Das Management psychologischer Verträge als HRM-Instrument zur Institutionalisierung von Ethik in Unternehmen Semesterarbeit am Institut für Strategie- und Unternehmensökonomik (ISU) Universität Zürich Lehrstuhl für Human Resource Management Prof. Dr. Bruno Staffelbach Betreuer: Martin Bannwart Fachgebiet: Betriebswirtschaftslehre I Fach: Human Resource Management (HRM) Verfasserin: Nicole Ziegler Holderbachweg 21a 8046 Zürich [email protected] Matrikelnummer: 01-715-481 Studienfächer: Arbeits- und Organisationspsychologie (Hauptfach), Betriebswirtschaftslehre (1. NF), Arbeitsrecht (2. NF) Abgabedatum: 18. Juli 2008 Abstract Unternehmen sind immer häufiger aufgefordert, neben der Verfolgung von Gewinnzielen auch soziale Verantwortung gegenüber vielfältigen Stakeholdern zu übernehmen. Die vorliegende Arbeit untersucht auf theoretischer Basis, welchen Beitrag das Management psychologischer Verträge, verstanden als Ethikmassnahme, an die Institutionalisierung von Ethik in Unternehmen liefert. Zwei Sichtweisen werden unterschieden: die Verantwortung „gegen innen“, gegenüber den Mitarbeitenden als internen Stakeholdern, und die Verantwortung „gegen aussen“, gegenüber externen Stakeholdern. Der Beitrag des Managements psychologischer Verträge an die Institutionalisierung von Ethik in Unternehmen besteht vor allem darin, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer fortwährend über gegenseitige Angebote und Erwartungen kommunizieren. Zudem wird aufgezeigt, wie das Management psychologischer Verträge konkret als HRM-Instrument konzipiert werden kann. Es wird vorgeschlagen, ein Online-Tool einzuführen, das Geschäftsleitung, Führungskräften und Mitarbeitenden eine Austauschplattform bezüglich ihrer Erwartungen und Angebote bietet. Nowadays, corporations are more frequently expected not only to pursuit the highest benefits possible, but also to adopt social responsibility towards various stakeholders. The present paper examines theoretically, how the management of the psychological contract, seen as an ethics measure, contributes to the institutionalization of ethics in businesses. Two perspectives are distinguished: the corporate responsibility “towards inside”, which considers the employees as internal stakeholders, and the corporate responsibility “towards outside”, which means towards the external stakeholders. The contribution of the management of psychological contracts to the institutionalization of ethics in businesses is mainly that it enables employer and employee to communicate continually about reciprocal offers and expectations. Moreover it is presented how the management of psychological contracts can be designed as a HRM tool. It is suggested to introduce an online tool which offers the top management, the line managers and the employees a platform to discuss their expectations and offers. I Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung .................................................................................................... 1 1.1. Ausgangslage ............................................................................................................1 1.2. Ziele und Kernfragen ................................................................................................2 1.3. Vorgehen ..................................................................................................................3 1.4. Abgrenzungen...........................................................................................................4 2. Das Konzept des psychologischen Vertrages ............................................ 5 2.1. Definition .................................................................................................................5 2.2. Entstehung und Veränderung psychologischer Verträge ............................................6 2.3. Inhalte psychologischer Verträge ..............................................................................8 2.4. Der „neue Deal“ zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ........................................9 2.5. Das Management psychologischer Verträge ............................................................ 11 3. Ethik in Unternehmen.............................................................................. 14 3.1. Ansätze und Betrachtungsebenen ............................................................................ 14 3.1.1. Makroebene: Wirtschaftsethik ......................................................................................... 15 3.1.2. Mesoebene: Unternehmensethik ...................................................................................... 16 3.1.3. Mikroebene: Individualethik ............................................................................................ 18 3.1.4. Abschliessende Bemerkungen.......................................................................................... 19 3.2. Institutionalisierung von Unternehmensethik .......................................................... 20 3.2.1. Verankerung ethischer Werte in der Unternehmenskultur: „Compliance“ vs. „Integrity“ .. 21 3.2.2. Verankerung ethischer Werte in der Unternehmensstruktur: Ethikmassnahmen und programme ...................................................................................................................... 23 3.2.3. Stakeholderdialog ............................................................................................................ 24 3.2.4. Die Rolle des HRM bei der Institutionalisierung von Unternehmensethik......................... 25 II 4. Der psychologische Vertrag aus einer unternehmensethischen Perspektive ............................................................................................... 27 4.1. Die soziale Verantwortung von Unternehmen ......................................................... 27 4.2. Verantwortung der Unternehmen „gegen innen“ ..................................................... 29 4.2.1. Pflichten des Unternehmens gegenüber den Mitarbeitenden ............................................. 29 4.2.2. Wahrnehmung sozialer Verantwortung gegenüber den Mitarbeitenden ............................ 31 4.3. Verantwortung der Unternehmen „gegen aussen“ ................................................... 33 4.3.1. Ausgestaltung einer Ethikkomponente im psychologischen Vertrag ................................. 34 4.3.2. Wahrnehmung sozialer Verantwortung gegenüber den externen Stakeholdern.................. 35 4.4. Das Management psychologischer Verträge als HRM-Instrument ........................... 36 4.4.1. Konzeption als Online-Tool ............................................................................................. 37 4.4.2. Anwendung in verschiedenen HR-Bereichen ................................................................... 38 5. Diskussion ................................................................................................. 41 5.1. Beantwortung der Kernfragen ................................................................................. 41 5.2. Zusammenfassung ..................................................................................................43 5.3. Kritische Würdigung und Ausblick ......................................................................... 45 6. Literaturverzeichnis ................................................................................. 48 III Abbildungs- und Tabellenverzeichnis Abb. 1: Die vier Hauptkomponenten psychologischer Verträge ........................................... 6 Abb. 2: Die vier Stufen psychologischer Vertragsbildung.................................................... 7 Abb. 3: Ebenen der wirtschaftsethischen Verantwortung ................................................... 15 Abb. 4 Möglichkeiten der Institutionalisierung von Ethik in Unternehmen ....................... 21 Abb. 5 Wahrnehmung von Verantwortung „gegen innen“ mittels Management der .......... 28 psychologischen Verträge Abb. 6 Wahrnehmung von Verantwortung „gegen aussen“ mittels Management der ........ 28 psychologischen Verträge Tab. 1 Traditioneller vs. neuer psychologischer Vertrag .................................................. 10 IV Abkürzungsverzeichnis Abb. Abbildung Anm. d. Verf. Anmerkung der Verfasserin bzw. beziehungsweise CSR Corporate Social Responsibility d.h. das heisst EAV Einzelarbeitsvertrag Ed. Editor Eds. Editors et al. et alii GAV Gesamtarbeitsvertrag HR Human Resources HRM Human Resource Management Hrsg. Herausgeber No. Number pp. pages S. Seite SGP Schweizerische Gesellschaft für Personalfragen Sp. Spalten Übers. d. Verf. Übersetzung der Verfasserin usw. und so weiter vgl. vergleiche vs. versus VSB Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken VSKP Verein Schweizerische Kurse für Personalmanagement z.B. zum Beispiel zit. zitiert V 1 1. Einleitung 1.1. Ausgangslage Unternehmen sind dem Gewinnprinzip unterworfen. Um im Wettbewerb bestehen zu können, muss die Unternehmensführung die richtigen strategischen Entscheide treffen und sich klar am Markt positionieren. Immer häufiger wird aber der Ruf laut, dass Unternehmen auch soziale Verantwortung übernehmen sollen: für die Umwelt, die Gesellschaft, ihre Kunden, Mitarbeitenden usw. Sie sollen nicht nur im Sinne des Shareholder Value ihren Eigentümern dienen. Kaum ein Unternehmen kommt darum herum, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie es mit den Ansprüchen unterschiedlicher Stakeholdergruppen (zum StakeholderKonzept vgl. z.B. Donaldson & Preston, 1995) umgehen soll. Eine der wichtigsten Stakeholdergruppen eines Unternehmens ist diejenige der Mitarbeitenden (vgl. z.B. Staffelbach, 1991, zit. nach Wittmann, 1997). Im heutigen, durch intensiven Wettbewerb geprägten Marktumfeld stellen sie eine zentrale Ressource dar, anhand derer ein Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten geschaffen werden kann (vgl. Wittmann, 1997). Mitarbeitende sind ökonomisch betrachtet ein Mittel zum Zweck, „Humanressourcen“, die, analog zu den anderen Produktionsfaktoren (Kapital, Rohstoffe usw.), zur Erreichung der Unternehmensziele beitragen sollen (vgl. Göbel, 2003). Sie unterscheiden sich aber massgeblich von anderen Produktionsfaktoren, da sie einen Selbstwert und einen eigenen Willen haben (vgl. Wittmann, 1997). Sie verfügen über einen psychologischen Vertrag mit dem Unternehmen, für das sie arbeiten. Psychologische Verträge beinhalten die Wahrnehmung von gegenseitigen Erwartungen und Angeboten der beiden Parteien Arbeitnehmer und Arbeitgeber und sind oft implizit, d.h. unbewusst oder stillschweigend (z.B. Raeder & Grote, 2001). Sie bestehen unabhängig davon, ob ein Unternehmen mit seinen Mitarbeitenden darüber redet oder verhandelt. So erwarten Mitarbeitende vom arbeitgebenden Unternehmen z.B. eine faire Bezahlung, interessante Tätigkeiten und Unterstützung für die Weiterentwicklung ihrer Kompetenzen und Loyalität. Arbeitgeber erwarten von ihren Mitarbeitenden im Gegenzug z.B. Leistung, Flexibilität und Identifikation mit dem Unternehmen (vgl. z.B. von Cranach, 2005; Raeder & Grote, 2001). Einige Autoren setzten sich bereits mit der Fragestellung auseinander, wie sich das Konzept des psychologischen Vertrages in eine unternehmensethische Perspektive einfügt (z.B. Sims, 1991; Van Buren III, 2000; von Cranach, 2005; Thompson & Hart, 2006; Wittmann, 2006). Mit der vorliegenden Arbeit soll ein weiterer Anknüpfungspunkt von Unter- 2 nehmensethik und psychologischen Verträgen unternommen werden, indem untersucht wird, wie das Management psychologischer Verträge, als HRM-Instrument konzipiert, zur Institutionalisierung ethischen Verhaltens in Unternehmen beitragen kann. Diese Vorgehensweise wird im nächsten Abschnitt erläutert und begründet. 1.2. Ziele und Kernfragen In der vorliegenden Arbeit werden psychologische Verträge aus einer unternehmensethischen Perspektive betrachtet. Dabei soll untersucht werden, welchen Beitrag das aktive Management psychologischer Verträge durch das HRM, im Sinne einer Ethikmassnahme, an die Umsetzung von Ethik in Unternehmen leisten kann. Es werden zwei grundlegende Sichtweisen aufgezeigt: Einerseits sind Mitarbeitende Stakeholder des Unternehmens, für das sie arbeiten. Sie haben Ansprüche und Bedürfnisse (Erwartungen aus dem psychologischen Vertrag), die, falls sie vernünftig sind und das Unternehmen die Ressourcen dazu hat, möglichst befriedigt werden sollten (vgl. Van Buren III, 2000). Ansonsten sollte den Mitarbeitenden zumindest plausibel aufgezeigt werden, weshalb bestimmte Erwartungen nicht erfüllt werden können. Psychologische Verträge sollen demnach möglichst fair bzw. tragfähig sein (vgl. Raeder & Grote, 2004). Diese erste Sichtweise thematisiert die Verantwortung des Unternehmens gegenüber den Mitarbeitenden und wird nachfolgend als Verantwortung gegen innen1 bezeichnet. Andererseits sind Mitarbeitende aber auch Agenten des Unternehmens. Sie prägen die Unternehmenskultur und vertreten die Werte eines Unternehmens gegen aussen, gegenüber anderen Stakeholdern (z.B. Kunden, Eigentümer, Lieferanten, der Gesellschaft als Ganzes). Sie machen ein Unternehmen letztendlich aus. In dieser zweiten Sichtweise können psychologische Verträge dazu dienen, den Mitarbeitenden die Erwartungen des Unternehmens bezüglich ethischen Verhaltens aufzuzeigen, einzufordern, und veränderte Anforderungen zu thematisieren. Die Erwartungen des Unternehmens bezüglich des ethischen Verhaltens der Mitarbeitenden können verglichen werden mit dem, was die Mitarbeitenden in diesem Bereich zu bieten bereit sind. Dabei wird dem psychologischen Vertrag, wie von Sims (1991) vorgeschlagen, eine eigentliche Ethikkomponente beigefügt. Diese zweite Sichtweise wird nachfolgend als Verantwortung gegen aussen bezeichnet. 1 Es ist zu beachten, dass die Eigentümer eines Unternehmens auch als interne Stakeholder angesehen werden können (vgl. z.B. Thommen, 2003). In dieser Arbeit werden aber nur die Mitarbeitenden eines Unternehmens als interne Stakeholder bezeichnet. 3 In beiden Sichtweisen spielt das HRM eine tragende Rolle. Die Adressaten des HRM sind die Mitarbeitenden, und diese stehen im Mittelpunkt beider Perspektiven. Das HRM hat das Potenzial, als Mittler zwischen dem Unternehmen und den Mitarbeitenden zu wirken, indem es das Management des psychologischen Vertrages der beiden Parteien übernimmt. Die Kernfragen der vorliegenden Arbeit lauten somit: 1) Wie trägt das Management der psychologischen Verträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Institutionalisierung von Ethik in Unternehmen bei? 2) Wie kann das Management psychologischer Verträge konkret als HRM-Instrument zur Institutionalisierung von Ethik in Unternehmen konzipiert werden? 