Inszenierungen im Raum #10 Die Macht des Klangs 16,50 EUR (D) 15,42 EUR net März 2014 www.PLOTmag.com ISBN 978-3-89986-153-2 4198458716508 10 Sound als Erzählebene in narrativen Räumen Johannes Scherzer über die Rolle des Klangs in der Szenografie Tonangeber hands on sound, Idee und Klang, Klangerfinder und Korinsky geben Einblick in ihre klangvolle Arbeit 9 783899 861532 > Klang Raum Marke Markenmehrwert durch strategische Klanggestaltung SOUND ALS ERZÄHLEBENE Text: Johannes Scherzer A Poème électronique (S. 22) B Via Crucis (S. 23) 16 C Kugelauditorium (S. 24) IN NARRATIVEN RÄUMEN D Himmelsmechanik (S. 25) E Forest (for a thousand years ...) (S. 26) F The Murder of Crows (S. 27) G resonate (S. 28) H Klangturm / Turmklang (S. 29) I Im Reich der Schatten (S. 30) 17 Als neue Gestaltungsdisziplin bei der Inszenierung von Räumen wurzelt die Klangszenografie in einer Jahrhunderte währenden Beschäftigung mit dem Zusammenwirken von Klang und Raum. Dabei fordern neue technische Möglichkeiten wie 3D-Sound, Sound-Beaming oder interaktiver Sound zum Neudenken der szenografischen Konzepte und Erzählstrategien auf: Nie zuvor war es so einfach, Klang frei im Raum zu bewegen oder sich als Publikum selbst durch inszenierte Klangwelten treiben zu lassen. Johannes Scherzer, einer der drei Geschäftsführer von TAUCHER SOUND ENVIRONMENTS untersucht, welche Rolle Sound in der Szenografie eigentlich spielt und in welchen szenografischen Konzepten Klang bereits erfolgreich eingesetzt wurde. Johannes Scherzer, geboren 1981, ist Diplom-Tonmeister für audio­ visuelle Medien. Nach seinem Studium an der Filmhochschule Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg, wo er sich mit der Erzählforschung für raumbezogene Tonformate in Musik, Film und Hörspiel beschäftigte, gründete er zusammen mit Aleesa Savtchenko und Johannes Varga das Studio für Klangszenografie TAUCHER SOUND ENVIRONMENTS. Seit 2013 lehrt er an der Hochschule der populären Künste in Berlin sowie im Fachbereich Design der FH Potsdam zum Thema Klang und Raum. 18 Statement W enn wir inszenierte Räume oder raumgreifende Medienereignisse erleben, setzen wir diese Erfahrung immer in Bezug zu dem, was wir bisher kennen. Und was wir am besten kennen, ist unser Alltag: Hier bewegen wir uns in einer Welt voller Klänge, die uns stets umgeben – quasi in einem „Soundscape“. Wobei dieser Begriff in den 1970er-Jahren durch die Forschung an der Klangökologie (geprägt durch den kanadischen Komponisten, Klangforscher und Autor Raymond Murray Schafer) bekannt wurde und die akustische Umgebung einer Person an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit beschreibt. „Soundscapes“ umfassen daher unter anderem Klänge aus Natur, Stadt, Sprache, Arbeit, Maschinenlärm oder Musik. Wie unser Gehirn dabei all diese Klänge räumlich lokalisiert, ist nicht immer ganz einfach nachzuvollziehen, aber einfach ausgedrückt: Es gibt ein Vorne, Hinten, Links, Rechts, Oben, Unten, Nah und Fern – und natürlich die Richtungen dazwischen. Bevor wir überhaupt realisieren, dass wir einen bestimmten Klang wahrnehmen, weiß unser Gehirn bereits, wo dieser verortet ist. Wir hören die Welt also in viel größeren Dimensionen, als wir sie sehen können, und orientieren uns mit einer lässigen Sicherheit durch unseren Alltag, indem wir Rufe, Glocken oder Klingeln beachten und uns beispielsweise das anschwellende Geräusch eines Lastkraftwagens zunutze machen. Unser individuelles „Soundscape“ erleben wir zweifelsohne räumlich, und es hilft uns genauso im Alltag wie auch in inszenierten Umgebungen dabei, unsere Beziehung zum näheren Raum oder zu entfernteren Raumbereichen – ja, sogar zu Räumen, die