PDF - Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz

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Späte Moderne
Die Architektur der 1960er und frühen 1970er Jahre
Erich Kaufmann u.a.; Dachkonstruktion Ulrich Müther, Teepot Warnemünde,
1968, Foto: Birgit Mannewitz
Hermann Fehling, Daniel Gogel, Institut für Hygiene und medizinische Mikrobiologie der FU Berlin,
1970/74, Foto: Markus Hilbig
Fritz Dieter, Günter Franke, Werner Ahrendt, Walter Herzog und Herbert Aust, Fernsehturm, Berlin, 1965/69, 1969/72,
Foto: Wolfgang Bittner
Faltblattreihe F 21
Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz
beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
Graurheindorfer Straße 198 · 53117 Bonn
www.dnk.de
Dieter G. Baumewerd, Heilig-Geist-Kirche, Emmerich,
1965/66, Foto: Rheinisches Amt für Denkmalpflege/Hohn
Text: Dr. Jürgen Tietz
Layout: VVA KONKORDIA GmbH · Druck: Druckpartner Moser Druck+Verlag GmbH
Karl Schwanzer/Schweger Assoziierte Gesamtplanung GmbH, BMW Hochhaus,
München, 1970/73; 2007, Foto, Copyright: BMW AG
Gottfried Böhm, Rathaus, Bensberg,
1964/69, Foto: Rheinisches Amt für Denkmalpflege, Schyma
Späte Moderne
Die Architektur der 1960er und frühen 1970er Jahre
Erich Kaufmann u.a.; Dachkonstruktion Ulrich Müther, Teepot Warnemünde,
1968, Foto: Birgit Mannewitz
Hermann Fehling, Daniel Gogel, Institut für Hygiene und medizinische Mikrobiologie der FU Berlin,
1970/74, Foto: Markus Hilbig
Fritz Dieter, Günter Franke, Werner Ahrendt, Walter Herzog und Herbert Aust, Fernsehturm, Berlin, 1965/69, 1969/72,
Foto: Wolfgang Bittner
Faltblattreihe F 21
Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz
beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
Graurheindorfer Straße 198 · 53117 Bonn
www.dnk.de
Dieter G. Baumewerd, Heilig-Geist-Kirche, Emmerich,
1965/66, Foto: Rheinisches Amt für Denkmalpflege/Hohn
Text: Dr. Jürgen Tietz
Layout: VVA KONKORDIA GmbH · Druck: Druckpartner Moser Druck+Verlag GmbH
Karl Schwanzer/Schweger Assoziierte Gesamtplanung GmbH, BMW Hochhaus,
München, 1970/73; 2007, Foto, Copyright: BMW AG
Gottfried Böhm, Rathaus, Bensberg,
1964/69, Foto: Rheinisches Amt für Denkmalpflege, Schyma
Späte Moderne
Die Architektur der 1960er und frühen 1970er Jahre
Erich Kaufmann u.a.; Dachkonstruktion Ulrich Müther, Teepot Warnemünde,
1968, Foto: Birgit Mannewitz
Hermann Fehling, Daniel Gogel, Institut für Hygiene und medizinische Mikrobiologie der FU Berlin,
1970/74, Foto: Markus Hilbig
Fritz Dieter, Günter Franke, Werner Ahrendt, Walter Herzog und Herbert Aust, Fernsehturm, Berlin, 1965/69, 1969/72,
Foto: Wolfgang Bittner
Faltblattreihe F 21
Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz
beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
Graurheindorfer Straße 198 · 53117 Bonn
www.dnk.de
Dieter G. Baumewerd, Heilig-Geist-Kirche, Emmerich,
1965/66, Foto: Rheinisches Amt für Denkmalpflege/Hohn
Text: Dr. Jürgen Tietz
Layout: VVA KONKORDIA GmbH · Druck: Druckpartner Moser Druck+Verlag GmbH
Karl Schwanzer/Schweger Assoziierte Gesamtplanung GmbH, BMW Hochhaus,
München, 1970/73; 2007, Foto, Copyright: BMW AG
Gottfried Böhm, Rathaus, Bensberg,
1964/69, Foto: Rheinisches Amt für Denkmalpflege, Schyma
Aufbruch
Die 1960er-Jahre waren eine Zeit der Um- und
Aufbrüche, der Visionen und der Wünsche, die mit
einem tief greifenden gesellschaftlichen und kulturellen Wandel einherging. Kunst und Alltag flossen
in der plakativen Pop-Art zusammen und auch in
der Architektur wurden im Umfeld der sowjetischen
Sputnik- und der amerikanischen Apollo Weltraummissionen neue Konzepte erprobt. So entwarf die
britische Architektengruppe Archigram visionäre
wandelnde Stadtmaschinen, während die japanischen Metabolisten von futuristisch anmutenden
Gebäuden träumten, wie dem „Capsule Tower Nagkin“ in Tokio von Kisho Kurokawa. Die Technikgläubigkeit im Vorfeld des ersten Ölpreisschocks von
1973 gipfelte in einer neuen High-Tech-Architektur, deren internationalen Leitbau der Brite Richard
Rogers und der Italiener Renzo Piano mit der phänomenalen Kunstmaschine des Centre Pompidou
in Paris verwirklichten. Mit den neuen technischen
Bauformen ging die Verwendung neuer Baumaterialien einher, von Kunststoffen und Plexiglas bis
Aluminium, mit denen sich das Erscheinungsbild
der Architektur grundlegend veränderte. Freie
Formen wie beim Münchner Olympiastadion von
Günther Behnisch und Frei Otto für die Olympischen
Spiele 1972 standen in Deutschland für eine neue
Architektursprache, die sich gleichermaßen selbstbewusst wie weltoffen präsentierte.
