Stadtentwicklung - Stadtforum Leipzig

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Stadtforum Leipzig
01 | Oktober 2006
Aktuelle Fragen und
Probleme der Leipziger
Stadtentwicklung
Stadtforum Leipzig
01 | Oktober 2006
Aktuelle Fragen und
Probleme der Leipziger
Stadtentwicklung
Einleitung
Mit der politischen Wende 1989 verknüpften die Leipziger die Hoffnung auf ein Ende der seinerzeit durch den Staat aktiv betriebenen bzw. durch eine jahrzehntelange, katastrophale
Mangelwirtschaft bedingten Zerstörung ihrer Stadt. Damals konnte der bereits begonnene Abriß
ganzer Stadtviertel vorübergehend gestoppt werden, wie auch die neue Wirtschaftsordnung
die Möglichkeit einer umfassenden Sanierung der Stadt zu eröffnen schien. Trotz massiver wirtschaftlicher Schwierigkeiten und einem erheblichen Bevölkerungsrückgang setzte tatsächlich
eine beispiellose Sanierungstätigkeit ein. Leipzigs Bevölkerung, viele Hausbesitzer sowie die
Akteure der Stadtsanierung verband der Wille, das sanierungsbedürftige bauliche Erbe der Stadt
als entwicklungsfähiges Potential zu begreifen. Ein erneuter Abriß von Baudenkmalen schien in
den 1990er Jahren weitgehend undenkbar und wurde, wo er vereinzelt praktiziert wurde, von
einer breiten Bürgerschaft als Rückfall in DDR-Zustände kritisiert.
Seit dem Beginn des neuen Jahrtausends begann sich nicht nur die wirtschaftliche Situation zu
festigen, sondern es konnte auch der Bevölkerungsrückgang gestoppt und in ein - wenn auch
moderates - anhaltendes Wachstum gewendet werden. Immobilien- und Wohnungsmarkt stabilisieren sich seitdem deutlich. Leipzig entwickelt sich aktuell nach Branchenmitteilungen zum
gefragtesten Investitionsort für Baudenkmale. Gleichzeitig setzte mit der Jahrtausendwende in
Leipzig eine neue umfangreiche Abrißwelle von Altbauten ein, die im Einzelfall weder vor Bauten
und Wohnensembles von hohem Denkmalwert noch vor solchen mit straßenbildbestimmender
Bedeutung haltmacht. Ignoriert wird vielfach auch, daß es sich um baulich bereits gesicherte
Gebäude handelt, oder daß es sanierungswillige Käufer gibt, die bereit sind, für zumutbare Konditionen ein Gebäude vor dem Abriß zu retten. Immer wieder müssen Mieter ihre Häuser verlassen, damit diese abgebrochen werden können. Mit 446 abgebrochenen Baudenkmalen seit 1990
nimmt Leipzig eine unangefochtene traurige Spitzenposition in Sachsen und ganz Deutschland
ein 1. Dies sind nicht nur mehr Denkmale, als sie der Großteil der deutschen Städte überhaupt
besitzt, zerstört wurden im Einzelfall auch Bauten von einer Qualität, von denen eine Reihe von
Städten nicht ein einziges Beispiel aufzuweisen hat.
1 - Sächsische Zeitung vom 08.07.2006
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Besonders bedenklich an diesen Entwicklungen ist, daß hier nicht freie Kräfte des Marktes
wirksam werden. Die Abrisse erfolgen unter massivem Einsatz öffentlicher Fördergelder, und in
zahlreichen Fällen werden private Hauseigentümer sogar von der Stadt zu Abrissen gedrängt.
Die wichtigsten Akteure bei dieser immer weiter um sich greifenden Häuser- und Baudenkmalvernichtung sind nicht die privaten Eigentümer, sondern kommunale und staatliche Einrichtungen wie die städtische Wohnungsbaugesellschaft LWB (an sie gingen 68 % der bisherigen
Abbruchgelder in Leipzig) oder die staatliche Vermögensverwaltung (TLG - Immobiliengesellschaft des Bundes), die ohne Rücksicht auf baukulturelle Fragen der Stadtentwicklung oder
des Denkmalschutzes ihre Altbaubestände reduzieren bzw. so lange verfallen lassen, bis ein
Abbruch baupolizeilich notwendig wird. Betriebswirtschaftlich basieren die Abbruchentscheidungen der LWB ausschließlich auf einer vergleichenden Analyse der mit einem Abbruch zu
erzielenden Zahlungsströme aus Fördermitteln mit dem aus dem vergleichsweise mühsameren
Geschäft von Investition und langfristiger Vermietung. Der aktuelle Anlagewert der Objekte
(Eigentum der Leipziger Bürger) oder ihr Wertpotential angesichts eines deutlich anziehenden
Immobilienmarktes spielen an keiner Stelle der Überlegungen eine Rolle, ganz zu schweigen von
den genannten Aspekten des Städtebaus oder der Denkmalpflege. Relevant sind ausschließlich
die kurzfristig zu realisierenden Zahlungsströme. Den Abrißplänen entgegenstehende unternehmerische Initiativen Privater werden regelmäßig aus Konkurrenzgründen vereitelt, gleiches
geschieht mit alternativen Rettungsprojekten der Bürgerschaft. Die Folge ist, daß die vielfältigen Bemühungen seitens der Stadt und auch seitens staatlicher Stellen um die Erhaltung des
baulichen Erbes neuerdings durch Kahlschlag-Strategien im Zeichen der „Stadterneuerung Ost“
regelrecht konterkariert werden.
Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Das aktuelle Abrißgeschehen in Leipzig ist dabei kein lokales Einzelphänomen, sondern reiht
sich nahtlos in die allgemeine Situation in den von Stadtschrumpfungsprozessen betroffenen Flächenländern ein. Als Beispiele fanden besonders Chemnitz und Weißenfels wiederholt Eingang in
die überregionale Presse. Nach Jahren der Tabuisierung werden Schrumpfungsprozesse nun zwar
diskutiert, dies aber deutlich zu einseitig. Von Seiten der Kommunalpolitik, der Stadtplanung
und der Wohnungswirtschaft spielen hierbei fast ausschließlich quantitative Größen wie Leerstand und Bevölkerungsstatistik die entscheidende Rolle. Fragen der städtebaulichen Qualität
oder die Entwicklung von Strategien gegen die Schrumpfung werden erstaunlicherweise fast gar
nicht angegangen.
„Jedes Kulturdenkmal, das heute zugrunde geht, ist
für alle Zeit verloren. Was wir jetzt nicht retten,
kann nie mehr gerettet werden. Was wir jetzt versäumen, kann keine künftige Generation nachholen.
Vor dieser Aufgabe gibt es kein Ausweichen.“
Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz
Schutz und Ausprägung eines individuellen Ortsbildes gehören zu den Grundpfeilern der Stadtentwicklung. Als substantielle Mittel gegen schleichendes Absinken in die Austauschbarkeit
erfordern sie qualifizierteste Lösungen bei Neubau und Denkmalerhaltung. Abriß darf nur in
Frage kommen, wenn alternative Varianten ausgeschöpft sind. Viel zu oft und viel zu leicht
konnte Denkmalschutz bisher ausgehebelt oder bis zur Farce herunterinterpretiert werden. Gerade die jüngsten Fälle vollzogenen oder geplanten Abrisses zeigen, daß es noch immer vielen
Entscheidungsträgern an Gespür für unwiederbringliche Werte mangelt. Es braucht deutlich
mehr kulturelle Verantwortung und vor allem einen offenen, fairen und sachlichen Dialog, der
die Bereitschaft zu Veränderungen impliziert, einschließlich der Souveränität, sich selbst zu
korrigieren.
Im Mai 2007 werden sich in Leipzig die für Stadtentwicklung zuständigen Minister der Mitgliedsstaaten treffen. Das Treffen steht im Zusammenhang mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
2007. Ziel ist nach Auskunft des Bundesbauministeriums die Verabschiedung einer „LeipzigCharta zur nachhaltigen Europäischen Stadt“. Angesichts der aktuellen Situation in Leipzig wäre
es eine lohnenswerte Aufgabe für die Verantwortlichen bis dahin die Weichen so umzustellen,
daß der Name der angestrebten Charta nicht blanke Ironie wird.
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Die Fakten
Leipzigs historisches Stadtbild
Leipzigs insbesondere im 19. Jahrhundert großräumig gewachsene Stadtstrukturen beeindrucken durch die noch immer weitgehende Geschlossenheit ihres räumlichen und baulichen
Erscheinungsbildes sowie durch die Fülle und Größe öffentlicher Grünflächen. So zieht sich der
Leipziger Auwald, der mit einer Gesamtfläche von fast 2.000 Hektar einer der größten noch
geschlossenen Auwaldbestände Mitteleuropas ist, als eine in dieser Art einzigartige Naherholungslandschaft mitten durch die Stadt. Mehr als ein Drittel der 317.000 Wohnungen (Stand
2002) stammen aus der Zeit bis 1918. Auch von den über 15.000 Kulturdenkmälern der Stadt
stammt der überwiegende Teil aus der Epoche des Historismus. Es war nicht nur eine Zeit der
reichen Fassaden und aufwendiger Innenarchitekturen, sondern auch beeindruckender urbanistischer Leistungen von der Anlage der repräsentativen Wohngebiete bis zur Schöpfung eines
differenzierten Systems großstädtischer Grünanlagen. Doch auch aus der Zeit der 1920/30er
Jahre mit ihren schlichteren, aber dennoch sehr qualitätvollen Bauten hat Leipzig ein große
Reihe von bedeutenden Einzelbaudenkmalen und Architekturensembles aufzuweisen. Aus der
Zeit von 1919 bis 1948 stammen etwa ein Fünftel der Leipziger Wohnungen. Insgesamt war der
baukulturelle Anspruch ausgesprochen hoch und konnte in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg
trotz hochwertiger Einzelobjekte nicht in vergleichbarem Maß gehalten werden. Insgesamt war
die Stadtstruktur Leipzigs bis zum Zweiten Weltkrieg durch eine außerordentliche urbane Kompaktheit, räumliche Dichte und funktionale Durchmischung charakterisiert.
Beschädigung des Stadtbilds durch Krieg, Ideologie und Mangelwirtschaft
Dieses Stadtbild hat durch die Bombardements im Zweiten Weltkrieg und in den Jahrzehnten
der DDR bereits beträchtliche Einbußen erlitten. Manche Quartiere sind sogar fast vollständig
verschwunden. Sie wurden durch Neubebauung ersetzt oder blieben bis heute verödet. Dieses
Schicksal erlitten vor allem Teile der inneren Vorstädte. Im Krieg waren etwa 20 % der vorhandenen Wohnungen total zerstört worden (45.000 Wohnungen), weitere 20 % wiesen leichte bis
schwere Schäden auf, die oftmals zum späteren Abriß führten.