wir gar nicht sehen können – zu begreifen. Während wir Texttafeln lesen, Objekte betrachten, sich bewegenden Menschen oder Bewegtbildern zuschauen oder selbst in Aktion treten, hören wir die uns umgebende Welt: 720-Grad und ohne Pause. Wir können uns entscheiden, wegzusehen, aber nicht, wegzuhören. Erst wenn es zu schmerzen beginnt, verschließen wir die Ohren mit den Händen. In unserer Wahrnehmung sind Klang und Raum also aufs Engste miteinander verbunden. Wer räumlich inszeniert, trifft stets auch Entscheidungen zur hörbaren Umgebung – bewusst oder unbewusst. Wer diese Tat­s ache nicht einkalkuliert, handelt sich bei der Umsetzung seiner Ideen möglicherweise Probleme ein, aber jene Gestaltungsdisziplin ist immer auch eine Chance für den, der sich mit ihr beschäftigt: die Klangszenografie – eine sowohl eigenständige als auch höchst kooperationsfreudige Erzählebene für Inszenierungen im Raum. Raum – Klang – Gestaltung Das Zusammenwirken von Klang und Raum wird bereits seit einigen Jahrhunderten untersucht – sowohl in der Musik als auch in der Kunst. Dabei wird in der Musikgeschichte der flämische Komponist Adrian Willaert als der Pionier der Raumklanggestaltung dargestellt: Während seiner Zeit als Kapellmeister an San Marco in Venedig schuf er Mitte des 16. Jahrhunderts Kompositionen für mehrere im Raum verteilte Chöre. Sich diese Sound als Erzählebene in narrativen Räumen Musik heutzutage zu Hause auf einer Stereoanlage anzuhören, vermittelt leider nicht die Wirkung, die sie damals in der Basilika auf das Publikum gehabt haben muss. Sie wird jedoch ähnlich berührend gewesen sein wie die Inszenierung des Oratoriums „Via Crucis“ (S. 23), das 2012 in der ehemaligen Viehauktionshalle in Weimar ganz ohne Live-Musiker und nur mit Licht und 3D-Sound uraufgeführt wurde. Dabei war der Chorgesang, der zuvor mit dem Kammerchor aufgenommen und anschließend mit Lautsprechern über dem Publikum wiedergegeben wurde, körperlich zu spüren: Die Stimmen perlten zusammen mit einer Gänsehaut vom Nacken den gesamten Rücken hinunter. „Die räumlichen Klanglandschaften und die Lichtarchitektur schaffen ein einzigartiges Raumerlebnis. Das Publikum soll sich in Liszts Musik verlieren“, bekräftigte auch das amerikanische Multitalent Robert Wilson, der für das Hörerlebnis verantwortlich zeichnete. Auch wenn sich die Komponisten der nachfolgenden Epochen mit einzelnen Aspekten der Raumklanggestaltung befassten, wurde jene doch erst wieder in der Nachkriegszeit des vergangenen Jahrhunderts lebendig. Einer der wichtigsten Komponisten, die Musik für den Raum schrieben, war der Deutsche Karlheinz Stockhausen: Sein Stück „Mikrophonie“, das in dem bekannten Kugelauditorium (S. 24) des deutschen Pavillons auf der Weltausstellung 1970 in Osaka aufgeführt wurde, ist eine der ersten Kompositionen mit einer wirklich dreidimensionalen Wiedergabe von Musik. Doch auch wenn Stockhausen im Bereich der Raummusik Maßstäbe setzte, sah er irgendwann ein Problem beim Hören seiner Werke: „Wissen Sie, der Ton macht die Musik! Ganz früher war es in den Kirchen zum Beispiel so, dass oben auf der Empore die Orgel und der Chor waren. Sehen konnte man beide nicht, nur hören. Der Chor, das waren früher die Engel. Die Betenden hörten nur den Gesang und glaubten so an Engelsstimmen. Irgendwann kam jemand auf die Idee, dass man alles sehen müsse. Heute steht der Chor irgendwo herum und hat seinen Zauber verloren. Um der Fantasie freien Lauf zu lassen, sage ich den Leuten immer, sie sollen bei Konzerten (. . .) die Augen schließen und nur auf die Musik hören. Das Klangerlebnis ist ein ganz anderes, wenn man sich durch die Optik nicht ablenken lässt!