Sonntag Reminiscere, 1. März 2015 Predigtreihe über das Bekennen und die Bekenntnisse Hauptpastor em. Dr. Ferdinand Ahuis Predigt über „Das Credo – Wo kommt es her und was kann es heute noch bedeuten?“ I. vor fast 125 Jahren, im Jahre 1891, verweigerte der württembergische evangelische Pfarrer Christoph Schrempf aus Gewissensgründen die übliche Rezitation des Apostolischen Glaubensbekenntnisses während der Taufe. Sein Argument: Er könne wesentliche Aussagen des Bekenntnisses nicht bejahen. Dies führte zwar nicht, wie man immer einmal wieder lesen kann, zu seiner sofortigen Entlassung, aber immerhin zu einem sich über ein Jahr hinziehenden Lehrzuchtverfahren und seiner anschließenden Entlassung ohne Pensionsansprüche. Berliner Theologiestudenten holten sich schon vorher bei dem dortigen liberalen Ordinarius für Kirchengeschichte Adolf von Harnack Rat, ob sie eine Petition an den altpreußischen Evangelischen Oberkirchenrat richten könnten mit der Forderung, das Apostolikum abzuschaffen. Harnack riet ihnen von einem solchen Schritt ab, vermittelte ihnen dann aber im Rahmen einer Vorlesung seine eigenen Kritikpunkte gegenüber dem Apostolikum (v. a. zur Jungfrauengeburt) und publizierte diese 1892. Gleich im ersten Jahr erlebte das Buch 26 Auflagen. Darin forderte Harnack zwar nicht die Abschaffung dieses alt-kirchlichen Bekenntnisses, regte aber die Schaffung eines gleichrangigen, unanstößigen Formulars an. II. Erst mit den Kirchenunionen von Reformierten und Lutheranern im 19. Jh. war es üblich geworden, das Apostolikum im Gottesdienst zu sprechen. Das ist erstaunlich. Noch erstaunlicher: Die Reserven führender lutherischer Theologen gegenüber dem Apostolischen Glaubensbekenntnis waren immer groß gewesen. Ihnen fehlte nämlich die Berücksichtigung der Rechtfertigungslehre im Glaubensbekenntnis. Was wir für das Normalste von der Welt halten, ist so normal nicht. Wenn wir uns nur ein wenig umschauen, so stoßen wir auf Gemeinden, in den das Apostolische Glaubensbekenntnis nicht gesprochen wird: in den Freikirchen wie den Baptisten und den Mennoniten, in vielen reformierten Gemeinden, in der Bremischen Evangelischen Kirche, in den orthodoxen Kirchen von Griechenland über Serbien, die Ukraine, Russland bis hin nach Syrien. Das ist Grund genug, nachzudenken über die Frage: „Das Credo – Wo kommt es her und was kann es heute noch bedeuten?“ III. Das Apostolische Glaubensbekenntnis rührt her von dem Altrömischen Glaubensbekenntnis, dem Symbolum Romanum. Es ist ein Taufbekenntnis. Deswegen hat es auch die Form: „Ich glaube …“ – im Unterschied zum festlichen Nizänischen Glaubensbekenntnis, das beginnt mit: „Wir glauben …“. „Ich glaube …“ – bei der Kindertaufe dem Kind in den Mund gelegt, bei der Konfirmation oder den zu diesem Zeitpunkt zu Taufenden von den jungen Menschen selbst gesprochen. „Ich glaube …“ – Ausdruck eines schon bei einem Kind vorhandenen Urvertrauens Gott gegenüber. Ein sehr persönliches Wort zum Bekennen habe ich bei Paulus gefunden. Im Frühjahr 56 schrieb er der Gemeinde in Rom: Wenn du mit deinem Mund bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, dann wirst du gerettet werden, (Röm 10,9). Hierauf kommt es also beim Glaubensbekenntnis an: auf das hörbare Bekennen mit dem Munde und das Glauben in der Tiefe des Herzens. Der Glaubende bekennt sich zu Jesus als dem Herrn, und der Bekennende glaubt, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat. Taufe ist, so habe ich gelernt, Herrschaftswechsel. Das hat gegenüber irdischen Herrschern immer wieder eine große Rolle gespielt: Ich bekenne mich zu Christus als dem Herrn und nehme dafür Nachteile in Kauf, gerade auch gegenüber Herrschern, die sich mit Gott verwechseln. Dieser Herr ist kein anderer als der, den Gott von den Toten auferweckt hat. Damit sind zwei Kernaussagen des Apostolischen Glaubensbekenntnisses benannt: „Ich glaube an Jesus Christus … unsern Herrn“ und: „… am dritten Tage auferstanden von den Toten.