Dr.-Ing. Willigert Raatschen, Immenstaad, Mai 2005 Forschungsbericht TWINFACE-Doppelfassade jetzt im Internet abrufbar! 1993 vergab die Firma Rudolph Fassadentechnik in Mahlow an der südlichen Stadtgrenze Berlins einen über 3 Jahre angelegten Forschungsauftrag an die Daimler-Benz Aerospace Dornier GmbH in Friedrichshafen zur wissenschaftlichen Untersuchung des Doppelfassadensystems TWINFACE. Weitere Projektpartner waren der Lehrstuhl für Wärmeübertragung und Klimatechnik der RWTH Aachen, Prof. Dr. U. Renz sowie der Lehrstuhl C für Thermodynamik der Technischen Universität München, Dr. Blumenberg. Das Projekt wurde vom Bundesminister für Forschung und Technologie (BMFT) über den Projektleiter Biologie, Energie, Ökologie (BEO) in Jülich gefördert. Aufgrund der Insolvenz des Auftraggebers 1996 konnte der Bericht seinerzeit nicht veröffentlicht werden. Wegen des steten Interesses der Klimabranche sowie von Planern und von Seiten der Architekten an den Ergebnissen dieses bislang einmaligen Forschungsvorhabens hat der damalige Projektleiter, Herr Dr. Raatschen, die Forschungsberichte zusammengestellt. Diese sind im Internet kostenfrei herunter zuladen unter www.tracertech.de -> Downloads. 1. Fassadenbeschreibung Im Büroneubau der Firma Rudolph wurde 1992 das Doppelfassadensystem TWINFACE realisiert. TWINFACE zeichnet sich durch vertikale Auftriebsschächte aus, durch welche Abluft aus beidseitig daneben liegenden sogenannten Fensterkästen einströmt und nach oben über Dach abgeführt wird. Ein Fensterkastenelement enthält im unteren Bereich Fugen nach außen, über welche dosiert Außenluft in den Fensterkasten einströmen kann. Das innenliegende Fenster eines Fensterkastens ist immer ein vom Bewohner zu öffnendes Fenster, durch welches er individuell seinen Frischluftbedarf steuern kann, während bei einem Schacht die innen liegenden Fenster verschlossen sind. Die Luft im Fens1 terkasten, welche bei geöffnetem Fenster auch Abluft des Raumes enthält, wird über seitliche Überströmöffnungen im oberen Lisenenbereich in die Abluftschächte gefördert. Zwischen zwei übereinander liegenden Fensterkästen bestehen keine Öffnungen. Damit wird sichergestellt, dass Abluft aus dem unteren Fensterkasten nicht in den darüber liegenden einströmt und zu ungewollter Geruchsübertragung führt. 2. Ziel der Untersuchungen Das primäre Ziel der Untersuchungen war, die thermischen und strömungstechnischen Verhältnisse in diesem Doppelfassadensystem sicher berechenbar zu machen, um sowohl der Haustechnik als auch den Architekten eine sichere Planungsgrundlage zu geben. Das heißt, es sollte ein Berechnungsprogramm entwickelt werden, welches an einem realen Gebäude zu validieren war. Da die zu entwickelnden Algorithmen die physikalischen Vorgänge ausreichend genau beschreiben sollte, müssten diese auch auf ähnliche Doppelfassadensysteme (Kastenfenster, Vorhangfassade) anwendbar sein. Zum Nachweis wurden im Laufe des Forschungsvorhabens Teile der TWINFACE-Fassade in Kastenfenster umgebaut und auch dort Einzelmessungen durchgeführt, um die Richtigkeit der Berechnungsalgorithmen zu überprüfen. 3. Messsystem Im Gebäude wurden insgesamt 231 Messstellen installiert, wobei jede im 10 Sekundenrhythmus abgefragt und über 15 Minuten gemittelt und abgespeichert wurden. Insgesamt wurden 8 Millionen Messdaten gespeichert und ausgewertet. Folgende Daten wurden kontinuierlich über 18 Monate gemessen: • Außentemperatur, Windstärke, Windgeschwindigkeit, Winddruck, Globalstrahlung, Luftdruck, CO2-Konzentration, Luftqualität (Mischgassensor) über eigene Wetterstation auf dem Dach • Raumtemperaturen • Lufttemperaturen in Fensterkästen und Schächten, auch über der Höhe verteilt • Oberflächentemperaturen an Scheiben und Lisenen • Strahlung durch die äußere Fassade auf die Innenscheibe • Öffnungswinkel eines jeden Fensters • Jalousiestellung • Klappenstellung an den Schächten 2 • Kontinuierliche Luftwechselmessung nach der Konstant-Konzentrationsmethode • Durchschnittsluftwechsel mittels PFT-Methode • Wärmemengenzähler, Stromzähler • CO2-Konzentration innen • Luftqualität innen • Winddruckbeiwerte auf der Außenfassade Folgende Sondermessungen wurden durchgeführt: • Volumenstrommessung in Fensterkästen und Schächten mit der Tracergastechnik an TWINFACE Fassade und Kastenfenster • Bauteilkennlinienbestimmung mittels Druckdifferenztestverfahren von Fugen, Überströmöffnungen, Schachteinlassgittern als Bauteilparameter für die Simulation • Zeta-Wertbestimmung von Schächten mit/ohne Jalousie • Dichtigkeitsmessung der Schächte zu den Fensterkästen hin • Bestimmung des g-Wertes der Doppelfassade • Einbau eines konvektiv arbeitenden Kühlbalkens in ein Büro zur Bürokühlung im Sommer bei feuchte gesteuerter Vorlauftemperatur und natürlicher Lüftung Außerdem wurde eine CFD-Simulation des Winddruckes auf die Fassade durchgeführt und mit den Messwerten korreliert. Die Forschungsberichte umfassen den Zeitraum von September 1994 bis Juli 1996. Stellvertretend ist für jede der vier Jahreszeiten ein Monat ausgewählt und bewertet worden. Ausgewertet wurden über die Darstellung der o.g. Messwerte: • Der Energieverbrauch des Gebäudes • Das Fensteröffnungsverhalten • Erfahrungen mit dem Kühldeckensystem Ausführlich beschrieben sind weiterhin die nicht-triviale Durchführung der Volumenstrommessung in den Fensterkästen und Schächten nach der Tracergasmethode als auch die Modellbildung zur Simulation des Strömungsverhaltens in der TWINFACE-Fassade. 4. Zusammenfassende Bewertung Dieses Forschungsvorhaben war deshalb seinerzeit einzigartig, weil bis dato es ganz selten in einer Hand lag, ein Meßsystem zu konzipieren, aufzubauen, Messdaten zu sammeln und auszuwerten und gleichzeitig Algorithmen zu entwickeln, welche über die gesammelte Datenbasis validiert werden konnten. Bei unsicheren Datenpunkten (z.B. Lufttemperaturmessung im Fassadenzwischenraum, wie verfälscht die Strahlung den gemessenen Wert?) konnten die Messstellen überprüft und Zusatzmessungen durchgeführt werden, bis die Verlässlichkeit des Messwertes überprüft war. Es wurden keine 3 Algorithmen anhand der Messdaten entwickelt (sogenanntes Datenfitting über Parameter), sondern es wurden ausschließlich zuvor gemessene Gebäudeparameter (Strömungskennlinien, Widerstandsbeiwerte etc.) und Wetterdaten als Eingangsparameter benutzt und die Simulationsergebnisse mit den Messdaten verglichen. Am Ende des Projektes war das dynamisch arbeitende thermische Gebäudesimulationsprogramm TWIN, welches gekoppelt mit einem Programm für die Berechnung natürlicher Strömungsprozesse war, fertig entwickelt und an realen Daten validiert. 1996 war das weltweit einzigartig und dürfte auch heute in dieser Breite noch sehr selten sein. Mit TWIN ließ sich eine dynamische Gebäudesimulation durchführen, mit welcher Raumtemperaturen, Fassadenzwischenraumtemperaturen, Bauteiltemperaturen, Luftwechselzahlen, Volumenströme in den Fensterkästen, in den dahinter liegenden Raum in Abhängigkeit der Fensteröffnung (gekippt, gedreht, Unterlicht oder Oberlicht oder Mittelfenster), Außentemperatur, Wind und Strahlung vorausberechnet werden konnten. Die Genauigkeit bei den berechneten Temperaturverläufen betrug in der Spitze 1-1,5 K, bei den Volumenströmen maximal 15%. Auch wenn TWIN nicht weiterentwickelt wurde, so zeigt der Bericht die Modellbildung eines Doppelfassadensystems, mit welcher gute Ergebnisse erzielt wurden. Der weniger an der Simulation interessierte Leser erhält über die Temperaturverläufe und sonstigen Diagramme einen guten allgemeinen Überblick über die Physik der Doppelfassade. Der fachkundige Leser kann Änderungen in der Fassadenauslegung ableiten, die zu einer besseren Funktion führen. 4