Einer der Gründe, die die Menschen 1989 in Leipzig auf die Straßen getrieben haben, war der
Umgang des DDR-Regimes mit dem baulichen Erbe der Stadt. Nachdem in den vorangegangen
Jahren bereits zahllose Bauten teils ideologisch bestimmter Baupolitik, zumeist aber der allgemeinen Mangelwirtschaft zum Opfer gefallen waren, hatte die Entwicklung in den 1980er Jahren
eine geradezu dramatische Dynamik erhalten, da das jahrzehntelange Ausbleiben notwendigster
Werterhaltungsmaßnahmen den flächenhaften Verfall der historischen Wohnquartiere bewirkte. Die Baupolitik reagierte auf diese Situation mit rabiaten Flächenabrissen und industriellem
Plattenbau. Diese unheilvolle Entwicklung fand 1989/90 ihren abrupten Abschluß im Stadtteil
Connewitz und am Neustädter Markt, die als Umgestaltungsgebiete bereits geplant waren. In
Connewitz hatte man mit der Ausführung dieser Pläne bereits begonnen, als die Leipziger Bürger
einen Abriß-Stopp erwirkten. Im Gegensatz dazu wurde im Areal Prager Straße – Stötteritzer
Straße der Abbruch flächenhaft auch nach der Wende fortgesetzt. Eine umfassende Neuordnung
des Stadtraumes konnte trotz großer Anstrengungen jedoch bis heute nicht abgeschlossen werden. So ist als Ergebnis dieser nunmehr anderthalb Jahrzehnte währenden Umgestaltung eine
städtebauliche Brache zurückgeblieben.
Im Januar 1990 fand auf Initiative des Kulturbundes, des Verbandes der bildenden Künstler und
des Bundes der Architekten unter aktiver Teilnahme von rund 1.000 Bürgern die „Leipziger
Volksbaukonferenz“ statt. In der Leipziger Volkszeitung hieß es dazu: „Die Konferenzteilnehmer rechneten schonungslos mit der verfehlten Baupolitik vergangener Jahrzehnte ab, die zu
rapidem Verfall der Bausubstanz und zu uniformierten Neubaugebieten führte. Sie forderten
mehrheitlich, der Erhaltung der Bausubstanz absolute Priorität gegenüber dem Neubau einzuräumen.“ Insgesamt hat Leipzig bis 1989 schon weit über ein Drittel seiner bis in die 1930er Jahre
entstandenen historischen Bausubstanz verloren. Wegen dieser bereits vollzogenen massiven
Beschädigung des Stadtbildes gibt es heute zahlreiche Situationen, wo mit dem Verlust nur eines
einzigen weiteren Gebäudes der Punkt erreicht sein würde, an dem das gerade noch geschlossen
wirkende Bild einer Straße oder eines Platzes endgültig „umkippt“.
„Die Konferenzteilnehmer rechneten schonungslos
Massive Fehlentwicklungen in den 1990er Jahren
mit der verfehlten Baupolitik vergangener Jahrzehnte ab, die zu rapidem Verfall der Bausubstanz und zu
uniformierten Neubaugebieten führte. Sie forderten
mehrheitlich, der Erhaltung der Bausubstanz absolute Priorität gegenüber dem Neubau einzuräumen.“
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Zu Beginn der 1990er Jahre waren Leipzigs Altbauquartiere mit großen strukturellen Problemen,
aber auch mit gravierenden Imageproblemen belastet. Die Gebäude wiesen zumeist wegen
langjährig ausgebliebener Unterhaltungsmaßnahmen und wegen fehlender Modernisierung
erhebliche Mängel auf. Das Ausstattungsniveau war oftmals niedrig, viele Wohnungen waren
Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
praktisch unbewohnbar. Trotz Wohnungsmangels standen über 20.000 Altbauwohnungen leer. In
vielen Fällen wurden die schon lange notwendigen Sanierungen durch unklare Eigentumsverhältnisse aber um weitere Jahre verzögert.
Zur gleichen Zeit begann eine aufsehenerregende Neubautätigkeit vor allem im suburbanen Umland. In den 1990er Jahren entstanden 15 % des derzeitigen Wohnungsbestandes. Viele Leipziger
erfüllten sich ihren Wunsch nach einem Eigenheim. Viel öfter war es aber kein eigenes Haus,
sondern lediglich eine Neubauwohnung im Geschoßbau, die die Leipziger ins Umland zog. Dieser
Neubauboom wurde durch großzügige staatliche Vergünstigungen (Steuererleichterungen, Pendlerpauschale) und nicht zuletzt durch den mit öffentlichen Mitteln realisierten Bau aufwendiger
Infrastrukturen gefördert1. Wies etwa das Leipziger Straßennetz im Jahre 1989 noch eine Länge
von 860 km auf, so sind es heute bereits 1.641 km (inklusive der eingemeindeten Ortsteile).
Die effektive Verkehrsfläche vergrößerte sich im selben Zeitraum noch in weit höherem Maße,
da zahlreiche Straßen und Straßenkreuzungen wesentlich verbreitert bzw. erweitert wurden.
Doch auch die Länge etwa des Leipziger Rohrnetzes wurde von 2.113 km Länge im Jahr 1990 auf
3.103 km im Jahr 2005 erweitert; die des Kanalnetzes von 1.566 km (1990) auf 2.448 km (2005).