Der architektonische Umbruch wurde in beiden
deutschen Staaten spürbar – auch wenn er sich jeweils unterschiedlich ausdrückte: Nach der Abkehr
von der „nationalen Tradition“, die in den 1950erJahren das Baugeschehen in der DDR bestimmt
hatte, förderte man nun das industrielle Bauen, um
der herrschenden Wohnungsnot Herr zu werden. Es
entstanden neue Stadtteile, ja neue Städte, deren
Plattenbauten zum Markenzeichen der späten DDR
Architektur aufstiegen: in Hoyerswerder, in HalleNeustadt oder beim zweiten Bauabschnitt der KarlMarx-Allee in Berlin. Doch neben den normierten
Plattenbauten war auch Raum für architektonische
Sonderformen wie beim Tee-Pot in Warnemünde
mit seiner ungewöhnlichen Dachkonstruktion von
Ulrich Müther. Und der Fernsehturm in BerlinMitte setzte als Landmarke ein Zeichen, das auch
im Westteil der Stadt deutlich wahrnehmbar war.
Mit dem großzügigen städtebaulichen Entwurf für
die Prager Straße in Dresden, deren Gestaltung sich
an der Lijnbaan in Rotterdam orientierte, fand der
direkte Anschluss an die Architekturentwicklung
der westlichen Moderne statt. Die Entwicklung der
Prager Straße nach 1989 steht aber auch für den
unsensiblen Umgang mit den Bauten der (DDR-)
Moderne: Das „Centrum“ Warenhaus mit seiner
markanten Wabenfassade aus Aluminiumelementen wurde abgerissen, während die einst großzügige Straße an ihren Enden durch Neubauten
eingeschnürt und zum lang gestreckten Platz abgewertet wurde.
in dessen Nachgang in den westdeutschen Bundesländern zahlreiche Denkmalschutzgesetze beschlossen wurden.
Umbruch
Neue Dichte
War die Architektur der unmittelbaren Nachkriegszeit noch durch eine Kleinteiligkeit und Filigranität
gekennzeichnet, so fand in den 1960er-Jahren ein
Maßstabsprung statt – hin zu architektonischen
Großformen. Einem Veränderungsprozess war
auch das städtebauliche Leitbild unterworfen:
An die Stelle der aufgelockert-durchgrünten und
autogerechten Stadt trat die Forderung nach einer
neuen „Urbanität“, die mit einer deutlichen Verdichtung einher ging – ohne dabei das Ideal der
autogerechten Stadt zu verwerfen. Das Ergebnis
waren Großsiedlungen, deren Hochhäuser deutschlandweit die Ränder der Städte prägten. Manchen
Siedlungen kommt dabei ein Stadtteilcharakter zu,
bieten sie doch bis heute teilweise mehreren zehntausend Bewohnern eine neue Heimat. Das gilt für
Neuperlach in München ebenso wie für das Märkische Viertel und die Gropiusstadt in Berlin oder
die Neue Vahr in Bremen. Die Gebäude waren dabei häufig zu großformatigen, teilweise mehreren
hundert Meter langen „Clustern“ zusammengefügt,
deren städtebauliche Qualität schnell in die Kritik
geriet. Das heute geflügelte Wort von der „Unwirtlichkeit unserer Städte“ des Soziologen Alexander
Mitscherlich machte die Runde. Zeitgleich führte
die Flächensanierung in den Innenstädten, durch
die zahlreiche historische Bauten zerstört wurden, zu einer kraftvollen bürgerschaftlichen Gegenbewegung. Sie trug entscheidend dazu bei, die
Rolle von Denkmalschutz und Denkmalpflege in
Deutschland zu stärken. Diese Entwicklung gipfelte in dem Europäischen Denkmalschutzjahr 1975,
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Hermann Henselmann und Heinz Mehlan, Wohnbebauung Lehnin Platz (Typ P2), Berlin, 1967, 1968–1970, Foto: Wolfgang Bittner
Weber und Brand, Universitätsklinikum, Aachen, 1971–1985, Foto: Rheinisches Amt für Denkmalpflege/Gregori
Günter Behnisch und Frei Otto, Olympiapark, München, 1968–72, Foto: BLfD, Lantz
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Hans Scharoun, Philharmonie, Berlin, 1960-63, Foto: Markus Hilbich
Bonn, Kanzlerbungalow von Sepp Ruf, 1963/64, Foto: Bundesregierung, Engelbert Reineke
Zeitgleich brachte der „Bauwirtschaftsfunktionalismus“ der 1960er und frühen 1970er-Jahre die Architektur einer ganzen Epoche in Misskredit – ging
es ihm doch nicht in erster Linie um städtebauliche und architektonische Qualität, sondern um
Massenproduktion und eine Gewinnmaximierung
durch das Abgreifen von staatlichen Fördermitteln.
Angesichts dieser Kritik gerät leicht außer acht,
dass auch mit Waschbetonwänden oder Fertigbauteilen aus Beton seit 1960 zahlreiche denkmalwerte
Bauten entstanden. Dazu gehört das Berliner Benjamin-Franklin-Klinikum (1958/68, Franz Mocken,
Berlin mit Curtis und Davis, New Orleans), das als
Großkrankenhaus zu den Vorläufern des Universitätsklinikums Aachen (1971–1985, Architekten:
Weber und Brand) gehört. Inzwischen denkmalgeschützt, gilt das Aachener Universitätsklinikum
mit seinen markanten Türmen als herausragendes
Beispiel der High-Tech-Architektur.
Sichtbeton als wichtigstes Baumaterial der Moderne fand bei den unterschiedlichsten Bauaufgaben
Verwendung. So entfachte der 1986 mit dem sogenannten „Architektur-Nobelpreis“, dem Pritzker-Preis, ausgezeichnete Kölner Architekt Gottfried Böhm bei dem in mehreren Bauabschnitten
zwischen 1962-1971 verwirklichten expressiven
Rathaus in Bensberg einen spannungsvollen Dialog zwischen der malerischen Ringburg des 12.
Jahrhunderts und seinem Neubau, der das Denkmal um eine neue Zeit- und Nutzungsschicht erweitert. Verwandt im Material, jedoch ganz anders
in Erscheinungsbild und Funktion ist dem gegenüber die katholische Heilig-Geist-Kirche in Emmerich (1965/66) von Dieter G. Baumewerd. In den
1960er-Jahren entstand im Sakralbau zudem eine
ganz neue Bauaufgabe: die Gemeindezentren. Mit
ihnen rückten die sozialen Aufgaben der großen
Kirchen in den Mittelpunkt. Aufgrund ihrer scheinbar unspektakulären Gestaltung, erschließt sich die
baukünstlerische Qualität mancher Gemeindezentren erst auf den zweiten Blick.