“ Paulus fährt fort: Denn mit dem Herzen glaubt man zur Gerechtigkeit, und mit dem Mund bekennt man zur Errettung. (Röm 10,10) Wann immer das Glaubensbekenntnis gesprochen wird, schwingt dies mit: „Ich bin unbedingt angenommen von Gott, und ich kann so neu leben auf Rettung hin, in dem Bewusstsein, dass ich nicht tiefer fallen kann als nur in Gottes Hand.“ Paulus hat so über das Bekennen und den Glauben gesprochen, weil er dies selbst schon übernommen hatte. So hat er schon zwei Jahre vorher der Gemeinde in Korinth geschrieben, was ihm selbst aus der Überlieferung vorgegeben, 1. Kor 15: 3 dass Christus für unsere Sünden gestorben ist nach den Schriften; 4 und dass er begraben wurde, und dass er am dritten Tag gemäß den Schriften auferstanden ist. Das Glaubensbekenntnis entsteht. Im Philipperbrief nimmt Paulus ein altes Christuslied auf. Ziel ist es: „dass jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus der Herr ist,“ (Phil 2,11). IV. Sehr früh hat es eine Gegenbewegung gegeben. Matthäus und Lukas greifen außer auf Markus auf eine Quelle zurück, die Worte Jesu enthielt, die Logienquelle. Sie legte alles Gewicht auf Jesus als Verkündiger, als Propheten, als zweiten Mose auch. Wichtig war ihr, dass man den Worten Jesu nachfolgte, kurz: das Christentum der Tat. So hören wir in der Bergpredigt: „Nicht jeder, der zu mir ‚Herr, Herr’ sagt, wird ins Himmelreich kommen, sondern wer den Willen meines Vaters im Himmel tut.“ (Mt 7,21) Schärfer noch Lukas: „Was nennt ihr mich aber ‚Herr, Herr’, und tut nicht, was ich euch sage?“ (Lk 6,46) Die Bibel in gerechter Sprache ersetzt das „Herr, Herr, das Kyrie, Kyrie“ durch: „Ich glaube an dich,“ es geht um etwas Intimes, um die Nachfolge, um die Bereitschaft, mir von ihm den Weg weisen zu lassen. Wir in St. Nikolai wissen, was das bedeutet, nicht nur den Gottesdienst mit Predigt, Abendmahl, Gebet, Bekenntnis und Musik zu feiern, sondern uns einzusetzen zum Wohl von Menschen weltweit. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wir wissen, was uns die Stolpersteingruppe bedeutet mit ihrer Entschlossenheit, die Geschichte von Jüdinnen und Juden aufzuarbeiten, die in unserem Gemeindebereich gelebt haben und verschleppt und ermordet worden sind. Die vielfältige diakonische Arbeit ist die andere Seite der Medaille unseres Bekenntnisses zu dem Dreieinigen Gott. V. Bis aber das Apostolische Glaubensbekenntnis ausgebildet war, hat es gedauert. Zunächst konzentrierte sich alles auf den Glauben an die Bedeutung von Tod, Begräbnis und Auferstehung Jesu sowie das Bekenntnis zu ihm als dem Herrn. Immer mehr von dem Leben Jesu wurde in dieses Bekenntnis einbezogen. So interpretiert der Evangelist Markus um 70 nach Christi Geburt das Leben Jesu von der Taufe bis zum Kreuz unter dem Aspekt „Jesus Christus ist der Sohn Gottes“. Bei seiner Taufe öffnet sich der Himmel. Der Heilige Geist kommt wie eine Taube vom Himmel herab. Eine Stimme vom Himmel erschallt: „Du bist mein lieber Sohn; an dir habe ich Wohlgefallen.“ Ähnlich bei der Geschichte von der Verklärung Jesu. Aber damit dieses Bekenntnis zu Jesus Christus, dem Sohn Gottes, geerdet bleibt, lässt Markus den römischen Hauptmann, einen Heiden also, unter dem Kreuz bekennen: „Dieser ist wahrlich Gottes Sohn gewesen.“ Einen Schritt weiter geht Matthäus: Die Gottessohnschaft Jesu wird bis vor seine Geburt verlegt. Aus Jesus Christus wird der Jungfrauensohn: „Geboren von der Jungfrau Maria.