Vorlesung Mystik 2 Handout \374

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Öffentliche Vorlesung
Die christliche Mystik.
Gottesschau, Meditation und Ekstase
Pfr. Markus Anker
Sieben Vorlesungen, jeweils Mittwoch, 16. September bis 28.
Oktober 2009,
20.15 Uhr bis 21.30 Uhr, Universität St. Gallen HSG
Raum 10-075, Universität St. Gallen HSG (im
Lehrraumprovisorium Sporthalle)
Meditationsbild (ca. 1480)von
Niklaus von Flüe
Vorlesung 2, 23. September 2009
Die Anfänge: Augustinus und die Wüstenväter
1. Die Wüstenväter: Demut, Askese, Gottesnähe
a) In der Welt, aber nicht aus der Welt: Das Christentum zwischen
Weltentsagung und Weltgestaltung
b) Die Wüstenväter – die ersten christlichen Mystiker
c) Apophtegmata Patrum / Sprüche der Väter
2. Augustinus: Das unruhige Herz ruht in Gott
a) Biographie und Werdegang
b) Mystisches Stufenmodell: Aufstieg zu Gott
1. Die Wüstenväter: Demut, Askese, Gottesnähe
„quia fecisti nos ad te, et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te“
Denn zu dir hin hast Du uns geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir.
Aurelius Augustinus (354-430), Confessiones / Bekenntnisse, 1/1
Alles Leben kommt aus Gott – und alles Leben kehrt zu Gott zurück. Auf dieser Einsicht,
auf dieser Glaubenshoffnung beruht die Sehnsucht des Menschen nach Gott. Es ist die
Sehnsucht, die von Augustin beschriebene Herzensunruhe, nach dem Eigentlichen, der
Mitte der eigenen Existenz. Und seit jeher, zu allen Zeiten und in allen Religionen, haben
Menschen diese Dimension ihres Selbstverständnisses gepflegt und dementsprechende
Lebensstrukturen geschaffen. Das Prinzip des Homo Faber, des tätigen, aktiven,
schaffenden Menschen hat ein Gegenüber, nämlich das Prinzip des Homo Viator, des
Reisenden, Suchenden, der Pilger auf dem Lebensweg – ein Weg zu sich selbst, der,
wenn er nicht in die Leere führen soll, ein Weg zu Gott ist. Der arbeitenden Mensch ist
auch der betende Mensch – ora et labora, bete und arbeite lautet daher eines der
Lebensprinzipien der Benediktiner-Mönche. In diesem Zusammenhang hat auch die Rede
von der vita contemplative ihren Ort: contemplor – betrachten, sehen, erblicken,
studieren: Das contemplative Leben, das Ausschau haltende und daher manchmal gar
nicht so beschauliche Leben. Und fast mit gleicher Bedeutung spricht man in diesem
Zusammenhang von der vita meditativa (meditor – nachdenken, sinnen).
Öffentliche Vorlesung Herbstsemester 2009: Die christliche Mystik. Gottesschau, Meditation und Ekstase
Vorlesung 1: Mystisches Erleben
a) In der Welt, aber nicht aus der Welt: Das Christentum zwischen
Weltentsagung und Weltgestaltung
Matthäus 19,16-22:
16 Es kam ein Mann zu Jesus und fragte: Meister, was muß ich Gutes tun, um das ewige
Leben zu gewinnen? 17 Er antwortete: Was fragst du mich nach dem Guten? Nur einer
ist «der Gute». Wenn du aber das Leben erlangen willst, halte die Gebote! 18 Darauf
fragte er ihn: Welche? Jesus antwortete: Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe
brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch aussagen; 19 ehre Vater und
Mutter! Und: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! 20 Der junge Mann
erwiderte ihm: Alle diese Gebote habe ich befolgt. Was fehlt mir jetzt noch? 21 Jesus
antwortete ihm: Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das
Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und
folge mir nach.
22 Als der junge Mann das hörte, ging er traurig weg; denn er hatte ein großes
Vermögen.
Markus 10,28-31:
28 Da sagte Petrus zu ihm: Du weißt, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt.
29 Jesus antwortete: Amen, ich sage euch: Jeder, der um meinetwillen und um des
Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker
verlassen hat, 30 wird das Hundertfache dafür empfangen: Jetzt in dieser Zeit wird er
Häuser, Brüder, Schwestern, Mütter, Kinder und Äcker erhalten, wenn auch unter
Verfolgungen, und in der kommenden Welt das ewige Leben.