Herausforderung
Bisher stehen nur wenige Bauten der 1960er- und
frühen 1970er-Jahre unter Denkmalschutz, obwohl
sie bauliche Zeugnisse einer „abgeschlossenen Epoche“ sind, wie es in einigen Denkmalschutzgesetzen
heißt. Wie dringend notwendig die intensive denkmalpflegerische Auseinandersetzung mit dem Erbe
dieser Epoche ist, wird daran deutlich, dass bereits
zahlreiche denkmalwerte oder gar denkmalgeschützte Bauten der 1960er- und frühen 1970erJahre durch Umbauten stark überformt oder gar
vollständig verloren gegangen sind. Zu diesen Verlusten gehören der Palast der Republik, das Ahornblatt, das Ku’Damm Eck und die BEWAG-Erweiterung in Berlin, das Centrum Warenhaus in der Dresdner Prager Straße, das Volkswohl-Bund Hochhaus
in Dortmund oder die Mercator-Halle in Duisburg.
Die Restaurierung und Sanierung von Bauten der
1960er-Jahre ist eine komplexe Aufgabe und bedeutet eine große Herausforderung. Das liegt einerseits an den damals verwendeten Baumaterialien. So
führt etwa die zu dünn ausgeführte Betonüberdeckung an manchen Stahlbetonbauten zu massiven
Schäden am Beton und damit zu kostenintensiven
Sanierungsmaßnahmen. Darüber hinaus müssen
viele Gebäude, die vor den Energiekrisen und dem
Siegeszug der modernen Informationstechnologie
verwirklicht wurden, heute an die veränderten energetischen und technischen Anforderungen angepasst werden. Dies denkmalgerecht zu verwirklichen
ist ebenso eine besondere Herausforderung wie die
restauratorische Behandlung der seit den 1960erJahren eingesetzten neuen Baumaterialien – besonders der Kunststoffe. Sie spielten vor allem bei
der Gestaltung der Innenarchitektur in den 1960erJahren eine wichtige Rolle. Bisher ist es nur selten
gelungen, bei Sanierungen die originale bauzeitliche Substanz der 1960er- und frühen 1970er-Jahre vor dem vollständigen Austausch zu bewahren.
Daher kommt dem Münchner BMW-Hochhaus eine
beispielhafte Rolle bei der Erhaltung von Bauten der
späten Moderne zu: Bei der Sanierung des 1968–72
in der Form eines Vierzylinders von Karl Schwanzer
errichteten Gebäudes durch den Hamburger Architekten Peter P. Schweger ist es gelungen, die Fassade aus Aluminiumgusselementen weitestgehend
zu erhalten und den Bau dennoch technisch und
energetisch zu optimieren.
Aufbruch
Die 1960er-Jahre waren eine Zeit der Um- und
Aufbrüche, der Visionen und der Wünsche, die mit
einem tief greifenden gesellschaftlichen und kulturellen Wandel einherging. Kunst und Alltag flossen
in der plakativen Pop-Art zusammen und auch in
der Architektur wurden im Umfeld der sowjetischen
Sputnik- und der amerikanischen Apollo Weltraummissionen neue Konzepte erprobt. So entwarf die
britische Architektengruppe Archigram visionäre
wandelnde Stadtmaschinen, während die japanischen Metabolisten von futuristisch anmutenden
Gebäuden träumten, wie dem „Capsule Tower Nagkin“ in Tokio von Kisho Kurokawa. Die Technikgläubigkeit im Vorfeld des ersten Ölpreisschocks von
1973 gipfelte in einer neuen High-Tech-Architektur, deren internationalen Leitbau der Brite Richard
Rogers und der Italiener Renzo Piano mit der phänomenalen Kunstmaschine des Centre Pompidou
in Paris verwirklichten. Mit den neuen technischen
Bauformen ging die Verwendung neuer Baumaterialien einher, von Kunststoffen und Plexiglas bis
Aluminium, mit denen sich das Erscheinungsbild
der Architektur grundlegend veränderte. Freie
Formen wie beim Münchner Olympiastadion von
Günther Behnisch und Frei Otto für die Olympischen
Spiele 1972 standen in Deutschland für eine neue
Architektursprache, die sich gleichermaßen selbstbewusst wie weltoffen präsentierte.
Der architektonische Umbruch wurde in beiden
deutschen Staaten spürbar – auch wenn er sich jeweils unterschiedlich ausdrückte: Nach der Abkehr
von der „nationalen Tradition“, die in den 1950erJahren das Baugeschehen in der DDR bestimmt
hatte, förderte man nun das industrielle Bauen, um
der herrschenden Wohnungsnot Herr zu werden. Es
entstanden neue Stadtteile, ja neue Städte, deren
Plattenbauten zum Markenzeichen der späten DDR
Architektur aufstiegen: in Hoyerswerder, in HalleNeustadt oder beim zweiten Bauabschnitt der KarlMarx-Allee in Berlin. Doch neben den normierten
Plattenbauten war auch Raum für architektonische
Sonderformen wie beim Tee-Pot in Warnemünde
mit seiner ungewöhnlichen Dachkonstruktion von
Ulrich Müther. Und der Fernsehturm in BerlinMitte setzte als Landmarke ein Zeichen, das auch
im Westteil der Stadt deutlich wahrnehmbar war.
Mit dem großzügigen städtebaulichen Entwurf für
die Prager Straße in Dresden, deren Gestaltung sich
an der Lijnbaan in Rotterdam orientierte, fand der
direkte Anschluss an die Architekturentwicklung
der westlichen Moderne statt. Die Entwicklung der
Prager Straße nach 1989 steht aber auch für den
unsensiblen Umgang mit den Bauten der (DDR-)
Moderne: Das „Centrum“ Warenhaus mit seiner
markanten Wabenfassade aus Aluminiumelementen wurde abgerissen, während die einst großzügige Straße an ihren Enden durch Neubauten
eingeschnürt und zum lang gestreckten Platz abgewertet wurde.
in dessen Nachgang in den westdeutschen Bundesländern zahlreiche Denkmalschutzgesetze beschlossen wurden.
