© Jörg Bickelhaupt Impulsreferat Ökumenisches Lernfeld – LF-Woche Schmerlenbach 21.-25.09.09 Die Kirche und ihre Einheit aus protestantischer Sicht Die Leuenberger Konkordie und ihre Bedeutung für die innerprotestantische Ökumene (auch Leuenberger Texte 1 „Die Kirche Jesu Christi“) 0. Zur Themenstellung Was heißt „Einheit der Kirche“? - Was soll da wie eins sein oder werden? Unser Verständnis von der Kirche und ihrem Amt unterscheidet sich, und dieser Unterschied wirkt sich unmittelbar aus, wenn das Ziel von Ökumene bestimmt werden soll. Nicht die „Einheit der Kirche“ als Ziel der Ökumene ist strittig, sondern: Was ist unter „Einheit der Kirche“ genau zu verstehen? - Diese Frage wird unterschiedlich beantwortet. Die unterschiedlichen Vorstellungen von der Einheit der Kirche sind ein, wenn nicht das ökumenische Kernproblem. Unstrittig ist, dass das NT (1. Kor, Eph 4) beim Thema „Kirche“ zum einen von (sehr unterschiedlichen) Orts-Kirchen im Plural spricht, zum andern aber immer auch von der Zusammengehörigkeit der ekklesiae, also von ihrer Einheit. Einheit gehört – auch als eines der vier Attribute der ekklesia im Nicänischen Glaubensbekenntnis - zum Wesen der Kirche, d.h.: Die Einheit liegt allem kirchlich-ökumenischen Bemühen voraus. Es ist der dreieinige Gott, der (EG 245, 1) „sich eine ewge Kirch auf Erden sammelt“. Die Ökumene kann diese Einheit nicht machen/herstellen – was sie tun kann/muss ist, sie feststellen, erklären, ausdrücken, sie leben, sie sichtbar werden lassen. Es existieren viele Begriffe und Bilder, viele Vorstellungen und Gestaltungen im Hinblick auf diese Einheit. Beispiele: „sichtbare Einheit“, „organische Union“, „versöhnte Verschiedenheit“ ... - oft werden diese Begriffe den verschiedenen Konfessionen zugeordnet und man meint, die einen würden die Einheit favorisieren und könnten mit Verschiedenheit nichts anfangen und bei den anderen sei es umgekehrt ... Das ist einer der populären Irrtümer in der Ökumene: Jede unserer Traditionen kann jeden dieser Begriffe inhaltlich füllen – nur sind eben die Beschreibungen ein und desselben Begriffs unterschiedlich, d.h.: Es hilft nichts, sich auf einen Begriff als gemeinsame Formel zurückzuziehen, solange er inhaltlich unterschiedlich gefüllt wird (→ „Leerformel“); vielmehr müssen wir einander befragen/die Inhalte (Anliegen) näher bringen (zentrale Aufgabe in der Ökumene). 1 In meinem Referat stelle ich das Einheitsmodell der Leuenberger Kirchengemeinschaft dar. Dies impliziert die Frage nach der Einheit der Kirche insgesamt, nach den notwendigen/hinreichenden Bedingungen für diese Einheit und ihrem sichtbaren Ausdruck aus protestantischer Sicht, also: Was heißt aus protestantischer Sicht „sichtbare Einheit“, „organische Union“, „versöhnte Verschiedenheit“. Eine Darstellung von Leuenberg setzt voraus, dass man die Vor-Geschichte (innerreformatorische Gegensätze) im Blick hat. Davon habe ich bereits gesprochen und kann es hier bei ganz wenigen erinnernden Stichworten belassen. 1. Der lange Weg nach Leuenberg In der evangelisch-katholischen Ökumene in Deutschland ist in unserer Zeit das Thema „Abendmahl“ eines der zentralen Probleme in Theologie und Praxis. Dabei sollte man jedoch bedenken: Bis vor 36 Jahren gab es innerevangelisch noch keine Abendmahlsgemeinschaft. Lutheraner und Reformierte waren (trotz der Unionsbemühungen im 19. Jh.) seit der Reformationszeit in zwei Kirchen gespalten. Dies wirkte sich seit dem 16. Jh. bis in die 2. Hälfte des 20. Jh. auch am Abendmahlstisch aus. Noch in den 1960er Jahren kam es vor (zunehmend als Ausnahme!), dass innerhalb der EKD reformierte ChristInnen in lutherischen Gemeinden vom Abendmahl ausgeschlossen oder nicht als Taufpaten zugelassen wurden. Dies änderte sich erst mit der „Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa“, der nach ihrem Entstehungsort, dem Leuenberg bei Basel, sog. „Leuenberger Konkordie“ von 1973. In ihr erklärten die meisten evangelischen Kirchen Europas (luth, ref. un.) untereinander Kirchengemeinschaft – KG als Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft; KG in Wort und Sakrament. Vorausgegangen waren jahrelange Lehrgespräche, die kurz nach dem Ende des 2. Weltkriegs begonnen hatten. Es entstand die Leuenberger Kirchengemeinschaft, heute (seit 2003) „Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa“ (GEKE) als evangelische Stimme in Europa. Zwischen den reformatorischen Kirchen hatte es zuvor über 400 Jahre weder Kirchen- noch Abendmahlsgemeinschaft gegeben. Die wechselseitigen innerreformatorischen Verdammungen standen in ihrer Schärfe der in jener Zeit üblichen kontroverstheologischen Agitation (ev.-kath.) nicht nach. Erst die LK hat diese über vierhundertjährige Spaltung innerhalb des Protestantismus zumindest großteils überwunden. 