Matthäus 19; Markus 10 – Das Konzept der Nachfolge: Jesus predigte die Nähe des
Reiches Gottes, und forderte eine dem Gottesreich angepasste Lebensführung – Bruch
mit bisheriger Lebensweise – Nachfolge in Form des Wanderradikalismus: Besitzverzicht,
Verzicht auf festen Wohnsitz, Aufgabe von familiären Strukturen, Verzicht auf
Erwerbstätigkeit. Der Lohn unterwegs mit Jesus und Zeuge seiner Wunder, Hörer seiner
Worte, seines Kreuzes und seiner Auferstehung. Das Christentum kennt also den Aspekt
der Weltentsagung und der asketischen Zuwendung zu Gott – es ist nicht etwas fremdes,
sondern etwas grundsätzlich mit dem christlichen Glauben verbundenes. Und in der Tat
sind wir mit der Frage konfrontiert, wie sich christliche Lebensprinzipien in ein
gesellschaftlich geprägtes Leben integrieren lassen: Gewalteverzicht vs. Staatliche
Ordnung, Besitzverzicht vs. die Vorzüge einer komfortablen, nicht glamourösen
Lebensweise? Ständige Mahnung, ständige Unruhe – cor noster inquietus est…
Mt 19 ist ein Schlüsseltext in der Geschichte des Mönchtums – Antonius der Grosse im
4.Jh. und Franz von Assisi im 12.Jh. erlebten beim Hören dieses Textes Ihre Bekehrung.
Aber es gibt auch eine andere Dimension des Gottesreiches: Das Gottesreich kommt zu
den Menschen – holt sie dort ab, wo sie sind: in ihren Dörfern und Städten, in ihren
Lebensnöten. Es geht also weniger darum, aufzubrechen und loszuziehen, sondern
vielmehr darum, die Augen offenzuhalten für das Reich Gottes in unmittelbarer
Umgebung.
Lukas 17,20-21:
20 Als Jesus von den Pharisäern gefragt wurde, wann das Reich Gottes komme,
antwortete er: Das Reich Gottes kommt nicht so, daß man es an äußeren Zeichen
erkennen könnte. 21 Man kann auch nicht sagen: Seht, hier ist es!, oder: Dort ist es!
Denn: Das Reich Gottes ist (schon) mitten unter euch.
1. Korintherbrief 7,17-24:
17 Im übrigen soll jeder so leben, wie der Herr es ihm zugemessen, wie Gottes Ruf ihn
getroffen hat. Das ist meine Weisung für alle Gemeinden.
Pfr. Markus Anker
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Öffentliche Vorlesung Herbstsemester 2009: Die christliche Mystik. Gottesschau, Meditation und Ekstase
Vorlesung 1: Mystisches Erleben
18 Wenn einer als Beschnittener berufen wurde, soll er beschnitten bleiben. Wenn einer
als Unbeschnittener berufen wurde, soll er sich nicht beschneiden lassen. 19 Es kommt
nicht darauf an, beschnitten oder unbeschnitten zu sein, sondern darauf, die Gebote
Gottes zu halten. 20 Jeder soll in dem Stand bleiben, in dem ihn der Ruf Gottes getroffen
hat. 21 Wenn du als Sklave berufen wurdest, soll dich das nicht bedrücken; auch wenn
du frei werden kannst, lebe lieber als Sklave weiter. 22 Denn wer im Herrn als Sklave
berufen wurde, ist Freigelassener des Herrn. Ebenso ist einer, der als Freier berufen
wurde, Sklave Christi.
23 Um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden. Macht euch nicht zu Sklaven von
Menschen! 24 Brüder, jeder soll vor Gott in dem Stand bleiben, in dem ihn der Ruf Gottes
getroffen hat.
Hier also das Gottesreich als die auf die Menschen zukommende gütige Macht Gottes,
zum Ausdruck gebracht ebenfalls durch die Praxis Jesus, der durch die Dörfer zog, in die
Häuser ging, Gemeinschaft pflegte mit Sündern und Gerechten. Das Gottesreich, das
seinen Platz mitten unter den Menschen hat. Und von diesem Ansatzpunkt her sind auch
die Aussagen von Paulus im Korintherbrief zu verstehen: der Ruf Gottes erreicht die
Menschen an je ihrem Ort, und sie sind dazu berufen, an diesem Ort Gottes Ruf gerecht
zu werden.
Die frühe Geschichte des Christentums kennt also beide Möglichkeiten der gottgemässen
Lebensform: eine Glaubens und Lebenspraxis in Entsagung von der Welt, aber auch im
Alltag der Welt.
Diese Konkurrenz der beiden Wege ist bis heute latent, sie lässt sich nicht beseitigen, sie
liegt im tiefen Fundament des christlichen Glaubens eingegraben: Woran wir glauben,
realisiert sich in der Welt, stammt aber nicht aus der Welt.
Die Mystik setzt sich intensiv mit dieser Frage auseinander: was von oben, und was
unten ist; was zu Gott und was zur Welt gehört. Und die Mystik ist geprägt von der
Suche nach Gott, nach der unio mystica.