Umbruch
Neue Dichte
War die Architektur der unmittelbaren Nachkriegszeit noch durch eine Kleinteiligkeit und Filigranität
gekennzeichnet, so fand in den 1960er-Jahren ein
Maßstabsprung statt – hin zu architektonischen
Großformen. Einem Veränderungsprozess war
auch das städtebauliche Leitbild unterworfen:
An die Stelle der aufgelockert-durchgrünten und
autogerechten Stadt trat die Forderung nach einer
neuen „Urbanität“, die mit einer deutlichen Verdichtung einher ging – ohne dabei das Ideal der
autogerechten Stadt zu verwerfen. Das Ergebnis
waren Großsiedlungen, deren Hochhäuser deutschlandweit die Ränder der Städte prägten. Manchen
Siedlungen kommt dabei ein Stadtteilcharakter zu,
bieten sie doch bis heute teilweise mehreren zehntausend Bewohnern eine neue Heimat. Das gilt für
Neuperlach in München ebenso wie für das Märkische Viertel und die Gropiusstadt in Berlin oder
die Neue Vahr in Bremen. Die Gebäude waren dabei häufig zu großformatigen, teilweise mehreren
hundert Meter langen „Clustern“ zusammengefügt,
deren städtebauliche Qualität schnell in die Kritik
geriet. Das heute geflügelte Wort von der „Unwirtlichkeit unserer Städte“ des Soziologen Alexander
Mitscherlich machte die Runde. Zeitgleich führte
die Flächensanierung in den Innenstädten, durch
die zahlreiche historische Bauten zerstört wurden, zu einer kraftvollen bürgerschaftlichen Gegenbewegung. Sie trug entscheidend dazu bei, die
Rolle von Denkmalschutz und Denkmalpflege in
Deutschland zu stärken. Diese Entwicklung gipfelte in dem Europäischen Denkmalschutzjahr 1975,
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Hermann Henselmann und Heinz Mehlan, Wohnbebauung Lehnin Platz (Typ P2), Berlin, 1967, 1968–1970, Foto: Wolfgang Bittner
Weber und Brand, Universitätsklinikum, Aachen, 1971–1985, Foto: Rheinisches Amt für Denkmalpflege/Gregori
Günter Behnisch und Frei Otto, Olympiapark, München, 1968–72, Foto: BLfD, Lantz
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Hans Scharoun, Philharmonie, Berlin, 1960-63, Foto: Markus Hilbich
Bonn, Kanzlerbungalow von Sepp Ruf, 1963/64, Foto: Bundesregierung, Engelbert Reineke
Zeitgleich brachte der „Bauwirtschaftsfunktionalismus“ der 1960er und frühen 1970er-Jahre die Architektur einer ganzen Epoche in Misskredit – ging
es ihm doch nicht in erster Linie um städtebauliche und architektonische Qualität, sondern um
Massenproduktion und eine Gewinnmaximierung
durch das Abgreifen von staatlichen Fördermitteln.
Angesichts dieser Kritik gerät leicht außer acht,
dass auch mit Waschbetonwänden oder Fertigbauteilen aus Beton seit 1960 zahlreiche denkmalwerte
Bauten entstanden. Dazu gehört das Berliner Benjamin-Franklin-Klinikum (1958/68, Franz Mocken,
Berlin mit Curtis und Davis, New Orleans), das als
Großkrankenhaus zu den Vorläufern des Universitätsklinikums Aachen (1971–1985, Architekten:
Weber und Brand) gehört. Inzwischen denkmalgeschützt, gilt das Aachener Universitätsklinikum
mit seinen markanten Türmen als herausragendes
Beispiel der High-Tech-Architektur.
Sichtbeton als wichtigstes Baumaterial der Moderne fand bei den unterschiedlichsten Bauaufgaben
Verwendung. So entfachte der 1986 mit dem sogenannten „Architektur-Nobelpreis“, dem Pritzker-Preis, ausgezeichnete Kölner Architekt Gottfried Böhm bei dem in mehreren Bauabschnitten
zwischen 1962-1971 verwirklichten expressiven
Rathaus in Bensberg einen spannungsvollen Dialog zwischen der malerischen Ringburg des 12.
Jahrhunderts und seinem Neubau, der das Denkmal um eine neue Zeit- und Nutzungsschicht erweitert. Verwandt im Material, jedoch ganz anders
in Erscheinungsbild und Funktion ist dem gegenüber die katholische Heilig-Geist-Kirche in Emmerich (1965/66) von Dieter G. Baumewerd. In den
1960er-Jahren entstand im Sakralbau zudem eine
ganz neue Bauaufgabe: die Gemeindezentren. Mit
ihnen rückten die sozialen Aufgaben der großen
Kirchen in den Mittelpunkt. Aufgrund ihrer scheinbar unspektakulären Gestaltung, erschließt sich die
baukünstlerische Qualität mancher Gemeindezentren erst auf den zweiten Blick.
Herausforderung
Bisher stehen nur wenige Bauten der 1960er- und
frühen 1970er-Jahre unter Denkmalschutz, obwohl
sie bauliche Zeugnisse einer „abgeschlossenen Epoche“ sind, wie es in einigen Denkmalschutzgesetzen
heißt. Wie dringend notwendig die intensive denkmalpflegerische Auseinandersetzung mit dem Erbe
dieser Epoche ist, wird daran deutlich, dass bereits
zahlreiche denkmalwerte oder gar denkmalgeschützte Bauten der 1960er- und frühen 1970erJahre durch Umbauten stark überformt oder gar
vollständig verloren gegangen sind. Zu diesen Verlusten gehören der Palast der Republik, das Ahornblatt, das Ku’Damm Eck und die BEWAG-Erweiterung in Berlin, das Centrum Warenhaus in der Dresdner Prager Straße, das Volkswohl-Bund Hochhaus
in Dortmund oder die Mercator-Halle in Duisburg.