2 2. Rekapitulation - a. die ekklesialen Bruchlinien im 16. Jahrhundert Der Bruch, zu dem es in der Reformationszeit in der westlichen Christenheit kam, war ein mehrfacher: Das Zerbrechen der Einheit zwischen Rom und der Reformation .. - am Verständnis von Rechtfertigung und Kirche .. - Aus diesem ersten Bruch entwickelten sich auf der einen Seite die Kirchen der Reformation und auf der anderen die römisch-katholische Kirche in ihrer heutigen Gestalt. Auch innerhalb der Reformation gab es zwei Brüche: Es kam zum Bruch (aller) mit dem sog. „linken Flügel der Reformation“ (pauschal „Täufer und Spiritualisten“) a) beim Taufverständnis, b) dem Verständnis des 3. Glaubensartikels, c) dem Verhältnis zur staatlichen Obrigkeit. … zwischen den lutherischen Kirchen (auf die Wittenberger Reformation zurückgehend) und den reformierten Kirchen (auf die Zürcher und Genfer Reformation zurückgehend - Zwingli, Calvin) - kam es zu einer Spaltung, die von besonderer theologiegeschichtlicher Relevanz war und bis ins 20. Jh. hinein wirksam blieb (→ Leuenberger Konkordie). Abendmahl Frage nach der Realpräsenz Christi Christologie Verhältnis der Naturen Christi (ausgelöst von der Abendmahlsthematik) Prädestination Calvins Lehre von der dopp. Prädestination b. die Unionen des 19. Jh. Seit dem frühen 19. Jh. gab es sog. „Unionen“ zwischen Lutheranern und Reformierten, die oft vom Landesherrn (Friedrich Wilhelm III. von Preußen) angeordnet wurden und eben nicht Ergebnis theol. Gespräche, Reflexion, Konvergenzen waren. Im Ergebnis wurde so die innerreformatorische Spaltung nicht wirklich überwunden, sondern eine „dritte“ evangelische Konfession entstand (die sich zudem gar nicht als solche empfand). 3 3. Die Leuenberger Konkordie a. zur Vorgeschichte – Entwicklungen im 20. Jh. Zu Beginn des 20. Jh. war also alles andere als der Boden bereitet für eine Überwindung der innerevangelischen Trennung – das „Neuluthertum“ des 19. Jh. (entstanden auch als Reaktion auf die „verordneten“ Unionen – Wilhelm Löhe, Theodor Kliefoth, August Vilmar) markierte sehr deutlich die Grenze zur reformierten Tradition. Das blieb in der lutherischen Theologie auch bis weit ins 20. Jh. virulent (Paul Althaus, Werner Elert) Leuenberg ist ohne zwei Ereignisse im 20. Jh. überhaupt nicht vorstellbar: Die ökumenische Bewegung, die (relativ spät) – im Grunde erst nach dem 2. Weltkrieg – auch die deutschen ev. Kirchen erfasste und in D (Beförderung der ök. Orientierung): die gemeinsame Erfahrung des Kirchenkampfs, die Konfrontation mit dem NS-Staat (auch dass die Kirche da zum großen Teil versagt hat) - was ein neues theol. Nachdenken und Forschen über konfessionelle Differenzen, über Gründe und Tragweite generierten: 1934 Barmer Theologische Erklärung in der Folge: 1957 Arnoldshainer Abendmahlsthesen – das vielleicht wichtigste Vorläuferdokument der LK (b. Was ist eine „Konkordie“?) Eine „Konkordie“ ist eine bestimmte Form des kirchlichen Bekenntnisses. Der Begriff „concordia“ (Eintracht) drückt aus: In einer grundlegenden Glaubensfrage herrschte bisher ein Dissens (Kirchentrennung drohte oder war die Folge). In dieser Frage konnte nun entweder ein vollständiger Konsens erzielt werden; oder man fand zumindest eine so weitreichende Konvergenz, dass die verbliebenen Unterschiede nicht mehr als trennend angesehen werden. – In der „Konkordie“ erklären also 2 oder mehr bisherige Konfliktparteien: die frühere Trennung gilt als überwunden. Beispiele für innerreformatorische Konkordien aus der Reformationszeit sind etwa die Wittenberger Konkordie von 1536 (zwischen den Wittenbergern und den Oberdeutschen unter Bucer – manducatio impiorum/indignorum; 'nescius' - unwissend) sowie die allerdings nur innerlutherisch wirksam gewordene Konkordienformel von 1578 und das Konkordienbuch von 1580. März 1973: Erarbeitung des endgültigen Textes der LK auf Leuenberg bei Basel. (c. Das „Gemeinsame Verständnis des Evangeliums“) In diesem Sinne stellt die LK gleich zu Beginn fest: In den zentralen innerreformatorischen Kontroversfragen sei inzwischen ein Grad an grundsätzlicher Übereinstimmung erreicht worden, der es möglich mache, Kirchengemeinschaft zu erklären (1; 4 37) - und zwar (neu!) trotz weiter bestehender „Verschiedenheit des Bekenntnisstandes“ (37). Die Präambel der LK (1 und 2) fasst diese erreichten Übereinstimmungen zusammen als „gemeinsames Verständnis des Evangeliums“. Was „gemeinsames Verständnis des Evangeliums bedeutet, verdeutlicht die Konkordie im Rückbezug auf CA 7. Sie beschreibt sie als Übereinstimmung „in der rechten Lehre des Evangeliums und der rechten Verwaltung der Sakramente, die nach reformatorischem Verständnis zur wahren Einheit der Kirche notwendig und ausreichend ist.