Vom Biokunststoff bis zum kalten Licht

Werbung
SULZER-ANALOGIE
Vom Biokunststoff bis zum kalten Licht
Die Natur kennt eine große Vielfalt biochemischer Verfahren, die der Mensch schon
früh zu nutzen wusste. So gäbe es ohne die mikrobiologische Gärung weder Bier
noch Brot. Spezialisierte Mikroben produzieren heute auch neuartige Kunststoffe oder
arbeiten als Bergleute. Und Biochemie bringt sogar Licht in die Tierwelt.
Schon vor 8000 Jahren machten die
Babylonier mithilfe von Saccharomyces,
cerevisiae Bier. Dank der Fähigkeit
Zucker in Kohlendioxid und Alkohol
umzuwandeln, wurde die Bierhefe zum
unentbehrlichen Helfer der Bierbrauer,
Winzer und Bäcker, die sie zum Säuern
des Brotteigs verwenden. Auch transformieren Schimmelpilze wie Penicillium
camemberti oder Penicillium roqueforti
Milch zu Käsespezialitäten. Für solche
biochemische Umwandlungen setzen
die Mikroben als Katalysatoren Eiweißmoleküle, Enzyme, ein.
Biokunststoff und metallfressende
Bakterien
Während sich der Mensch früher mit
den zufällig entdeckten biochemischen
Naturprodukten begnügte, begann er in
jüngerer Zeit gezielt nach neuen Verfahren zu suchen. In den 1970er Jahren
fanden englische Wissenschafter heraus,
wie man Alcaligenes eutrophus zum Produzenten neuartiger Kunststoffe machen
kann.
Das Bakterium speichert von Natur
aus seinen Energievorrat im Zellinnern
als Hydroxybuttersäure. Durch Futterzusätze ließ sich die Mikrobe dazu
bewegen, Polyhydroxybuttersäure (ein
Polyester) zu produzieren, das so robust
und wasserfest wie konventionelle
Kunststoffe ist, sich auf Komposthaufen
aber innert Wochen zu Kohlendioxid und
Wasser abbaut. Damit werden jetzt
umweltfreundliche Verpackungen und
Wegwerfartikel produziert.
Für das Bohren und Schürfen im
Bergbau hat der menschliche Erfindergeist immer größere Maschinen entwickelt. Dass sich die Bodenschätze auch
mit mikroskopisch kleinen Helfern
4319
Bild: Knorre, 2010 Benutzung unter Lizenz von shutterstock.com
3D-Illustration von Saccharomyces cerevisiae (Backhefe). Die Zellen sind rund bis oval und
haben einen Durchmesser von 5–10 µm.
gewinnen lassen, entdeckte man in den
1950er Jahren.
In sauren Kohlegrubenwässern lebt das
Bakterium Thiobacillus ferrooxidans,
das Schwefel, Eisen und Kupfer oxidieren kann. Damit lassen sich Sulfide der
Erzlagerstätten in lösliche Metallsulfate
wandeln, worauf sich das Metall relativ
einfach aus der Lauge extrahieren lässt.
Mit der biochemischen Methode werden
heute minderwertige Erzvorkommen ausgebeutet.
Biologisches Leuchten
Biochemische Prozesse beschränken sich
nicht auf die Mikrowelt. In der Tiefsee
treiben wie funkelnde Christbäume die
riesigen Staatsquallen durch das Dunkel.
Die unzähligen Leuchtpunkte locken
Beutetiere auf die klebrig-giftigen Fangfäden. Diese Biolumineszenz wird in
speziellen Drüsen erzeugt, wo das Leuchtmolekül Luciferin mit Sauerstoff und
dem Enzym Luciferase reagiert.
Solches «kaltes Licht» setzt über 80%
der gespeicherten Energie in Licht um,
während die Lichtausbeute bei unsern
Glühbirnen nur mickrige 5% beträgt.
In Meerestiefen unterhalb 700 Metern
besitzen 90% aller Lebewesen ihr eigenes
Licht. Das biologische Leuchten dient
nicht nur der Jagd, sondern lockt auch
zum Liebesspiel oder tarnt vor Feinden.
So stoßen gewisse Tintenfische bei Gefahr
eine Leuchtwolke aus und machen sich
hinter dem Lichtvorhang davon.
Biologisches Leuchten nutzen ebenfalls
Landbewohner. Die Glühwürmchen – es
sind allerdings keine Würmer, sondern
Käfer – bevölkern mit 2000 Arten fast
die ganze Welt. Die Leuchtkäfer produzieren ihr Licht wiederum mit Luciferin
und dem Enzym Luciferase als Katalysator, wobei Varianten der Luciferase für
artspezifische Lichtfarben und Lichtstärken sorgen. Das am Hinterleib des
Käfers sitzende Leuchtorgan ist eine
erotische Leuchtreklame. Während das
Weibchen in der Sommernacht am
Boden wartet, schwebt das Männchen
im Suchflug über der Wiese. Damit sich
die richtigen Partner finden, blinken die
einzelnen Arten in ihrem spezifischen
Code, der als leuchtende Morsezeichen
das Dunkel durchdringt.
Herbert Cerutti
Sulzer Technical Review 3 /2010 | 13
Herunterladen