Die Restaurierung und Sanierung von Bauten der
1960er-Jahre ist eine komplexe Aufgabe und bedeutet eine große Herausforderung. Das liegt einerseits an den damals verwendeten Baumaterialien. So
führt etwa die zu dünn ausgeführte Betonüberdeckung an manchen Stahlbetonbauten zu massiven
Schäden am Beton und damit zu kostenintensiven
Sanierungsmaßnahmen. Darüber hinaus müssen
viele Gebäude, die vor den Energiekrisen und dem
Siegeszug der modernen Informationstechnologie
verwirklicht wurden, heute an die veränderten energetischen und technischen Anforderungen angepasst werden. Dies denkmalgerecht zu verwirklichen
ist ebenso eine besondere Herausforderung wie die
restauratorische Behandlung der seit den 1960erJahren eingesetzten neuen Baumaterialien – besonders der Kunststoffe. Sie spielten vor allem bei
der Gestaltung der Innenarchitektur in den 1960erJahren eine wichtige Rolle. Bisher ist es nur selten
gelungen, bei Sanierungen die originale bauzeitliche Substanz der 1960er- und frühen 1970er-Jahre vor dem vollständigen Austausch zu bewahren.
Daher kommt dem Münchner BMW-Hochhaus eine
beispielhafte Rolle bei der Erhaltung von Bauten der
späten Moderne zu: Bei der Sanierung des 1968–72
in der Form eines Vierzylinders von Karl Schwanzer
errichteten Gebäudes durch den Hamburger Architekten Peter P. Schweger ist es gelungen, die Fassade aus Aluminiumgusselementen weitestgehend
zu erhalten und den Bau dennoch technisch und
energetisch zu optimieren.
Aufbruch
Die 1960er-Jahre waren eine Zeit der Um- und
Aufbrüche, der Visionen und der Wünsche, die mit
einem tief greifenden gesellschaftlichen und kulturellen Wandel einherging. Kunst und Alltag flossen
in der plakativen Pop-Art zusammen und auch in
der Architektur wurden im Umfeld der sowjetischen
Sputnik- und der amerikanischen Apollo Weltraummissionen neue Konzepte erprobt. So entwarf die
britische Architektengruppe Archigram visionäre
wandelnde Stadtmaschinen, während die japanischen Metabolisten von futuristisch anmutenden
Gebäuden träumten, wie dem „Capsule Tower Nagkin“ in Tokio von Kisho Kurokawa. Die Technikgläubigkeit im Vorfeld des ersten Ölpreisschocks von
1973 gipfelte in einer neuen High-Tech-Architektur, deren internationalen Leitbau der Brite Richard
Rogers und der Italiener Renzo Piano mit der phänomenalen Kunstmaschine des Centre Pompidou
in Paris verwirklichten. Mit den neuen technischen
Bauformen ging die Verwendung neuer Baumaterialien einher, von Kunststoffen und Plexiglas bis
Aluminium, mit denen sich das Erscheinungsbild
der Architektur grundlegend veränderte. Freie
Formen wie beim Münchner Olympiastadion von
Günther Behnisch und Frei Otto für die Olympischen
Spiele 1972 standen in Deutschland für eine neue
Architektursprache, die sich gleichermaßen selbstbewusst wie weltoffen präsentierte.
Der architektonische Umbruch wurde in beiden
deutschen Staaten spürbar – auch wenn er sich jeweils unterschiedlich ausdrückte: Nach der Abkehr
von der „nationalen Tradition“, die in den 1950erJahren das Baugeschehen in der DDR bestimmt
hatte, förderte man nun das industrielle Bauen, um
der herrschenden Wohnungsnot Herr zu werden. Es
entstanden neue Stadtteile, ja neue Städte, deren
Plattenbauten zum Markenzeichen der späten DDR
Architektur aufstiegen: in Hoyerswerder, in HalleNeustadt oder beim zweiten Bauabschnitt der KarlMarx-Allee in Berlin. Doch neben den normierten
Plattenbauten war auch Raum für architektonische
Sonderformen wie beim Tee-Pot in Warnemünde
mit seiner ungewöhnlichen Dachkonstruktion von
Ulrich Müther. Und der Fernsehturm in BerlinMitte setzte als Landmarke ein Zeichen, das auch
im Westteil der Stadt deutlich wahrnehmbar war.
Mit dem großzügigen städtebaulichen Entwurf für
die Prager Straße in Dresden, deren Gestaltung sich
an der Lijnbaan in Rotterdam orientierte, fand der
direkte Anschluss an die Architekturentwicklung
der westlichen Moderne statt. Die Entwicklung der
Prager Straße nach 1989 steht aber auch für den
unsensiblen Umgang mit den Bauten der (DDR-)
Moderne: Das „Centrum“ Warenhaus mit seiner
markanten Wabenfassade aus Aluminiumelementen wurde abgerissen, während die einst großzügige Straße an ihren Enden durch Neubauten
eingeschnürt und zum lang gestreckten Platz abgewertet wurde.
in dessen Nachgang in den westdeutschen Bundesländern zahlreiche Denkmalschutzgesetze beschlossen wurden.
