Die Gitarre als Waffe

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WAFFE
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DDIIEE GGIITARRE
Gitarristinnen
E i n e s i s t a u f d e r g a n z e n We l t g l e i c h : Fra u e n ,
d i e E l e k t ro g i t a r re o d e r - b a s s s p i e l e n , s i n d
s e l t e n . E i n e U m f ra g e a n e u ro p ä i s c h e n
M u s i k h o c h s c h u l e n e rg a b, d a s s i n d e n J a h re n 1 9 9 7 b i s 2 0 0 2 i n d e n
J a z z - A b t e i l u n g e n n u r g e ra d e 1 1 , 6 1 % d e r A b s c h l ü s s e vo n Fra u e n
g e m a c h t w u rd e n ( 5 5 % S ä n g e r i n n e n , 4 5 % I n s t r u m e n t a l i s t i n n e n ) .
A u f N a c h f ra g e b e s t ä t i g e n d i e M u s i k h o c h s c h u l e n e i n e n s t a r k
r ü c k l ä u f i g e n Fra u e n a n t e i l i n d e n l e t z t e n J a h re n , i n s b e s o n d e re b e i
S c h l a g i n s t r u m e n t e n s ow i e G i t a r re u n d B a s s .
In der Rock- und Popmusik, wo traditionellerweise die AutodidaktInnen vorherrschen,
gibt es keine derartigen Erhebungen. Es ist
allerdings leicht zu beobachten, dass hier
deutlich mehr Frauen aktiv sind als im Jazz.
Das legt nahe, dass Frauen leichter einen Einstieg finden (oder ihn überhaupt wagen),
wenn kein Leistungsausweis verlangt ist und
1671
man sich eher spielerisch einem Instrument
zuwenden kann. Diese Vermutung wird untermauert von den letzten 50 Jahren Schweizer Rock- und Popgeschichte. Vor den 60iger
Jahren, also vor dem Auftreten von Beatmusik, hielt keine Gitarristin Einzug in die offizielle Geschichtsschreibung, was natürlich
nicht heisst, dass es keine einzige gab.
Kleenex in Hamburg 1979 –
Die Sängerin Regula Sing
verlor ihren Job, als bekannt
wurde, dass sie in einer
Punkband spielte.
Kleenex/Liliput wurden zu
Z w e i einem der wichtigsten Exportartikel der Schweizer
F r o n t e n Popgeschichte und ihr avantK r i e g
gardistischer, verspielter
Sound bringt noch heute Po- Mit ihren Kolleginphistoriker und Fans zum
nen aus aller Welt
schwärmen.
verbindet
die
(Bild Bice Curiger – aus dem
Schweizer GitarriBuch ,Liliput/Kleenex‘ von
Marlene Marder, Nachbar der stinnen aber nicht
nur der MinderheiWelt Verlag Zürich)
tenstatus, sondern
auch, dass sie sich bis heute humorige
Sprüche gefallen lassen müssen: „Frauen in
der Musik sind selten ernst zu nehmen. Sie
haben entweder keine Band oder keine echten Aussagen und können deswegen höchstens als die Sängerin von etwas von Nutzen
sein. Madonna, Alanis Morissette etc. sind
S T R O M G I TA R R E N
entweder amerikanische Ausnahmen oder
Lesben. Der Ur-Grund des Musizierens besteht schliesslich darin, Frauen zu erobern.“
Soweit Thomas D. von den Fantastischen
Vier in „Die Bunte“, 2004.
Wer die Geschichte der Gitarristinnen nachzeichnet, kommt nicht darum herum, sich
mit strukturellem Sexismus zu beschäftigen.
Während Männer einfach Musiker sein können, ist eine Frau rein durch ihre Geschlechtszugehörigkeit automatisch auch
Aktivistin. Musikerinnen waren und sind immer noch gezwungen, ihre Arbeit und
insbesondere ihre öffentlichen Auftritte als
politisches Agitationsfeld wahrzunehmen,
selbst solche, die sich
nicht explizit als
Feministinnen verstehen. Entsprechend
hatten Musikerinnen
einen massgeblichen
Anteil daran, dass sich
das
vorgegebene
Les MIDInettes in Genf 1966 – Mit ihren JohnnyHalliday-Coverversionen schafften es die Beatgirls bis fast ins Halliday-Vorprogramm, bevor
auch hier die Liebe und ihre Folgen im Frühjahr
67 zum Split führten. (Bild aus dem Buch ,Rock
en Romandie dans les années 60´ von Christian
Schlatter)
Spektrum für weibliche Rollenbilder auszuweiten begann.
