Jesus von Nazareth – Sohn der Tora „Wenn sie auf Moses und die Propheten nicht hören, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht - “ Lk 16.31 Am vergangenen Palmsonntagabend hat Kaplan Marius Meier mit uns hier eine Werkstattliturgie gehalten zu einer Vesper nach dem östlichen Ritus. Die Inbrunst seiner priesterlichen Fürbitten und das Hören der melancholischen Klänge einer Rachmaninoffvesper liessen uns die Gegenwart Gottes im erhabenen Wort des liturgischen Gesanges erahnen. Und ich erinnerte mich an meine Studienjahre in Luzern, als mich ein Theologieprofessor dort mal fragte, ob ich als Kantor mitmachen würde bei einem griechischen Ostergottesdienst und ich weiss noch, dass ich mit Herzklopfen ja sagte. Doch er und die Gemeinde waren sehr grosszügig und barmherzig mit dem liturgischen Novizen. Ganz besonders ist mir von dieser Feier in Erinnerung geblieben, wie wir am Schluss den anwesenden Gläubigen ein gefärbtes Osterei in die Hand mitgaben mit dem Ostergruss „Christos anesti“, Christus ist auferstanden. Dieser Ruf – auch im griechischen Alltag der Ostergruss klang so voll, so überzeugt, so durch die Liturgie getragen, dass wir uns fast arm vorkommen mit dem, was wir in unserer Sprache dazu mitteilen können. „Christos anesti“ – wir können auch sagen, das sei eine Art Kurzformel des Glaubens, wie dies die Theologen seit einigen Jahrzehnten immer neu beschwören, weil bei allen neuen Erklärungsversuchen man vor lauter gescheiten Worten diesen Grund unseres Glaubens kaum noch benennen kann. Nun ist es leider so, dass alle Kurzformeln Ihre Einseitigkeiten und ihre Wirkungsgeschichte haben – sicher dann, wenn es um das Geschehen geht, das wir mit „Auferstehung“ umschreiben. Und darum müssen wir auch diese nicht einfach herunterbeten, sondern auf ihren Inhalt befragen. Wir werden uns wohl alle darüber einig sein, dass es hier nicht um eine Wirklichkeit geht, die man fotografisch festhalten könnte. Auch wenn es zu biblischer Zeit Reporter gehabt hätte, sie hätten kaum einen Preis gewinnen können mit dem sensationellen Bild eines Toten, der plötzlich wieder atmet und herumgeht. Der auferstandene Christus wäre kein Futter für Paparazzi. Er wurde namlich wie ein Sklave, und so viele waren es, gekreuzigt und es erging ihm wohl wie seinesgleichen, dass man den geschundenen Verstorbenen irgendwo ohne Namen und Grabstätte verscharrt hat – das wohl die historische Wahrheit hinter den sehr schönen biblischen Bildern vom leeren Grab und vom weggewälzten Stein, die ich als Gläubiger nicht vermissen möchte. 1 Sogar als Toter ist Jesus also solidarisch gewesen mit jenen, deren Andenken auf keine Art und Weise lebendig bleiben darf – denken wir nur an die Massengräber oder die verwehte Asche der Hingerichteten in den Völkermorden von Kambodscha, Ruanda und Auschwitz. Auch zu Jesu Zeiten gab es Sensationshunger. Er kommt zum Ausdruck in der Geschichte vom reichen Prasser und vom armen Lazarus, die der Evangelist Lukas erzählt: „Es war einmal ein Mann, der war reich, er ging in Purpur und in feines Linnen gekleidet, und jeden Tag gab es grosses Fest. Aber ein gewisser Armer, Lazarus hiess er, lag an der Schwelle seiner Türe, mit Geschwüren bedeckt: dieser hätte gerne seinen Hunger gestillt mit dem, was von dem Reichen vom Tisch fiel, aber es kamen nur Hunde, um seine Geschwüre zu lecken. Und nun geschah es, dass der Arme starb. Engel trugen ihn in den Schoss Abrahams. Auch der Reiche starb. Und wurde begraben. Im Totenreich, vielen Qualen als Beute ausgeliefert, schlug er seine Augen auf und sah aus der Ferne Abraham und Lazarus in seinem Schoss. Er rief, und sagte: ‚Vater Abraham, erbarme Dich meiner: schicke Lazarus, lass ihn seine Fingerspitze ins Wasser tauchen, um damit meine Zunge zu kühlen, ich werde so fürchterlich gefoltert im Feuer.’ Aber Abraham sagte: ‚Kind, erinnerst Du Dich, dass Dir das Gute schon zuteil wurde, während deines Lebens, aber Lazarus im selben Masse das Böse; und nun wird er hier getröstet und du wirst gefoltert. Und es kommt noch Folgendes hinzu: zwischen uns und euch gibt es eine grosse Kluft. Jene, die von hier zu euch gehen wollen, würden das nicht tun können, und von euch dort unten zu uns ginge das auch nicht.’ Der Reiche sagte: ‚Aber dann frage ich dich, Vater, dass du jemanden zum Hause meines Vaters schickst, denn ich habe fünf Brüder – dass er sie warne, dass auch sie an diesen Ort der Qualen gelangen.’ Abraham sagte: ‚Sie haben Moses und die Propheten. Sie mögen auf diese hören. Wenn sie auf Moses und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten aufersteht.“ Mit besonderer Raffinesse hat Jesus in diesem Gleichnis schon zu seinen Lebzeiten erzählt, um was es eigentlich geht bei „Auferstehung“, und vor allem um was es nicht geht. Es geht in keinem Fall um jenes Besondere und Neue, welches das Christentum vom Judentum und von allen andern Religionen so wesentlich unterscheidet – es geht nicht um eine Triumphformel, mit der wir die Überlegenheit unseres Glaubens kundtun sollen. 2 Lukas kommt in seinem Evangelium mehrmals mit einer andern Kurzformel des Glaubens als jener vom „christos anesti“, nicht weil diese etwa falsch wäre, aber um einen andern Akzent zu setzen. Sie kommt vor in der Geschichte der Verklärung auf dem Berg, wo der verherrlichte Christus zwischen Moses und dem Propheten Elia steht. Und sie kommt vor in der Emmausgeschichte als Antwort auf die Frage, was denn der Sinn von Jesu Scheitern sei. Die Kurzformel von Lukas heisst: „Moses und die Propheten.“ Einerseits bedeutet sie Auferstehung und Leben und anderseits wirkt sie als Korrektiv für gewisse übersteigerte Vorstellungen und Selbstüberhöhungen des Christentums. Der niederländische Theologe Huub Oosterhuis (von dem wir heute in der Osternacht auch viele Lieder singen) meint dazu: „Die Formel >Moses und die Propheten> bedeutet die Fülle Israels, aus der Jesus geboren wurde und in voller Leidenschaft lebte. Damit gemeint ist: Die Tora (das heisst die fünf Bücher Moses) und die Anwendung der Tora (wofür die Propheten einstehen), die Vision der Gerechtigkeit und die politische Anwendung dieser Vision vom Gastrecht für Verfolgte bis zum Recht auf Fürsorge. Aber auch die persönliche Anwendung der Tora im ganz kleinen Massstab von Respekt und Geduld gegenüber den Allernächsten, dass man sich in sie vertieft, sich um sie bemüht, sie mit zuvorkommender Liebe beschützt. >Moses und die Propheten> bedeutet: Dein Leben umkehren. Zum Beispiel seinen Zeithaushalt verändern zugunsten einer Person, für die nicht mal eine Stunde eingesetzt wird; anders versuchen mit Verlust oder Scheitern um zu gehen, so dass dich diese Erfahrungen nicht länger isolieren und verbittern; anders leben mit Glück und Wohlstand, dass man dadurch nicht eingebildet und unausstehlich wird für unglückliche Menschen. Für eine solche Umkehr muss man hart arbeiten: Sich selber analysieren, ‚Fasten und Beten’, sich in der Liebe einüben. >Moses und die Propheten< bedeutet, lernen solidarisch zu sein. Dafür braucht man keine auferstandenen Toten, sagt Jesus – wie wir hörten – Jesus, der ein Sohn der Tora ist. Denn die Tora ist die Auferstehung aus dem Tod: eine Art von Leben gegen den Tod.“ Und Jesus, so fragen wir? Und wir alle? Er und wir werden getragen von jenem Glauben, wie er (im Lied der Auferstehung)im Gespräche von Mose auf dem Berg Sinai, in Exodus 32 formuliert ist. Unser Herr Gott „führt uns aus unwegsamem Abgrund zu einem Wohnort von Licht.“ Im Leben hier, aber auch über unser biologisch begrenztes Leben hinaus. Dort, in der Verborgenheit Gottes, wohnen alle Verstorbenen, ganz nach dem Glauben schon des alten Israel, das sich geführt sah von einem Gott, der das Leben in allen Zügen bejahte – er vertritt ein Leben das stärker ist als der Tod; 3 - er gibt uns einen Segen der jeden Fluch besiegt; - er schenkt uns die Vision von einem Land, wo alle Menschen wohnen können. Jesus’ Leben war ganz von diesem Gott des Lebens erfüllt. Wir leben in seiner Nachfolge, wenn wir ihn anerkennen als jenen, der gekommen ist, um die Worte der Tora in ihrer vollen Kraft zu zeigen, nichts davon überflüssig zu machen, kein i-Pünktchen an ihr zu verändern. Jesus ist der Sohn der Tora. Auf sie hinein am achten Tag nach seiner Geburt beschnitten und von Johannes dem Propheten im Jordan zur Umkehr untergetaucht, getauft. Tora ist Schrift die Menschenursprung schreibt, und zugleich Wort, das treu bleibt, im Leben und im Tod. Amen. PS Würenlos 11./12.4.09 Ostern 4