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Pfr. Dr. Matthias Loerbroks
17. Sonntag nach Trinitatis, 14.9.08
Predigt über Epheser 4, 1-6
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Ich ermutige euch nun - ich, der Gefangene im Herrn -, dass ihr geht, wandelt würdig
der Berufung, mit der ihr berufen wurdet,
mit aller Niedrigkeit und Sanftmut, mit Langmut, einander ertragend in Liebe,
eifrig dabei, die Einheit des Geistes zu halten durch das Band des Friedens:
ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen wurdet zu einer Hoffnung eurer Berufung
ein Herr, ein Glaube, eine Taufe;
ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.
Sieben mal beschwört der Verfasser in diesem Abschnitt die Einheit der Gemeinde, erinnert
sie an das, was alle ihre Mitglieder miteinander gemeinsam haben, was sie zur Gemeinde
macht: ein Leib, ein Geist, eine Hoffnung, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott. Man
kann aus dieser massiven Betonung schließen, dass es wohl nicht weit her war mit der
Einigkeit in dieser Gemeinde, dass da ein Problem lag. Das kennen wir ja nicht nur aus
Gemeinden – gerade letzte Woche hörten wir Aufrufe zur Geschlossenheit auch aus anderen
Kreisen. Aber auch die Zahl sieben ist wichtig: sie steht in der Bibel, das zeigt schon die
Schöpfungsgeschichte, immer für das Ganze, die ganze Welt, insbesondere die ganze
Menschheit aller Völker und Sprachen. Und das zeigt: es geht hier um mehr als bloß die
Einheit der Gemeinde, sie ist jedenfalls kein Selbstzweck, sondern ein Mittel und ein Beitrag
zur Einigung der Menschheit. Die ökumenische Bewegung, die zu Beginn des 20.
Jahrhunderts entstand, hat das ähnlich gesehen. Zu ihren Entstehungsbedingungen gehörte ja
der Schock über die Gemetzel des ersten Weltkriegs. Die Gründungsväter und –mütter
hofften, eine Einigung der Christen verschiedener Völker und Konfessionen werde auch die
Menschheit einen, beitragen zum Frieden auf Erden. Annäherungen in Glaubensfragen, im
Abendmahlsverständnis etwa oder in der Rechtfertigungslehre, waren auch da nur Mittel zum
Zweck, Fragen des Weltfriedens und der gerechten Verteilung der Güter dieser Welt waren
immer ebenso wichtig. Christen aus aller Welt handelten und verhandelten auch
stellvertretend für ihre Völker. Allerdings bisher ohne großen Erfolg.
Für den Epheserbrief ist die Einung der Menschheit, die Zusammenfügung und Heilung der
ganzen Welt das große Thema, der Inhalt des Evangeliums von Jesus Christus: er ist
gekommen und hat Frieden verkündet. Freilich sieht der Verfasser dieses Briefs sowohl die
Wurzel des Problems wie die Quelle der Heilung an einem Punkt, auf den wir vielleicht ohne
biblische Nachhilfe nicht gekommen wären: im Verhältnis zwischen Israel und den Völkern.
Das ist ein Spannungsverhältnis, das die ganze Bibel durchzieht: die biblische Erzählung
konzentriert sich zwar auf die Beziehungsgeschichte zwischen Gott und seinem Volk Israel,
hat dabei aber auch – mal mehr, mal weniger – die anderen Völker im Blick, zielt aufs Ganze.
Immer wieder klingt die Hoffnung an, die Völker könnten sich durch das, was in Israel
geschieht, aufklären lassen über Gott und die Welt, Israel könne so zum Licht der Völker,
zum Licht der Welt werden. Eines Tages, wenn die Völker mit ihrem Latein am Ende sind,
werden sie zum Berg Zion ziehen und dort Tora lernen, die Weisung des Gottes Israels,
werden darum nicht mehr lernen, Krieg zu führen, sondern Schwerter zu Pflugscharen
machen. Siehe, heißt es im Jesajabuch, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die
Völker, aber über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir, und die
Völker werden ziehen zu deinem Licht. Das taten zwar immer wieder einzelne, aber die
Völker im großen und ganzen taten es nicht, blieben gleichgültig oder traten als Störer auf
und sogar als Zerstörer. Manchmal trug die Existenz Israels auch ganz unfreiwillig zu einer
negativen Einheit unter den Völkern bei, denn auch Völker, die sich sonst wenig einig waren,
konnten und können sich auf die Feindschaft gegen Israel einigen. Mit den nüchternen
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Worten des Johannesevangeliums gesagt: das Licht scheint in der Finsternis, aber die
Finsternis hat das Licht nicht begriffen. Sie hat es freilich auch nie ganz ausgelöscht.