Gleichzeitig sank die Einwohnerzahl Leipzigs 1989 bis 1998 um ca. 100.000 Einwohner. Die Stadt
wuchs in der Fläche und dünnte sich dabei zunehmend aus. Bei gleichzeitigem intensivem Ausbau der Infrastruktur bedeutete dies enorm steigende Kosten pro Kopf, die sich in explosionsartig steigenden Verbraucherkosten niederschlugen. Trotzdem wurde man elementarer Probleme
der Substanzunterhaltung nicht Herr. So gab im März 2006 die Leipziger Stadtverwaltung die
folgende alarmierende Meldung an die Presse2: „Lothar Kötz, Sprecher des Tiefbauamtes: <Wir
haben in diesem Jahr eine deutliche Zunahme an Schlaglöchern zu verzeichnen, es sind doppelt
so viele wie 2005>. (...) Besonders problematisch ist, daß die zur Verfügung stehenden Mittel für
den Straßenunterhalt von Jahr zu Jahr sinken. Von 7 Mio Euro 1994 sank der Betrag zum Flicken
des Straßenbelages auf 4 Mio Euro im Jahr 2002 auf 750.000 Euro in diesem Jahr.“
Löwen-Center an der B 181
Der Ausbau der Infrastruktur hält noch immer an. Der Wohnungsneubau kam dagegen seit Mitte
der 1990er Jahre aufgrund einer deutlichen Marktsättigung und dem Abbau der hohen Steuervorteile weitgehend zum Erliegen. Nach der ersten Euphorie fanden sich viele Leipziger nun in
verhältnismäßig kleinen Wohnungen wieder, weit außerhalb urbaner Räume und mit schlechter
Anbindung an den ÖPNV. Im selben Zeitraum sind aus vielen ehemals desolaten Altbauquartieren
wieder attraktive und lebendige Wohnquartiere geworden, mit deren lebenswerter Urbanität
die älteren wie die neuen Stadtrandsiedlungen bereits heute nicht mehr konkurrieren können.
Parallel zur Suburbanisierung im Wohnungsbau fand eine solche Suburbanisierung auch im Gewerbebau statt. In den 1990er Jahren entstand um Leipzig ein Ring von Einkaufszentren auf der
grünen Wiese, der auch noch heute zu einem enormen Kaufkraftabfluß führt (Saalepark, LöwenCenter, Wachau, Pösna Park, Paunsdorf Center). Die hier innerhalb kürzester Zeit entstandene
Verkaufsfläche übertraf die der gewachsenen Stadt Leipzig anfänglich um das Dreifache. Allerdings gelang in den letzten Jahren eine Umkehrung dieser Entwicklung. Die Leipziger Innenstadt und zunehmend auch die innerstädtischen Stadtteilzentren gewinnen an Verkaufsfläche
und Anziehungskraft. Dies ist nicht zuletzt die Folge eines konsequenten Wirkens von Leipzigs
Stadtplanern und damit auch ein Beispiel dafür, wie Stadtplanung negative Prozesse umkehren
kann. Doch auch hier bleibt weiterer Handlungsbedarf. So hat in den letzten Jahren nicht nur
der Saalepark seine Verkaufsfläche vervielfacht, ganz aktuell wird dies auch für das Paunsdorf
Center geplant. Hier ist die Rede von 150 Millionen Euro Investitionssumme, mit denen dem
innerstädtischen Handel erneut massiv Konkurrenz gemacht werden soll.
1 - Leipziger Volkszeitung vom 07.03.2006;
www.wasser-leipzig.de/index.php?page=124
2 - Wochenkurier vom 08.03.2006
Länge des Infrastrukturnetzes in Kilometer pro Einwohner in Leipzig (km/Kopf, gerundet)1
1990
1998
2005
Straßennetzlänge pro Kopf
0,0016
0,0029
0,0033
Rohrnetzlänge pro Kopf
0,0040
0,0059
0,0062
Zunahme in Prozent zwischen den Jahren 1990 und 2005
Straßennetzlänge
Rohrnetzlänge
+ 106 %
+ 55 %
(effektive Verkehrsfläche
geschätzt + ca. 130 %)
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Oktober 2006
Kanalnetzlänge pro Kopf
0,0030
0,0047
0,0049
Kanalnetzlänge
+ 63 %
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Bevölkerungsentwicklung
1989 lebten in Leipzig etwa 530.000 Einwohner. In den Jahren danach erlebte Leipzig einen
regelrechten Exodus vor allem junger Bürger nach Westdeutschland, sowie einen starken Geburtenrückgang. Parallel dazu erfolgte eine Auszugswelle ins Leipziger Umland, so daß 1998
die Einwohnerzahl von Leipzig nur noch 437.000 betrug. Entgegen eines in den meisten ostdeutschen Städten anhaltenden Trends hat sich Leipzig aber nach den Einwohnerverlusten der
1990er Jahre heute auf einem Niveau von über einer halben Million Einwohnern stabilisiert und
kann als Zuzugsinsel bezeichnet werden1. Der Suburbanisierungstrend ist nicht nur schwächer
geworden, sondern hat sich 2002 sogar umgekehrt. Seitdem ziehen mehr Menschen aus den
Siedlungsräumen der Stadtränder in die gewachsene Stadt. Leipzig ist seit der zweiten Hälfte
der 1990er Jahre zunehmend das Ziel von Wanderungsströmen vor allem aus den Klein- und
Mittelstädten Westsachsens, aber auch aus den anderen neuen Bundesländern und dem Ausland
geworden. Unter den Zuziehenden sind es insbesondere jüngere Bevölkerungsgruppen, die 18bis 30-Jährigen, die im Rahmen ihrer Ausbildung und Arbeitsplatzsuche nach Leipzig kommen.
Bei den anderen Altersgruppen ist der Wanderungssaldo eher ausgeglichen.