Dieses Spannungsverhältnis führt eben zum paradoxen Verhältnis der Mystiker zur Welt:
einerseits ist dieses Verhältnis von Rückzug, Stille und Distanznahme geprägt.
Andererseits für diese mystische Betrachtungsweise der Welt unweigerlich dazu, die Welt
anders gestalten zu wollen.
Der Mystiker stehen also im Zentrum dieses uralten christlichen Spannungsfeldes. Oder
man kann auch sagen: in der vita contemplativa, in der Gottsuche wiederholen sich die
unterschiedlichen Wahrnehmungen, wie sie in der Verkündigung Jesu und der Rede von
der Gottesherrschaft zu beobachten waren.
b) Die Wüstenväter – die ersten christlichen Mystiker
Eine der frühesten Ausdrucksformen der christlichen Mystik begegnet uns in in Ägypten.
Im Umland des Nildeltas begegnet man ab Ende des 3. Jh. zum ersten Mal einem weit
verbreiteten Eremitentum, der Tradition der sogenannten Wüstenväter.
Der Eremit zieht sich aus der weltlichen Gemeinschaft in die Wüste bzw. in den nichtstädtischen, nicht-dörflichen Raum zurück – diesen Auszug nennt man Anachorese. Die
sogenannten Wüstenväter lebten in selbstgebauten Hütten, Ruinen oder leeren
Grabhöhlen in losen Eremitenkolonien, nicht in Gemeinschaft, aber häufig
nebeneinander. Dabei wurde auf alles verzichtet, was nicht unbedingt lebensnotwendig
war – neben der Meditation betätigten sich die Eremiten beim Strohflechten, sie stellten
Matten, Seile oder Körbe her, die sie dann zum Erwerb des Lebensunterhaltes
verkauften. Die Wüstenväter (abba) pflegten also die Praxis des Betens und Arbeitens,
sowie der hesychia, des inneren Friedens.
Berühmtester Vertreter der Wüstenväter ist Antonius der Grosse (nicht zu verwechseln
mit Antonius von Padua): um 275 erfährt er während eines Gottesdienstes beim Hören
der Geschichte vom reichen Jüngling sein Bekehrungserlebnis, verlässt Dorf und Familie
und nimmt Wohnsitz in der angrenzenden Wüste. Bald strömten Schafen von
Wüstenvätern in Wüsten Ägyptens, aber auch Palästinas und Syriens.
Pfr. Markus Anker
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Öffentliche Vorlesung Herbstsemester 2009: Die christliche Mystik. Gottesschau, Meditation und Ekstase
Vorlesung 1: Mystisches Erleben
Strukturiert wurde diese nach asketisch-mystischen Zielen geprägte Lebensweise nicht
durch eine Ordensregel, vielmehr suchte sich jeder Eremit einen geistlichen Vater, der in
unterwies:
Das Wort des Vaters (abbas) galt als die Regel, nach der es sich auszurichten galt. Diese
Worte wurden schon sehr früh gesammelt.
Die Apophthegmata Patrum (auch Gerontikon oder Alphabetikon genannt) sind eine
Sammlung von 2300 kurzen Redewendungen, die zum grössten Teil den Wüstenvätern
des 4. und 5. Jahrhunderts zugeordnet werden, z. B. Poimen, Makarius oder Antonius.
Ursprünglich hatte diese Sammlung wohl die Funktion eines Lehrbuches für die
Wüstenväter späterer Generationen, die ihren Vorbildern nacheiferten.
Wie einer ihrer Untertitel (Alphabetikon) besagt, sind die Sprüche bzw. die
Begebenheiten der Altväter nach dem (griechischen) Alphabet geordnet. Die Sammlung
entstand spätestens am Ende des 5. Jahrhunderts. Die Apophtegmata wurden
ursprünglich in Griechisch abgefasst. Es gibt Hinweise dafür, dass es sich bei den
Wüstenväter-Sprüchen nicht wörtlich dem entsprechen, was die Wüstenväter tatsächlich
sagten:
Ein Hinweis dafür, dass die Sprüche erst in späterer Zeit und nicht von den Väter selbst
verfasst wurden, ist die alphabetische Anordnung. Zudem finden wir keine Information in
den Wüstenväter-Sprüchen, dass ein Abbas literarisch tätig war. Im Gegenteil, es ist eine
Skepsis gegenüber der Büchergelehrsamkeit festzustellen, die als weltliche Eitelkeit
betrachtet wurde.
Dennoch ist davon auszugehen, dass die Apophtegmata Patrum im zeitlich-lokalen
Kontext der Wüstenväter gesammelt wurden: Dafür spricht ihre inhaltliche Ähnlichkeit
und die sich wiederholenden Themen. Zudem entsprechen die Sprüche dem Leben in
Ägypten in der Spätantike.