1.3. Vorgehen Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit werden die Grundlagen für die Behandlung der Kernfragen erarbeitet, indem das Konzept des psychologischen Vertrages (Kapitel 2) und die Thematik Ethik in Unternehmen (Kapitel 3) dargestellt werden. Es wird ausgeführt, was psychologische Verträge sind, wie sie entstehen und welchen Veränderungen sie unterliegen. Des Weiteren werden die Inhalte im psychologischen Vertrag, insbesondere auch der „neue Deal“ zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, und das Management psychologischer Verträge erläutert. Im Kapitel 3 zur Thematik Ethik in Unternehmen werden drei Ebenen der wirtschaftsethischen Verantwortung unterschieden (Mikro-, Meso- und Makroebene). Zudem wird erläutert, wie Ethik in Unternehmen institutionalisiert werden kann, indem die Verankerung ethischer Werte in Unternehmenskultur und -struktur und der Stakeholderdialog thematisiert werden. Im zweiten Teil dieser Arbeit wird der psychologische Vertrag aus einer unternehmensethischen Perspektive betrachtet. Dabei wird thematisiert, wie Unternehmen mit Hilfe des Managements psychologischer Verträge Verantwortung „gegen innen“ (gegenüber den Mitarbeitenden) und „gegen aussen“ (gegenüber den externen Stakeholdern) wahrnehmen können. Zudem wird erläutert, wie das Management psychologischer Verträge konkret als HRMInstrument zur Umsetzung ethischen Verhaltens institutionalisiert werden kann. Abschliessend erfolgt eine kritische Diskussion der theoretisch erlangten Erkenntnisse zur Thematik. Die Arbeit basiert auf theoretischen Überlegungen und Literaturstudium und beinhaltet keinerlei empirische Forschung. 4 1.4. Abgrenzungen Unternehmensethik ist ein weitläufiges Themengebiet mit vielen verschiedenen Facetten. Grundlegend wird die Individual- von der Institutionenethik unterschieden (vgl. z.B. Göbel, 2003). Auf der Ebene der Institutionenethik können wiederum die Wirtschaftsethik („Ordnungsverantwortung von Unternehmen“, vgl. z.B. Homann, 2004) und die Unternehmensethik (z.B. Löhr, 2004) voneinander abgegrenzt werden. Diese Betrachtungsebenen werden in Kapitel 3 als Mikro- (Individualethik), Meso- (Unternehmensethik) und Makroebene (Wirtschaftsethik) dargestellt. In dieser Arbeit stehen der Mitarbeitende und sein psychologischer Vertrag mit dem arbeitgebenden Unternehmen im Mittelpunkt, jedoch auf Ebene der Unternehmensethik. Deshalb wird der theoretischen Untersuchung dieser Arbeit die Institutionenethik zugrunde gelegt, welche die Förderung ethischen Verhaltens durch Unternehmen bzw. Institutionen zum Gegenstand hat. Zuerst geht es um die Verantwortung des Unternehmens gegenüber seinen Mitarbeitenden („Verantwortung gegen innen“). In der zweiten Sichtweise geht es nicht um die moralische Gesinnung und Verantwortung einzelner Mitarbeitender, sondern darum, wie diese vom Unternehmen aktiviert werden zur Umsetzung von Ethik bzw. Wahrnehmung sozialer Verantwortung gegenüber den externen Stakeholdern („Verantwortung gegen aussen“). Zudem wird nicht die Notwendigkeit ethischen Verhaltens von Unternehmen an sich thematisiert - diese wird als gegeben erachtet - sondern die Frage, wie solches Verhalten institutionalisiert werden kann. Das Management psychologischer Verträge wird in dieser Hinsicht als eine mögliche Ethikmassnahme verstanden. 5 2. Das Konzept des psychologischen Vertrages 2.1. Definition Guest und Conway (2002) definieren den psychologischen Vertrag in Anlehnung an Herriot und Pemberton (1997) als „the perceptions of both parties to the employment relationship - organisation and individual - of the reciprocal promises and obligations implied in that relationship“ (S. 22). Während einige Forscher (z.B. Guest und Conway, 2002; Rousseau, 1989) die Begriffe „Versprechen“ und „Verpflichtungen“ verwenden, bezeichnen andere die Inhalte psychologischer Verträge als „Angebote“ und „Erwartungen“ (z.B. Herriot & Pemberton, 1997; Raeder & Grote, 2001). Die Begriffe „Angebote“ und „Erwartungen“ sind weniger juristisch geprägt als etwa die Bezeichnung „Verpflichtung“ (vgl. Raeder, 2007b). Da psychologische Verträge im Gegensatz zu juristischen, schriftlich abgefassten und damit expliziten Arbeitsverträgen meist impliziter Natur sind und daraus keine verbindlichen Pflichten abgeleitet werden können, bieten sich diese Bezeichnungen an (Raeder, 2007b) und werden auch in der vorliegenden Arbeit verwendet. Auch bezüglich der Parteien im psychologischen Vertrag besteht Uneinigkeit. So argumentiert Rousseau (1989), durch deren Arbeit das Konzept des psychologischen Vertrages erst grössere Beachtung erlangte (vgl. Roehling, 1997), dass sich psychologische Verträge nur auf Individuen und nicht auf Unternehmen als abstrakte Gebilde beziehen können. Andere Autoren gehen davon aus, dass auch Unternehmen einen psychologischen Vertrag ausbilden können (z.B. Schein, 1965, zit. nach Roehling, 1997; Raeder & Grote, 2001; Guest & Conway, 2002; Tekleab & Taylor, 2003). Sie betonen die Gegenseitigkeit der ArbeitgeberArbeitnehmer-Beziehung und die Wichtigkeit, Erwartungen und Angebote beider Parteien zu berücksichtigen. In dieser Arbeit wird von der zweiten Annahme ausgegangen, welche beinhaltet, dass sowohl die Mitarbeitenden als auch Unternehmen über einen psychologischen Vertrag verfügen. Psychologische Verträge beinhalten demnach vier Hauptkomponenten (vgl. Abb. 1): die Erwartungen des Mitarbeitenden mit den dazugehörigen Angeboten des Unternehmens und die Erwartungen des Unternehmens mit den dazugehörigen Angeboten des Mitarbeitenden (z.B. Raeder, 2007b). Stimmen die Erwartungen der einen Partei mit den Angeboten der an- 6 deren Partei überein, wird von Vertragserfüllung bzw. einem fairen psychologischen Vertrag gesprochen (z.B. Raeder, 2007b). Demgegenüber wird von Vertragsbruch bzw. -verletzung2 gesprochen, wenn die Erwartungen einer Partei nicht eingehalten wurden. Erwartungen des Mitarbeitenden Angebote des Unternehmens Erwartungen des Unternehmens Angebote des Mitarbeitenden Abb. 1: Die vier Hauptkomponenten psychologischer Verträge 2.2. Entstehung und Veränderung psychologischer Verträge Psychologische Verträge entstehen meist vor Eingehen eines Arbeitsverhältnisses, etwa während des Rekrutierungsprozesses (vgl. z.B. Robinson & Morrison, 2000). HRVerantwortliche und Linienführungskräfte repräsentieren das Unternehmen, zeigen potenziellen Mitarbeitenden auf, was das Unternehmen ihnen bieten kann und was es im Gegenzug von ihnen erwartet, stellen Karrieremöglichkeiten in Aussicht usw. Nicht nur das Unternehmen macht explizite und implizite Versprechen, sondern auch der Mitarbeitende (vgl. Conway & Briner, 2005). Wichtig ist allerdings nicht, was tatsächlich versprochen wurde, sondern was von beiden Vertragsparteien als versprochen wahrgenommen wird (Conway & Briner, 2005). Psychologische Verträge sind keine statischen Gebilde, sie können sich während eines Arbeitsverhältnisses verändern (Levinson, Price, Munden, Mandl & Solley, 1962, zit. nach Roehling, 1997). Diese Veränderungen sind auch im Modell psychologischer Vertragsbildung von Herriot und Pemberton (1997), welches nachfolgend erläutert wird (vgl. Abb. 2), vorgesehen. 2 Morrison und Robinson (1997, zit. nach Conway & Briner, 2005) unterscheiden Vertragsbruch („breach“) von Vertragsverletzung („violation“). Demnach beschreibt der Vertragsbruch die Diskrepanz zwischen Erwartungen und Angeboten, während die Vertragsverletzung die emotionalen Reaktionen (Ärger, Enttäuschung usw.) auf den Vertragsbruch beinhaltet. 7 Während die Inhalte psychologischer Verträge je nach Kontext (Unternehmen, Branche usw.) variieren, läuft der Prozess der Vertragsbildung gemäss Herriot und Pemberton (1997) immer ähnlich ab. Das wirtschaftliche Umfeld beeinflusst die Erwartungen und Angebote der Organisation (bzw. des Unternehmens), während das soziale Umfeld die Erwartungen und Angebote der Person beeinflussen. Einflussfaktoren auf Seiten der Organisation hängen somit stark davon ab, wie sich das Marktumfeld präsentiert. So fordert ein Unternehmen von Mitarbeitenden Kompetenzen, die es ihm erlaubt, sich am Markt gut zu positionieren. Diese Forderungen fallen tendenziell höher aus, wenn das wirtschaftliche Umfeld ungünstig ist für die Arbeitnehmer, beispielsweise in einer Rezession, und die Organisation daher über mehr Arbeitsmarktmacht verfügt (vgl. Herriot & Pemberton, 1997). Schein (1965, zit. nach Roehling, 1997) nennt Einflussfaktoren auf die Erwartungen der Mitarbeitenden wie z.B. eigene innere Bedürfnisse, Beobachten des Verhaltens der Organisation gegenüber anderen Personen (z.B. Arbeitskollegen), Traditionen und Normen, eigene Erfahrungen in der Vergangenheit usw. So können Mitarbeitende aufgrund einer bestimmten Leistung ihrerseits eine besondere Anerkennung durch das arbeitgebende Unternehmen erwarten, da sie dieses Verhalten schon gegenüber Arbeitskollegen beobachtet haben. Abb. 2: Die vier Stufen psychologischer Vertragsbildung (Herriot & Pemberton, 1997; Darstellung von Raeder, 2007a, S. 296) Herriot und Pemberton schlagen in ihrem Modell der psychologischen Vertragsbildung vier Schritte vor: Erstens sollen sich die beiden Parteien gegenseitig über ihre Erwartungen und 8 Angebote informieren. Zweitens soll über die Angebote verhandelt werden. Drittens sollen sich sowohl die Organisation als auch der betreffende Mitarbeitende darüber klar werden, ob sich ihre Erwartungen verändert haben und überprüfen, ob der psychologische Vertrag (d.h. die in Schritt 2 ausgehandelten gegenseitigen Angebote) eingehalten wurde. Viertens wird entweder neu über die gegenseitigen Angebote verhandelt oder aus dem Vertrag ausgestiegen, was bedeutet, dass die Organisation dem Mitarbeitenden kündigt oder dieser die Organisation verlässt. Für Herriot und Pemberton stellt Kommunikation das zentrale Element im Vertragsbildungsprozess dar. Der Prozess kann von vorne beginnen, wenn sich im wirtschaftlichen und sozialen Umfeld genügend grosse Veränderungen zutragen (Howard & Bray, 1988, zit. nach Herriot & Pemberton, 1997). Das Modell setzt voraus, dass jede Vertragspartei sich zumindest teilweise bewusst ist, was sie von der anderen Partei erwartet und was sie ihrerseits anzubieten bereit ist. So kann sichergestellt werden, dass jede Partei von der anderen weiss, was sie vom Vertragspartner erwarten kann und was dieser von ihr erwartet und zu bieten bereit ist (Herriot & Pemberton, 1997). 2.3. Inhalte psychologischer Verträge Es gibt eine Vielzahl denkbarer Inhalte von psychologischen Verträgen. Levinson et al. (1962, zit. nach Roehling, 1997) unterscheiden bewusste und unbewusste Erwartungen auf Seiten der Mitarbeitenden (vgl. Roehling, 1997). Unbewusste Erwartungen sind z.B. die Fürsorge des Arbeitgebers, während die Leistung bei der Arbeit, der Gebrauch spezifischer Fähigkeiten, soziale Beziehungen am Arbeitsplatz, Arbeitsplatzsicherheit und Entlöhnung zu den bewussten Erwartungen zählen (vgl. Roehling, 1997). Eine andere Kategorisierung von Inhalten betrifft die Unterscheidung von transaktional und relational geprägten psychologischen Verträgen (vgl. z.B. Raja, Johns & Ntalianis, 2004; Conway & Briner, 2005). Thompson und Bunderson (2003, zit. nach Thompson & Hart, 2006) schlagen einen dritten Vertragstyp, ideologisch geprägte psychologische Verträge, vor. Psychologische Verträge mit vorwiegend transaktionalen Inhalten sind oft kurzfristig ausgerichtet, haben einen klar materialistischen Fokus (Arbeit gegen Bezahlung) und sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer sind wenig interessiert an einer gegenseitigen Beziehung. Relational geprägte psychologische Verträge haben einen langfristigen Zeithorizont und beinhalten neben materialistischen Inhalten auch Erwartungen wie Sicherheit (gegen Loyalität) und Karrieremöglichkeiten (vgl. Raja, Johns & Ntalianis, 2004). Arbeitsverhältnisse, wo psychologische Verträge vorwiegend ideologische Inhalte aufweisen, zeichnen sich dadurch aus, dass Mitarbeitende denken, dass sie vor allem durch das ideologische Ziel an das Unter- 9 nehmen gebunden sind. Sie erwarten vom Unternehmen, dass es direkt zur Erreichung dieses Ziels beiträgt (z.B. Schutz der Umwelt). Gleichzeitig sind die Mitarbeitenden ihrerseits bereit, sich für dieses Ziel einzusetzen (Thompson & Bunderson, 2003, zit. nach Thompson & Hart, 2006). Wird ein solcher psychologischer Vertrag verletzt, sind gravierendere negative Folgen zu erwarten als bei den anderen beiden Vertragstypen, da der gemeinsame Einsatz für das definierte ideologische Ziel zu einer stärkeren Verpflichtung führt (Thompson & Hart, 2006). Erwartungen und Angebote variieren zwischen verschiedenen Mitarbeitenden, aber auch zwischen Mitarbeitenden und arbeitgebender Organisation (Herriot & Pemberton, 1997). Die Erwartungen der Mitarbeitenden variieren tendenziell mehr als die Erwartungen der arbeitgebenden Organisation (Guest, 1998). So ist es gemäss Millward und Brewerton (2000) wahrscheinlich, dass unter dem heutigen wirtschaftlichen Klima Unternehmen von ihren Mitarbeitenden vor allem Leistung, Flexibilität und die Fähigkeit, sich Veränderungen schnell und effektiv anzupassen erwarten, während die Erwartungen der Mitarbeitenden sehr unterschiedlich und subjektiv sein können. Schein (1993, zit. nach Millward & Brewerton, 2000) schlägt acht Kategorien von sogenannten Karriereankern bzw. Arbeitswert-Kategorien vor: Sicherheit; Autonomie und Unabhängigkeit; Technik/Funktionalität; Führung; Unternehmertum; Einsatz und Engagement; Herausforderung; Integration des Lebensstils. Die Kategorisierung nach Schein impliziert wiederum, dass die Bedürfnisse bzw. die Erwartungen der Mitarbeitenden an ihren Arbeitgeber sehr vielfältig sind. 2.4. Der „neue Deal“ zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Im Zuge der Arbeitsflexibilisierung verändern sich auch die psychologischen Verträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (z.B. Millward & Brewerton, 2000; Raeder & Grote, 2001). Betont die traditionelle Sichtweise des psychologischen Vertrages noch Inhalte wie Arbeitsplatzsicherheit, lebenslange Beschäftigung und gegenseitige Loyalität und Identifikation, umfasst der „neue Deal“ Eigenverantwortung für Beschäftigung und Entwicklung, eine starke Ziel- und Leistungsorientierung und Flexibilität (Raeder & Grote, 2001). Millward und Brewerton (2000) stellen dem traditionellen psychologischen Vertrag bzw. dem „alten Deal“ einen neuen psychologischen Vertrag bzw. einen „neuen Deal“ gegenüber (vgl. Tab. 1). 