ROHSTOFFE MIT KUNSTSTOFFEN BESSER HÖREN KUNSTSTOFFE IN HÖRIMPLANTATSYSTEMEN Sowohl für externe als auch interne Teile von Hörimplantatsystemen sind Kunststoffe aufgrund ihres Eigenschaftsprofiles bestens geeignet. Während eine Mischung aus ABS und Polycarbonat sich als Werkstoff für die Herstellung von Sprachprozessoren eignet, sind die Elektronikbauteile der Implantate in Silikon eingebettet. Leider gibt es noch keine europäischen Hersteller als Lieferanten für die Langzeitimplantatindustrie. Und die Implantatgehäuse bestehen zur Zeit noch aus Metall, da noch keine hermetisch dichten Durchführungsbausteine aus Kunststoff erhältlich sind. H örverluste lassen sich mit modernen Hörimplantatsystemen ausgleichen. Bestandteile von Cochlea-Implantatsystemen von Med-El sind der externe Sprachprozessor, der ähnlich wie ein Hörgerät hinter dem Ohr getragen wird, sowie das interne, durch einen HNO-Chirurgen einoperierte Implantat mit einer bis ins Innenohr reichenden Elektrode. Sowohl in der Prozessor- als auch der Implantatfertigung spielt die Verarbeitung von Kunststoffen eine wichtige Rolle. Hautverträglichkeit ist oberstes Gebot Der externe Teil eines Cochlea-Implantatsystems, der Sprachprozessor, sitzt direkt hinter dem Ohr, ein Ohrhaken verleiht ihm den notwendigen Halt. Da der Sprachprozessor außer während Kontakts mit Wasser (Duschen, Baden, Schwimmen) und der Nachtruhe eigentlich immer getragen wird, ist eine optimale Hautverträglichkeit oberstes Gebot für die Wahl des eingesetzten Kunststoffs. Auch eine Versprödung der Materialien durch Schweißabsonderung muss vermieden werden. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, hat sich eine Mischung aus ABS und Polycarbonat als idealer Kunststoff in der Herstellung von Sprachprozessoren erwiesen. Kunststoff findet auch in der Herstellung externer Funktionsteile Verwendung, um eine größtmögliche Benutzerfreundlichkeit von Sprachprozessoren zu gewährleisten: die Tastatur des zum Sprachprozessormodell Opus 2 gehörenden Fernbedienungselements FineTuner besitzt eine Folientastatur, damit mög- Autor Alexander Mayr, Leiter Implantatfertigung, Med-El Innsbruck, Österreich, [email protected] 74 MedPLAST · Juni 2008 lichst keine Feuchtigkeit eindringen kann. Die Ohrhaken aller Sprachprozessoren können wie Brillenbügel durch Erwärmen an individuelle anatomische Voraussetzungen angepasst werden – ein weiterer Vorteil des Kunststoffs. Körperfremde Stoffe werden schnell von körpereigenem Gewebe abgestoßen. Es gibt kaum Kunststoffe, die eine Zulassung für eine Implantation für einen Zeitraum von mehr als 29 Tagen im menschlichen Körper besitzen. Ein Hörimplantat sollte jedoch viele Jahre getragen werden, im Idealfall ein ganzes Leben lang. Ebenso wäre wünschenswert, wenn sich auch europäische Hersteller als Lieferanten für die Langzeitimplantatindustrie anbieten würden. Dieser Markt wird von U.S. Herstellern beherrscht. Gewebe verbleiben zu können, ohne Abstoßungsreaktionen hervorzurufen. Während Silikone bei den Elektroden als Trägermaterial dienen, ist das jüngste Implantatmodell von Sonatati100 (Gehäusematerial: Titan), vollständig in Silikon eingebettet. Aufgrund der hohen Elastizität von Silikon passt sich dieses Implantatdesign optimal an individuelle anatomische Voraussetzungen der Patienten an – ein großer Vorteil für den operierenden Chirurgen und den Patienten. Bei der etwas älteren Implantatversion PulsarCI100 mit einem Keramikgehäuse dient der Überzug mit einer Silikonschicht als Coating, um ein Anwachsen des Implantats an den Knochen zu verhindern. Bereits heute zeichnen sich notwendige Veränderungen im Einsatz