Vorarlberg Museum

Werbung
18
zement + beton 1_14 | Museen
Vorarlberg Museum
Bregenz, Vorarlberg, 2013
Architektur und Text | Andreas Cukrowicz, Anton Nachbaur-Sturm
Bilder | © Adolf Bereuter, DarkoTodorovic (S.22 oben)
Pläne | © Cukrowicz Nachbaur Architekten
2007 wurde der Neubau des Museums beschlossen – mit der Auflage, den denkmalgeschützten Teil des Verwaltungsbaus zu erhalten. Den Wettbewerb für den 35 Millionen
Euro teuren Bau gewannen die Vorarlberger Architekten Cukrowicz Nachbaur. Die
Neukonzeption des Landesmuseums entwickelt sich strukturell aus den örtlichen
Gegebenheiten und bildet städtebaulich als neuer Solitär den westlichen Abschluss
der Reihe wichtiger Punktbauten. Der städtebaulich und gestalterisch selbstbewusste
Baukörper schafft die idealen Rahmenbedingungen für die inhaltliche und optische
Neupositionierung des Museums als wesentliche Bereicherung des bestehenden
Kulturbezirkes mit Kunsthaus und Theater.
Die bestehende Situation ist geprägt von der Lage des Grundstückes im Spannungsfeld zwischen offener Seelandschaft
und kompaktem Stadtgefüge. Der geschlossenen Stadtbebauung vorgelagert befindet sich ein inselartiges Baufeld
besetzt durch Solitärbauten mit übergeordneter Nutzung.
Dazwischen ergeben sich schöne Sichtachsen aus der Stadt
auf den Bodensee. Die Stellung der Einzelbauten entwickelt
differenzierte Außenraumbereiche mit individuellen Stimmungen.
Die gesamte Zone kann außenräumlich als zusammenhängende Abfolge aus mehreren Platzsituationen gelesen werden.
Die Bebauungsstruktur aus speziellen Punktbauten wurde bis
etwa 1900 konsequent eingehalten. Mit dem Bau der heutigen
Bezirkshauptmannschaft sowie dem Landesmuseum erfolgte
im Bereich Rathausstraße partiell die Ausbildung einer Blockrandbebauung.
zement + beton 1_14
Kommt man vom See her, so wirkt der eigenwillige Zwitter
aus Alt und Neu zunächst sperrig, ja irritierend. Ganz selbstverständlich passt sich das neue Museum jedoch in Höhe
und Volumen den benachbarten Kulturbauten an. Die beiden
Fronten schauen in entgegengesetzte Richtungen, der Altbau
über den See, der Neubau auf den belebten Kornmarkt. Nicht
wenige Architekten hätten auf den historistischen Quader
lieber verzichtet. Das Konzept der Architekten basiert auf dem
Prinzip des Weiterbauens. Der denkmalgeschützte Gebäudebestand der Bezirkshauptmannschaft wird aus Denkmalschutzgründen in wesentlichen Teilen erhalten und in die
Gesamtlösung integriert. Das bestehende Gebäude wird mit
zwei Geschoßen vertikal erweitert, direkt anschließend wird
Richtung Kornmarktplatz ein fünfgeschoßiger Neubau entwickelt. Gebäudebestand, Aufstockung und Neubau bilden mit
einer klaren und kompakten Gebäudefigur eine neue Großform. Durch das Freihalten der bestehenden spitzen Südecke
des Landesmuseums und das Knicken der Südwestfassade im
Übergang zwischen Alt und Neu generiert sich eine neue
städtebauliche Situation. In den Oberflächentexturen unterscheiden sich jedoch Alt und Neu: Verputz und weißer Beton.
Die Blockrandbebauung wird aufgelöst, der Baukörper wird
eigenständig und solitär. Das Gebäude ist nicht mehr nur
reine Platzbegrenzung, es wird integrierter Bestandteil der
Platzsituation. Der See wird im Bereich Rathausstraße/Kornmarktplatz durch erweiterte Blickbeziehungen erlebbarer und
präsent und wirkt wieder positiv ins Stadtgefüge.
Die unterschiedlichen Bauabschnitte werden durch differenzierte Fassadenstrukturen und Oberflächentexturen sichtbar
gemacht. Eine einheitliche Farbgebung aus dem Weiß der
Champagnerkreide verbindet sämtliche Gebäudeteile zu einem
großen Ganzen. Sie lässt das Haus in neuem Licht erstrahlen
und bildet im positiven Sinn einen diffusen Spiegel aller natürlichen Lichtverhältnisse mit herrlich authentischer Reflexion.
Durch die größere Höhe sowie durch die neue Farbgebung
erhält das neue Museum eine starke Präsenz sowohl im Stadtraum als auch am Bodenseeufer.
19
20
zement + beton 1_14 | Museen
Sämtliche Funktionsbereiche gruppieren sich ringförmig um das
innen liegende Atrium, eine ebenfalls ringförmige Erschließung
bildet die interne Verbindung aller Bereiche. Die offen und einladend gestaltete Erdgeschoßzone mit Foyer und Café verbindet Platzraum und überdeckten Innenhof. Die Raumzone für
Vermittlung ist im Erdgeschoß des Bestandes untergebracht,
die Anlieferung befindet sich im Nordosten und erfolgt über die
gemeinsame Anlieferungszone mit Kunsthaus und Theater.
Im ersten Obergeschoß befinden sich zwei Veranstaltungsräume, welche flexibel als Ausstellungsfläche zugeschaltet
werden können. Die gesamte Verwaltung wird im Bestand des
ersten Obergeschoßes organisiert und kann extern über den
bestehenden Eingang von Norden her erschlossen werden.