Die Wüstenväter-Tradition war ein Erfolg, und zwar auf zwei Ebenen:
- in einer ersten Phase als Lebensform: viele Menschen ahmten die mystisch-asektische
Lebensweise nach.
- dann aber auch als Erbauung im weltlichen Leben: die Wüstenväter-Sprüche wurden
von Menschen gelesen, die gerade nicht in der Wüste lebten, aber dennoch einen Teil der
mystischen Gottessuche im Alltag zu realisieren versuchten.
Ein Indiz für den spätantiken Wüstenväter-Boom sind die Übersetzungen und
Bearbeitungen der Spruchsammlung. Sie wurde laufend bearbeitet, ergänzt und in
andere Sprachen übersetzt., z.B. ins Syrische, Koptische oder Armenische. Deswegen
finden sich in den Übersetzungen auch andere Versionen und weitere Aussprüche von
denselben Wüstenvätern.
Der Grund für die weite Verbreitung der Apophtegmata Patrum ist auch in ihrer
Lesbarkeit und Anschaulichkeit zu finden: es handelt sich um kurze, pointierte Aussagen
– sozusagen literarisch-spirituelle Miniaturen, die sich lesen und betrachten lassen. Sie
sind sehr gradlinig geschrieben und häufig mit einer Prise Humor unterlegt – Tiefsinn und
Leichtsinn sind verbunden. Ziel der Sprüche ist es, die aketisch-mystischen Tugenden zu
fördern: Demut, Askese, Apatheia (als Beherrschung der Leidenschaften). Zugleich wird
in den Sprüchen vor Übertreibungen gemahnt, ein Spruch warnt davor, aus eigener Kraft
in den Himmel steigen zu wollen. Daher sind Beschreibungen von Trance-Zuständen und
Visionen, wie wir sie in späteren Mystik-Traditionen finden, sehr selten. Die Sprüche der
Wüstenväter sind „down to earth“, sie sind sozusagen ein Leitfaden zur Mystik für
Anfänger.
Ausgaben:
Bonifaz Miller: Weisung der Väter. Apophthegmata Patrum, auch Gerontikon oder
Alphabeticum genannt, Trier 1986
Wüstenväter im Beratungskontext:
Udo Manshausen, Wüstenväter für Manager: Weisheiten christlicher Eremiten für die
heutige Führungspraxis, Wiesbaden 2000
Pfr. Markus Anker
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Vorlesung 1: Mystisches Erleben
Kloster in der Wüste Sinai
c) Apophtegmata Patrum / Sprüche der Väter (Auswahl):
Masshalten
Ein Vater sprach: Wir kommen deshalb im Guten nicht voran, weil wir nicht Mass zu
halten verstehen und bei angefangenen Arbeiten keine Geduld haben, sondern die
Tugend ohne Mühe erlangen möchten.
Ich und Gott
Der Vater Alonios sagte: "Wenn der Mensch nicht in seinem Herzen spricht: Ich und Gott
allein sind in der Welt- dann kommt er nicht zur Ruhe."
Frucht aus trockenem Holz
Es wurde von Vater Johannes dem Zwerg berichtet, dass er in die Wüste bei Scetis
auszog und mit einem alten Mann aus Thebes dort lebte. Der Alte nahm ein Stück
trockenes Holz, pflanzte es ein und sagte zu ihm, „Bewässere es jeden Tag mit einer
Flasche Wasser, bis es Frucht trägt. Nun war das Wasser so weit weg, dass er dafür am
Abend aufbrechen musste und am folgenden Morgen erst zurückkam. Als drei Jahre
vergangen waren, kam Leben in das Holz, und es brachte Früchte. Da nahm der alte
Mann einige von ihnen, brachte sie in die Kirche und sagte zu den Brüdern, „Nehmt und
eßt die Frucht des Gehorsams.“
Dem Herzen folgen
Vater Isidor sagte. "Der Verstand der Heiligen liegt darin, den Willen Gottes zu erkennen.
Über alles wird der Mensch Herr, wenn er auf die Wahrheit achtet, dass er Bild und
Gleichnis Gottes ist. Von allen geistlichen Einstellungen ist besonders die gefährlich:
seinem Herzen zu folgen, das heisst, seinem eigenen Denken und nicht dem Gesetze
Gottes. Denn hernach wird es ihm zum Leid, dass er das Geheimnis nicht erkannte, und
dass er nicht den Weg der Heiligen fand, um auf ihm zu wirken. Jetzt verlangt es die
Zeit, für Gott zu arbeiten, weil das Heil in der Zeit der Heimsuchung gelegen ist. Denn es
steht geschrieben: In Eurer Geduld werdet ihr eure Seelen besitzen.
