Schafft die Künster ab! Oder: die Einäugigkeit der Theorie Eine Polemik von Lisa Althaus Kunst als Versinnlichungsform geistiger Inhalte und menschlicher Wahrnehmung basiert auf zwei Grundlagen: der geistig-intellektuellen Auseinandersetzung mit einem Thema und der praktischen Arbeit an der visuellen Umsetzung. Wäre es anders, bräuchten wir keine Kunst, denn beide Aspekte existieren auch einzeln: als Philosophie bzw. als Handwerk. Die Ästhetik als Teilgebiet der Philosophie beschäftigt sich mit der sinnlichen Wahrnehmung in Kunst, Design, Philosophie und Wissenschaft. Ihr Werkzeug ist die Sprache. Im Bereich der Kunst sind es vor allem die Kunsthistoriker, Kunst- und Medientheoretiker, Kuratoren und Kritiker, die sich mit dem Teil von Kunst befassen, der sprachlich zugänglich ist. Diese Sprachspezialisten beschränken sich aber nicht darauf, über Kunst zu sprechen oder zu schreiben, sondern übernehmen zunehmend die Rolle der Künstler selbst. Ihr Medium ist eine Kunstsprache, die mindestens ebenso hermetisch und elitär ist wie die Kunst selbst. Zwar wird diese Insidersprache nach außen meist als „Kunstvermittlung“ deklariert, aber wäre sie das wirklich, dann entstünde daraus ein öffentlicher Diskurs über Kunst. Dann würden sich die Menschen über Kunst unterhalten wie über Kinofilme. Statt dessen schweigen sie eingeschüchtert. Ein Dialog mit dem Publikum kommt so nicht zustande - das ist möglicherweise auch gar nicht intendiert. Die „Hochkunst“ definiert sich vor allem durch Abgrenzung. Und manchmal wird man den Verdacht nicht los, ein Zusatznutzen dieser elaborierte Sprache könnte darin bestehen, auch intellektuell etwas dürftigere Konzepte bedeutungsvoller erscheinen zu lassen. Seit der Avantgarde ist die Rolle des sprachlich-philosophischen Bereiches in der Kunst immer stärker geworden. Die für das Publikum neuen und unverständlichen avantgardistischen Kunstwerke boten viel Platz für theoretische Begleitung und Begründung. Mit dem Aufkommen der Konzeptkunst scheint sich Kunst immer mehr im Philosophischen zu verlieren. Der Werkbegriff ist obsolet, Kunst wird reduziert auf eine Denk- und Handlungsweise, die sich in verschiedenen Medien manifestieren kann (Mission statement der Akademie der Bildenden Künste Wien). Sie wird zu einer reinen Erkenntnisform, die ihren Ausdruck in soziologischen Untersuchungen, Sozialarbeit, Kochen, Gärtnern - kurz, dem Leben selbst findet. Die Produktion von Kunst basiert nach dieser Anschauung auf einer bestimmten „künstlerischen“ Geisteshaltung, die nicht weiter definiert wird, die man sich aber an Akademien erwerben kann. Die Künstlerin / der Künstler erdenkt sich ein Konzept und setzt es anschließend in Handlung um. Da es sich bei Konzepten stets um sprachlich fassbare Inhalte handelt, orientiert sich die darauf folgende Umsetzung im jeweiligen „Versinnlichungsmedium“ an der sprachlichen Vorgabe. Diese Vorgangsweise entspricht der klassischen Definition von Illustration - eine bildliche Darstellung, deren Zweck es ist, einen Text zu ergänzen. Dabei ist es im Einzelfall unerheblich, in welchem Medium diese Illustration umgesetzt wird. Bis Ende des 20. Jhs glaubte die Wissenschaft, jedes Denken basiere auf Sprache, ohne Sprache sei Denken unmöglich. Erst die Hirnforschung entdeckte in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, dass das „Mentalesisch“ des Gehirns allein auf elektrischen und chemischen Impulsen beruht und eine Art von Netzwerkstruktur besitzt. Denken kann sich also in in vielen Medien direkt ausdrücken - auch in Bildern. Für jeden praktisch tätigen Künstler ist das selbstverständlich, er weiss, dass er im Tun „denkt“ und dazu oft keine Sprache braucht. Natürlich ist die sprachlich-intellektuelle Begleitung der eigenen Arbeit ein wichtiger Teil der Produktion, um nicht in platte „Bauchkunst“ zu verfallen, aber es bedarf beider Elemente, um eine gute Arbeit zu schaffen. Die Kunst beinhaltet wie alle praktischen Tätigkeiten ein implizites Wissen, das sich ausschließlich im Tun manifestiert und nicht versprachlicht werden kann. Zwar gab es in den letzten Jahren Versuche, dieses implizite Wissen mittels„Informationsmanagement“ zu heben, um es als „intellektuelles Kapital“ für alle nutzbar zu machen, aber dieser Versuch entbehrt nicht einer gewissen Komik, da die Eigentümer dieses impliziten Wissens oft selbst nicht beschreiben können, was genau sie tun - es handelt sich um ein Wissen, dass nur durch Praxis erworben werden kann. Eine Selbstverständlichkeit für jeden Künstler, Musiker, Tänzer, Gärtner, Koch.... Explizites Wissen ist kodifiziert, kann artikuliert werden und ist offen zugänglich. Wenn also Kunst sich auf den Aspekt der sprachlich transferierbaren Inhalte beschränkt, bleibt sie allein im Bereich des expliziten Wissens. Ihre Umsetzung beschränkt sich auf eine nachträgliche Illustration von sprachlich artikulierten Konzepten, auf illustrierte Philosophie. Das gilt auch für die Fälle, in denen ein rein theoretisch ausgebildeter Kurator den Part des Künstlers übernimmt, indem er ein Konzept erstellt und sich dazu Werke von diversen Künstlern holt, die seiner Meinung nach das Thema am besten illustrieren. Zwar kann es sich bei diesen Kunstwerken um eigenschöpferische Leistungen von Künstlern handeln, es fragt sich allerdings, ob den Intentionen des jeweiligen Künstlers durch eine Gesamtpräsentation, die er nicht selbst mit bestimmen kann, ausreichend Rechnung getragen wird. Die Marginalisierung der Künstler als eigenschöpferische Individuen mit einem impliziten, personengebundenen und nicht übertragbaren Fachwissen und die Reduzierung der Kunst auf einen Zweig der Philosophie verändern den Kunstbegriff und machen die Künstler obsolet. Dann reicht es, ein geisteswissenschaftliches Fach zu studieren und zur Illustrierung dieser Thesen ein paar Bilder aus dem allgemeinen Bilderfundus zu verwenden oder eine andere beliebige Tätigkeit zur Versinnbildlichung des geisteswissenschaftlichen Inhalts zu benutzen. Das können Theoretiker auch. Schafft die Künstler ab - oder gebt der Kunst ihr zweites Auge zurück - einen Werkbegriff, der alle Aspekte künstlerischen Tuns umfasst, über den sich debattieren lässt und der nicht in die absolute Beliebigkeit abdriftet.