Die obersten drei Geschoße sind reine Ausstellungsgeschoße
mit maximaler Nutzungsflexibilität. Durch Hofzuordnungen und
Ausblicke werden nutzungsneutral feine Raumdifferenzierungen
generiert. Der Bereich vor dem Panoramafenster im vierten
Obergeschoß dient als kontemplativer Bereich. Das Atrium
schafft Großzügigkeit und Orientierung im Gebäudeinneren
und kann als zusätzlicher Aktionsraum für Veranstaltungen
und Rauminstallationen verwendet werden. Das gesamte
Gebäude befindet sich in hochwassersicherer Lage.
Den weißen Betonfassaden
nimmt die blütenförmig
genoppte Oberfläche, die bald
hell aufblitzt, bald als Schattenmuster in Erscheinung
tritt, die materielle Schwere.
Grundriss Ebene -1
Der Eingang markiert das östliche Ende des übereck verglasten Erdgeschoßes. Darüber scheint die weiße, vor Ort aus
Leichtbeton gegossene Hülle des Baukörpers in prekärem
Gleichgewicht zu balancieren, denn die überschlanken Stützen wurden unsichtbar in die vertikalen Fensterrahmen integriert. Den weißen Betonfassaden nimmt die blütenförmig genoppte Oberfläche, die bald hell aufblitzt, bald als Schattenmuster in Erscheinung tritt, zudem die materielle Schwere.
Grundriss Ebene 0
Grundriss Ebene +1
zement + beton 1_14
Grundriss Ebene +2
Grundriss Ebene +4
21
22
zement + beton 1_14 | Museen
Als zweite interne Erschließung wurde die historische, gewendelte Marmortreppe verlängert. In den Neubauteilen werden
die Gangflächen aus Betonterrazzo mit hellem, fast weißem
Bitumenterrazzo ergänzt.
Bei der Fassadengestaltung sind Architektur und Kunst aus
einem Guss. Durch die intensive und enge Zusammenarbeit
zwischen den Architekten und dem Bozner Künstler Manfred
Alois Mayr entstand ein Fassadenrelief, das mit seinem LichtSchatten-Spiel in ständiger Verbindung mit dem Tageslicht
und den Jahreszeiten steht. Das Relief zeigt sich als plastisch
wirkende Fassade und besteht aus 16.656 einzelnen Betonblüten, die in einem flächenfüllenden ornamentalen Streumuster
über die Fassadenteile des Neubaus verteilt wurden.
Mit aufwendigen Versuchen
entwickelte man großflächige
Matrizen aus Polyurethan,
die in sechs Meter hohe
Schalungselemente eingelegt
und mit selbstverdichtendem
Ortbeton in hoher Viskosität
ausgegossen wurden.
Schnitt
zement + beton 1_14
Als Matrizen für die blütenartigen Motive dienten verschiedene
Böden handelsüblicher PET-Flaschen. Dieses gewöhnliche
wie typische Alltagsobjekt unserer Tage schlägt die Brücke zu
den im Museum verwahrten antiken Gebrauchsgegenständen
und schafft einen direkten Bezug zu einer der Kernaufgaben
eines Museums, nämlich dem Sammeln. Die dreizehn verschiedenen Flaschenbodenmotive bilden an der Fassade ein zufälliges Streumuster und wirken in ihrer Gesamtheit wie ein
großes Meer aus Betonblüten. Mit aufwendigen Versuchen
entwickelte man großflächige Matrizen aus Polyurethan, die in
sechs Meter hohe Schalungselemente eingelegt und mit
selbstverdichtendem Ortbeton in hoher Viskosität ausgegossen wurden. Der Züricher Künstler und Mathematiker
Beat Roth entwickelte hierfür das System „Domino 13“.
Die künstlerische Gestaltung der Fassade verschränkt Vergangenheit und Gegenwart, schlägt die Brücke von der
Römerschale zur thermoplastischen Getränkeflasche unserer
Tage, aber auch von der Tonerde zum Substrat aus Betonguss. Das Ergebnis der Arbeit ist eine homogene, nicht
mehr trennbare Symbiose, ein ideales Abbild einer perfekten
Zusammenarbeit zwischen Architekten und Künstler.
Projektdaten:
Autoren:
Adresse: Kornmarktplatz 1, 6900 Bregenz | Bauherr: Land Vorarlberg | Architektur: Cukrowicz Nachbaur
Architekten (Andreas Cukrowicz, Anton Nachbaur-Sturm) | Mitarbeit Architektur: Projektleiter: Stefan
Abbrederis, Mitarbeiter: Philipp Schertler, Martin Ladinger, Christian Schmölz | Tragwerksplanung: Mader
& Flatz (Ernst Mader, Markus Flatz) | Örtliche Bauaufsicht: Albrecht Bau- und Projektmanagement |
Mitarbeit ÖBA: Ing. Peter Salzgeber | Ausführende Firmen: Arge Vorarlberg Museum: Schertler-Alge GmbH,
Rhomberg Bau GmbH, Hilti & Jehle GmbH, Jäger Bau GmbH | Kunst und Bau: Fassadenrelief: Alois
Mayr, Beat Roth, Florian Pumhösl | Wettbewerb: 2007 | Grundstücksfläche: 1.530 m² | Bruttogeschoßfläche: 7.966 m² | Nutzfläche: 6.085 m² | Bebaute Fläche: 1.436 m² | Umbauter Raum: 37.780 m³ |
Baukosten: 27,3 Mio. Euro | Nachhaltigkeit: Heizwärmebedarf: 49,8 kWh/m²a (Energieausweis),
außeninduzierter Kühlbedarf: 39,2 kWh/m²a (Energieausweis) |
Cukrowicz Nachbaur Architekten ZT GmbH
Andreas Cukrowicz, Anton Nachbaur-Sturm
www.cn-architekten.com
23
Herunterladen