“ - Confessio Augustana als das zentrale ev. (luth) Bekenntnis der Ref.-Zeit. Confessio Augustana 7 (1530) Leuenberger Konkordie 2 (1973) Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden. Denn das genügt („satis est“) zur wahren Einheit der christlichen Kirche, dass das Evangelium einträchtig im reinen Verständnis gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden. Und es ist nicht zur wahren Einheit der christlichen Kirche nötig, dass überall die gleichen, von den Menschen eingesetzten Zeremonien eingehalten werden ...) Die Kirche ist allein auf Jesus Christus gegründet, der sie durch die Zuwendung seines Heils in der Verkündigung und in den Sakramenten sammelt und sendet. Nach reformatorischer Einsicht ist darum zur wahren Einheit der Kirche die Übereinstimmung in der rechten Lehre des Evangeliums und in der rechten Verwaltung der Sakramente notwendig und ausreichend. CA 7 und LK 2 bilden also den Referenzrahmen dessen, was als „Gemeinsames Verständnis des Evangeliums“ beschrieben wird. Darin ist von der Verkündigung und den Sakramenten als dem „Grund der Kirche“ (KG) die Rede - nicht jedoch (nicht ausdrücklich) vom kirchlichen Amt (resp. von einer bestimmten Gestaltung desselben) ... Nach dieser Präambel beschreibt Abschnitt I. der Konkordie unter der Überschrift „Auf dem Weg zur Gemeinschaft“ die veränderte Perspektive und das gewandelte Verhältnis der Konfessionen seit dem 16. Jh.. Es wird nicht behauptet, die Reformatoren hätte sich geirrt. Vielmehr seien sie zu ihrer Zeit „angesichts wesentlicher Unterschiede in der Art des theologischen Denkens ... nicht in der Lage (gewesen), Trennungen zu vermeiden“ (3). Einig waren sie sich jedoch immer im Hinblick auf die altkirchlichen Symbole (Trinität, Gottmenschheit Christi) und im Bezug auf die Rechtfertigung sola gratia et fide (4). Abschnitt II. konkretisiert jene Grundübereinstimmung – sagt also, worum es beim „gemeinsamen Verständnis des Evangeliums“ geht. 5 Dies meint: Einen grundlegenden Konsens in der Lehre von der Rechtfertigung und ihren ekklesiologischen Konsequenzen. Dieses gemeinsame Verständnis des Evangeliums wird bezeugt und ausgedrückt in der Verkündigung sowie in Taufe und Abendmahl. Wie aber entwickelte es sich ? - Wie kam es zu den ... III. ... Übereinstimmungen angesichts der Lehrverurteilungen der Reformationszeit ? Die geistlichen Erfahrungen in der ökumenischen Bewegung und gemeinschaftliche Erfahrungen im Kirchenkampf habe ich bereits benannt. Außerdem gab es Entwicklungen in der Exegese, in der systematischen Theologie und der Konfessionskunde v.a. im 20. Jh. – das alles führte dazu, die tradierten innerreformatorischen Gegensätze in einem neuen Licht zu sehen: Eine Tendenz hin zu theologisch reflektierten Konvergenzen war schon im 19. Jh. festzustellen – natürlich bei Schleiermacher oder auch etwa bei Richard Rothe. Dies verstärkte sich im 20. Jh. durch Theologen wie etwa Karl Barth und Emil Brunner auf reformierter Seite, durch stark von Barth beeinflusste, eher im lutherischen Kontext beheimatete Theologen wie Ernst Wolf – aber auch Edmund Schlink, Günter Bornkamm oder Peter Brunner auf lutherischer Seite. Vertieft wurden die Konvergenzen durch gemeinsame theologische Arbeit – entscheidend waren hier die Arnoldshainer Abendmahlsthesen von 1957. Man erkannte: Die klassischen Lehrstreitigkeiten zwischen lutherischer und reformierter Kirche und Theologie beruhten letztlich (nicht nur, aber) auch auf unterschiedlichen philosophischen Prämissen der Reformatoren, die damals (noch) nicht hinterfragt wurden. Letztlich entpuppte sich der innerreformatorische Streit der Reformationszeit zu einem Gutteil als hermeneutisches Problem. Verdeutlicht wurde dies v.a. durch Erkenntnisse ntl. Exegese: Konkretes Bsp.: Die „klassische“ luth.-ref. Kontroverse um das Abendmahl (Realpräsenz Christi) Luther und Zwingli hatten 1529 in Marburg über das „Hoc est corpus meus“ gestritten. Die lutherische Orthodoxie hatte später die Position Calvins (Christus ist mit seiner menschlichen Natur im Himmel ..“) mit dem Begriff „Extra Calvinisticum“ karikiert; umgekehrt „römisch ..“ – all das steckte jahrhundertelang als Pfeil im kontroverstheol. Köcher. Vom biblischen Befund her arbeitete ntl. Exegese des 20. Jh. die Bedeutung des Abendmahls als eschatologisches Freudenmahl und als Gemeinschaftsmahl stärker 6 heraus. - Platt gesagt: Es geht beim Abendmahl um mehr als um die Frage „Was passiert mit den Elementen?