Rückblick auf 20 Jahre Kirchenfreundschaft der EKKW mit der Rum-Orth. Kirche von Antiochia Autor: Kirchenrat Georg Richter Mein Rückblick gliedert sich in zwei Abschnitte: Der erste richtet sich auf den Anfang der Beziehungen unserer Kirchen zueinander. Er hat die Überschrift: „Gute Ausbildung als Hilfe gegen beängstigende Auswanderung“. Der zweite Abschnitt heißt: „Worüber wir noch nicht (oder kaum) gesprochen haben“. I. Gute Ausbildung als Hilfe gegen beängstigende Auswanderung Als 1990 unsere Kirchenfreundschaft Gestalt annahm, fand im Libanon ein 15-jähriger, grausamer Bürgerkrieg ein Ende. Der Staat war zerrissen, verfeindete Volksund Religionsgruppen begegneten sich voller Misstrauen, die Bevölkerung war erschöpft, viele wanderten aus, vor allem Christen. Die beiden Nachbarstaaten, Syrien und Israel, hatten sich eingemischt. Syrien kontrollierte das Land noch über Jahre, auch nach 1990. Die Rum-Orthodoxen Christen waren von den großen Religionsgruppen die einzigen ohne eigene Miliz. Sie sind in Syrien die größte Kirche, im Libanon die zweitgrößte. Ihr Kirchenoberhaupt Patriarch Ignatios IV. residiert in Damaskus, ihr großes Bildungszentrum Balamand liegt im Nordlibanon. Im Bürgerkrieg und danach war das eine besondere heikle Situation. In Westeuropa hatte diese Kirche noch wenige Gemeinden und kaum Freunde. Unter Katholiken und Protestanten wussten wohl nur Fachleute, dass es sie überhaupt gibt. Orthodoxe Christen suchte man in Osteuropa und in Russland, nicht im Orient. Das merkte man schnell bei den Tagungen zu Themen der Kirchen und Theologie im Nahen Osten, die hier in der Evangelischen Akademie Hofgeismar seit 1988 angeboten wurden. Die erste hieß „Libanon zwischen Krieg und Frieden“. Erster Beitrag war eine „Kirchenkunde des Orients“ von Dr. Paul Löffler, ehemals Professor an der NEST in Beirut. Einer der drei Berichterstatter über die aktuelle Lage im Libanon war Dr. Tarek Mitri. Er kam aus Genf, wo er im Weltrat der Kirchen für den interreligiösen Dialog verantwortlich war, zugleich war er an der Universität in Balamand Professor für Soziologie. Welche Möglichkeiten gab es 1990 für die rum-orthodoxe Kirche, nachhaltig zu einem friedlichen Mit- / Nebeneinander der Menschen im Libanon beizutragen? Bei Besuchen konnte man Einiges wahrnehmen: 1. Der Versuch einer vorsichtigen Liturgie-Reform war erkennbar, wohl vor allem im Blick auf die Jugend unternommen. 2. Auch der Versuch, die Mitsprache und die Mitverantwortung der Laien in der Kirche zu stärken, war zu erkennen. Das war ein wichtiges Ziel der „Orthodoxen Jugendbewegung“, die schon früher im Libanon entstanden war. Man hörte Gesprächspartner mit besonderer Hochachtung von ihr sprechen. 3. Offensichtlich setzte die Kirche auf eine solide Ausbildung. Das schien ihr in der damaligen Situation das Wichtigste zu sein und ging Hand in Hand mit dem Bemühen um eine geistliche Erneuerung. Balamand wurde Schritt für Schritt zielstrebig zu einem modernen Bildungszentrum ausgebaut. Errichtet wurde eine Oberschule, die bis zur Hochschulreife führte, eine Schule für behinderte Kinder und Jugendliche direkt am Meer wurde modernisiert. Glanzstück war eine nagelneue, kircheneigene Universität, zunächst hauptsächlich zur Ausbildung von Schullehrern auf akademischem Niveau. Es folgte eine medizinische Fakultät mit Lehrkrankenhaus und eine Kunsthochschule in Beirut. Das schon bestehende Priesterseminar wurde als Theologische Fakultät in die Universität integriert. Die Theologiestudenten sollen sich mit anderen Geistes- und den Naturwissenschaften auseinandersetzen können. Die Begabtesten sollten nach Europa gehen und promovieren. „Könnte Ihre Kirche uns nicht dabei helfen?“ Diese Frage von Patriarch Ignatius IV. war schon eine Antwort auf unsere Frage, was sich der Patriarch von einer Kirchenfreundschaft erhoffe. „Wir erhoffen uns, dass die bedrohlich starke Emigration der Besten unserer Jugend mit Ihrer Hilfe gelindert werden kann.