„Kommt alle zu mir, die ihr beladen seid …“ (Mt 11,28)

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OTTMAR FUCHS
„Kommt alle zu mir, die ihr beladen seid …“ (Mt 11,28)
Plädoyer für eine neue Kasualpraxis des Bußsakraments
Zusammenfassung
Ausgehend von der Sehnsucht schuldsensibler Menschen nach Vergebung und Wiedergutmachung geht es darum, diese Dynamik mit einer neuen Kasualpraxis des Bußsakraments in Kontakt zu bringen. Dafür ist eine Sakramententheologie zu bemühen,
die die Erfahrung der Unbedingtheit der Liebe Gottes im Ritual als Kern der sakramentalen Handlung identifiziert. Diese Bedingungslosigkeit impliziert zugleich eine
Unbegrenztheit hinsichtlich der Personen, die sich in dieses Ritual der Versöhnung
hineinbegeben. Dabei geht es nicht nur um die Erfahrung der Vergebung, sondern
auch darum, das Sakrament als Quelle von Wiedergutmachung und Umkehr zu erleben. Dies bezieht sich auf unmittelbar persönliche Schuld, aber auch auf die Schattenanteile struktureller Art, die zunehmend Menschen, denen ein vergleichsweise gutes
Leben in humanen Gesellschaften geschenkt ist, bedrücken.
Abstract
Assumed and given the longing of people who are sensitive to guilt, to forgiveness and
reparation there is the pastoral task to communicate these dynamics with a new practice of the sacrament of penance as a rite of passage. For that reason we have to develop
a theology of sacraments which identifies the experience of the unconditional love of
God as the core of each sacramental ritual. At the same time this non-contingeny implies a limitless concern for the people who want to share this sacrament of reconciliation. In doing so it is not only important to experience forgiveness but to realize it as a
living source of change, satisfaction (restoration) and moral courage. This refers not
only to personal sins but also to the structural reality of guilt which burdens an increasing number of people who live comparatively privileged in their countries and
contexts.
Schlüsselwörter – Keywords
Sakramententheologie; Passageriten; Vergebung; Umkehr, Beichte
Theology of sacraments; rite of passage; forgiveness; change, confession
Theologische Quartalschrift
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Ottmar Fuchs
1. Warum ist die Beichte kein Kasualritual?
In vorkonziliaren Zeiten gehörte die Beichte noch zu den kasualpraktischen Sakramenten, weil es noch das Bedürfnis gab, in einer mehr oder weniger anonymen Weise
die eigene Schuld als Sünde im kirchlichen Rahmen zu bekennen und die Absolution
zu erhalten. Der Ausfall hat sicher viele Ursachen (z. B. das auch gesellschaftlich gesunkene Schuldbewusstsein bei gleichzeitigen schärfsten Schulderfahrungen bis hin
zu Depressionen, die therapeutisch angegangen werden), doch eine Ursache liegt sicher auch darin, dass es sich dabei gerade nicht um eine öffentliche Veranstaltung
handelt, um keinen „besonderen Tag“ in der Familie und Verwandtschaft, und dass
nicht zuletzt auch negative biographische Erfahrungen das Bußsakrament als Zwang
erfahren ließen. Da es beim Beichtsakrament keinen öffentlichen Druck gibt, wie bei
Taufe und Trauung eine Familienfeier gut zu gestalten, entledigt man sich lieber dieser
Prozedur.
Während der vormals in der Kindheit erfahrene Beichtdruck noch bis zur ersten Hälfte
des letzten Jahrhunderts so internalisiert war, dass auch kirchenferne Christen und
Christinnen noch ab und zu (etwa zu Ostern) zur Beichte gingen, wird in jetzigen Biographien vor allem die Emanzipation davon erzählt. Während Taufe und Trauung offensichtlich als eine Quelle von Segen erfahren werden, ist dies bei der Beichte nicht
der Fall: Sie wurde entweder von vornherein oder im Lauf der Zeit nicht mehr als
Gnade erfahren oder/und gleichzeitig wurde in diesen Vorgang hineinprojiziert, dass
es sich um ein Menschen erniedrigendes Ritual handele.
Aus meiner Kaplanszeit in Nürnberg (1972–1977) habe ich noch eindrücklich in Erinnerung, wie die Kinder nach der Vorbereitung auf das Bußsakrament und vor allem
auch nach der Beichte selbst auf uns zugekommen sind, freudestrahlend und mit der
Bemerkung, dass das so gut für sie gewesen sei, dass sie künftig ganz oft zur Beichte
kommen wollten. Offensichtlich überlebt diese Ersterfahrung bei vielen spätestens
nicht mehr die Pubertät und die darauf folgenden kognitiven Dissonanzen insbesondere in der unterstellten oder auch tatsächlichen kirchlichen Sexualethik.