“ Rückübersetzung der (griech. überlieferten) Worte Jesu ins Aramäische: • Deutlich wurde: Bei den Einsetzungs- und Deuteworten in den ntl. Abendmahlstraditionen geht es um die Gegenwart der ganzen Person Christi, nicht speziell um den körperlichen Aspekt ihrer Wirklichkeit (welche der Naturen Christi ist an/abwesend?). • Im Brotwort (grch. , hebr. gwf) geht es um die Präsenz und Mitteilung der ganzen Person Christi. Gawaf: anderes Bedeutungsspektrum als das griech. „soma“ (philos. Impl.). • Das Kelchwort vermittelt danach die sakramentale Gabe im Neuen Bund (→ Lk, Pls). „Das ist mein Leib“ - hoc est corpus meus – der Rückbezug auf das Hebräische/Aramäische היה- weg vom lat. „esse“ (mit all seinen philosophischen Implikationen) eröffnete neue Interpretationsspielräume hinter den tradierten konfessionellen Differenzen. Diese (Kontroverse von Luther und Zwingli) beruhten, so erkannte man nun, letztlich auch auf unterschiedlichen ontologischen Voraussetzungen, einer unterschiedlichen Hermeneutik - waren also wesentlich philosophisch begründet. Die hebr./aram. Begrifflichkeit der Einsetzungsworte (das ) היהlässt sowohl die klassisch-lutherische als auch die reformiert-calvinsche Deutung von Realpräsenz zu. Von hier aus ergaben sich neue Verständigungsmöglichkeiten zwischen der traditionellen lutherischen Lehre – also zwischen der Auffassung, dass im Abendmahl Leib und Blut Christi „in, mit und unter“ Brot und Wein gegenwärtig sind, und der Auffassung Calvins einer durch den Hl. Geist re-präsentierten Realpräsenz Christi. M.a.W.: Das „Dass“ der Präsenz Christi im Abendmahl wurde nun als grundlegend und entscheidend angesehen, nicht mehr die Frage nach dem genauen „Wie“, worüber man Jahrhunderte lang gestritten hatte. Das alles heißt nicht, dass die Bedenken der Reformatoren irrelevant waren oder dass wir heute eben klüger sind – sondern es wird betont: Die früheren Verwerfungen treffen nicht mehr den heutigen Partner (LK 20, 23, 26 ...). Theologie und Kirche tun also gut daran, sich immer neu ihrer eigenen Grundlagen und Gewissheiten zu versichern, eben weil die Schrift immer neu ausgelegt, weil das Evangelium immer neu gepredigt werden muss. Insofern geht es in der Dogmatik als theologischer Disziplin im Kern nicht um das bloße Wiederholen von schon Gesagtem, sondern (Barth) „(Dogmatik als theologische Disziplin ist ...) um die wissenschaftliche Selbstprüfung der christlichen Kirche hinsichtlich des Inhalts der ihr eigentümlichen Rede von Gott“. Beim Abendmahl einigte man sich beim klassischen kontroverstheologischen Topos der Realpräsenz Christi (LK 15 und 18) auf folgende Formulierung: „Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein.“ Damit ist zum einen die Realpräsenz Christi im Blick auf die Elemente gewahrt (luth.), zugleich wird eine einseitige Fixierung dieser Präsenz auf die Elemente vermieden (ref.). 7 „Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein.“ Die bislang unterschiedlichen christologischen Implikationen der Abendmahlskontroverse werden aufeinander bezogen (LK 21 und 22) – für reformierte Theologie war und ist es wichtig, die Naturen Christi zu unterscheiden (auch im Abendmahl), für lutherische Theologie war und ist es wichtig „nicht den irdischen Jesus vom himmlischen Christus zu trennen“ - schon gar nicht im Abendmahl. „Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein.“ Das Abendmahls(- und Sakraments)verständnis wird eng an das Wort gebunden (Augustins berühmtes Diktum). Das Abendmahl ist „verbum visibile“ - damit letztlich (auch sichtbarer) Ausdruck des Evangeliums von der Rechtfertigung. „Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein.“ Mit Brot und Wein, nicht „in, mit und unter“ wie die lutherische Tradition, weil man eine einseitige Fixierung auf die Elemente ebenso vermeiden wollte wie eine Spekulation über die genaue Art und Weise der Präsenz Christi - aber eben doch mit Brot und Wein, weil die Präsenz Christi im Abendmahl von den Elementen nicht zu trennen ist. Die Formel „mit Brot und Wein“ ist deutlich älter als die LK; sie entstammt der Wittenberger Konkordie von 1536. Im Blick auf die Gemeinschaft der Feiernden bleibt die personale Gegenwart Christi bei der Mahlfeier auch für den ungläubig Hinzutretenden nicht folgenlos. - Das ist auf den ersten Blick für Reformierte schwer verdaulich, soll aber gewährleisten, dass die grundsätzliche Wirksamkeit des Evangeliums in Wort und Sakrament nicht vom Menschen abhängt. In Leuenberg fand man also in der Abendmahlsfrage zu einem Konsens im Hinblick auf eine Realpräsenz Christi – man ließ aber die exakte Fixierung der Art und Weise dieser Präsenz offen. (Konvergenzen in Fragen von Christologie und Prädestination) Lutherische und reformierte Theologie beschrieben das Verhältnis von menschlicher und göttlicher Natur Christi unterschiedlich. LK 22 bezieht nun die (berechtigten) Anliegen der beiden Positionen aufeinander: Die Einheit der Person Christi ist danach ebenso essentiell wie die Unversehrtheit der Naturen. Die Kontroverse im Kontext der Prädestinationslehre (Gnadenwahl) – LK 24-26 - war mit bedingt durch eine unterschiedliche Sicht des Zusammenhangs von Erwählung und Gnade (Gesetz und Evangelium). Die LK grenzt sich hier gegen die Vorstellung einer doppelten Prädestination im klass. Sinne ab, vermeidet jedoch, daraus bestimmte Konsequenzen abzuleiten - etwa im Hinblick auf das Verhältnis von Gesetz und Evangelium oder auch Religion und Staat: Diese Punkte stehen auf der „To-DoListe“ in LK 39 („offene Fragen“ ...). 