“, fuhr er fort. Es ging um Stipendien, verständnisvolle akademische Lehrer, Gastfreundschaft in unserer Kirche und in unseren Familien. Erschwerend kamen die hohen sprachlichen Hürden und die konfessionellen Unterschiede dazu. Dies war allen bewusst. Doch eine gute Ausbildung als Hilfe für den Weg in eine unsichere Zukunft hatte Vorrang. Heutzutage ist das eine selbstverständliche Forderung. Bei der Rum-Orthodoxen Kirche damals konnte man lernen, dass für sie, wie auch für viele andere Kirchen und Länder, gegenseitiges Vertrauen und die Bereitschaft zum Wagnis bei Partnerkirchen und bei den Stipendiaten dazukommen muss. Es ging bei der Frage des Patriarchen um mehr als nur individuelle Förderung von Begabten. Vielmehr schwang die Erwartung mit, dass die Doktoranden bei allen unkalkulierbaren Einflüssen der westlichen säkularen Welt ihrem Glauben und ihrer Kirche treu bleiben, für sie arbeiten und sie repräsentieren würden. Und dass sie nicht abgeworben werden! Die Furcht vor dem Proselytismus war spürbar! Dieses Wagnis, ist die Rum-Orthodoxe Kirche eingegangen. Sie hat auch das Vertrauen in unsere Kirche und in die Lehrer der evangelischen Theologie gewagt. Unsere Kirche kann stolz darauf sein, dass ihr das Vertrauen entgegengebracht wurde. Das gilt auch für das Stipendienprogramm der ökumenischen Abteilung des Diakonischen Werkes, für das Orthodoxe Studienzentrum der EKD in Erlangen ebenso für nicht wenige Universitätsprofessoren mehrerer Universitäten und Fakultäten. Es gehören eben viele dazu, wenn eine internationale und interkonfessionelle Ausbildung gelingen soll. Das Ergebnis Bisher ist das Ergebnis in meinen Augen gut: Das Studienprogramm wurde das Fundament für die Gründung der Kirchenfreundschaft. Auf ihm wurde aufgebaut, z.B. durch viele und ganz verschiedene Besuche von kleinen und großen Gruppen zu verschiedenen Anlässen: aus touristischen Gründen, zum Gedankenaustausch über diakonische Fragen, um Klöster zu erleben, zur Begegnung von Gemeinden in Stadt und Land, zur Planung und Koordination der Programme, Austausch von Studenten und Dozenten, Frauengruppen trafen sich. Besondere Höhepunkte waren die offiziellen Besuche von Patriarch Ignatius in Kassel und Marburg und von Bischof Dr. Zippert und Bischof Dr. Hein in Balamand und Damaskus. Die Liste ist nicht vollständig. Die Erkenntnis aus den Folgen des Studienprogramms lautet: Nichts ersetzt die Besuche hin und her zur Pflege und Vertiefung der Kirchengemeinschaft! Davon zu berichten, wäre ein neues Thema. Die Ausbildung der Stipendiaten war ein Anfang und kann fortgesetzt werden, auch damit, dass deutsche Studenten zum Studium nach Balamand gehen. Die bisherigen Studenten aus Balamand sind inzwischen selbst akademische Lehrer; vier allein an der Theologischen Fakultät in Balamand, aber auch von Münster i.W. aus, oder in Columbus/ USA. Auch in Wien arbeiten sie für ihre Kirche – als Brückenbauer zwischen unseren Kirchen. Wir danken ihnen dafür! Was wir gemeinsam vor 20 Jahren angefangen haben, hat auch beide Kirchen verändert. Wir wissen mehr voneinander und haben weniger Vorurteile gegenüber dem anderen. Verehrte Freunde der Rum-Orthodoxen Kirche, Ihr Ausbildungsprogramm für Studenten in Deutschland ist in meinen Augen eine kleine, aber nachhaltige Erfolgsgeschichte. Ich blicke gern darauf zurück. Vielleicht können Sie es ähnlich sehen und zusammen mit Ihren deutschen Partnern nach vorne schauen. II. „Worüber wir noch nicht (oder kaum) gesprochen haben“ In zwei Jahrzehnten haben unsere Kirchenfreundschaft Ereignisse und Themen begleitet, die uns angingen, die wir aber erstaunlicherweise nur am Rande oder gar nicht angesprochen haben – ob zufällig oder mit Bedacht weiß ich nicht. Was mir besonders aufgefallen ist, will ich zur Sprache bringen: Beispiel 1: Über das monastische Leben und die Bedeutung der Klöster für die Rum-Orthodoxe Kirche haben wir, wenn überhaupt, nur am Rande gesprochen. Das ist aber m.E. unerlässlich für das Verständnis der Orthodoxen Kirche, denn nur Mönche können in ihr Bischof werden, nur ein Mönch