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Zentrum für Medizinische Ethik
MEDIZINETHISCHE MATERIALIEN
Heft 174
LASSEN SICH REZIPROZITÄTSMODELLE
BEI DER GEWEBE- UND ORGANTRANSPLANTATION
ETHISCH RECHTFERTIGEN UND PRAKTISCH
REALISIEREN?
Anhang: Nationaler Ethikrat "Die Zahl der Organspenden erhöhen"
Zusammenfassung und Empfehlungen. 2007
Hans-Martin Sass
Juli 2007
Hans-Martin Sass ist Professor für Philosophie an der Ruhr Universität, 44780 Bochum, und
Senior Research Scholar am Kennedy Institute of Ethics der Georgetown University, Washington
DC 20057. – Eine frühere Fassung wurde auf dem ‚Nephrologischen Nachmittag’ der Otto-vonGuericke Universität in Magdeburg zu Ehren von Professor Dr. med. Rita Kielstein aus Anlass
ihrer Emeritierung am 13. Juni 2007 vorgetragen, danach am 25. Juni 2007 beim
medizinethischen Wissenschaftlichen Kolloquium des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik
der Medizin der Universität Aachen.
1. ALTRUISMUS UND REZIPROZITÄT ALS ETHISCHE PRINZIPIEN
1
2. RISIKO, REZIPROZITÄT UND REWARD
4
3. ALTRUISTISCHE REZIPROZITÄTSMODELLE
12
4. NICHTALTRUISTISCHE REZIPROZITÄTSMODELLE
17
5. REZIPROZITÄT, ALTRUISMUS, EGOISMUS UND FAIRER HANDEL
23
ANHANG: Nationaler Ethikrat "Die Zahl der Organspenden erhöhen" - Empfehlungen
29
Herausgeber:
Prof. Dr. phil. Hans-Martin Sass
Prof. Dr. med. Dr. phil. Jochen Vollmann
Prof. Dr. med. Michael Zenz
Zentrum für Medizinische Ethik Bochum,
Ruhr-Universität Bochum, Gebäude GA 3/53,44780 Bochum,
TEL +49 234 32-22749/50, FAX +49 234 3214-598
Email: [email protected]
Internet: http://www.medizinethik-bochum.de
Der Inhalt der veröffentlichten Beiträge deckt sich nicht immer mit der Auffassung des ZENTRUMS FÜR
MEDIZINISCHE ETHIK BOCHUM. Er wird allein von den Autoren verantwortet. Das Copyright liegt beim Autor.
©Hans-Martin Sass
1. Auflage Juli 2007
Schutzgebühr: € 6,00
Bankverbindung:
Sparkasse Bochum
BLZ: 430 500 00
ISBN: 978-3-931993-55-9
Kto.-Nr. 133 189 035
LASSEN SICH REZIPROZITÄTSMODELLE
BEI DER GEWEBE- UND ORGANTRANSPLANTATION
ETHISCH RECHTFERTIGEN UND PRAKTISCH REALISIEREN?
- Rita Kielstein zur Emeritierung -
Hans-Martin Sass
1. ALTRUISMUS UND REZIPROZITÄT ALS ETHISCHE PRINZIPIEN
Dem Mitmenschen zu helfen, ist eine hohe Tugend und ein ethisches Prinzip in allen
Kulturen und ethischen Traditionen. Die Hilfe dem Bedürftigen und Schwachen gegenüber,
insbesondere die Rettung von Menschenleben und die Erleichterung eines beschwerlichen
Lebens, gilt als besonders lobenswert und vorbildlich. Der Traum aus der Heiligenlegende der
beiden christlichen Ärztebrüder Cosmos und Damian aus dem Mittelalter, Menschenleben durch
Transplantation zu retten, ist seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts Realität. Unsere ethischen
Intuitionen, Kommunikationen und Kooperationen scheinen jedoch hinter den medizinischen
Fortschritten zurückgeblieben zu sein. Wie wäre sonst der bedauerliche Organmangel zu
erklären? Die katholische Kirche hatte schon früh mit der Begründung der Rettung von
Menschenleben und der Linderung von Leid positiv zur Organtransplantation Stellung
genommen; Papst Johannes Paul II bekräftigte dann 1995 in der Enzyklika ‚Evangelium Vitae’,
in der er die Organspende wie selbstverständlich in andere Christenpflichten zum Teilen und
Geben einschließt: ‚There is an everyday heroism, made up of gestures of sharing, big and small,
wich built up an authentic culture of life. A particularly praiseworthy example of such gestures is
he donation of organs, performed in an ethically acceptable manner, with a view of offering a
chance of health and even of life itself to the sick who otherwise have no hope’ [zit.19:29]. Die
christliche Ethik des Teilens und Helfens kann sich auf das Wort Jesu berufen ‘Was Ihr einem
unter diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt Ihr mir getan’ [Matth 25:40]. Im
Koran gibt es ähnliche Forderungen und der gläubige Jude beruft sich auf das ‚pekuach nefesh’,
die rettende Hilfe dem Nächsten gegenüber, die alle anderen Gebote Gottes inklusive des Gebots
der Sabbatheiligung und dem Respekt vor dem eigenen Körper als einer zeitweiligen Leihgabe
Gottes übertrumpft. Von Buddha wird aus einem seiner früheren Leben in der ‚Sutra vom
Goldenen Licht’ berichtet, dass er sich in bioethischer Solidarität vor den Augen einer hungrigen
Tigerin und ihren Jungen das leibliche Leben nahm und sie damit altruistisch mit Nahrung
1
versorgte. Nicht jeder wird soweit gehen wie Buddha; nicht jeder glaubt ja auch an die
Seelenwanderung; und im Übrigen ist Altruismus unter uns Menschen eine sehr seltene Tugend.
Das konkrete Thema der Gewebe- und Organspende ist neu, seit Fortschritte in der
Transplantationstechnik und Immunsuppression in den letzten Jahrzehnten die Möglichkeiten der
Rettung von Menschenleben oder der Linderung von Krankheiten enorm erweitert haben. Das
ethische Thema von Spende, Altruismus, Reziprozität, Solidarität und gerechter Verteilung bei
der Organtransplantation wurde vor 12 Jahren auf einem von Professor Rita Kielstein
organisierten internationalen Kongress zur ‚Ethik in der Nephrologie’ an der Otto-von-Guericke
Universität diskutiert. In dem dort beschlossenen ‚Magdeburger Memorandum’ heißt es: ‚Die
Nierenspende ist eine der Möglichkeiten, das Leben von Nierenkranken zu retten. Deshalb hat die
Nierenspende einen hohen ethischen Wert und ist Ausdruck mitmenschlicher Solidarität und
Nächstenliebe. Alle Bemühungen zur medizinischen und ethischen Aufklärung über die
Organspende sollten genutzt werden. Eine Bevorzugung von spendewilligen Personen bzw.
Patienten bei der Allokation gespendeter Organe lässt sich nach dem Prinzip der Solidarität und
Reziprozität rechtfertigen und könnte die Zahl der potentiellen Spender erhöhen. Die Prinzipien
der ethischen Reziprozität zwischen Spendern und Empfängern und die Lebendspende unter
Nichtverwandten bedürfen einer erweiterten ethischen Diskussion’ [zit.16:5f]. Unterschrieben
wurde das Memorandum von Fred Bonkovsky und Nancy Cummings vom US National Institute
of Health, Gilbert Thiel aus Basel und Claude Jacobs aus Paris, Fritz Hartmann aus Hannover,
Klaus Thurau aus München und Rita Kielstein und Helmut Klein aus Magdeburg, auch von mir.
Seit einer Stellungsnahme des Nationalen Ethikrates zur Organspende vom April dieses Jahres
sind nach der Verabschiedung eines Transplantationsgesetzes [TPG] vor 10 Jahren wieder einmal
ethische, rechtliche und medizinische Aspekte von Organtransplantation in der aktuellen
Diskussion und warten auf Antworten in Einstellungskulturen und Ordnungspolitik zu dem
großen Mangel an Organen und Geweben. Der Nationale Ethikrat schlägt vor: ‚dass die Bürger
(1) in einem geregelten Verfahren zu einer persönlichen Erklärung darüber aufgefordert werden,
ob sie zu einer Organspende bereit sind, und (2) darüber informiert sind, dass die Organentnahme
bei unterbliebener Erklärung gesetzlich erlaubt ist, sofern die Angehörigen ihr nicht
widersprechen’ [3:5f]. Der Ethikrat schlägt einen Übergang vor von der in der Bundesrepublik
gesetzlich geregelten Zustimmungslösung – der potentielle Spender oder nach seinem oder ihrem
Tod die Verwandten müssen zustimmen, bzw. dürfen nicht widersprechen – zu einer
Widerspruchslösung – Organe dürfen entnommen werden, wenn der potentielle Spender (oder
2
seine Verwandten) nicht widersprochen hat. In anderen Ländern, so in Österreich, Italien oder
Spanien, gilt die Widerspruchslösung und ist dort ordnungsethisch akzeptiert. Im Grunde
entspricht der Vorschlag des nationalen Ethikrates einem ‚Erklärungsmodell’, das heißt: der
Bürger soll sich zu Lebzeiten dazu äußern, ob er im Falle seines Todes post mortem eigene
Organe kranken und bedürftigen Mitmenschen abgeben will. Diese Forderung nach ‚Erklärung’
an mündige Bürger zu stellen ist voll und ganz gerechtfertigt, solange über den Sachverhalt
aufgeklärt wird und eine solche Erklärung jederzeit vom Verfasser geändert werden kann.
Zur Lebensorganspende schweigt sich die Stellungnahme des Ehikrates aus und erwähnt nur in
Fußnote 2 „Mit der Lebendorganspende, die stets mit einem gewissen gesundheitlichen Risiko
für den Spender verbunden ist, verbinden sich außerdem besondere ethische Probleme [3:5]. Die
erste Reaktion der Bundesärztekammer auf den Vorschlag des Ethikrates war negativ, ebenso wie
auf das verabschiedete Gewebegesetz [3a], das auch von anderer Seite kritisiert wurde. Deren
Präsident Hoppe hatte am 2. Juni 2006 in einer Presseerklärung anlässlich eines ‚Tages der
Organspende’ geäußert, ‚die Aufklärung über die Chancen einer Organtransplantation müsse in
der Öffentlichkeit intensiviert werden’ und ‚wer einen Organspenderausweis bei sich führt, sagt
aus innerer Überzeugung Ja zur Hilfe für schwer Kranke, die ohne eine Organspende keine
Überlebenschance haben’. Neuere Diskussionen auf der europäischen Ebene haben wenig
diskussionsfähige Erträge gebracht und eher alte Argumente wiederholt [10]. Für die Arztethik
aller Traditionen und Kulturen gilt selbstverständlich seit den Tagen des Hippokrates
vergleichsweise das ‚aegroti salus suprema lex’, das Wohl des Patienten als höchstes Gebot und
Gesetz. Weder Hoppe noch der Ethikrat noch das Transplantationsgesetz äußern sich zu den
finanziellen und gesundheitlichen Risiken, die ein Lebendspender eingeht, für den das
langfristige direkt oder indirekt durch die Explantation bedingte gesundheitliche Risiko nicht klar
abgedeckt ist. Das Transplantationsgesetz (TPG) verpflichtet zwar im Paragraphen 2 zuständige
Bundesbehörden, Krankenkassen und Krankenhäuser zur Aufklärung und Information über die
Möglichkeit der Organspende, unterlässt aber, die gleichen Institutionen zu verpflichten für eine
transparente, rechtlich sichere und langfristige Kostenübernahme direkter oder indirekter Kosten
Sorge zu tragen [4]. Dabei wäre es nach einem Vorschlag von Christoph Broelsch angesichts der
hohen Kosten einer Transplantation und der eingesparten Kosten beispielsweise bei der Dialyse
finanziell ein Leichtes ‚für den (extrem seltenen) Fall des Schadens … als Mindestkompensation
eine Versicherungspolice’ bereitzustellen, die den Geber/Spender zumindest finanziell sicherstellt
[6:5].