8 Hilfreich: Neuinterpretation der Erwählungslehre durch Karl Barth: • „Doppelte Prädestination“ nicht als Gottes doppelte Entscheidung, die einen zu retten und die anderen zu übergehen. • Vielmehr geht es zuerst um Gottes Selbst-Prädestination dazu, ein gnädiger Gott zu sein und erst in zweiter Linie um die Prädestination der Menschheit dazu, von Gott erwählt und erlöst zu sein. • Erwählt oder verworfen sind zu allererst keine Attribute, die auf Menschen zutreffen, sondern auf Gott: Gott ist in Jesus Christus sowohl der erwählende Gott als auch der erwählte Mensch; Prädestination ist also zunächst immer die göttliche Prädestination, Christus ist der Erwählte und auch der Verworfene. In ihm sind wir erwählt, es kann daher kein a-priorisches Gegenüber von Erwählten und Verworfenen unter den Menschen geben. Schon vor der Konkordie war es in diesen Fragen zu Konvergenzen gekommen etwa in der „Barmer Theologischen Erklärung“ von 1934: Der Kirchenkampf in Deutschland hatte lutherische, reformierte und unierte ChristInnen zu einem gemeinsamen Zeugnis herausgefordert und zusammengeführt. Theologiegeschichtlich betrachtet ist das eigentlich eine Sensation: Es gelang (sicher bedingt durch die Notsituation), dass sich Reformierte und Lutheraner (Karl Barth – Hans Asmussen) zu einem gemeinsamen Text verständigen konnten, der das soteriologische Grundanliegen der Christologie (solus Christus) verband mit der Frage der weltlichen Obrigkeit. Fasst man die Teile II und III der Konkordie zusammen, so ist festzustellen: Die LK formuliert keinen Lehrkonsens in einem klassischen/umfassenden Sinne – sondern sie bringt zum Ausdruck (v.a. in LK 37 ff): Auf der Grundlage des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums wirken die verbliebenen Differenzen in Einzelfragen nicht (mehr) kirchentrennend. Man konnte also in Abschnitt III. der Konkordie grundlegende Übereinstimung in den bisherigen Kontroversfragen formulieren - trotz der Lehrverurteilungen der Reformationszeit. Da man sich (so LK 27 und 28) inzwischen also im Grundsatz einig ist – sowohl im gemeinsamen Verständnis der Rechtfertigungsbotschaft (II), als auch in bisher als trennend angesehenen Fragen, das Evangelium und die Sakramente betreffend - Abendmahl, Christologie, Prädestination – (III) ... erklärt Abschnitt IV. der LK Kirchengemeinschaft und erläutert diese inhaltlich (gleich ..) Es bestehen weiterhin theologische Unterschiede (Ebene „Schulstreits“). An ihnen ist weiterzuarbeiten. LK 39 nennt Themenbeispiele für anstehende Lehrgespräche, die inzwischen z.T. auch stattgefunden haben („To-Do-Liste“). ... Insofern erhebt die LK selbst nicht den Anspruch, schon alles zu allem gesagt zu haben. 9 4. Das der LK zugrunde liegende Verständnis von Einheit Die LK versteht Einheit als Kirchengemeinschaft auf der Basis eines gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums Die LK begreift KG einerseits als Einheit in „versöhnter Verschiedenheit“ (die Kirchen bleiben selbstständige Kirchentümer, schließen also nicht zu einer einheitlichen Organisation zusammen) – Fusion kann sein, muss aber nicht; im Unterschied zu den Unionen des 19. Jh. ist also nicht Kirchenvereinigung das unbedingte Ziel, sondern Erklärung/Verwirklichung von KG. KG/Einheit gewinnt aber auch sichtbare Gestalt - als Kirchengemeinschaft in Wort und Sakrament, also als Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Dabei ist die gegenseitige Anerkennung der Ordination und die Ermöglichung der Interzelebration eingeschlossen. Im Hinblick auf die Voraussetzungen für KG aus protestantischer Sicht ist die Leitdifferenzierung zwischen Grund und Gestalt der Kirche bestimmend. Als Grund der Kirche wird eine grundsätzliche Übereinstimmung im Verständnis und der Verkündigung des Evangeliums sowie in den Sakramenten vorausgesetzt, letztlich heißt das: Einigkeit im Glauben an die Rechtfertigung sola gratia et fide – aus protestantischer Sicht ist die Übereinstimmung im Hinblick auf den Grund der Kirche notwendige Voraussetzung für KG. Nicht notwendig ist dagegen eine Einheitlichkeit etwa in Fragen kirchlicher Sozialgestalt - wiewohl aber auch das nicht einfach egal ist: Ob eine Kirche bischöflich geleitet wird, ob sie synodal verfasst oder kongregationalistisch aufgebaut ist – das alles ist nicht gleich-gültig; darin können sich große (auch als tiefgreifend empfundene) Unterschiede verbergen (auch sog. nichttheologische Faktoren ...) – aber all das gilt wenigstens im Grundsatz als nicht kirchentrennend. Die Grenze des „satis est“ aus CA 7 wird freilich markiert durch das Evangelium als Kriterium, d.h.: Wo sich eine bestimmte kirchliche Sozialgestalt als evangeliumswidrig erweist, dort wirkt sie trennend (Zugehörigkeit zu einer bestimmten „Rasse“ als angeblich ekklesiologisch relevant - Dt. Christen; Apartheidstheologie in Südafrika und ihre ekklesiologischen Weiterungen). 