Ethik und Technikbewertung - Institut Philosophie TU Darmstadt

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Ethik und
Technikbewertung
7. Vorlesung (6.12.2011):
Ethische Grundlagen
Christoph Hubig
Gliederung
1  „Moral“ und „Ethik“ – zwei unterschiedliche Begrifflichkeiten
2  Ethik
3  Einige Typen der Ethik
4  Bezugsbereiche der Ethik
4.1 Pflichtethik und/oder Nutzenethik
5  Das Beispiel „Nachhaltigkeit“ (sustainability)
5.1 Nachhaltigkeit
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1 „Moral“ und „Ethik“
– zwei unterschiedliche Begrifflichkeiten –
1.
2.
Moral: Vorfindliche, anerkannte
Lebensregeln (mos – Sitte)
Ethik: Vorfindliche Haltungen in
der Lebenswelt (ethos – Sitte)
Ethik:
Moral: Inbegriff gerechtfertigter
Regeln (moralische Gesetze,
Prinzipien) mit Anspruch auf
allgemeine Anerkennung
Wissenschaft von der
Rechtfertigung solcher
Regeln oder von
Entscheidungsgründen
(angelsächsischer Sprachgebrauch,
auch im Deutschen am weitesten
verbreitet)
(Kant, Habermas)
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2 Ethik
Die Aufgabe der Ethik ist
- Rechtfertigung der Werte
- Rechtfertigung des Abwägens bei Wertkonflikten
Das Problem der Ethik ist der ethische Pluralismus:
In unterschiedlichen Kulturen bestehen unterschiedliche Vorstellungen vom
Menschen, vom Handeln, von Natur, von Gesellschaft, von Kultur selbst sowie
von den diese fundierenden Werten.
René Descartes: „Wir haben kein ethisches Haus mehr!“
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3 Einige Typen der Ethik
Pflichtenethik:
Oberstes Prinzip, dem das Handeln verpflichtet ist, ist
der Erhalt der Freiheit als Autonomie (Kant)
der Erhalt der Schöpfung (Jonas)
....
Nutzenethik:
Oberstes Ziel, auf das das Handeln ausgerichtet ist, ist
die (allgemeine) Wohlfahrt
als individuelles Handlungsziel (z.B. Singer)
als Ziel, das aus der Beachtung von Handlungsregeln resultiert (z.B. Brandt)
Vertragsethiken:
Oberstes Prinzip, dem sich das Handeln unterwirft, ist die
Befolgung qua Anerkennung vertraglich festgesetzter Regeln (Rawls)
Evolutionäre Ethik:
Oberstes Ziel, auf das das Handeln ausgerichtet ist,
ist das Überleben in der Evolution (Mohr)
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4 Bezugsbereiche der Ethik
Deontologisch
(aus Pflicht)
Teleologisch (telos = Ziel)
(qua Folgen-/Zielbewertung)
Handlungen
Regeln
Handlungen
Regeln
Existentialismus
Sartre
Kant
Aristoteles
Präferenzutilitarismus
Singer
Regelutilitarismus
Smart
Brandt
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4.1
Pflichtethik und/oder
Nutzenethik
Rechtfertigung:
Im Blick auf sittliche Gebote
(deontologisch
Im Blick auf die Folgen
(konsequentialistisch
Instanz:
Person als Träger von Autonomie Person als Träger von Beoder autonome Heiligkeit der
wusstsein und Interessen
Natur
Vorgehen:
formales Ausschlussverfahren
(Selbstwiderspruch vermeiden)
inhaltlich abwägend,
Chancen-Risiko-Abgleich
Voraussetzungen:
Anerkennung der Würde
Optionen klar, Interessen
klar, Folgen abschätzbar
Beispiele:
Embryonen-Schutz,
Erhaltung der Arten
Bodensanierung,
TÜV-Standards
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5 Das Beispiel „Nachhaltigkeit“ (sustainability)
Disziplinäre
Orientierung:
ökologisch
(1)
„starke“
ökonomisch
(2)
„schwache“
naturwissenschaftl.kybernetisch (3)
sozialwissenschaftlich (4)
Erhalt der
Grundforderung:
Regenerierungsfähigkeit
Substitutionsfähigkeit
Assimilationsfähigkeit
sozialer
Strukturen
Verantwortlich für:
Naturgüter
Wohlfahrt/
Nutzen
System/Evolution
Freiheit,
Gerechtigkeit
Strategie:
Suffizienz
Effizienz
Konsistenz
Demokratie/
Reversibilität
Naturethik als
Pflichtethik
Utilitarismus
Nutzenethik
Ethik:
Vertragsethik
Evolutionäre Ethik
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5.1 Nachhaltigkeit
1
2
3
4
Optionen der
„Natur“ und der
Menschen
werden erhalten
Optimum an
Wohlfahrt bleibt
erhalten
(Grenznutzenprinzip)
Erhalt des
Systems /
Grenzkriterien
für Ökobilanzierung
Erhalt der
Vermächtnisse
Nachteile: Was sind
Naturgüter?