3
Dass es an Organen und Geweben für Schwerkranke fehlt, das ist in allen verfügbaren
Statistiken belegt und bedarf keiner weiteren Diskussion [1; 3; 3a; 17; 25; 27]. Nach einer
Statistik
von
Ely
A
Friedman
erhalten
in
den
USA
täglich
74
Personen
ein
Transplantationsorgan; 17 sterben täglich, weil sie kein Organ bekommen [11:960]. Dem
Philosophen und Ethiker fällt als seltsam auf, dass sowohl in den USA wie in der BRD und
überall weltweit als einziges ethisches Prinzip für eine Änderung des Zustandes das Prinzip des
Altruismus vorgebracht wird und dass dessen weitere Propagierung dazu beitragen soll,
Organmangel zu mildern oder zu beseitigen. Friedman stellt mit Recht fest, dass solche
Werbekampagnen in der Vergangenheit wenig erfolgreich waren [11]. Andere Modelle werden
nicht diskutiert, einige werden ausdrücklich kurz und forsch als indiskutabel abgelehnt, so zum
Beispiel die Lebendspende unter Nichtverwandten, der Verzicht auf Einspruch oder Zustimmung
von trauernden Verwandten post mortem, Reziprozitätsmodelle, die Organspendern oder –gebern
unterschiedliche nichtfinanzielle Anreize geben, schließlich auch der kommerzielle und streng
kontrollierte Organhandel. Zu diesen ‚undiskutablen’ Modellen werde ich Beispiele und
Argumente aus der neueren ethischen Literatur diskutieren. Die gegenwärtig in der Diskussion
befindlichen Risikoparameter für die Transplantation unter Lebenden sind kulturell verzerrt und
stimmen deshalb nicht mit anderen Risikomodellen überein, mit denen wir im Alltag vertrauter
sind.
2. RISIKO, REZIPROZITÄT UND REWARD
Das Leben ist nicht ohne Risiko. Es gibt unterschiedliche Risiken, vermeidbare und
unvermeidbare, Risiken, die nur Kosten und Nachteile mit sich bringen, Risiken, deren Eingehen
Vorteile in der Selbstfindung, in der Karriere oder im finanziellen Gewinn bringen. Der Boxsport
bringt gesundheitliche Risiken mit sich und entsprechende Gewinne; Vertragsspieler der
Bundesliga haben geringere gesundheitliche Risiken und verdienen in der Regel mehr Geld als
Boxer. Auch in der medizinischen Versorgung und Forschung geschieht nichts ohne
Finanzierung und Bezahlung; die immer wieder auftretenden Streitereien im Gesundheitssytem
gehen leider immer um Geld; umsonst will keiner arbeiten; das kann und darf ja man auch nicht
verlangen.
Chefärzte müssen Spitzenleistungen und Verantwortungen erbringen, gehen in
Diagnose und Therapie auch nicht selten große Risiken ein, oft beruhend auf unzureichender
Informationslage, und verdienen zumeist viel weniger als Bundesligaspieler. Natürlich wird auch
bei der Gewebe- und Organtransplantation verdient, von Explanteuren und Implanteuren, von
4
ihren Mitarbeitern, von Krankenhäusern, von Pharmafirmen, auch von Versicherungen, denen
beispielsweise ein Transplantierter weniger Geld kostet als eine Dialysepatient, - aber
Reziprozität gibt es nicht mit dem Organgeber, ‚Spender’ genannt, nicht einmal einen Orden oder
ein Zertifikat.
Der post-mortem Spender mag gesundheitliche und palliative Nachteile durch eine
unprofessionell gemachte prä-mortale Intensivmedizin haben. Dem sollte durch hohe
professionelle
Qualitätsnormen
verbunden
mit
einer
Aufklärung
der
Bevölkerung
entgegengewirkt werden. Was die Lebendspende betrifft, so ist derzeit die rechtliche und ethische
Situation in der Bundesrepublik allerdings völlig unbefriedigend. Nach langem Streit und viel
Unklarheit übernimmt seit kurzem die Kasse des Empfängers die direkt mit der Transplantation
zusammenhängenden Diagnose-, Transplantations- und unmittelbaren Nachbehandlungskosten
des Spenders. Wenn aber der Spender aus dem Krankenhaus entlassen ist, wird er alleingelassen
von seiner Krankenkasse und auch von der des Empfängers; allenfalls stehen ihm Ansprüche an
die Unfallversicherung der transplantierenden Institution zu. Die rechtliche Situation ist teilweise
ungeklärt und ethisch unakzeptabel; konkrete Schritte zur Änderung dieser unethischen,
unärztlichen und unanständigen Situation sind nicht in Sicht. Spender sind auch Mitmenschen,
Patienten. Welche Sorgfalt wird darauf verwandt, inwieweit sie als Spender infrage kommen und
inwieweit unvorhersehbare Risiken behandelt und finanziell abgesichert sind? [14]. Dabei
reichen Risiken bei der Nierenspende von Nachblutungen, Infektionen, Lungenentzündungen und
Embolien nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bis hin zu späteren Komplikationen bei
Narbenbrüchen, Gefühlsstörungen in der Bauchwand und schließlich recht selten auch zu einem
Versagen der einzigen verbleibenden Niere [5:30]. Bei der Transplantation von Leberlappen kann
es noch relativ lange nach der Entlassung aus dem Krankenhaus zu unterschiedlichen
Komplikationen bei der Leber und umgebenden kleinen Gefäßen kommen, natürlich auch bis
zum Leberversagen [5:32]. Die Kosten einer Nierentransplantation entsprechen etwa denen einer
einjährigen Dialysebehandlung, - kann es hier nicht zu einer finanziellen Einigung unter Kassen
mit oder ohne Hilfe oder Druck des Gesetzgebers kommen, auch zu einer finanziellen
Reziprozität mit dem Geber? Wie kann ein Chirurg es arztethisch rechtfertigen, einem gesunden
Menschen ein Organ oder Organteil zu entfernen, wenn er nicht ganz sicher ist, dass eventuelle
Gesundheitsrisiken
zumindest
finanziell
abgesichert
sind?
Ordnungspolitik einen solchen Zustand der Unsicherheit zulassen?
5
Wie
kann
die
staatliche
Nicht nur bei den gesundheitlichen und ethischen Problemen, sondern auch bei den hiermit
verbundenen finanziellen Kosten ist der Spender schmählich alleingelassen von der eigenen
Versicherung und der des Empfängers, auch vom Staat als dem Rechts- und Verordnungsgeber,
der es versäumt hat, diesen gravierenden unethischen und unsolidarischen rechtlichen Zustand zu
beseitigen. Eins ist sicher: Da es sich bei der Organspende nicht um einen Krankheitsfall Im
Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes handelt, kann der Spender nicht mit einer Lohnfortzahlung
über den engeren Rahmen des Krankenhausaufenthaltes rechnen und auch nicht mit einem
weiterem Leistungsanspruch an seine Krankenversicherung. Er kann muss sich privat
weiterversichern für die Zeit der Berufsunfähigkeit; dabei bleibt aber unklar inwieweit nicht mit
der Transplantation unmittelbar zusammenhängenden möglicherweise anfallenden direkten oder
indirekten Folgekosten übernommen werden. Muss man daraus den Schluss ziehen, dass
Lebendspender entweder unaufgeklärt, unintelligent, oder unverantwortlich sind oder aber extrem
unter eigenem oder fremdem Druck stehen? Insgesamt ist die finanzielle Absicherung von
direkten oder indirekten Folgekosten einer Organspende für den Spender völlig unübersichtlich,
hochrisikoreich und weithin ungeklärt. Hierzu äußern
sich das Transplantationsgesetz, die
Bundesärztekammer, die Krankenkassen und der Nationale Ethikrat leider nicht. Insgesamt bringt
der Vorschlag des Ethikrates für einen Übergang zu einer erweiterten Widerspruchslösung neue
Risiken mit sich, ohne die Möglichkeiten der Zustimmungslösung unter Aspekten der
Selbstbestimmung und solidarischer Reziprozität genauer zu analysieren; Übergange von einem
Modell zu einem anderen stoßen eher auf Misstrauen und Ablehnung als die Optimierung bereits
bestehender Modelle.
Insbesondere ist verwundernswert, dass der Nationale Ethikrat die ethischen Implikationen der
so genannten ‚erweiterten’ Lösungen von Widerspruch oder Zustimmung und die massiven
Einschränkungen
dieser
ansonsten
unüblichen
‚Erweiterungen’
gerade
bei
der
Organtransplantation ethisch nicht diskutiert, dergemaess nicht nur der potentielle Spender
sondern nach dessen Ableben die Angehörigen ein Einspruchsrecht gegen die Explantation haben
sollen. Das soll auch für den vom Nationalen Ethikrat vorgeschlagenen Übergang zu einer
Widerspruchslösung gelten [3:6]. Kielstein macht vor allem diese erweiterte Zustimmung bzw.
Ablehnung durch Angehörigen mitverantwortlich für den bestehenden Organmangel und weist
auch auf die emotionale und ethische Problematik hin, trauernde Angehörige eines Sterbenden
überhaupt mit Fragen von Zustimmung oder Widerspruch zu konfrontieren. Deshalb hatte das
zitierte
Magdeburger
Memorandum
ausdrücklich
6
auf
die
ethische
Akzeptanz
einer
Prioritätssetzung in der Solidarität hingewiesen [16:5f]. - In einer Umfrage stellt Kielstein fest,
dass
Bürger
sehr
unterschiedliche
Meinungen
zur
Organspende
haben,
die
vom
Transplantationsgesetz nicht berücksicht werden [17]. Hoyer hatte schon 1998 auf ein Urteil des
Bundesverfassungsgerichts von 1979 zur Auslegung der Artikel 2 und 4 des Grundgesetzes
hingewiesen, in der es heißt: ‚Die Bestimmung über seine leiblich-seelische Integrität gehört zum
ureigensten Bereich des Menschen. In diesem Bereich ist er aus der Sicht des Grundgesetzes frei,
seine Massstaebe zu wählen und nach ihnen zu leben und zu entscheiden’. Hoyer kommt zu dem
Schluss: ‚Dies gibt jedem Menschen das Recht, einem kranken Mitmenschen durch eine
Lebendspende zu helfen. Eine Einschränkung dieser verfassungsrechtlichen Garantien wäre nur
denkbar, falls ein sittenwidriges Verhalten vorliegt oder aber der Staat sich auf seine
Schutzpflicht für die Gesundheit seiner Bürger beruft.’ [15:198]. Für die post-mortem Spende
dürfte der Staat keinerlei sittenwidrige Intention oder Handlung nachweisen können und müsste
in Achtung und Durchsetzung der Rechte aus Artikel 2 und 4 GG konsequent jede erweiterte
‚Lösung’ verbieten und auch für die vorgeschlagene eingeschränkte Widerspruchslösung keinen
Widerspruch von Angehörigen zulassen dürfen. Was die Lebendspende über den engen Kreis von
Angehörigen hinaus betrifft, so dürfte der Staat genügend Möglichkeiten haben, durch
Verordnung und Aufsicht Missbrauch zu verhindern. Aber die Selbstbestimmung zu einer
altruistischen Organspende über den engeren Kreis der Angehörigen ist im TPG leider gesetzlich
verboten.
Vier Gründe sind es, welche die aktuelle Stellungnahme des Ethikrates [3] als unzulänglich
und wenig nützlich erscheinen lassen: (1) der Verzicht auf die Diskussion von anderen als dem
bisherigen
altruistischen Verteilungsmodell für die post-mortem Organspende, (2) die
unkritische Beibehaltung des Modells der erweiterten Zustimmung inklusive eines späteren
Widerspruchs durch Angehörige, (3) die Tabuisierung der Lebendgabe beginnend von einer
kritischen Diskussion der bisherigen gesetzlichen Regelung bis hin zu anderen über das
Altruismusmodell hinausgehenden Vorschlägen, und schließlich (4) eine fehlende Kritik an der
unklaren und unsicheren Finanzierung von direkten und indirekten Folgekosten für den Spender
bei der Lebendspende . Eine ethisch faire und offene Diskussion verlangt, auch die kulturellen
Risiken mit zu bedenken, die in solchen Reformvorschlägen liegen und die selbst Teil der
herrschenden Vorurteilskulturen sind.