10 5. Die Bedeutung und Rezeption der Leuenberger Konkordie a. Kritische ökumenische Reaktionen Ich hatte eingangs gesagt: Unsere theologischen Vorstellungen von Einheit unterscheiden sich in der Ökumene – dass es darum auch Kritik am Einheitsmodell der LK/GEKE gibt, ist nicht verwunderlich. Aus Orth. Sicht verwirklicht sich die eine Kirche in der einen Eucharistie (v.a. liturgisch) ...; deshalb hält die Orthodoxie den Zugang der lateinischen Kirche, Einheit über den Weg von Lehrkonsensen zu erreichen (viell. nicht einfach für falsch, aber) für insuffizient. Die Sicht der Römisch-Katholischen Kirche … brachte Kardinal Kasper auf den Punkt, als er die GEKE als „Gemeinschaft ohne wirkliche Einheit“ bezeichnete … (dass das nicht dem Selbstverständnis der GEKE entspricht …). - Bei diesem ekkl. Dissens geht es (soweit ich es sehe) v.a. um das „satis est“ aus CA 7: Aus rk Perspektive fehlt bei der Beschreibung der LK von Einheit als „gemeinsames Verständnis des Evangeliums“ der Bezug auf eine Einheit im Amt. Die Anglikanische Kirchengemeinschaft erklärte, dass sie inhaltlich zwar praktisch allem zustimmen könne – volle KG setze aber aus ihrer Sicht auch Gemeinschaft im historischen Bischofsamt voraus (4. Punkt des Lambeth Quadrilaterals von 1888) und das sei in der Konkordie nicht ausreichend gewährleistet. - Da das anglikanische Einheitskonzept sich deutlich von Leuenberg unterscheidet, arbeiten die Anglikaner (leider!) nicht im Leuenberg-Prozess mit, entsenden aber Beobachter. Kritisch zur LK äußerten sich auch viele skandinavische lutherische Kirchen. Auch ihre Kritik richtete sich nicht darauf, was in der Konkordie steht, sondern was nicht in ihr steht. Sie kritisierten, die LK sage zu wenig über die Kirche/Amt. Die Rezeption von CA 7 sei zwar richtig, was die Voraussetzungen für KG angehe – zum Wesen der Kirche gehöre aber auch vieles, wozu in der Konkordie nichts/zuwenig gesagt sei. Ich nenne nur einige Themen: • Die Kirche und ihr Amt/ihre Ämter • Die Kirche als Leib Christi • Die Kirche als Gemeinschaft in Zeugnis & Dienst • Die Bestimmung und der Auftrag der Kirche – also Gemeinschaft im Auftrag zu leiturgia, martyria, diakonia und koinonia • Die Gestalt der Kirche in der pluralistischen Gesellschaft • Konkretionen im Blick auf die Verwirklichung von KG • Stärkere Ausführung der ökumenischen Relevanz der Konkordie Genau dieser ekklesiologischen Konkretisierung widmete sich der erste Leuenberger Text „Die Kirche Jesu Christi“ (quasi das Ergebnis der ersten Lehrgespräche): Diesen Text kann ich jetzt aus Zeitgründen nicht mehr darlegen, aber er enthält viele der angemahnten Konkretionen. Auf der Basis dieses Texts unterschrieben dann auch die Norwegische und die Dänische Lutherische Kirche die LK. 11 Die Finnische und die Schwedische Lutherische Kirche arbeiten im Kontext Leuenberg zwar mit als sog. „beteiligte Kirchen“ – sie haben aber die LK (bislang) nicht unterschrieben. Deutlich ist, dass für die Anglikaner, aber auch viele skandinavische (und baltische) Lutheraner ein anderes Modell kirchlicher Einheit leitend ist: Porvoo – 1991 haben die Church of England und die EKD die „Meissener Erklärung“ unterzeichnet: weitreichende, noch keine vollständige KG; gegenseitige Anerkennung als Kirche/Ämter; Gemeinschaft, die über „euch. Gastfreundschaft“ hinausgeht. Wegen des fehlenden Konsenses in der Frage des historischen Episkopats ist es bisher jedoch nur eine weitreichende, aber noch keine volle KG („acknowledged but not reconciled“ - anerkannt, aber noch nicht endgültig versöhnt). Die „Porvooer Gemeinsame Feststellung“ von 1993 diente der Erklärung voller KG zwischen den meisten der skandinavischen und baltischen Lutheraner und der anglikanischen Kirche. „Volle KG“ heißt (v.a. an diesem Punkt über „Meissen“ hinausgehend) inklusive der Beibehaltung resp. Wiedereinführung eines Bischofsamtes in apostolischer Sukzession. - Das Modell Porvoo wurde z.B. in Nordamerika rezipiert. Es ist m.E. ggw. offen, wohin im Luthertum (europäisch, weltweit) die Reise geht. Es gibt eine Erklärung über volle KG auch zwischen