War es bis dahin die unantastbare Dichotomie Heilige/Jungfrau versus Schlampe/Hure,
hat der weibliche Teil der Pop-Welt sich in
den achtziger Jahren doch immerhin ein
Heilige und Schlampe erobert. Was im musikalischen Untergrund brodelte, machte
Madonna einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Mit ihrem oft verwirrlichen Spiel
mit vorgegebenen Rollen zu jonglieren wurde sie zu einer Ikone weiblichen SelbstverS T R O M G I TA R R E N
ständnisses. Dass sie sich
zu diesem Zweck offensiv
ihrer Sexualität bediente,
erscheint nur auf den ersten Blick widersprüchlich
zu sein. Diese Taktik ist
durchaus subtil, da die
Waffe Sexualität vermutlich
die einzig wirkungsvolle
sein kann, um verkrustetem Sexismus zu begegnen. Denn dieser hat sich
eigentlich entlang der
weiblichen Sexualität zementiert.
Wenn etwas wirklich paradox ist, dann ist es der Umstand, dass sich
ausgerechnet die Frauen im Rock- und Popbereich im permanenten Zwei-FrontenKrieg befanden, zum einen nach Aussen hin
zu Publikum und Medien und, für sie
schmerzhafter, auch nach Innen. Bedauerlicherweise galt das für sämtliche jugendkulturelle Systeme. Ausgerechnet innerhalb
dieser Kreise, welche sich in der Regel gegen
gesellschaftliche Normen auflehnten und
sich gerne auch politischer Inhalte bedienten, regierte Sexismus lange unhinterfragt.
Per Definition immer Ausdruck einer AntiHaltung oder eines wie auch immer gearteten Rebellentums, blieben diese musikalischen Szenen vorwiegend Männerdomänen, insbesondere was die Besetzung der
Instrumente betrifft. Sängerinnen waren zu
jeder Zeit akzeptiert und entsprechend aktiv.
P i o n i e r i n n e n
In den wenigen Schweizer Big Bands und
Jazzkapellen der 30er und 40er Jahre spielten keine Frauen. Kein Wunder, noch nicht
einmal die amerikanischen Orchester kannten Instrumentalistinnen. D. h. gekannt hätten sie diese schon, aber keiner wollte eine
Frau in seiner Band spielen lassen. Es gab
zwar eine ganze Reihe von begnadeten Instrumentalistinnen, aber sie kamen nur als
Sängerinnen unter. Darunter Grössen wie
die Schlagzeugerin Big Mama Thornton
oder die Gitarristin LaVern Baker oder die
Pianistin Aretha Franklin, die alle auch komponierten, aber zeitlebens kaum als Instrumentalistinnen auftreten durften.
In den 40er und 50er Jahren kannten
Schweizer Jugendliche Jazz, Rhythm & Blues
und später Rock ‘n‘ Roll nur andeutungsweise und via Kino aus zweiter Hand. Im Gegensatz zu den Jugendlichen in Deutschland, die in den Nachkriegsjahren via der
dort stationierten amerikanischen Soldaten
und deren Radiosender damit ihre Adoleszenz versüssten. Erste Musikerinnen tauchten in der Schweiz anfangs der 50er Jahre in
„Guggen“ (Faschingskapellen) auf, also in
der Zeit des Jahres, in der die gesellschaftlichen Regeln vorübergehend ohnehin
gelockert sind.
Halbstarke und ihre Musik traten in der
Schweiz erst Ende der 50er in Erscheinung.
