Unterrichtseinheiten im Fach Chemie mit exemplarischgenetischem Schwerpunkt (Wagenschein) (von Dr. Paul Schlöder, Dreieichschule Langen) Allgemeine Bemerkungen: Die hier angegebenen Unterrichtseinheiten sind nur grob skizziert, eine detaillierte Planung im Sinne eines genauen Phasenverlaufs ist bewusst unterlassen worden, da dies der Wagenschein-Pädagogik widerspricht. Demzufolge ist ein Zeitbedarf für die Unterrichtseinheiten ebenfalls nicht angegeben. Vorkenntnisse und Schülervorstellungen werden nur kurz angerissen, mehr Augenschein wird auf den Einstieg verwendet. Im folgenden sollen zwei Unterrichtseinheiten aus den beiden Sekundarstufen näher vorgestellt werden: 1. Einführung in die chemische Reaktion (Jahrgangsstufe 8) 2. Kunststoffe in der SEK II (Jahrgangsstufe 12) Zu 1.: Einführung in die chemische Reaktionen Vorkenntnisse: Die SchülerInnen haben eine Sicherheitsbelehrung erhalten und sind im Umgang mit dem Bunsenbrenner geübt. Schülervorstellungen: Chemische Reaktionen kennen die Schüler aus dem Alltag: Eisen rostet, Papier verbrennt, Feuerwerk und das Einatmen von Sauerstoff bzw. Ausatmen von Kohlenstoffdioxid. Ein reflektierter Umgang mit diesen Alltagsphänomenen fehlt. Entweder wird die Stoffumwandlung als ein Verschwinden von Stoffen (Verbrennen) oder als eine Mutation des Stoffes (Eisen wird rot!) wahrgenommen. Die durch die Fachwissenschaften vorgenommene künstliche Trennung von chemischen (Stoffumwandlungsvorgänge) und physikalischen Prozessen (Schmelzen, Verformen, Verdampfen) wird nicht wahrgenommen und ist damit auch kein Motivationsgrund für die SchülerInnen. Zielsetzung: Ein hoher Anteil an Selbsttätigkeit der SchülerInnen (nur Schülerversuche) führt zu einer intensiven Auseinandersetzung des Themas. Die Beteiligung der Schüler am Unterrichtsprozess durch Mitgestaltung wird gefördert. Die Protokollierung als Strukturierungshilfe wird eingeübt. Anhand vieler Beispiele sollen die SchülerInnen einen Begriff von Reaktionen entwickeln, der es ihnen erlaubt an Bekanntem anzuknüpfen und selbständig das Experiment als Nagelprobe für ihre Erklärungsversuche wahrzunehmen. Sie sollen Fragen an die Natur stellen! Ausgehend von Phänomenen soll eine induktive Erschließung von Wissen im Vordergrund stehen! Möglicher Verlauf: SchülerInnen erhitzen einen Eisendraht (z. B. Blumendraht) im Bunsenbrenner. Der Eisendraht verändert seine Farbe (von grau zu blauschwarz), es bildet sich ein Beschlag, der sich ablöst und spröde ist. Die SchülerInnen sagen, das Eisen hat sich verändert. Fragestellung: Ist es noch Eisen oder ist es ein anderer Stoff! SchülerInnen tragen Stoffeigenschaften zusammen: Eisen ist fest, biegsam, grau, leitet den Strom (Glühdraht) und ist magnetisch. Der Eisenbeschlag dagegen hat eine andere Farbe, ist nicht mehr biegsam oder stromleitend, dagegen ist er aber auch fest und magnetisch. In einem Unterrichtsgespräch müssen zwei Dinge herausgearbeitet werden: (a) Jeder Stoff kann in verschiedenen Formen/Gestalten/Körpern vorliegen (z. B. Holzlöffel, Holzstab, Holzbrett, Sägemehl), es bleibt aber derselbe Stoff. (b) Hypothese: Verändern sich die Stoffeigenschaften durch die Reaktion, dann hat eine Stoffumwandlung stattgefunden und es ist eine chemische Reaktion eingetreten. Die Hypothese sollte auch als solche formuliert (als „Vermutung“) werden, die dann auf ihre Tauglichkeit in weiteren Experimenten überprüft werden soll. Als nächste Schritte folgen die Untersuchung weiterer Metalle wie Zink, Magnesium, Kupfer und Gold. Die Protokollierung hilft den SchülerInnen ihre eigenen Beobachtungen zu reflektieren und von Deutungen als Verständnishilfen abzutrennen. Immer wieder soll die Überprüfung der Hypothese (s. o.) erfolgen. Dazu kommen weitere Experimente, die belegen sollen, dass neue Stoffe entstanden sind (z. B. Verhalten gegenüber Säuren, Wärmeleitfähigkeit). Erst nach einigen Experimenten