Schleswig-Holstein Fortbildung Die Ein-Dollar-Brille: Kooperation zwischen Lübeck und Kenia Die augenärztliche Versorgung in Deutschland und Kenia: ein ungewöhnliches Thema für eine Fortbildung. Die Augen-Praxisklinik Lübeck stieß auf Resonanz. Ein Brillenprojekt in Kenia verbessert die Versorgung und schafft Arbeitsplätze. Dr. Mary Asiyo-Vogel, gebürtige Kenianerin und Augenärztin in Lübeck, die bis zum Abschluss ihrer Facharztweiterbildung in ihrem Geburtsland lebte, stellte die private Kooperation zwischen der AugenPraxisklinik Lübeck und dem Innovation Eye Centre in Kisii, Kenia vor. Das Innovation Eye Centre wurde gegründet, um in den ländlichen Regionen Afrikas die Erblindungsrate zu senken – aktuell leben 90 Prozent aller Blinden in sich entwickelnden Ländern. Ursachen für die hohe Erblindungsrate in Kenia ist die geringe Zahl an Ophthalmologen, die meist in Städten praktizieren. Zudem werden die Entscheidungen über die Augenheilkunde von Fachfremden im Gesundheitswesen – oft mit unzureichendem Kenntnisstand – gefällt und die Anstrengungen staatlicher und auch nichtstaatlicher Institutionen haben bislang keine Erfolge gebracht. Hinzu kommt die Armut, unter der ein Großteil der Bevölkerung leidet – Wohlhabende lassen sich in anderen Ländern behandeln – 34 Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt (Foto: EinDollarBrille e. V.) sowie die geringen Ressourcen und oftmals eine „inadequate quality of eye care“. Aber: In den vergangenen zehn Jahren verzeichnet Kenias Gesundheitswesen Fortschritte, wie Asiyo-Vogel berichtete. Heute kommt in ihrem Geburtsland ein Ophthalmologe auf 500.000 Einwohner, während in den Jahren zuvor ein Ophthalmologe 1.000.000 Einwohner versorgte. Aktuell gibt es vier Netzhaut-Glaskörperchirurgen, vier pädiatrische Ophthalmologen, drei Lid-Orbita-Operateure sowie zwei Glaukomspezialisten in Kenia. In der Region Kisii leben über fünf Millionen Einwohner auf einer Fläche von ca. 30.000 km². Ziel für diese Region ist es, jedem von Erblindung bedrohten oder schon erblindeten Menschen eine medizinische Versorgung unabhängig von seinen finanziellen Möglichkeiten anzubieten. Regionale, kulturelle und soziale Identitäten sollen hierbei berücksichtigt werden. Dies ist ein weiter Weg, denn aktuell werden www.aerzteblatt-sh.de 82 Prozent der Katarakte nicht operiert und nur rund fünf Prozent der Patienten mit folgenden Krankheiten ausreichend behandelt: Fehlsichtigkeiten, Diabetes, diabetische Retinopathie und Glaukom. Aktuell sind noch Eigenbeteiligungen durch die Patienten notwendig. Von Vorteil für die Katarakt-Operation sind preisgünstige und gleichzeitig hochwertige PMMAIntraokularlinsen aus Indien, von denen das Stück nur wenige Euro kostet. Ohne logistische und finanzielle Hilfe durch eine Vielzahl von Organisationen, und durch Sachspenden wäre diese Aufgabe nicht zu bewältigen. In Vertretung des Botschafters der Republik Kenia sprach Oliver Konje als Wirtschafts-Attaché der Kenianischen Botschaft in Berlin. Er berichtete, dass auch Patienten aus den an Kenia angrenzenden Ländern zur Behandlung in sein Heimatland kommen. Insbesondere hob er jedoch den Bedarf an Einrichtungen des Gesundheitswesens hervor und gab potenziellen ausländischen Investoren Hoffnung für diesen Bereich. Über Erfahrungen im Aufbau internationaler Kooperationen in der Augenheilkunde berichtete Prof. Volker Klauß aus München am Beispiel München/ Nairobi. Klauß war schon vor seiner Facharztausbildung im Deutschen Entwicklungsdienst tätig und ist sein ganzes Berufsleben der Tropenmedizin