10 Tab. 1: Traditioneller vs. neuer psychologischer Vertrag (Darstellung nach Millward & Brewerton, 2000, S. 6) „Alter Deal“ „Neuer Deal“ $ langfristige Sicherheit keine Sicherheit faire Bezahlung für gute Leistung hohe Bezahlung für hohe Leistung strukturiertes, vorhersehbares Arbeits- flexibles und unklares Arbeitsszenario szenario Karrieremanagement erfolgt durch die Orga- Eigenverantwortung des Mitarbeitenden für nisation Karrieremanagement Organisation vergütet aufgrund Arbeitszeit Organisation vergütet aufgrund Leistung und und Bemühungen Resultaten Einkommen abhängig von Erfahrung/Status Einkommen abhängig von Leistung Beförderung in Aussicht gestellt und unter- „Wie du mir so ich dir“-Mentalität stützt für „extra Aufwand“ gegenseitiges Vertrauen und Ineinander- wenig Vertrauen und viel Zynismus Investieren Der „alte Deal“ zeichnet sich gemäss Millward und Brewerton (2000) durch langfristige Sicherheit, faire Bezahlung für gute Leistung, ein strukturiertes und vorhersehbares Arbeitsszenario, Karrieremanagement durch die Organisation, Vergütung aufgrund Arbeitszeit und Bemühungen, von Erfahrung und Status abhängigem Einkommen, Beförderung für einen „extra Aufwand“ und gegenseitiges Vertrauen und Ineinander-Investieren aus. Zum „neuen Deal“ gehören demgegenüber der Verzicht auf Sicherheit, hohe Bezahlung für hohe Leistung, ein flexibles und unklares Arbeitsszenario, Eigenverantwortung für das Karrieremanagement, Vergütung aufgrund Leistung und Resultaten, Abhängigkeit des Einkommens von der Leistung, eine „Wie du mir so ich dir“- Mentalität, wenig Vertrauen und viel Zynismus. Beim Wechsel vom „alten“ zum „neuen Deal“ besteht die Gefahr, dass eine Verletzung der psychologischen Verträge wahrgenommen wird. Dies insbesondere auf Seiten der Mitarbeitenden, da der Vertrag meist von Seiten der Organisation verändert wird (vgl. Wittmann, 2006). So kann es vorkommen, dass Mitarbeitende plötzlich Tätigkeiten ausführen müssen, die nicht in ihrer Rollenbeschreibung enthalten sind und auch nicht vom arbeitgebenden Unternehmen anerkannt werden. Dieses Phänomen wird als „job creep“ bezeichnet und als „the 11 slow and subtle expansion of employee job duties that is not officially recognized by the organization“ (Van Dyne & Butler Ellis, 2004, zit. nach Conway & Briner, 2005, S. 165) umschrieben. Rousseau (1998, zit. nach Conway & Briner, 2005) schlägt vier Stufen vor, die von einem Unternehmen durchlaufen werden sollten, um eine erfolgreiche Transformation des alten psychologischen Vertrages in einen „neuen Deal“ zu gewährleisten. Unternehmen sollen erstens den alten Vertrag in Frage stellen und die anstehenden Veränderungen den Mitarbeitenden gegenüber umfassend begründen. Zweitens sollen die Mitarbeitenden auf die Veränderungen vorbereitet werden. Drittens soll der neue psychologische Vertrag eingeführt werden. Viertens sollen die neuen psychologischen Verträge gelebt werden, was sich durch eine konsistente Behandlung der Mitarbeitenden, kontinuierliche Kommunikation und durch das Einhalten der neuen Angebote ausdrückt. Raeder und Grote (2001) empfehlen Unternehmen: dass den Mitarbeitenden die Gelegenheit gegeben wird, den Wandel hin zum neuen psychologischen Vertrag nachzuvollziehen und sich darauf vorzubereiten; dass ihnen die notwendigen Informationen (Veränderung Organisation, Arbeitsplatz, Berufsbild etc.) zur Verfügung stehen; dass sie darin unterstützt werden, die für ihre Arbeitsmarktfähigkeit zukunftsfähigen Kompetenzen zu definieren und zu erwerben (z.B. durch Arbeitsgestaltung oder Weiterbildung). Gemäss dem „Schweizer Human Relations Barometer“, einer Studie zur Befindlichkeit von Schweizer Arbeitnehmern, ist es in Schweizer Studien noch nicht gelungen, einen durchgängig neuen psychologischen Vertrag bzw. einen „neuen Deal“ nachzuweisen (vgl. Grote & Staffelbach, 2007). So nehmen die Unsicherheit auf Seiten der Arbeitnehmer und die Anforderungen an die Flexibilität von Mitarbeitenden zwar zu, doch ist Loyalität bzw. Arbeitssicherheit in der Schweiz vergleichsweise immer noch sehr wichtig (vgl. Grote & Staffelbach, 2007). 2.5. Das Management psychologischer Verträge Das Management psychologischer Verträge ist eine Kernaufgabe für Unternehmen, um ein Organisationsklima zu erzielen, das „people-building“ statt „people-using“ ist (Schalk & Rousseau, 2001, zit. nach Guest & Conway, 2002 S. 22). Den psychologischen Vertrag zu managen impliziert, dessen Inhalte zu beeinflussen bzw. zu verändern (Conway & Briner, 2005). Neue Inhalte können dazukommen, bestehende wegfallen oder die Wichtigkeit einzelner Inhalte kann sich verändern (z.B. kann Qualität an Bedeutung gewinnen; Conway & Briner, 2005). Raeder und Grote (2001) fanden dieses aktive Management (bzw. die Gestaltung) 12 der psychologischen Verträge in den wenigsten von ihnen untersuchten Schweizer Unternehmen vor. Die Studie von Guest und Conway (2002), in der 1306 HR-Fachleute in Grossbritannien zum psychologischen Vertrag befragt wurden, ergab, dass immerhin 36% diesen explizit für das Management der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung nutzten. Conway und Briner (2005) nennen drei Arten, wie psychologische Verträge durch die Organisation gemanagt werden können: 1) Die Organisation ändert einzelne Inhalte im psychologischen Vertrag einseitig ab und erzwingt somit eine Veränderung, welche der Mitarbeitende zu akzeptieren hat. Im schlechtesten Fall erfolgt diese Änderung ohne Erklärung. 2) Angebote und Erwartungen werden von der Organisation effektiv und konsistent kommuniziert, so dass Mitarbeitende ein klares Verständnis davon erhalten, was die Organisation ihnen bietet und im Gegenzug von ihnen erwartet. 3) Arbeitgeber und Arbeitnehmer verhandeln über den psychologischen Vertrag. Dies bedingt, dass sich beide Vertragspartner im Klaren über ihre Angebote und Erwartungen sind (vgl. Kapitel 2.2). Nicht nur das Unternehmen kann mittels seiner Agenten (Führungskräfte, HR-Fachleute usw.) die psychologischen Verträge managen, sondern auch der Mitarbeitende selbst (Conway & Briner, 2005). Eine Art, wie Mitarbeitende den psychologischen Vertrag mit dem Unternehmen aktiv managen können, ist das Verhandeln über Angebote und Erwartungen gemäss dem Modell psychologischer Vertragsbildung nach Herriot und Pemberton (1997; vgl. Kapitel 2.2). Mitarbeitende können ihren psychologischen Vertrag überwachen, indem sie z.B. aufmerksam Emotionen und Verhaltensweisen der Führungskräfte beobachten und daraus Rückschlüsse auf den Zustand ihres psychologischen Vertrages ziehen (Conway & Briner, 2005). Für Mitarbeitende, die aufgrund ihrer Leistung oder ihres Fachwissens besonders bedeutend sind, besteht die Möglichkeit, das Unternehmen auf ihren Arbeitsmarktwert hinzuweisen und dadurch höhere Erwartungen und Forderungen zu stellen (Rousseau, 2001, zit. nach Conway & Briner, 2005). Eine weitere Möglichkeit ergibt sich durch das Phänomen des „job crafting“ (vgl. Wrzesniewski & Dutton, 2001, zit. nach Conway & Briner, 2005). „Job crafting“ meint, dass ein Mitarbeitender seine eigentliche Tätigkeit in Bezug auf Umfang, Anzahl der ausgeführten Arbeiten und Art der Arbeit verändert (Conway & Briner, 2005). Da „Job Crafter“ ihre Tätigkeiten für ein Unternehmen verändern, beeinflusst dies auch die psychologischen Verträge der betroffenen Mitarbeitenden (Conway & Briner, 2005). So ist es denkbar, dass Mitarbeitende, die freiwillig eine Tätigkeit ausführen, die vom Arbeit- 13 geber eigentlich nicht erwartet wird aber dem Unternehmen dient, dafür auch mehr erwarten, z.B. eine höhere Entlöhnung. In der vorliegenden Arbeit wird das Management der psychologischen Verträge durch das HRM thematisiert. Das HRM hat das Potenzial, als Mittler zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu wirken. Auf diese Rolle des HRM wird im nächsten Kapitel zu Ethik in Unternehmen eingegangen. Die Konzeption des Managements psychologischer Verträge als HRMInstrument wird in Kapitel 4 behandelt. 14 3. Ethik in Unternehmen In diesem Kapitel wird zunächst ausgeführt, was unter Ethik in Unternehmen zu verstehen ist. Der Begriff der Unternehmensethik wird in eine Drei-Ebenen-Betrachtung eingebettet, jede Ebene wird erläutert und es werden ihr Ethik-Ansätze zugeordnet. In einem zweiten Teil wird darauf eingegangen, wie Ethik in Unternehmen konkret institutionalisiert werden kann. Dabei wird auf die Verankerung ethischer Werte in der Unternehmenskultur und -struktur, auf den Stakeholderdialog und auf die Rolle des HRM bei der Institutionalisierung von Unternehmensethik eingegangen. 3.1. Ansätze und Betrachtungsebenen Zum Thema Ethik in Unternehmen gibt es eine Vielzahl von Ansätzen und Begriffen sowohl aus dem englischen Sprachraum (z.B. Business Ethics, Business and Society, Corporate Social Responsibility, Corporate Citizenship; vgl. Staffelbach, 2002) als auch aus dem deutschen (z.B. Ansatz der Unternehmensethik von Steinmann, Integrative Wirtschaftsethik nach Ulrich; vgl. Staffelbach, 1994). Löhr (2004) schlägt vor, den Begriff der Unternehmensethik im Rahmen einer Drei-Ebenen-Betrachtung in eine umfassendere Perspektive einzubetten (vgl. Abb. 3). Er unterscheidet zwischen einer Makro-, einer Meso- und einer Mikroebene ethischen Handelns (vgl. auch Eigenstetter & Hammerl, 2005). Für Eigenstetter und Hammerl sind Wirtschafts- und Unternehmensethiken angewandte Ethiken, die auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind und dementsprechend verschiedene Schwerpunkte aufweisen. In der vorliegenden Arbeit geht es um die Umsetzung von Ethik auf der Mesoebene, also in den einzelnen Unternehmen. Trotzdem sollen nachfolgend alle drei Ebenen kurz erläutert werden, um ein besseres Verständnis für die Thematik der wirtschafts- bzw. unternehmensethischen Verantwortung zu schaffen. 15 Makroebene: Wirtschaftsethik Mesoebene: mensethik Unterneh- Mikroebene: ethik Individual- Abb. 3: Ebenen der wirtschaftsethischen Verantwortung (Darstellung nach Eigenstetter & Hammerl, 2005 und Löhr, 2004) 3.1.1 Makroebene: Wirtschaftsethik 3.1.1. Makroebene: Wirtschaftsethik Auf der Makroebene geht es um die „Ordnungsverantwortung“ von Unternehmen bzw. um die Thematik der wirtschaftlichen Rahmenordnung (z.B. Homann, 2004). Diese beinhaltet die gesetzlichen, wirtschaftspolitischen und branchenspezifischen Regelungen für das wirtschaftliche Handeln unter Marktbedingungen (Eigenstetter & Hammerl, 2005). Hier bewegen wir uns demnach auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene, und ethisches Handeln erfolgt im Rahmen einer Wirtschaftsethik. Nach Homann und Blome-Drees (1992, zit. nach Eigenstetter & Hammerl, 2005) befasst sich Wirtschaftsethik „mit der Frage, welche moralischen Normen und Ideale unter den Bedingungen der modernen Wirtschaft und Gesellschaft (von den Unternehmen; Anm. der Verf.) zur Geltung gebracht werden können“ (S. 13). Es geht dabei u.a. um die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften (Compliance), welche auf einer überbetrieblichen Ebene definiert werden. Diese Vorschriften umfassen z.B. die Produktepalette, Produktionsverfahren, Marketingmethoden, Entlassungen, Standortentscheidungen, den Führungsstil aber auch vom Unternehmen angebotene Kinderkrippen oder die Unterstützung humanitärer Organisationen (vgl. Homann, 2004). Homann und Blome-Drees (1992, zit. nach Löhr, 2004) verwenden in Anlehnung an den Sport die Bezeichnungen „Spielregeln“ und „Spielzüge“. Folglich braucht es „Spielregeln“ (die wirtschaftliche Rahmenordnung), innerhalb derer Unternehmen ihre „Spielzüge“ (alle unternehmerischen Aktivitäten) ausführen können. Sie argumentieren, dass es in modernen Gesellschaften, die durch eine hohe Anonymität und Arbeitsteilung gekennzeichnet sind, zwingend eine Rahmenordnung brauche, da nicht erwartet werden dürfe, dass 16 sich eine Einzelperson oder ein Unternehmen freiwillig moralisch verhalte (Homann & Blome-Drees, 1992, zit. nach Eigenstetter & Hammerl, 2005). Homann und Suchanek (2000, zit. nach Eigenstetter & Hammerl, 2005) sind der Ansicht, dass Unternehmen die Pflicht haben, aktiv an der Gestaltung einer sinnvollen Rahmenordnung mitzuarbeiten, z.B. durch branchenweite Ethikkodizes („Code of Conduct“) oder der Förderung von entsprechenden Gesetzgebungen. Ein Unternehmen kann gemäss Homann und Suchanek nur in den Bereichen eigene Regelungen in Kraft setzen, wo es noch keine oder ungenügende Gesetze gibt. Auf Ebene der Wirtschaftsethik bzw. auf überbetrieblicher Ebene finden sich auch Branchenregelungen bzw. Standesregeln (z.B. die Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken, VSB, vgl. Staffelbach 1994; EthikManagementSystem der Bauwirtschaft in Deutschland, vgl. Ethikmanagement der Bauwirtschaft e.V., 19993). Zudem lässt sich die Theorie des Sozialvertrages auf der Makroebene ethischen Handelns ansiedeln (Thompson & Hart, 2006). Sozialvertragstheoretiker argumentieren, dass es möglich sei, ein Set von universellen Vereinbarungen festzulegen, welche die Grundregeln für ethisches Verhalten bilden. Die „moralische Autorität“ („moral authority“) ergibt sich aus der Annahme, dass Menschen, die rational handeln, bestimmten gesellschaftlichen Vereinbarungen zustimmen würden (Dunfee & Donaldson, 1995, zit. nach Thompson & Hart, 2006; vgl. auch Scherer, 2003). Donaldson & Dunfee (1994, zit. nach Thompson & Hart, 2006) schlagen hierzu die Bestimmung sogenannter „hypernorms“ vor. Hierbei handelt es sich um universelle Prinzipien, an die sich alle Menschen zu halten haben (z.B. Menschenrechtserklärung von 1948; vgl. Scherer, 2003). Ein wichtiges Merkmal der Theorie des Sozialvertrages ist, dass sie kontextunabhängig ist und deshalb breit angewandt werden kann (Thompson & Hart, 2006). Dies führt aber auch dazu, dass sie oft eine „theory in search of application“ bleibt (Thompson & Hart, 2006, S. 229). 3.1.2. Mesoebene: Unternehmensethik Die Ansätze auf der Mesoebene befassen sich mit dem ethischen Handeln einzelner Unternehmen. Die oben erwähnten Ansätze von Steinmann et al. zu „Unternehmensethik“ (z.B. Steinmann und Löhr, 1992, zit. nach Eigenstetter & Hammerl, 2005; Steinmann & Oppenrieder, 1985, zit. nach Staffelbach, 1994) und Peter Ulrichs „Integrative Wirtschaftsethik“ (vgl. Staffelbach, 1994; Eigenstetter & Hammerl, 2005) lassen sich auf der Mesoebene ethischen 3 Neue Bezeichnung seit März 2007: EMB-Wertemanagement Bau e.V. (vgl. http://www.bauindustriebayern.de/fileadmin/docs_pub/emb/docs/weidinger_emb07.pdf [07.06.2008]). 