Der Epheserbrief aber sieht diese Hoffnung als nun überraschend doch erfüllt im Kommen
und im Sterben und in der Auferweckung Jesu Christi: er ist gekommen und hat Frieden
verkündet, Friede euch, die ihr ferne wart – also uns, den Christen aus den Völkern –, und
Friede denen, die nahe waren: Israel. Die Fremdheit und Ferne, der wir nun entnommen sind,
beschreibt er rückblickend so: ihr wart ohne Christus, darum ausgeschlossen vom Bürgerrecht
in Israel, völlig fremd seinen verheißungsvollen Bundesschlüssen, darum auch ohne Hoffnung
und so ohne Gott in der Welt. Nun aber, in Christus, seid ihr, die ihr fern wart, nahe
geworden. Denn er ist unser Friede, hat aus beiden eins gemacht, in sich aus den zweien einen
neuen Menschen geschaffen. So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern
Mitbürger der Heiligen – Israels – und so auch Gottes Hausgenossen. Und der Verfasser
meint: wer diese biblisch entscheidende Kluft geschlossen, diesen Zaun abgebrochen und da
Frieden gemacht hat, der hat alle Gegensätze überwunden, hat alles zusammengefasst, was im
Himmel und auf Erden ist.
An diese Friedensbotschaft erinnert er, wenn er uns in unserem heutigen Abschnitt dazu
ermutigt, die Einheit des Geistes zu halten durch das Band des Friedens. Das ist kein
Gängelband, nichts was uns einschnürt, drangsaliert oder gar stranguliert, sondern das Band,
das uns in Jesus Christus mit seinem Volk verbindet. Und so hat die siebenfache Betonung
der Einheit auch diese Bedeutung: die Kirche als Leib Christi, der Geist Gottes, die christliche
Hoffnung, der Herr Jesus Christus selbst, unser Glaube und unsere Taufe und in dem allen der
Gott Israels müssten uns an diese Bindung erinnern. Karl Barth hat bei seinem Rombesuch
1966 gesagt: „Die ökumenische Bewegung wird deutlich vom Geiste des Herrn getrieben.
Aber wir sollten nicht vergessen, dass es schließlich nur eine tatsächlich große ökumenische
Frage gibt: unsere Beziehung zum Judentum.“ Dieser Besuch geschah kurz nach dem Ende
des Zweiten Vatikanischen Konzils, auf dem die katholische Kirche bei dem Versuch, die
Kirche zu definieren, diese Bindung an Israel entdeckte. Mit dem Stamm Abrahams geistlich
verbunden, nannten das die Konzilsväter, und geistlich meint: durch den Heiligen Geist, also
die Kraft, die Christen zu Christen, Kirche zu Kirche macht. Der jetzige Papst, der damals zu
den wissenschaftlichen Mitarbeitern des Konzils gehörte, sieht inzwischen weniger in dieser
Bindung die Grundlage für die Einheit der Christen und so auch der Menschheit als in einer
anderen Verbindung: der in den ersten christlichen Jahrhunderten geknüpften zwischen
biblischem Erbe und griechischer Kultur. Er sieht in dieser Hellenisierung des Christentums
eine glückliche Ehe aus Glaube und Vernunft und darum in der Reformation, die ja
tatsächlich eine Wiederentdeckung der hebräischen Bibel, für Luther: der hebräischen
Wahrheit, wenn auch leider nicht die Entdeckung der lebendigen Hebräer, der Juden brachte,
eine Enthellenisierung und damit etwas Irrationales, eine Absage an die Vernunft. Nun kann
man ja diese frühe Verbindung aus biblischem und griechischem Denken eine gute Sache
finden, weil es immer gut ist, wenn Glaubende ihren Glauben in der Sprache der Zeit und der
Zeitgenossen auszudrücken verstehen, aber sie brachte auch Verluste: die Christenheit
begann, sich ihrer provinziellen Herkunft zu schämen, meinte, sich mit der eigenartigen
biblischen Geschichte auf dem Forum der Welt und ihrer Weisheit nur blamieren zu können,
drückte sich lieber allgemeiner aus, verlor mit dieser Eigenart aber auch geistliche Kraft: die
Hellenisierung war auch eine Enthebräisierung, Distanzierung von Israel. Doch auch die
nichtrömische, die Genfer Ökumene hat es nicht vermocht, die Bindung an Israel als ihre
gemeinsame Grundlage zu erkennen, ist vielleicht darum verblasst und ins Stocken geraten,
nicht mehr so deutlich vom Geist des Herrn getrieben.