Es gab (vermutlich auch aus ökonomischen
Gründen, denn die Halbstarken rekrutierten
sich vornehmlich in der Unterschicht) kaum
Bands und schon gar keine mit Frauen an
den Instrumenten. Es bewegten sich aber
erst mals Frauen in dieser Szene, die sich aufrührerisch gebärdeten, was ihnen den Nimbus sexueller Freizügigkeit einbrachte. Offensichtlich haben die Schweizerinnen erst
diese Äusserlichkeiten gebraucht, um zu den
Instrumenten zu greifen. Als einzige Frau auf
weiter Flur gab 1960 die Jazzpianistin Irène
Schweizer ihr Debut.
In den 60er Jahren tauchten dann vereinzelt
Gitarristinnen und Bassistinnen in Beatbands
auf, während die Mehrzahl ihrer Geschlechtsgenossinnen vor der Bühne weibliche Hysterie zelebrierten. An dieser Stelle sei
daran erinnert, dass das Frauenstimmrecht
auf eidgenössischer Ebene erst 1971 eingeführt wurde ... Wer sich 1965 als Frau derart
exponierte, erst recht mit etwas so Sexuellem wie Beatmusik, musste auf Angriffe gefasst sein: „Es war für alle einfach sonnenklar,
dass wir Lesben waren. Wir haben das nie
dementiert, obwohl die ganze Band heterosexuell war. Es hätte gar keinen Sinn gehabt.“ Eva Polli-Walder von der Beatband
The Ladys, Zürich
Auffallend ist, dass die damals aktiven Musikerinnen ihre Bands mehr als lustiges Hobby
verstanden, obwohl zum Beispiel The Ladys
aus Zürich oder Les MIDInettes aus Genf,
den meisten Bands der Zeit in nichts nachstanden. Von gesundem Selbstbewusstsein
kann also keine Rede sein, obwohl beide
Bands auch im benachbarten Ausland Anerkennung fanden. So soll sich gar Johnny Hallyday selbst um die MIDInettes als Vorprogramm bemüht haben.
Nach der Yeah-Yeah-Zeit veränderte sich die
Popmusik radikal und Instrumentalistinnen
verschwanden wieder komplett von der
Bildfläche, obgleich die 68er-Bewegung
neue Freiheiten für die Frauen erkämpft hatte. Mitte der 70er Jahre regierten RockBands, die sich auf „Kunst kommt von Können“ kaprizierten. König war der fingerfertigste
Gitarrist
mit
der
grössten
Ausbuchtung in der Samthose. Diesem
Wettbewerb hat sich weltweit kaum eine
Musikerin gestellt. Frauen tauchten erst
8117
DIE GITARRE ALS WAFFE
Dangermice in Zürich 1987 – Ledermini, Macho-Posen und feministische Inhalte gingen für dieses Trio prima zusammen und sie wurden damit zu Wegbereiterinnen der
Riot-Grrrl-Bewegung. (Bild Andreas Meier)
DIE GITARRE
GITARRE ALS WAFFE
DIE
wieder auf, als in Reaktion auf die elitäre Bewegung Trash- und Glamrock aufkam. „Leuten, die damals nicht dabei waren, kann ich
das kaum erklären – man muss gesehen haben, wie die Runaways 1976 behandelt wurden. Die Menschen dachten, wir seien verrückt. Sie behandelten uns wie Wahnsinnige, sie konnten nicht verstehen, warum wir
Gitarre spielen und in einer Rock-‘n‘- RollBand sein wollten. Sie glaubten, alles sei ein
Spiel, alles aufgesetzt und Fake. Wenn wir
dann wütend wurden und darauf bestanden, dass wir es ernst meinen, fühlten sie
sich bedroht und beschimpften uns als
Huren. Dann wurden wir richtig zornig und
fluchten zurück. Das war dann ihre Story.
Die Runaways hatten ein grosses Mundwerk
und niemand musste über ihre Musik sprechen.“ Joan Jett, Gitarristinnen-Ikone, über
ihre erste Band The Runaways.
R e v o l u t i o n
Dann überschlugen sich die Ereignisse.