17 Handelns ansiedeln. Zudem kann das aus dem englischen Sprachraum stammende Konzept der „Corporate Social Responsibility“ (CSR) ebenfalls der Mesoebene zugeordnet werden. Nachfolgend werden diese drei Ansätze kurz dargestellt. Steinmann und Löhr (1989, zit. nach Staffelbach, 1994) definieren Unternehmensethik wie folgt: „Unternehmensethik umfasst alle durch dialogische Verständigung mit den (von den unternehmerischen Entscheidungen, Anm. der Verf.) Betroffenen begründeten bzw. begründbaren prozessualen und materialen Normen, die von einer Unternehmung zum Zwecke der Selbstbindung verbindlich in Kraft gesetzt werden, um die konfliktrelevanten Auswirkungen des Gewinnprinzips bei der Steuerung der konkreten Unternehmensaktivitäten zu begrenzen“ (S. 189). Steinmann und Löhr (1989, zit. nach Staffelbach, 1994) verstehen Unternehmensethik demnach als „Korrektiv“, womit unethischen Folgen wirtschaftlicher Tätigkeit entgegengewirkt werden kann (vgl. Eigenstetter & Hammerl, 2005). Ulrich (z.B. 1999) schlägt in seiner „Integrativen Wirtschaftsethik“ vor, die beiden oft als unvereinbar eingestuften Pole Markt und Moral zusammenzuführen (vgl. Eigenstetter & Hammerl, 2005). Für Ulrich ist Ethik die Voraussetzung unternehmerischer Tätigkeit (vgl. Ulrich, 1999). Er plädiert für eine „lebensdienliche Ökonomie“, die beinhaltet, dass bei allen unternehmerischen Entscheidungen auch ethische Gesichtspunkte berücksichtigt werden sollen (vgl. Eigenstetter & Hammerl, 2005; Ulrich, 1999). Ulrichs Ansatz ist nicht eindeutig der Mesoebene wirtschaftsethischer Verantwortung zuzuordnen, da er auch eine „ordnungspolitische Mitverantwortung der Unternehmer“ (Ulrich, 1999, S. 22) fordert und somit auch die Makroebene tangiert. Staffelbach (1994) hebt denn auch hervor, dass Ulrichs Ansatz drei Ebenen, die personale, organisatorische und ordnungspolitische Ebene kombiniert. Ein Ansatz, der ursprünglich aus dem englischen Sprachraum stammt, sich aber mittlerweile auch im deutschsprachigen Bereich etabliert hat, ist das Konzept der „Corporate Social Responsibility“ (CSR). CSR umfasst die ökonomische, ökologische und soziale Verantwortung von Unternehmen, was sich in der sogenannten „Triple-Bottom-Linie“ ausdrückt (vgl. Eigenstetter & Hammerl, 2005; Sims, 2003; Staffelbach, 2002). Der Begriff CSR beinhaltet, dass ein Unternehmen zu internen und externen Stakeholdern vielfältige Beziehungen unterhält und demnach nicht einfach Privatsache seiner Eigentümer ist (vgl. Sims, 2003; Staffelbach, 2002). Daraus ergeben sich bestimmte Verantwortungen in inhaltlicher („Triple-Bottom-Line“), organisatorischer (Führungsstrukturen und -prozesse) und personeller Hinsicht (Staffelbach, 2002). Bei Letzterem geht es um die Einstellung und Haltung der 18 Mitarbeitenden eines Unternehmens, im Besonderen um ihre Integrität und Glaubwürdigkeit (Staffelbach, 2002). Der CSR-Ansatz hat auch Eingang in die wirtschaftliche Praxis gefunden. So verfügen viele Unternehmen, vor allem grössere, über ein CSR-Programm. Für Orange z.B. bedeutet CSR „den Erwartungen ethischer, rechtlicher, wirtschaftlicher Natur und im öffentlichen Interesse, die die Gesellschaft an unser Unternehmen stellt, gerecht werden und diese übertreffen“ (Orange CSR-Bericht 2006, S. 5). Andere Autoren sprechen im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen z.B. von „Corporate Citizenship“ (z.B. Leisinger, 2004; Matten & Crane, 2005) oder unterscheiden verschiedene Kategorien unternehmerischer Verantwortung (z.B. „Pyramid of corporate social responsibility“ nach Carroll, 1991). Bei allen drei dargestellten Ethik-Ansätzen auf der Mesoebene stellt der StakeholderDialog ein wichtiges Prinzip dar. Demnach sollen möglichst alle von einer unternehmerischen Entscheidung Betroffenen mittels eines Dialogs beteiligt werden (vgl. z.B. Ulrich, 1999; Steinmann & Löhr, 1989, zit. nach Staffelbach, 1994). Der Stakeholderdialog wird in Kapitel 3.2.3 als eine Möglichkeit der Institutionalisierung von Ethik in Unternehmen erläutert. 3.1.3. Mikroebene: Individualethik Auf der Mikroebene ethischen Handelns geht es um die Pflichten, das Gewissen und die Verantwortung des einzelnen Individuums, was als Individualethik bezeichnet wird (vgl. Göbel, 2003). Für Göbel erscheint klar, dass sich Ethik zunächst einmal auf den einzelnen Menschen bezieht, da nur das Individuum über eine moralische Gesinnung verfügt und nach jener handeln kann. Löhr (2004) führt an, dass eine Wirtschafts- bzw. Unternehmensethik massgeblich davon abhängt, wie einzelne Individuen miteinander umgehen. Weitere Ansätze auf dieser Ebene sind die Tugendethik (z.B. Klose, 1988, zit. nach Löhr, 2004), die Theorie der moralischen Entwicklung nach Jean Piaget (z.B. 1983, zit. nach Eigenstetter & Hammerl, 2005) und die Theorie der moralischen Urteilskompetenz nach Lawrence Kohlberg (z.B. 1977, zit. nach Eigenstetter & Hammerl, 2005). Die Theorie der moralischen Entwicklung von Jean Piaget (z.B. 1983, zit. nach Eigenstetter & Hammerl, 2005) beruht auf dessen Beobachtungen von Kindern beim Spiel mit Murmeln, wo die Regeln von den Kindern ohne das Zutun von Erwachsenen selber entwickelt und über Generationen weitergegeben werden. Aufgrund dieser Beobachtungen kam Piaget zur der Auffassung, dass die Moralentwicklung zweistufig verläuft: Die erste Stufe, heteronome Moral genannt, verläuft asymmetrisch und ist gekennzeichnet durch einen tiefen 19 Respekt vor den Regeln anderer (z.B. Erwachsener), welche fix sind und nicht verändert werden dürfen. Auf der zweiten Stufe, der autonomen Moral, werden die Regeln gemeinsam ausgehandelt und gestaltet. Es entstehen Situationen, wo kooperiert wird, wo sich soziale Beziehungen bilden, wo die Perspektive anderer eingenommen werden kann. Beide Moralstufen können sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen vorkommen. Bei der autonomen Moral scheint wiederum das Prinzip des Dialogs bzw. der Diskursethik, des Einbezugs anderer Perspektiven, durch (vgl. Eigenstetter & Hammerl, 2005). 3.1.4. Abschliessende Bemerkungen Für das Verständnis von Ethik in Unternehmen und deren Umsetzung ist es wichtig, sich auch der anderen Ebenen wirtschaftsethischer Verantwortung bewusst zu sein. Die einzelnen Betrachtungsebenen können nicht in jedem Fall klar getrennt werden, die Übergänge sind manchmal fliessend, und so sind auch nicht alle Ethik-Ansätze klar einer Ebene zuzuordnen (z.B. „Integrative Wirtschaftsethik“ nach Ulrich). Zudem sind die Ebenen ineinander „verschachtelt“ (vgl. Abb. 3). So hat die Makroebene Einfluss auf die Mesoebene und diese wiederum auf die Mikroebene. Unternehmen sind demnach in ihrem Handeln durch überbetriebliche Vorschriften und Gesetze Grenzen gesetzt. Sie bestimmen aber auch die „Spielregeln“ für ihre Mitarbeitenden. So kann ethisches Verhalten ermöglicht oder aber eher verhindert werden. Die Einflüsse finden auch von „innen“ (Mikroebene) nach „aussen“ (Makroebene) statt: Handlungen auf der Mikroebene wirken sich auf die Mesoebene aus, welche wiederum die Makroebene beeinflusst. Wie ethisch das Unternehmen als Ganzes handelt, hängt von den Handlungen seiner Mitarbeitenden ab. Die Handlungen des Unternehmens haben zudem Einfluss auf die Ebene der wirtschaftlichen Rahmenordnung, welche nur dann einen Beitrag an Ethik im Gesamt-Wirtschaftsystem leisten kann, wenn die einzelnen Unternehmen sich ethisch verhalten. In den nachfolgenden Ausführungen zur Institutionalisierung von Unternehmensethik geht es in erster Linie um die Mesoebene wirtschaftsethischer Verantwortung, d.h. um die konkrete Umsetzung von Ethik im einzelnen Unternehmen. In Anlehnung an die oben erfolgten Ausführungen wird unter Ethik in Unternehmen die Wahrnehmung sozialer unternehmerischer Verantwortung gegenüber den internen und externen Stakeholdern verstanden. 20 3.2. Institutionalisierung von Unternehmensethik Alle theoretischen Überlegungen zu den verschiedenen Ethik-Ansätzen und Betrachtungsebenen erscheinen zwecklos, wenn nicht auch die konkrete Umsetzung von Ethik in Unternehmen thematisiert wird. Unternehmen sollen sich aktiv damit auseinandersetzen, wie sie ethisches Verhalten bei ihren Führungskräften und Mitarbeitenden nachhaltig fördern können. Es geht demnach um die Thematik der Institutionalisierung von Unternehmensethik. Nach Sims (2003) handelt es sich bei einer institutionalisierten Handlung um „ein von zwei oder mehr Personen gezeigtes Verhalten, das über die Zeit hinweg anhält und einen Teil des alltäglichen Funktionierens einer Organisation darstellt“ (S. 242; Übers. d. Verf.). Bezogen auf Unternehmensethik bedeutet dies, ethisches Verhalten formal und explizit im Geschäftsalltag zu verankern (vgl. Sims, 2003). Wie soll nun aber ethisches Verhalten in und durch die Unternehmen hervorgebracht werden? Es gibt grundsätzlich zwei Formen der Institutionalisierung ethischen Verhaltens: Durchsetzen und Ermöglichen. Diese beiden Formen können sich sowohl auf der Ebene des Individuums ( Individualethik) als auch auf der Ebene der Organisation ( Institutionenethik) zeigen (vgl. Abb. 4)4. Da dieser Arbeit die Institutionenethik zugrunde liegt, wird nur die Ebene der Organisation betrachtet. Werden Richtlinien unter Sanktionsandrohung einfach durchgesetzt, handelt es sind um heteronome Moral. Die Mitarbeitenden haben kein Mitspracherecht und keinen Gestaltungsspielraum, sie müssen sich einfach an die Regeln halten. Die andere Form, ethisches Verhalten zu erzielen, beinhaltet, dass die Unternehmenskultur und -struktur so ausgestaltet sind, dass es den Mitarbeitenden ermöglicht wird, sich ethisch zu verhalten. Nachfolgend werden drei Ansatzpunkte bezüglich Institutionalisierung von Unternehmensethik erläutert: Die Verankerung ethischer Werte in der Unternehmenskultur („Compliance“ vs. „Integrity“), in der Unternehmensstruktur (konkrete Ethikmassnahmen und programme) und die Wahrnehmung sozialer Verantwortung mittels Stakeholderdialog. Zudem wird auf die Rolle des HRM bei der Institutionalisierung von Unternehmensethik eingegangen. 4 Argumentation und Abbildung nach Vorlesung HRM I, Universität Zürich, Dozent Prof. Dr. B. Staffelbach, im Wintersemester (WS) 2005/2006, Vorlesung 10 Folie 10. 21 Form Durchsetzen Ermöglichen Individuum Individualethik Organisation Institutionenethik Ebene heteronome Moral autonome Moral Abb. 4: Möglichkeiten der Institutionalisierung von Ethik in Unternehmen 3.2.1. Verankerung ethischer Werte in der Unternehmenskultur: „Compliance“ vs. „Integrity“ Thommen (2003) versteht die Unternehmenskultur als informales Instrument zur Beeinflussung ethischen Verhaltens. Er ist der Meinung, dass die unzähligen Umschreibungen des Begriffs der Unternehmenskultur einen gemeinsamen Nenner aufweisen: die geteilten Werte. Nach Peters und Waterman (1982, zit. nach Thommen, 2003) sind Klarheit über die eigenen Werte, und dass ein Unternehmen die richtigen Werte vertritt, kritisch für den Unternehmenserfolg. Obwohl eine Unternehmenskultur auch Werte umfasst, die nicht direkt ethischer Natur sind, dürfen diese den eigentlichen unternehmensethischen Werten nicht widersprechen (Thommen, 2003). Paine (1994) nahm bezüglich der Unternehmenskultur die Unterscheidung „Compliance“ und „Integrity“ vor. Ursprünglich aus dem englischen Sprachraum stammend, wurde diese Unterscheidung 1998 von Steinmann und Olbrich in die deutschsprachige Diskussion um Unternehmensethik übertragen (vgl. Thielemann, 2005). Gemäss Paine bewirkt eine fehlgeleitete Unternehmenskultur, d.h. falsche „Werte, Einstellungen und Überzeugungen“ (S. 106; Übers. der Verf.), dass bei Führungskräften und Mitarbeitenden eines Unternehmens Fehlverhalten entsteht. Ein compliance-basierter Ansatz der Unternehmensethik beruht auf 22 der Kontrolle der Mitarbeitenden, Fehlverhalten zieht entsprechende Sanktionen nach sich (Paine, 1994). Bei diesem Ansatz geht es darum, dass Verletzungen rechtlicher Bestimmungen vermieden, aufgedeckt und gegebenenfalls bestraft werden (vgl. Thielemann, 2005). Das Menschenbild, das dem Compliance-Ansatz zugrunde liegt, ist ein negatives, da Mitarbeitende als reine Nutzenmaximierer betrachtet werden, für die Moral keine Rolle spielt (vgl. Paine, 1994). Während die Mitarbeitenden in einer Compliance-dominierten Unternehmenskultur versuchen, Sanktionen zu vermeiden - Thielemann spricht diesbezüglich von „Abreizen“ 5 soll der Integrity-Ansatz ein Umfeld bewirken, welches ethisches Verhalten unterstützt und unter den Mitarbeitenden ein Gefühl von gemeinsamer Verantwortlichkeit fördert (vgl. Paine, 1994). Auch bei einer integrity-basierten Unternehmenskultur gibt es Richtlinien - Paine nennt sie „guidelines“ - welche die Mitarbeitenden zu befolgen haben. Hier aber soll die Ethik als treibende Kraft wirken und bei Individuen und Gruppen verschiedener Hierachiestufen, Abteilungen und Funktionen einen gemeinsamen „frame of reference“, d.h. geteilte Werte, ermöglichen. Dies wiederum stiftet Identität und Zweck (vgl. Paine, 1994). In diesem Sinne ist Paines Compliance-Ansatz auf der heteronomen Moralstufe angesiedelt (vgl. Abb. 4), da er ethisches Verhalten vorschreibt. Währenddessen zielt der Integrity-Ansatz in Richtung autonome Moral, da er anhand geteilter Werte ethisches Verhalten bei den Mitarbeitenden ermöglichen und fördern soll. Es stellt sich die berechtigte Frage, ob eine integrity-basierte Kultur alleine ausreicht, damit sich die Mitarbeitenden eines Unternehmens ethisch verhalten. Während die Unternehmenskultur zwar die generelle Richtung angibt und den Mitarbeitenden somit eine Orientierung bezüglich ihres Verhaltens geben kann, braucht es ebenso die konkrete Ausformulierung von Massnahmen, da sonst die Gefahr besteht, dass das Thema Ethik zu vage bleibt und die Umsetzung ausbleibt. Der nächste Abschnitt beschäftigt sich daher mit konkreten Ethikmassnahmen bzw. -programmen im Rahmen der Unternehmensstruktur. 5 Unter „Abreizen“ versteht Thielemann (2005) das Gegenteil von Anreizen. Sie sollen Mitarbeitende unter Sanktionsandrohung davon abhalten, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen (z.B. gegen bestimmte Richtlinien zu verstossen). 