Umgedrehter Mantel
Die Väter vom Sinai erzählten uns von dem Vater Orentos, er sei an einem Herrentag in
die Kirche gekommen mit umgekehrten Mantel: die Zotten nach außen. Wie er nun so im
Pfr. Markus Anker
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Vorlesung 1: Mystisches Erleben
Chor stand, sagte einige Ortsansässige zu ihm: "Warum kommt du mit dem
umgedrehten Rock in die Kirche, Vater, und machst uns so vor den Fremden lächerlich?"
Der Altvater aber antwortete:" Ihr habt das Kloster Sinai ganz umgekehrt, und niemand
hat euch etwas gesagt, aber kaum habe ich meinen Rock verkehrt angezogen, da sagt
ihr sofort zu mir: Warum hast du deinen Rock umgewendet? Geht und verbessert eure
Verkehrtheiten, dann will auch ich wieder richtig wenden, was ich umgekehrt habe."
Eifer junger Männer
Einige alte Männer sagten, „Wenn du einen jungen Mann durch seinen eigenen Willen
zum Himmel hinaufklettern siehst, ergreife ihn bei den Füßen und zieh ihn wieder runter
auf die Erde; denn das ist nicht gut für ihn.“
Umgang mit Büchern
Vater Theodor, genannt der Pherme, hatte drei gute Bücher. Er ging zu Vater Macarius
und sagte zu ihm, „Ich habe drei gute Bücher, und sie zu lesen hat mir geholfen. Andere
Mönche möchten sie auch lesen damit ihnen ebenso geholfen wird. Sag mir, was soll ich
tun?“ Der alte Mann sagte, „Bücher zu lesen ist gut, aber nichts zu besitzen ist mehr als
alles andere.“ Als er das hörte, verkaufte er die Bücher und gab das Geld den Armen.
Väter
Ein Vater sprach: Die Propheten haben Bücher geschrieben. Unsere Väter aber, die nach
ihnen kamen, haben aus ihnen viel gewirkt, deren Nachfolger wiederum lernten sie
auswendig. Dann kam das jetzige Geschlecht und schrieb deren Taten auf Papier und
Pergament und stellte sie müßig an ihre Fenster.
Erbauung durch Stille
Theophil der Heilige, Bischof von Alexandria reiste nach Scetis. Die Brüder kamen
zusammen und sagten zu Vater Pambo, „Sprich ein Wort oder zwei zu dem Bischof,
damit seine Seele von diesem Orte erbaut werde.“ Der alte Mann antwortete, „Wenn er
von meiner Stille nicht erbaut ist, dann gibt es keine Hoffnung, dass er von meinen
Worten erbaut werde.“
Leidenschaftstöter
Vater Isaak kam zum Vater Poimen und sah, wie er ein wenig Wasser auf die Füße goß,
und da er die Freiheit hatte, mit ihm zu reden sagte er zu ihm: "Wie haben einige sich
auf ungewöhnliche Strenge verlegt, indem sie ihren Leib hart behandelten?" Abbas
Poimen sagte darauf: "Wir sind nicht gelehrt worden, Leibestöter zu sein, sondern
Leidenschaftstöter."
Entspannung
Ein Jäger in der Wüste sah Vater Antonius wie er sich mit seinen Mitbrüdern amüsierte
und er war bestürzt. Um ihm zu zeigen, dass es nötig ist den Bedürfnissen der Brüder
entgegenzukommen, sagte der alte Mann zu ihm, „Nimm einen Pfeil in deinen Bogen und
schieß ihn ab.“ Das tat er. Daraufhin sagte der alte Mann, „Schieß einen weiteren ab,“
und er tat es. Dann sagte der alte Mann „Schieß noch einen,“ und der Jäger antwortete,
„Wenn ich meinen Bogen so oft biege, werde ich ihn zerbrechen.“ Da sagte der alte Mann
zu ihm, „Es ist das gleiche mit der Gottesarbeit. Strecken wir die Brüder über alle Maßen,
werden sie bald brechen. Manchmal ist es nötig ein wenig herunter zu kommen um auf
ihre Bedürfnisse einzugehen.“ Als er diese Worte hörte ergriff ihn tiefe Reue, und er ging
stark erbaut weiter. Ebenso die Brüder; sie gingen gestärkt nach hause.
Vertreibung des Nilpferdes
Einmal, als ein Nilpferd die nahegelegene Landschaft verwüstete, riefen die Väter nach
Vater Bes um ihnen zu helfen. Er stand an dem Ort und wartete. Als er das Tier mit
seiner enormen Größe sah, ordnete er ihm an die Landschaft nicht weiter zu verwüsten,
indem er sagte: “Im Namen Jesu Christi befehle ich dir diese Landschaft nicht mehr zu
verwüsten.“ Das Nilpferd verschwand völlig aus dem Bezirk, als wäre es von einem Engel
verjagt worden.