Patriarch. Die Synode ist eine Bischofssynode; sie wählt die Bischöfe und den Patriarchen. Völlig anders in der Evangelischen Kirche: in ihr herrscht völlige Gleichberechtigung von Männern und Frauen für alle Ämter. Ich halte es für wichtig, dass wir uns über diesen Gegensatz austauschen, nicht obwohl, sondern weil sich daran nichts ändern wird. Beide Kirchen wollen und können das nicht ändern, soweit ich sehe. Welches Selbstverständnis, welche theologischen und kulturellen Traditionen stehen dahinter? Beispiel 2: In Syrien und im Libanon begegnen uns immer wieder Männer und Frauen, die fast fließend oder erstaunlich gut Deutsch sprechen. Wie viele Menschen in der Kurhessisch-Waldeckischen Kirche sprechen Arabisch? Ich kenne nur zwei! Über dieses Ungleichgewicht in der Kommunikation haben wir nicht geredet. Im dritten Jahrzehnt unserer fellowship wird die Frage der Sprachkenntnisse zunehmend wichtig werden für das Verständnis der Kirchen im Nahen Osten und das Verständnis des Islam. Ich erinnere an den Vorschlag in meiner Dankrede vorhin: Studenten aus Kurhessen-Waldeck lernen in Damaskus die arabische Grammatik, in Beirut die Umgangssprache und in Balamand die Theologie. Wir sollten darüber reden. Beispiel 3: Ein richtiges Tabu-Thema ist bisher der Palästina-Israel-Konflikt. Begreiflicherweise, und ich zögere, es zum Gespräch unter uns zu empfehlen. Deutsche und Araber, auch christliche, sind in der neueren Geschichte von sehr unterschiedlichen Erfahrungen geprägt worden, sie sind einerseits besetzt von verletztem Gerechtigkeitsempfinden und Leiderfahrungen, andererseits von Schuldgefühlen und Ängsten. Können wir überhaupt darüber reden? Ist das Gespräch darüber nicht eine Überforderung? Aber wenn befreundete Christen das nach 20 Jahren nicht schaffen, was bedeutet das? Als Patriarch Ignatius hier zu Besuch war, folgte er der Einladung, das ehemalige KZ Breitenau bei Kassel zu besuchen. Auf dem Weg dorthin sprach mich ein arabisch-orthodoxer Christ an und sagte: Ihr müsst uns von der Shoa erzählen, wir müssen zuhören. Und er fuhr fort: Wir erzählen von unseren Erfahrungen im Nahen Osten und bitten Euch, uns zuzuhören. Jeder hat seine eigene Geschichte von Leid und Schuld. Bei diesem Thema, liebe Mitchristen, werden wir wohl herausfinden, wie viel wir uns gegenseitig zumuten können, ohne dass die Freundschaft in Frage gestellt wird. Wie viel Gegensätze können wir in dieser globalisierten Welt in uns vereinigen? Ist das nicht heute auch in anderer Beziehung eine Frage an die Kirchen? Mein 4. Beispiel: Wir können nicht gemeinsam Abendmahlsgottesdienst feiern. In Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf haben die Kirchen jahrelang bis zur Sprachlosigkeit darüber gestritten, wer dort Gottesdienst halten darf, und wenn ja, dann wann und wie. Auf der Vollversammlung des Weltrates der Kirchen 1998 in Harare wollten die Russisch-Orthodoxe Kirche und die Griechisch-Orthodoxe Kirche aus dem Weltkirchenrat austreten, taten es dann doch nicht. Auch die Unterbrechung der Beziehungen der Russisch-Orthodoxen Kirche mit der Evangelischen Kirche in Deutschland haben wir erlebt. In den freundschaftlichen Beziehungen von Kirche zu Kirche haben wir das stillschweigend übergangen. Das war vielleicht klug, „propter caritatem“, „aus Nächstenliebe“, könnte man mit Martin Luther sagen. Vielleicht passt hier auch das biblische „katà tän oikonomìan“, „dem Heilsplan Gottes entsprechend“, das sich für ähnliche Verwendung in der orthodoxen theologischen Literatur findet, wenn ich nicht irre. Es lohnt sich m.E. dennoch, darüber zu sprechen. Denn auf höchster Ebene sind die Evangelisch-Orthodoxen Beziehungen schwierig geworden. Ob das spurlos an uns vorbeigeht, wie es das bisher zum Glück tut? Wir könnten vielleicht zusammen untersuchen, ob sich nicht in unseren Beziehungen Umrisse einer neuen Gestalt von Ökumene zeigen – bescheidener, direkter von Kirche zu Kirche, auch belastbarer, weil das gegenseitige Vertrauen die Basis ist, nicht erst das angestrebte Ziel.