23 3.2.2. Verankerung ethischer Werte in der Unternehmensstruktur: Ethikmassnahmen und -programme Ethikmassnahmen werden von Unternehmen ergriffen, um ethisches Verhalten bei den Mitarbeitenden zu erreichen. Sie haben nach Ulrich, Lunau und Weber (1999) grundsätzlich zwei Funktionen: eine „öffnende“ und eine „schliessende“. „Öffnend“ sollen Ethikmassnahmen deswegen sein, weil sie die Reflexion und Argumentation bezüglich möglichst aller unternehmerischen Entscheidungsprozesse, Führungssysteme und Handlungsweisen zulassen und diese als „normalen“ Aspekt im alltäglichen Geschäftsleben institutionalisieren sollen. Die „schliessende“ Funktion von Ethikmassnahmen beinhaltet, dass Unternehmen bestimmte unethische Entscheidungs- und Handlungsalternativen verbieten. Somit sind gewisse ethische Standards einzuhalten, welche nicht hinterfragt werden dürfen. Unternehmen müssen gemäss Ulrich et al. zwingend beide Funktionen von Ethikmassnahmen institutionell verankern. Sowohl fixe, top-down-befohlene Handlungsanweisungen ohne das Wahrnehmen ethischer Mitverantwortung aller Mitarbeitenden als auch eine einseitig offene Reflexions- und Argumentationskultur würden zur Folge haben, dass einzelne Mitarbeitende im Unternehmen opportunistisch handeln und sich nicht an die ethischen Unternehmensgrundsätze halten (vgl. Ulrich et al., 1999). Die „öffnende“ Funktion entspricht in etwa dem Ansatz „Ermöglichen“ und somit der „Integrity“-Strategie, die „schliessende“ Funktion lehnt sich an den Ansatz „Durchsetzen“ und an die „Compliance“-Strategie an. Eine bekannte und weit verbreitete Ethikmassnahme ist der Ethikkodex bzw. Code of Conduct (vgl. Thommen, 2003; Ulrich et al., 1999). Schlegelmilch (1990, zit. nach Ulrich et al., 1999) definiert den Ethikkodex in Anlehnung an Melrose-Woodman und Kverndal (1976, zit. nach Ulrich et al., 1999) als „Schriftstück, das Unternehmensprinzipien, ethische Grundsätze, Verhaltensregeln oder die Unternehmensphilosophie beschreibt, soweit diese die Verantwortung gegenüber Angestellten, Aktionären, Kunden, der Umwelt oder irgendwelchen anderen unternehmensexternen gesellschaftlichen Aspekten betrifft“ (S. 140). Thommen (2003) erachtet den Ethikkodex als Gegenstück zur Unternehmenskultur. Er versteht den Ethikkodex als formales Mittel und die Unternehmenskultur als informales Mittel zur Beeinflussung ethischen Verhaltens in Unternehmen. Weitere Ethikmassnahmen sind z.B. die Einrichtung spezieller Ethikstellen (z.B. Ethikkomitee, Ethikberatungsstelle, Ombudsmann, Ethikadvokat; vgl. Thommen, 2003), die Einführung von Zertifizierungsinitiativen (z.B. Social Accountability 8000; vgl. Thommen, 2003), die Verpflichtung zur Einhaltung der Prinzi- 24 pien des Global Compact (vgl. z.B. Williams, 2004) oder der OECD Prinzipien für onale Unternehmen (vgl. Thommen, 2003). Um eine höhere Wirksamkeit zu erzielen, ist es sinnvoll, einzelne Ethikmassnahmen aufeinander abzustimmen und in ein Ethikprogramm zu integrieren (vgl. Thommen, 2003). Wichtig dabei ist, dass ein Programm zur Umsetzung ethischen Handelns in Unternehmen von den Schlüsselfiguren eines Unternehmens, insbesondere der Geschäftsleitung, getragen wird (vgl. Thommen, 2003). Ein Beispiel für ein solches Ethikprogramm ist das EthikManagementSystem der Bauwirtschaft in Deutschland (vgl. Ethikmanagement der Bauwirtschaft e.V., 1999). Es ist unternehmensübergreifend (alle Unternehmen der Baubrache und einzelne Niederlassungen können sich beteiligen) und unterliegt der Selbstbindung. Es beinhaltet zwei Stufen: Das verpflichtende Werteprogramm, welches die „Bewahrung und Förderung integrer Geschäftspraktiken in der Bauwirtschaft“ (S. 242) zum Ziel hat und das freiwillige Wertesystem, welches auf dem Werteprogramm aufbaut, ein internes und externes Kontrollsystem und intensive Trainingsprogramme für die Mitarbeitenden vorsieht, eher mittel- und langfristig wirkt und insbesondere für grössere Unternehmen gedacht ist. Das Besondere am EthikManagementSystem der Bauwirtschaft in Deutschland ist, dass es „von unten“ her entstanden ist, also durch die aktiven Beiträge von Mitarbeitenden und Führungskräften aus der Baubranche (vgl. Ethikmanagement der Bauwirtschaft e.V., 1999). Der folgende Abschnitt zum Stakeholderdialog als einem weiteren Ansatzpunkt zur Institutionalisierung von Unternehmensethik soll diese „Entstehung von unten“, die letztlich auch beim Management psychologischer Verträge eine bedeutende Rolle spielt, verdeutlichen. 3.2.3. Stakeholderdialog Unternehmen sind mit den Ansprüchen und Erwartungen unterschiedlichster Gruppierungen konfrontiert. Sie stehen in vielfältigen Beziehungen zu diesen Gruppierungen. Zur Analyse und zum Umgang mit diesen Beziehungen eignet sich das Stakeholder-Konzept (vgl. Thommen, 2003). Der Begriff „stake“ kann sowohl mit „Anspruch“, „Forderung“, „Erwartung“, „Interesse“ oder auch „Recht“ übersetzt werden (Thommen, 2003, S. 22). Somit ist gemäss Thommen ein Stakeholder „jede Person oder Institution, die einen Anspruch an ein Unternehmen hat, weil sie selbst oder Dritte durch das Handeln des Unternehmens direkt oder indirekt betroffen sind. Dabei ist unerheblich, ob die Ansprüche an das Unternehmen 25 tatsächlich gestellt (aktiver Anspruch) oder gestellt werden können (passiver Anspruch)“ (S. 22). Um im heutigen Geschäftsumfeld, welches sich durch eine hohe Komplexität und Dynamik auszeichnet, erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen die Interessen und Erwartungen der Stakeholdergruppen in unternehmerische Entscheidungen miteinbeziehen (Sims, 2003). So hängt der Erfolg eines Unternehmens massgeblich vom Erkennen der Stakeholderansprüche und vom richtigen Umgang mit ihnen ab (vgl. Thommen, 2003). Eine Möglichkeit, die Ansprüche an ein Unternehmen zu erfassen und mit ihnen umzugehen, ist es, mit den relevanten Stakeholdergruppen in einen Dialog zu treten. So schlägt Thommen vor, mit den betroffenen Stakeholdern gemeinsam die vorhandenen Schwierigkeiten zu thematisieren und einen Konsens zu finden. Dies wiederum sichert einem Unternehmen die Unterstützung und Akzeptanz der beteiligten Stakeholder (vgl. Thommen, 2003). In der vorliegenden Arbeit werden interne und externe Stakeholder unterschieden. Die internen Stakeholder sind die Mitarbeitenden eines Unternehmens, während alle übrigen Gruppierungen und Institutionen, die Ansprüche an ein Unternehmen stellen, den externen Stakeholdern zugeordnet werden. Es ist für ein Unternehmen unerlässlich, sich möglichst aller Stakeholder bewusst zu sein und deren Ansprüche in seine Entscheidungen mit einzubeziehen. Da aber die psychologischen Verträge zwischen den Mitarbeitenden und dem arbeitgebenden Unternehmen im Fokus der Betrachtung stehen, ist an dieser Stelle nur der Stakeholderdialog mit den Mitarbeitenden relevant. Im Sinne eines „KonsensusManagements“ (Ulrich, 1983, zit. nach Wittmann, 1997, S. 446) soll ein Unternehmen seinen Mitarbeitenden „Rede und Antwort stehen“ (Wittmann, 1997, S. 446) und diese somit in die unternehmerischen Entscheidungen einbinden (vgl. Wittmann, 1997). In der zweiten Sichtweise des psychologischen Vertrages aus einer unternehmensethischen Perspektive, welche in Kapitel 4.3 thematisiert wird, geht es um das Verhalten der Mitarbeitenden gegenüber den externen Stakeholdern und somit indirekt auch um deren Erwartungen. Der direkte Dialog mit den externen Stakeholdern ist allerdings nicht Thema dieser Arbeit. 3.2.4. Die Rolle des HRM bei der Institutionalisierung von Unternehmensethik Wittmann (1997) zeigt, dass das HRM nach der Geschäftsleitung die wichtigste Instanz betreffend Institutionalisierung von Unternehmensethik ist. So zitiert er u.a. die Studie von Staffelbach (1991), wonach ein Drittel der Unternehmen angaben, Ethik zu institutionalisie- 26 ren, indem sie ihren Mitarbeitenden eine Ethik-Ausbildung anbieten. Gemäss der Studie „Corporate Institutionalization of Ethics in the United States and Great Britain“ liegt die Hauptverantwortung für die Kommunikation und Weiterverbreitung eines Ethikkodex für etwas mehr als ein Drittel der Befragten in den USA beim HRM (vgl. Robertson & Schlegelmilch, 1993, zit. nach Wittmann, 1997). Wittmann erwähnt auch, dass das HRM eine Reihe von Strategien und Instrumenten zur Verfügung hat, die zur Institutionalisierung von Ethik in Unternehmen geeignet sind. Allerdings werde noch nicht die gesamte Breite der zur Verfügung stehenden Verfahren genutzt, so Wittmann. So berichteten in der Studie „Ethik und Erfolg“ des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen 52% der befragten Führungskräfte, dass vor allem bei der Rekrutierung und Entwicklung von Mitarbeitenden auf ethische Aspekte geachtet wird (Ulrich & Thielemann, 1992, zit. nach Wittmann, 1997). In der Studie „Die soziale Verantwortung der Wirtschaft“ von Lunau und Wettstein (2004) spielen neben der Rekrutierung und der Personalentwicklung noch weitere HRMThemen bezüglich Wahrnehmung sozialer Verantwortung durch Unternehmen eine Rolle, nämlich die Freisetzung von Personal und Leistungsbeurteilung und -vergütung. Dies impliziert, dass das HRM eine wichtige Rolle einnimmt bei der Institutionalisierung von Unternehmensethik, da die verschiedenen HR-Bereiche (Rekrutierung, Personalentwicklung usw.) eine Chance bieten, einerseits Verantwortung gegenüber den Mitarbeitenden wahrzunehmen und diese andererseits dahingehend zu sensibilisieren, dass ethisches Verhalten ihrerseits sehr erwünscht ist. Dies wird im nächsten Kapitel bezüglich der beiden Sichtweisen Verantwortung „gegen innen“ und „gegen aussen“ ausführlich dargestellt. 27 4. Der psychologische Vertrag aus einer unternehmensethischen Perspektive Nach den Erläuterungen zum psychologischen Vertrag und Ethik in Unternehmen rücken nachfolgend erneut die Kernfragen dieser Arbeit ins Zentrum, indem die Anknüpfungspunkte des Konzepts des psychologischen Vertrages und der Unternehmensethik thematisiert werden. Einerseits werden die zwei genannten Sichtweisen, „Verantwortung des Unternehmens gegen innen“ und „Verantwortung des Unternehmens gegen aussen“, dargestellt. Dabei wird für beide Sichtweisen erläutert, wie das Management psychologischer Verträge zur Wahrnehmung sozialer unternehmerischer Verantwortung beitragen kann. Abschliessend wird die Konzeption des aktiven Managements psychologischer Verträge als HRM-Instrument und die Anwendung in verschiedenen HR-Bereichen erläutert. 4.1. Die soziale Verantwortung von Unternehmen Wie oben erwähnt, werden in der vorliegenden Arbeit bezüglich Wahrnehmung von sozialer Verantwortung mittels Management des psychologischen Vertrages zwei grundlegende Sichtweisen unterschieden: Erstens ist ein Unternehmen aufgefordert, gegenüber seinen Mitarbeitenden soziale Verantwortung zu übernehmen. In diversen Studien wurden Mitarbeitende als eine der wichtigsten Stakeholdergruppen unternehmerischer Verantwortung genannt (z.B. Staffelbach, 1991; Schlegelmilch, 1990; beide zit. nach Wittmann, 1997). Bezogen auf die psychologischen Verträge der Mitarbeitenden mit ihrem Arbeitgeber sollten Unternehmen diese weitgehend einhalten bzw. sollten sie fair sein. Dieser Ansatz wird nachfolgend als „Verantwortung des Unternehmens gegen innen“ bezeichnet (vgl. Abb. 5). Zweitens tragen Unternehmen neben den Mitarbeitenden aber auch noch gegenüber anderen Stakeholdern Verantwortung, so z.B. gegenüber Eigentümern, Kunden, Lieferanten, politischen Gruppierungen und nicht zuletzt gegenüber „unpersönlichen“ Stakeholdern wie der Umwelt, der Gesellschaft als Ganzes und zukünftigen Generationen (vgl. z.B. Thommen, 2003; Sims, 2003; Donaldson & Preston, 1995). In dieser zweiten Perspektive sind die Mitarbeitenden nicht mehr die Adressaten unternehmerischer Verantwortung, sondern übernehmen als Agenten des Unternehmens eine tragende Rolle in der Umsetzung ethischen Verhaltens bzw. sozialer Verantwortung gegenüber den genannten Stakeholdern. Hier kann der psychologische Vertrag dazu dienen, die Erwartungen der Unternehmen bezüglich ethischen Verhaltens zu kommunizieren bzw. abzurufen, wie ethisch sich die Mitarbeitenden tatsächlich zu 28 verhalten bereit sind (im Sinne eines Angebots im psychologischen Vertrag). Dieser Ansatz wird in der Folge als „Verantwortung des Unternehmens gegen aussen“ bezeichnet (vgl. Abb. 6). Es sind noch andere Sichtweisen denkbar, z.B. spielt das Verhalten der Mitarbeitenden untereinander, in den einzelnen Teams, Abteilungen und zwischen Teams und Abteilungen eine wichtige Rolle. Nachfolgend soll aufgezeigt werden, wie das Management des psychologischen Vertrages, bezogen auf die beiden erwähnten Sichtweisen, der Umsetzung ethischen Verhaltens in Unternehmen dienen kann. Ethisches Verhalten / Verantwortung Angebote Unternehmen Mitarbeitende Erwartungen Abb. 5: Wahrnehmung von Verantwortung „gegen innen“ mittels Management der psychologischen Verträge Verantwortung Externe Stakeholder Unternehmen Angebote bezüglich ethischem Verhalten Erwartungen bezüglich ethischem Verhalten Ethisches Verhalten Mitarbeitende Abb. 6: Wahrnehmung von Verantwortung „gegen aussen“ mittels Management der psychologischen Verträge 29 4.2. Verantwortung der Unternehmen „gegen innen“ Dass sich ein Unternehmen gegenüber seinen Mitarbeitenden ethisch verhalten sollte, erscheint klar. Schliesslich sollen die Mitarbeitenden zufrieden sein und motiviert, herausragende Leistungen zu erbringen und zudem einen Beitrag zum ethischen Verhalten des Gesamtunternehmens zu leisten (siehe dazu auch Kapitel 4.3). Thompson und Hart (2006) argumentieren, dass sich die psychologischen Verträge der Mitarbeitenden eines Unternehmens und das ethische Klima in der Gesamtorganisation wechselseitig beeinflussen. Es ist gemäss den beiden Forschern wahrscheinlich, dass Mitarbeitende, welche sich von ihrem Arbeitgeber ungerecht behandeln fühlen, versuchen, dem Unternehmen in irgendeiner Form zu schaden. Dies impliziert wiederum, dass die Verantwortung „gegen innen“ mit der Verantwortung „gegen aussen“ in Zusammenhang steht. Konkret: Nimmt ein Unternehmen seine Verantwortung „gegen innen“, d.h. gegenüber seinen Mitarbeitenden, wahr, sind diese auch eher bereit, das Unternehmen in seiner Verantwortung „gegen aussen“ zu unterstützen (vgl. dazu auch Sims, 1991). Bezüglich der Verantwortung eines Unternehmens „gegen innen“, d.h. gegenüber seinen Mitarbeitenden, stellen sich u.a. folgende zwei Fragen: 1) Welche Verantwortung bzw. Pflichten hat ein Unternehmen gegenüber seinen Mitarbeitenden? 2) Wie soll ein Unternehmen seine Verantwortung gegenüber den Mitarbeitenden wahrnehmen? Auf diese beiden Fragen sollen in den beiden folgenden Abschnitten mögliche Antworten gegeben werden. 4.2.1. Pflichten des Unternehmens gegenüber den Mitarbeitenden Das Thema „Pflichten des Unternehmens gegenüber den Mitarbeitenden“ knüpft an die Ausführungen über die Inhalte im psychologischen Vertrag, insbesondere an die Erwartungen der Mitarbeitenden, an (vgl. Kapitel 2.3). In der Schweiz sind viele Pflichten des Unternehmens gegenüber seinen Mitarbeitenden in einem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) oder in einem Einzelarbeitsvertrag (EAV) geregelt. Die Einhaltung der Bestimmungen aus GAV und EAV bilden die Grundlage ethischen Verhaltens gegenüber den Mitarbeitenden (vgl. von Cranach, 2005). Von Cranach betont, dass nicht alle Unternehmen einem GAV unterstehen, und dass sich auch über den GAV hinaus 30 weitere Pflichten ergeben können. Die wohl grundsätzlichste Pflicht eines Unternehmens gegenüber seinen Mitarbeitenden ist eine angemessene Bezahlung für die geleisteten Arbeitsbeiträge (vgl. von Cranach, 2005). Diese stellt auch einen zentralen Inhalt im psychologischen Vertrag zwischen Mitarbeitenden und der arbeitgebenden Organisation dar (vgl. Herriot, Manning & Kidd, 1997, zit. nach Conway & Briner, 2005). Das Human Relations Barometer 20086 ermittelte allerdings, dass Mitarbeitende von ihrem Arbeitgeber vor allem flexible Arbeit, Verantwortung und Entscheidungsspielraum erwarten und dass die Entlöhnung allein nicht ausschlaggebend dafür ist, ob sich Mitarbeitende für eine bestimmte Stelle entscheiden oder länger in einer Unternehmung verbleiben. HRM-Fachleute sind sich weitgehend einig darin, dass das Management der psychologischen Verträge den vielfältigen Charakteren innerhalb der Belegschaft und der Anforderung an Unternehmen, innovativ und anpassungsbereit zu sein, Rechnung tragen muss (Guest, 1998). Folglich sollten die Bedürfnisse möglichst aller Mitarbeitenden berücksichtigt werden. Organisationen tendieren dazu, die Vielfalt der Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden zu unterschätzen, indem sie annehmen, dass die kulturellen und persönlichen Werte unter den Mitarbeitenden weitgehend homogen sind (Millward & Brewerton, 2000). Vor allem Mitarbeitende auf einer tieferen Hierarchiestufe werden häufig in ihren Bedürfnissen übergangen (Millward & Brewerton, 2000), oder die Bedürfnisse älterer Mitarbeitender nicht ausreichend berücksichtigt (vgl. Schalk, 2007). Ein Beispiel aus Grossbritannien zeigt, dass es sich lohnt, die Individualität von Mitarbeitenden zu berücksichtigen. Die Firma Vauxhall Motors führte ein individuelles Entwicklungsangebot ein, das den Mitarbeitenden erlaubte, ihre persönlichen Entwicklungsbedürfnisse sowohl innerhalb als auch ausserhalb des Unternehmens zu verfolgen. Seit der Einführung dieses Angebotes gab es bedeutend weniger Kündigungen (Millward & Brewerton, 2000). Analog dazu könnte ein Unternehmen bezüglich der Wahrnehmung sozialer Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitenden verfahren, indem es ermittelt, welche Bedürfnisse bzw. Erwartungen die Mitarbeitenden generell haben. Wie in Kapitel 2.3 ausgeführt wurde, können Unternehmen Informationen über die Bedürfnisse ihrer Angestellten gewinnen, indem sie ermitteln, welchem Vertragstyp (transaktional, relational, ideologisch) diese unterstehen. Jedoch verfügt jeder Mitarbeitende über einen individuellen psychologischen Vertrag mit dem Unternehmen, und seine Wahrnehmung der Pflichten des Arbeitgebers ihm gegenüber können von der Perspektive des Unternehmens 6 vgl. Medienmitteilung Universität Zürich vom 26.3.2008 (http://www.mediadesk.unizh.ch/mitteilung.php?text_id=284&grp=aktuell [29.4.2008]). 