Umbruch
Neue Dichte
War die Architektur der unmittelbaren Nachkriegszeit noch durch eine Kleinteiligkeit und Filigranität
gekennzeichnet, so fand in den 1960er-Jahren ein
Maßstabsprung statt – hin zu architektonischen
Großformen. Einem Veränderungsprozess war
auch das städtebauliche Leitbild unterworfen:
An die Stelle der aufgelockert-durchgrünten und
autogerechten Stadt trat die Forderung nach einer
neuen „Urbanität“, die mit einer deutlichen Verdichtung einher ging – ohne dabei das Ideal der
autogerechten Stadt zu verwerfen. Das Ergebnis
waren Großsiedlungen, deren Hochhäuser deutschlandweit die Ränder der Städte prägten. Manchen
Siedlungen kommt dabei ein Stadtteilcharakter zu,
bieten sie doch bis heute teilweise mehreren zehntausend Bewohnern eine neue Heimat. Das gilt für
Neuperlach in München ebenso wie für das Märkische Viertel und die Gropiusstadt in Berlin oder
die Neue Vahr in Bremen. Die Gebäude waren dabei häufig zu großformatigen, teilweise mehreren
hundert Meter langen „Clustern“ zusammengefügt,
deren städtebauliche Qualität schnell in die Kritik
geriet. Das heute geflügelte Wort von der „Unwirtlichkeit unserer Städte“ des Soziologen Alexander
Mitscherlich machte die Runde. Zeitgleich führte
die Flächensanierung in den Innenstädten, durch
die zahlreiche historische Bauten zerstört wurden, zu einer kraftvollen bürgerschaftlichen Gegenbewegung. Sie trug entscheidend dazu bei, die
Rolle von Denkmalschutz und Denkmalpflege in
Deutschland zu stärken. Diese Entwicklung gipfelte in dem Europäischen Denkmalschutzjahr 1975,
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Hermann Henselmann und Heinz Mehlan, Wohnbebauung Lehnin Platz (Typ P2), Berlin, 1967, 1968–1970, Foto: Wolfgang Bittner
Weber und Brand, Universitätsklinikum, Aachen, 1971–1985, Foto: Rheinisches Amt für Denkmalpflege/Gregori
Günter Behnisch und Frei Otto, Olympiapark, München, 1968–72, Foto: BLfD, Lantz
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Hans Scharoun, Philharmonie, Berlin, 1960-63, Foto: Markus Hilbich
Bonn, Kanzlerbungalow von Sepp Ruf, 1963/64, Foto: Bundesregierung, Engelbert Reineke
Zeitgleich brachte der „Bauwirtschaftsfunktionalismus“ der 1960er und frühen 1970er-Jahre die Architektur einer ganzen Epoche in Misskredit – ging
es ihm doch nicht in erster Linie um städtebauliche und architektonische Qualität, sondern um
Massenproduktion und eine Gewinnmaximierung
durch das Abgreifen von staatlichen Fördermitteln.
Angesichts dieser Kritik gerät leicht außer acht,
dass auch mit Waschbetonwänden oder Fertigbauteilen aus Beton seit 1960 zahlreiche denkmalwerte
Bauten entstanden. Dazu gehört das Berliner Benjamin-Franklin-Klinikum (1958/68, Franz Mocken,
Berlin mit Curtis und Davis, New Orleans), das als
Großkrankenhaus zu den Vorläufern des Universitätsklinikums Aachen (1971–1985, Architekten:
Weber und Brand) gehört. Inzwischen denkmalgeschützt, gilt das Aachener Universitätsklinikum
mit seinen markanten Türmen als herausragendes
Beispiel der High-Tech-Architektur.
Sichtbeton als wichtigstes Baumaterial der Moderne fand bei den unterschiedlichsten Bauaufgaben
Verwendung. So entfachte der 1986 mit dem sogenannten „Architektur-Nobelpreis“, dem Pritzker-Preis, ausgezeichnete Kölner Architekt Gottfried Böhm bei dem in mehreren Bauabschnitten
zwischen 1962-1971 verwirklichten expressiven
Rathaus in Bensberg einen spannungsvollen Dialog zwischen der malerischen Ringburg des 12.
Jahrhunderts und seinem Neubau, der das Denkmal um eine neue Zeit- und Nutzungsschicht erweitert. Verwandt im Material, jedoch ganz anders
in Erscheinungsbild und Funktion ist dem gegenüber die katholische Heilig-Geist-Kirche in Emmerich (1965/66) von Dieter G. Baumewerd. In den
1960er-Jahren entstand im Sakralbau zudem eine
ganz neue Bauaufgabe: die Gemeindezentren. Mit
ihnen rückten die sozialen Aufgaben der großen
Kirchen in den Mittelpunkt. Aufgrund ihrer scheinbar unspektakulären Gestaltung, erschließt sich die
baukünstlerische Qualität mancher Gemeindezentren erst auf den zweiten Blick.
Herausforderung
Bisher stehen nur wenige Bauten der 1960er- und
frühen 1970er-Jahre unter Denkmalschutz, obwohl
sie bauliche Zeugnisse einer „abgeschlossenen Epoche“ sind, wie es in einigen Denkmalschutzgesetzen
heißt. Wie dringend notwendig die intensive denkmalpflegerische Auseinandersetzung mit dem Erbe
dieser Epoche ist, wird daran deutlich, dass bereits
zahlreiche denkmalwerte oder gar denkmalgeschützte Bauten der 1960er- und frühen 1970erJahre durch Umbauten stark überformt oder gar
vollständig verloren gegangen sind. Zu diesen Verlusten gehören der Palast der Republik, das Ahornblatt, das Ku’Damm Eck und die BEWAG-Erweiterung in Berlin, das Centrum Warenhaus in der Dresdner Prager Straße, das Volkswohl-Bund Hochhaus
in Dortmund oder die Mercator-Halle in Duisburg.
Die Restaurierung und Sanierung von Bauten der
1960er-Jahre ist eine komplexe Aufgabe und bedeutet eine große Herausforderung. Das liegt einerseits an den damals verwendeten Baumaterialien. So
führt etwa die zu dünn ausgeführte Betonüberdeckung an manchen Stahlbetonbauten zu massiven
Schäden am Beton und damit zu kostenintensiven
Sanierungsmaßnahmen. Darüber hinaus müssen
viele Gebäude, die vor den Energiekrisen und dem
Siegeszug der modernen Informationstechnologie
verwirklicht wurden, heute an die veränderten energetischen und technischen Anforderungen angepasst werden. Dies denkmalgerecht zu verwirklichen
ist ebenso eine besondere Herausforderung wie die
restauratorische Behandlung der seit den 1960erJahren eingesetzten neuen Baumaterialien – besonders der Kunststoffe. Sie spielten vor allem bei
der Gestaltung der Innenarchitektur in den 1960erJahren eine wichtige Rolle. Bisher ist es nur selten
gelungen, bei Sanierungen die originale bauzeitliche Substanz der 1960er- und frühen 1970er-Jahre vor dem vollständigen Austausch zu bewahren.
Daher kommt dem Münchner BMW-Hochhaus eine
beispielhafte Rolle bei der Erhaltung von Bauten der
späten Moderne zu: Bei der Sanierung des 1968–72
in der Form eines Vierzylinders von Karl Schwanzer
errichteten Gebäudes durch den Hamburger Architekten Peter P. Schweger ist es gelungen, die Fassade aus Aluminiumgusselementen weitestgehend
zu erhalten und den Bau dennoch technisch und
energetisch zu optimieren.