treu geblieben. Klauß berichtete über das Programm Vision 2020 der WHO, mit dem bis zum Jahr 2020 vermeidbare Blindheit präventiv verhindert werden soll. Insbesondere Afrika ist von Erblindungen betroffen. In Deutschland erreicht die Zahl der Augenärzte fast 100 zu einer Million, in Afrika liegt sie unter eins zu eine Million Einwohner. Afrika braucht laut Klauß nicht nur mehr Augenärzte, sondern Helfende aus allen Berufsgruppen, die sich den Augenkranken widmen. Er plädierte für ein partnerschaftliches Miteinander auf Augenhöhe, das für beide Partner ein Gewinn sei. Das Wort „Entwicklungshilfe“ ersetzte er durch Entwicklungszusammenarbeit und merkte an, dass die paternalistische Philosophie Albert Schweitzers und Hilfe im Sinne der Substitution, insbesondere Kurzzeitaufenthalte von Ophthalmochi­ rurgen, der Vergangenheit angehöre. Als „Lohn“ für ein Engagement in Afrika sah Klauß neben einer hohen beruflichen Befriedigung die Möglichkeit, Wissen weiterzugeben sowie Bedürftigen zu helfen. Asiyo-Vogel sprach noch ein weiteres Thema an: In den USA wissen mehr als 50 Prozent der Glaukom- kranken nicht um ihre Erkrankung, in Afrika sind es 98 Prozent. Während in der kaukasischen Bevölkerung Baltimores eine Glaukomprävalenz von 1,29 Prozent gefunden wurde, ist diese in Afrika drei bis vier Mal so hoch. Darüber hinaus ist das Glaukom in Afrika südlich der Sahara krankheitsspezifisch und gesellschaftlich-versorgungsbedingt „aggressiver“ als in den „westlichen“ Ländern. Unter diesen Bedingungen kommt der Untersuchung der Papille eine noch weitergehendere elementare Bedeutung zu als in unserem Land. Die am häufigsten gewählte Operationsmethode ist die Trabekulektomie, auch mit Mitomycin C. Da die Versorgung mit Medikamenten oft schwierig ist und Glaukome meistens erst im fortgeschrittenen Stadium entdeckt werden, gilt diese Operation als Therapie der ersten Wahl für die meisten neu entdeckten Glaukome in diesem Teil Afrikas. Dieses therapeutische Konzept wird durch die Ergebnisse der Collaborative Initial Glaucoma Treatment Study (CGTS) gestützt: Primäre TE und primäre medikamentöse Therapie haben, bezogen auf Gesichtsfeld und Lebensqualität, mit einander vergleichbare 10-Jahresergebnisse (Ophthalmology 2001; 108: 1943-53 u. 1954-65). Das Ziel der Früherkennung des Glaukoms ist für die Länder südlich der Sahara eine große Zukunftsaufgabe, an der sich auch das Lübecker Team beteiligt. Für Europa „exotische“ Krankheitsbilder werden in regional unterschiedlicher Häufigkeit in Kenia gefunden, betonte Asiyo-Vogel. Neben weiteren infektionsbedingten Netzhautveränderungen sind vor allem die Onchozerkose-Retinopathie für Gebiete mit „Flussblindheit“, die Malaria-Retinopathie für Gebiete mit Plasmodium-falciparum-Befall sowie mit Schwerpunkt für Zentralafrika die Sichelzell-Retinopathie zu nennen. Der Kenntnis der jeweils typischen Fundusveränderungen kommt auch allgemeinmedizinisch eine Bedeutung zu. So wird etwa der Verdacht auf eine cerebrale Malaria durch die Funduskopie erhärtet. Asiyo-Vogel zeigte auch Bilder der idiopathischen polypoidalen chorioidalen Vasculopathie (IPCV), die bevorzugt im Alter von 40 bis 45 Jahren auftritt, im Gegensatz zur AMD liegen keine Drusen vor. Sie betonte die Zunahme der diabetischen Retinopathie und berichtete über eine Kampagne gegen das Retinoblastom in Kenia. Die Tele-Ophthalmologie sieht sie für die Retinologie und das Glaukom in Afrika als zukunftsweisendes Tool an. Ausgabe 2 | Februar 2014 35 Schleswig-Holstein Martin Aufmuth aus Erlangen stellte sein Projekt die „Ein-Dollar-Brille“ vor, mit der er mehrere Preise gewonnen hat, zuletzt den mit 50.000 Euro dotierten ersten Preis unter weltweit 800 Bewerbern beim „empowering.people Award“, gestiftet von der SiemensStiftung. Sein Projekt ermöglicht die Anfertigung einer Brille, deren Herstellungskosten so gering sind, dass die Brille auch von armen Menschen erworben werden kann. Die Materialkosten liegen unter einem US-Dollar. Ziel Aufmuths ist es, möglichst viele Menschen damit zu versorgen. Weiterer Vorteil: Das Projekt schafft Arbeitsplätze. Die Ein-Dollar-Brille wird von den Menschen vor Ort auf einer den können. Mit der Maschine werden Bügel und Rahmen gebogen, dann die Linsen eingesetzt. Ein Schrumpfschlauch, durch die Hitze über einem Holzkohlenfeuer dem Draht angepasst, bildet die Auflage der Brillenbügel hinter dem Ohr und je eine Perle beidseits ziert die neue Brille. Die Anschaffungskosten einer Brillenwerkstatt betragen aktuell 2.400 Euro. Fazit: Durch die Medien ist die Erde zum „globalen Dorf“ geworden und Migranten bringen uns die Situation ehemals „ferner“ Länder nahe. Fernweh und selbstloses Helfen flankieren die Bandbreite der Motivation für ein Engagement in Afrika. Entwicklungshilfe gehört als humanitäres Erbe kolonialen Denkens der Vergangenheit an, partnerschaftliche Nachbarschaftshilfe ist das Gebot der Stunde. Auch wenn der Transfer des Wissens und des Könnens vorerst überwiegend in Richtung Afrika gehen dürfte, die Beschäftigung mit der Ophthalmologie in Afrika bereichert unser eurozentrisches ophthalmologisches Weltbild. Importierte Krankheiten werden wir besser und schneller diagnostizieren können, Ansprechpartnerin für das Projekt Lübeck/Kisii ist Dr. Mary Asiyo-Vogel, Augen Praxis Klinik Lübeck, Markt 1, 23552 Lübeck, Tel.: 0451 31 700 600, E-Mail: [email protected] Weiter Informationen über die „Ein Dollar Brille“ unter www.eindollarbrille.de, EinDollarBrille e. V., (Foto: di) Boemlach 22, 91058 Erlangen, E-Mail: info@one dollarglasses.org Die nächste Jahrestagung des Deutschen Komitees zur Verhütung von Blindheit (DKVB) findet am 7. und 8. März in Bremen statt (www.dkvb.org) eigens dafür entwickelten Biegemaschine gefertigt. In einem 14-tägigen Intensiv-Training werden Frauen und Männer zum Ein-Dollar-Brille-Optiker ausgebildet und können sich dann eine eigene Existenz aufbauen (www.eindollarbrille.de). Die Brille besteht aus einem extrem leichten, flexiblen und stabilen Federstahlrahmen, in den vorgeschliffene Linsen chinesischer Provenienz (bis -6,0 dptr) eingesetzt werden. Die gesamte „Brillenwerkstatt“ befindet sich in einer tragbaren Holzkiste. Diese beinhaltet die Biegemaschine – das Kernstück des Konzepts der EinDollar-Brille. Die Maschine ist stromunabhängig und praktisch wartungsfrei, sodass mit ihrer Hilfe auch in abgelegenen Dörfern vor Ort Brillen gefertigt wer36 Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt sei es der unerwartet unter der Bindehaut auftauchende eye-worm (Loa Loa), die Retinopathie durch Malaria oder diejenige bei Sichelzellanämie. Langzeitstudien, z. B. über die Ergebnisse nach primärer TE, und epidemiologische Untersuchungen, z. B. zur AION als Ausdruck der Minderperfusion des Auges bei Sichelzellretinopathie in Relation zum intraokularen Druck, könnten zur Beantwortung auch in unserem Land offener Fragen beitragen. Insbesondere in der Telemedizin könnte man ohne Vorbehalte gemeinsam Erfahrungen gewinnen, denn diese Form der Kommunikation wird in unserem Land bislang eher in dünnbesiedelten Landstrichen kultiviert. Dr. Udo Hennighausen, Heide