Beeinflusst die Darmflora Gesundheit und Krankheit

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Bakterielle Signaturen
Beeinflusst die Darmflora Gesundheit
und Krankheit – oder umgekehrt?
ANETTE FRIEDRICHS 1 , FEMKE-ANOUSKA HEINSEN 2 , HENRIK KNECHT 2 ,
STEPHAN JOHANNES OTT 1 , PHILIP ROSENSTIEL 2
1 KLINIK FÜR INNERE MEDIZIN I, UNIVERSITÄTSKLINIKUM SCHLESWIG-HOLSTEIN,
CAMPUS KIEL
2 INSTITUT FÜR KLINISCHE MOLEKULARBIOLOGIE, UNIVERSITÄT KIEL
Bacteria within the gastrointestinal tract play several roles thereby maintaining human health. However, disruption of the bacterial equilibrium
can lead to altered bacterial signatures which may play a role in the
development of various disease entities. So far it has not been clarified if
these alterations are cause or result of bacterial infections. At the
Institute of Clinical Molecular Biology in Kiel, we work on the impact of
bacterial signatures in chronic inflammatory diseases.
DOI: 10.1007/s12268-012-0179-7
© Springer-Verlag 2012
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ó „Our other genome“ hieß ein Titelblatt der
Fachzeitschrift Nature im März 2010. In dieser Ausgabe präsentierten Qin und Kollegen
einen Katalog nicht-redundanter mikrobieller Gene des humanen Intestinums [1]. Dieser
Katalog beinhaltet 3,5 Millionen mikrobielle
Gene, was dem 150-fachen der Anzahl
menschlicher Gene entspricht.
Die Gesamtheit der Gene bakterieller Populationen bezeichnet man als Mikrobiom, unter
dem humanen Mikrobiom versteht man folglich die Gesamtheit der Gene aller mit dem
Menschen assoziierten Bakterien.
Das Verhältnis von human-assoziierten
Bakterien zu humanen Zellen ist etwa 10:1,
das Verhältnis bakterieller Gene zu humanen
Genen entsprechend höher (Abb. 1). Aus diesem Grund wurde im Dezember 2007 in den
USA durch das National Institute of Health
(NIH) das Human Microbiome Project (http://
commonfund.nih.gov/hmp) zur Sequenzierung aller Genome der Mikroorganismen, die
den Menschen besiedeln, ins Leben gerufen.
Fortschritte in der Sequenziertechnologie
erlauben heute eine umfassende und kostengünstige Beschreibung solcher Mikrobiome in
kurzer Zeit (Metagenomik). Bakterielle Signaturen beschreiben also komplexe mikrobielle
Gemeinschaften auf molekularer Ebene.
Die Mikrobiota im humanen
Gastrointestinaltrakt
Der menschliche Körper beherbergt eine hoch
diverse Anzahl an Bakterien, die sogenannte
Mikrobiota. Neben einer immensen Bakterienvielfalt auf Unterarm, Handfläche, Zeigefinger, Kniekehle und Fußsohle ist ein Großteil der Bakterien im Gastrointestinaltrakt
(GIT) zu finden. Bis zu 1014 Bakterien sind
hier angesiedelt. Der Gehalt an Bakterien
nimmt über den GIT hin zu und erreicht im
Dickdarm eine maximale Dichte von 1011 bis
1012 Zellen pro Milliliter Stuhl. Molekular¯ Abb. 1: Der Mensch und seine Bakterien.
A, Zunahme der Bakteriendichte im Verlauf des
Gastrointestinaltrakts. B, Verhältnis von humanen zu bakteriellen Zellen bzw. Genen.
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biologisch werden die Bakterien in 22 verschiedene Phyla eingeteilt,
wobei die vier im GIT dominierenden einen Anteil von über 92 Prozent der Mikrobiota des menschlichen GITs darstellen. In absteigender Dominanz sind dies die Firmikuten, Bakteroideten, Proteobakterien und die Aktinobakterien. Die vorhandenen Phyla können in 800
bis 1.000 verschiedene Spezies und mehr als 7.000 verschiedene
Stämme untergliedert werden. Innerhalb des GITs kann zwischen der
luminalen und der Mukosa-assoziierten Mikrobiota unterschieden
werden. Die Mukosa-assoziierte Mikrobiota, die durch Biopsieproben
gewonnen wird, hat eine Zusammensetzung, die sich über den gesamten Dickdarm (aufsteigendes, transverses, absteigendes und sigmoidales Kolon) sehr ähnelt, sich aber von der luminalen Mikrobiota, welche durch Stuhlproben erfasst werden kann, unterscheidet.