“ Dabei lassen sich im letzten Satz zwei Worte auch einfach austauschen: „Das Seherlebnis ist ein ganz anderes, wenn man sich durch die Akustik nicht ablenken lässt.“ Auf die Szenografie angewandt, würde der Satz dasselbe Problem – nur aus einer anderen Perspektive – beschreiben: Ein sehr leiser Raum kann beengend wirken, weil wir uns aufgrund der vorherrschenden Stille nicht trauen, mit anderen zu sprechen, oder es gar vermeiden wollen, durch eigene Geräusche Aufmerksamkeit zu erregen. Stille nimmt uns die akustische Privatsphäre. Ein von angenehmem Klang erfüllter Raum hingegen verbreitet beispielsweise eine natürliche, vielfältige, thematisch passende Atmosphäre, wirkt dadurch befreiend und gibt uns die Entspanntheit, ihn ungehemmt zu erkunden. Ist die Klangwelt dieses Raums darüber hinaus im Dienste des spezifischen Themas gestaltet und Teil einer Raumdramaturgie oder Narration, tauchen wir vollkommen in die erzählte Geschichte ein. 19 Nichts gegen Stille! Aber technische Geräusche wie Lüfter von Projektoren ebenso wie summende Lampen sind keine Stille! Und hörbare Lautsprecher – erkennbar durch ihre technisch mangelhafte Qualität – verweisen auch auf die Technik hinter dem Erlebnis. Wenn es im konkreten Fall die Absicht ist, den Besucher sinnlich in eine andere Welt zu entführen, können genau diese störenden Elemente das sinnliche Erlebnis aufbrechen und die Inszenierung als Inszenierung entlarven! Natürlich können wir bei einem Konzert auch einfach die Augen schließen oder beim Lesen eines Buchs versuchen, das Gehörte zu ignorieren. Notfalls verhilft Ohropax zum akustischen Frieden. In einer räumlichen Inszenierung aber, in der wir uns mit offenen Augen und Ohren durch eine erzählte Welt bewegen, würden wir als Besucher wohl kaum der Empfehlung Stockhausens folgen wollen. Weder durch das Hören noch durch das Sehen also möchten wir uns ablenken lassen. Beide Ebenen sollten zumindest zusammenpassen, sich idea­ lerweise ergänzen und sogar verstärken. So oder so: Was die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 05.09.2012 zu Wilsons Inszenierung von „Via Crucis“ schrieb, deutet ebenfalls auf die Frage hin, auf was wir als Gestalter die Aufmerksamkeit des Publikums lenken wollen: „Das reine Tönen ohne sichtbare Musiker verbindet sich mit dem bildlosen Licht und schafft so einen wirklichen Sammlungsraum.“ Die Anwesenheit der Musizierenden hätte wohl zumindest einen relevanten Teil der Aufmerksamkeit auf ebendiese gelenkt und damit von der Musik als solcher und darüber hinaus auch von der räumlichen Inszenierung des Visuellen abgelenkt. Dabei war die räumliche Darstellung der Musik die adäquate Form der visuellen Gestaltung – oder umgekehrt: Beide Ebenen bildeten eine sinnliche Einheit. Für eine ähnliche Lösung entschied sich das Berliner Künstlernetzwerk phase7 bei der Inszenierung ihrer begehbaren Oper „Himmelsmechanik“ (S. 25). Die Musiker spielten zwar live zur Szene, allerdings in einem akustisch und auch weitestgehend visuell abgetrennten Raum über Mikrofone. So konnten die Instrumente losgelöst von der Tonregie frei im Raum choreografiert werden. Die Sänger jedoch, die zugleich auch Darsteller waren, spielten in denselben Räumen, in denen sich auch das Publikum bewegte. Zur live aufgeführten Musik existierte zudem eine vorproduzierte Klangebene, und bis auf die Gesangsstimmen wurde die Musik praktisch über eine dreidimensionale Lautsprecheranordnung wiedergegeben. Dies funktionierte deshalb so gut, weil die Lautsprechertechnik als „Klangerzeuger“ nicht wahrgenommen wurde. So war das Erleben der „Himmelsmechanik“ Klang im Raum und Raum aus Klang. Klangkunstwerke Auch im Bereich