der architekt 2011-1_Die beste aller Welten_S 071_point de

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bund deutscher architekten bda
Point de vue
Was wäre die Welt des Bauens ohne ihre
lieb gewonnenen Klischees? In der einen
Ecke der Projektentwickler, der mit spitzem
Stift die renditeoptimierte Brutto-Geschossfläche gegen den ästhetischen Anspruch
ausspielt. In der anderen Ecke der künstlerisch ambitionierte Architekt, der in seinem
romantischen Streben nach einer gestalteten
Lebenswelt für manche seltsam verklärt
wirkt. Kosten- und Terminaspekte scheinen
häufig die allein bestimmenden Kriterien für
erfolgreiche Bauprojekte zu sein. Darüber
wird mit juristischem Unterton in Protokollen kraftvoll kommuniziert. Dazwischen stehen Bauherren und Investoren, die zwischen
wirtschaftlichen Argumenten und gestalterischen „Sehnsuchtsorten“ schwanken.
Verlässt man für einen Moment das
klischeehafte Bild, eröffnen sich eine Reihe
von Zielen, die Projektentwickler wie Architekten gleichermaßen verfolgen. Längst
hat sich in beiden Branchen ein Denken in
Lebenszyklen von Immobilien etabliert, das
die langfristige Wirkung von Investitionen
in Gestalt, Funktionalität und Ökologie anerkennt. Niedrige Erstellungskosten dürfen
nicht durch die Einschränkung der Ausführungs- und der Materialqualität erreicht
werden.
Der beispielhafte Blick auf den Schulbau
zeigt darüber hinaus, dass sich die „Werthaltigkeit“ eines Bauwerks nicht allein aus
optimierten Funktionsabläufen für minimale
Baukosten berechnet. Schulen sind längst
keine reinen Zweckgebäude mehr, sondern
müssen mit einem differenzierten Raumangebot für moderne Lernkonzepte den gestiegenen Anforderungen und Erwartungen
an die Ausbildung gerecht werden. Mittlerweile urteilen nicht nur Eltern, sondern auch
Unternehmen anhand der Qualität des pädagogischen und architektonischen Schulkonzepts über die Attraktivität von Standorten und damit über die Zukunft ganzer
Stadtviertel.
Gleiches gilt für Wohn- und Bürogebäude. Schon lange wird die Standardimmobilie
den gestiegenen Ansprüchen einer individualisierten Gesellschaft nicht mehr gerecht.
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Foto: Daniel Hubert
Gestalterische Qualität entscheidet ebenso
wie Erstellungs- und Unterhaltungskosten
darüber, ob ein Gebäude eine langfristige
Nachfrage erfährt. Mit dem Anspruch auf
Nachhaltigkeit löst sich der über Jahrzehnte
kultivierte Gegensatz zwischen Ökonomie
und Ökologie in einer Architektur auf, die
sich durch eine Gesamtkonzeption aus herausragender Gestalt und sensiblem Kostenbewusstsein für Bau- und Unterhaltungsphase auszeichnet. Darin liegt eine große
Chance verbunden mit einer großen Verantwortung. Sind Gebäude denkbar, in denen
Ökologie und Ästhetik eine Einheit bilden,
die energetisch, formal und gestalterisch
überzeugen? Kriterien dafür scheinen bekannt zu sein. Oft wird die rein technische,
durch Kennziffern überprüfbare Lösung gewählt. So entstehen hoch gedämmte Häuser mit Photovoltaikzellen auf den Dächern
und Attributen zur Energieeinsparung an
den Fassaden, die zu Fremdkörpern in unseren historisch gewachsenen Stadtbildern
werden. Die gut gemeinten und vielleicht
auch kurzfristig gut vermarktbaren Maßnahmen führen auf einen falschen Weg. Vor
diesem Hintergrund ist die Konfrontation
von Architekten und Projektentwicklern mit
ihren vermeintlichen Sachzwängen kontraproduktiv und somit schädlich. Die Ziele von
beiden sollten in einer qualitätsorientierten
Architektur liegen, die nachhaltige Gebäude
und Orte in gestalterisch und wirtschaftlich
überzeugender Form schafft.
Dennoch ist das gezeichnete Bild noch
nicht ideal und vollkommen. Die Entwicklung und der Bau von Wohn- und Büroquartieren prägen Stadtteile und ganze Städte.
Hierbei wird gerne das Schlagwort „Renaissance der Stadt“ zitiert. Dies wirkt jedoch
bisweilen wie Heuchelei, denn unsere Städte
laden immer weniger mit vitalen Orten zum
gesellschaftlichen Miteinander ein. Stattdessen entstehen innerstädtisch mehrheitlich
privatrechtlich genutzte und halböffentliche
Räume, die öffentliches Leben ausschließen.
Die Stadt wird zur Eventkette, zur Aneinanderreihung von Projekten, pragmatisch und
marktwirtschaftlich gesteuert, fallweise mit
guter Architektur ansehnlich gewürzt. Es
gibt zu viele Beispiele rein wirtschaftlich orientierter Projektentwicklungen in unseren
Städten.
Man muss an das Ganze denken, wenn man
in Teilen etwas verändert. Unsere Glaubwürdigkeit als Bauschaffende wird sich
künftig mehr denn je darüber definieren,
wie es uns gelingt, Entwürfe für die langfristige Weiterentwicklung einer Stadt an den
grundlegenden Erfordernissen unserer Gesellschaft zu orientieren. Die Herausforderung besteht darin, über das Bauen soziale
Strukturen positiv zu beeinflussen und die
Lebensqualität der Menschen zu steigern.
Gefragt sind Lebens-, Wohn- und Arbeits-
formen, die nicht nur den global-abstrakten
Herausforderungen wie Demographie und
Klimawandel gerecht werden, sondern die
im Stadtquartier eine Mischung aus sozialer
Vielfalt, privaten und öffentlichen Räumen,
urbaner Atmosphäre und Authentizität erreichen.
Dieses Verständnis erfordert einen erweiterten Blick, der bei der Planung eines
einzelnen Gebäudes das gesamte städtische
Gefüge einbezieht. Architekten, Projektentwicklern und Bauherren muss hierbei ein
Zusammenwirken gelingen. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Erfordernisse und
der Anspruch auf eine hohe gestalterische
Qualität müssen die Architektur bestimmen.
An der Bewältigung dieser anspruchsvollen
Aufgabe wird sich entscheiden, ob wir uns
endgültig von den gegenseitig aufrechterhaltenen Klischees verabschieden können.
Michael Frielinghaus
Erstabdruck: Frankfurter Allgemeine
Zeitung FAZ, 19.12.2010
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