Redaktion Medizin: (089) 53 06-425 [email protected] Telefax: (089) 53 06-86 61 Münchner Merkur Nr. 224 | Montag, 29. September 2014 STIEFS SPRECHSTUNDE Leben 19 ................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. Wenn es beim Wasserlassen brennt Prof. Dr. Christian Stief Als Chefarzt im Münchner Klinikum Großhadern erlebe ich jeden Tag, wie wichtig medizinische Aufklärung ist. Meine Kollegen und ich (www.facebook.de/UrologieLMU) möchten den Lesern daher jeden Montag ein Thema vorstellen, das für ihre Gesundheit von Bedeutung ist. Im Zentrum der heutigen Seite stehen wiederkehrende Harnwegsinfekte bei Kindern. Expertin des Beitrags ist Dr. Julia Straub. Die Medizinerin ist überwiegend kinderurologisch an der Abteilung für Urologie am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München in Großhadern tätig ist. Stichwort: Harnwege Die Nieren sind die Filterorgane unseres Körpers. Sie sind paarig angelegt und befinden sich unterhalb des Zwerchfells. Während das Blut sie durchströmt, filtern sie giftige Stoffwechselprodukte heraus und regulieren gleichzeitig den Haushalt von Wasser und Elektrolyten. Der Harn sammelt sich dann zunächst im Nierenbecken, einer trichterförmigen Erweiterung der Harnleiter. Dieses liegt innerhalb der Nieren und bildet dort einen Hohlraum. Der Urin fließt dann über die beiden Harnleiter in die Blase, wo er sich sammelt. Dort verlaufen die Harnleiter ein kurzes Stück innerhalb der Harnblasenwand. Ist die Blase stärker gefüllt, wird so verhindert, dass Urin zur Niere zurückfließen kann. Hat sich einiger Urin angesammelt, kommt es zu Harndrang. Bei einer Blasenentzündung kann dies schon der Fall sein, wenn sich wenig oder gar kein Urin darin befindet. Da die Harnwege ein geschlossenes System bilden, sollte man einen solchen Infekt immer behandeln. Sonst können die Keime über die Harnleiter in die Niere aufsteigen und dort zu bleibenden Schäden führen. sog Plötzlich ist die Hose nass, obwohl das Kind schon lange keine Windeln mehr braucht. Zudem klagt es über Bauchschmerzen: Hinter solchen Beschwerden steckt nicht selten eine Entzündung der Harnwege. Oft bleibt es nicht bei einem Infekt. Wie bei Anna (4). VON SONJA GIBIS Anna (Name geändert) ist heute ein Elefant. Und der hat natürlich einen Rüssel. Das kleine Mädchen mit dem Pferdeschwanz hält seinen Arm vor die Nase und streckt ihn kichernd Dr. Julia Straub entgegen. Scheu vor der Ärztin hat die Vierjährige nicht. Obwohl Anna lange fast Stammgast in Praxen und Krankenhäusern war. Immer wieder hatte sie Bauchschmerzen. Wenn sie aufs Klo ging, brannte es. Zwei Mal kam sogar Fieber hinzu. Am Ende konnte die Mutter die Infekte gar nicht mehr zählen. Waren es 25? Oder mehr? „Als Baby war Anna nicht öfter krank als andere“, erzählt die Mutter, Barbara M. Die Probleme begannen, als das Mädchen vor etwa einem Jahr in den Kindergarten kam. Anna begann wieder in die Hose zu machen. Die Mutter bemerkte, dass der Urin ihrer Tochter seltsam roch. Beim Kinderarzt war schnell klar: Anna hatte eine Blasenentzündung. Sie bekam Antibiotika. Gleichzeitig wurde eine Urinkultur angelegt, um festzustellen, welcher Keim hinter der Entzündung steckte. Denn steht das fest, kann man gezielter behandeln. Das Antibiotikum schlug an, Anna ging es wieder gut. Doch schon wenige Tage später drückte es erneut im Bauch. Der nächste Keim hatte sich eingenistet. Wieder musste Anna Antibiotika nehmen. Sie töteten die Erreger ab – doch offenbar nur, um die Bahn frei zu machen für neue. Bald bemerkte Annas Mutter wieder diesen inzwischen bekannten Geruch. Ein Teufelskreis begann. Mit der Zeit nisteten sich seltenere Keime ein. Nach