der Klangkunst gibt es Arbeiten, die mit szenografischen Konzepten Schnittmengen haben. Denn trotz ihres Namens ist die Klangkunst eine intermediale Kunst, zu der Klangskulpturen genauso wie Klanginstallationen, Musikperformances, medienkünstlerische Arbeiten mit Hörspiel, Feature, Video oder Software-Applikationen gehören. Leider führt der Begriff 20 Klangkunst damit zu einer Geringschätzung der visuellen Aspekte einer Arbeit, denn „das meiste von dem, was heute als Klanginstallation bezeichnet wird, ist tatsächlich intermediale Installation, und das stillschweigend unterstellte Primat des Akustischen lenkt und verengt das Rezeptionsverhalten erheblich.“1 Dabei ist der Aspekt der Intermedialität aber gerade das Spannende, da hier die auditive genauso wie die visuelle Wahrnehmung sehr viel häufiger in der Realität umgesetzt wird als in der neueren Musik. Auf besonders eindrückliche Weise schufen Janet Cardiff und George Bures Miller bei der dOCUMENTA (13) die Klanginstallation „Forest (for a thousand years . . .)“ (S. 26) für eine konkrete szenografische Umgebung: ein kleines Stück Wald in der Kassler Karlsaue. Das Werk spielte am und mit dem Ort der Aufführung, und gelegentlich waren die Besucher sehr verunsichert, was von dem Gehörten eigentlich zum Stück dazugehörte und was nicht. So verband sich die Klangwelt subtil mit dem Visuell-Haptischen und dem selbst Geräusche produzierenden Waldstück. Das belgisch-kanadische Künstlerduo untersucht seit Mitte der 1990er-Jahre mit seinen Installationen die skulpturalen und physischen Eigenschaften von Klangbildern sowie die affektive Wirkung von Klang und dessen Einfluss auf unsere Wahrnehmung und Erfahrung. Dabei werden Hörer beziehungsweise Ausstellungsbesucher meist zu Akteuren und Teil der Inszenierung. So stellt auch „The Murder of Crows“ (S. 27) – eine Installation, die 2009 von Cardiff Miller Studio für eine Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin realisiert wurde – auf ähnliche Art wie „Forest“ eine szenografische Klanginstallation dar. Etwa 100 Lautsprecher waren auf Stativen, Stühlen, an den Wänden und frei hängend in der gesamten Museumshalle verteilt. „One soundscape moves into another with an electronic dreamscape composition shifting into sound effects such as factory noises, crashing waves or birds wings and then into a guitar and strings composition then into a choir sequence and marching band.“ 2 Die Verknüpfung dieser Klanginstallation mit der szenografischen Anordnung der für die Besucher bereitgestellten Klappstühle, der Lautsprecher, die zum Teil selbst auf den Klappstühlen „saßen“, und dem auf einem Tisch liegenden Grammophon ermöglichte es dem Publikum, sich durch diese Szenerie zu bewegen und immer wieder andere Sichtund vor allem Hörperspektiven einzunehmen. Dabei waren die Gesangsstimmen eines russischen Chors alle einzeln aufgenommen worden und erklangen in der Installation jeweils aus einem eigenen Lautsprecher. Dass die Besucher so nah an einzelne „Akteure“ herantreten konnten, ist in der Vorstellung ein scheinbar einfacher Effekt, dafür aber ein sensationelles Hörerlebnis. Denn die Reproduktion des Sängers erlaubte es dem Publikum, seine Stimme aus einer sehr intimen, ansonsten unmöglichen Perspektive zu erkunden. Aber nicht nur weltbekannte Installationskünstler, auch Studierende machen mit begehbaren Klangkunstwerken wie „resonate“ (S. 28) oder „Klangturm / Turmklang“ (S. 29) von sich reden und beweisen, dass der Sound bei Statement der szenografischen Gestaltung von explorativen Räumen eine wichtige Rolle spielen kann. Als Vorbild oder Meilenstein kann hier mit Sicherheit die Inszenierung „Im Reich