Die einzelnen Aufgaben der (hauptsächlich anaeroben) Bakterien
sind vielfältig. Zusammengenommen stimulieren sie die Proliferation, Angiogenese und die epitheliale Restitution des GITs, sodass
die Mikrobiota an der gastrointestinalen Homöostase und damit letztendlich am Erhalt der Gesundheit beteiligt ist. Eine Störung dieser
Homöostase kann zu Veränderungen der Mikrobiota führen, die wiederum in der Pathogenese von einer Vielzahl entzündlicher Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn implementiert
sind. Unser Wissen über die Mechanismen, die zu Verschiebungen in
der Zusammensetzung des Mikrobioms führen, ist jedoch noch
begrenzt.
Eine abnormale Veränderung der gastrointestinalen Mikrobiota
sowie das Wechselspiel zwischen dem aktiven und inaktiven (dormanten) Zustand bakterieller Stämme müssen entgegen früherer
Annahmen nicht zwangsläufig der Grund, sondern können auch das
Resultat einer bakteriellen Infektion sein. Es konnte mehrfach gezeigt
werden, dass sowohl chronisch-entzündliche Darmerkrankungen als
auch die Veränderung der entsprechenden Mikrobiota durch den
Genotyp des Menschen, die Ernährungsweise und andere exogene
Umweltfaktoren ausgelöst bzw. beeinflusst werden [2].
Vom klinischen Probenmaterial zur Bakteriensignatur
Die molekularbiologische Analyse der komplexen gastrointestinalen
Mikrobiota im Zusammenhang mit entzündlichen Darmerkrankungen
sowie die Identifizierung infektionsbeeinflussender bakterieller Familien und Gattungen steht daher im Mittelpunkt unserer Arbeit. Da
70 bis 90 Prozent der Bakterien unkultivierbar sind, werden Kulturunabhängige Verfahren wie die Hochdurchsatz-Sequenzierung des
16S-rRNA-Gens durchgeführt. Das 16S-rRNA-Gen codiert für eine 16SrRNA, die in der kleinen Untereinheit des bakteriellen Ribosoms zu
finden ist. Es wird in neun variable und zehn konservierte Bereiche
gegliedert. Primer binden an konservierte Regionen und umspannen
die variablen Regionen, anhand derer bakterielle Organismen unterschieden werden können [5]. Als Probenmaterial werden im Institut
für Klinische Molekularbiologie (IKMB) Stuhlproben und gastrointestinale Biopsien, die mittels Endoskopie gewonnen werden, verwendet. Aus diesen Proben wird zunächst die gesamte genomische
DNA und/oder RNA extrahiert, wobei die RNA in einem zweiten
Schritt mittels reverser Transkription in cDNA umgeschrieben wird.
Die umgeschriebene RNA gibt später einen Hinweis auf die
Zusammensetzung der aktiven Bakterien, während die DNA die der
präsenten Bakterien beschreibt. Ausgehend von der DNA bzw. cDNA
wird in einer PCR-Reaktion mittels Barcode-codierter Primer ein etwa
420 Basenpaare großes PCR-Fragment amplifiziert, welches die variablen Regionen 1 und 2 des 16S-rRNA-Gens umspannt (Abb. 2). Nach
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˚ Abb. 2: Vom Bakterium zur Bakteriensignatur. Jedes Bakterium enthält Ribosomen und in diesen 16S-rRNA. Das codierende 16S-rRNAGen besteht aus konservierten sowie variablen Regionen [5], anhand
derer zwischen den unterschiedlichen Bakterien differenziert werden
kann.
einer Überprüfung der korrekten Größe des Amplifikats durch eine
Gelelektrophorese wird die entsprechende Gelbande extrahiert und
mittels FLX-Hochdurchsatz-Technologie sequenziert. Aufgrund der
Barcode-codierten Primer können mehrere Amplifikate parallel
sequenziert werden. Die resultierenden Sequenzen werden anhand
ihrer Barcodes den entsprechenden Proben zugeordnet und zunächst
gereinigt. Sequenzen, die eine bestimmte Länge unterschreiten, die
Anzahl an Homopolymeren oder mehrdeutigen Basen überschreiten
oder Chimäre sind, werden eliminiert. Über die Berechnung von Dis-
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Aufrechterhaltung einer gesunden Flora und
Unterdrückung pathogener Stämme denkbar.