Infektionen mit verschiedenen Kolibakterien waren es Pseudomonaden, dann Enterokokken. Die Keime Endlich kein Bauchweh mehr: Dr. Julia Straub freut sich, dass es Anna seit zwei Monaten gut geht. wurden unempfindlicher gegen die Medikamente. Nach vielen Antibiotika-Therapien ist das nicht untypisch. Doch warum begann alles im Kindergarten? „Sicher nicht, weil es dort unhygienisch ist“, sagt Dr. Julia Straub, Ärztin im Klinikum Großhadern in München. Schuld ist wohl eher der veränderte Alltag: Anna ist ein aufgewecktes Mädchen. Wenn sie spielt, lässt sie sich nicht gern stören – auch nicht, wenn die Blase drückt. „Sie hat einfach keine Lust, aufs Klo zu gehen“, sagt die Mutter Barbara M. Spielen macht einfach mehr Spaß. Auch mehr Spaß, als zwischendrin öfter mal was zu trinken. Die Folge: Der Urin bleibt länger in der Blase. Keime haben mehr Zeit, um sich zu vermehren. Auch wer wenig trinkt, hat ein größeres Risiko, dass sich in den Harnwegen Bakterien einnisten. Denn diese werden seltener herausgespült. Zu Hause kann Annas Mutter öfter nachfragen, ob ihre Tochter nicht doch aufs Klo muss. Bei einer ganzen Gruppe von Kindern ist das für die Betreuer im Kindergarten unmöglich im Blick zu behalten. Manche Kinder gehen auch nicht gerne auf fremde Toiletten. „Auch Anna hat sich eine Zeit lang total gesträubt“, er- Tochter zum Kinderurologen. Sie sollte mit ihrer Tochter am Wochenende ein Miktionsprotokoll führen. Das heißt: Sie musste notieren, wann und wie viel Anna trank – und wie viel Wasser sie lassen musste. Eine Ultraschall-Untersuchung sollte zeigen, ob sich Annas Blase nicht richtig entleert, nach dem Toiletten- Wenn Kinder selten aufs Klo gehen, steigt das Risiko, dass sich die Harnwege entzünden. zählt die Mutter. Eine Folge: Die Neigung für Infekte nimmt zu. Nicht jedes Kind trifft es. Doch sind Harnwegsentzündungen bei Kindern durchaus häufig. Im Säuglingsalter trifft es vor allem Buben, später weitaus mehr Mädchen. Der Hauptgrund ist die kürzere Harnröhre. Die Bakterien haben es nicht so weit, um in die Blase zu gelangen und sich zu vermehren. Barbara M. ging mit ihrer Gang also Urin darin zurückbleibt. Das war nicht der Fall. Dennoch hörten die Infekte nicht auf. Fieber kam hinzu. Das Mädchen kam ins Krankenhaus. Diagnose: Nierenbeckenentzündung. Anna bekam Infusionen. Barbara M. versuchte es auch mit Blasentees, alternativen Therapien, homöopathischen Globuli. Nichts half. Es folgten weitere Untersuchungen, etwa mit einem spe- FOTO: KURZENDÖRFER ziellen Röntgengerät. Denn Ursache wiederkehrender Infekte können auch Veränderungen in den Harnwegen sein, etwa Engstellen oder ein Reflux. So nennen es Mediziner, wenn von der Blase Urin in die Nieren zurückfließt. Normalerweise verschließt eine Art Ventil den Zugang. Funktioniert das nicht, kann Urin bis in die Nieren zurückströmen – und mit ihm auch Keime. Über einen kleinen Katheter erhielt Anna dabei ein Kontrastmittel in die Blase, dann musste sie Wasser lassen. Ein Röntgengerät zeichnet auf, was passiert. Die Ärzte konnten aber nicht ganz ausschließen, dass Anna unter einem leichten Reflux leidet. Sie war bei der Untersuchung unruhig und musste früh Wasserlassen. Das Mädchen bekam nun länger Antibiotika, allerdings niedrig dosiert. Sie sollten einem erneuten Infekt vorbeugen. Doch die Keime waren stärker. Es kam zu einem so genannten Durchbruchsinfekt. Schließlich bekam das Mädchen wieder Fieber: eine erneute Nierenbeckenentzündung. „Sie war zwei Wochen lang richtig schwer krank“, erzählt die Mutter. Doch das Arsenal der Kinderurologen war noch nicht erschöpft: In der Ambulanz in Großhadern riet Dr. Julia Straub zu einem