Meditationskurs 1. Stunde Yoga-Studio, 24. Okt. 2014 I. Einsicht: Allgemeines Einsicht (Pali: vipassanā) ist der wichtigste Weg, den Menschen in ihrem Leben immer wieder suchen und betreten sollten. Es ist der mittlerer Weg zwischen zwei falschen Wegen bzw. Ansichten: - Nihilismus und Eternalismus Einsehen bedeutet so viel wie ‚in etwas hineinsehen’, das Wesen zu erkennen, zu verstehen. Es bedeutet, große und kleine ‚aha – Momente’ zu erleben. Es bedeutet, etwas zu begreifen, zu berühren, einen direkten, unmittelbaren Kontakt herzustellen und zu halten zu dem, wie die Dinge tatsächlich wirken! Es bedeutet, ein direktes, unmittelbares Erleben des Werdens und Wirkens der ‚Dinge’. Der Übungsweg zur Entfaltung dieser Einsicht wird „Vipassana-Meditation“ (vipassanābhāvanā), „Einsichtsmeditation“ oder „Vipassanā-Praxis“ genannt. Die VipassanāPraxis ist ein Weg, um das durch Nichtsehen (avijjâ) und Verblendung (kilesa) verursachte Leiden (dukkha) zu überwinden bzw. in diesem Leben Befreiung, Freiheit von allen leidvollen Verstrickungen zu erlangen. Der Übungsweg wird u. a. auf einen Kommentar im (Visuddhi-Magga1) zu den im PaliKanon überlieferten Lehrreden des historischen Buddha zurückgeführt. Wenn das individuelle Leben nicht von Einsichten oder EINSICHT getragen und geprägt wird, was hat es dann für einen Sinn sich um sein Handeln Gedanken zu machen? Einsicht ist graduell und wird vollkommener, wenn der menschliche Geist positiv, klar, gelassen, gesammelt und unerschütterlich das annimmt, was auch immer uns das Leben anbietet, gewissermaßen das ‚tatsächliche Wirken der Dinge’ zulässt und akzeptiert. Einsicht in diesem hohen Sinn leitet dann das individuelle Leben durch Umsicht, Besonnenheit, Gleichmut, mitfühlendes Gewahr-Sein, Geistesgegenwärtigkeit und Heiterkeit. Ich gerate nicht aus der Balance, bin im Gleichgewicht und habe Macht über die tierischen Kräfte – die das Leben des gewöhnlichen Weltlings bestimmen - was mich zu höheren Formen des Mensch-Sein, von Bewusstheit führt. II. Die drei Daseinsmerkmale2 Als die drei Daseinsmerkmale werden im Buddhismus die Merkmale bezeichnet, die allen physischen und psychischen Phänomenen des Daseins innewohnen: Anicca – Alles ist vergänglich und nichts von ewigem Bestand. Alles ist dem Wandel unterworfen. Auf der menschlichen Empfindungsebene bedeutet es, dass alles Angenehme sowie auch alles Unangenehme vergeht, sich wandelt. 1 Der Visuddhi-Magga („Weg der Reinheit“) ist ein bedeutendes buddhistisches Werk aus dem 5. Jahrhundert nach unserer derzeitigen Zeitrechnung. • Die Abhandlung des Gelehrtenmönchs Buddhaghosa gilt als erste vollständige und systematische Darstellung des Theravada-Buddhismus. Verfasst ist er in Pali, der Schriftsprache des Theravada. 2 Siehe Anguttara Nikaya III, 137 1 • • Dukkha – Alles (auf der menschlichen Ebene Erlebte – und mehr kennt der gewöhnliche Mensch nicht) ist dem Leiden unterworfen. Der Begriff Dukkha kann auch als Unzulänglichkeit übersetzt werden. Anatta – Alle Dinge und Phänomene existieren ohne einen unveränderlichen Wesenskern. Es gibt kein getrenntes, permanentes „Ich“ und keine ewige Seele. Alles entsteht abhängig von anderem in einem kontinuierlichen Fluß. Vipassana: bedeutet und bezeichnet (im Buddhismus) die „Einsicht“ in diese oben beschrieben Drei Daseinsmerkmale: Unbeständigkeit, Leidhaftigkeit (bzw. Nichtgenügen) und Nicht-Selbst. Die Vipassana-Praxis - und das Erreichen ihrer Ziele - ist grundsätzlich an keine Religionszugehörigkeit gebunden. Vipassana-Meditation wird auch von NichtBuddhisten geübt und gelehrt. Wesentlicher Teil der verschiedenen Schulungsmethoden ist die Übung von Achtsamkeit (sati3). In der psychologischen Literatur wird VipassanāMeditation gewöhnlich als „Achtsamkeitsmeditation“ statt Einsichtsmeditation bezeichnet. III. Das Pali-Wort