Plötzlich galt: Üben ist für Feiglinge! Und eine neue Generation Mädchen, die präpupertär Suzy Quattro und The Runaways angehimmelt hatten, rutschte nach. PunkRock, bei dem es erst mal keinen
Interessierte, ob jemand spielen konnte oder
nicht, senkte die Hemmschwelle der Frauen,
sich aktiv zu beteiligen. 1977 war auch in
der Schweiz die Zeit überreif, den UnterdrückerInnen – vom Bildungsbürger bis zur
Hippie-Tante, vom Polithengst bis zur Latzhosen-Feministin – endlich mal den Finger
zu zeigen. „Angefangen hat es in dem inzwischen legendären Jahr 1977, als auch
Zürich vom Punkfieber geschüttelt wurde.
Ich hatte mich gerade von der Frauenbewegung und deren seichter Musik gelöst und
suchte mit meinem Saxophon ein neues Wirkungsfeld. Ich hatte genug von nachkopierten Rocksongs mit frauenspezifischen Texten, wie: gemeinsam sind wir stark, wir müssen uns wehren, uns geht es schlecht, wir
sind siebenfach unterdrückt ... Vor allem
durfte die Musik nicht laut und hart sein, das
wäre Macho?! Ich fühlte mich unterdrückt
durch die Forderung, welche Musik ich zu
hören und zu spielen hätte.“ Marlene
Marder, Gitarristin von Kleenex/Liliput und
Dangermice.
Biel und Zürich waren die Punk-Nervenzentren der Schweiz, wo sich innert Kürze eine
geschlechterspezifisch vergleichsweise gut
durchmischte Subkultur bildete. Es war das
erste Mal in der Rockgeschichte, dass Frauen und Männer quasi Hand in Hand eine
neue Musiksprache entwickelten und Punk
wurde zu einer regelrechten Kulturrevolution.
Die reine Frauenband Kleenex/Liliput war in
dieser Zeit eine der bis heute an den Händen
1891
Female Trouble – live in
Kairo 1991. Die Gitarristin
Sibylle Aeberli preschte Ende der 80er als erste in die
Männerdomäne „virtuose
Gitarrensoli“ und ist heute
eine der wenigen Schweizer
Profi-Gitarristinnen im PopRock-Bereich. Sie spielt bei
diversen Projekten, bei der
Kinderband Stärneföifi und
als Theatermusikerin.
(Bild Heini Fümm)
abzuzählenden Schweizer Bands, die je international Beachtung fanden. Sie dominierten wochenlang die englischen Independent-Charts und spielten mit allen wichtigen Grössen der damaligen britischen
Szene, welche quasi das Zentrum der Welt
darstellte. Zu ihren grössten Fans gehörte
der britische Rock-Papst John Peel und
natürlich der amerikanische Pop-Chronist
und -Theoretiker Greil Marcus: „Kleenex/
Liliput spielten mit den Möglichkeiten der
Freiheit; sie übten Freiheit als Spiel aus. Keine andere Band hat je eine vergleichbare
Musik gemacht; sucht man nach etwas, das
diesem Feuer wirklich gewachsen ist, muss
man zurück nach Berlin gehen zu den DadaCollagen von Hannah Höch ... Als Revolutionäre klangen Kleenex/Liliput immer so,
als wollten sie das Spielfeld stürmen, nicht
den Palast.“
Diese Verspieltheit wurde den Frauen allerdings bald ausgetrieben. Der anfänglich rein
über freundschaftliche Netzwerke funktionierende Untergrund professionalisierte sich
schnell und die frischgebackenen MusikerInnen sahen sich bald einem Wettbewerb
Ladybeats in Zürich 1965 – Die Züricher Pionieringegenüber, von dem sie geglaubt hatten, sie
nen brachen ihre kurze, aber steile Karriere
würden ausserhalb davon funktionieren. Gezwecks Familiengründung ab – und das, nachdem
rade im aufstrebenden Independent-Besie ständig Lesben geschumpfen worden waren.
reich, der sich ganz allgemein als Alternati- (Bild aus der Sammlung von Samuel Mumenthaler)
ve zum normalen (und sexistischen) Rockbusiness verstand, hatten Frauen bittere
waren.“ Beate Bartel, Bassistin von Mania D.