Vor 20 Jahren habe ich in anderem Zusammenhang Zahlen zusammengetragen, welche die
kulturellen Vorurteilsdeterminanten für Risikobegriffe anschaulich zeigen. Damals wurden für
7
die Lebensrettung eines Individuums folgende Summen ausgegeben: 10-20,000 $ mehr für
Vorsorgeuntersuchungen zu Brust- und Darmkrebs, 30,000 mehr für mehr oder bessere
Ambulanzwagen, über $100.000 jährlich durch Hemodialyse; beim Verkehr $20.000 mehr für
bessere Strassen, $34.000 mehr für bessere Beschilderung, $228.000 mehr für Leitplanken,
$320.000 für Airbags [20]. Warum geben wir für die Airbagtechnologie soviel mehr aus als für
mehr Verbindlichkeit oder Werbung bei Vorsorgeuntersuchungen? Warum zahlen wir jährlich
für die Dialyse, was eine einmalige Transplantation kosten würde, verhältnismäßig geringe
medikamentöse Folgekosten nicht gerechnet. Diese unterschiedlichen Investitionen und ihre
politische und gesellschaftliche Akzeptanz beruhen auf durch die meisten von uns geteilten
kulturellen und nichttechnischen Risikobegriffen. Andererseits gibt es Bevorzugungen
bestimmter
Bevölkerungsgruppen,
die
politisch
oder
kulturell
motiviert
sind:
Bundestagsabgeordnete reisen in der Bundesrepublik kostenlos bei Bahn und Flug; Blinde
werden in Asien bevorzugt als Masseure ausgebildet und angestellt; Veteranen werden in Kanada
bevorzugt Pächter von staatseigenen Alkoholläden; Kriegsversehrte genießen in der Pariser
Metro vor anderen Behinderten und vor schwangeren Frauen Anspruch auf einen Sitzplatz; bei
gleicher Eignung werden Frauen bei Berufungen auf deutsche Lehrstühle oder anderswo im
Berufsleben vorgezogen.
Ich gebe vier Beispiele für schlechte Risiko- und Reziprozitätsmodelle in der Medizin, mit
denen wir leider offensichtlich gelernt haben zu leben. Beispiel 1: Klinische Prüfung: Seit über
einem halben Jahrhundert erfolgt die Prüfung neuer Arzneimittel nach einem 1946 von Bradford
Hill erfolgreich angewandten Modell von vier durch Placebo kontrollierten Phasen; frühere
Modelle wie Selbstversuche oder Pilotprojekte sind illegal oder werden von den Prüfbehörden
nicht anerkannt. In vielen Phase-1 Studien, beispielsweise bei der Erprobung von Cytostatica,
geben Patienten zwar ihre Einwilligung, aber vermutlich nur aus Verzweiflung und, weil andere
Möglichkeiten aufgebraucht sind. Das ist keine freie und faire Zustimmung, wie sie vom Modell
der Autonomie her gefordert wird. Es wird dennoch getan ohne Widerspruch in der Klinik und in
der forschenden Pharma; Zulassungs- und Aufsichtsbehörden fragen nicht nach der Qualität der
Zustimmung und unternehmen auch keine Anstrengungen, andere Modelle als das alte von
Bradford
Hill
entsprechend
dem
Fortschritt
der
statistischen,
medizinischen
und
pharmakologischen Wissenschaften zu erproben.- Beispiel 2: In den letzten 15 Jahren haben wir
enorm viel gelernt über die individuelle Metabolisierung von Medikamenten entsprechend der
individuellen P450 Cytochrome Veranlagung. Dieses Wissen würde die Entwicklung und
8
Erprobung von Medikamenten für unterschiedliche Gruppen von Metabolizern erlauben, - mit
großen Vorteilen für Patienten, möglicherweise geringeren Entwicklungskosten und natürlich mit
dem Verzicht auf die generelle Zulassung eines Medikaments für Jedermann/Jedefrau. Weder
Prüfbehörden noch Pharmafirmen haben aber offensichtlich ein Interesse an einer effizienteren
Medikamentenentwicklung, missachten die Erkenntnisse der modernen Pharmakogenetik und
akzeptieren weiterhin hohe Risiken und hohe Kosten bei der Entwicklung und Verabreichung
von Medikamenten.- Beispiel 3: Das Transplantationsgesetz erlaubt die 'Spende' durch einen
verwandten Nichtentscheidungsfähige, wenn der Vormund das stellvertretend entscheidet; es
verbietet aber die freie Spende durch Freunde oder Bekannte eines Kranken. Ich sehe ein hohes
ethisches Risiko darin, Nichteinwilligungsfähigen nicht nur dem möglichen gesundheitlichen
Risiko sondern vor allem auch den subjektiv empfundenen Unannehmlichkeiten der gesamten
Prozedur zu unterwerfen. – (4) Die derzeitige Finanzierung direkter Folgekosten von
Explantationen
beim
Spender
durch
den
gesetzlichen
Versicherungsschutz
durch
Unfallversicherung der Kliniken insinuiert, dass solche Folgekosten regelmäßig auf ärztliche
Fehler zurückzuführen sind, eine sachlich unangemessene und ethisch unanständige
Unterstellung.
Was die Organtransplantation betrifft, so haben wir es unter anderem mit folgenden
undiskutierten verzerrten kulturellen und ethischen Risikobilanzierungen zu tun, die ich in 4
Fragen formuliere, die gleichzeitig auf eine Antwortrichtung hinweisen: (1) Warum zahlen wir
nicht dem Nachlass eines jeden post-mortem Spenders eine fixe Summe von etwa Euro 10.000
als Dank der Gesellschaft für die altruistische Spende, als Anerkennung für das ethische
mitmenschliche Engagement in der Reduktion von Leiden und der Verbesserung von Leben und
Lebensqualität und auch als Anerkennung für durch die Organspende eingesparten Solidarkosten
für Gesundheit? (2) Warum sichern wir nicht den Lebendspender über eine Risikopolice gegen
zusätzliche und anderweitig nicht abgedeckte oder streitfällige direkte und indirekte Folgekosten
einer Explantation ab? (3) Warum bekommen Lebendspender nicht ein besonderes gesetzliches
Privileg für den Fall, dass sie selbst einmal Organempfänger sein werden? (4) Warum dürfen
Freunde und Bekannte nicht innerhalb des ansonsten so hochgelobten Altruismusmodells
spenden?
9
2.1 Reziprozitätsmodelle
Was ist Reziprozität? Reziprozität ist ein soziales, politisches, kulturelles und ethisches Prinzip
und eine persönliche Tugend, hochgeschätzt in allen Kulturen und belobt und dankbar
angenommen von zivilisierten und unzivilisierten Menschen gleichermaßen. Solidarität,
gegenseitige Achtung und Hilfe, Füreinanderdasein, Teilen und Helfen, auch fairer Handel, gute
Ware oder guter Service gegen gute Entlohnung, das sind die Prinzipien und Tugenden, die von
allen Religionen, ethischen Traditionen und Kulturen gelehrt und gefordert werden. Betrug,
Ausbeutung, informationelle oder finanzielle Manipulation, Unterdrucksetzen, Erpressung und
Diffamierung gehören zu den als unethisch und unanständig bezeichneten Lastern. Es ist ein
verkürztes Verständnis, wenn wir Reziprozität auf Waren, Dienstleistungen oder Finanzen
reduzieren. Es gibt sehr fundamental und essentiell die Reziprozität in ethischen und kulturellen
Werten, gegenseitigen Erwartungen und Angeboten, in Verhalten und reziprokem Verhalten,
natürlich auch in der Mischung von Werten und Waren in unterschiedlichen Märkten und bei
unterschiedlichen Marktanreizen.
Allerdings gibt es philosophische Diskussion darüber, ob die Verfügung über den eigenen
Körper ähnlich zu behandeln ist wie die Verfügung über Waren, commodities. Kant hat mit
Hinweis auf das Beispiel der Kastration von Knaben für die Verwendung als Sopranisten in der
Opera Sera oder im kirchlichen Chorgesang die Kommodifizierung des menschlichen Körpers
mit der Absicht Geld zu verdienen oder einen höheren sozialen Status zu erreichen kategorisch
abgelehnt. Breyer u.a. und der Nationale Ethikrat, ebenso wie die Bundesärztekammer und das
Transplantationsgesetz von 1997, betonen die ethischen Vorzüge der Spende zum Wohl des
Nächsten [5; 3; 4]. Im Modell der Widerspruchslösung wird diese ‚Spende’ normativ als primäre
staatsbürgerliche und mitmenschliche Verpflichtung gesehen, aus der man im Einzelfall ohne
Angabe von Gründen aussteigen kann. In der ultrakonservativen Zeitschrift ‚The New Atlantis’
wurde kürzlich die Diskussion um die Kommodifizierung des Körpers oder seiner Organe
intensiv zwischen Meilaender, Hippen und Lawler diskutiert. Während Meilaender und Kass
kantisch vor einer zunehmenden Kommodifizierung und Kommerzialisierung warnen [19], sieht
Hippen als Nephrologe in einer guten Aufklärung und dezentralen lokalen Werbung [13:55]
einen ethischen Gewinn in einer Steigerung des Aufkommens zur Entscheidung für die postmortem Spende von bis zu 70% . Lawler, ein Jurist, beurteilt die Entwicklung zu mehr und mehr
Kommerzialisierung kritisch, schlägt aber eine Abwägung im Interesse des Respekts vor freier
Selbstbestimmung und den Bedürfnissen Schwerkranker vor: ‚Reversing or at least slowing our
10
creeping and sometimes creepy libertarianism by challenging, in the name of human dignity,
some basic premises of the modern or ‚capitalist’ idea of liberty. But from kidneys to embryos to
everything else, they are facing an uphill climb. The human need for health and the human
longing for liberty challenge relentlessly every moral impediment that stands in their way’
[13:72]. Ely A Friedman and A.L. Friedman argumentieren als erfahrene Chirurgen und Ethiker:
‘Strategies to expand the donor pool – public relations campaigns and Driver’s license
designation – have been mainly unsuccessful. .. One approach to expanding the pool of kidney
donors is to legalize payment of a fair market price of about $40.000 to donors. Establishing a
federal agency to manage marketing and purchase of donor kidneys in collaboration with the
United network for Organ Sharing might be financially self-sustaining as reduction in costs of
dialysis balances the expense of payment to donors’ [11:960]. Diese Vorschlag steht dem später
zu diskutierenden Marktmodell von Harris [12] nahe.
Was die Abgabe von Blut, Gewebe oder Organen betrifft, so müssten, sofern man
grundsätzlich Solidarität und Reziprozität als ethische Prinzipien und Tugenden akzeptiert wie
Kant, der Vatikan, Meilaender und Lawler, vergleichbare Argumente gelten, wie sie auch sonst
für den individuellen und gesellschaftlichen Ausgleich akzeptiert und praktiziert werden. Wie
sollte es denn gerade bei der Organtransplantation ethisch und politisch anders zu rechtfertigen
sein? Eine Missachtung des eigenen Körpers und Lebens ist ja auch jedes Übermaß an Arbeit,
Genuss, Rauchen, Trinken, Essen, auch Arbeit zum Wohl von anderen ohne Rücksicht auf die
Grenzen der eigenen Leiblichkeit, die in all diesen Situationen als Mittel zum Zweck genutzt
wird. Grundsätzlich in den Bereich des ethisch Akzeptierten und Geforderten gehören also das
Schenken oder faire Handeln, das Tauschen entsprechend den Interesselagen beider Seiten oder
den besonderen Bedürfnissen einer Seite. Es hat sich über Jahrtausende als hilfreich erwiesen,
wenn Staaten und ihre Rechtssysteme ordnungspolitisch einen Rahmen für Fairness setzen,
Extreme bestrafen und im übrigen den freien Ausgleich von Interessen und Bedürfnissen, von
Gütern, Werten und Waren nicht behindern, sondern fördern. Insofern gibt es unterschiedliche
Modelle des ausgleichenden Handelns unter uns Menschen; Verkaufen, Tauschen, Schenken sind
die wichtigsten Grundmodelle, die sich situativ mischen, überlappen und ergänzen können. Ich
nenne insgesamt acht
Reziprozitätsmodelle für Gewebe- und Organgeber und –empfänger.