Das Bevölkerungswachstum in Leipzig ist derzeit noch ausschließlich auf Zuzugsgewinne zurückzuführen, denn noch sterben mehr Leipziger als geboren werden. Allerdings steigen aktuell die
Geburtenzahlen spürbar. Nach Angaben des Jugendamtes der Stadt Leipzig hat sich die Zahl der
Geburten gegenüber Mitte der 1990er Jahre von 2.500 pro Jahr auf gegenwärtig 4.300 nahezu
verdoppelt2. Ein weiterer Anstieg ist durch den Zuzug vor allem junger Leute nach Leipzig absehbar3.
Wirtschaft
Gründe für den wachsenden Zuzug nach Leipzig sind neben der Attraktivität des Wirtschaftsstandortes vor allem auch die wiedererlangte Urbanität der Stadt als „weicher“ Standortfaktor.
Leipzig hat durch einige Großinvestitionen einen bedeutenden nationalen und internationalen
Imagegewinn erfahren. Wirtschaftlich hat Leipzig einen erfolgreichen Strukturwandel vollzogen. Mit Porsche und BMW ist Leipzig zu einem bedeutenden Standort der Automobilindustrie
geworden, hat in anderen Branchen wie Logistik (DHL), Medien- und Kommunikationstechnologie, Biotechnologie, Medizintechnik sowie Energie- und Umwelttechnik nachhaltige Marktpositionen aufgebaut. Unternehmen finden dabei in Leipzig eine reiche Forschungslandschaft
vor, zu der mehrere Hochschulen gehören, darunter eine der größten und ältesten deutschen
Universitäten.
1 - Kleinräumiges Monitoring des Stadtumbaus in Leipzig, Monitoringbericht 2005, S.I: „Die Bevölkerungszahl der Stadt
Leipzig wächst entgegen dem Trend im Freistaat Sachsen aufgrund von Zuwanderungen. Die Bevölkerungszahl entwickelt
sich – trotz eines gebremsten Anstiegs – in der Stadt noch immer günstiger als in den Umlandkreisen, deren Bevölkerung
zurückgeht.“
2 - s. Kreuzer 09/2006, S. 22
3 - Kleinräumiges Monitoring des Stadtumbaus in Leipzig, Wohnungsmarktbarometer 2005, S. 16: „Der Großteil der Befragten erwartet innerhalb der nächsten drei Jahre eine steigende (49%) bzw. in etwa gleichbleibende Einwohnerzahl (39%).
Diese tendenziell positive, und gegenüber der Befragung des Vorjahres verbesserte Einschätzung der Leipziger Einwohnerentwicklung scheint sich unter anderem auf eine weiterhin erwartete positive Wanderungsbilanz gegenüber dem Umland zu
stützen. Denn 58% der Befragten gehen davon aus, daß die Umzüge von Leipzig in das Umland in den nächsten drei Jahren
weiter sinken werden; ebenfalls 58% erwarten steigende Umzüge vom Umland nach Leipzig“.
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Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Wohnungsleerstand
Bereits 1990 standen in Leipzig über 20.000 Wohnungen leer, allerdings ausschließlich in einem
nicht marktwirksamen unbewohnbaren Zustand. Um das Jahr 2000 erreichte der Leerstand mit
fast 20 % seinen Höhepunkt. Er konzentrierte sich damals mit 39.000 Wohnungen auf die Gründerzeitbestände. Im Gegensatz zu den Altbauquartieren galten die großen Plattenbausiedlungen
bis in die zweite Hälfte der 1990er Jahre als relativ stabil. Insgesamt sinkt der Wohnungsleerstand durch das Bevölkerungswachstum seitdem spürbar und stetig. Bereits bis 2004 konnte mit
den deutlich gestiegenen Haushaltszahlen der Wohnungsleerstand auf 15 % reduziert werden.
Diese Leerstandsangaben beinhalten auch zustandbedingt unvermietbaren Wohnraum.
„Vor allem die jungen Leute wollen heute innenstadtnah wohnen, im Süden, im Norden, also die
potentiellen Eltern. Gleichzeitig gibt es weiterhin
Abwanderungstendenzen von jungen Leuten aus den
klassischen Plattenbaugebieten, ob nun in Paunsdorf oder in Grünau.“
Siegfried Haller, Leiter des städtischen Jugendamtes
im September 2006
1
Allerdings verteilen sich die Wanderungsgewinne innerhalb des Stadtgebiets sehr unterschiedlich. Gewinner sind nunmehr eindeutig die wieder attraktiven Altbauquartiere, die ausnahmslos
Bevölkerungswachstum aufweisen. Einige dieser Wohngebiete wie z.B. in Gohlis Süd, der Südvorstadt oder auch in Schleußig sind bereits so ausgelastet, daß trotz vorhandener Nachfrage
keine Zuwanderung mehr erfolgt. Teilweise kommt es hier sogar zu einer weiteren Verdichtung
durch Wohnungsbau in den Innenhofbereichen. Diese gefestigten Quartiere beginnen ihrerseits
deutlich auf ihre Nachbarquartiere auszustrahlen, indem nun hier verstärkt Zuzug stattfindet.
So ist etwa eine signifikante Ausstrahlung von Schleußig auf das östliche Plagwitz zu beobachten. Plagwitz ist zudem als herausragendes Beispiel für einen Imagewandel vom verrufenen
Industrieviertel zu einem gefragten Wohnviertel zu nennen. Besonders hervorzuheben ist aber
auch der Leipziger Osten, wo die Bevölkerungszahlen allein in den letzten vier Jahren um sieben
Prozent zugelegt haben2. Hier wohnen mehr junge Leute als anderswo, immer mehr Studenten
und junge Familien zieht es hierher. Damit nimmt auch die Zahl der Kinder zu. Kleinteilig ist
bei diesen Prozessen festzustellen, daß auch vermeintlich schwierige Einzellagen wie stark befahrene Straßen innerhalb der konsolidierten Quartiere gewinnen, z.B. die Könneritzstraße in
Schleußig.