Erfahrungen zu machen. „Human League
und Malaria.
wollten uns für ihre Tour haben. Und Alfred
Nichtsdestotrotz schossen ab 1983 FrauenHilsberg (Labelmanager, Anm. d. Verf.) hat
bands und Instrumentalistinnen wie Pilze
einfach gesagt ,die können nicht´. Und hat
aus dem Boden, auch in der Schweiz, wo Lieine Zickzack-Band geschickt. Irgendwann
liput diesbezüglich eine enorme Vorbildwirriefen Human League bei uns an ,Warum
kung hatten. Plötzlich spielte in einer Mehrkommt ihr denn nicht?´ Letztlich konnten
zahl der Gruppen mindestens eine Frau.
wir nur noch den Gig in Hamburg machen.
Natürlich stellten sie immer noch eine MinDa brüllten die Leute ,Ausziehen! Ausziederheit dar, aber sie waren nicht mehr zu
hen!´ Weil Mädchen auf der Bühne waren.
übersehen. Es waren vor allem viele BassiIch war stinkesauer. Und als ich das Geld hostinnen unterwegs, was relativ sofort dazu
len wollte, sagt Hilsberg ,Aber Gudrun und
führte, dass die Herren den E-Bass (vor weBettina haben versprochen, ihr spielt hier
nigen Jahren noch Königsdisziplin), zu eiauch umsonst.´ Die hatten unbedingt aufnem leicht zu erlernenden Instrument degtreten wollen und lieb Kind gespielt. Weil sie
radierten. Auch am medialen Interesse
Angst hatten. Weil wir eben doch Mädchen
konnten sich die Musikerinnen nur kurz freuS T R O M G I TA R R E N
story Suzanne Zahnd
Wemean in Bremgarten 1994 – Patrizia Leone an der Gitarre der wohl wortgewaltigsten Schweizer Frauenband. Der humorvolle Mix aus Rock, HipHop, Politpunk und italienischem Canzone machte Wemean zu Recht zu einem beliebten
Underground-Act zwischen Bilbao und Zürich. (Bild Gustavo Salami)
werden, nicht als Frauen, die Musik machen.
Ihr Auftreten wurde offensiver und ihre Gewandtheit im Umgang
mit Publikum und Medien wuchs. Dabei waren
ihnen ihre wesentlich
aggressiveren amerikanischen Schwestern ein
steter Quell der Inspiration.
Insbesondere
hatten
auch Frauen aus dem
HipHop Vorbildcharakter: Sie eigneten sich die
Schimpfworte
der
Männer an, um ihnen
ihren
ursprünglichen
Sinn zu entreissen. „I am
one bad Bitch!“ Roxanne
Shanté, Rapperin.
Die später als „Riot
Grrrrrls“ in die Pop-Geschichte eingehenden Frauen, die
Rockmusik spielten, inszenierten sich
als gewaltbereit und/oder sie
schwelgten in Sexprotzereien, also
bisher Männern vorbehaltenem Gebaren. Dass sie dazu im KleinmädchenLook mit Pippi-Langstrumpf-Frisuren
und Kniesocken daherkamen, trug
dabei zur allgemeinen Verwirrung
bei. In jedem Fall hatten ihre Texte
feministische Inhalte. Doch eben diese Verbindung von Feminismus und
Pop sollte sie bald sehr verletzlich machen.
Seit Anfang der 90er Jahre diversifizierte die weibliche Popszene und beMarlene Marti in Zürich 1987 – Die Gitarristin hatte Vorstand bald aus Riot Grrrrls, Hot Chicks,
bildfunktion für zwei Frauengenerationen, in den 70er mit
Kleenex/Liliput und zehn Jahre später nochmals mit Dan- Ghetto Divas, Rock Queens, Gangsta
Bitches, Hardcore Dykes und andere
germice. (Bild Andreas Meier)
mehr. Das ganze wurde unter dem
en. Plötzlich war in den eigenen Reihen vom
Überbegriff „Revolution Girl Style“ zusamso genannten Frauenbonus die Rede, davon,
mengefasst. Die Musikindustrie war mittlerdass es genüge eine Frau zu sein, um in die
weile derart schnell geworden – sie hatte seit
Medien zu kommen.