Dabei versuche ich auch jeweils kurz die ethischen Risiken, Unsicherheiten, Vor- und Nachteile
der einzelnen Modelle zu skizzieren. Faktisch existierende Modelle benutze ich nur zur
normativen Differenzierung und Illustration, ohne mich mit Details bestimmter nationaler
11
Regelungen zu befassen. Ich skizziere je vier altruistische Reziprozitätsmodelle und vier andere,
die nicht so restriktiv wie die altruistischen Modelle sind, sondern auf anderen weithin
akzeptierten, geförderten und bewährten ethischen Prinzipien wie denen des Ausgleichens,
Tauschens und Handelns beruhen.
3. ALTRUISTISCHE REZIPROZITÄTSMODELL
3.1. Reziprozität unter Verwandten: Die gesetzliche Regelung der Organspende
innerhalb der Familie beruht auf einem Reziprozitätsmodelle, insofern die öffentliche Kultur und
Tradition ebenso wie der Gesetzgeber davon ausgehen kann, dass es besondere reziproke
Verantwortungen und Pflichten innerhalb einer Familie gibt. Das sieht auch beispielsweise die
Sozialgesetzgebung ähnlich, wenn Eltern für die Kosten der Ausbildung ihrer Kinder aufkommen
müssen oder Kinder für ihre in Not geratenen Eltern. Allerdings machen die Sozialgesetzgebung
und
auch
das
Transplantationsgesetz
restriktive
Eingrenzungen
bezüglich
des
Verwandtschaftsgrades. Dieses Modell einer moralischen Reziprozitätspflicht und -erwartung
beruht auf der Annahme eines latenten oder aktuell praktizierten Kanons von besonderen
Verbindlichkeiten innerhalb einer Familie und ist eingebettet in einen weiteren Rahmen von
Familienrecht und –ethik.
Dieses Reziprozitätsmodell ist jedoch für die Transplantation nicht ohne ethische Probleme,
weil die Explantation von Nieren oder Teilen der Leber gewisse akute Risiken, auch Schmerzen
und Unannehmlichkeiten mit sich bringt, und auch weil Folgeschäden auftreten können, die
zumindest derzeit, wie schon erwähnt, allein dem Spender oder Geber unfairerweise aufgelastet
werden. Wer in der Familie sich nicht auf Gewebekompatibilität untersuchen lässt oder wer die
Explantation verweigert, kann als unanständig, unethisch, unsolidarisch, unfair oder egoistisch
gelten und innerhalb und außerhalb der Familie mit einem Makel stigmatisiert werden;
möglicherweise wird er oder sie künftig aus einer bisher selbstverständlichen Reziprozität des
gegenseitig füreinander Einstehens ausgeschlossen. Wir haben bei der derzeitigen Regelung der
Lebendspende unter Verwandten also ein Reziprozitätsmodell mit erheblichen Risiken und
ethischen Schwächen vor uns, von denen einige leicht behebbar wären, wie beispielsweise der
Verzicht auf die Einbeziehung von Nichteinwilligungsfähigen, die Einbeziehung langjähriger
Freunde nach einem engen Maßstab, und die gesetzliche Regelung der Finanzierung für
Krankheitskosten von Gebern oder Spendern als einem ersten Schritt einer ordnungsethisch und
ordnungspolitisch verantwortlicheren Regelung.
12
Die Reziprozität innerhalb der Familie bezieht sich in der Regel auf die Lebendspende.
Andererseits sind wir durchaus vertraut mit dem Modell des Erbens von Sparbüchern und
anderem Besitz innerhalb der Familie; eine Einbeziehung von Organen oder Geweben, auch von
DNA-Proben zum Speichern für künftige Nutzung könnte an jahrtausendealte in allen Kulturen
als ethisch akzeptierte und praktizierte und gesetzlich geschützte Erbschaftsregelungen
anknüpfen.
In
gewisser
gesamtgesellschaftliche
Weise
solidarische
kann
sich
das
Erbengemeinschaft
Widerspruchsmodell
verstehen,
aus
als
eine
der
aber
jedermann/jedefrau ausbrechen kann ohne weitere Angabe von Gründen. Reziprozität in der
Familie ist das ideale Beispiel für eine nichtpekuniäre Reziprozität, eine Reziprozität in der
kleinsten menschlichen und sozialen Einheit, die auf gegenseitiger Achtung, Hilfeleistung, Liebe
und Solidarität vor und unabhängig von allen rechtlichen und gesellschaftlichen Regelungen und
Ansprüchen besteht.
3.2. Reziprozität unter geographischen Nachbarn: Seit einigen Jahren gilt in Spanien
die Regelung, dass post-mortem Organe zunächst innerhalb der Provinz oder innerhalb einer
anderen kleinen Bevölkerung oder in einem begrenzten geographischen Raum vordringlich
verteilt werden. Dieses Modell hat zu einem erstaunlichen Aufkommen von Spenderorganen
geführt, weil die konkrete Nähe der Hilfe die Entscheidung zum Spenden steigert; hilfreich kam
hinzu, dass die katholische Kirche sich aktiv bei der Werbung für Spenderausweise und die
Transplantation eingesetzt hat [14;18:190]. Die nachbarschaftliche Organspende versteht
Reziprozität als Bevorzugung des ‚Nächsten’ anderen Mitmenschen gegenüber, die als ‚ferner’
bewertet werden, aber potentiell gleichen Bedarf haben.
Ein Reziprozitätsmodell ist es insofern, als eine größere Zahl von verfügbarem Gewebe und
Organen in einem bestimmten geographischen oder geographisch-kulturellen Bereich allen
potentiellen Empfängern in diesem Kreis zugute kommt, anderen nicht oder nur nachfolgend,
wenn in diesem Kreis kein Bedarf besteht. Das Nachbarschaftsmodell der Reziprozität ist
deswegen erfolgreicher, weil die ethischen wie die gesundheitlichen Aspekte der Reziprozität
leichter einzusehen und zu unterstützen sind als bei der ‚Spende’ an eine unbekannte Person von
unbekanntem gesellschaftlichen, religiösen, ethnischen oder kulturellen Hintergrund. Eine solche
Restriktion von ethischer und mitmenschlicher Reziprozität in der Solidarität in der
ausschließlichen oder bevorzugten Solidarität mit einigen, nicht aber mit allen, ist
differentialethisch und kulturell leichter zu vermitteln und in der Praxis erfolgreicher als eine
unspezifische gesamtgesellschaftliche Reziprozität. Siegler und Ross haben einen überregionalen
13
Pool
von
Verwandten
und
Freunden
vorgeschlagen,
innerhalb
dessen
dann
nach
Gewebekompatibilität ausgewählt werden kann; diese Version von Reziprozität muss sich
natürlich mit dem Problem der ‚nicht ganz freiwilligen Spende’ auseinandersetzen [23:190]
3.3. Reziprozität in speziellen Freundeskreisen, Überkreuzspende: In der Schweiz und
anderswo sind ‚Freundeskreise’ ins Leben gerufen worden von Paaren, bei denen eine Person ein
Spenderorgan benötigt, der Partner auch willig zur Organspende wäre, aber nicht
gewebekompatibel ist [15; 22; 25]. Diese ‚Freundeskreise’ sind ein künstliches ethisches Produkt
in Reaktion auf restriktive nationale Gesetzgebung im vorgeblichen oder tatsächlichen Schutz des
spendewilligen Bürgers vor sich selbst. Innerhalb von Freundeskreisen findet sich leichter eine
Kompatibilität für den Empfänger, dann aber auch für den altruistischen Spender, der vermutlich
nur aus Liebe zum Partner Mitglied dieses Freundeskreises geworden ist. Dieses auch
„Überkreuzspende’ genannte Modell basiert auf dem Prinzip der Reziprozität und restriktiven
Fairness innerhalb eines kleinen Kreises und gewinnt durch seine mögliche Attraktivität
zusätzliches ethisches Gewicht [4]. Es handelt sich bei der Überkreuzspende, ebenfalls wie bei
den beiden anderen Modellen, um altruistische Spenden, in einem kleinen und überschaubaren
Raum ohne finanzielle oder andere Vorteile [15; 21]. Außer Organen wird nichts getauscht, keine
Partner, kein Geld, keine anderen Vorteile. Es handelt sich um zielorientierte ‚künstliche
Solidargruppen’, deren Mitglieder aus unterschiedlichen Gründen nicht in das Modell der
Reziprozität unter Verwandten passen oder sich einfügen wollen oder können und deshalb diesen
‚Umweg’ über die Mitgliedschaft in einer speziellen Solidargruppe wählen müssen oder wollen.
Bei den beiden Modellen der Lebendspende innerhalb der Familie oder im Freundeskreismuss
muss nicht nur als Ausdruck der Dankbarkeit dem Spender gegenüber gesichert werden, dass
nachfolgende direkte und indirekte Kosten im Zusammenhang mit der Explantation lebenslang
für den Spender von der Solidargemeinschaft, der Kasse des Empfängers oder einer anderen
Solidareinrichtung gezahlt werden. Wünschenswert wäre auch eine besonders großzügige und
bevorzugte Behandlung solcher Folgeschäden als Reziprozität und Anerkennung für eine
selbstlose Leistung und Risikoübernahme.
3.4. Reziprozität unter moralischen und kulturellen Nachbarn und Freunden:
Bestehende restriktive Reziprozitätsmodelle innerhalb von Familien, Nachbarschaften oder
Freundeskreisen lassen sich auf andere Modelle übertragen, in denen Religion, Geschlecht, Alter
oder Ethnizitaet vom Spender oder Geber als Kriterien für eine bevorzugte oder ausschließliche
Vergabe von Geweben oder Organen übertragen werden. Derzeit hat der Geber oder Spender
14
keinen Einfluss auf die Auswahl der Empfänger. Eurotransplant entscheidet nach
Gesichtspunkten von Kompatibilität, geographischer Nähe, Wartezeit und Dringlichkeit; es wäre
mathematisch kein Problem, ethische Prioritäten des Spenders oder Gebers in das bestehende
Punktesystem einzubeziehen. Wer spendet oder gibt, möchte gern wissen, ob die Spende oder
Gabe sinnvoll und wertvoll ist, zumal wenn eigene Risiken damit verbunden sind. Geld gibt man
für die Aktionen oder Hilfsorganisationen, deren Ziele den eigenen am nächsten liegen und die
man für die dringlichsten hält.