Pfr. Markus Anker
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2. Augustinus: Das unruhige Herz ruht in Gott
a) Biographie und Werdegang
Augustinus von Hippo oder auch Aurelius Augustinus; Lebensdaten: geb. 354 in Tagaste
(Algerien); gest. 430 in Hippo Regius (heute Annaba in Algerien).
Theologe und Philosophe am Übergang von der Antike zum Mittelalter.
Zuerst Rhetor in Thagaste, Karthago, Rom und Mailand; 395 bis zu seinem Tod war er
Bischof von Hippo Regius.
- Verfasser wichtiger theologische und philosophische Schriften (z.B. De civitate Die –
Zwei-Reiche-Lehre).
- Mit den „Bekenntnissen“ (Confessiones) ist einer
der frühesten und wichtigsten autobiographischen
Texte der Weltliteratur erhalten.
- Augustinus Welt- und Menschenbild enthält von
Platon stammende, jedoch christlich geprägte
Elemente, z.B. der Leib-Seele-Dualismus, die
Unterscheidung der Wirklichkeit zwischen der
höheren Welt des Seins und der niederen Welt des
Werdens.
Die spirituelle und theologische Produktivität
Augustins hat zwei Quellen: zunächst eine
intellektuelle – er war ein hochgebildeter, vielseitig
interessierter Mensch.
Und die in der ersten Lebenshälfte andauernde
innere Auseinandersetzung bildet die zweite
Quelle: das Ringen zwischen Christentum und
Heidentum; zwischen Askese und Ausschweifung;
zwischen Seele und Leib.
Augustinus’ Vater Patricius, war Heide; seine
Mutter Monica war Christin. Sie hat Augustinus
Älteste Darstellung des Augustinus,
christlich erzogen, aber nicht taufen lassen.
Mosaik im Lateranpalast in Rom, 6.
Er durchläuft eine ausgezeichnete Schulbildung, ab
Jahrhundert.
371 studierte er Rhetorik in Karthago. Er war
Student, mit allen Facetten des Studentlebens. Er ging früh eine Verbindung mit einer
Frau unbekannten Namens aus Karthago ein, die 15 Jahre lang dauern sollte; diese
Lebensgefährtin gebar 372 einen gemeinsamen Sohn, der den Namen Adeodatus („Der
von Gott Gegebene“) erhielt.
Zugleich war in dieser Zeit Cicero für Augustinus bestimmend, vor allem mit Ciceros Buch
„Hortensius“. Das Buch ergriff Augustinus beim ersten Lesen, und es blieb auf lange Zeit
wirksam. Noch 386 sah er in ihm das grundlegende Werk. Die Bibel hingegen fand er
enttäuschend; insbesondere das Alte Testament stieß ihn ab, aber auch die
widersprüchlichen Stammbäume Christi befremdeten ihn. 373 wandte Augustinus sich
dem Manichäismus zu, einer gnostisch-dualistischen Glaubensgemeinschaft, die sich
selbst als eine radikale Form des Christentums begriff und die staatlich verboten war. Er
wirkte hier als Auditor (als „Hörer“) mit, d. h. als einfaches Gemeindemitglied mit
eingeschränkten Verpflichtungen. Ab 382 begann er, sich vom Manichäismus mehr und
mehr abzuwenden.
Ab 375 lebte Augustinus als Lehrer für Rhetorik in Thagaste; 376 ging er als
Rhetoriklehrer nach Karthago, 383 zog er nach Rom. 384 wurde er als Rhetorikprofessor
nach Mailand berufen, wo der Kaiserliche Hof residierte. Eine seiner Aufgaben bestand
jetzt darin, die öffentlichen Ehrenreden auf Kaiser und Konsuln zu halten.
Pfr. Markus Anker
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Vorlesung 1: Mystisches Erleben
385 traf seine Mutter in Mailand ein, vermutlich zu dieser Zeit entschied er sich,
Katechumene der Kirche zu werden (das Christentum war seit 380 „Staatsreligion“). Auf
Drängen seiner Mutter, die für ihn eine standesgemäße Verlobung mit einem christlichen
Mädchen aus wohlhabender Familie arrangiert hatte, trennte er sich im selben Jahr von
seiner Lebensgefährtin, die nach Nordafrika zurückkehrte. Der gemeinsame Sohn blieb
bei Augustinus. Bis zur Heiratsfähigkeit der Verlobten lebte Augustinus zwei Jahre lang
mit einer anderen Frau zusammen.
Durch den Austausch mit dem Mailänder Bischof Ambrosius verstand sich Augustinus ab
386 immer mehr als Theologe bzw. christlicher Philosoph.
Den endgültigen Wendepunkte markierte das Bekehrungserlebnis.