Ende der Achtziger angefangen, sich im Underground zu bedienen und dessen Attitüden mittels nicht organisch gewachsener,
V e r e i n n a h m u n g
sondern gezielt zusammengestellter Bands
Ende der 80er Jahre reagierten die Frauen
zu kopieren – dass die Inkorporation der
mit Radikalisierung und Abgrenzung. Es
Ware „Girl“ fast zeitgleich mit ihrer Entstewurden Projekte und Veranstaltungen realihung stattfand. Die grelle Präsenz der Girls
siert, die ausschliesslich Frauen zugänglich
forderte dann auch ihren Preis. „In ‚Revoluwaren. Sie schrieben immer explizitere, protion Girl Style NOW!’ (WDR-Feature, 1996)
vokantere Texte und verweigerten in Interkollidierte Kathleen Hannas Solidaritätsaufviews Antworten auf Fragen, die in irgendruf bereits mit internem Konkurrenzgeraneiner Form geschlechtsspezifisch waren. Sie
gel, Normierungs- und Ausgrenzungsprowollten als Musikerinnen wahrgenommen
zessen und Abbildungen anorektischer
S T R O M G I TA R R E N
Mädchen in Hochglanzmagazinen. Nach
der Verbreitung in sämtlichen pop/kulturellen Bereichen (Musik, Style, Mode, Text,
Film, Video, Kunst) dient heute die Bezeichung „Girl Power“ als Container für unterschiedlichste Ausdrucksformen, die lediglich
durch den diffusen Knoten girl zusammengehalten werden.“ Anette Baldauf, Katharina Weingartner, Herausgeberinnen von
„Lips Tits Hits Power?“
B a c k l a s h ?
Was folgte, war eine Art Millenium-Bug. In
den letzten Jahren, in denen sämtliche Arten
von Revival- und Retorten-Bands den Markt
dominierten, war an den Instrumenten ein
stark rückläufiger Frauenanteil zu beobachten. Als reine Frauenformationen machten in
der Schweiz um die Jahrtausendwende
lediglich noch Rosebud und Wemean von
sich reden, die sich aber bald auflösen
sollten. Ganz allgemein hatte Rock und Pop
in direkter Verbindung mit feministischen
oder sonst wie politischen Anliegen für die
Mehrheit der Jugendlichen definitiv keine
Wichtigkeit mehr. „Es ist sicher schwierig für
sie, zu begreifen, aus welchem Stoff unsere
Träume waren. Es ging ja nicht nur um
kulturelle Freiräume, sondern um unsere
Sehnsucht nach einer anderen Welt. Manchmal denke ich, dass unser damaliges unkonventionelles Verhalten sie heute in eine
konservative Haltung drängt. Keine Generation vor ihnen hatte das Problem, mit ihren
Müttern in derselben Disco zu tanzen“.
Astrid Spirig, Kleenex/Liliput , 2003.
Jüngere Semester sind heute eher in der
elektronischen Musik oder im HipHop anzutreffen – am Computer oder hinter dem Mikrofon. Öffentlich auftretende Gitarristinnen
haben die dreissig fast alle überschritten, die
meisten von den etablierten Instrumentalistinnen wurden gar in den 80er Jahren sozialisiert und sind um die vierzig. Sie betreiben mehrheitlich solides Singer-Songwritertum oder sind in gemischten Bands tätig.
Ob das nun damit zusammenhängt, dass Gitarrenmusik in der letzten Dekade an Wichtigkeit einbüsste (?; d. Red.), oder ob wir
schlicht einen Backlash erleben, ist nicht mit
Sicherheit zu sagen. Die Frage dürfte aber
bald beantwortet sein: In jüngster Zeit
scheint das Bedürfniss der MusikkonsumentInnen nach Authentizität wieder zu steigen,
Gitarren-Rock und -Pop feiert Urstände.
Möglicherweise ruft das vermehrt Gitarristinnen auf den Plan. Ansonsten wissen wir,
dass wieder mal eine Mädchen-Revolte
fällig wäre. ■
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