bietet sich eine Systematisierung an: Unedle Metalle bilden in der Hitze einen Beschlag! Weiterführende Themen bieten sich an: a) Welche Faktoren („Dinge“) bewirken eine Beschlag- oder Aschebildung von Metallen? b) Wie reagieren Stoffe, die kein Metall enthalten in der Hitze? Die LehrerIn nimmt die Rolle eines Organisators und Moderators wahr. Sie arbeitet mit den Schülerbeiträgen, in dem sie diese Ernst nimmt, gegebenenfalls strukturiert und sprachlich präzisiert. Als BeraterIn bei der experimentellen Durchführung und Deutung wird der LehrLernprozess weiterhin unterstützt. Zu 2.: Kunststoffe in der SEK II (Jahrgangsstufe 12) Vorkenntnisse: Die SchülerInnen haben Grundlagen in der organischen Chemie (Stoffklassen Alkane, Alken, Halogenalkane, Alkohole, Ester, Carbonsäuren; deren Nachweise und wichtigsten Reaktionen). Schülervorstellungen: Kunststoffe sind jedem aus dem Alltag vertraut. Sie werden aus Erdölprodukten hergestellt und stellen Wertstoffe dar, die recycelt oder verbrannt werden können. Eine differenzierte Betrachtung ist jedoch nicht vorhanden, nur bestimmte Kunststoffe können wiederverwendet werden und auch nicht alle Kunststoffe eignen sich für eine problemlose Verbrennung. Zielsetzung: Die SchülerInnen sollen ein kritisches Verständnis zur Thematik Kunststoffe entwickeln. Exemplarisch soll dargestellt werden, dass mit Hilfe der Chemie neue Werkstoffe gezielt mit neuen Stoffeigenschaften entwickelt werden können, auf der anderen Seite die Probleme der Abfallbeseitigung die negative Seite beleuchten. Es ist ein schönes Beispiel für die allseits bekannte Risiko-Nutzen-Abwägung. Die Fülle von Versuchen verstärkt die Selbsttätigkeit der Schüler und ermöglicht die Präsentation der gewonnenen Ergebnisse. Auch soll durch die Einbindung eines Planspiels die gesellschaftliche Dimension veranschaulicht werden. Aus fachsystematischer Sicht ist die Beschäftigung mit Kunststoffen eine ideale Wiederholung organisch-chemischer Basiskonzepte (Struktur-Eigenschaften; Reaktionsmechanismen). Möglicher Verlauf: Der Einstieg erfolgt über eine Bildserie zum Thema Kunststoffe (z. B. Powerpoint-Präsentation), bei der nur die negative Seite (Probleme der Abfallbeseitigung, Umweltbelastung, Langlebigkeit, z. T. nicht biologisch abbaubar etc.) beleuchtet wird. In der anschließenden Diskussion sollten auch die Vorteile von Kunststoffen herausgearbeitet werden, denn sonst würde man nicht Millionen von Tonnen solcher Kunststoffe produzieren. Die Schüler entwerfen mit dem Lehrer als Moderator ein Programm für die nächsten Stunden. Als Programmpunkte könnten genannt werden: a) Was sind Kunststoffe (Abgrenzung zu Naturstoffen, molekularer Aufbau)? b)Verwendung von Kunststoffen (Thermo- und Duroplaste, Elastomere) c) Herstellung von Kunststoffen (Polymerisation, Polyaddition, Polykondensation); d) Verbrennung von Kunststoffen und Recycling (Pyrolyse, Rückgewinnung von Wertstoffen aus Kunststoffen); e) technische Verarbeitung (Spritzguss, Vulkanisation, Extruder); f) umweltschonende Kunststoffe (biologisch abbaubare Kunststoffe, Konflikt Kosten-Nutzen, Ersatzstoffe, Abfallvermeidung). Die Punkte a) bis c) sollten von allen SchülerInnen behandelt werden. Die Vielzahl an Versuchen bietet ein arbeitsteiliges Verfahren an, bei der Schülergruppen unterschiedliche Stoffe bzw. Reaktionen untersuchen können. Die nachfolgenden Punkte eignen sich für einen Lernzirkel oder eine Referatsreihe mit anschließender Präsentation. Am Ende der Einheit könnte ein Planspiel stehen, bei der es darum geht, das Genehmigungsverfahren bzw. die Anhörung für den Bau eines Müllheizkraftwerkes aus der Sicht verschiedener Interessenverbände durchzuspielen. Auch hier hat die LehrerIn die hauptsächliche Rolle des Moderators und Organisators inne. Natürlich ist sie auch stark fachlich gefordert, da die Kunststoffe eine vielfältige Gruppe mit moderner Ausprägung darstellen.