Warum soll sich nicht jemand dafür entscheiden dürfen, den Angehörigen der eigenen
Glaubensgruppe oder ethischen Gemeinschaft oder Jugendlichen vorzugsweise vor Erwachsenen
Gewebe oder Organe zu geben. Solche Selektionen in generelle und objektive Kriterien von
staatswegen in die Verteilung einzubeziehen scheitern an grundsätzlichen Kriterien für
Gerechtigkeit,
Solidarität
und
Nichtdiskriminierung
in
demokratischen
und
offenen
Gesellschaften; sie würden lang anhaltende und unlösbare politische, rechtliche und ethische
Diskurse zur Folge haben, Misstrauen säen und Vertrauen abbauen. Vor dem Gesetz sind alle
Buerger gleich. Aber individuelle Entscheidungen aufgrund persönlicher Prioritätssetzungen für
soziales und mitmenschliches Engagement ist erwünscht und dessen Akzeptanz und Förderung
ordnungspolitische Pflicht. Man mag darüber denken, wie man will, wenn jemand post-morten
Organe spendet mit dem Hinweis ‚ausschließlich für Katholiken’ oder ‚bevorzugt für Katholiken,
danach für andere Christen’ oder ‚nur für Sunniten, nicht für Schiiten, nicht für Christen’ oder
‚nur für afroamerikanische US Bürger, nicht für kaukasische oder asiatische’ oder ‚bevorzugt für
Mitmenschen unter 30 Jahren’ oder ‚nicht für ehemalige Alkoholiker’ oder ‚nur für Frauen’; die
Listen lassen sich beliebig nach individuellen Werten und Wünschen modifizieren. Für das
Schenken oder Geben von eigenem Gewebe könnten ähnliche Regelungen gelten, die Spendern
oder Gebern mehr Motivation geben und Mitsprache sichern [3a]. Sie in die Verteilungskriterien
einzuordnen, sollte kein großes mathematisches Problem bei der Punktevergabe sein. In einer
Umfrage durch Kuensebeck und andere zur Frage ‚ich möchte den Verbleib meiner Organe selbst
bestimmen’ haben 50% der Befragten zugestimmt [5:173]. In den USA wird derzeit an der
Auswertung einer Studie der Health Resources and Services Administration zu 300.000 Akten
von Transplantation seit 1987 gearbeitet mit dem Ziel Effektivität und Risiko bezüglich der
Auswahl nach Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Gesundheit, Body Mass Index, Diagnose und
Dialysejahren zu ermitteln und danach gegebenenfalls Organe besser verteilen zu können.
Derzeit bekommen in den USA bereits Empfänger unter 18 Jahren Pluspunkte bei der Verteilung
15
[26:A8f]. Insgesamt sind solche Zuteilungen durch Staat, Verteiler oder Finanzierer ethisch
höchst bedenklich, werden zu unendlichen unlösbaren Kontroversen über Diskriminierung und
Benachteiligung führen und sollten unterbleiben, weil wir unserer Gesellschaft und ihren
Vertretern kein Recht einräumen sollten, wer wertvoller oder weniger wertvoll ist, wenn es um
Lebensrettung geht. Aber für Spender oder Geber ist eine solche individuell restriktive oder
bevorzugende ethische Entscheidung durchaus zu rechtfertigen. Gibt sie doch dem Geber ein
ethisches spezifischeres Motiv zu spenden oder zu geben, sowohl post-mortem wie auch unter
Lebenden.
Ein nicht selten vorkommendes Beispiel: Individuelles Risikoverhalten hat Konsequenzen,
auch der risikoreiche Umgang mit der eigenen Gesundheit. Alkoholiker schaden primär sich
selbst, indirekt aber auch der Gesellschaft und der solidarischen Versicherung gegen
Gesundheitsrisiken. Wenn jemand sich durch gesundheitsschädliches Verhalten beispielsweise
dem Risiko eines Leberschadens aussetzt und zum Überleben eine Lebertransplantation benötigt,
nimmt er diese in der normalen Priorität jemandem weg, der seine Gesundheit nicht auf gleiche
Weise diesem Risiko ausgesetzt hat. Es gibt also nicht nur medizinische Gründe, sondern auch
ethische, einem Alkoholiker eine geringere Priorität bei der Lebetransplantation zu geben. Veatch
argumentiert: ‚In addition to voluntarily engaging in risky behavior, one also knows that the
behavior will put others at risk for not getting a liver and nevertheless engages in it „deliberately
or negligently“, with „callous disregard for the well-being of whoever will not receive a liver”, if
the alcoholic receives it’ [26]. Es mag für die Solidargemeinschaft schwierig sein, ehemaligen
Alkoholikern einen Malus bei der Priorität zu geben, aber Spender haben jedes Recht, individuell
entsprechend ihren eigenen Werturteilen solche Prioritäten zu setzen.
Wer sich dem Risiko einer Explantation aussetzt, sollte zumindest bei einer Lebendspende
auch deren ethische Parameter bestimmen. Natürlich würde auch die post-mortem
Spendebereitschaft sich erhöhen, wenn man Menschen aus nahe stehenden ethischen oder
anderen Gruppen bevorzugt solidarisch behandeln will und ‚ethische Fremdlinge’ ausschließt
oder nur nachrangig in den Genuss der eigenen ethischen Spende kommen lassen will. Man mag
diese selektierenden und diskriminierenden Beweggründe der Spender oder Geber ethisch
kritisieren oder gar unethisch oder absurd finden; die Spender würden nur von ihrem Recht auf
freie Entscheidung für mündige Staatsbürger entsprechend ihrem grundgesetzlichen Rechten
Gebrauch machen und das sollte anerkannt und nicht diskriminiert werden. Rechtsstaaten und
Verteilungsinstitutionen sollten solche individuellen Werte und Wünsche für die Verteilung
16
rechtlich und organisatorisch unterstützen und möglich machen, in keinem Fall jedoch behindern.
Eine Verfassungsklage gegen die derzeit verbotene Organspende über einen engen Kreis von
Angehörigen hinaus müsste bei einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eine gute Chance
haben [9; 15].
4. NICHTALTRUISTISCHE REZIPROZITÄTSMODELLE
Wir haben bisher nicht vom Geld gesprochen oder vom Organhandel, auch nicht vom
Tauschen oder von den Gesetzen freier oder regulierter Märkte, sondern von solidarischen
Modellen bei denen der Altruismus und die Solidarität mit dem bedürftigen Mitmenschen einzig
ausschlaggebend sind. Veatch hat argumentiert, dass man mit diesen altruistischen Modellen in
einer relativ reichen und solidarischen Gesellschaft auskommt, wenn anfallende Kosten oder
andere unvorhersehbare Risiken durch die Gesellschaft großzügig kompensiert werden [25:157].
Alle vier Modelle haben ihre Vor- und Nachteile. Für die real existierenden Modelle wurden
einige davon aufgezählt, wobei vor allem der Mangel an aktiver Mit-Selektion des Spenders an
der Auswahl des Empfängers eine große Rolle spielt und ethische Entscheidungen und
Entschlüsse schwächt und behindert, ebenso die ethisch kaum zu rechtfertigende Einbebziehung
von Angehörigen bei vorliegender Entscheidung des möglichen Spenders. Nicht erwähnt wurde
bisher, dass diese so genannten altruistischen Modelle sich nicht nur dem Empfänger gegenüber,
sondern auch der Krankenversicherung des Empfängers gegenüber altruistisch verhalten. Dieser
finanzielle Vorteil der Versicherer ist bisher weder von den Kassen noch von der Gesundheitsund Ordnungspolitik noch Ethikern diskutiert worden. Der gesundes Menschenverstand dürfte
davon ausgehen, dass der Spender dem Empfänger ‚etwas Gutes tun’ will aus christlicher oder
humanitärer Nächstenliebe und Solidarität, dass er aber nicht die Absicht hat oder hatte, ein
geschäftliches Unternehmen, also eine Krankenkasse, von Kosten zu entlasten oder zu Gewinnen
zu verhelfen. Altruismus ist ein lobenswertes individualethisches Prinzip und eine seltene
Tugend; als ordnungsethisches Prinzip zur Regelung von Solidarität, Gerechtigkeit und Hilfe
dem Schwachen oder Sterbenden gegenüber taugt es ordnungspolitisch nicht.
Die vier nunmehr zu skizzierenden Reziprozitätsmodelle beruhen ethisch nicht mehr
ausschließlich auf dem Prinzip und der Tugend des Altruismus. Vielmehr sind es Austausch-,
Handels- und Dankbarkeitsmodelle, die ganz oder teilweise auf anderen Prinzipien als dem
Altruismus beruhen, aber durchaus differentialethisch sich mit ihm mischen können [6; 11; 12;
21; 22]. Es war schon erwähnt worden, dass alle anderen Stakeholder bei der Gewebe- und
17
Organtransplantation nicht nach dem Altruismusmodell, sondern nach unterschiedlichen Tauschund Handelsmodellen arbeiten, vom Verkauf von Tabletten bis hin zum Verkauf von
Dienstleistungen. Eine Polis-Umfrage von 2002 zur Frage der Finanzierung von Lebendspenden
hat für die Bevölkerungsgruppe zwischen 14 und 19 Jähren eine Zustimmung von 59%, für die
unter 35-Jaehrigen eine solche von 33%, insgesamt in der Bevölkerung jedoch nur etwa 20%
ergeben [5:172]; allerdings muss bei der Interpretation dieser Umfrage der geringe
Informationsstand der öffentlichen Diskussion berücksichtig werden. Warum sollen Geber von
Organen
nicht
nach
diesen
Prinzipien
handeln
dürfen?
Bevorzugungen
bestimmter
Personengruppen durch staatliche Gesetzgebung oder Verordnungen sind, wie erwähnt, nicht
unbekannt und auch mehr oder weniger ethisch begründbar. In der ethischen und medizinischen
Literatur zur Organtransplantation wird allerdings, wie schon erwähnt, die Befürchtung geäußert,
dass Reziprozitätsmodelle oder Anreizmodelle die Motivation zur altruistischen Spende
verringern oder gar verdrängen könnten [8; 5:172].
Sollte man nicht auch über Vorzugsbehandlung für Gewebe- und Organgeber innerhalb dieses
unsensationellen
ethischen
und
ordnungspolitischen
Rahmens
eines
gesellschaftlichen
Dankbarkeitsmodells nicht ebenfalls nachdenken? Ich habe das vor 10 Jahren einmal als ‚societal
gratuity model’ bezeichnet, das in der Lage sein könnte, dem schwarzen Markt des Organhandels
das Wasser abzugraben: ‚What might count as a societal gratuity to those who want to donate
organs for those in need? Excluding of course money, a list of compensation methods would
definitely have to include health benefits such as free and safe organ removal, many ears of
follow health care, highest priority on the list of potential recipients of organs based on the
principle of reciprocity, and life-long basic health care if such care is not provided to everyone.
Other societal expressions of gratuity might include services that are not generally available or
are intended for the rich only, such as education for the donor and/or family members and access
to loans, property sold by government, and jobs in high demand within a quota reserved for these
donors. Becoming a living donor would have to be a highly regulated process requiring a
physical examination, determination of competency for prudent and autonomous decision
making, and other social and personal requirements. In short, a national government would need
to install any safeguards deemed necessary to guarantee that decisions are made freely and out of
a sense of solidarity and benevolence. The political and moral community would then react to
such acts of benevolence and charity with its own gifts of gratuity and moral recognition’
18
[21:266f]. Ich will das im einzelnen an folgenden vier unterschiedlichem Gratuity- oder
Dankbarkeitsmodellen erläutern:
4.1. Vergütung künftiger Gesundheitskosten: Da der Geber von Gewebe und Organen
von sich aus freiwillig etwas gibt und dabei gewisse Risiken, Unsicherheiten und Kosten in kauf
nimmt, wäre es nur solidarisch und ethisch reziprok, wenn das entsprechend honoriert würde. Die
reziproke Gegenleistung könnte entweder innerhalb der Stakeholder des Gesundheitssystem
erfolgen oder durch die Gesellschaft insgesamt vertreten durch den Staat als Gesetz- und
Verordnungsgeber oder durch eine Mischung aus beiden. Beim jetzigen Stand der Dinge tragen
in den meisten Fällen Transplantation zu Kostensenkungen im Gesundheitswesen bei, natürlich
auch zu besserer Lebensqualität und Lebenserwartung. Beides sollte Anlass genug sein, nicht nur
aus ethischen Gründen sich solidarisch mit dem Geber zumindest in bezog auf die künftigen
Gesundheitskosten zu verhalten. Restriktiv wäre es, solche solidarische Dankbarkeit nur auf die
oft im Einzelfall schwierig zu ermittelnden direkten Folgekosten zu beschränken, - aber auch das
wäre schon ein erheblicher Fortschritt gemessen an der jetzigen unsolidarischen Regelung. Ich
würde
eher
für
eine
großzügigere
Regelung
der
Übernahme
sämtlicher
künftiger
Gesundheitskosten, ersatzweise eines festen hohen Prozentsatzes für andere Gesundheitskosten
und aller nachweislichen direkten Gesundheitskosten,
denken. Bei Propagierung der post-
mortem Regelung nach der Widerspruchslösung aus gesellschaftlicher Solidarität mit dem
Spender könnte zusätzlich als Ausdruck gesellschaftlicher Solidarität mit dem Spender angeboten
werden die Bestattungskosten oder einen festen Teil davon zu übernehmen. Ethisch akzeptabler
aber ist der Vorschlag von Broelsch [6], einen festen Betrag von etwa Euro 10,000 als Dank der
Gesellschaft an den Spender undiskutiert und fest in die Transplantationskosten einzuplanen und
es im übrigen dem Spender/Geber zu überlassen, wie dieses Geld (dessen Zahlung nur im Fall
einer tatsächlich erfolgenden Explantation gesichert wäre) verwendet oder gespendet werden soll.