Die Bindung an Israel durch das Band des Friedens übt ein, was auch sonst zum Frieden
machen nötig ist: die Gemeinschaft von Verschiedenen und verschieden Bleibenden: Jesus
Christus hat den Zaun beseitigt zwischen Israel und den Völkern, aber nicht die Unterschiede,
die siebenfache Beschwörung der Einheit zielt nicht auf Uniformität. Und so ist sein
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Verständnis der christlichen Liebe unromantisch und unsentimental, nüchtern: Liebe heißt,
einander ertragen in Langmut, mit langem Atem: Geduld haben miteinander, Geduld haben
auch mit Gott und seinem welt- und menschenveränderndem Handeln und im Umgang mit
etwas schwierigen Mitmenschen sich daran erinnern, wie sehr ich selbst von Gottes Langmut
profitiere.
Der Verfasser weiß natürlich, dass es sich bei den Christen aus den Völkern um kleine
Minderheiten ihrer Völker handelt, dass darum die Versöhnung zwischen Israel und den
Völkern durch Jesus Christus eine Zukunftsvision ist. Aber er hält die Sache für schon
entschieden durch das, was Jesus Christus bewirkt hat. Christen sind darin Minderheiten, dass
sie durch das Evangelium diese Wirkung schon erkennen können, aber sie gilt allen. Und so
fügt er, nachdem er siebenmal eins gesagt hat vier mal das Wort alle an: Gott ist Vater aller,
ist über allen, über Israel und den Völkern, wirkt in allen und durch alle. Gottes
Einflussbereich ist also sehr viel größer als Kirche und Israel, und so sollen wir mit ihm auch
außerhalb der Kirche rechnen, Acht haben auf das, was die anderen sagen und tun und
versuchen, darin Gottes Wirken zu erkennen, Gottes Stimme zu hören. Wie die ganze Bibel
konzentriert sich der Epheserbrief zwar auf eine Minderheit, hat dabei aber alle Menschen im
Blick. In der vergangenen Woche haben wir uns erinnert und wurden erinnert an die
Massenmorde vom 11. September 2001, die erschreckend klar machten, dass Religion
keineswegs immer zum Frieden beiträgt, nicht einmal wenn sie das Wort Frieden im Namen
trägt, sondern zu Mord und Totschlag führen, Mörder mit pathologisch gutem Gewissen
hervorbringen kann. Leider gibt es auch in der Geschichte des Christentums schreckliche
Beispiele dafür, dass Glaubende meinten, eine Front der Guten gegen die Bösen, des Lichts
gegen die Finsternis bilden zu sollen. Der Epheserbrief hingegen meint, das Evangelium von
der Solidarisierung Gottes mit allen Menschen in Jesus Christus müsste auch uns solidarisch
machen mit allen Menschen. Er erinnert uns an unsere Berufung, ermutigt uns zu einer Praxis,
die unserer Berufung entspricht, und greift das Wort noch einmal auf beim Thema Hoffnung:
ihr seid berufen zu einer Hoffnung durch eure Berufung. Vielen von uns ist gar nicht klar,
dass wir Berufene sind, aber für das Neue Testament ist die Gemeinde ekklesia, herausgerufen
aus bisherigen Bindungen in eine neue Bindung. Mit den Worten der Barmer Erklärung:
durch Jesus Christus widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt
zu freiem, dankbarem Dienst.
Der Verfasser schreibt uns als Gefangener. Das Evangelium hat ihn in Konflikt mit der noch
herrschenden Weltordnung gebracht und so ins Gefängnis, in Fesseln. Aber er nennt sich:
gebunden im Herrn. Ein Gebundener erinnert uns an unsere Bindung: an Israel, an die
Menschheit als ganze und in ihr besonders an die Unteren, die Niedrigen, die Erniedrigten:
Ich ermutige euch nun - ich, der Gefangene im Herrn -, dass ihr geht, wandelt würdig der
Berufung, mit der ihr berufen wurdet, mit aller Niedrigkeit.
Amen.
114,6-9;423,2-3;293;14,3-6;318,1-4;114,10
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