Vorlesung Musikgeschichte I am 5.11.15 Wie wird Musik überliefert?

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VorlesungMusikgeschichteIam5.11.15
WiewirdMusiküberliefert?
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DasThemaderVorlesungwar,wieMusiküberliefertwirdbzw.wurde.DasProblemist,dassesMusik
zuerstinderAufführungalsKlangereignisgab.Diesesaberwurdeschriftlichtradiert.Darausergebensich
folgendeKonsequenzen:DieseTradierungkamvonMenschenausdenBildungselitenundnicht
zwangsweisevonKomponisten,dasieNotenlesenundschreibenkonntenundzurZeitdermusikalischen
AufführungvorOrtwaren.AufdieseschriftlichenÜberlieferungengründetdieMusikgeschichte,dieseaber
nureinenTeildererklungenenMusikwiederspiegelt.DaseinzigartigeKlangereignisistnatürlichverloren
Garry Walters
Bachelor of Education, LA II (1. Semester)
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gegangen,damannichtwusstewiedieInstrumentezurdamaligenZeitgeklungenhabenkönnten
(Stimmung,Klangfarbe).Dabeimussauchbeachtetwerden,dassKopistenmöglicherweiseeigene
VorliebenfürihreMusikmitindieWerkeeingeflossenhaben.Manmusssichauchbewusstmachen,dass
nichtalleWerkeinderMusikgeschichtebehandeltwerden.SiestelltlediglicheineAuswahlvonWerken
dar.EsgabverschiedeneGründewarumbestimmteWerkeaufgeschriebenwurdenodernicht(z.B.
Auftragsgebung).
IndieserVorlesungwurden4AspektebetrachtetmitpassendenMusik-undNotentextBeispielen.
UnterbrocheneTraditionslinien
GregorianischerGesangwurdevor1000JahrendurchundvonPapstGregorverbreitet.Erdiktierteden
gregorianischenGesang,dener„durcheineTaubezugeflüstertbekommt“.WarumwurdedieserGesang
verschriftlicht?DurchdiemündlicheTraditionwuchsdieAnzahlderGesängeunddadurchwurdees
schweralleMelodienzumemorieren.DieserGesangwurdeinNeumen(deutsch,„Wink“)notiert.Aus
diesenNeumenkannmandieZahlunddieGruppierungenderTöneablesen.Ebensokannmananhandder
NeumendieRichtungdermelodischenBewegungverfolgen.InbesonderenAusnahmefällen,findetman
auchVortragsbesonderheiten(z.B.Zäsur).
AusdenschriftlichenÜberlieferungendieserNotationkannmandieEntwicklungvonderMusik
beobachten.EbensowiedieWahrnehmungvonZeitundRauminFormvonZeiteinheiten(Takte)und
Tonhöhenfixierung.ManerfährtauchwelcheNormierungs-undDifferenzierungsprozessedieMusik
durchlebthat.PapstGregorhatdengregorianischenGesangvorgegeben.TrotzdieserVerbreitungdieses
Gesangs,kannmaneinigeAbweichungenerkennen.
HeutzutagetrifftmandengregorianischenGesangimAlltagseltenan.Dochesgibttrotzdemeinige
Möglichkeiten,dieseMusikneuzubeleben.ZumeinenkannmandengregorianischenGesangsoweites
gehtimitierenoderihndurchbestimmtePop-Elementepopularisieren.
PolitikimSpiel
IndiesemSinnewirddieMusiküberlieferungbewusstgelenkt.DasersteBeispiel,dasbehandeltwurde,
kamausdemNationalsozialismus.IndiesemZusammenhangwurdeerläutert,dassderMusikunterrichtim
Jahre1940„durchvölkischeundgemeinschaftsbildeneKraftdeutschbewußteMenschenerziehensoll,die
sichihrerHeimatundihremVolkeverbundenfühlen“.EslagdasbekannteLied„EsisteinRos
entsprungen“vor.HierbeiwurdenchristlicheElementeentferntunddurchideologischkonformeTexte
ersetzt(z.B.DasRöslein,dasichmeine,davonJesaiassagt,[…]→Nunleuchtet’sindenHerzenundaller
MütterTraum,[…])
GoebbelszumdeutschenMusiklebenimNationalsozialismus:„ZudenAufgabendergeistigenEinwirkung
aufdieNationgehörtauchdieKunst,denndieseistfürdieStaatspolitikeinunentbehrlicherTeilder
Propaganda“.MitdieserAussagebestätigtGoebbels,dassdieKünste(auchdieMusik)einBestandteilder
damaligenPropagandawaren.
DaszweiteBeispielhandeltevonLudwigXIV.Jean-BaptisteLullywarOberintendantderköniglichenMusik.