der finnischen bzw. der schwedischen Kirche und der EKD - einerseits halten skandinavische Lutheraner das historische Bischofsamt für sinnvoll, die Anglikaner halten es für notwendig – andererseits stellen beide Kirchenfamilien das Kirchesein einer Kirche ohne Weihesukzession nicht von vorneherein infrage. (b. Die GEKE versteht sich als protestantische Stimme in Europa) Mittlerweile besteht die GEKE aus über 100 Kirchen lutherischen, reformierten und unierten Bekenntnisses. Wer ist Mitglied der GEKE, wer nicht? (visualisiert) Mitglieder der GEKE sind reformatorische Kirchen: Mitglied sind alle Kirchen der EKD, die meisten der oft relativ kleinen evangelischen Kirchen in den verschiedenen Ländern Europas; Es sind Kirchen vorwiegend aus lutherischer, reformierter und unierter Tradition, aber auch Kirchen mit vorreformatorischen Wurzeln wie die Waldenser oder die Böhmischen Brüder. aus dem freikirchlichen Bereich sind mittlerweile auch die Methodisten Mitglied; (noch) nicht die Baptisten (kürzlich: Gem. Statement der GEKE und der EBF – Näheres am Do.!) - inzwischen gehören auch (über Europa hinausgreifend) einige südamerikanische evangelische Kirchen mit europäischen Wurzeln zur GEKE; Nicht Mitglied der GEKE sind die römisch-katholische Kirche, die Orthodoxen Kirchen, die Anglikaner; 12 ein „spezielles Verhältnis“ zur GEKE haben die skandinavischen Lutheraner: Nur 2 Kirchen (Dänemark, Norwegen) haben mittlerweile die LK unterzeichnet; einige andere Kirchen (darunter Schweden, Finnland) arbeiten als sog. „beteiligte Kirchen“ in der GEKE mit, ohne die LK unterzeichnet zu haben. Alle etwa 7 Jahre trifft sich die GEKE zu Vollversammlungen; es gibt Lehrgespräche zu kontroversen theologischen Fragen (wobei die Kontroverslinien dann nicht unbedingt zwischen den Konfessionen verlaufen): „Schrift – Bekenntnis – Kirche“; „Amt und Ordination“. Zu wesentlichen theologischen Fragen hat man mittlerweile gemeinsame Texte erarbeitet – Beispiel: der m.E. hervorragende Text „Kirche und Israel“. Die GEKE versteht sich als „evangelische Stimme in Europa“ und will sich auf der Grundlage des biblisch-reformatorischen Glaubens in die aktuellen Diskurse und Entwicklungen unseres Kontinents einbringen (natürlich immer auch mit dem globalen Blick!). In der gegenwärtigen Situation einer Re-Konfessionalisierung der ökumenischen Landschaft und einer profilökumenischen Grundorientierung ist der Weg für die GEKE dabei nicht immer spannungsfrei – nach außen, aber auch nach innen. Manche Kirchen in der GEKE wünschen sich eine Entwicklung hin zu einer „Europäischen Evangelischen Synode“, aber das ist z.B. auch innerhalb der GEKE strittig und ggw. nicht mehrheitsfähig. 6. Aktuelle Entwicklungen Ausblicke - Diskussionen und Perspektiven in der GEKE Wie bringt man „Stimmung“ in eine theologische Diskussion in der GEKE (heute LK)? Ganz einfach: Stellen Sie nur mal folgende Frage: Ist die LK ein Bekenntnis? Die Frage scheint sehr schnell/einfach zu beantworten: Die LK versteht sich „nicht als ein neues Bekenntnis“ (37), d.h.: Die in den beteiligten Kirchen geltenden Bekenntnisschriften bleiben in Geltung. Die LK stellt jedoch deren „Kompatibilität“ fest und hält darum KG trotz bleibender Bekenntnisverschiedenheit für grundsätzlich möglich, solange die Unterschiede nicht den Grund der Kirche tangieren. Die GEKE ist also keine „Bekenntnisunion“, sondern versteht sich als „(Kirchen)Gemeinschaft bekenntnisverschiedener Kirchen“. Insofern ist sie sicher kein konfessionelles (oder überkonfessionelles – Alte Kirche) „Bekenntnis im klassischen Sinne“ - aber: Auf einer Metaebene (Feststellung der Kompatibilität unterschiedlicher Bekenntnistraditionen) kann man ihr m.E. nicht jedweden konfessorischen Charakter absprechen ... Die Leuenberger Konkordie ist für die Ökumene (auch insgesamt) bedeutsam, nämlich als Meilenstein der innerreformatorischen Einigungsbestrebungen. Sie ist sich ihrer ökumenischen Verantwortung und Dimension sehr bewusst (46 ff). Die Konkordie 13 sieht sich selbst zunächst als Modell für die innerreformatorische Einigung (47 + 48); im Hinblick auf das gesamte christliche Spektrum erhofft die GEKE, dass mit ihr aber auch der Ökumene insgesamt ein neuer Anstoss gegeben werden kann. In der LK ist die in der Folgezeit ökumenisch bedeutend gewordene Methode des sog. „differenzierten Konsenses“ zumindest in Ansätzen schon vorhanden: • Die Kontroversen werden in ihrer historischen Dimension wahrgenommen und dargelegt, • sodann wird ein zureichender Grundkonsens formuliert; • von hier aus wird dann ausgeführt, dass die früheren Verwerfungen den heutigen Partner nicht mehr treffen und • abschließend werden die verbliebenen Unterschiede neu in den Blick genommen. Eine wesentliche Diskussion, die