Die peripheren Plattenbausiedlungen leiden dagegen unter wachsendem strukturellen Leerstand3, ebenso die einst für kurze Zeit dynamisch wachsenden suburbanen Siedlungen am
Stadtrand. In diesen Bereichen finden trotz des allgemeinen Leipziger Bevölkerungswachstums
deutliche Schrumpfungsprozesse statt. Die derzeit spürbar schrumpfenden Ortslagen liegen
sämtlich in randstädtischen Lagen. Dies sind die Ortsteile Dölitz-Dösen (- 7,2 %), Grünau-Nord
(- 4,4 %), Grünau-Siedlung (- 3 %), Mockau-Nord (- 2,5 %) und Wahren (- 1,8 %)4.
Die Schrumpfung in den Siedlungen des industriellen Wohnungsbaus der DDR erfolgt dabei
trotz zahlreicher, millionenschwerer baulicher Sanierungsmaßnahmen und Verbesserung
der infrastrukturellen Ausstattung. Seit 1990 ist einer der Hauptschwerpunkte der Leipziger
Stadtentwicklungspolitik, den Stadtteil Grünau mit hohem Aufwand in der Fläche zu erhalten
und aufzuwerten. Insgesamt verlor jedoch Grünau seit 1989 von seinen ehemals knapp 90.000
Einwohnern bis heute mehr als 40.000 Einwohner. Ein Ende der Schrumpfung ist nicht in Sicht
und aufgrund der Überalterung der Bevölkerung auch nicht erreichbar5. Tendenziell verlassen
einkommensstärkere Haushalte und Familien mit Kindern die Siedlungen. Zunehmend ziehen
aber auch sozial schwächere Haushalte nach. Ein bevorzugtes Ziel der Wanderungsströme aus
Grünau sind die sanierten Altbauquartiere im Leipziger Westen. Prozentual steigt damit stetig
der Anteil von Rentnerhaushalten. Der vergleichsweise geringe Zuzug nach Grünau erfolgt vor
allem durch Menschen, für die diese Großwohnsiedlung wegen der billigen Mieten und des breiten Wohnungsangebots ein erster Anlaufpunkt in Leipzig ist. Dieser wird dann jedoch oftmals
wieder verlassen, sobald besserer Wohnraum in anderen Stadtteilen gefunden wird6.
1- s. Kreuzer 09/2006, S. 22
2 - s. Leipziger Volkszeitung vom 18.03.2006
3 - Kleinräumiges Monitoring des Stadtumbaus in Leipzig, Monitoringbericht 2005, S. III: „Ein negativer Wanderungssaldo
war 2004 wiederum in den durch Plattenbaubestände geprägten Ortsteilen - insbesondere den westlichen Teilen Grünaus
- zu beobachten.“
4 - s. Leipziger Volkszeitung vom 17.05.2006
5 - Ergebnisbericht Intervallstudie Wohnen und Leben in Leipzig-Grünau 2004, S.24: „Zusammenfassend läßt sich festhalten,
daß mit zunehmendem Rentneranteil bzw. überwiegend älteren Bevölkerungsschichten bei Abnahme jüngerer Einwohner und
Familien ineinem einst kinderreichen Wohngebiet Leipzigs die Kinder rar werden. Damit ist absehbar, daß allein aus demographischen Gründen eine weitere Verringerung der Bevölkerungszahl erfolgen wird.“
6 - ebd., S. 62: „Der hohe Anteil von überregionalen Zuzügen ist bemerkenswert und spricht vor allem für eine „Transferfunktion“, die Grünau für neu nach Leipzig Ziehende einnimmt. Da in Grünau leicht eine Wohnung zu bekommen ist, fungiert das
Wohngebiet als eine erste Anlaufstelle, an der man sich zunächst niederläßt.“
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Oktober 2006
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Aktuelle Gefährdung von rund
2.500 Gründerzeithäusern - eine
Herausforderung?
Probleme des ‚Stadtumbau Ost‘
in Leipzig
1 - Kleinräumiges Monitoring des Stadtumbaus in
Leipzig, Monitoringbericht 2005, S.45: „Durch die
Nachnutzung von Abbruchflächen sind in den Stadterneuerungsgebieten zwischen 1999 und Juli 2005 14,1
ha höherwertiger grüner Zwischennutzungen entstanden. Das dort bestehende Baurecht bleibt grundsätzlich bestehen, eine spätere Vermarktung ist möglich.
200 innerstädtische Flurstücke sind dadurch höherwertig gestaltet und per Gestattungsvereinbarung über
Seit dem Zusammenbruch der DDR und dem Stopp der großflächigen Abrißprogramme sind
in einem beispiellosen Kraftakt, in dem Hauseigentümer, Investoren, Kommunalpolitiker,
Denkmalpfleger und engagierte Bürger zusammenwirkten, bis heute etwa 70 % aller Wohnungen aus der Gründerzeit im Geschoßwohnbau vollständig saniert worden, ebenso 60 %
aus der Zwischenkriegszeit. Diese historische Leistung hat entscheidend dazu beigetragen,
weite Teile der Stadt nach Jahrzehnten des Niedergangs wieder attraktiv und zukunftsfähig
zu machen.