Dasbedeutet,dassLullyfürdieMusikimKönigreichvonLudwigXIV.zuständigwar.AlleInhaltewurden
aufdenKönigausgerichtet(„MitHilfederKünstedenGlanzderköniglichenUnternehmungenwahren“).
LullymussteinEuropavorrangigseinundetwaserfindenwasesvorhernochnichtgab.Dadurchwurdeim
17.JahrhundertdiefranzösischeNationalopergegründet.DieitalienischeOperwarparallelzudieserZeit
führend.LullyhattedasOpernprivilegundschriebOpernfürLudwigXIV.AlsBeispielwurdedieTragédie
lyriquePsychéherangezogen.DiesesWerkbeginntmiteinerOuvertüre.AufdieserOuvertürefolgtein
Prolog,dervoneinerPersongesprochenwird.DerProloghatdieFunktiondenHerrscherdesLandeszu
loben.
Garry Walters
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AusdiesenbeidenBeispielenresultiert,dassKompositions-,Aufführungs-undÜberlieferungsprozessein
politischeZusammenhängeeingebundenwaren.Musikistvondahernichtzwangsweiseimmerfreivon
Politik.
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NichtsNeues?
AlsBeispielfürdieseAussagewurdehierdieArie„Lacalunnia“desMusikmeistersDonBasilioausderOper
IlBarbierediSevillabetrachtet.AlsersteswurdedieFassungvonGiovanniPaisiellobetrachtet.Hierbei
wurdeaufdenTextunddiemusikalischeUmsetzunggeachtet.AnschließendwurdedieVersiondieserArie
vonGiovanniPaisiello(UA1782)mitderFassungvonGioacchinoRossini(UA1816)verglichen.Beim
diesemVergleichfielauf,dassderTextsichdemvonPaisiellounterschiedenhat.Ebensofälltbeider
folgendenAufnahmeauf,dassRossinivielmehrausdendynamischenMöglichkeitenschöpft.
DadurchwirktRossinisVersionderArielebendiger.DabeigerietdieArievonPaisielloseinstückweitin
Vergessenheit.Obesdaranlag,dassdieArievonRossiniaktuellerwaroderobsieinmusikalischerHinsicht
unterhaltsamerbzw.fasslicherist,kannmannichtsagen.Dasmusszwangsweisenichtheißen,dassnur
eineOpernfassungerfolgreichundeinflussreichwar.ImGegenteil:BeideFassungenhabenihrenTeilzur
Musikgeschichtebeigetragen.IndiesemKontextwurdedieGeschichtedesCopyrightserläutert.Endedes
18.JahrhundertgabeseineAutorenschutzgesetzgebung.DieUrheberschutzgesetzgebungkamerstAnfang
20.JahrhundertinDeutschland.DiesesSystemderAnmeldungvonRechtenberuhtaufgermanistischer
Auffassung.
KritikamMedienkonsum
IndiesemabschließendenPunktwurdedasStück„accanto“(ital.für„nebenbei“)vonHelmutLachenmann
diskutiert.DiesesStückstammtausden70erJahrenundistbetiteltmit„MusikfüreinenKlarinettistenmit
Orchester“.HierwurdekomplettundbewusstaufdenBegriffdesKonzertsverzichtet.IndiesemWerk
spielteinBandgerätdasoriginaleMozartKlarinettenkonzert,dashier„parodiert“wird,ab.Lachenmann
willdenZuhörernbewusstmachen,dassMozartalsWaremissbrauchtwirdunddamitauchdie
MedialisierungMozartsdarstellen(„KritischerundzerstörenderUmgangmitmusikalischenTraditionen,um
einBewusstseinzubildenfürKonsumhaltunggegenüberKlassischerinderGesellschaft“–Helmut
Lachenmann).
DasStückthematisiertdieGesellschaft,diemitihrermusikalischenTraditionnichtbewusstumgeht,dadie
Musiknur„nebenbei“läuft.DieMusikwirdkommerzialisiert,indemMusikeinenanderenZweckalssonst
fürdieGesellschaftheutehat(z.B.GeburtshausMozarts,Entspannungs-CD).
DurchdieMedialisierungdrohtMusikgenusszuselbstverständlichundkulinarischgewordenzusein.
AusallendiesenPunktenergibtsich,dasseserforderlichistsichmitjederArtvonMusikkritisch
auseinandersetztenmuss.MusikistauchdurchDifferenzierungsprozessegelaufen.Vondahermussder
EinzelnesichmitverschiedenenFassungenbestimmterWerke(wennvorhanden)beschäftigenumein
objektivesUrteilbildenzukönnen.AuchhistorischeHintergründekönnenzurUrteilsfindunghelfen.Man
musssichauchebensoüberdieheutigeMedialisierungderMusikGedankenmachen.Wieweitdarfmanin
dietraditionelleMusikdurchMedienundTechnikeingreifen?
Garry Walters
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