Es stände der Solidargemeinschaft der Versicherten gut an, wenn sie sich zu einer
grundsätzlichen und großzügigen Übernahme aller oder vieler künftigen Gesundheitskosten des
Lebendspenders oder Gebers entschließen könnte und von Gesetz und Verordnung her dazu
ermuntert werden könnte. Diese großzügige Übernahme aller künftigen Gesundheitskosten ist
nicht zu verwechseln mit dem von Broelsch vorgeschlagenen Modell angesichts der unsicheren
Erstattungslage in der BRD die direkten und indirekten und anderweitig nicht gedeckten Kosten
der
Explantation
durch
eine
Risikopolice
abzusichern,
deren
Kosten
Teil
der
Transplantationskosten wäre [6]. Eine weitergehende Übernahme von Gesundheitskosten würde
19
auch die Familie und die solidarischen Pflichten und Kosten des Spenders innerhalb der eigenen
Familie
entlasten
und
die
Reziprozität
zwischen
Spender,
Familie
und
grösserer
Solidargemeinschaft deutlich machen. Zu dieser Art von reziproker Solidarität würde auch gut
passen, wenn nicht nur der Geber sondern auch die engeren Mitglieder seiner Familie in einem
Punktesytem bei der künftigen Organverteilung eine gestaffelte Bevorzugung
bekommen
würden, wobei der Geber eine selbstverständliche direkte und vordringliche Priorität erhalten
sollte. Für den Staat könnten sich hier interessante direkte oder indirekte ordnungspolitische
Weichenstellungen ergeben; Bagheri diskutiert solche ordnungspolitischen Möglichkeiten und
Risiken am Beispiel des iranischen Modells eines geregelten Marktes. Ein besonderes Problem
scheint die praktische Umsetzung von gerechten Modellen in die gesellschaftliche und klinische
Praxis zu sein. Deshalb sind Reziprozitätsmodelle, vor allem solche mit finanziellen Anreizen,
mit Erfolg primär in stabilen Rechtssystemen wie in der BRD durchführbar [1] .
4.2. Reziproke Dankbarkeit an die Familie des Gebers: Wenn der Geber oder Spender
sich außerhalb der Familie als solidarisch zeigt, dann kann er oder sie mit Recht fragen, was denn
für die eigene Familie als die primäre und engere Solidargemeinschaft dabei im Sinne eines
fairen Handelns und Verhandelns an Gegengaben aus Dankbarkeit und Anerkennung heraus
gegeben werden könnte. Infrage kämen hier vor allem Gegengaben aus dem engeren und schon
erwähnten Bereich der Gesundheitsfürsorge und -pflege. Großzügige Modelle würden sicher zu
einem nicht altruistischen, sondern solidarischen Reziprozitätsmodell führen, das faktisch den
Organmangel enorm reduzieren dürfte und zusätzlich als Nebeneffekt innerhalb der Gesellschaft
und bei den Stakeholdern im Gesundheitswesen eine praxisorientierte Diskussion über die
Prinzipien und die Tugenden von Solidarität, Empathie und gegenseitiger Fairness initiieren.
Die reziproke Dankbarkeit der Familie des Gebers gegenüber muss sich aber nicht
unbedingt auf solidarische Übernahme aller oder bestimmter Gesundheitskosten beschränken.
Jede familiäre Situation ist anders und damit auch der Bedarf nach solidarischen Hilfen außerhalb
der Familienbande. Dieser Bedarf kann in Kosten für die Aus- und Fortbildung des Gebers oder
von Mitgliedern der engeren Familie liegen, Bevorzugungen bei der Vergabe von Arbeitsplätzen
oder Arbeitserleichterungen zunächst für den Geber aber warum dann nicht auch für Mitglieder
der engeren Familie. Mehr noch als die dankbare Vergütung künftiger Gesundheitskosten des
Gebers durch Versicherungen oder andere Stakeholder im Gesundheitswesen würde dieses
Modell reziproker Dankbarkeit von einem Markt von Angebot und Nachfrage gestaltet werden
20
können, bei dem auch individuelle Bedürfnisse der Geber in einem kleinen übersichtlichen
Katalog von solidarischen Dankbarkeitsgaben einfließen könnten.
4.3. Dankbarkeitsmodelle organisiert durch Dritte: Schließlich wäre auch daran zu
denken, dass ethische oder karitative Organisationen den fairen Ausgleich und Handel mit
Geweben und Organen organisieren. Kirchen, freie Wohlfahrtsverbände oder zu diesem Zweck
zu gründende gemeinnützige Institutionen wären die idealen Partner für Dankbarkeitsmodelle,
wenn der Staat nicht selbst solidarische Prinzipien in der Gestaltung und Finanzierung von
Solidarität mit Gebern für sich realisieren will. Diese unabhängigen Organisationen müssten
innerhalb eines engen durch Gesetz und Verordnung bestimmten Rahmens für gerechte Formen
von Ausgleich, Tausch und Handel sorgen. Sie könnten sich durch Stiftungen, Zuwendungen von
Versicherungen oder anderen institutionellen Spendern, auch durch staatliche Zuschüsse
finanzieren und einen hochgeregelten Markt für Geber und Nachfrager gestalten.
Ideal wäre ein an Eurotransplant oder anderen Verteilungsinstitutionen sich orientierendes
zentrales Modell mit dezentralen Schwerpunkten und einer durch Punktevergabe an Geber und
Empfänger marktausgleichenden Verteilung. Es wäre kein Nachfragemarkt, auch kein
Anbietermarkt, sondern ein regulierter Markt, der flexibel zu einem fairen Ausgleich verpflichtet
wäre und bei dem die Prioritäten, Interessen und Bedürfnisse von Anbietern und Nachfragern
gleichermaßen sich ausgleichen sollten. Dieses Modell würde nichtfinanzielle Produkte,
Wertgutscheine and Anrechtsscheine in einer breiten Palette dem Geber anbieten und auf der
anderen Seite von Kostenträgern
einen fairen Tauschwert abverlangen innerhalb eines
Konkurrenzmodells.
4.4. Handeln und Tauschen in einem hoch regulierten Markt: Letztlich sollte noch ein
ausschließlich sich am Markt von Anbietern und Nachfragern orientierendes Modell nicht
vergessen werden. Dieses Modell müsste durch nationale Gesetzgebung hoch reguliert und
beaufsichtigt sein und würde sich verstehen als Konkurrenz vor allem zu einem nicht regulierten
oder gar immer noch existierenden schwarzen Markt. Harris und Erin schlagen für ein One-Payer
System, wie es das englische Gesundheitssystem [NHS] ist, schlicht und einfach die Beschaffung
einer genügend hohen Zahl von Geweben und Organen für die Transplantation durch ein OneBuyer System vor: nur der englische National Health Service soll Organe kaufen dürfen; der
Preis regelt sich nach Nachfrage und Angebot. Natürlich würden auch andere Kriterien bei dem
ansonsten nicht verordnungsarmen NHS hinzukommen, die sich vor allem mit dem Schutz
unvernünftiger Anbieter und den Kriterien für Vergabe befassen müssten [12].
21
Breyer und andere haben kürzlich für die Bundesrepublik vorgeschlagen ‚Spenderorgane
könnten zu staatlich festgelegten, nicht verhandelbaren Preisen entgolten werden, mit einem
Ankaufsmonopol des öffentlichen Gesundheitssystems’ [5:233]. Dieser Vorschlag bleibt jedoch
wegen der von Gesetzeswegen starren und nicht marktorientierten Preisbildung hinter dem von
Harris und Erin vorgeschlagenen flexiblen Marktmodell zurück. Wieso und zu welchem Preis ein
Organ bewertet werden soll oder darf, lässt sich nicht durch staatliche ‚nichtverhandelbare’
Festsetzungen bestimmen. Auch der Vorschlag von Friedman [11], einen festen Betrag
festzusetzen und die Verteilung durch eine neue Behörde verwalten und finanzieren zu lassen,
bleibt hinter dem ethisch gerechteren und transparenteren Vorschlag von Harris zurück. Wo
hoher Bedarf vorhanden ist, und wo Handel in jeder Form verboten und kriminalisiert ist, dort
werden Manipulatoren, Kriminelle und Betrüger illegale Wege finden, Nachfrage zu befriedigen.
Kriminelle werden das tun mit hohen Risikoprämien, so wie damals in den USA zur Zeit der
Prohibition illegal bei Alkoholhandel und -produktion; sie werden eine kriminelle Nebenwelt und
Schwarzmärkte mit allen damit zusammenhängenden Nachteilen für Anbieter und Nachfrager
aufbauen und ausbauen. Wenn nationale Gesetzgebungen und Regelungen die Verfügbarkeit von
Organen behindern oder nicht fördern, dann werden diese und andere Websites mehr Zulauf
bekommen: matchingdonors.com; joeneedsaliver.com; helpmygrandpa.com. Im Falle des
Organhandels hätten Schwarzmarkthändler sogar unter einseitiger und scheinheiliger Berufung
auf das Menschenrecht und Lebensrecht der Nachfrager eine höhere Scheinbegründung
vorzuweisen als im illegalen Alkohol- oder Drogenhandel. Bevorzugte Ziele für einen
Transplantationstourismus in Asien schließen Singapur, Vietnam und bis vor kurzem auch China
ein. Ethische Kritik gab und gibt es bezüglich der Herkunft der Organe, nicht so sehr wegen
schlechter oder zu teurer medizinischer Versorgung, die für die Spitzenhäuser im Gegenteil als
hervorragend und vielen anderen Zentren überlegen beschrieben werden [2].
5. REZIPROZITÄT, ALTRUISMUS, EGOISMUS UND FAIRER HANDEL
Altruismus und Egoismus sind natürlich vorkommende und kulturspezifisch ausgeprägte
extreme Prinzipien und Tugenden beziehungsweise Untugenden in allen Kulturen. Wie schon
erwähnt, sind beide sehr einseitige extreme für erfolgreiche Handlungen. Reziprozität, Handel,
Interessenausgleich,
Verteilungsklugheit
und
–gerechtigkeit
spielten
und
spielen
im
zwischenmenschlichen und im sozialen und wirtschaftlichen handeln eine viel grosse Rolle als
die einseitigen Prinzipien von Egoismus und Altruismus. Man versucht, extremen Egoismus
22
nicht nur ethisch sondern auch erzieherisch und gesetzlich zu verhindern; Altruismus dagegen,
nicht nur extremer, kann nicht reguliert oder gefordert werden; man kann ihn fördern, belobigen,
Urkunden verleihen oder für später in Not geratende edle Spender eine Dankbarkeitskasse
einrichten. Für unterschiedliche reziproke oder solidarische oder gewinnorientierte Märkte gibt es
jedoch unterschiedliche ordnungspolitische Steuerungsinstrumente und eine weite Skala von
Prinzipien und Tugenden zu ihrer Implementierung.