der Schatten“ (S. 30) des Berliner Studios für mediale Szenografie TAMSCHICK MEDIA & SPACE gesehen werden, die 2010 im Rheinischen Landesmuseum Trier realisiert wurde und in völlig neuartiger Form Elemente aus Kino, Theater, Trickfilm und Hörspiel miteinander verbindet. Mittels gut eingesetzter Technik wird der stumme Museumsraum in ein immersives, narratives und mediales Raumtheater verwandelt, und die Besucher können dank Videoprojektionen und Sound in das antike Rom eintauchen. Die klangliche Vielfalt verbindet sich mit der skizzenhaft gehaltenen Bilderwelt zu einem narrativen Erzählraum, der dem Publikum nicht einfach Informationen vor die Nase setzt, sondern Raum für die eigene Fantasie lässt. ren in Erzählstrategie und Gestaltung grundsätzlich verschieden. Und so liegt es in der Hand des Ausstellungs­ gestalters und Konzeptioners, die adäquate Balance aus intellektuellem und sinnlichem Erleben in jedem Projekt individuell zu finden. Während klingende Objekte im Raum bereits seit längerer Zeit zu der Palette der Gestalter gehören, steht die Kunst, mit Klang dynamisch veränderbare und glaubhafte Räume zu erschaffen, um dem Thema oder der Geschichte ihren Handlungsort zu geben, noch am Anfang ihrer Entwicklung in der Szenografie. 1 Volker Straebel: Vom Verschwinden der Klangkunst, in Peter Kiefer: Klangräume der Kunst; Kehrer Verlag; 2010 2www.cardiffmiller.com Klangszenografie Der cineastische Geschmack liegt einem dabei förmlich auf der Zunge. Und jener kommt nicht von ungefähr – haben doch die klanglichen Erzählebenen im Film und in der Szenografie mehr Gemeinsamkeiten, als man vielleicht annehmen würde: Im Film besteht Sound selten nur aus Dialogen, meist werden durch ihn sowohl die Räume der filmischen Handlung als auch die emotionalen Räume der Figuren erzählt. Sound beschreibt die Umgebung der Szene mit Atmosphären, gibt Gegenständen ihre Materialität, den Lebewesen ihre Lebendigkeit und den Menschen ihren Charakter. Das SoundDesign und die Musik beschreiben also die emotionalen Räume, wobei die Betonung und die Reduktion einzelner Elemente über die Zeit der Geschichte ihren Rhythmus, ihre Dramaturgie geben. Im inszenierten begehbaren Raum ist das ähnlich, der wichtigste Unterschied ist allerdings: Das Publikum kann diesen Raum betreten. Damit der erlebte visuelle Raum mit dem auditiven Erleben zusammengeht, können wir ihn durch seine klangliche Gestaltung beeinflussen und erlebbar machen. In den tendenziell eher intellektuell rezipierten Medien wie dem Hörspiel, dem klassischen Audioguide oder auch dem Buch werden die erzählten Räume erst in der Interpretation, also im eigenen Kopf, zu plastischen Räumen. Die klangliche Gestaltung des sinnlich erlebbaren Ausstellungsraums ist eine ganz andere Erzählebene, die nur dann funktioniert, wenn sie räumlich adäquat umgesetzt wird. Um Geschichten im Raum zu erzählen, sollte zur visuellen Ebene eine sehr emotionale Klangebene geschaffen werden – oder umgekehrt. Webwww.taucher-sound.com Zusammenfassend lässt sich demnach behaupten: Klangszenografie ist die Kunst der Inszenierung im Raum mit Klang. Sie steht für sinnliches Erleben, Partizipation, Zugehörigkeit und Teilnahme an einer authentischen Situation. Im Kontrast dazu steht die Hörstation für intellektuelles Erleben, Beobachten oder zeitlichräumliche Distanz. Hier sind wir Beobachter einer technischen Reproduktion. Wobei beide Arten – sowohl das sinnliche als auch das intellektuelle Erleben – auf jeweils ihre Weise sehr immersiv sein können. Sicherlich lässt sich diese Grenze nicht immer scharf ziehen, aber sinnliches und intellektuelles Erleben funktionie- Sound als Erzählebene in narrativen