“ Das hat Matthäus aus der Übersetzung der hebräischen Bibel ins Griechische im Umfeld von Alexandria, also in Ägypten, aufgenommen, aus der Septuaginta. Diese spricht von der „Parthénos“, der Jungfrau. Dieser Titel wurde auch Pharaonen zugelegt, allerdings erst, nachdem sie inthronisiert waren. Jungfrauensohn ist also keine biologisch nachprüfbare Bezeichnung, sondern ein theologischer Titel: Der Gottessohn hat eine menschliche Mutter. Um das beides in seiner Spannung zusammen zu halten, erhielt er den Titel Jungfrauensohn. Um das Ganze theologisch noch fester einzubinden, wird Jesus nach Matthäus und Lukas gezeugt durch den Heiligen Geist: „empfangen durch den Heiligen Geist.“ Lukas haben wir es auch zu verdanken, dass der Heilige Geist einen eigenen Artikel im Glaubensbekenntnis erhalten hat: „Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche.“ Denn Lukas hat den Anfängen der Kirche ein eigenes Buch gewidmet: die Apostelgeschichte. Nicht ohne Grund steht die Ausgießung des Heiligen Geistes an deren Anfang. Der Heilige Geist macht sprachfähig. Er löst den Jüngern die Zunge; er löst denen die Zunge, die nicht wissen, was sie beten sollen; er löst sogar Gott die Zunge: „du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.“ Johannes geht noch einen Schritt weiter: Er versteht Jesus als das fleischgewordene Wort Gottes. Dieses Wort war schon anwesend, als Gott sprach: „Es werde Licht.“ Es war also schon am Anfang der Schöpfung da. Grund genug, Gott dem Vater, dem Allmächtigen, dem Schöpfer des Himmels und der Erde einen eigenen Artikel im Glaubensbekenntnis zu widmen. Und dann der Blick in die Zukunft. Christus als der zur Rechten Gottes sitzende Menschensohn wird wiederkommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Hoffnung der Bekennenden: „Auferstehung der Toten und das ewige Leben.“ Aber auch Vergebung der Sünden. Offenbarung des Johannes. Das Apostolische Glaubensbekenntnis ist gewissermaßen der Resonanzkörper der Bibel, vor allem des Neuen Testaments. Parallel zu ihm entstanden, Zug um Zug, immer wieder neu upgedatet; entstanden als Antwort auf das sich in ihm äußernde vielstimmige Evangelium von Jesus Christus. VI. Wenn es in der neueren Kirchengeschichte eine Zeit gegeben hat, in welcher das Bekennen eine zentrale Rolle spielte, dann war es das Dritte Reich. Das Bekennen hat der Bekennenden Kirche ihren Namen gegeben. So ist in unse-rem Evangelischen Gesangbuch das sogenannte Barmer Bekenntnis enthalten, genauer: „Die Theologische Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen vom 29. bis 31. Mai 1934“. Es ist der zentrale Text der Bekennenden Kirche, die sich abgrenzt gegen die Nationalsozialisten bzw. die Deutschen Christen. Es ist ganz stark auf Worte des Neuen Testaments fixiert, auf Jesus Christus. Diese theologische Erklärung hat aber nicht den Mut gehabt, ein klares Wort zu Hitlers Judenpolitik zu finden. So hat Dietrich Bonhoeffer seine Unterschrift verweigert und ist am Abend vor der Verabschiedung des Textes abgereist. Vielleicht schon in dieser Zeit hat Dietrich Bonhoeffer einen Text verfasst, den wir in St. Nikolai immer einmal wieder an Stelle des Apostolischen Glaubensbekenntnisses gesprochen haben. Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. [Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.] Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet. Diesen Glaubenssätzen Bonhoeffers kann ich gut folgen. Nur eine Landeskirche, die Evangelische Kirche der Pfalz, hat diesen Text in voller Länge in ihrem Evangelischen Gesangbuch abgedruckt. Die Ausgabe für das Rhein-land, Westfalen, Lippe und die Reformierte Kirche lässt verschämt den Satz weg: Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten. Gerade dieser Satz entlockt mir immer wieder ein Schmunzeln. Im Bekennen das Schmunzeln Gottes wahrnehmen, das könnte uns doch heute auch etwas sagen. In unserer Ausgabe des Evangelischen Gesangbuchs suchen wir Bonhoeffers Bekenntnis leider vergeblich. Amen.