386 geriet Augustinus in eine intellektuelle, psychische und körperliche Krise; er gibt
seinen Beruf auf. Am 15. August 386, ergreift ihn ein religiöses Erlebnis, das meist als
„Bekehrungserlebnis“ bezeichnet wird. In der Folge beschloss er, keinen Beischlaf mehr
zu praktizieren, auf Ehe und Beruf zu verzichten und ein kontemplatives Leben zu führen.
Augustinus hat diese Erfahrung mehrfach beschrieben; am berühmtesten wurde die
Schilderung in den „Bekenntnissen“, am Ende des achten Buches (Conf. VIII 12,29). In
einem Zustand religiöser Unruhe und Ungewissheit, so schreibt er dort, verließ er das
Haus, in dem er in Mailand zu Gast war, und ging, gefolgt von seinem Freund Alypius, in
den Garten. Als ihm sein religiöses Elend klar wurde, brach er in Tränen aus; er entfernte
sich von Alypius, legte sich unter einen Feigenbaum, weinte und sprach zu Gott. Plötzlich
hörte er eine Kinderstimme, die immer wieder rief: „Nimm und lies!“ (Tolle lege) Da er
etwas Ähnliches über den Wüstenheiligen Antonius gelesen hatte, verstand er, was
gemeint war: Gott gab ihm den Befehl, ein Buch aufzuschlagen und die Stelle zu lesen,
auf die sein Blick als erste fallen würde. Er ging zu Alypius zurück, schlug die Paulusbriefe
auf, die er bei ihm hatte liegen lassen, und las: „Nicht in Fressen und Saufen, nicht in
Wollust und Unzucht, nicht in Hader und Neid, sondern ziehet den Herrn Jesus Christus
an und pflegt das Fleisch nicht zur Erregung eurer Lüste.“ (Römer 13, 13–14). Nach dem
Lesen dieser Stelle strömte das Licht der Gewissheit in sein Herz. Alypius las den darauf
folgenden Vers: „Des Schwachen im Glauben aber nehmt euch an.“ (Römer 14,1);
Alypius bezog das auf sich und schloss sich Augustinus an.
In der Osternacht 387 (24./25. April) liess er sich gemeinsam mit seinem Sohn
Adeodatus und seinem Freund Alypius in Mailand von Ambrosius taufen. Die Taufe
bedeutete für ihn ein Bruch mit dem bisherigen Leben. Ende 388 kehrte Augustinus
Karthago zurück, wo er für zwei Jahre lang sein kontemplatives Leben führte; in dieser
Zeit starb sein Sohn Adeodatus.
391 wurde er in einem Gottesdienst von der anwesenden Gemeinde gedrängt, Priester zu
werden; die Weihe wurde noch im selben Jahr vollzogen. Bischof Valerius stellte
Augustinus ein Grundstück zur Verfügung, auf dem dieser das erste Kloster auf
afrikanischem Boden gründete.
394 weihte Valerius ihn zum Hilfsbischof, nach dem Tode des Valerius wurde Augustinus
396 Bischof von Hippo, eine Position, die er bis zu seinem Lebensende innehatte.
Mit dem kontemplativen Leben war es vorbei, als Bischof musste er predigen und sich
mit Fragen des Rechts und der Verwaltung beschäftigen. Und er diktierte Buch auf Buch;
am Ende seines Lebens waren es mehr als 100 Werke. 396/397 entwickelte er erstmals
seine Gnadentheologie; die autobiographischen Bekenntnisse (Confessiones) schrieb er
397/398; an der Schrift Über die Dreieinigkeit (De trinitate), einem seiner Hauptwerke,
arbeitete er von 399 bis 419. Als Reaktion auf die Eroberung Roms durch die Westgoten
410 verfasste er die Schrift Über den Gottesstaat (De civitate Dei), an der er von 413 bis
426 arbeitete; er entwickelt hier die für Jahrhunderte gültige Unterscheidung zwischen
irdischem Staat und Gottesstaat (civitas terrena und civitas Dei). Augustinus starb 430.
Der berühmte Eingangssatz zu den Confessiones kann zugleich die Überschrift über
Augustins Leben sein: „quia fecisti nos ad te, et inquietum est cor nostrum, donec
requiescat in te“ / Denn zu dir hin hast Du uns geschaffen, und unruhig ist unser Herz,
bis es ruht in dir.
Pfr. Markus Anker
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Vorlesung 1: Mystisches Erleben
b) Stufenmodell: Aufstieg zu Gott
Augustin übernahm die Vorstellung eines Seelen-Aufstieges zu Gott und entwickelte ein
siebenstufiges Modell (Ennaratio in Psalmum 41)
Stufen der geistlichen Vervollkommnung
Der Gedanke eines stufenförmigen Aufstiegs des Menschen zu Gott ist stoisch-platonisch
(Plato, Philo, Plotin, Jamblich), daher auf die vor- und nichtchristliche Spätantike
zurückzuführen und dualistisch geprägt.