Räumen 21 A POÈME ÉLECTRONIQUE, 1958 Technisches Meisterwerk: Über 350 Lautsprecher waren an den Wänden des Philips-Pavillons auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel angebracht, um für eine perfekte Klanginszenierung zu sorgen. Dabei stellte das „Poème électronique“ das erste Gesamterlebnis aus Architektur, Projektion, Licht und Musik dar. Während Edgard Varèse die gemischt konkrete und vokale Musik komponierte, konzentrierte sich Le Corbusier vorwiegend auf die Konzeption der dynamischen Licht- und Bildprojektionen im Inneren des Gebäudes. Gestaltung Le Corbusier [Konzeption], Edgard Varèse [Musik], Iannis Xenakis [Architektur] Fotos 1, 3, 5 Philips Company Archives (Amsterdam) 2, 4 Fondation Le Corbusier (Paris) Web www.fondationlecorbusier.fr, www.philips.com www.PLOTmag.com/SFX-VFX 1 2 4 5 22 3 Statement B VIA CRUCIS, 2012 3D-Sound mit klassischen Tönen vereint: Der amerikanische Regisseur und Lichtdesigner Robert Wilson verwandelte anlässlich des Kunstfests Weimar 2012 die Musik Franz Liszts zu den 14 Kreuzweg-Stationen Christi in eine Licht- und Klanginstallation. Dabei erlaubte ein neuartiges Sound-System das „Wandern“ der Klänge und somit das Entstehen eines neuen Klangraums mit individuell mehrdimensional wahrnehmbarer Musik bei originalgetreuer Wiedergabe der Liszt’schen Partitur zu „Via Crucis“. Gestaltung Robert Wilson (New York) Fotos 1 – 3 Kunstfest Weimar / Maik Schuck (Weimar) Web www.robertwilson.com, www.pelerinages.de 1 2 3 Sound als Erzählebene in narrativen Räumen 23 C KUGELAUDITORIUM, 1970 Nach den Plänen des deutschen Komponisten Karlheinz Stockhausen entstand zur Weltausstellung 1970 in Osaka der weltweit erste und bislang einzigartige kugelförmige Konzertsaal: das Kugelauditorium. Dabei saß das Publi­ kum auf einem schalldurchlässigen Gitterrost unterhalb der Kugelmitte, und 50 ringsherum angeordnete Lautsprechergruppen gaben elektroakustische Raumkompositionen, die eigens für diesen Anlass entwickelt wurden, vollständig dreidimensional wieder. Gestaltung Karlheinz Stockhausen Fotos 1 – 4 Stockhausen-Stiftung für Musik (Kürten) Webwww.stockhausen.org 1 2 3 4 24 Statement D HIMMELSMECHANIK, 2013 Mit der begehbaren Oper „Himmelsmechanik“ setzte das Berliner Künstlerkollektiv phase7 2013 nicht nur im Hinblick auf die Inszenierung, sondern auch auf die Sound-Technologie neue Maßstäbe: Reale und virtuelle Klänge wurden mittels Wellenfeldsynthese im changierenden Lichtraum einer begehbaren Medienskulptur entortet. Dabei konnte sich das Publikum innerhalb einer Architektur aus 75 Lautsprechern im unteren Foyer der Deutschen Oper Berlin frei durch ein Netz aus Schallwellenfronten bewegen und somit aktiv in das 360-Grad-(Hör-)Erlebnis eingebunden werden. Gestaltung phase7 performing.arts (Berlin) Fotos 1, 4 Bernd Uhlig (Berlin) 2 Juan Cordido 3, 5 phase7 / Liza Wiegand (Berlin) Web www.phase7.de, www.bernd-uhlig-fotografie.com, www.deutscheoperberlin.de 2 1 4 3 Sound als Erzählebene in narrativen Räumen 5 25 E FOREST (FOR A THOUSAND YEARS ...), 2013 Auf einer Lichtung inmitten eines Waldstücks in der Kassler Karlsaue wurde anlässlich der dOCUMENTA (13) die Inszenierung „Forest (for a thousand years . . .)