Aufbruch
Die 1960er-Jahre waren eine Zeit der Um- und
Aufbrüche, der Visionen und der Wünsche, die mit
einem tief greifenden gesellschaftlichen und kulturellen Wandel einherging. Kunst und Alltag flossen
in der plakativen Pop-Art zusammen und auch in
der Architektur wurden im Umfeld der sowjetischen
Sputnik- und der amerikanischen Apollo Weltraummissionen neue Konzepte erprobt. So entwarf die
britische Architektengruppe Archigram visionäre
wandelnde Stadtmaschinen, während die japanischen Metabolisten von futuristisch anmutenden
Gebäuden träumten, wie dem „Capsule Tower Nagkin“ in Tokio von Kisho Kurokawa. Die Technikgläubigkeit im Vorfeld des ersten Ölpreisschocks von
1973 gipfelte in einer neuen High-Tech-Architektur, deren internationalen Leitbau der Brite Richard
Rogers und der Italiener Renzo Piano mit der phänomenalen Kunstmaschine des Centre Pompidou
in Paris verwirklichten. Mit den neuen technischen
Bauformen ging die Verwendung neuer Baumaterialien einher, von Kunststoffen und Plexiglas bis
Aluminium, mit denen sich das Erscheinungsbild
der Architektur grundlegend veränderte. Freie
Formen wie beim Münchner Olympiastadion von
Günther Behnisch und Frei Otto für die Olympischen
Spiele 1972 standen in Deutschland für eine neue
Architektursprache, die sich gleichermaßen selbstbewusst wie weltoffen präsentierte.
Der architektonische Umbruch wurde in beiden
deutschen Staaten spürbar – auch wenn er sich jeweils unterschiedlich ausdrückte: Nach der Abkehr
von der „nationalen Tradition“, die in den 1950erJahren das Baugeschehen in der DDR bestimmt
hatte, förderte man nun das industrielle Bauen, um
der herrschenden Wohnungsnot Herr zu werden. Es
entstanden neue Stadtteile, ja neue Städte, deren
Plattenbauten zum Markenzeichen der späten DDR
Architektur aufstiegen: in Hoyerswerder, in HalleNeustadt oder beim zweiten Bauabschnitt der KarlMarx-Allee in Berlin. Doch neben den normierten
Plattenbauten war auch Raum für architektonische
Sonderformen wie beim Tee-Pot in Warnemünde
mit seiner ungewöhnlichen Dachkonstruktion von
Ulrich Müther. Und der Fernsehturm in BerlinMitte setzte als Landmarke ein Zeichen, das auch
im Westteil der Stadt deutlich wahrnehmbar war.
Mit dem großzügigen städtebaulichen Entwurf für
die Prager Straße in Dresden, deren Gestaltung sich
an der Lijnbaan in Rotterdam orientierte, fand der
direkte Anschluss an die Architekturentwicklung
der westlichen Moderne statt. Die Entwicklung der
Prager Straße nach 1989 steht aber auch für den
unsensiblen Umgang mit den Bauten der (DDR-)
Moderne: Das „Centrum“ Warenhaus mit seiner
markanten Wabenfassade aus Aluminiumelementen wurde abgerissen, während die einst großzügige Straße an ihren Enden durch Neubauten
eingeschnürt und zum lang gestreckten Platz abgewertet wurde.
in dessen Nachgang in den westdeutschen Bundesländern zahlreiche Denkmalschutzgesetze beschlossen wurden.
Umbruch
Neue Dichte
War die Architektur der unmittelbaren Nachkriegszeit noch durch eine Kleinteiligkeit und Filigranität
gekennzeichnet, so fand in den 1960er-Jahren ein
Maßstabsprung statt – hin zu architektonischen
Großformen. Einem Veränderungsprozess war
auch das städtebauliche Leitbild unterworfen:
An die Stelle der aufgelockert-durchgrünten und
autogerechten Stadt trat die Forderung nach einer
neuen „Urbanität“, die mit einer deutlichen Verdichtung einher ging – ohne dabei das Ideal der
autogerechten Stadt zu verwerfen. Das Ergebnis
waren Großsiedlungen, deren Hochhäuser deutschlandweit die Ränder der Städte prägten. Manchen
Siedlungen kommt dabei ein Stadtteilcharakter zu,
bieten sie doch bis heute teilweise mehreren zehntausend Bewohnern eine neue Heimat. Das gilt für
Neuperlach in München ebenso wie für das Märkische Viertel und die Gropiusstadt in Berlin oder
die Neue Vahr in Bremen. Die Gebäude waren dabei häufig zu großformatigen, teilweise mehreren
hundert Meter langen „Clustern“ zusammengefügt,
deren städtebauliche Qualität schnell in die Kritik
geriet. Das heute geflügelte Wort von der „Unwirtlichkeit unserer Städte“ des Soziologen Alexander
Mitscherlich machte die Runde. Zeitgleich führte
die Flächensanierung in den Innenstädten, durch
die zahlreiche historische Bauten zerstört wurden, zu einer kraftvollen bürgerschaftlichen Gegenbewegung. Sie trug entscheidend dazu bei, die
Rolle von Denkmalschutz und Denkmalpflege in
Deutschland zu stärken. Diese Entwicklung gipfelte in dem Europäischen Denkmalschutzjahr 1975,
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Hermann Henselmann und Heinz Mehlan, Wohnbebauung Lehnin Platz (Typ P2), Berlin, 1967, 1968–1970, Foto: Wolfgang Bittner
Weber und Brand, Universitätsklinikum, Aachen, 1971–1985, Foto: Rheinisches Amt für Denkmalpflege/Gregori
Günter Behnisch und Frei Otto, Olympiapark, München, 1968–72, Foto: BLfD, Lantz
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Hans Scharoun, Philharmonie, Berlin, 1960-63, Foto: Markus Hilbich
Bonn, Kanzlerbungalow von Sepp Ruf, 1963/64, Foto: Bundesregierung, Engelbert Reineke
Zeitgleich brachte der „Bauwirtschaftsfunktionalismus“ der 1960er und frühen 1970er-Jahre die Architektur einer ganzen Epoche in Misskredit – ging
es ihm doch nicht in erster Linie um städtebauliche und architektonische Qualität, sondern um
Massenproduktion und eine Gewinnmaximierung
durch das Abgreifen von staatlichen Fördermitteln.