31 abweichen (vgl. Herriot & Pemberton, 1997). Zudem ist es wahrscheinlich, dass sich psychologische Verträge über die Zeit hinweg verändern (Levinson et. al, 1962, zit. nach Roehling, 1997; Herriot & Pemberton, 1997). Deshalb ist es wichtig, dass sich Unternehmen über die Erwartungen und Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden laufend informieren. Wie soll ein Unternehmen nun mit den Erwartungen, die Mitarbeitende an ihren Arbeitgeber stellen, umgehen? Ist jede Forderung automatisch legitim, da die Erfüllung der psychologischen Verträge mit den Mitarbeitenden ethisch verbindlich ist? Welche Beurteilungskriterien gibt es bezüglich der Verantwortung eines Unternehmens gegenüber seinen Mitarbeitenden? Was sollte bezüglich Wahrnehmung der Verantwortung „gegen innen“ zusätzlich beachtet werden? Der nächste Abschnitt gibt auf diese Fragen mögliche Antworten. 4.2.2. Wahrnehmung sozialer Verantwortung gegenüber den Mitarbeitenden Da ein psychologischer Vertrag ein hypothetisches Konstrukt ist und durch die Wahrnehmung des jeweiligen Mitarbeitenden geprägt wird (z.B. Raeder, 2007b), stellt sich zu Recht die Frage, wie verbindlich psychologische Verträge für Unternehmen sein sollen (vgl. Van Buren III, 2000) und nach welchen Kriterien psychologische Verträge beurteilt werden können. Van Buren III (2000) hebt hervor, dass psychologische Verträge auch unrealistisch sein können. Er nennt als Beispiel einen Mitarbeitenden, der nicht viel leistet, und trotzdem Anspruch auf Beförderung und Lohnerhöhung erhebt. Solche Ansprüche würde ein Aussenstehender mit objektiver Sicht auf die Situation wohl ablehnen. Van Buren III schlägt demzufolge auch vor, die Verbindlichkeit impliziter Verträge anhand eines „reasonable third party standard“ zu beurteilen (vgl. Bok, 1978, zit. nach Van Buren III, 2000, S. 208). Hierbei würde eine nicht involvierte, neutrale Partei die streitige Situation betreffend Angeboten und Erwartungen im psychologischen Vertrag von aussen betrachten und eine Entscheidung fällen. Neutrales Verhalten der aussen stehenden Beurteilungsinstanz dürfte allerdings schwierig zu gewährleisten sein. Als weiteres Beurteilungskriterium der Verbindlichkeit psychologischer Verträge führt Van Buren III (2000) Ressourcenknappheit („resource munificence“; vgl. dazu auch Klein, 1990) in einem Unternehmen an. Entlässt ein Unternehmen z.B. Mitarbeitende einzig, um noch höhere Gewinne zu erwirtschaften, macht Van Buren III eine höhere Haftbarkeit bezüglich der psychologischen Verträge aus, als wenn Entlassungen aufgrund verschärftem Wettbewerb oder technologischen Veränderungen zwingend zum Überleben eines Unternehmens 32 nötig sind (Van Buren III, 2000). In letzterem Fall wären die psychologischen Verträge mit den Mitarbeitenden nach der Argumentation von Van Buren III für das Unternehmen nicht verbindlich und würden demnach auch nicht Teil der Verantwortung „gegen innen“ sein. Offen bleibt bei Van Buren III die Frage, worin sich die Haftbarkeit des Unternehmens bezüglich der psychologischen Verträge seiner Mitarbeitenden konkret zeigen soll. Es ist denkbar, dass von einem Unternehmen gefordert werden kann, den Mitarbeitenden angemessene zusätzliche Angebote zu unterbreiten, wenn ein Angebot wegfällt oder nicht mehr in gleichem Umfang geboten werden kann. (vgl. Wittmann, 2006). Was der Situation angemessen ist, könnte im Dialog mit den betreffenden Mitarbeitenden und gegebenenfalls unter Miteinbezug einer externen Partei ermittelt werden. In der Theorie des Sozialvertrages gilt Fairness als Beurteilungskriterium für die Gültigkeit eines Vertrages (vgl. Rawls, 1971, zit. nach Raeder, 2007b). Da es in psychologischen Verträgen, analog zum Sozialvertrag, ebenfalls ein Machtungleichgewicht gibt (zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer; im Sozialvertrag zwischen dem Souverän und dem Volk; vgl. Lessnoff, 1990, zit. nach Raeder, 2007b), legt Raeder (2007b) diesen ebenfalls Fairness als Kriterium der Gültigkeit zugrunde. In Anlehnung an Cropanzano und Randall (1992, zit. nach Raeder, 2007b) unterscheidet sie die Dimensionen distributive, prozedurale und interaktionale Fairness. Diese beinhalten, dass der Austausch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im psychologischen Vertrag fair sein soll (distributive Fairness), dass den Mitarbeitenden klar ist, wie die Angebote und Erwartungen des Arbeitgebers zustande gekommen sind (prozedurale Fairness) und dass über diese kommuniziert und verhandelt werden kann (interaktionale Fairness). Ein besonders heikler Punkt ist der Übergang vom traditionellen zum neuen psychologischen Vertrag, wo Vereinbarungen vor allem von Seiten des Unternehmens oft verletzt werden (vgl. Kapitel 2.4; Wittmann, 2006). Gemäss Wittmann haben es Unternehmen offensichtlich verpasst, den Mitarbeitenden als Gegenleistung für erhöhte Leistungsbereitschaft und Flexibilität angemessene Angebote zu unterbreiten. Er sieht den Hauptgrund für die Brüchigkeit des psychologischen Vertrages in der weit verbreiteten Misstrauens- und Angstkultur in Unternehmen. So führt er an, dass Mitarbeitende grundsätzlich Verständnis dafür haben, dass ihnen ihr Arbeitgeber keine Arbeitsplatzsicherheit mehr gewähren kann, allerdings in Restrukturierungssituationen ein faires und verantwortungsvolles Vorgehen erwarten. Wittmann erachtet beispielsweise die Beschäftigung langjähriger Mitarbeitender bis zur Pensionierung als Ansatzpunkt einer sozialen und verantwortlichen Personalpolitik. Damit verbindet er das Konzept des psychologischen Vertrages mit der Unternehmensethik. 33 Raeder (2007a) schlägt vor, den psychologischen Vertrag gezielt zur Thematisierung sich verändernder Angebote (z.B. Arbeitsplatzsicherheit, Laufbahnentwicklung) und Erwartungen (z.B. Leistung, Eigenverantwortung) zu nutzen. Von besonderer Bedeutung ist dies im Zuge von Reorganisationen, die oft mit Personalabbau verbunden sind. Es können nicht immer optimale Bedingungen für alle Mitarbeitenden geschaffen werden, doch kann sichergestellt werden, dass Möglichkeiten und Grenzen für jeden einzelnen bekannt sind und in die individuelle Berufs- und Lebensplanung miteinbezogen werden (vgl. Grote, 2006). Lunau und Wettstein (2004) schlagen deshalb vor, dass Unternehmen keinen „Masterplan“ anstreben müssen, der die Verantwortung gegenüber den Mitarbeitenden im Detail regelt. Vielmehr genüge hier eine Liste gut begründeter Prioritäten, welche sich daraus ergibt, dass sich ein Unternehmen auf die Anliegen seiner Mitarbeitenden ernsthaft und konkret einlässt. 4.3. Verantwortung der Unternehmen „gegen aussen“ Ein Unternehmen kann sich als Ganzes gegenüber den externen Stakeholdern nur ethisch verhalten, wenn seine Mitarbeitenden ethisches Verhalten zeigen. Deshalb erscheint es nahe liegend, dass Mitarbeitende von dem Unternehmen, für welches sie arbeiten, angehalten werden, sich moralisch korrekt und integer zu verhalten. In Kapitel 3 wurde ausgeführt, mit welchen Massnahmen dies erreicht werden könnte. Grundsätzlich braucht es eine Unternehmenskultur, welche ethisches Verhalten fördert und erlaubt. Zudem braucht es aber auch gezielte Forderungen des Unternehmens gegenüber seinen Mitarbeitenden. Einerseits sind dies rechtliche Vorgaben, die, unter Strafandrohung, eingehalten werden müssen (vgl. Ausführungen zum Compliance-Ansatz, Kapitel 3.2.1). Andererseits sollte ein Unternehmen seinen Mitarbeitenden signalisieren, welche Verhaltensweisen über die rechtlichen Vorgaben hinaus erwünscht sind, insbesondere im Hinblick auf die Wahrnehmung sozialer Verantwortung gegenüber externen Stakeholdern. Zwischen dem vertraglich vereinbarten Verhalten und den gesetzlichen Vorschriften, die eingehalten werden müssen und dem zusätzlichen integeren Verhalten, welches Mitarbeitende zeigen sollen, klafft eine Lücke. Analog zum Transformationsproblem7 bezüglich der unvollständigen Arbeitsverträge mit Mitarbeitenden (Wieland, 1996, zit. nach Wittmann, 1997) kann ein Unternehmen seinen Angestellten nicht verordnen, wie sie sich genau zu verhalten haben. Das aktive Management 7 Das Transformationsproblem beinhaltet, dass Unternehmen bezüglich ihren Mitarbeitenden mittels eines Arbeitsvertrages lediglich ein gesetzlich und zeitlich beschränktes Verfügungsrecht erwerben, die Arbeitsleistung hinsichtlich Qualität und Quantität aber nicht eindeutig bestimmbar ist. Eine Hauptaufgabe des HRM besteht demnach darin, dazu beizutragen, dass das durch den Arbeitsvertrag erworbene Nutzungsrecht an Wissen und Fähigkeiten der Mitarbeitenden in Leistung transformiert wird, welche dem Unternehmen dient. 34 des psychologischen Vertrages hat das Potenzial, diese Lücke zu füllen, indem es systematisch dafür eingesetzt wird, Erwartungen und Angebote bezüglich ethischem Verhalten zu kommunizieren, zu kontrollieren und „Trends“ von der Basis zu erfassen und diesen Rechnung zu tragen. Es wird vorgeschlagen, dem psychologischen Vertrag eine eigentliche Ethikkomponente beizufügen, wie dies Sims (1991) vorgeschlagen hat. Sims betont, dass auch die Einhaltung der psychologischen Verträge gegenüber den Mitarbeitenden von grosser Bedeutung ist, da diese ein zentraler Bestimmungsfaktor ethischen Verhaltens seitens der Mitarbeitenden sein könnte (vgl. dazu Kapitel 4.2). Nachfolgend werden Ansatzpunkte zur Ausgestaltung einer Ethikkomponente im psychologischen Vertrag erläutert, und es wird dargestellt, wie das Management der psychologischen Verträge das Unternehmen darin unterstützen kann, soziale Verantwortung „gegen aussen“ hin wahrzunehmen. 4.3.1. Ausgestaltung einer Ethikkomponente im psychologischen Vertrag Vor allem die Arbeitgeberseite im psychologischen Vertrag hat aus oben genannten Gründen ein Interesse, dem psychologischen Vertrag eine Ethikkomponente beizufügen. Dies erfordert, dass sich ein Unternehmen einerseits darüber bewusst ist, was es von seinen Mitarbeitenden bezüglich Moral und integerem Verhalten erwartet und dass es dies andererseits auch in einer geeigneten Form kommuniziert und deren Umsetzung sicherstellt. Aber auch Mitarbeitende haben in der Regel bestimmte ethische Erwartungen an das Unternehmen, für das sie arbeiten. Insbesondere bezüglich Rekrutierung von High Potentials spielt das ethische Image eine wichtige Rolle (Köhler, 2007). Gemäss der Cone Millennial Cause Study 2006 (zit. nach Köhler, 2007) achten insbesondere Mitarbeitende der Jahrgänge ab 1979 darauf, ob ihr zukünftiger Arbeitgeber gesellschaftliche Verantwortung übernimmt (vgl. Köhler, 2007). Sims (1991) misst der Übereinstimmung der Erwartungen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezüglich ethischen Verhaltens eine grosse Bedeutung zu. So argumentiert er, dass die Institutionalisierung von Unternehmensethik umso besser gelingt, je eher die Erwartungen beider Parteien bezüglich ethischem Verhalten übereinstimmen. Dabei sei es wichtig, so Sims, dass die beiden Parteien die Erwartungen der Gegenpartei möglichst gut nachvollziehen können. Dies impliziert, dass es auch wichtig ist, die Erwartungen der Mitarbeitenden an das Unternehmen bezüglich Ethik zu kennen und diese bewusst zu managen. Dieser Punkt wurde in der vorliegenden Arbeit bereits unter der ersten Sichtweise, „Verantwortung des Un- 35 ternehmens gegen innen“ (vgl. Kapitel 4.2), abgehandelt. Die Erwartungen der Mitarbeitenden bezüglich Ethik können demzufolge analog zu den generellen Erwartungen der tenden im psychologischen Vertrag nach den Kriterien des „reasonable third party standards“, der Ressourcenknappheit und der Fairness beurteilt werden. In diesem und im nachfolgenden Abschnitt wird auf die Erwartungen des Unternehmens bezüglich ethischen Verhaltens fokussiert (vgl. oben S. 28, Abb. 6). Demgegenüber stehen die Angebote der Mitarbeitenden bezüglich ethischen Verhaltens. Dies bedeutet, dass ein Unternehmen nicht automatisch von seinen Mitarbeitenden erwarten kann, dass diese mit allen Beiträgen an die Institutionalisierung von Ethik, die es von ihnen fordert, einverstanden sind und diese blind erbringen. Vielmehr besteht die Idee des psychologischen Vertrages ja gerade darin, dass den Erwartungen der einen Partei die Angebote der anderen Partei gegenübergestellt werden. So beinhaltet das Management psychologischer Verträge bezüglich Verantwortung „gegen aussen“ neben der Kommunikation der Erwartungen des Unternehmens auch den Abgleich mit den Angeboten der Mitarbeitenden. Es ist denkbar, dass ein Unternehmen von seinen Mitarbeitenden ein Verhalten erwartet, welches diese unmöglich zeigen können. Ein Beispiel dafür ist die Einhaltung von Mindeststandards in der Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern. So könnten unternehmerische Bestrebungen in Sachen Unternehmensethik den lokalen Gegebenheiten an einem bestimmten Produktionsstandort zuwider laufen, womit dieses eher schadet als nützt, so zum Beispiel wenn Familien darauf angewiesen sind, dass ihre Kinder bereits ab 14 Jahren arbeiten, damit sie ihren Lebensunterhalt finanzieren können, anstatt erst ab 16 Jahren, wie dies evtl. eine Unternehmung aus moralischen Überlegungen (Bekämpfung von Kinderarbeit) vorschreiben möchte. Mitarbeitende haben mittels Management der psychologischen Verträge die Möglichkeit, ihrem Arbeitgeber eine Rückmeldung zu geben, ob die ethischen Erwartungen, welche es an sie richtet, auch gerechtfertigt und sinnvoll sind. Diese Rückmeldungen spiegeln sich in den Angeboten der Mitarbeitenden bezüglich ethischem Verhalten im psychologischen Vertrag wider. 