Vipassanā setzt sich zusammen aus dem Sanskrit-Präfix „vi-“ und der Verbalwurzel „√paś“ für „sehen“. Es wird meist mit „Einsicht“, „Klarblick“ oder „Klarsicht“ übersetzt. Das Präfix „vi-“ bedeutet in erster Linie „zwei Teile“ oder eine Bewegung „weg“ von etwas anderem. Dementsprechende Präfixe im Deutschen sind „auseinander-“ oder „ent-“. Wörtlich kann man Vipassanā auch als „Auseinander-Sehen“ übersetzen. Es bezeichnet demnach ein intuitiv unterscheidendes, tiefer durchschauendes und damit von Illusionen befreiendes „Sehen“ im Sinne eines unmittelbaren Erfassens. Das entspricht auch der anderen Bedeutung von „vi-“, die eine „intensive“ Qualität des Unterscheidens ausdrückt. Vipassanā meint also eine besondere Art des Tiefblickens, das direkt, ungetrübt ohne Interpretation oder wahrheitsgemäß alle inneren und äußeren Vorgänge erfasst. Mit jenen „zwei Teilen“ von „vi-“ sind die Illusion oder Falschheit und die Wirklichkeit oder Wahrheit gemeint. So bedeutet Vi-Passanā ein höheres Sehen, das mit Hilfe der intuitiven Unterscheidung der Achtsamkeit zunehmend jede Illusion, Interpretation, Manipulation oder Verblendung durchschaut und damit die jeweilige Wirklichkeit oder Wahrheit direkt erfasst. Viele buddhistische Vipassana-Lehrende vertreten die Sicht, dass wenn diese Unterscheidung fortwährend kultiviert werde, sie zur „vollen Befreiung von allem Leiden“ (Nirvāna4), dem höchsten Ziel buddhistischer Praxis in allen ihren Formen, führe. Die Traditionen der Vipassanā- Lehren, mit ihren unterschiedlichen methodischen Ansätzen, dienen der Entwicklung einer höheren, sogenannten „Trefflichen Achtsamkeit“ (sammā sati), die über die bloße Konzentrationsfunktion von Aufmerksamkeit hinausgeht. 3 „Achtsamkeit“ oder auch „Geistesgegenwart“ sind die gängigsten Übersetzungen des Pali Begriffes sati oder seines Sanskrit Äquivalents smrti. 4 Nirvana (Sanskrit) ist ein buddhistischer Schlüsselbegriff. Das Wort bedeutet „Erlöschen“, wörtlich „verwehen“, „erfassen“ im Sinne von einsehen, verstehen. Es bedeutet das Ende (Erlöschen) aller falschen Vorstellungen vom Leben und Dasein des Menschen und der Welt, und damit das Ende aller leidvollen Erfahrungen und Verstrickungen. 2 IV. Def. Einsicht Einsicht bedeutet in der Alltagssprache, dass alle Eigenschaften, Zusammenhänge und Beziehungen eines Objektbereiches subjektiv weitgehend hinreichend genau erkannt, geistig erfasst und sachlich richtig begriffen werden. Als bewusstes Resultat der Kombination von Wahrnehmungen und Überlegungen ist Einsicht dabei das Ergebnis eines analytisch-synthetischen Erkenntnisprozesses. Auf anderem Wege zustande kommende, dann oft „blitzartig“ erlebte Einsichten werden in der Alltagssprache einem besonderen geistigen Vermögen, nämlich der „Intuition“, zugeschrieben. Einsicht bedeute also: 1. das Erkennen und Verstehen eines Sachverhaltes, das zielgerichtetes Verhalten ermöglicht. 2. Im Sinn von durch geistige Verarbeitung von Eindrücken und Erfahrungen gewonnene Erkenntnis. 3. Dass bei einem Verhalten aus Einsicht die Situation ohne vorheriges experimentieren gelöst wird; die Zusammenhänge, Ursachen und Wirkungen erkannt werden. Historisch sind andere Erklärungen des Zustandekommens von Einsichten bekannt. Bei Naturvölkern beispielsweise gelten Einsichten als innerliche, gelegentlich wohl auch visionär erlebte Ratschläge oder Hinweise von Ahnen, als „Eingebung“ guter oder geheiligter Geister, als Rat hilfreicher Götter und als göttliche „Erleuchtung“ oder „Offenbarung“, banal aber auch als schlichter „Einfall“. Sprache ist tatsächlich nicht hinreichend, um EINSICHT zu beschreiben! So sagt z.B. Friedrich Nietzsche: „ . . . Wofür wir Worte haben, darüber sind wir auch schon hinaus. In allem Reden liegt ein Gran Verachtung. Die Sprache, scheint es, ist nur für