Ordnungsethische Herausforderungen: Es gibt, wie erwähnt, andere hochregulierte
Märkte, in der Medizin beispielsweise bei den placebokontrollierten Studien, auf deren Risiken
ich eingangs kurz hingewiesen habe, und Vorzugsbehandlungen bei Arbeitsplätzen oder für
universale Freifahrscheine für Abgeordnete, Kriegsveteranen oder Blinde. Erwarten wir von
Abgeordneten
oder
Kriegsveteranen
altruistische
Tugenden,
wie
das
deutsche
Transplantationsgesetz sie von Lebendspendern verlangen? Ich bin sicher, dass die nationale
Regulierung eines fairen Organhandels, die auch die Verweigerung der Teilnahme einiger
Anbieter einschließen würde, jeder Tabuisierung oder Nichtregulierung ethisch, medizinisch und
rechtlich überlegen ist. Sie ist wegen eines höheren Aufkommens auf der Anbieterseite auch
ethisch dem bisher praktizierten altruistischen Modell mit einer restriktiven Reziprozität
innerhalb der engeren Familie überlegen. Die vom Ethikrat vorgeschlagene erweiterte
Widerspruchslösung [3] ist ethisch kein Fortschritt gegenüber der geltenden erweiterten
Zustimmungslösung; beide widersprechen dem Prinzip freier Selbstbestimmung, solange
Verwandte post mortem die ‚Erklärung’ widerrufen können.
Reziprozitätsmodelle sind auch deswegen den altruistischen vorzuziehen, weil sie die häufig
berichteten Scham- und Schuldgefühle bei Empfängern [5:125f], vor allem nach Abstoßung des
gespendeten Organs, reduzieren können; man kann sich ja damit ‚trösten', dass der Spender oder
Geber irgendetwas auch als Gegengabe bekommen hat. Anders als bei der klinischen Prüfung,
bei der alle Stakeholder mit Ausnahme der Probanden oder Patienten auch finanzielle Vorteile
haben, dürften bei einem reinen Marktmodell finanzielle Anreize nicht ausgeschlossen werden.
Sie müssen auch gar nicht ausgeschlossen werden, wenn die Regulierung auf hohe Grade von
Fairness im Markt und den Schutz der Marktteilnehmer ein besonderes Gewicht legt. Das würde
zum Schutz der Gebers beispielsweise bedeuten, dass ein erheblicher Teil einer jeden finanziellen
Ausgleichs vorweg mit oder ohne Zustimmung des Anbieters für die Sicherung von zusätzlicher
Gesundheitsfinanzierung, Alterssicherung und andere grundlegende soziale Sicherungen
verwendet und nicht in bar ausgezahlt würde.
23
Eine konsequente, aber nicht unflexible Ordnungspolitik kann den Gewebe- und Organhandel
regulieren und kontrollieren. Danovitsch und Leichtman haben kürzlich das Handelsmodell als
trojanisches Pferd für die Transplantation bezeichnet; sie schätzten mit Matas den Marktwert
einer verkauften Niere in den USA für das Jahr 2004 auf etwa $90.000: ‚There is a lot at stake.
The altruistic impulses of living donors and the families of deceased donors are on the auction
block and risk being displaced by the uncertainties of an unfamiliar marketplace [8:1133].
Friedman, der den Marktwert auf etwa $40.000 beziffert, hat demgegenüber darauf hingewiesen,
dass bisherige Kampagnen, den Donor Pool zu erhöhen, wenig erfolgreich waren und dass
Bürger ein Recht darauf haben, in sinnvollen Marktmodellen sich als Geber und Empfänger zu
bewegen. [11]. Auch der Nationale Ethikrat stellt fest, ‚dass die Aufklärung der Bevölkerung und
öffentliche Appelle zur Organspende allein nicht zu einer ausreichenden Deckung des
Organbedarfs führen’[3:48], schlägt aber dann doch wieder nur eine neue Aufklärungskampagne
vor. Gerade auch zur Verhinderung von kriminellen Machenschaften und zur weiteren
Ermunterung von Gebewilligen sind deshalb staatliche Regulierungsbehörden, Gerichte und
Gesetzgeber aufgerufen, nicht in einer Vogelstraußpolitik zu beharren angesichts einiger
ungetesteter ethischer und rechtlicher Probleme auf der einen und angesichts einer hohen
ethischen und medizinischen berechtigten Forderung nach Geweben und Organen zur
Erleichterung und Verlängerung von Leben.
Im Zuge der Globalisierung wird auch immer wieder nach global vernetzten Märkten
gefragt und Angebot und Nachfrage gleichen sich immer mehr international aus. Wegen der
erheblichen ethischen Risiken und einer politischen und kulturellen Unsicherheit in der
Definition und Einhaltung von Reziprozität eignet sich selbst ein hochregulierter Markt für den
Organhandel international nicht. Nur nationale Gesetzgebung, Verordnung und Aufsicht kann das
nötige Vertrauen in die Einhaltung von Verträgen und Verantwortungen garantieren; nationale
Gesetz- und Verordnungsgeber müssen natürlich auch schnell auf möglichen der tatsächlichen
Missbrauch von bestehenden Regelungen reagieren können [2]. Deshalb bieten sich auch für
Schwellenländer wegen der enorm hohen Kosten der Dialyse vorsichtig eingeführte reziproke
Transplantationsmodelle in internen regulierten und kontrollierten Märkten an, wenn für die
Patienten die einzigen Alternativen der schwarze Markt oder der Tod wären. Bei derzeitig großen
Unterschieden in den Rechtskulturen eignen sich Reziprozitätsmodelle allerdings heute nicht für
einen internationalen Austausch. Es hat in der klinischen Forschung viele Jahrzehnte gebraucht,
bis es zu einigermaßen rechtssicheren und ethisch akzeptierbaren und kontrollierten
24
transnationalen Studien, vorzugsweise im europäischen Raum, gekommen ist. Ähnliche
Entwicklungen ließen sich in langer Frist auch nach einer erfolgreichen und von breitem
Vertrauen getragenen Lösung eines hochregulierten Marktes für Gewebe- und Organhandel nicht
ausschließen, beginnend mit Rechts-, Kultur- und Marktmodellen, die den bei uns geltenden
vergleichbarer sind als andere.
Wie sind gesellschaftlich umstrittene Fragestellungen wie die Lebendspende oder die
Diskussion um die Widerspruchs- oder Zustimmungslösung ordnungsethisch zu lösen angesichts
der Würde aller Mitmenschen und ihrer Rechte auf Selbstbestimmung? Ich denke, nur solche
Lösungen respektieren verfassungsgemäß Menschenwürde und Selbstbestimmung, die das
Gewissen in philosophisch entscheidenden Fragen inhaltlich nicht festlegen und die ihm
Freiraum für Erarbeitung, Erhärtung und Durchführung einer autonomen Entscheidung schaffen,
die mit den je individuellen Wert- und Glaubensvorstellungen vereinbar sind. Es geht auch um
den ordnungspolitischen Schutz unterschiedlicher individueller ethischer oder kultureller Werte,
Wünsche und Ängste bei den Fragen nach Bedingungen und Grenzen der Leiblichkeit des
Menschseins, nach dem Recht und der Grenze der Verfügbarkeit über den eigenen Leib und seine
Teile, nach dem optimalen Schutz von Gesundheit, Leib und Leben von Bürgern und nach dem
philosophischen, religiösen und ethischen Recht auf Selbstbestimmung bei der Vergabe oder
Akzeptanz von Geweben und Organen.
Was ist zu tun? Ethisch und ordnungsethisch sollten in der Bundesrepublik bei der
dringend erforderlichen Revision von Verordnungen und einem neuen Gewebe- und Organgesetz
im Interesse von Kranken und denen, die ihnen helfen, folgende zehn Thesen intensiv und
vordringlich diskutiert werden:
(1) Reziprozitätsmodelle, wie sie sonst überall üblich sind, sollten auch die Gewebe- und
Organgabe einschließen; Altruismus ist eine seltene und nicht einzufordernde Tugend.
(2) Zustimmung oder Ablehnung von Organspende oder –gabe ist eine zu respektierende
höchstpersönliche Angelegenheit auch innerhalb der Familie; deshalb sollten Zustimmungs- oder
Widerspruchslösungen keine Einsprüche Dritter zulassen, auch nicht aus dem Kreis der engeren
Familie.
(3) Nichteinwilligungsfähige dürfen in der Regel ethisch weder als Geber oder Spender
‚benutzt’ werden, sind aber selbstverständlich ohne Malus in die Verteilungsgerechtigkeit
einzubeziehen.
25
(4) Durch Transplantation eingesparte Kosten sollten auch Gebern, Spendern und ihren
Familien zugute kommen, bei der post-mortem Spende beispielsweise durch eine feste Summe
als Teil der Transplantationskosten.
(5) Handelspreise oder andere Vergütungen bei der Lebendgabe können durch ein stark
reguliertes und überwachtes Marktmodell ermittelt werden und sollten selbstverständlicher Teil
der Transplantationskosten sein.
(6) Mitbestimmung des Organgebers bei den Verteilungskriterien muss selbstverständlich
werden und wird Solidarität und Reziprozität und das Organaufkommen erhöhen.
(7) Wegen zusätzlicher ethischer und medizinischer Risiken bei der Lebendgabe sollten
Reziprozitätsmodelle bei der post-mortem Gabe so großzügig gestaltet werden, dass die
Lebendgabe von Organen so gering wie möglich gehalten werden kann..
(8) Staaten als Ordnungsgeber und Krankenversicherungen als ethische Marktteilnehmer haben
ein Mandat, gerechte und funktionierende Reziprozitätsmodelle zu entwickeln und zu realisieren.
(9) Es sollte alles getan werden, um dem ‚schwarzen Markt’ des Gewebe- und Organhandels
das Wasser abzugraben.
(10) Reine Werbungs- und Informationskampagnen haben in der Vergangenheit wenig
gebracht und werden vermutlich weiter erfolglos bleiben, wenn sich der ethische, kulturelle und
organisatorisch-finanzielle Rahmen nicht im Sinne von ansonsten allgemein üblichen
Reziprozitätsmodellen ändert.
Die ethische, medizinische und rechtliche Diskussion von Reziprozitätsmodellen in einem
staatlich und zwischenstaatlich geregelten Marktes für menschliche Organe kann viele
konzeptionelle und ethische Ungereimtheiten der heutigen ethisch wie medizinisch
unbefriedigenden Praxis und ihrer unzulänglichen argumentativen Verteidigung oder
Tabuisierung aufzählen und im Interesse Bedürftiger zu praxisnahen solidarischen Änderungen
führen. Deshalb sollten wir eine solche Diskussion führen und uns nicht vor ihr davonschleichen.
26
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27. Zarembo A: Age is a Troubling Question in Deciding Who Gets a Kidney. Wallstreet Journal
May 6, 2007, A7-A8
Zentrum für Medizinische Ethik
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Schwangerschaftsabbruch und Hirntodkriterien. 3. Aufl. Juni 1994.
Heft 90: Jakobs, Günther: Geschriebenes Recht und wirkliches Recht beim
Schwangerschaftsabbruch. März 1994.
Heft 91: Sass, Hans-Martin: Ethische und bioethische Herausforderungen molekulargenetischer
Prädiktion und Manipulation. 2. Aufl. Juni 1994.
Heft 92: Sass, Hans-Martin: Hippokratisches Ethos und Nachhippokratische Ethik. Juni 1994.
Heft 93: Koch, Hans-Georg; Sass, Hans-Martin; Meran, Johannes Gobertus: Patientenverfügung
und Stellvertretende Entscheidung in rechtlicher, medizinischer und ethischer Sicht. 3.
Auflage April 1996.
Heft 94: Fuchs, Christoph: Allokation der Mittel im Gesundheitswesen - Rationalisierung
versus Rationierung. Juni 1994.
Heft 95: Schroeder-Kurth, Traute: Das "Slippery Slope"- Argument in der Medizin und
Medizinethik. Dezember 1994.
Heft 96: Pohlmeier, Hermann: Selbstmordverhütung - Zur Ethik von Selbstbestimmung und
Fremdbestimmung. Dezember 1994.
Heft 97: Epplen, Jörg T.; Rieß, Angelika; Rieß, Olaf: DNA-Diagnostik in der Humangenetik:
Voraussetzungen und Tendenzen. März 1995.
Heft 98: Stotz, Gabriele: Theoretische und ethische Probleme der psychiatrischen Diagnose.
März 1995.
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Heft 100: Hinrichsen, Klaus V.; Sass, Hans-Martin: 10 Jahre Zentrum für Medizinische Ethik.
