IKG Universität Bielefeld | Postfach 10 01 31 | 33501 Bielefeld Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung Dierk Borstel Raum: S5-122 Tel.: 0521.106-3195 Zentrale: 0521.106-00 Fax: 0521.106-6415 [email protected] www.uni-bielefeld.de/ikg Bielefeld, 18.05.2017 Seite 1 von 3 Sozialraumanalysen zum Zusammenleben vor Ort Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse der Studie in Altenburg Ziele der Untersuchung Die Studie will einen wissenschaftlichen Beitrag zur Stärkung der demokratischen Bürgergesellschaft in Altenburg leisten. Sie geht davon aus, dass eine starke Bürgergesellschaft Informationen über Ihr Umfeld benötigen kann, um sich selbst zu vergewissern; aber auch um vor Angriffen demokratiefeindlicher Bestrebungen besser gewappnet zu sein. Die Studie will somit einerseits Informationen zur Qualität der demokratischen Kultur und andererseits Hinweise zu Potentialen und Chancen bürgergesellschaftlichen Engagements liefern. Sie soll damit den Engagierten auch ein Rüstzeug in die Hand geben, gegen demokratiefeindliche Einstellungen und Bestrebungen angemessen und zielgenau zu intervenieren. Die Untersuchung wird deshalb auch gekoppelt mit einer Phase der „Übersetzung“. Die Ergebnisse sollen idealerweise in die bürgergesellschaftliche Praxis Altenburgs mit einfließen. Dazu müssen sie vor Ort durch die Engagierten auf die konkreten Situationen „heruntergebrochen“ werden. Ablage der Untersuchung Die Universität Bielefeld hat eine telefonische Befragung mit 500 Altenburgern durchgeführt. Sie ist dabei repräsentativ für den Ort. Dabei wurden folgende Themenblöcke behandelt: Einschätzungen zur Altenburger Bürgergesellschaft Beteiligungswillen und neue Potentiale der Bürgergesellschaft Verbreitung von Einstellungen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit Einschätzungen zum lokalen Rechtsextremismus Seite 2 Auswahl von Ergebnissen In Altenburg engagieren sich 42,6% der Menschen. Dieser Wert liegt deutlich unter dem ostdeutschen Durchschnitt. Aber: In Altenburg gibt es auch ein erkennbares, aber derzeit nicht aktives Potential von Menschen, die sich ein Engagement für die Gesellschaft vorstellen könnten. Immerhin 39,2% derjenigen, die sich bisher nicht engagieren, könnten sich ein solches Engagement in der Zukunft vorstellen. Wenn es sich dabei um politische Angelegenheiten handelt, könnten sich immerhin 40,8% der Altenburger vorstellen, in einer Bürgerinitiative mitzuwirken; 46,7% könnten sich vorstellen, sich an einer Demonstration zu beteiligen. Immerhin 60,5% der Altenburger können sich ein Engagement gegen Rechtsextremismus vorstellen. Das sind etwa 18% weniger als im ostdeutschen Durchschnitt. Die Bereitschaft ist somit weniger stark ausgeprägt als in Ostdeutschland üblich. Wofür könnten sich die Altenburger vorstellen, sich zu engagieren? Die Antworten: 16,7% Kinder- und Jugendarbeit, Schule und Kita, 11,5% Sozialer Bereich, 10,7%Umweltchutz, 7,9% Lokales Bürgerengagement. Es dominieren somit soziale Bereiche. Die Studie fragt auch, was die Altenburger als erstes tun würden, wenn sie Bürgermeister wären. Die Antworten: 19,5 würden sich für die Verbesserung der Arbeitsmarktsituation einsetzen, 13,1 würden sich für den Ausbau lokaler Infrastruktur und der Verbesserung der konkreten Lebensbedingungen engagieren, 11,1 würden mit der Verbesserung der Jugendarbeit starten. Im ökonomischen Bereich ist die Verunsicherung vieler Altenburger deutlich ausgeprägter als im ostdeutschen Durchschnitt. Immerhin 35,5% der Altenburger betrachten ihre eigene wirtschaftliche Situation als schlecht und 29% befürchten den Verlust ihrer Arbeit innerhalb der nächsten fünf Jahre. Immerhin 63% der Altenburger finden es sinnvoll, sich politisch vor Ort zu engagieren. Trotzdem meinen 56% der Befragten, dass sie keinen Einfluss darauf haben, was vor Ort geschieht. Dazu passt, dass nur knapp 14% der Altenburger regelmäßig öffentliche Veranstaltungen z. B. von Vereinen besuchen. Fast die Hälfte, nämlich 42% der Befragten, besucht hingegen nie eine solche Veranstaltung. Aussagekräftig sind auch drei Fragen zum Rechtsextremismus: 28,1% der Befragten halten die rechtsextreme NPD für eine Partei wie jede andere. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 13%. Konkrete Lösungen für örtliche Probleme verbinden hingegen nur 8,6% der Altenburger mit der NPD und 11,7% der Befragten berichten über positive Erfahrungen im Kontakt mit Rechtsextremisten. Besonders der letzte Wert ist deutlich überdurchschnittlich. Die Studie fragt auch nach störenden Dingen oder Verhaltensweisen am Wohnort. Die Antworten: 25,6% stört der Vandalismus durch Jugendliche, 16,3% Graffiti und 11,6% Abfall. Weiter stören sich 29,5% an Betrunkenen, 18,7% an Jugendgruppen und 15,1% an rechtsextremen Störungen. Seite 3 Ein knappes Drittel der Befragten (30,1%) nimmt im Wohnumfeld Konflikte zwischen jung und alt wahr. Konflikte zwischen deutschen und ausländischen Bewohnern sehen 23,6%. Im Folgenden sollen einige Werte zu Elementen abwertender Einstellungen vorgestellt werden: o 15,4% sind der Ansicht, dass die Weißen zu Recht führend in der Welt seien. o 48,1% meinen, es lebten zu viele Ausländer in Deutschland. o 42,3% empfinden Ausländer als Last für das soziale Nest. o Für 11,2% haben Juden in Deutschland zu viel Einfluss. o 20,2% finden Homosexualität unmoralisch. o 20,9% meinen, dass Obdachlose arbeitsscheu seien. o 26% fordern, dass Muslime nicht mehr nach Deutschland einwandern dürfen. o 33,2% meinen, dass Landzeitarbeitslose oft nicht wirklich daran interessiert seien, eine Arbeit zu finden. Im Vergleich mit anderen Orten fallen die abwertenden Einstellungen in Altenburg eher hoch aus. Wie weiter? Die Ergebnisse müssen für die Arbeit vor Ort „übersetzt“ werden. Der Blick muss sich von den Zahlen zu den konkreten Handlungsorten richten. Fragen könnten z. B. sein: Wie kann das Engagementpotential besser ausgeschöpft werden? Was muss geschehen, um mehr Menschen das Gefühl zu geben, sich an lokalen Prozessen beteiligen zu können? Wie kann den abwertenden Einstellungen begegnet werden? Was empfinden eigentlich Vertreter der abgewerteten Gruppen? Wie ist ihre Sicht auf die Stadt? Eine Stadtgesellschaft lebt von ihrer Integrationskraft. Je mehr Menschen sich aufgehoben, beteiligt und gerecht behandelt fühlen, desto schwerer haben es die Feinde der Demokratie. Die zentrale Frage lautet somit nach wie vor: In welcher Gesellschaft wollen wir eigentlich leben? Und was kann getan werden, damit es eine gute Gesellschaft ist?