4.3.2. Wahrnehmung sozialer Verantwortung gegenüber den externen Stakeholdern Damit das Management des psychologischen Vertrages einen sinnvollen Beitrag an die Wahrnehmung sozialer Verantwortung gegenüber externen Stakeholdern leisten kann, ist es angezeigt, die Erwartungen bezüglich ethischen Verhaltens an die Mitarbeitenden zu strukturieren. Eine mögliche Struktur ist die Unterteilung nach Stakeholdern. Dabei wird schriftlich festgehalten, welchen Stakeholdern gegenüber das Unternehmen welches Verhalten von sei- 36 nen Mitarbeitenden erwartet. Zum Beispiel erwartet ein Unternehmen, dass seine Mitarbeitenden mit Lieferanten nur faire Verträge abschliessen, die deren Existenz sichern und damit diese wiederum ihren Mitarbeitenden angemessene Löhne zahlen können. Es ist auch denkbar, generelle Verhaltensweisen gegenüber den Stakeholdern im Rahmen einer Ethikkomponente im psychologischen Vertrag zu verankern, z.B. Ehrlichkeit, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft usw. Zur Evaluation, wie ethisch sich die Mitarbeitenden eines Unternehmens verhalten, können die Stakeholder, z.B. die Lieferanten, befragt werden. Auf diese Weise könnten Rückschlüsse über deren ethisches Verhalten gezogen werden. Verfügt das Unternehmen über einen Ethikkodex, können einzelne Punkte daraus über die Ethikkomponente im psychologischen Vertrag konkretisiert und so klarer kommuniziert und auch eingefordert werden (vgl. Ulrich et al., 1999). Gemäss Mathews (1987) und Snell und Herndon (2004; beide zit. nach Rasche, 2007) ist die inkonsistente Interpretation und Anwendung von Ethikkodizes einer der Hauptgründe für deren Ineffektivität. Das explizite Management des psychologischen Vertrages könnte demnach auch dazu dienen, schon bestehende Ethikmassnahmen zu unterstützen, indem das Unternehmen seine Erwartungen und die Mitarbeitenden ihre Angebote kommunizieren und so ersichtlich wird, ob diese übereinstimmen und ob bei bestimmten Themen Handlungsbedarf besteht. Bei letzterem müssten entweder das Unternehmen seine Erwartungen oder die Mitarbeitenden ihre Angebote anpassen. Zusätzlich sollte in Anlehnung an Ulrich et al. (1999) durch das Unternehmen klar abgegrenzt werden, welche Ethikthemen „geschlossen“ sind - hier ist keine Diskussion möglich, z.B. bei ganz grundsätzlichen Werten, die das Unternehmen von den Mitarbeitenden einfordert - und welche „offen“ (vgl. Kapitel 3.2.2.). Trotzdem sollte das Unternehmen flexibel genug bleiben, Ethikthemen, die „geschlossen“ sind, wieder der Diskussion zu „öffnen“, und umgekehrt „offene“ Ethikthemen zu „schliessen“, wenn gute Gründe dafür vorliegen. 4.4. Das Management psychologischer Verträge als HRM-Instrument In den vorangegangen Kapiteln wurde bereits erwähnt, dass das HRM das Management der psychologischen Verträge zwischen dem Unternehmen und seinen Mitarbeitenden übernehmen könnte. Bei den beiden dargestellten Sichtweisen, der Verantwortung „gegen innen“ und der Verantwortung „gegen aussen“, stehen Mitarbeitende und ihre psychologischen Verträge mit dem Unternehmen, für welches sie arbeiten, im Mittelpunkt. Das HRM, dessen Adressaten die Mitarbeitenden sind, erscheint deshalb prädestiniert für die Rolle des Mittlers zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (vgl. Kapitel 3.2.4). 37 Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Management psychologischer Verträge als HRMInstrument zu konzipieren. In der vorliegenden Arbeit kann nur auf eine Möglichkeit detailliert eingegangen werden, nämlich auf die Konzeption als Online-Tool. Anschliessend wird kurz auf die Anwendung des Managements psychologischer Verträge bzw. der Informationen zu Erwartungen und Angeboten aus dem Online-Tool in verschiedenen HR-Bereichen eingegangen. 4.4.1. Konzeption als Online-Tool Damit das Management des psychologischen Vertrages zu einem eigentlichen HRMInstrument zur Institutionalisierung von Ethik in Unternehmen wird, muss es analog anderer Ethikmassnahmen in der Unternehmensstruktur verankert werden. Deshalb bietet es sich an, eine Plattform zu schaffen, auf der sich Geschäftsleitung, Führungskräfte und Mitarbeitende über ihre Erwartungen und Angebote fortwährend austauschen können. Somit könnte sichergestellt werden, dass laufend über Erwartungen und Angebote kommuniziert werden kann, und nicht nur punktuell z.B. einmal pro Jahr im Rahmen eines Mitarbeitergesprächs. Konkret würde sich als Austauschforum ein Online-Tool eignen, welches vom HRM verwaltet wird. In diesem Online-Tool könnten alle Parteien eintragen, wie es um ihre Erwartungen und Angebote, insbesondere auch im Bereich Ethik, steht. Ein Online-Tool hat den Vorteil, dass es direkt anzeigen kann, welche Erwartungen der Parteien erfüllt sind und bei welchen Inhalten Angebote und Erwartungen in welchem Ausmass auseinander fallen. Das Online-Tool hätte somit auch die Funktion eines Frühwarnsystems bzw. „Seismographen“ (vgl. Lunau & Wettstein, 2004, S. 116). Um der Individualität der Mitarbeitenden Rechnung zu tragen, müsste das Tool flexibel genug sein, die spezifischen Bedürfnisse und Erwartungen erfassen zu können. Denkbar ist es, ein Set von Erwartungen und Angeboten seitens des Unternehmens fix im Tool zu verankern, während aber noch Platz für individuelle Erwartungen und Angebote bleibt, die von jedem einzelnen Mitarbeitenden ergänzt werden können. Dabei wäre wiederum die Unterscheidung der Verantwortung „gegen innen“ und „gegen aussen“ notwendig. Den individuellen Bemerkungen von Mitarbeitenden sollte besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, da diese auf Handlungsbedarf bezüglich bestimmter Themen hinweisen könnten. So könnten auf den Wunsch der Mitarbeitenden hin z.B. neue Angebote und Erwartungen (z.B. Unterstützung bei der Gestaltung der Work-Life-Balance der Mitarbeitenden) in das Tool aufgenommen werden, oder bestehende in Zukunft weggelassen werden (z.B. Bezahlung ei- 38 nes bestimmten Betrages an das Abonnement eines Fitnesscenters), da sie nicht mehr relevant sind. Es müsste zudem festgelegt werden, wer die Angebote und Erwartungen von Seiten des Unternehmens definiert und vertritt. Nach Möglichkeit sollte es kein HRM-Verantwortlicher sein, da dieser „neutral“ sein sollte und als Vertreter der Geschäftsleitung leicht in einen Rollenkonflikt geraten kann. Das Unternehmen sollte möglichst von einem Mitglied der Geschäftsleitung vertreten werden. Dies steigert die Glaubwürdigkeit des ganzen Prozesses. HRM-Vertreter sollten aber trotz ihrer Vermittlerrolle die Möglichkeit haben, ihre Wahrnehmung von Angeboten und Erwartungen seitens der drei involvierten Parteien mit einzubringen. Dies ist besonders dann sinvoll, wenn es um noch nicht berücksichtigte Aspekte (z.B. ein neues, wichtiges Angebot, dessen sich die involvierten Parteien nicht bewusst sind) geht. Die Informationen über die Wahrnehmung der Angebote und Erwartungen seitens der Mitarbeitenden, der Führungskräfte und der Geschäftsleitung könnten zusammengetragen und in definierten zeitlichen Abständen (z.B. alle 3 Monate) in Anwesenheit von HRM-Vertretern diskutiert werden. Dabei könnte auch festgelegt werden, ob bei den fest im Tool verankerten Angeboten und Erwartungen eine Änderung nötig ist. Es müsste klar deklariert werden, wozu die Daten verwendet werden, ob sie z.B. zum Zweck der Selbstbindung der Mitarbeitenden bzw. des Unternehmens veröffentlicht werden (vgl. Ulrich et al., 1999) oder in Analysen durch bestimmte interne Stellen einfliessen. Zusätzlich müsste definiert werden, wer welchen Zugriff auf das Online-Tool erhält. Es ist denkbar, dass nur für HRM-Vertreter, die das Tool verwalten, die Namen der betreffenden Mitarbeitenden ersichtlich sind. Eine Alternative dazu wäre, dass die Mitarbeitenden selber entscheiden können, welche Angaben sie anonym geben wollen (dies empfiehlt sich insbesondere bei heiklen Themen, wo evtl. die Geschäftsleitung anderer Meinung ist) und welche Angaben für alle Beteiligten ersichtlich sein sollen. 4.4.2. Anwendung in verschiedenen HR-Bereichen Neben der Diskussion von Vertretern der beteiligten Parteien (Geschäftsleitung, Führungskräfte, Mitarbeitende) bezüglich Anpassung der im Online-Tool verankerten Angebote und Erwartungen, sollten die Informationen im Tool auch in die verschiedenen HR-Bereiche einfliessen. Bei der Rekrutierung, wo noch keine Informationen bezüglich Angeboten und Erwartungen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Verfügung stehen, sollte mit deren 39 Gewinnung begonnen werden bzw. sollten dort die psychologischen Verträge bereits aktiv gemanagt werden. Nachfolgend werden diesbezüglich Empfehlungen gegeben. Rekrutierung Da psychologische Verträge oft schon während des Rekrutierungsprozesses entstehen (vgl. z.B. Robinson & Morrison, 2000; Rousseau, 1990, zit. nach Millward & Brewerton, 2000) ist es von grosser Bedeutung, dass Erwartungen und Angebote generell, und auch bezüglich ethischen Verhaltens, schon in dieser Phase thematisiert werden. Aus ethischer Sicht spielen „realistic job previews“ (z.B. Wanous, Poland, Premack & Davis, 1992, zit. nach Guest & Conway, 2002) eine wichtige Rolle. Demnach sollen Unternehmen klar kommunizieren, was die Bewerber erwarten können (z.B. bezüglich Karrieremöglichkeiten und Weiterbildung) und keine falschen Versprechen machen. Letzteres würde die Gefahr erhöhen, dass Vertragsbruch wahrgenommen wird, weil das Unternehmen bei den Mitarbeitenden Erwartungen geweckt hat, welches es nicht erfüllen kann. Das Unternehmen hat zudem bereits während der Rekrutierungsphase die Gelegenheit, seine Erwartungen an die Bewerber bezüglich ethischen Verhaltens klar zu formulieren und zu überprüfen, ob diese bereit sind, diese Erwartungen zu erfüllen. Bei der Einstellung von Bewerbern empfiehlt es sich, Angebote und Erwartungen bereits im Online-Tool zu erfassen und so den psychologischen Vertrag explizit zu machen. Personalentwicklung Die Informationen aus dem Online-Tool über Erwartungen und Angebote zeigen auf, wo ein allfälliger Entwicklungsbedarf bei den Mitarbeitenden besteht. Ein spezielles Augenmerk sollte dabei auf die Erwartungen des Unternehmens bezüglich ethischem Verhalten, welches es als Pflicht bzw. als Grundlage für den Geschäftserfolg erachtet („geschlossene“ Ethikthemen; vgl. Kapitel 3.2.2), gerichtet werden. Es könnte sein, dass Mitarbeitende ein bestimmtes Verhalten gerne zeigen möchten, dass ihnen dazu aber das Wissen - das Know-how - fehlt. Die Diskussionplattform bietet die Möglichkeit, Gründe für die Nicht-Erfüllung von unternehmensseitigen Erwartungen zu ermitteln und hier allenfalls mit geeigneten Entwicklungsmassnahmen anzusetzen. 40 Leistungsbeurteilung und -vergütung Ethisches Verhalten sollte beurteilt und belohnt werden, z.B. im Rahmen eines „EthikBonus“8. Erwartungen und Angebote aus dem psychologischen Vertrag bieten hierzu eine Beurteilungsgrundlage. Mit Hilfe der Informationen aus dem Online-Tool kann das Unternehmen einige Ansatzpunkte bzw. Verhaltensindikatoren definieren, aufgrund derer integeres Verhalten bei den Mitarbeitenden beurteilt werden kann. Es sollte aber sichergestellt werden, dass grundsätzliche Verhaltensweisen beurteilt und vergütet werden („geschlossene“ Ethikthemen, vgl. Kapitel 3.2.2), und nicht umstrittene Themen („offene“ Ethikthemen; vgl. Kapitel 3.2.2), über die ja auch diskutiert werden soll. Demnach soll für jeden Mitarbeitenden transparent sein, wie er den Ethik-Bonus erhalten kann. Ansonsten könnte die Gefahr bestehen, dass Mitarbeitende nicht mehr offen über ihre Angebote im Bereich Ethik kommunizieren, sondern sich möglichst „unternehmenskonform“ verhalten, damit sie den Ethik-Bonus erhalten. Der „Ethik-Bonus“ könnte auch immateriell entrichtet werden, z.B. auch durch das Gewähren dreier zusätzlicher Ferientage oder eine Städtereise. Es ist auch denkbar, die Mitarbeitenden im Sinne eines Cafeteria-Systems ihre Ethik-Prämie selbst wählen zu lassen. Freisetzung von Personal Bei der Freisetzung von Personal, dem wohl heikelsten HRM-Thema, spielen Angebote und Erwartungen, insbesondere bezüglich Verhalten des Unternehmens im Entlassungsprozess, eine zentrale Rolle. Hier können wiederum Informationen aus dem Online-Tool dazu dienen, die Bedürfnisse von Mitarbeitenden bezüglich Entlassungsprozess zu ermitteln und diese, falls möglich, zu berücksichtigen. 8 Es wird empfohlen, eine allfällige Vergütung ethischen Verhaltens als Bonus- und nicht als Malus-System zu konzipieren. Es sollten demnach Anreize und nicht Abreize (vgl. dazu Thielemann, 2005) gesetzt werden. 