Prof. Dr. Frank Heinemann ALLGEMEINE VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE II GRUNDZÜGE DER MAKROÖKONOMIK SS 2012 7. Übung Determinanten des Technischen Fortschritts Die Lösung für Aufgabe 1 ist bis spätestens Dienstag, 29.05.2012, 12:15 Uhr, abzugeben. Zu spät abgegebene Hausaufgaben werden nicht gewertet! 1. Aufgabe (Patentschutz)* Eine lebensbedrohliche Infektionskrankheit wütet auf unserem Planeten. Glücklicherweise wurde vor kurzem eine zuverlässige Impfung entwickelt. Die weltweite Nachfrage nach dem Präparat ist nun gegeben durch q a bp, a 0, b 0 , wobei p der Preis des Präparates und q die nachgefragte Menge bezeichnen. Die Parameter können folgendermaßen interpretiert werden: Bei einem Preis von Null fragt jeder Erdenbürger eine Impfung nach, so dass wir zur Vereinfachung a als die Weltbevölkerung interpretieren. Der Parameter b kann als die Preisreagibilität der Nachfrage interpretiert werden. Je höher der Preis ist, desto eher werden sich Bürger gegen die Impfung entscheiden und stattdessen das Ansteckungsrisiko in Kauf nehmen. Wir unterscheiden nun zwei extreme Möglichkeiten: (i) Der Impfstoff ist patentiert und nur ein einziges Unternehmen hat das Recht, das Mittel herzustellen und anzubieten. (ii) Der Patentschutz wird aufgehoben und mindestens 2 Unternehmen bieten das Medikament an und konkurrieren über den Preis. a) Berechnen Sie den Preis und die nachgefragte Menge an Impfstoff für die Fälle (i) und (ii) unter der Annahme, dass die Grenzkosten in der Produktion konstant sind. Bezeichnen Sie die Grenzkosten mit c . Der Krankheitserreger mutiert und der alte Impfstoff wird unwirksam. Ein Pharmaunternehmen steht nun vor der Entscheidung, einen neuen Impfstoff zu entwickeln. Wird der Impfstoff erfolgreich entwickelt, dann kann das Mittel für Jahre patentiert werden und das Unternehmen kann in diesem Zeitraum einen Monopolgewinn erwirtschaften. Nach Ablauf des Patentschutzes kann jedes andere Unternehmen den Stoff ebenfalls produzieren, weswegen wir unterstellen, dass dann vollkommener Wettbewerb auf dem Markt für dieses Medikament herrscht. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Impfstoff erfolgreich entwickelt werden kann ist abhängig von den Entwicklungskosten R [0, ) die das Unternehmen investiert. Die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Entwicklung ist gegeben durch R ( R) . 1 R b) Ermitteln Sie den erwarteten Monopolgewinn des Unternehmens in Abhängigkeit von und R an. Summieren Sie dafür die Gewinne über die gesamte Laufzeit des Patentschutzes (Diskontfaktor von Eins). Berechnen Sie, wie viel das Unternehmen in Abhängigkeit von für die Entwicklung eines neuen Impfstoffes aufwenden wird. c) Erläutern Sie verbal (wobei Sie sich bitte kurz und präzise ausdrücken) das Problem der Zeitinkonsistenz, das mit dem optimalen Patentschutz vor und nach der Erfindung verbunden ist. Welches Interesse hat der Gesetzgeber während der Forschungsphase bevor eine Erfindung (hier der Impfstoff) gemacht worden ist und welches Interesse hat er nach einer erfolgreich abgeschlossenen Entwicklung. Unterstellen Sie, dass der Gesetzgeber ausschließlich die Wohlfahrt der Konsumenten in seiner Zielfunktion berücksichtigt. (Hinweis: Überlegen Sie, was passieren würde, wenn der Gesetzgeber den Patentschutz ganz aufheben würde und was passieren würde, wenn der Gesetzgeber den Patentschutz beliebig verlängern würde.) 2. Aufgabe (Fortsetzung optimaler Patentschutz) Nehmen wir einfachheitshalber an, dass a = 7 (Mrd.) und b = c = 1. Die globale Nachfrage setzt sich bei genauerem Hinsehen aus der Nachfrage der Entwicklungsländer q E 4 p und { 73p ,p 4 zusammen, wobei die Einwohnerzahl in ,p 4 Entwicklungsländern 4 Mrd., die in den Industrieländern 3 Mrd. beträgt. der Industrieländer q I a) Betrachten Sie die Situation aus Aufgabe 1.a) (i). Wie verbreitet ist der Impfstoff in Industrie- und Entwicklungsländern? Welchen Anteil seines Gewinns erwirtschaftet das Pharmaunternehmen in beiden Ländergruppen? b) Erläutern Sie wie Preisdiskriminierung, d.h. unterschiedliche Preise für das Medikament in I.