(Schädlinge,
Mangelpflanzen,
endliche
Ressourcen ...)
Wer erstellt
Gesamtnutzenbilanz?
Nichtlinearität
ökologischer
Prozesse
DisneylandDefinition
Kulturelle und
sittliche
Neutralität
Kultureller
Relativismus
Vorzüge:
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6 Das Beispiel Langzeitverantwortung (1)
Problem:
Mangelnde Disponibilität der Zukunft
(Wirkwelt – Merkwelt – Asymmetrie)
Gesteigerte Machbarkeit in der
Gegenwart
(Domestizierbarkeit der Natur)
Neue „Fernethik“ (Hans Jonas) – neuer Typ von Verantwortung
prospektive Verantwortung
(Rollenverantwortung)
aber:
prospektive Verantwortung
vs.
retrospektive Verantwortung
(Folgenverantwortung)
retrospektive Verantwortung
in der Zukunft
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6 Das Beispiel Langzeitverantwortung (2)
Diskussionslage
1  Reduktionsstrategien (Jonas):
Instanz, Gegenstand und Prinzip der Verantwortung fallen zusammen;
Schöpfung als Instanz fordert Naturerhalt unter dem Prinzip der Fürsorge
Heuristik der Furcht
Problem: Religiös-metaphysische Begründung, Unterlassungsrisiken
2  Immunisierungsstrategien (evolutionäre Ethik):
Gegenwartsegoismus ist Evolutionsprinzip
Fernverantwortung bedeutet „moralische Überforderung“
Problem: Rechtfertigung des Evolutionsmodells
3  Extrapolationstrategien (Gethmann u. a.):
Langzeitverantwortung bedeutet Fortschreibung der Gegenwartsverantwortung –
„Kooperationsgemeinschaft“ aller Generationen
Problem: kulturelle Bedingtheit der Extrapolationsbasis
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6 Das Beispiel Langzeitverantwortung (3)
Modifizierungsstrategien klassischer Ansätze:
a) deontologisch:
Erweiterung der Pflichten auf mögliche Personen
Problem: Inklusions- und Eingrenzungsprobleme
b) utilitaristisch:
Nutzensummenutilitarismus
Durchschnittsutilitarismus
Berücksichtigung impliziter
Präferenzen in der Zukunft
Erhöhung der Individuenzahl?
Verminderung und Ausschluss
bestimmter Individuengruppen?
Dogmatismus?
Diskontierung von
Nutzenerwartungen
Dezisionismus?
Negativer Utilitarismus
Besserstellung zukünftiger
Generationen ungerecht?
c) Vertragstheorien: Intergenerationelle
Gerechtigkeit
Gültigkeit von Güterkatalogen?
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6 Das Beispiel Langzeitverantwortung (4)
Ergänzung der klassischen Ansätze durch „Praxisnormen“
(
Konvergenz und Komplementarität)
• 
Abstufung der Verbindlichkeit von Pflichten durch
Verantwortungsdelegation (z. B. an Institutionen)
(Gethmann)
• 
Zumutbarkeit berücksichtigen
(Habermas)
• 
Entfaltungsbedingungen für Freiheit und Gerechtigkeit entwickeln
(Apel)
• 
Demokratieprinzip als pragmatisches Regulativ verfolgen
(Spaemann)
• 
Motivationale Hintergründe etablierter Werte berücksichtigen
(Birnbacher)
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