841031288 Seite 1 von 4 Erstellt von Beat Stauffer Ghadhafi «vermittelt» in Mauretanien Kein Ausweg aus der Staatskrise in Mauretanien in Sicht Nach einem dreitägigen Aufenthalt in der mauretanische Hauptstadt Nouakchott, in der er mit grossem Pomp empfangen worden ist, hat der libysche Revolutionsführer Muammar Ghadhafi das Land wieder verlassen. Am Erfolg seiner Vermittlungsmission zwischen den Putschgenerälen und den Oppositionsparteien bestehen grosse Zweifel. Strassenszene in Nouakchott, 8.3.2009 Nouakchott hat zu seinem gewohnten Trott zurückgefunden. Schon bald wird sich wieder feiner Sand über die frisch geputzten Strassen legen, werden wie eh und je unzählige Strassenhändler ihre Waren auf den ärmlichen Strassen feilbieten. Die Bewohner der so unattraktiven wie gesichtslosen Hauptstadt dürften hingegen froh sein, dass die zahlreichen Strassensperren und andere Sicherheitsmassnahmen der Vergangenheit angehören. Der dreitägige Staatsempfang für den libyschen Revolutionsführer Muammar Ghadhafi, der am vergangenen Montag begonnen hat und am Donnerstag seinen Abschluss fand, hat die mauretanische Hauptstadt in eine grosse Aufregung versetzt. Es handelte sich nicht nur um den ersten Besuch eines ausländischen Staatsoberhauptes nach 841031288 Seite 2 von 4 Erstellt von Beat Stauffer dem Staatsstreich vom 6. August 2008, sondern auch um den Versuch, mithilfe eines prominenten Vermittlers aus der schweren politischen Krise herauszufinden. Ghadhafi erschien wie üblich mit grossem Gefolge und lud zahlreiche afrikanische Staatspräsidenten, darunter auch den Sudanesen Bashir, nach Nouakchott ein. Nach einem Gebet aus Anlass des Geburtstags des Propheten, dass Ghadhafi höchstpersönlich am vergangenen Dienstagabend im Olympischen Stadion vor rund 2500 geladenen Gästen zelebrierte, folgten Verhandlungen zwischen Vertretern der beiden Lager. Anschliessend hielt Ghadhafi eine Rede vor der mauretanischen Nationalversammlung und dem Senat. An einer Pressekonferenz, die Ghadhafi kurz vor seiner Abreise gab, forderte er die mauretanischen Parteien und die Bevölkerung auf, das Vergangene hinter sich zu lassen und „nach vorn zu schauen“, auf das neue Mauretanien, das nach den Wahlen im kommenden Juni entstehen werde. Einer Verurteilung des Staatsstreichs vom August 2008 erteilte er eine klare Absage. Wenn man die Putschgeneräle verurteilen wollte, so Ghadhafi, so müsste man sämtliche Putschisten, die das Land in den vergangenen Jahrzehnten gekannt habe, ebenfalls verurteilen. Mauretanien befinde sich in einer politisch, sozial und ökonomisch „fraglichen“ Situation, und es wäre sehr riskant, wenn sich das Land weiter streiten würde. Die Anfang Februar 2009 beschlossenen Sanktionen der Afrikanischen Union gegenüber Mauretanien erklärte Ghadhafi schliesslich für beendet. Geteiltes Echo auf Vermittlung Die Resultate der „Vermittlungstätigkeit“ des libyschen Revolutionsführers sind auf ein sehr geteiltes Echo gestossen. Der Sprecher des Hohen Staatsrat (HCE) zog eine positive Bilanz und erklärte, in Mauretanien gebe es keine grösseren Probleme. Es gelte jetzt einfach die Wahlen zu organisieren. Auch eine Reihe von Parlamentariern, welche den Staatsstreich unterstützen, glauben den Beginn eines Dialogs zu erkennen. Der abgesetzte Präsident, Sidi Ould Cheikh Abdellahi, meldete sich nicht zu Wort. Enttäuscht vom Resultat der Vermittlungsmission zeigten sich hingegen Oppositionspolitiker. Vom Präsidenten der Afrikanischen Union hätte er etwas anderes erwartet als eine klare Parteinahme zugunsten der einen oder anderen Seite, erklärte etwa Mohamed Ould Maouloud, Präsident der „Union des Forces de Progrès“ (UFP). Noch schärfer reagierte Abdelkoudous Ould Abdeidna, Präsident des „Front National pour la Défense de la Démocratie“ (FNDD), der Organisation aller Parteien, welche den Putsch ablehnen. Ghadhafi habe seine Rolle als Mediator aufgegeben und habe dadurch die Krise in Mauretanien verstärkt. Höchst irritiert zeigte sich Abdeidna zudem über Ghadhafis Vermittlungsmethoden: Dieser soll den Oppositionsparteien empfohlen haben, sich doch mit den Putschgenerälen zu arrangieren und im Gegenzug ein paar 841031288 Seite 3 von 4 Erstellt von Beat Stauffer Ministerposten einzufordern. Diesen Vorschlag, so erklärte Abdeidna gegenüber RFI, habe der FNDD kategorisch abgelehnt. Zwischentitel Schon vor Ghadhafis Staatsbesuch, der zahlreiche Konsultationen der beteiligten Parteien in Tripolis vorausgegangen sind, gaben sich Kenner