momentan die GEKE bewegt, ist die nach der Verbindlichkeit/Konkretion von KG .. - zunehmende Einsicht: Das bloße Erklären von KG reicht nicht aus, um „Einheit“ im theol. Sinn zu leben. Es ist allenfalls der erste (notw.!) Schritt . Lehrgesprächsgruppe: Schrift – Bekenntnis -Kirche; 2010: Konsultation „Die GEKE als Gemeinschaft von Kirchen – evangelische Entwicklungen und Perspektiven von Kirchengemeinschaft in Europa“ • Konkretionen im Blick auf die Verwirklichung von KG Auf die Gespräche der GEKE mit den Baptisten geht Prof. Geldbach morgen ein. Innerprotestantisch ist manches im Fluss. Gesamtökumenisch ist das Fahrwasser hinsichtlich der Frage nach der Einheit der Kirche (resp. der Gestalt dieser Einheit) momentan nicht einfach. Es gibt hierzu manchmal wechselseitig Zuschreibungen, die nicht immer dem Selbstverständnis des ökumenischen Partners entsprechen. Wenn wir aber – was in der Ökumene ja eigentlich übliche Praxis ist – zunächst von diesem Selbstverständnis des Partners ausgehen und von da aus dessen Intentionen kritisch würdigen, dann ist viel gewonnen für die Frage nach der Kirche und ihrer Einheit. Vielen Dank! 14 Die Kirche und ihre Einheit aus protestantischer Sicht Leuenberger Konkordie und Leuenberger Texte 1 „Die Kirche Jesu Christi“ 0. Zur Themenstellung Das Verständnis von der Kirche und ihrem Amt unterscheidet sich in der Ökumene; diese Differenz erschwert/verhindert eine gemeinsame Bestimmung des Ziels von Ökumene und eine Beschreibung, was „Einheit“ bedeutet: Es gibt kein größeres Hindernis für die Einheit der Kirche als die unterschiedlichen Vorstellungen von ihr. 1. Der lange Weg nach Leuenberg „Leuenberger Konkordie“ von 1973 – vorher innerevangelisch keine Abendmahlsgemeinschaft → „Leuenberger Kirchengemeinschaft“, seit 2003: „Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa“ (GEKE); Mitglieder: reformatorische Kirchen 2. Rekapitulation Historisch gesehen 3 Blöcke des Protestantismus seit dem 16. Jh.: • Die lutherischen Kirchen → Wittenberger Reformation • Die reformierten Kirchen → Zürcher/Genfer Reformation (Zwingli, Calvin) • Der vielgestaltige sog. „linke Flügel“ der Reformation Innerreformatorische Differenzen seit dem 16. Jh.: • Lutheraner/Reformierte ↔ „linker Flügel“ der Reformation: ◦ Taufe; Lehre vom Hl. Geist, Schriftverständnis; Obrigkeit • Lutheraner ↔ Reformierte ◦ Abendmahl (Realpräsenz Christi); Christologie (Verhältnis der beiden Naturen in Christo); Prädestination (doppelte Prädestination?) 3. Die Leuenberger Konkordie (LK) Ökumenische Bewegung und Kirchenkampf als „Geburtshelfer“. Neue Einsichten in Konfessionskunde, Dogmatik und Exegese ( היהstatt „esse“) bringen Bewegung in festgefahrene konfessionelle Gegensätze. Die LK ist kein neues Bekenntnis; GEKE: Gemeinschaft bekenntnisverschiedener Kirchen; Grundlage: Gemeinsames Verständnis des Evangeliums Die LK formuliert keinen umfassenden Lehrkonsens, sondern drückt aus: Auf der Grundlage des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums wirken die verbliebenen Differenzen in Einzelfragen nicht mehr kirchentrennend. 15 4. Das der LK zugrunde liegende Verständnis von Einheit Die LK versteht Einheit als Kirchengemeinschaft auf der Basis eines gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums → Konsequenz: Erklärung und Verwirklichung von Kirchengemeinschaft keine Kirchenunion (wie im 19. Jh.), sondern Kirchengemeinschaft • als „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“; • (aber auch sichtbar) als Kirchengemeinschaft in Wort und Sakrament (Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft; gegenseitige Anerkennung der Ordination; Ermöglichung der Interzelebration) 5. Die Rezeption der Leuenberger Konkordie Kritische ökumenische Reaktionen u.a. von orthodoxer, römisch-katholischer und anglikanischer Seite (unterschiedliche Vorstellungen, worin sich „Einheit der Kirche“ konkretisiert) Andere Modelle von Kirchengemeinschaft zwischen reformatorischen Kirchen und den Anglikanern: • Meissen (EKD – Church of England); • Porvoo (skandinavische und baltische Lutheraner – Church of England) Der GEKE gehören inzwischen mehr als 100 Kirchen, auch die Methodisten sowie einige südamerikanische Kirchen; Vollversammlungen; gemeinsame theologische Arbeit (Leuenberger Texte) 6. Aktuelle Entwicklungen These: Die LK ist kein Bekenntnis (LK 37) im klassischen Sinn, sie hat jedoch konfessorischen Charakter (in ihrer Kriteriologie für die mögliche Kompatibilität unterschiedlicher Bekenntnistraditionen). Erklärung von Kirchengemeinschaft trotz weiter bestehender Bekenntnisverschiedenheit. Aktuell in der GEKE v.a. die Frage nach der verbindlichen Gestalt/dem Leben von Kirchengemeinschaft - „Erklären“ von KG (nur) als erster Schritt 16