“ von Janet Cardiff und George Bures Miller präsentiert. Dabei lauschten die auf Baumstümpfen sitzenden Besucher erschreckenden Kriegsszenarien: Explosionsgeräusche, nahende Flugzeuge und bedrohliche Maschinengewehre. Dank mehr als 30 versteckt installierter Lautsprecher tauchten sie so in die bedrohliche Geschichte ein, um mit dem Choral „Nunc dimittis“ von Arvo Pärt wieder friedvoll verabschiedet zu werden. Gestaltung Cardiff Miller Studio (Grindrod) Fotos 1 – 3 dOCUMENTA (13) (Kassel) Web www.cardiffmiller.com, www.d13.documenta.de www.PLOTmag.com/SFX-VFX 1 2 26 3 Statement F THE MURDER OF CROWS, 2009 2009 zeigte das Künstlerpaar Janet Cardiff und George Bures Miller im Hamburger Bahnhof, Berlin die 30-minütige Klanginstallation „The Murder of Crows“. Dabei installierten sie 98 Lautsprecher, über die sie Kompositionen aus Stimmen, Musikstücken und Raumklängen einspielten. Durch ein stereophones Verfahren zur Aufnahme und Wiedergabe des Klangfelds (Ambisonics) wurde der Zuhörer so mit einem übersteigerten räumlichen Hören und Empfinden konfrontiert. Gestaltung Cardiff Miller Studio (Grindrod) Fotos 1 – 3 Roman März (Berlin) Web www.cardiffmiller.com, www.romanmaerz.de, www.hamburgerbahnhof.de www.PLOTmag.com/SFX-VFX 1 2 3 Sound als Erzählebene in narrativen Räumen 27 G RESONATE, 2012 Die interaktive Licht- und Klanginstallation „resonate“, die im Rahmen der Frankfurter Luminale 2012 im Innenraum eines Containerboots präsentiert wurde, bestand aus mehreren Kilometern Klangsaiten und acht Interaktionskörpern, die insgesamt 1.600 steuerbare LEDs beinhalteten. Wurde an den Saiten gezupft, veränderte sich die Spannung sowie die Schwingung der Seile, und die Besucher konnten so neue Klänge generieren und mit der Installation interagieren – die Oberflächen wurden zu Kommunikationsebenen. Gestaltung Master-Studiengang „Kommunikation im Raum“, FH Mainz mit Master-Studiengang „Klangkunst-Komposition“, Johannes Gutenberg-Universität (Mainz) Fotos 1, 4 Lea Mirbach (Berlin) 2 Thomas Ebert (Hamburg) 3 Fidelis Fuchs (Göppingen) Web www.resonate.iamainz.de, www.ebert-photo.com, www.fidelisfuchs.com, www.leromi.allyou.net, www.light-building.messefrankfurt.com www.PLOTmag.com/SFX-VFX 1 3 28 2 4 Statement H KLANGTURM / TURMKLANG, 2013 Im Rahmen der Werkschau WS 2012/2013 der Hochschule für Gestaltung Pforzheim wurde die interaktive Klanginstallation „Klangturm / Turmklang“ präsentiert. Ausgangspunkt der Arbeit war die Idee, dass die Besucher sich mit den spezifischen Charakteristika eines Raums auseinandersetzen und diesen für sich „sprechen“ lassen: Durch Berührung verschiedener Gebäudeteile konnten sie so das Treppenhaus eines Turms – dank Kontaktmikrofonen und Lautsprechern – wie ein Musikinstrument bespielen, dadurch miteinander musizieren und die Architektur zum Klingen bringen. Gestaltung Hochschule für Gestaltung Pforzheim / Simon Mager, Moritz Wagner und Janis Weidner Fotos 1 – 4 Hochschule für Gestaltung Pforzheim / Simon Mager, Moritz Wagner und Janis Weidner Webwww.hs-pforzheim.de www.PLOTmag.com/SFX-VFX 2 1 3 4 Sound als Erzählebene in narrativen Räumen 29 I IM REICH DER SCHATTEN, 2010 Technischer Meilenstein: Seit Juni 2010 bietet das Rheinische Landesmuseum Trier mit der Inszenierung „Im Reich der Schatten“ seinen Besuchern eine Zeitreise in die römische Antike. Dabei werden die etwa 50 Monumente mit 18 Projektoren und 19 Schallquellen vor, hinter, neben und über den einzelnen Exponaten bespielt. Konzipiert von TAMSCHICK MEDIA+SPACE, scheinen die Grabreliefs mit Hilfe von Musik, Film und Hörspiel somit zum Leben erweckt, um deren Figuren Darsteller in einem 45-minütigen Gesamterlebnis werden zu lassen. Gestaltung TAMSCHICK MEDIA+SPACE GmbH (Berlin) Fotos 1 – 4 Rheinisches Landesmuseum / Thomas Zühmer (Trier) Web www.tamschick.com, www.landesmuseum-trier.de www.PLOTmag.com/SFX-VFX 1 2 3 30 Statement Bänder bewegen Türen. Türen öffnen Räume. Bewegung im Raum entsteht. Bestellen Sie kostenlos Ihr persönliches Exemplar der Architekturpublikation BEWEGUNG IM RAUM Mehr über den führenden Hersteller von Türbändern finden Sie unter: www.simonswerk.de