PIC-Zystogrammn. Das sollte in Sachen Reflux Klarheit bringen. Eine Szintigrafie zeigte immerhin: Annas Nieren hatten noch keinen Schaden genommen. Sie bekam eine Narkose. Mit Hilfe von Kontrastmittel konnten die Ärzte genau untersuchen, ob doch etwas Urin in die Niere zurückfließt. Tatsächlich fand sich ein leichter Reflux in die rechte Niere. Während das Mädchen in Narkose lag, unterspritzten die Urologen den Harnleiterzugang mit einer Zuckerlösung mit Hyaluronsäure, damit künftig kein Urin mehr zurückläuft. Danach bekam Anna nochmals vorbeugend gering dosiert ein Antibiotikum. Das war vor zwei Monaten. Seither macht die Mutter mit Anna jeden Abend zusätzlich ein Sitzbad. Wichtig ist auch die richtige Hygiene nach dem Stuhlgang. Das heißt: Von vorne nach hinten wischen! Vorbeugend isst Anna Lebensmittel, in denen viel Vitamin C steckt wie Cranberries. Das erhöht den Säuregehalt des Urins – und das mögen Bakterien nicht. Ganz wichtig: Immer viel trinken, und regelmäßig aufs Klo gehen – auch groß. „Kinder, die häufig Harnwegsinfekte haben, leiden auch oft an Verstopfung“, sagt Dr. Julia Straub. Den Eltern bleibt oft nichts übrig, als öfter zu fragen, ob ihr Kind zur Toilette muss. Doch weiß Dr. Julia Straub, selbst vierfache Mutter, dass gerade das zum Problem werden kann. „Kinder bekommen unterbewusst schnell mit: Wenn ich nicht von selbst aufs Klo gehe, krieg ich mehr Aufmerksamkeit“, sagt sie. Und natürlich findet jedes Kind Aufmerksamkeit gut. Auch wenn es leichter gesagt ist, als getan: Das Problem sollte den Alltag daher nicht allzu sehr bestimmen. Bei Anna hat bislang alles geklappt. Seit zwei Monaten plagt sie kein Bauchweh mehr. Und sie hofft ganz fest, dass es so bleibt. Harnwegsinfekte bei Kindern: Wie man sie erkennt und behandelt Wenn Kinder plötzlich wieder in die Hose machen, nachdem sie schon gelernt hatten, aufs Klo zu gehen, kann das ein Hinweis sein. Andere klagen über Bauchschmerzen oder müssen plötzlich ständig aufs Klo. Dahinter steckt dann nicht selten ein Infekt der Harnwege. Eine solche Entzündung ist bei Kindern durchaus häufig. Etwa sieben Prozent aller Mädchen und 1,6 Prozent der Buben leiden bis zu ihrem sechsten Geburtstag mindestens ein Mal daran. Über die Hälfte der Infekte treten dabei vor dem dritten Geburtstag auf. Im ersten Lebenshalbjahr sind überwiegend Jungen, dann deutlich öfter Mädchen betroffen. Je nachdem, wie alt die Kinder sind, kann sich der Infekt anders zeigen. Bei Neugeborenen und Säuglingen sind die Beschwerden oft relativ unklar. Die Kinder sind teils unruhig, trinken schlecht, reagieren oft empfindlich auf Berührung. Zudem kann es zu Fieber, Durchfall und Erbrechen kommen – selbst Ärzte denken dann oft nicht sofort an einen Harnwegsinfekt. Sind die Kinder schon etwas älter, kann es sein, dass sie wieder einzunässen beginnen oder auch öfter auf die Toilette müssen. Das Wasserlassen kann schmerzhaft sein. Häufig klagen die Kinder auch über Bauchweh. Insgesamt kann man sagen: Hat ein Kind Fieber und ist die Ursache nicht klar, sollte man immer auch an einen Harnwegsinfekt denken. Bei unklarem Fieber immer an einen Infekt der Harnwege denken Um diesen sicher festzustellen, benötigt man eine Urinprobe. Doch ist es gerade bei Kindern nicht immer einfach, den Urin sauber zu gewinnen. Bei kleineren Kindern kann es nötig sein, den Urin direkt aus der Blase zu entnehmen. Bei Mädchen geht das meist am einfachsten mit einem speziellen kleinen Kinderkatheter. Bei Buben kann es für das Kind schonender sein, den Urin über eine dünne Nadel durch die Bauchdecke zu entnehmen. Für die sorgfältige Untersuchung ist es wichtig, eine Urinkultur anzulegen. So kann man