Nach wie vor sind jedoch noch immer rund 2.500 Gründerzeithäuser unsaniert und oftmals
dem ungebremsten Verfall preisgegeben. Immer häufiger müssen akut einsturzgefährdete
Baudenkmäler aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden. Überdies wird die Durchlöcherung des urbanen Gewebes durch konzeptlose Abrisse auch baulich gesicherter, nicht selten
auch teilsanierter Gebäude in manchen Gründerzeitquartieren noch beschleunigt. Damit besteht die Gefahr, daß das urbane Grundgerüst der Stadt Leipzig nachhaltigen Schaden nimmt
und, wie bereits geschehen, für die Denkmallandschaft der Stadt unersetzliche Baudenkmale
vernichtet werden. Hinzu kommt, daß der öffentlichen Hand durch die Begrünung der durch
Abriß entstehenden Freiflächen erhebliche Kosten entstehen: So wurden im Zeitraum von
1999 bis 2005 in Leipzig Mittel in Höhe von 6 Mio Euro für die (temporäre!) Nachnutzung
von Abbruchflächen eingesetzt1. Hauptproblem ist jedoch, daß bislang in privater Hand
stehende Grundstücke nun in den städtischen Verantwortungsbereich wechseln. Einnahmen
aus Grundbesitzabgaben entfallen, dafür muß die Stadt für die Unterhaltung sorgen (Pflege,
Winterdienst, etc.).
mehrere Jahre als öffentliche Grünfläche gesichert.
Dafür wurden 5,97 Mio. € Fördermittel eingesetzt.“
2 - ebd. S.46f: „Für den Rückbau von Wohngebäuden
wurden seit 1991 in Leipzig Fördermittel in Höhe von
15,1 Mio. € eingesetzt, davon 3,3 Mio. € in 2001/2002
aus dem Landesrückbauprogramm und 11,8 Mio. €
in 2003/2004 aus dem Programm Stadtumbau Ost,
Programmteil Rückbau. Mit diesen Mitteln wurden 3.970
Wohnungen abgerissen. Der geförderte Abriß erfolgte
zu etwa zwei Dritteln im Plattenbau und zu etwa einem
Drittel im Altbau. 68% der bisher abgerissenen Wohnungen gehörten der LWB, 11% den Genossenschaften, 18% Privateigentümern und 3% der Stadt Leipzig.
Der Fördermitteleinsatz konzentrierte sich neben der
Großsiedlung Grünau auf die Altbaugebiete im Leipziger
Osten und Westen.
3 - Stadtumbau Ost - Stand und Perspektiven. Erster
Statusbericht der Bundestransferstelle 2006, S.74:
„Im Altbaubestand wird es vor allem darum gehen,
die Ressourcen stärker auf die stadtentwicklungsrelevanten, image- und stadtbildprägenden Quartiere
und Gebäude zu konzentrieren. (…) Vor dem Rückbau
von Gebäuden ist die Frage zu beantworten, inwieweit diese Maßnahme tatsächlich einen Zugewinn an
neuer Stadtqualität ermöglicht. Im Zweifelsfall ist es
dann besser, Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen
als einem vorschnellen Rückbau zuzustimmen.“
(…) „In den Plattenbaugebieten muß, gerade bei der
Umsetzung von Aufwertungsmaßnahmen, in noch viel
stärkerem Maße die Frage nach einer langfristigen
Tragfähigkeit gestellt werden.“ (…) Manche Akteure
(Wohnungsunternehmen wie auch Kommunen) tun
sich (auch angesichts in der Vergangenheit getätigter
Investitionen) schwer, die Zukunftsfähigkeit einzelner
Wohnungsbestände realistisch einzuschätzen. Die
derzeit anstehende Fortschreibung der städtebaulichen Entwicklungskonzepte zeigt, daß der notwendige
Rückbaubedarf in der ersten Phase des Stadtumbaus
in vielen Fällen deutlich unterschätzt wurde. Werden
diese Signale nicht ernst genommen, besteht in bestimmten Fällen die Gefahr weiterer Fehlinvestitionen
in Bestände, die langfristig möglicherweise nicht zu
stabilisieren und auf dem Wohnungsmarkt abzulösen
sind. Strategische Entscheidungen dürfen sich dabei
nicht allein auf die bestehenden Wohnpräferenzen der
derzeitigen Bewohner in den Plattenbausiedlungen
stützen.“
10
Maßgeblich befördert werden diese Abbrüche durch das speziell für die ostdeutschen Städte
aufgelegte Fördermittelprogramm „Stadtumbau Ost“2. Dieses seit 2002 bestehende Programm kommt auch in Leipzig zur Anwendung - ungeachtet der hier tatsächlich stabilen und
sogar ansteigenden Bevölkerungszahlen. Zweck des Programms ist die Förderung des Abrisses
von dauerhaft nicht mehr benötigtem Wohnraum und andererseits einer flankierenden Aufwertung der dauerhaft lebensfähigen Stadtviertel. Ansatz des Förderprogramms ist die sogenannte bauliche „Schrumpfung“ der Stadt von außen nach innen. Danach sollen die Städte an
den Rändern zurückgebaut werden, ihre historischen Kerne dagegen an Attraktivität gewinnen. Eine aktuelle Untersuchung des Bundesbauministeriums zum Stand des Stadtumbauprogramms kommt zu dem Schluß, daß mit dem Instrument des Rückbaues sorgsamer umzugehen
ist und in Zukunft eine konsequente Prioritätensetzung zugunsten der stadtbildprägenden
Quartiere und Gebäude erfolgen muß3.
