein. Man steht an einem Ort
dazwischen, zwischen Erde und Himmel. Vielleicht ist das das wichtigste an der Sache: Sich
dem Himmel näher zu fühlen.
Die Jünger jedenfalls wissen, warum sie gekommen sind. Er hat sie bestellt, auf den Berg.
Und jetzt sind sie auch oben angekommen. Sie blicken sich um. „Na, Petrus“, meint Jakobus
wieder, „schau dich mal um. Ist das nicht eine großartige Aussicht? Allein deswegen hat sich
das doch schon gelohnt, sei ehrlich! Und außerdem: Mose mußte auch hinauf auf den
Berg“ „Naja“, brummelt Petrus in seinen Bart, „willst Du Dich etwa mit Mose vergleichen?
Der bekam immerhin die Gebote, aber wir...“ Hier hält er inne. Denn er sieht, sie sehen: Jesus.
Er ist tatsächlich gekommen. Oder doch nicht?
Liebe Gemeinde, das ist die Stelle in unserem Text, an der es mich jedesmal reißt, wenn ich
ihn höre, in jedem Taufgottesdienst, wenn er verlesen wird. Da stehen die Jünger auf dem
Berg, sie sehen Jesus selbst, den Jesus, den sie so gut kennen – „einige aber zweifelten“. Wie
kann man denn da zweifeln? Woran kann man denn da zweifeln? Das kann man doch kaum
begreifen!
Vielleicht zweifeln sie an ihren Sinnen. Petrus etwa könnte sagen: „Nanu. Ich glaube, ich
habe zu viel Sonne getankt beim Aufstieg. Ich habe schon Halluzinationen. Oder es ist die
dünne Höhenluft. Eine Fata Morgana. Können Fata Morganas sprechen?“ Denn er hört es
genau: Sie bekommen einen Auftrag „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker. Taufet
sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Und lehret sie halten alles
was ich euch geboten habe.“ „Also doch wie bei Mose damals am Sinai! Der Berg. Die
Erscheinung. Der Auftrag. Vielleicht sollte ich den anderen lieber nichts davon erzählen, die
denken sonst, ich bin verrückt.“
Aber beim Abstieg sind es die anderen, die erzählen, und Petrus beginnt es langsam zu
dämmern: „Das war Wirklichkeit, das war kein Traum, kein Sonnenstich und kein
Höhenkoller.“ Sie sollen losziehen, erzählen und taufen. „Und ich? Ich etwa auch? Ich, der
ich eben gezweifelt habe? Wie kann ich jemanden taufen und dabei fragen, ob er an Gott, den
Vater, den Sohn und den heiligen Geist glaubt, wenn ich selbst mir nicht sicher war, als ich
direkt vor ihm stand? Das geht doch nicht! Taufe und Glaube gehören doch zusammen. Da
hat doch der Zweifel keinen Platz! Der Zweifel hat eigentlich überhaupt keinen Platz.“
Zweifel. In dem Wort steckt die Zahl „zwei“. Wenn ich zwischen zwei Möglichkeiten stehe,
wenn ich nicht ganz und gar bei einer Sache bin, dann zieht es mich auseinander, dann bin ich
nicht eindeutig, sondern zwie-fältig und zwie-spältig. Ich zwei-fle. Und wenn sie immer
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stärker wird, diese Entzweiung, diese Uneinigkeit mit mir selbst, dann droht die Verzweiflung. Dann werde ich zerrissen von den zwei Kräften, die da ziehen, dann habe ich das
Gefühl, auseinanderzufallen und nirgendwo mehr Halt zu finden. Und nie bräuchte ich einen
Halt nötiger als dann. Etwas Festes, Sicheres, etwas, das nicht von meiner eigenen Schwäche
abhängt.
Irgendwo, ich weiß nicht wo, aber es ist heute bestimmt ein Museum, steht ein Schreibtisch.
Er ist schon ziemlich alt, ein paar hundert Jahre, und er ist ziemlich abgegriffen. Man kann
aber trotzdem noch lesen, daß da jemand einmal etwas in die Tischplatte eingeritzt hat. Wenn
man sich herunterbeugt und genau hinsieht, kann man es lesen: „Baptizatus sum“. „Ich bin
getauft“. Dieser Tisch gehörte Martin Luther. Er war es auch, der die Worte geschnitzt hat.
Immer wenn ihn die Verzweiflung angefallen hat, hat er sich diese zwei Worte angesehen.
„Ich bin getauft.“ „Mir kann nichts passieren.“ „Gott zweifelt nicht an mir.“
Ich finde die Idee großartig. Diese zwei Worte, sie waren für Luther so ein Haltegriff, an den
er sich anklammern konnte. Leider gehört mein Schreibtisch der Universität, und ich glaube,
sie hätten dort wenig Verständnis dafür, wenn ich anfangen würde, daran herumzuschnitzen –
und außerdem ist der Tisch aus keinem guten Material dafür. Er ist viel zu hart und zu glatt.
Aber vielleicht tut es auch so ein kleiner gelber oder grüner Klebezettel, der an die Ecke des
Monitors kommt: „Baptizatus sum.“ „Ich bin getauft.“
Dafür ist die Taufe da. Daß man etwas hat, woran man sich festhalten kann, auch im Zweifel,
sogar gerade im Zweifel. Ich gehöre nicht zu denen, die von sich sagen könnten: „Ich bin mir
ganz sicher. Immer. Ich weiß Bescheid. Eindeutig. So ist es und nicht anders.“ Ehrlich gesagt,
solche Menschen sind mir unheimlich. Sie machen mir Angst, auch und vielleicht besonders
dann, wenn sie sagen, sie seien Christen.
Ich halte mich da lieber an die Jünger. Sie zweifeln, sogar als der Auferstandene direkt vor
ihnen steht. Für mich ist dieser Satz in der Geschichte darum so unglaublich tröstlich. Die
Jünger zweifeln, Luther zweifelt – ich stehe da in guter Tradition. Darum will ich mir jeden
Morgen den Klebezettel an meinem Monitor ansehen: „Ich bin getauft.“
Die elf Jünger sind immer noch dabei, vom Berg abzusteigen. Langsam wird es schon Abend.
Es geht langsamer als sie gedacht hätten, auch weil sie immer wieder anhalten, um
miteinander zu reden. Petrus kann es immer noch nicht ganz fassen. „’Ich bin bei euch, alle
Tage, bis an der Welt Ende’, das gilt wirklich uns, auch den Zweiflern?“ „Natürlich“, sagen
die anderen, „du hast es doch gehört“. „Und das sollen wir jetzt allen Leuten sagen? Das ist
doch fast unglaublich.“ Jakobus grinst schon wieder: „Ich habe doch schon oben gesagt, daß
die Aussicht großartig ist.“
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Dr. Hannes Bezzel, Predigt am 6. Sonntag nach Trinitatis, 19.07.2009 in der Predigerkirche Erfurt
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in
Christus Jesus. Amen
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