erkennen, welche Keime sich darin befinden und so feststellen, welches Antibiotikum für die Behandlung am besten geeignet ist. Hat das Kind eine Harnwegsentzündung, ist es zudem wichtig herauszufinden, ob es schon öfter ähnliche Beschwerden hatte, es sich also um einen ersten oder einen wiederholten Infekt handelt. Zudem sollte man abklären, ob es mit dem Wasserlassen Probleme gibt und die Blase sich gut genug entleert. Dabei helfen der Ultraschall und ein Miktionsprotokoll. Vor allem, wenn bei einer Entzündung der Harnwege Fieber hinzukommt, ist es wichtig, den Infekt früh zu erkennen und mit Antibiotika zu behandeln. Sonst besteht die Gefahr, dass die Nieren dauerhaft geschädigt werden. Nieren, Harnleiter und Blase sollten dann unbedingt per Ultraschall untersucht werden. So lassen sich nicht nur Anzeichen für einen Infekt erkennen, sondern auch Erweiterungen in den Nieren oder Harnleitern. Bei fast einem Drittel der Kinder, die an einer Harnwegsentzündung mit Fieber erkranken, findet man einen Reflux. Das heißt: Der Urin gefüllt. Ein spezielles Röntgengerät macht dann Aufnahmen, während sich die Blase entleert. Moderne Röntgengeräte mit speziellen Kinderfiltern machen dies heute mit einer geringen Strahlenbelastung möglich. Besteht ein stärkerer Reflux, reicht eine Ultraschalluntersuchung mit Kontrastmittel aus, um den weite- Fließt Urin zurück in die Nieren, führt das häufig zu Infekten Bei einem Infekt der Harnwege können Bakterien über die Blase und Harnleiter bis in die Nieren aufsteigen. REPRO läuft von der Blase in Richtung Niere zurück. Erkrankt ein Kind bereits als Säugling an einem fieberhaften Harnwegsinfekt mit Nierenentzündung, sollte man daher immer prüfen, ob ein Reflux vorliegt. Ältere Kinder sollte man spätestens dann untersuchen, wenn sich die Harnwege öfter entzünden oder sich im Ultra- schall oder einer Szintigrafie Veränderungen an den Nieren erkennen lassen. Im Ultraschall lässt sich ein Reflux nicht sicher feststellen. Daher sollte zusätzlich eine Röntgenuntersuchung mit Kontrastmittel, eine Miktionszysturethrografie, durchgeführt werden. Die Blase wird dazu mit Kontrastmittel ren Verlauf zu kontrollieren. Diese Miktionsurosonografie kommt ohne Strahlung aus. Um eine sichere erste Diagnose zu stellen, genügt sie aber nicht. Vor allem, wenn nur wenig Urin von der Blase zurückfließt, lässt sich das mit Ultraschall nicht sicher erkennen. In speziellen Fällen, etwa wenn die Diagnose trotz der Untersuchungen unklar ist und es immer wieder zu Infekten kommt, kann man ein PIC-Zystogramm erwägen. Dabei wird die Blase unter Narkose untersucht und ein Kontrastmittel direkt vor die Mündung des Harnleiters ge- spritzt. So lässt sich auch erkennen, wenn nur wenig Urin in die Niere zurückfließt. Dies kann auch gleich mit einer Unterspritzung behandelt werden. Leidet das Kind unter einem Reflux, muss man individuell entscheiden, wie die Therapie aussehen soll. Zusätzlich sollte dazu eine nuklearmedizinische Untersuchung, eine Szintigrafie, der Nieren durchgeführt werden. So lässt sich erkennen, ob es dort bereits Schäden gibt. Sind Narben zu erkennen, sollte man die Therapie nicht aufschieben. Infrage kommt eine Prophylaxe mit Antibiotika. Die Kinder erhalten die Medikamente niedrig dosiert für maximal sechs Monate bis zu einem Jahr. Eine weitere Möglichkeit ist ein minimalinvasiver Eingriff. Dabei wird die Harnleitermündung mit einer Zuckerlösung mit Hyaluronsäure unterspritzt. Ist der Reflux ausgeprägt, kommt auch eine Operation infrage. Ziel ist es dabei vor allem, bleibende Nierenschäden zu verhindern. SONJA GIBIS/JULIA STRAUB Leserfragen an Dr. Julia Straub: [email protected]