der lokalen Verhältnisse skeptisch bezüglich der Erfolgsaussichten einer derartigen Mission. „Im Allgemeinen hat Ghadhafi in solchen Fällen die Probleme eher verschärft statt sie zu lösen“, sagte etwa Ahmed Ould Cheikh, Chefredaktor der Wochenzeitung „Le Calame“ gegenüber dem Jouranalisten aus der Schweiz. Da die Haltungen der beiden Konfliktparteien total divergierten, sei dies ohnehin eine „Mission impossible“. Etwas optimistischer äusserte sich der Oppositionspolitiker Mohamed Ould Maouloud. Seine Partei hoffe sehr, dass ein nationaler Dialog in Gang komme und ein „Konsens“ gefunden werden könne, wie das Land aus der verfahrenen Situation herauszumanövrieren sei. Für alle befragten Politiker und Kenner der mauretanischen Verhältnisse steht ausser Frage, dass die gegenwärtige Situation für das Land äusserst riskant ist. Neutrale Beobachter diagnostizieren eine fast vollständige Lähmung des politischen Lebens, und die angedrohten oder bereits umgesetzten Sanktionen der wichtigsten Geberländer - der USA, der Weltbank, teilweise auch der EU stellten für Mauretanien eine ernsthafte Bedrohung dar. „Falls wir nicht bald eine politische Lösung finden, steuert unser Land auf eine Katastrophe zu“, sagt Ould Cheikh. Doch auch nach Ghadhafis Vermittlungsversuch zeichnet sich keine Lösung am Horizont ab, welche für beide Konfliktparteien in Frage käme. Verschärfend wirkt dabei der Umstand, dass General Mohamed Ould Abdelaziz immer noch offen lässt, ob er selber an Wahlen teilnehmen wird, die am 6. Juni 2009 stattfinden sollen. Eine solche Teilnahme kommt für die Oppositionsparteien nicht in Frage. Unklare Haltung der Bevölkerung Was die mauretanische Bevölkerung über den Staatsstreich und die Militärjunta wirklich denkt, ist schwierig in Erfahrung zu bringen. Kenner der Verhältnisse berichten übereinstimmend, dass der allergrösste Teil der mauretanischen Bevölkerung ums tägliche Überleben kämpfe und sich kaum für Politik interessiere. Das gilt insbesondere für die rund 60 Prozent Analphabeten und für die Bewohner der ausgedehnten Slums in Nouakchott und Nouadhibou. Der kleine Teil der Menschen, welche die Ereignisse auf der politischen Bühne überhaupt wahrnähmen und verstünden, seien in zwei ähnlich grosse Lager gespalten, diagnostiziert Ould Cheikh. Gespalten zeigt sich auch die mauretanische Zivilgesellschaft. Dabei gilt es allerdings zu wissen, dass zahlreiche ONGs alles andere als unabhängig sind und einer zivilgesellschaftlichen Aktivität aus 841031288 Seite 4 von 4 Erstellt von Beat Stauffer mitunter fragwürdigen, wenn nicht sogar klar kommerziellen Motiven nachgehen. Die Analyse der Verhältnisse wird durch einen ein Faktor erschwert, der in Mauretanien als „politischer Nomadismus“ bezeichnet wird: Die Wähler entscheiden nicht aufgrund der politischen Haltung für einen Kandidaten, sondern aufgrund der konkreten Vorteile, die ihnen der Betreffende in Aussicht stellt. So ist sich Ahmed Ould Cheikh sicher, dass die Militärs die Mehrheit der Parlamentarier „bearbeitet“ hätten, um den Staatsstreich gegen den gewählten Präsidenten zu unterstützen. Dennoch erstaunt im Gespräch mit einfachen Staatsbürgern, wie entschieden viele den Staatsstreich ablehnen und wie sehr sie sich wünschen, dass das demokratische Experiment fortgesetzt werden kann. Der Putschgeneral Aziz sei während 20 Jahren Chef der Präsidentengarde des damaligen Dikators Ould Taya gewesen und sagt ein Jurist. Einer solchen Figur traue er nicht zu, Mauretanien auf den Weg der Demokratie zu führen. Kompromisslos zeigt sich Boubakar Ould Messaoud, Präsident und Gründer der Organisation „SOS Esclave“, „Bête noire“ des mauretanischen Establishments und hartnäckiger Kämpfer für die Rechte der bis heute diskriminierten schwarzen Bevölkerungsmehrheit. Der Staatsstreich vom vergangenen August sei ein gewaltiger Rückschritt und habe Mauretanien auf seine triste Realität zurückgeworfen. „Wir sind ein Staat, der aus Stämmen besteht, die seit eh und je geraubt, geplündert und das Recht des Stärkeren angewendet haben“, schreit Ould Messaoud so laut ins Mikrophon, so dass die Gäste im Restaurant unwillkürlich ihre Gespräche unterbrechen. Der Staatsstreich sei ein Ausdruck dieses „Gesetzes des Stärkeren“; entsprechend der weit verbreiteten Mentalität applaudierten nun eben viele den neuen Herren. Für Mauretanien und vor allem für die noch junge Zivilgesellschaft sei das ein Drama. Doch am Aufbau eines Rechtsstaates führe kein Weg vorbei. Beat Stauffer