Morgenandacht am Freitag, 25. Februar 2011 in der Mutterhauskapelle der Diakonissen Speyer-Mannheim Römer 10,14-21 – Israel hat keine Entschuldigung 14 Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? 15 Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht (Jesaja 52,7): »Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen!« 16 Aber nicht alle sind dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja spricht (Jesaja 53,1): »Herr, wer glaubt unserm Predigen?« 17 So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi. 18 Ich frage aber: Haben sie es nicht gehört? Doch, es ist ja »in alle Lande ausgegangen ihr Schall und ihr Wort bis an die Enden der Welt« (Psalm 19,5). 19 Ich frage aber: Hat es Israel nicht verstanden? Als Erster spricht Mose (5.Mose 32,21): »Ich will euch eifersüchtig machen auf ein Nicht-Volk; und über ein unverständiges Volk will ich euch zornig machen.« 20 Jesaja aber wagt zu sagen (Jesaja 65,1): »Ich ließ mich finden von denen, die mich nicht suchten, und erschien denen, die nicht nach mir fragten.« 21 Zu Israel aber spricht er (Jesaja 65,2): »Den ganzen Tag habe ich meine Hände ausgestreckt nach dem Volk, das sich nichts sagen lässt und widerspricht. Paulus hatte in den Versen zuvor deutlich die Gerechtigkeit aus dem Gesetz, aus den Werken, der Gerechtigkeit aus dem Glauben gegenübergestellt. Nicht aus den Werken, nicht aus dem Gesetz kommt die Gerechtigkeit. Das heißt, ich habe meinen Wert vor Gott (und vor den Menschen und vor mir selbst) nicht aus dem, was ich tue. Ich bin viel zu klein, viel zu schwach, viel zu fehlbar, als dass ich darauf setzen könnte, aus eigener Kraft mir mein Glück und mein Heil zu schaffen. Das haben alle Menschen erfahren, auch wenn nicht alle Menschen es sich eingestehen. Niemand geht durchs Leben, ohne dass er oder sie die Differenz wahrnimmt zwischen dem, was er oder sie will, wie er oder sie sich selbst sieht, und dem, was dann halt an Verhalten herauskommt, wenn sie ihren Weg gehen. Immer bleiben wir zurück hinter dem Guten, das wir wollen. Immer sind wir fehlbar, nie so gut, wie wir uns wähnen. Immer tun wir anderen auch weh, verletzen sie, werden schuldig an ihnen. Wie die andern an uns. So ist das menschliche Leben. Deshalb erinnert uns das große Gebet, das Jesus der Christenheit mitgegeben hat, an diesen Zusammenhang und daran, dass wir um einen Ausweg beten aus dieser Verstrickung in Schuld und Verletzung: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Auf eine Zeit hin schaffen wir es vielleicht, uns über die Einsicht in unsere Schuldhaftigkeit hinwegzutäuschen, hinwegzumogeln. Manchmal bemühen wir dazu den Vergleich mit anderen, die offenbar noch ein bisschen übler sind als wir selbst. Oder die eben ganz übel sind, und ihnen gegenüber sind wir fast schneeweiß in unseren Westen. Und wir streichen vor anderen und vor uns selber heraus, was für großartige, tüchtige, anständige Menschen wir sind, wie wir einmal gute Kinder waren. Doch die Wahrheit kann uns immer wieder einholen, wenn wir nicht ganz abgestumpft sind oder ganz geblendet von unserem Überheblichkeitsdünkel, eingelullt von unseren frommen Selbstbestätigungsmelodien. Das alles kann Risse bekommen. Und dann sieht es unter der weißen Oberfläche doch immer auch ein bisschen dunkel aus. Nein, aus dem Gesetz, aus dem guten Tun die Gerechtigkeit abzuleiten, daraus den Honig ziehen, der das Leben in dieser Zeit versüßt und ihm einen Wert gibt, der in die Ewigkeit hinüberreicht, das gelingt nicht. Am Ende sind auch die Großen klein, die Tüchtigen schwach, die Gerechten ein bisschen besudelt. Das, so Paulus, hat Jesus aufgedeckt. Hat Gott in der Geschichte mit Jesus aufgedeckt. So sind sie, die Menschen, allesamt. Paulus stellt dem dann eine andere Gerechtigkeit gegenüber, die aus dem Glauben kommt. Von Herzen glauben. Alle Hoffnung auf Gott setzen, auf Gott, der in Jesus Christus begegnet. Auf Gott, der zu seinen Menschen steht, wie schwach die auch sind, wie selbstsüchtig und gemeinschaftsvergessen. Auf Gott setzen, der gerecht macht. Nicht auf die eigene Kraft, das eigene fromme und moralische Können. Auf Gott, der Sünder annimmt und Schwache stärkt. Und sei deshalb aus dem Kreislauf herausholt, selber groß und stark und tüchtig und anständig sein zu müssen. Der einfach den Weg von Menschen mitgeht und sie begleitet, ihnen Kraft geben will, immer wieder. Damit sie stückweise auf guten Wegen gehen, von sich selbst absehen, für andere da sind, wie eben Jesus für andere da war. können etwas leisten, aber wir sind auch verdammt zur Leistung. Gerechtigkeit vor Gott, Erfüllung im Leben, Glück und Gelingen ist eben nicht nur machbar. Das alles ist Geschenk. Gott schenkt Gerechtigkeit. Gott