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Januar 1996.
Heft 106: Bauer, Axel: Braucht die Medizin Werte? Gedanken über die methodologischen
Probleme einer „Bioethik“. März 1996.
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Wertauffassungen. Juli 1996.
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der Integration von Medizinethik in die medizinische Aus- und Fortbildung. August
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und ihre Beurteilung aus medizinischer Sicht. August 1996.
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vorsorglicher Patientenverfügungen. Oktober 1997.
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September 1998.
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Falldiskussion für die praxisnahe Vermittlung von medizinethischer Kompetenz
(Ethikfähigkeit); Uhl, Andreas; Lensing; Claudia: Perspektiven und Gedanken zur
medizinethischen Ausbildung. August 1999.
Heft 122: Schmitz, Dagmar; Bauer, Axel W.: Evolutionäre Ethik und ihre Rolle bei der
Begründung einer zukünftigen Medizin- und Bioethik. März 2000.
Heft 123: Hartmann, Fritz: Chronisch Kranksein als Grenzlage für Kranke und ihre Ärzte. März
2000.
Heft 124: Baberg, Henning T.; Kielstein, Rita; Sass, Hans-Martin (Hg.): Der
Behandlungsverzicht im Blick des Bochumer Inventars zur medizinischen Ethik
(BIME). April 2000.
Heft 125: Spittler, Johann F.: Locked-in-Syndrom und Bewusstsein – in dubio pro vita. August
2000.
Heft 126: Ilkiliç, Ilhan: Das muslimische Glaubensverständnis von Tod, Gericht, Gottesgnaden
und deren Bedeutung für die Medizinethik. September 2000.
Heft 127: Maio, Giovanni: Ethik und die Theorie des "minimalen Risikos" in der medizinischen
Forschung. September 2000.
Heft 128: Zenz, Michael; Illhardt, Franz Josef: Ethik in der Schmerztherapie. November 2000.
Heft 129: Godel-Ehrhardt, Petra; May, Arnd T.: Kommunikation und Qualitätssicherung im
Betreuungsrecht – Ergebnisse einer Befragung zur Mailingliste [email protected]. März 2001.
Heft 130: Dabrock, Peter; Klinnert, Lars: Würde für verwaiste Embryonen? Ein Beitrag zur
ethischen Debatte um embryonale Stammzellen. Juli 2001.
Heft 131: Meyer, Frank P.: Ethik der Verantwortung. Verkommt »Evidence Based Medicine« zu
»Money Based Medicine«? März 2002.
Heft 132: Sass, Hans-Martin: Menschliche Ethik im Streit der Kulturen. März 2002.
Heft 133: Knoepffler, Nikolaus: Menschenwürde als Konsensprinzip für bioethische
Konfliktfälle in einer pluralistischen Gesellschaft. März 2002.
Heft 134: Quante, Michael: Präimplantationsdiagnostik, Stammzellforschung und
Menschenwürde. März 2002.
Heft 135: Köchy, Kristian: Philosophische Grundlagenreflexion in der Bioethik. März 2002.
Heft 136: Hengelbrock, Jürgen: Ideengeschichtliche Anmerkungen zu einer Ethik des Sterbens.
Juli 2002.
Heft 137: Schröder, Peter: Vom Sprechzimmer ins Internetcafé: Medizinische Informationen und
ärztliche Beratung im 21. Jahrhundert. Juli 2002.
Heft 138: Zühlsdorf, Michael T.; Kuhlmann, Jochen: Klinische und ethische Aspekte der
Pharmakogenetik. August 2002.
Heft 139: Frey, Christofer; Dabrock, Peter: Tun und Unterlassen beim klinischen
Entscheidungskonfliktfall. Perspektiven einer (nicht nur) theologischen Identitätsethik.
August 2002.
Heft 140: Meyer, Frank P.: Placeboanwendung – die ethischen Perspektiven. März 2003.
Heft 141: Putz, Wolfgang; Geißendörfer, Sylke; May, Arnd: Therapieentscheidung am
Lebensende - Ein "Fall" für das Vormundschaftsgericht? 2. Auflage August 2003.
Heft 142: Neumann, Herbert A.; Hellwig, Andreas: Ethische und praktische Überlegungen zur
Einführung der Diagnosis Related Groups für die Finanzierung der Krankenhäuser.
Januar 2003.
Heft 143: Hartmann, Fritz: Der Beitrag erfahrungsgesicherter Therapie (EBM) zu einer ärztlichen
Indikationen-Lehre. August 2003.
Heft 144: Strätling, Meinolfus; Sedemund-Adib, Beate; Bax, Sönke; Scharf, Volker Edwin;
Fieber, Ulrich; Schmucker, Peter: Entscheidungen am Lebensende in Deutschland.
Zivilrechtliche Rahmenbedingungen, disziplinübergreifende Operationalisierung und
transparente Umsetzung. August 2003.
Heft 145: Hartmann, Fritz: Kranke als Gehilfen ihrer Ärzte. 2. Auflage Dezember 2003.
Heft 146: Sass, Hans-Martin: Angewandte Ethik in der Pharmaforschung. Januar 2004.
Heft 147: Joung, Phillan: Ethische Probleme der selektiven Abtreibung: Die Diskussion in
Südkorea. Januar 2004.
Heft 148: May, Arnd T; Brandenburg, Birgitta: Einstellungen medizinischer Laien zu
Behandlungsverfügungen. Januar 2004.
Heft 149: Hartmann, Fritz: Sterbens-Kunde als ärztliche Menschen-Kunde. Was heißt: In Würde
sterben und Sterben-Lassen? Januar 2004.
Heft 150: Reiter-Theil, Stella: Ethische Probleme der Beihilfe zum Suizid. Die Situation in der
Schweiz im Lichte internationaler Perspektiven. Februar 2004.
Heft 151: Sass, Hans-Martin: Ambiguities in Biopolitics of Stem Cell Resarch for Therapy. März
2004.
Heft 152: Ilkilic, Ilhan: Gesundheitsverständnis und Gesundheitsmündigkeit in islamischen
Traditionen. 3. Auflage März 2005.
Heft 153: Omonzejele, Peter F.: African Concepts of Health, Disease and Treatment [A Future
for Traditional Medicines and Spiritual Healings? A Postscript on Peter F Omonzeleje
by Hans-Martin Sass]. April 2004.
Heft 154: Lohmann, Ulrich: Die neuere standesethische und medizinrechtliche Entwicklung in
Deutschland – Wandel des Menschenbildes? Mai 2004.
Heft 155: Friebel, Henning; Krause, Dieter; Lohmann, Georg und Meyer, Frank P.:
Verantwortungsethik. Interessenkonflikte um das Medikament - Wo steht das
Medikament? Juni 2004.
Heft 156: Kreß, Hartmut: Sterbehilfe - Geltung und Reichweite des Selbstbestimmungsrechts in
ethischer und rechtspolitischer Sicht.1. Auflage September 2004, 3. Auflage März
2005.
Heft 157: Fröhlich, Günter und Rogler, Gerhard: Das Regensburger Modell zur Ausbildung in
klinischer Ethik. Dezember 2004.
Heft 158: Ilkilic, Ilhan; Ince, Irfan und Pourgholam-Ernst, Azra: E-Health in muslimischen
Kulturen. Dezember 2004.
Heft 159: Lenk, Christian; Jakovljevic, Anna-Karina: Ethik und optimierende Eingriffe am
Menschen. 2.Auflage Februar 2005.
Heft 160: Ilkilic, Ilhan: Begegnung und Umgang mit muslimischen Patienten. Eine Handreichung
für die Gesundheitsberufe. 1. Auflage Juli 2003 (Tübingen), 5. Auflage April 2005.
Heft 161: Hartmann, Fritz: Vom Diktat der Menschenverachtung 1946 zur "Medizin ohne
Menschlichkeit" 1960; Zur frühen Wirkungsgeschichte des Nürnberger Ärzteprozesses.
1. Auflage Februar 2005, 2. Auflage März 2005.
Heft 162: Strätling, Meinolfus u.a.: Die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung in
Deutschland. Juni 2005.
Heft 163: Sass, Hans- Martin: Abwägungsprinzipien zum Cloning menschlicher Zellen. Januar
2006.
Heft 164: Vollmann, Jochen: Klinische Ethikkomitees und klinische Ethikberatung im
Krankenhaus. Ein Praxisleitfaden über Strukturen, Aufgaben, Modellen und
Implementierungsschritte. Januar 2006.
Heft 165: Sass, Hans- Martin: Medizinische Ethik bei Notstand, Krieg und Terror.
Verantwortungskulturen bei Triage, Endemien und Terror. Februar 2006.
Heft 166: Sass, Hans-Martin: Gesundheitskulturen im Internet. E-Health-Möglichkeiten,
Leistungen und Risiken. 1. Auflage Februar 2006, 2. Auflage März 2006.
Heft 167: May, Arnd T.; Kohnen, Tanja: Körpermodifikation durch Piercing: Normalität,
Subkultur oder Modetrend? Mai 2006
Heft 168: Anderweit, Sabine; Ilkilic, Ilhan; Meier-Allmendinger, Diana; Sass, Hans-Martin;
Cheng-tek Tai, Michael: Checklisten in der klinisch-ethischen Konsultation. Mai 2006
Heft 169: Kielstein, Rita; Kutzer, Klaus; May, Arnd; Sass, Hans-Martin: Die Patientenver-fügung
in der ärztlichen Praxis. April 2006
Heft 170: Brenscheidt, Juliane; May, Arnd T.; May, Burkard; Kohnen, Tanja; Roovers, Anna;
Sass, Hans-Martin: Zentrum für Medizinische Ethik Bochum 1986 – 2006.
Heft 171: Dabrock, Peter; Schröder, Peter: Public Health Gen-Ethik. 1. Auflage August 2006.
Heft 172: Berg, Michael: Lebensbeendende Behandlungsbegrenzung bei Wachkomapatienten
– „passiver Suizid“ im Spannungsfeld von pflegerischem Berufsethos und
Selbstbestimmungsrecht des Patienten am Beispiel des „Kiefersfeldener-Falles“
1. Auflage Oktober 2006
Heft 173: Hofheinz, Marco: Apokalyptik im biomedizinethischen Diskurs. Eine theologische
Analyse der aktuellen Debatte. Mai 2007
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ZUSAMMENFASSUNG
Die Begrenzung der Akzeptanz von Gewebe- und Organtransplantationen auf altruistische
Spendebereitschaft, teilweise zusätzlich noch mit Einspruchsrechten durch Angehörige belastet,
ist voller ethischer Risiken und widersprecht den ansonsten in allen Kulturen vorhandenen und
normativ begründbaren Prinzipien und Tugenden von Solidarität und Reziprozität im
persönlichen und beruflichen Leben, der Sorge für Hilfsbedürftige und der grundgesetzlich
verbürgten Selbstbestimmung. Modelle von Reziprozität im Schenken, Tauschen, Handeln als
praktizierte Solidarität in einem ordnungspolitischen Rahmen zum Schutz für Geber und
Empfänger tragen dazu bei, mehr Solidarität zu erlauben und den beklagenswerten Organmangel
zu verringern. Es werden insgesamt acht Reziprozitätsmodelle und ihre jeweiligen ethischen
Risiken, Unsicherheiten und Vorteile skizziert und ihre regulierte und kontrollierte Einführung in
vorsichtigen Schritten empfohlen.
ABSTRACT
To reduce tissue or organ transplantation solely on the principle of altruism is ethically risky
and conflicts with culturally well established normative principles and virtues of solidarity and
reciprocity in many areas of personal and professional life, in the care for the needy, and the civil
right to self-determination. Different models of reciprocity and the ethics of donating, trading,
exchanging and practical solidarity within the framework of moral and legal protection for
providers and recipients will allow for better solidarity and reciprocity and a reduction in the
unfortunate scarcity of needed organs. Eight different models of reciprocity and associated moral
risks, uncertainties and benefits are discussed and carefully controlled changes are recommended.
ISBN: 978-3-931993-55-9
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