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Literatur
˚ Abb. 3: Einfluss von Breitbandantibiotika auf die Mikrobiota des humanen Gastrointestinaltrakts (ermittelt in 15 Patienten). A, Mikrobiota vor der Antibiotikatherapie. B, Mikrobiota während der Antibiotikatherapie.
tanzmatrizen werden die gereinigten Sequenzen in sogenannten operational taxonomic
units (OTUs) gruppiert. Anhand der Sequenzverteilung zwischen den OTUs können Rückschlüsse auf das bakterielle Profil einer Probe und letztendlich auf Bakteriensignaturen
von verschiedenen Probenarten (z. B. Kontrolle/Erkrankung) gezogen werden.
Krankheitsbezogene
Bakteriensignaturen
Unsere Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass
das Protein NOD2/CAD15 eine essenzielle
Rolle bei der Entwicklung der intestinalen
Mikrobiota und ihrer Veränderung über die
Zeit spielt [3]. In einer weiteren Studie am
IKMB wurde deutlich, dass Patienten mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa im Vergleich
zu gesunden Menschen eine geringere bakterielle Vielfalt im GIT besitzen [4].
Derzeitig beschäftigen uns die Veränderung des gastrointestinalen Mikrobioms durch
den Einsatz von Breitbandantibiotika und der
Bezug zu darauffolgenden Entwicklungen von
Infektionen wie beispielsweise der Antibiotika-assoziierten Diarrhoe. Breitspektrumantibiotika bewirken eine Reduktion von Firmikuten und eine Zunahme von Bakteroideten im GIT. Dies schließt bei den Firmikuten
insbesondere die Familien der Ruminoccoaceae (hier insbesondere die Gattung Faecalibacterium) und Clostridiaceae sowie die Bacteroidaceae der Bakteroideten ein (Abb. 3).
Einige Patienten entwickeln unter antibiotischer Behandlung eine Antibiotika-assoziierte Diarrhoe. Sowohl die Zusammensetzung
der Mikrobiota als auch potenziell vorhandene toxinbildende Stämme von Clostridium difficile können dafür ursächlich sein. Basierend
auf der FLX-Hochdurchsatz-Technologie konnten wir zeigen, dass eine charakteristische
Reduzierung der Mikrobiota zum Ausbruch
der Antibiotika-assoziierten Diarrhoe führen
kann.
Ausblick
Die Aufklärung des Zusammenspiels zwischen der Mikrobiota und dem Gesundheitszustand des Menschen wird auch in den nächsten Jahren eine wichtige Rolle spielen. Noch
gibt es zu wenige Informationen, wie und
warum die Zusammensetzung der Mikrobiota einerseits krankmachend und andererseits
gesundheitsstabilisierend wirken kann.
Die Identifizierung krankheitsbeeinflussender, aber auch gesundheitsstabilisierender Kompositionen der Mikrobiota und deren
Rolle bei Entzündungsprozessen im Darm
besitzt eine enorme klinische Relevanz. Basierend auf erworbenen Kenntnissen ist unsere
Arbeitsgruppe daran interessiert, neue Biomarker zu finden und gezielt Präventivstrategien zu entwickeln. Dabei ist der therapeutische Einsatz von bakteriellen Stämmen zur
[1] Qin j, Li R, Raes J et al. (2010) A human gut microbial
gene catalogue established by metagenomic sequencing.
Nature 464:59–67
[2] McGovern DP, Gardet A, Törkvist L et al. (2010) Genome
wide association identifies multiple ulcerative colitis susceptibility loci. Nat Genet 42:332–337
[3] Rehman A, Sina C, Gavrilova O et al. (2011) Nod2 is essential for temporal development of intestinal microbial communities. Gut 60:1354–1362
[4] Ott SJ, Schreiber S (2006) Reduced microbial diversity in
inflammatory bowel disease. Gut 55:1207
[5] Baker GC, Smith JJ, Cowan DA (2003) Review and re-analysis of domain specific 16 S primers. J Microbiol Methods
55:541–555
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Anette Friedrichs
Klinik für Innere Medizin I
Uniklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Schittenhelmstraße 12
D-24105 Kiel
Tel.: 0431-597-1393
Fax: 0431-597-1842
[email protected]
www.uksh.de
www.ikmb.uni-kiel.de
AUTOREN
Femke-Anouska Heinsen, Henrik Knecht, Anette Friedrichs, Stephan Johannes Ott und Philip Rosenstiel (v. l. n. r.)
Die Arbeitsgruppe „Bakterielle Metagenomik“ wurde von PD Dr. Stephan Ott gegründet und existiert seit
2001 am Institut für Klinische Molekularbiologie, Universität Kiel. In den letzten Jahren konnten entscheidende Arbeiten zu bakteriellen Signaturen insbesondere bei entzündlichen Darmerkrankungen, aber auch
koronarer Atherosklerose und Periimplantitis veröffentlicht werden.
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