Plato beschreibt Erkenntnisfortschritt als einen stufenförmigen Aufstieg in der Rede der
Diotima im „Symposion“ (209e-212a), ebenso im Höhlengleichnis (Politeia 514a-517a).
Das junge Christentum, allen voran Clemens von Alexandria (+ um 215), hat unter
Anknüpfung an dieses dualistisch geprägte antike Weltbild die irdische Welt als
Läuterungs- und Erziehungsweg gedeutet, und zwar namentlich in seinem Werk „Der
Erzieher“, wo er Christus als den wahren Erzieher darstellt, der nicht nur die Christen,
sondern die gesamte Menschheit zu einem vollkommenen Leben führt, und zwar in einem
Dreistufenweg vom Heidentum über das Judentum zum Christentum, das in der
Inkarnation des göttlichen Logos in Jesus Christus kulminiert. Origenes (+ 254) schied
anhand der biblischen Frauen Maria und Martha das kontemplative vom tätigen Leben
und unterschied einen dreifachen Schriftsinn: einen buchstäblich-„fleischlichen“,
moralisch-„seelischen“ und „geistlich“-mystischen (in den „Prinzipien“, Buch 4,2).
Pseudo-Dionysios Areiopagites (um 500) formulierte in seiner „Mystischen Theologie“ (I
3) als Ziel der Theologie die mystische Einigung mit Gott durch den Dreischritt:
Reinigung, Erleuchtung, Einigung (katharsis, photistikä müesis [elampsis], teleiosis), von
ihm erstmals zusammen erwähnt.
Beispiel für die Mystik des Augustinus:
Confessiones IX, 10: Abschied von der Mutter / Ahnung des Aufstieges:
Als aber der Tag nahte, an dem sie aus diesem Leben scheiden sollte - du kanntest
diesen Tag, wir nicht -, da geschah es, wie ich glaube durch deine geheime Fügung, dass
ich und sie an ein Fenster gelehnt standen. […] Wir unterhielten uns also allein in gar
süssem Gespräche; "der Vergangenheit vergessend, streckten wir uns aus nach dem,
was vor uns lag". In deiner Gegenwart, der du die Wahrheit bist, fragten wir uns, wie
wohl das ewige Leben der Heiligen sein würde, das "kein Auge gesehen, kein Ohr gehört
hat und das in keines Menschen Herz gekommen ist". Aber wir lechzten mit dem Munde
unseres Geistes nach den himmlischen Wassern deines Quells, des "Lebensquells, der bei
dir ist", um, von ihm nach unserm Fassungsvermögen geletzt, einen solch erhabenen
Stoff allseitig betrachten zu können.
Als nun unsere Unterredung zu dem Resultate gelangt war, dass auch die höchste Lust,
die uns durch die Sinne vermittelt wird und bei allem Glanze immer doch nur körperlich
bleibt, neben der Lieblichkeit jenes Lebens keine Erwähnung, geschweige denn einen
Vergleich verdient, da erhoben wir uns mit noch heisserer Sehnsucht zu "dem, was das
Selbst" ist, und durchgingen die ganze Stufenleiter der ganzen Körperwelt und des
Himmels, von dem Sonne, Mond und Sterne über die Erde herableuchten. Und immer
weiter stiegen wir auf, in innerlicher Weise deine Werke bedenkend, bewundernd und
besprechend, und so kamen wir schliesslich zu unserm Geiste. Auch über ihn schritten
wir hinaus, um in die Gegend unerschöpflicher Fruchtbarkeit zu gelangen, wo du ewig
Israel weidest auf der Weide der Wahrheit, wo Leben gleich Wahrheit ist;
Und während wir von ihr redeten und nach ihr verlangten, berührten wir sie leise in
einem Augenblicke höchster Herzenserhebung; dann seufzten wir auf und liessen dort
"die Erstlinge unseres Geistes" gefesselt zurück und kehrten wieder zur Erde zurück, zu
Worten, die Anfang und Ende haben. […]
So sprach ich, und wenn auch nicht genau auf diese Weise und mit diesen Worten, so
weisst du doch, o Herr, dass an jenem Tage, als unter solchen Gesprächen die Welt da
vor uns mit all ihren Freuden jeden Reiz verlor, die Mutter sagte: "Mein Sohn, ich für
meine Person werde an nichts mehr Freude empfinden. Was ich nun hier noch tun soll
und warum ich hier bin, weiss ich nicht, da ich von dieser Zeitlichkeit nichts mehr
erhoffe.[…] Was tue ich nun noch hier?"
Pfr. Markus Anker
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