- und E.-ländern eine Paretoverbesserung bewirken kann. c) Stiglitz schlägt in seinem Artikel „Preise statt Patente“ die Einrichtung eines Preisgeldtopfes vor, um die Entwicklung patentfreier Wirkstoffe anzuregen. Vergleichen Sie die Wirkung dieses Vorschlags mit dem Effekt von Preisdiskriminierung. 3. Aufgabe(Diskussion) Lesen Sie den folgenden Artikel von Joseph Stiglitz und diskutieren Sie ihn innerhalb ihrer Lerngruppe. Inwieweit überschneidet sich seine Kritik am Patentsystem mit den in Aufgabe 1 identifizierten Problemen? Inwieweit geht Sie darüber hinaus? Weshalb will auch Stiglitz das Patentsystem nicht grundsätzlich abschaffen? Auf welche weiteren Fragen stoßen Sie beim Diskutieren des Artikels? Lassen Sie Ihre Kommilitonen an Ihren Gedanken teilhaben! Die Beschäftigung mit dem Artikel soll eine Diskussion innerhalb des Tutoriums ermöglichen, auch wenn eine schriftliche Abgabe nicht gefordert ist. Preise statt Patente, Joseph E. Stiglitz Zum Teil beruht der Erfolg der modernen Medizin auf neuen Medikamenten, in die Pharmafirmen Milliarden Dollar an Forschungsgeldern investieren. Diese Ausgaben können von den Unternehmen durch Patente wieder hereingebracht werden, aufgrund derer sie eine zeitweilige Monopolstellung innehaben. Dies ermöglicht ihnen, Preise festsetzen, die weit über den Produktionskosten des Medikaments liegen. Wir dürfen uns keine Innovationen erwarten, ohne dafür auch zu bezahlen. Sind aber die Anreize des Patentsystems geeignet, das ganze Geld gut zu investieren, damit es einen Beitrag zur Behandlung jener Krankheiten leisten kann, die am dringendsten bekämpft werden müssen? Die Antwort darauf ist leider ein klares „Nein“. Das Grundproblem mit den Patenten ist einfach erklärt: Das System beruht auf eingeschränkter Nutzung des Wissens. Diese Einschränkung ist allerdings ineffizient, weil keine zusätzlichen Kosten entstehen, wenn eine Person mehr in den Genuss der Vorteile kommt, die aus der Nutzung des Wissens erwachsen. Patente schränken aber nicht nur die Nutzung des Wissens ein. Durch die (zeitweilige) Monopolstellung des Patentinhabers werden Medikamente für Menschen ohne Krankenversicherung unerschwinglich. In der Dritten Welt ist das für Menschen, die sich zwar Markenmedikamente nicht leisten können, sehr wohl aber Generika, eine Frage, die über Leben und Tod entscheidet. So haben beispielsweise Generika für Standard-AIDS-Medikamente die Behandlungskosten allein im Jahr 2000 von 10.000 Dollar auf 130 Dollar, also um fast 99 %, gesenkt. Aber trotz des hohen Preises, den die Entwicklungsländer zahlen, bekommen sie dafür wenig Gegenleistung. Pharmafirmen geben viel mehr für Werbung und Marketing als für Forschung aus, viel mehr für die Forschung im Bereich der Lifestyle-Medikamente (Mittel gegen Impotenz und Haarausfall) als für lebensrettende Arzneimittel und sie investieren fast nichts in die Erforschung von Krankheiten, von denen hunderte Millionen armer Menschen betroffen sind, wie beispielsweise Malaria. Das Ganze ist eine Frage der Wirtschaftlichkeit: Die Unternehmen konzentrieren ihre Forschung auf Bereiche, wo Geld vorhanden ist, ungeachtet des relativen Wertes für die Gesellschaft. Die Armen können sich die Medikamente nicht leisten, also gibt es, ungeachtet der Gesamtkosten, auch keine Forschung im Bereich der sie betreffenden Krankheiten. Ein Analogpräparat beispielsweise, das seinem Hersteller einen gewissen Anteil des Ertrags einbringt, der andernfalls nur der in dieser Nische dominanten Firma zugeflossen wäre, kann hoch profitabel sein, auch wenn sein Wert für die Gesellschaft eher begrenzt ist. In ähnlicher Weise lieferten sich auch Firmen ein Wettrennen im Bereich des Humangenomprojekts, um Gene, wie beispielsweise jenes, das mit Brustkrebs in Verbindung gebracht wird, patentieren zu lassen. Der Wert dieser Bemühungen war minimal: Die wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden ein wenig früher gewonnen, als es unter normalen Umständen der Fall gewesen wäre. Die Kosten für die Gesellschaft waren allerdings enorm. Der hohe Preis, den der Patentinhaber Myriad für seine Gentests verlangt (zwischen 3.000 und 4.000 Dollar) könnte zur Folge haben, dass tausende Frauen, die andernfalls getestet und im Falle eines erhöhten Risikos mit geeigneten Medikamente behandelt worden wären, nun sterben werden. Zur Finanzierung und Anreizschaffung in der Forschung gibt es eine Alternative, die zumindest in manchen Bereichen bessere Resultate bringen könnte als Patente und dafür sorgen würde, Innovationen in bestimmte Richtungen zu lenken und sicherzustellen, dass der Nutzen dieser Erkenntnisse so vielen Menschen wie möglich zugänglich wird. Diese Alternative wären medizinische Preisfonds, aus deren Mitteln diejenigen bedacht würden, die Therapien und Impfstoffe entwickeln. Da der Staat schon jetzt einen großen Teil der Kosten für die Medikamentenforschung direkt oder indirekt bezahlt, könnte man mit diesen Mitteln einen Preisfonds dotieren. Am meisten würde daraus jenen Firmen zukommen, die Behandlungen oder Präventivmaßnahmen für kostenintensive Krankheiten entwickeln, von denen Hunderte Millionen Menschen betroffen sind. Vor allem im Hinblick auf Krankheiten in Entwicklungsländern wäre es sinnvoll, wenn ein Teil des Preisgeldes aus Entwicklungshilfebudgets kommen würde, da es wenig Möglichkeiten gibt, die Lebensqualität und sogar die Produktivität effizienter zu verbessern, als durch die Bekämpfung entkräftender Krankheiten, die in vielen Entwicklungsländern grassieren. Ein wissenschaftlicher Ausschuss könnte eine Prioritätenliste erstellen, indem man die Zahl der von Krankheit betroffenen Menschen ermittelt und die Auswirkungen auf Mortalität, Morbidität und Produktivität erhebt. Sobald es ein Medikament gibt, würde eine Lizenz erteilt. Natürlich ist das Patentsystem auch eine Art Preissystem, obgleich ein sonderbares: Der Preis besteht in diesem Fall aus einer zeitweiligen Monopolstellung, die hohe Preise und begrenzten Zugang zu dem mit dem neuen Wissen verbundenen Nutzen mit sich bringt. Im Gegensatz dazu beruht das Preissystem, das mir vorschwebt, auf Marktwettbewerb, um die Preise zu senken und die Früchte des Wissens so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu machen. Mit besser gesteuerten Anreizen (mehr Forschungsgelder für vordringliche Krankheiten, weniger Geld für verschwenderisches und verzerrtes Marketing) könnten wir Gesundheit zu geringeren Kosten erlangen. Ein Preisfonds würde jedoch das Patentwesen nicht ersetzen. Er wäre Teil eines Maßnahmenpakets zur Förderung und Unterstützung der Forschung. Ein derartiger Fonds würde in jenen Bereichen gut funktionieren, wo der Bedarf bekannt ist – nämlich bei vielen Krankheiten der Armen – und er würde es auch ermöglichen, im Voraus klare Zielvorgaben zu definieren. Für Innovationen, die Probleme lösen oder einen Bedarf abdecken, der vorher noch nicht weithin anerkannt ist, würde das Patentwesen weiterhin eine Rolle spielen. Die Marktwirtschaft und die Aussicht auf Profite haben vielerorts zu einem extrem hohen Lebensstandard geführt. Der Gesundheitsmarkt ist jedoch kein gewöhnlicher Markt. Die meisten Menschen zahlen nicht das, was sie konsumieren, sondern müssen andere beurteilen lassen, was sie konsumieren sollen und Preise beeinflussen diese Beurteilungen nicht in der Art, wie sie dies bei herkömmlichen Waren tun. Der Markt ist daher voll von Verzerrungen. Dementsprechend kommt es auch nicht überraschend, dass das verzerrte Patentsystem im Gesundheitsbereich in vielerlei Hinsicht versagt hat. Ein medizinischer Preisfonds wäre kein Allheilmittel, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Damit könnte man unsere knappen Ressourcen effizienter einsetzen und sicherstellen, dass der Nutzen der Forschung auch die vielen Menschen erreicht, die momentan nichts davon haben. (http://www.project-syndicate.org/commentary/prizes--not-patents/german)