sieht mich als sein Kind an, wie immer ich auch bin. Nicht nur in den großartigen Momenten meines Lebens, nein, immer. Das zeigt, das predigt Jesus. Auch wenn es die Frommen und die Mächtigen stört und sie ihn dafür aus der Welt schaffen wollen. Das erwarten wir doch von uns. Weil unsere Eltern und Lehrer es von uns erwartet haben, weil wir selbst es von uns erwarten und weil Gott es von uns anscheinend erwartet. Gottes Gerechtigkeit hat damit zu tun, dass wir als Menschen unser Maß finden. Raus aus unserer Überheblichkeit, unserem Besser-sein-wollenGehabe. Einfach Mensch sein, Gottes Kind, fehlbar, schwach, aber mit Gott unterwegs. Das hat Verheißung. Da ist das Leben zu finden. Gottes Leben. 2 Und dann quält Paulus sich hier mit den Fragen um Israel und die Heiden. Warum glauben die Heiden an Jesus Christus, und die im Volk Israel glauben nicht an ihn? In einer Kaskade von rhetorischen Fragen geht er dem nach. Weil ihm an seinem Volk, den Juden liegt. So ist er ja groß geworden, in dem Bewusstsein, dass Israel das auserwählte Volk ist, das Gottes Heil zu allen Völkern, in den ganzen Weltkreis bringt. An ihm sollen die Völker Maß nehmen, auf Israel sollen sie schauen, und dann werden sie entdecken, wie sie selber auch zum Heil kommen können, zu einem Leben in Fülle. Haben die Juden nur nicht gehört von Jesus, hat man ihnen nicht gepredigt von ihm? Gab es keine Prediger, keine die gesandt wurden, von ihm zu erzählen, die menschenfreundliche Liebe Gottes zu predigen, die die Menschen aus dem Hamsterrad ihrer Selbstbestätigung durch Werke, durch Arbeit, durch Frömmigkeit herausbringt? Damit sie gelassen werden, locker würden wir heute vielleicht sagen, die Fesseln abwerfen und frei werden? Frei für sich selbst – oder soll ich sagen: von sich selbst? -, frei für die andern neben ihnen, frei für Gott? Paulus bemüht die lange jüdische Tradition von Mose bis zu den Propheten, um mit dieser Frage zurechtzukommen. so ist es offenbar: Es gab (und gibt) immer wieder Boten, die Gottes Wahrheit weitersagen. Aber sie werden nicht gehört. Weil die Wahrheit Gottes gegen das sogenannte natürliche Empfinden geht. Ich bin der Macher, ich kann gestalten, ich nehme mein Leben selbst in die Hand. Ist das nicht unser normales Lebensgefühl? Das Glück gehört dem Tüchtigen. Wir sind begabt und Dagegen setzt Paulus die andere Erkenntnis, die er an Jesus Christus festmacht, an seiner Predigt und seinem Geschick. Gott erwartet nicht zuerst etwas von uns. Gott schenkt uns etwas. Gott ist uns nah. Gott lässt seine Sonne scheinen über uns, er gibt uns Tag für Tag, was wir zum Leben brauchen. Vielleicht nicht mehr, als wir für den Tag brauchen: Unser tägliches Brot gibt uns heute. Er vergibt uns, wo wir uns quer zum Leben der Menschen stellen, zu unserem und dem der anderen. Er macht uns frei, als seine Kinder, füreinander und dazu auch frei von uns selbst. Das können wir hören, das uns sagen lassen, das erkennen und uns dann darauf verlassen. Das heißt glauben, an Jesus Christus glauben. Da verblassen dann die Grenzen zwischen dem ursprünglichen Volk Gottes, Israel, und den Völkern draußen, der Welt. Da geht es nur noch um die eine Wahrheit des Menschseins. Und um Gott, um Gottes Gottsein, das uns unser Maß als Menschen zuweist. Wo wir halt nicht gottgleich sein müssen, nicht Gott für uns selbst und füreinander und übereinander, sondern einfach Menschenkinder, Gottes Menschenkinder. Über alle Religionsund Kulturgrenzen hinweg, Kinder in der großen Familie Gottes. 3 Eine kleine Nachbemerkung noch: Es drängt mich, den Satz So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi zu entzaubern. Er hat ein bisschen dazu verführt, das Predigtamt hochzustilisieren. Das kann man bei Paulus schon wahrnehmen, und das durchzeiht die Christentumsgeschichte, ob im Priesteramt oder Bischofsamt der orthodoxen und katholischen Kirchen oder im Pfarramt der Reformation. Wir sollten überhaupt aufhören, vom Amt zu sprechen. Das sind alles nur Krücken, mit denen die Religionsdiener – Kirchendiener hießen sie in der Reformationszeit -, ihre Bedeutung herausstreichen und sie durch den Bezug auf eine Beauftragung zum Amt stabilisieren. Vom Amt in anderen Zusammenhängen zu sprechen, von der Übernahme des Amts, ist übrigens eine davon abgeleitete Weise, die eigene Bedeutung zu stützen, und die Rede vom Ehrenamt gehört in denselben Zusammenhang. Das sind alles Krücken. Wir sollten uns einfach vom Wort Christi anrühren lassen. Damit wir Menschen werden. Und dann in seinen Fußstapfen gehen. Auf Gott vertrauen und aus diesem Vertrauen leben. Das genügt. Mehr erwartet Gott nicht von uns. Mehr brauchen wir nicht. Für unser Leben. Werner Schwartz, Diakonissen Speyer-Mannheim