Angesichts dieser Kritik gerät leicht außer acht,
dass auch mit Waschbetonwänden oder Fertigbauteilen aus Beton seit 1960 zahlreiche denkmalwerte
Bauten entstanden. Dazu gehört das Berliner Benjamin-Franklin-Klinikum (1958/68, Franz Mocken,
Berlin mit Curtis und Davis, New Orleans), das als
Großkrankenhaus zu den Vorläufern des Universitätsklinikums Aachen (1971–1985, Architekten:
Weber und Brand) gehört. Inzwischen denkmalgeschützt, gilt das Aachener Universitätsklinikum
mit seinen markanten Türmen als herausragendes
Beispiel der High-Tech-Architektur.
Sichtbeton als wichtigstes Baumaterial der Moderne fand bei den unterschiedlichsten Bauaufgaben
Verwendung. So entfachte der 1986 mit dem sogenannten „Architektur-Nobelpreis“, dem Pritzker-Preis, ausgezeichnete Kölner Architekt Gottfried Böhm bei dem in mehreren Bauabschnitten
zwischen 1962-1971 verwirklichten expressiven
Rathaus in Bensberg einen spannungsvollen Dialog zwischen der malerischen Ringburg des 12.
Jahrhunderts und seinem Neubau, der das Denkmal um eine neue Zeit- und Nutzungsschicht erweitert. Verwandt im Material, jedoch ganz anders
in Erscheinungsbild und Funktion ist dem gegenüber die katholische Heilig-Geist-Kirche in Emmerich (1965/66) von Dieter G. Baumewerd. In den
1960er-Jahren entstand im Sakralbau zudem eine
ganz neue Bauaufgabe: die Gemeindezentren. Mit
ihnen rückten die sozialen Aufgaben der großen
Kirchen in den Mittelpunkt. Aufgrund ihrer scheinbar unspektakulären Gestaltung, erschließt sich die
baukünstlerische Qualität mancher Gemeindezentren erst auf den zweiten Blick.
Herausforderung
Bisher stehen nur wenige Bauten der 1960er- und
frühen 1970er-Jahre unter Denkmalschutz, obwohl
sie bauliche Zeugnisse einer „abgeschlossenen Epoche“ sind, wie es in einigen Denkmalschutzgesetzen
heißt. Wie dringend notwendig die intensive denkmalpflegerische Auseinandersetzung mit dem Erbe
dieser Epoche ist, wird daran deutlich, dass bereits
zahlreiche denkmalwerte oder gar denkmalgeschützte Bauten der 1960er- und frühen 1970erJahre durch Umbauten stark überformt oder gar
vollständig verloren gegangen sind. Zu diesen Verlusten gehören der Palast der Republik, das Ahornblatt, das Ku’Damm Eck und die BEWAG-Erweiterung in Berlin, das Centrum Warenhaus in der Dresdner Prager Straße, das Volkswohl-Bund Hochhaus
in Dortmund oder die Mercator-Halle in Duisburg.
Die Restaurierung und Sanierung von Bauten der
1960er-Jahre ist eine komplexe Aufgabe und bedeutet eine große Herausforderung. Das liegt einerseits an den damals verwendeten Baumaterialien. So
führt etwa die zu dünn ausgeführte Betonüberdeckung an manchen Stahlbetonbauten zu massiven
Schäden am Beton und damit zu kostenintensiven
Sanierungsmaßnahmen. Darüber hinaus müssen
viele Gebäude, die vor den Energiekrisen und dem
Siegeszug der modernen Informationstechnologie
verwirklicht wurden, heute an die veränderten energetischen und technischen Anforderungen angepasst werden. Dies denkmalgerecht zu verwirklichen
ist ebenso eine besondere Herausforderung wie die
restauratorische Behandlung der seit den 1960erJahren eingesetzten neuen Baumaterialien – besonders der Kunststoffe. Sie spielten vor allem bei
der Gestaltung der Innenarchitektur in den 1960erJahren eine wichtige Rolle. Bisher ist es nur selten
gelungen, bei Sanierungen die originale bauzeitliche Substanz der 1960er- und frühen 1970er-Jahre vor dem vollständigen Austausch zu bewahren.
Daher kommt dem Münchner BMW-Hochhaus eine
beispielhafte Rolle bei der Erhaltung von Bauten der
späten Moderne zu: Bei der Sanierung des 1968–72
in der Form eines Vierzylinders von Karl Schwanzer
errichteten Gebäudes durch den Hamburger Architekten Peter P. Schweger ist es gelungen, die Fassade aus Aluminiumgusselementen weitestgehend
zu erhalten und den Bau dennoch technisch und
energetisch zu optimieren.
Späte Moderne
Die Architektur der 1960er und frühen 1970er Jahre
Erich Kaufmann u.a.; Dachkonstruktion Ulrich Müther, Teepot Warnemünde,
1968, Foto: Birgit Mannewitz
Hermann Fehling, Daniel Gogel, Institut für Hygiene und medizinische Mikrobiologie der FU Berlin,
1970/74, Foto: Markus Hilbig
Fritz Dieter, Günter Franke, Werner Ahrendt, Walter Herzog und Herbert Aust, Fernsehturm, Berlin, 1965/69, 1969/72,
Foto: Wolfgang Bittner
Faltblattreihe F 21
Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz
beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
Graurheindorfer Straße 198 · 53117 Bonn
www.dnk.de
Dieter G. Baumewerd, Heilig-Geist-Kirche, Emmerich,
1965/66, Foto: Rheinisches Amt für Denkmalpflege/Hohn
Text: Dr. Jürgen Tietz
Layout: VVA KONKORDIA GmbH · Druck: Druckpartner Moser Druck+Verlag GmbH
Karl Schwanzer/Schweger Assoziierte Gesamtplanung GmbH, BMW Hochhaus,
München, 1970/73; 2007, Foto, Copyright: BMW AG
Gottfried Böhm, Rathaus, Bensberg,
1964/69, Foto: Rheinisches Amt für Denkmalpflege, Schyma
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