Dabei ist das Beichtsakrament auch von seiner inneren Struktur ein geradezu klassisches Kasualsakrament. Denn es entlastet die Gläubigen von der sicher in ihrer Qualität hoch angesiedelten „vollkommenen Reue“, die darin besteht, dass Gott um seiner
selbst willen geliebt wird, nicht um des eigenen Vorteils willen (z.B der Angstbewältigung hinsichtlich des Gerichts Gottes). Diese alte Nomenklatur repräsentiert zumindest jene kasualpastorale Dimension, wonach das Sakrament die Ansprüche an das
Handeln der Betroffenen reduziert. Das Bußsakrament „kompensiert“ gewissermaßen
die Defizite im Bereich des Opus operantis, also im Bereich der spirituellen Qualität
bei denen, die das Beichtsakrament empfangen.
Letztere müssen sich keine Sorgen um seine Gültigkeit machen, sofern sie es nur empfangen wollen. Und auch die Bußwerke sind nicht Bedingungen der Lossprechung,
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sondern gehören als Genugtuung zum Sakrament insofern, als OTTMAR FUCHS, geb. 1945,
damit die zeitlichen Sündenfolgen nachgelassen werden. Die Dr. theol. Nach der Priesterweihe 1972 Kaplan in Nürnberg
Sündenvergebung selbst tangieren sie nicht. Gerade im Bußsaund Studentenpfarrer und
krament sind der „Pastoralmacht“ durch Gottes Gnadenmacht Mentor für die Laientheologen
und Laientheologinnen in
strukturelle Grenzen gesetzt.
So genügte in der traditionellen Bußkatechese in der Beichte Bamberg. 1981–1998 Professor
für Pastoraltheologie und
die unvollkommene Reue aus Angst vor Gott, während die
Kerygmatik an der Universität
vollkommene Reue aus Liebe zu Gott geschieht. Es ist nun an Bamberg, seit 1998 für Praktider Zeit, einen entscheidenden Subjektwechsel vorzunehmen, sche Theologie an der Kathonämlich in den Raum der Liebe einzutreten, die nicht zuerst lisch-Theologischen Fakultät
die Menschen aufzubringen haben, sondern die zuerst Gott in der Universität Tübingen.
vollkommener Weise für die Menschen bereithält. Es ist die
schwierige, aber auch befreiende Verantwortung der Pastoral, zwischen dieser Theologie der Bußsakraments und der Sehnsucht der Menschen neue Kontakte zu ermöglichen.
2. Sehnsucht nach Vergebung und Wiedergutmachung
Empirische Ergebnisse führen in eindrucksvoller Weise dazu, die Motivation der Getauften, die „nur“ zu Taufe, Ehe, Kommunion, Firmung und Beerdigung kommen, aus
theologischer Perspektive zu respektieren. Denn die Motivationen sind bei diesen
Menschen nicht nur geistlicher Natur, sondern haben zum Teil eine spirituelle Tiefe,
von der manche Theologie nur lernen könnte.1 Nicht umsonst können sie als „Fromme“
bezeichnet werden, denn die Punktualität der Kasualienbeanspruchung ist meist verwurzelt in einer eher privaten Spiritualität, die kaum kommuniziert wird, aber tief
genug ist, diese Bindung aufrecht zu erhalten. Die Sakramente scheinen bei den Kasualienfrommen wirksamer zu sein, als die kirchlichen Akteure dies selbst zu glauben
vermögen.
Die Sehnsuchtsmomente, die bei den Kasualienfrommen2 wahrgenommen werden
(und diese repräsentieren wohl auch die Einstellungen vieler nahestehender Christen
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Vgl. Christoph Bochinger/Martin Engelbrecht/Winfried Gebhardt, Die unsichtbare Religion in der sichtbaren Religion
– Formen spiritueller Orientierung in der religiösen Gegenwartskultur, Stuttgart
; vgl. dazu Ottmar Fuchs, Wir
müssen gar nichts tun, sondern dürfen anders sein, um das Richtige tun zu können, in: euangel. Magazin für missionarische Pastoral (
) , – .
Ausführlicher dazu Rainer Bucher, Die Entdeckung der Kasualienfrommen. Einige Konsequenzen für Pastoral und
Pastoraltheologie, in: Johannes Först/Joachim Kügler (Hg.), Die unbekannte Mehrheit. Mit Taufe, Trauung und Bestattung durchs Leben? Eine empirische Untersuchung zur „Kasualienfrömmigkeit“ von KatholikInnen – Bericht
und interdisziplinäre Auswertung, Münster
, – , ; Ottmar Fuchs, Sakramententheologische Kriterien der
Kasualpastoral, in: ebd., –
; vgl. auch Karl Bopp, Feier der Sakramente oder kulturelle Diakonie, in: Pastoraltheologische Informationen (
)
–
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