von Silikon ab. Bei der Verarbeitung in der modernen Biokompatibilität schränkt Anzahl der Werkstoffe ein Die Notwendigkeit der Biokompatibilität über einen sehr langen Zeitraum hinweg schränkt die Anzahl der für die Herstellung von Hörimplantaten zugelassenen Kunststoffe bereits stark ein. Sogenannte „Implant Grade Silicones“ erfüllen die notwendigen Anforderungen, um entsprechend lange in menschlichem Silikon als vielseitig einsetzbarer Kunststoff beim Cochlea-Implantatsystem Maestro, von links nach rechts: Der FineTuner, das Fernbedienungselement des Sprachprozessors; Opus 2: Eine Folientastatur aus Silikon verhindert das Eindringen von Feuchtigkeit; Sprachprozessoren Opus 2 und Opus 1: Ohrhaken aus Silikon; Keramikimplantat PulsarCI100: Silikon als Beschichtungsmaterial; Titanimplantat SonataTI100: Vollständige Einbettung in Silikon zur besseren Anpassung des Implantats an anatomische Verhältnisse. NEUE TECHNOLOGIEN Metalle und Kunststoffe – wohin geht der Trend? Ein nur kurzzeitiger Kontakt mit körpereigenem Gewebe begünstigt vor allem bei Chirurgiewerkzeugen und -schablonen die Wahl von Kunststoff anstelle von Metall. Kunststoffschablonen sind Einwegprodukte, die im Gegensatz zu wieder verwendbaren Metallprodukten keine zu validierenden Reinigungs- und Sterilisationsprozesse nach jeder Verwendung erfordern. Obwohl für die Gehörimplantate noch Metallschablonen gefertigt werden, geht der Trend eindeutig zu Kunststoffprodukten. Hörimplantatindustrie geht der Trend zu Silikonen aus zwei Komponenten. Eine Verkürzung der Herstellungsprozesszeiten, durch schnellere Aushärtung des Materials und eine bessere Verbindung der verschiedenen Silikone untereinander sind die Vorteile dieser Silikongenerationen. Strenge Reinraumbedingungen Voraussetzung für Silikonverarbeitung Die Eigenschaften von Silikonen erfordern die Einhaltung strenger Reinraumbedingungen. Silikone laden sich leicht statisch auf und ziehen somit vorhandene Partikel regelrecht an; diese Partikel sind dann auch noch im durchsichtigen Material sehr gut sichtbar. Deshalb erfordert der Silikonprozess eine geringe Staubpartikelkonzentration sowie äußerste Der Einsatz von KunstDisziplin des Produkti- stoffen in der Implantatonspersonals. Außerdem reagieren diese Silikone fertigung ist eine Frage sehr empfindlich auf Ein- der Biokompatibilität. flüsse von Fremdmaterialien – sogenannte „Silikongifte“ – die den Aushärteprozess verhindern. Daher ist auf die richtige Wahl des Betriebs und besonders auch der Hilfsstoffe im Produktionsbereich zu achten. Metalle haben (noch) Vorrang vor Kunststoffen Die komplexen Elektronikbaubestandteile von Hörimplantaten sind (noch) nicht in Kunststoffgehäuse eingebettet, das Gehäuse des Modells PulsarCI100 besteht aus Keramik, dasjenige des Modells SonataTI100 aus Titan. Kunststoffe eignen sich aus folgenden Gründen derzeit noch nicht für den Einsatz als Gehäusematerial: Ein Implantatgehäuse aus Kunststoffspritzguss wie PEEK wäre zwar theoretisch denkbar – es sind jedoch zur Zeit keine hermetisch dichten Durchführungsbausteine aus Kunststoff erhältlich, die durch Zusammenfügen (zum Beispiel Verschweißen) mit dem Gehäuse eine hermetisch dichte Hülle für die Elektronik bilden könnten. Für den Hörimplantathersteller ist hundertprozentige Hermetizität jedoch eine unabdingbare Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Hörimplantatsysteme. Die Bedeutung und Herstellung von Gehörimplantaten war Thema eines Vortrages während der diesjährigen Benediktbeurer Reinraumtage. Die nächste Veranstaltung findet vom 29.04. – 30.04.2009 in Benediktbeuren statt. MedPLAST · Juni 2008 75