Durchschnittliches, Mittleres, Mittheilsames erfunden. Mit der Sprache vulgarisirt sich bereits der Sprechende . . .5“ Und in ‚Menschliches - Allzumenschliches’: „ . . . Die Bedeutung der Sprache für die Entwicklung der Kultur liegt darin, daß in ihr der Mensch eine eigene Welt neben die andere stellte, einen Ort, welchen er für so fest hielt, um von ihm aus die übrige Welt aus den Angeln zu heben und sich zum Herrn derselben zu machen. Insofern der Mensch an die Begriffe und Namen der Dinge als an "aeternae veritates" (ewige Wahrheiten) durch lange Zeitstrecken hindurch geglaubt hat, hat er sich jenen Stolz angeeignet, mit der er sich über das Tier erhob: er meinte wirklich, in der Sprache die Erkenntnis der Welt zu haben. Der Sprachbildner war nicht so bescheiden zu glauben, daß er den Dingen eben nur Bezeichnungen gebe, er drückte vielmehr, wie er wähnte, das höchste Wissen über die Dinge in Worten aus; in der Tat ist die Sprache die erste Bemühung um die Wissenschaft. Der Glaube an die erfundene Wahrheit ist es auch hier, aus dem die mächtigsten Kraftquellen geflossen sind. Sehr nachträglich - jetzt erst - dämmert es den Menschen auf, daß sie einen ungeheuerlichen Irrtum in ihrem Glauben an die Sprache propagiert haben. (Glücklicherweise ist es zu spät, als daß es die Entwicklung der Vernunft, die auf diesem Glauben beruht, wieder rückgängig machen könnte.) 5 Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 1005. 3 Auch die Logik beruht auf Voraussetzungen, denen nichts in der wirklichen Welt entspricht, zum Beispiel auf der Voraussetzung der Gleichheit von Dingen, der Identität desselben Dings in verschiedenen Punkten der Zeit: aber die Wissenschaft entstand durch den entgegengesetzten Glauben (daß es dergleichen in der wirklichen Welt allerdings gebe). Ebenso steht es mit der Mathematik, welche gewiß nicht entstanden wäre, wenn man von Anfang an gewußt hätte, daß es in der Natur keine exakt gerade Linie, keinen wirklichen Kreis, kein absolutes Größenmaß gebe. . . . “6 V. Denken In dem Zusammenhang spielt klares Denken eine große Rolle. Hier nur ein paar kurze Anmerkungen zu unserem Denken. „Wir denken selten an das, was wir haben, aber immer an das, was uns fehlt. ... „ Arthur Schopenhauer Denken Ich liebe Denken. Doch nicht das Verdrehen und Verstellen bereits existierender Gedanken. Ich verachte dies aufgeblasene Spiel. Denken ist das Aufsteigen unbekannten Lebens ins Bewusstsein. Denken ist das Testen von Behauptungen an dem Prüfstein des Gewissens. Denken ist dem Leben ins Gesicht zu schauen, um darin zu lesen, was möglich ist zu lesen. Denken ist das reflektieren von Erfahrungen, um dadurch zu Lösungen zu gelangen. Denken ist kein Trick oder eine Übung, oder ein paar Kniffe. Denken ist ein Mensch in seiner Ganzheit völlig gegenwärtig. D.H. Lawrence Eigene Übersetzung VI. Einsicht in die drei laksanas setzt Vertrauen bzw. Selbstvertrauen voraus Sich den drei laksanas wirklich zu ‚stellen’ bedeutet, mit großem Vertrauen bzw. Selbstvertrauen und daraus resultierendem Mut ausgestattet zu sein und sein Denken zu klären! Es macht leicht und unbeschwert im Geist, nichts wird mehr durch unrealistische Interpretationen aus dem Gleichgewicht gebracht. Ein ‚wahres Individuum’, ist unter anderem durch drei charakteristische Merkmale geprägt: 6 ‚Menschliches – Allzumenschliches’, Frankfurt/Main 1982, Seite 24f 4 1. Emotionale Unabhängigkeit vom jeweils anderen Geschlecht 2. Unangenehmes auszuhalten und zu ertragen 3. Allein sein können Vertrauen Wo auch immer man hingeführt wird, Vertrauen ist das beste Fahrzeug. Daher wird ein kluger Mensch Sich an Vertrauen anklammern. In Menschen ohne Vertrauen, Werden keine positiven Qualitäten entwickelt, Ebenso wie ein verbranntes Samenkorn Keine grünen Knospen hervorbringen kann. (Aus: ‘Mind in Buddhist Psychologie’) 5