41 5. Diskussion 5.1. Beantwortung der Kernfragen 1) Wie trägt das Management der psychologischen Verträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Institutionalisierung von Ethik in Unternehmen bei? Der Beitrag des Managements psychologischer Verträge an die Institutionalisierung von Ethik in Unternehmen besteht darin, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer gezielt über gegenseitige Erwartungen und Angebote kommunizieren. Die Besonderheit des psychologischen Vertrages, dass Erwartungen der einen Partei Angeboten der anderen Partei und umgekehrt gegenüberstehen, birgt eine grosse Chance für die Umsetzung von Ethik in Unternehmen. So erhalten Mitarbeitende das von Unternehmensethikern so oft geforderte Mitspracherecht; es wird in Betracht gezogen, dass sie bezüglich der Wichtigkeit integeren Verhaltens eine andere Sichtweise haben können, und die eigene Meinung wird ihnen zugestanden (vgl. Wittmann, 1997). Zugleich definiert das Unternehmen, welche Ethikthemen „geschlossen“ sind, d.h. hier handelt es sich um verbindliche ethische Richtlinien, an welche sich Mitarbeitende halten müssen. Bei den „offenen“ Themen können Mitarbeitende hingegen ihre Meinung einbringen und je nachdem selber entscheiden, welche Verhaltensweisen sie für sinnvoll und der Situation angemessen halten. Die Unterscheidung der beiden Sichtweisen „Verantwortung gegen innen“ und „Verantwortung gegen aussen“ ermöglicht es dem Unternehmen zudem, eine gewisse Struktur in das Management der psychologischen Verträge zu bringen. Es ist von grosser Bedeutung, dass das Unternehmen die Rolle der Mitarbeitenden in beiden Sichtweisen - in der ersten Sichtweise sind sie die Adressaten sozialer Verantwortung, in der zweiten Sichtweise unterstützen sie als Agenten des Unternehmens dieses in der Wahrnehmung sozialer Verantwortung gegenüber externen Stakeholdern - anerkennt und sich derer bewusst ist. Bezüglich der Verantwortung „gegen innen“ gilt es zunächst, die Bedürfnisse bzw. Erwartungen der Mitarbeitenden zu ermitteln und diese mit den Angeboten des Unternehmens zu vergleichen. Daneben stellt sich die Frage, wie ein Unternehmen gegenüber seinen Mitarbeitenden, bezogen auf deren psychologische Verträge, konkret soziale Verantwortung übernehmen kann. Gemäss Van Buren III (2000) sind psychologische Verträge für ein Unternehmen nicht in jedem Fall verbindlich. Haben Mitarbeitende nach Einschätzung einer 42 neutralen, aussenstehenden Beurteilungsinstanz unvernünftige Erwartungen oder ist ein Unternehmen z.B. aufgrund verschärftem Wettbewerb gezwungen, Mitarbeitende zu entlassen, wären laut Van Buren III die psychologischen Verträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht verbindlich. Somit würde die soziale Verantwortung des Unternehmens reduziert. Psychologische Verträge sollten zudem nach Möglichkeit fair sein. 2) Wie kann das Management psychologischer Verträge konkret als HRM-Instrument zur Institutionalisierung von Ethik in Unternehmen konzipiert werden? Bezüglich Konzeption als HRM-Instrument wurde die Einführung eines Online-Tools vorgeschlagen. Das Online-Tool wird vom HRM verwaltet und bietet Geschäftsleitung, Führungskräften und Mitarbeitenden eine Plattform, um sich über ihre Erwartungen und Angebote auszutauschen. Der Vorteil des Tools besteht darin, dass laufend neue Informationen eingetragen werden können, und somit ein eigentlicher Dialog zwischen den Parteien stattfinden kann. Bezüglich „Verantwortung gegen innen“ kann ermittelt werden, ob das Unternehmen seinen Mitarbeitenden die richtigen Angebote im richtigen Ausmass macht, oder ob hierbei allenfalls eine Anpassung notwendig ist (z.B. Identifikation von neuen Erwartungen seitens der Mitarbeitenden und nicht mehr relevanten Angeboten des Unternehmens). Bei der „Verantwortung gegen aussen“ können Erwartungen bezüglich ethischen Verhaltens mit Angeboten diesbezüglich verglichen und ein allfälliger Handlungsbedarf (z.B. Vermittlung des nötigen Know-how als Entwicklungsmassnahme) kann ermittelt werden. Das Online-Tool bzw. die Informationen zu Angeboten und Erwartungen können in den verschiedenen HR-Bereichen (Rekrutierung, Personalentwicklung usw.) genutzt werden, wobei darauf geachtet werden muss, für welche Personen bzw. Stellen im Unternehmen die Namen der betreffenden Mitarbeitenden bekannt sind. Zudem können die involvierten Parteien regelmässigen Zeitabständen (z.B. alle 3 Monate) über den psychologischen Vertrag und die Verantwortung „gegen innen“ und „gegen aussen diskutieren. Diese Diskussion könnte durch das HRM moderiert werden, und gleichzeitig sollten HRM-Vertreter auch ihre Sichtweise einbringen können. Dies würde sich gerade bei Aspekten bezüglich gegenseitiger Erwartungen und Angebote, derer sich die involvierten Parteien nicht oder zu wenig bewusst sind, anbieten. 43 5.2. Zusammenfassung Basierend auf theoretischen Überlegungen wurde in der vorliegenden Arbeit das Konzept des psychologischen Vertrages aus einer unternehmensethischen Perspektive betrachtet. Dabei wurden zwei Sichtweisen („Verantwortung gegen innen“ und „Verantwortung gegen aussen“) dargestellt und für beide untersucht, wie das Management der psychologischen Verträge, verstanden als HRM-Instrument, zur Institutionalisierung von Ethik in Unternehmen beitragen kann. Bezüglich Verantwortung eines Unternehmens „gegen innen“ wurden die Pflichten des Unternehmens und die Wahrnehmung sozialer Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitenden thematisiert. Da die Erwartungen und Bedürfnisse von Mitarbeitenden sehr vielfältig sein können, ist es wichtig, dass sich ein Unternehmen laufend darüber informiert. Das Management der psychologischen Verträge bietet dem Unternehmen die Möglichkeit, sich verändernde Angebote und Erwartungen, gerade auch im Zusammenhang mit der grundlegenden Veränderung hin zu „neuen Deals“, gezielt zu thematisieren und mit den Mitarbeitenden darüber zu kommunizieren (z.B. darüber, weshalb keine Arbeitsplatzsicherheit mehr geboten werden kann). Dies ist vor allem auch deshalb von Bedeutung, da es sich beim psychologischen Vertrag um ein Konstrukt handelt, das grundsätzlich in den Köpfen der Mitarbeitenden entsteht bzw. besteht und sich auch dann verändert und weiterentwickelt, wenn es nicht gezielt gemanagt wird. Wie ein Unternehmen soziale Verantwortung gegenüber den Mitarbeitenden übernehmen kann, wurde aufgrund von zwei Kriterien der Verbindlichkeit („reasonable third party standard“ und „resource munificience“; Van Buren III, 2000) und drei Aspekten der Fairness (distributive, prozedurale und interaktionale Fairness; Cropanzano & Randall, 1992, zit. nach Raeder, 2007b) zu beantworten versucht. Bei der Verantwortung eines Unternehmens „gegen aussen“, d.h. gegenüber den externen Stakeholdern, wurde aufgezeigt, dass das aktive Management des psychologischen Vertrages das Potenzial hat, die Lücke zwischen dem vertraglich vereinbarten Verhalten und dem wünschenswerten zusätzlichen integeren Verhalten der Mitarbeitenden zu schliessen. Konkret wurde in Anlehnung an Sims (1991) vorgeschlagen, eine eigentliche Ethikkomponente in den psychologischen Vertrag zu integrieren. Den Erwartungen des Unternehmens bezüglich ethischen Verhaltens können die Angebote der Mitarbeitenden gegenüber gestellt werden. So wird ersichtlich, in welchen Bereichen Erwartungen und Angebote voneinander abweichen, und im Dialog kann auf die Suche nach dem Grund für diese Abweichung gegangen werden. 44 Ein Unternehmen hat im Rahmen der Ethikkomponente im psychologischen Vertrag die Möglichkeit, das erwünschte Verhalten von Mitarbeitenden nach Stakeholdern zu strukturieren. Es können aber auch ganz generelle Erwartungen in die Ethikkomponente mit eingeschlossen werden, z.B. die Einhaltung des Ethikkodex, falls das Unternehmen einen solchen in Kraft gesetzt hat. Mittels Management des psychologischen Vertrages kann sehr detailliert über die einzelnen Bestandteile des Ethikkodex kommuniziert und über allfällige Abweichungen zwischen Erwartungen und Angeboten diskutiert werden. Es konnte nur auf eine Möglichkeit, wie das Management psychologischer Verträge als HRM-Instrument zur Institutionalisierung von Ethik in Unternehmen konzipiert werden kann, eingegangen werden. Es wurde vorgeschlagen, ein Online-Tool einzuführen, welches eine Austauschplattform für die Geschäftsleitung, Führungskräfte und Mitarbeitende bietet. Dabei könnten alle Parteien laufend über ihre Erwartungen und Angebote, insbesondere auch im Bereich Ethik, diskutieren. Die Struktur „Verantwortung gegen innen“ und „Verantwortung gegen aussen“ sollte beibehalten werden. Dieses Online-Tool würde vom HRM verwaltet und es müsste geregelt werden, wer Zugriff darauf erhält, damit gegebenenfalls Anonymität gewährleistet wird wenn die Daten aus dem Tool in die verschiedenen HR-Bereiche einfliessen oder als Diskussionsgrundlage in der Geschäftsleitung verwendet werden. Anschliessend wurde die Anwendung des Managements psychologischer Verträge bzw. der Information zu Angeboten und Erwartungen aus dem Online-Tool in den verschiedenen HR-Bereichen (Rekrutierung, Personalentwicklung usw.) thematisiert. 45 5.3. Kritische Würdigung und Ausblick Ethisches Engagement von Unternehmen umfasst viele Aspekte. Wie oben dargestellt kann das explizite Management psychologischer Verträge bzw. der Austausch eines Unternehmens mit seinen Mitarbeitenden bezüglich der Institutionalisierung von Ethik in Unternehmen bereits wertvolle Beiträge leisten. Es ist aber nur ein Puzzleteil von vielen. Die Drei-Ebenen-Betrachtung (Makro-, Meso-, Mikroebene) in Kapitel 3.1 hat aufgezeigt, dass auf allen Ebenen verantwortungsvoll gehandelt werden muss, und dass sich diese drei Ebenen aber auch wechselseitig beeinflussen. Je mehr Unternehmen (auf der Mesoebene) bereit sind, soziale Verantwortung zu übernehmen, desto höher ist das ethische Bewusstsein und Engagement auf der Makroebene bzw. auf Ebene der wirtschaftlichen Rahmenordnung. Gleichzeitig müssen auf der Makroebene die Bedingungen geschaffen werden, die es Unternehmen ermöglichen, sich sozial zu engagieren, ohne dass ihnen dabei Nachteile gegenüber ihren Konkurrenten erwachsen. Deshalb braucht es zwingend auch überbetriebliche Regelungen, „Spielregeln“ eben, wie Homann und Blome-Drees (1992, zit. nach Löhr, 2004) diese nennen. Ethisches Engagement von Unternehmen sendet aber auch „gegen unten“ Signale (Mikroebene). Gerade jüngeren, gut qualifizierten Mitarbeitenden ist es wichtig, dass ihr zukünftiger Arbeitgeber auch soziale Verantwortung übernimmt (vgl. Cone Millenial Cause Study 2006, zit. nach Köhler, 2007). Dieses Wissen sollte in das University Marketing und in die Gewinnung und Retention von High Potentials einfliessen. Bereits in der Phase der Rekrutierung von High Potentials sollte ein gezielter Dialog über Erwartungen und Angebote geführt werden. Dabei sollte jedoch darauf geachtet werden, dass das soziale Engagement von Unternehmen nicht zu einer reinen Marketingmassnahme wird, sondern wirklich ernst gemeint und Teil der Unternehmenskultur ist. Bezüglich Stakeholderdialog wurde nur ein Ausschnitt aufgegriffen, nämlich der Dialog mit den Mitarbeitenden. Ein Unternehmen sollte aber einen breiten Dialog mit möglichst allen Stakeholdern führen. Deshalb würde es sich anbieten, im beschriebenen Online-Tool auch externe Stakeholder mitdiskutieren zu lassen. Dies allerdings nur im Bereich „Verantwortung gegen aussen“, und allenfalls nur bei denjenigen Belangen, die sie auch wirklich betreffen. Auch hier müsste die Möglichkeit bestehen, dass externe Stakeholder neue Aspekte mit einbringen können, im Sinne von Erwartungen an das Unternehmen, aber auch Angebote bzw. Beiträge, die sie für das Unternehmen erbringen, deren sich dieses noch nicht bewusst ist. 46 Der Stakeholderdialog müsste bezüglich der „Verantwortung gegen aussen“ aber nicht nur verbreitert (Einbezug externer Stakeholder), sondern auch vertieft (Erweiterung der Inhalte) werden. So unterliegen Mitarbeitende gemäss Ulrich et al. (1999) einem Konflikt zwischen integerem Handeln und dem Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele. Über diesen Konflikt sollte gegebenenfalls auch diskutiert werden. So könnten das Unternehmen und seine Mitarbeitenden gemeinsam im Dialog den Spielraum festlegen, innerhalb dessen Mitarbeitende die Freiheit haben, ethisch zu handeln, ganz im Sinne der „schliessenden“ (Leitplanken festlegen) und der „öffnenden“ Funktion (Freiheit zum ethischen Handeln) von Ethikmassnahmen (vgl. Ulrich et al. 1999; vgl. Kapitel 3.2.2) sowie des Compliance- und IntegrityAnsatzes von Paine (1994; vgl. Kapitel 3.2.1). Bezüglich des Managements der psychologischen Verträge durch das HRM stellt sich die Frage, ob das HRM die nötige Unabhängigkeit besitzt, um diese Aufgabe zu übernehmen. In der Studie „Der Personalchef von heute“ des VSKP (Verein Schweizerische Kurse für Personalmanagement) wurden interne Stakeholder (Mitarbeitende, Führungskräfte, Geschäftsleitung, Betriebskommission) befragt, welche Interessen das HRM ihrer Meinung nach vertritt (vgl. SGP, 1984, zit. nach Wittmann, 1997). Dabei wich das Selbstbild der obersten HRVerantwortlichen beträchtlich vom Fremdbild, d.h. von den Einschätzungen der internen Stakeholder, ab. Während von den Mitarbeitenden nur 17% angaben, dass das HRM als Vermittler zwischen den Standpunkten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer agiert, waren es bei den HR-Verantwortlichen rund 43%, die sich vor allem in dieser Rolle sehen. Beim Ist-SollVergleich gab es zwischen den 43% der Befragten, die sich tatsächlich vorwiegend als Vermittler wahrnahmen, gegenüber 59%, die in ihrer Wahrnehmung Vermittler sein sollten (vgl. SGP, 1984, zit. nach Wittmann, 1997), wiederum eine Diskrepanz. Dies impliziert, dass sich das HRM in einem „Person-Rollen-Konflikt“ befindet (Katz & Kahn, 1978, zit. nach Wittmann, 1997), da HR-Verantwortliche glauben, ihr Handeln hauptsächlich nach den Erwartungen der Geschäftsleitung ausrichten zu müssen. Demzufolge wäre es allenfalls sinnvoll, bezüglich Management der psychologischen Verträge eine externe (Kontroll-) Stelle beizuziehen. So könnte z.B. eine externe Consultingfirma den Prozess des Managements der psychologischen Verträge und deren Inhalte regelmässig prüfen. Eine Alternative wäre, dass die Geschäftsleitung dem HRM (evtl. schriftlich) zusichert, ihm bezüglich Management der psychologischen Verträge die Vermittler-Rolle wirklich zuzugestehen und lediglich bestimmte Rahmenbedingungen vorgibt. Das explizite Management der psychologischen Verträge birgt gewisse Risiken (vgl. Conway & Briner, 2005). Wird explizit über Erwartungen und Angebote im psychologischen 47 Vertrag kommuniziert, wird dieser verbindlicher und einem juristischen Vertrag ähnlich. Es sind gravierende Folgen zu erwarten, wenn Angebote seitens des Unternehmens nicht erfolgen. Andererseits wird der psychologische Vertrag nicht nur für das Unternehmen verbindlicher, sondern auch für die Mitarbeitenden. Dies stellt wiederum einen Vorteil für das Unternehmen dar. Welchen Beitrag an die Institutionalisierung von Ethik in Unternehmen das Management psychologischer Verträge tatsächlich liefert, müsste anhand eines Business Case eruiert werden. Wie Raeder und Grote (2001) und auch Guest und Conway (2002) feststellten, managen noch nicht besonders viele Unternehmen die psychologischen Verträge ihrer Mitarbeitenden explizit. Am effektivsten wäre eine Langzeitstudie mit ex ante und ex post Messungen bezüglich Einführung des Managements psychologischer Verträge. Empfehlenswert wäre, wie in der vorliegenden Arbeit vorgeschlagen, die Einführung eines Online-Tools, welches den verschiedenen Parteien (Mitarbeitende, Führungskräfte, Geschäftsleitung) als Kommunikationsplattform dient. Somit bestünden schon schriftliche, für die Studie verwendbare Daten. Zusätzlich gemessen werden könnten beispielsweise das ethische Klima im untersuchten Unternehmen, die Motivation und Arbeitszufriedenheit, das Engagement und der Stolz, für das betreffende Unternehmen zu arbeiten und die Leistung der Mitarbeitenden. Neben den Mitarbeitenden könnten auch die Stakeholder in die Untersuchung mit eingeschlossen werden. Sie könnten Auskunft darüber geben, wie ethisch sich die Mitarbeitenden ihnen gegenüber verhalten, ob sie gerne mit dem betreffenden Unternehmen zusammenarbeiten usw. Es empfiehlt sich, die Fragen wiederum in Verantwortung „gegen innen“ und „gegen aussen“ einzuteilen und beide Bereiche zu untersuchen. Interessant wäre auch, den erwähnten Zusammenhang zwischen der Verantwortung „gegen innen“ und der Bereitschaft der Mitarbeitenden, ihrerseits als Agenten des Unternehmens zur „Verantwortung gegen aussen“ beizutragen, zu untersuchen. Ganz im Sinne von: „Wem Gutes getan wird, der tut selber auch Gutes“. 48 6. Literaturverzeichnis Bok, S. 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