Eine nahezu einhellige Forderung aller Experten ist, daß der Rückbau flächig und nicht als
Ausdünnung vorhandener Stadtviertel zu erfolgen habe. Die Gründe dafür lägen neben
zwingenden städtebaulichen Aspekten in den Unterhaltungskosten für die immer geringer
ausgelastete Infrastruktur. Sinkt die Zahl der Nutzer an einem Versorgungsstrang (Frischwasserleitung, Abwasserleitung, Gas, ÖPNV, etc.), so verringert sich dessen Funktionsfähigkeit,
wie andererseits die nun auf weniger Haushalte umgelegten Unterhaltungskosten pro Nutzer rapide ansteigen werden. Zahlreiche Abwasserleitungen müssen bereits regelmäßig mit
Frischwasser durchspült werden, da das anfallende Abwasser nicht mehr normal abfließt.
Sogar eine bedenkliche Verschlechterung der Qualität des Trinkwassers durch zu lange
Standzeiten in den zu weiten Rohrleitungen ist absehbar. Bus- und Bahnlinien werden in ihren
Außenstrecken kaum noch kostendeckend genutzt. Die Beispiele ließen sich fortsetzen.
Damit das Fördermittelprogramm seinen Zweck erfüllen kann, sind die Kommunen aufgerufen, die entsprechenden Abriß- und Aufwertungsgebiete in sogenannten „integrierten
Konzepten“ auszuweisen. Sie sollen eindeutig definieren, welche Wohngebiete wirklich nicht
mehr haltbar und auch aus städtebaulichen Gründen am ehesten verzichtbar sind. Andererseits sollen erhaltenswerte Kerne der Stadt präzise definiert werden. Bislang haben es jedoch
die ostdeutschen Städte zumeist nicht vermocht, die Mittel aus dem Stadtumbauprogramm
sinnvoll zu kanalisieren. Gemäß dem Stadtentwicklungsplan (STEP) Wohnungsbau und Stadterneuerung gehören Gebiete in sämtlichen Altbauquartieren grundsätzlich zum potentiellen
Abrißgebiet. Der aktuelle Bericht des Sächsischen Rechnungshofes zum Programm „Stadtumbau Ost“ kommt daher auch zu der eindeutigen Feststellung, daß die Gelder im Hinblick
auf die bezweckten strukturellen Verbesserungen nahezu wirkungslos versandet sind 4. Auch
nach Ansicht des Rechnungshofes wurden sogar falsche Anreize geschaffen („angebotsinduzierte Nachfrage“). Jeder Abriß-Quadratmeter wird mit 60 € vergütet (bis 31.12.05 sogar 70
€). Dazu kommt für die Wohnungsbaugesellschaften bei einer hinreichend hohen Abrißquote
der Erlaß von Altschulden. An Abrißkosten sind in Sachsen tatsächlich zwischen 28 Euro/qm
in Weißwasser und 38 Euro/qm in Chemnitz zu kalkulieren5. Der kurzfristig über Fördermittel
Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
zu erzielende Gewinn steht dabei regelmäßig in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Wert des abgebrochenen Gebäudes.
Vielfach wurden und werden gerade auch
denkmalgeschützte Gebäude abgerissen,
weil dies gefördert wird. Wertvolle, historisch gewachsene Stadtstrukturen wurden
sinnlos zerstört, während gleichzeitig in
die Plattenbaugebiete an den Stadträndern
massiv Investitionen in deren Sanierung und
Aufwertung geflossen sind.
Das für viele Leipziger identitätsstiftende Doppel-
Aufgrund dieser Abrißförderung hat sich in
Leipzig nun ein regelrechter Wettlauf zwischen Abriß und Sanierung herausgebildet.
Auf der einen Seite möchten die Hauseigentümer (vor allem die städtische Wohnungsbaugesellschaft LWB, zunehmend aber auch
private Abrißspekulanten) in den finanziellen
Genuß der Förderung gelangen. Dem gegenüber steht eine Sanierungstätigkeit durch
lokale Bauträger (GRK, Hildebrand & Jürgens, REC 24, etc.), welche seit etwa 2004
wieder deutlich zunimmt. Das Vertrauen in
den Markt ist also offensichtlich vorhanden.
Verstärkt interessieren sich auch wieder Privatinvestoren und größere auswärtige Bauträger für Leipzigs Altbaubestände. Innerhalb der
Immobilienwirtschaft gewinnen seit etwa einem Jahr Altbauten sowohl in ganz Deutschland
als auch im Ausland immer stärkere Aufmerksamkeit. Seitens der Immobilienwirtschaft (Immobilienverband Deutschland) wird aktuell Leipzig neben München als Musterinvestitionsort
für Altbaubestände gepriesen6. Hier spielen insbesondere die veränderten steuerlichen Absetzungsmöglichkeiten eine immense Rolle. Bisherige, sehr zugkräftige Steuersparmodelle wie
Medienfonds und Schiffsbeteiligungen, die Eigenheimzulage und degressive Abschreibungen
für den Neubau von Mietwohnungen sind per 1. Januar 2006 ersatzlos entfallen. So ist der
Denkmalschutz als fast einzige Form der bisherigen Steuerabschreibungsmöglichkeiten übrig
geblieben. Im Ergebnis läuft derzeit eine anhaltend hohe Nachfrage nach Wohnraum in den
Altbauquartieren parallel zu einer deutlich steigenden Investitionsbereitschaft in Altbauten,
insbesondere in ausgewiesene Baudenkmale. Vor diesem Hintergrund ist das letzte noch
unsanierte Viertel der Leipziger Altbauten tatsächlich nicht ein hoffnungsloser Problemfall,
sondern vielmehr ein interessanter und gefragter Investitionsgegenstand. Kaum eine andere deutsche Stadt dürfte ein mit Leipzig vergleichbares Investitionspotential im Altbau mit
realen Vermietungschancen vereinen. Zugleich hat sich der Mietwohnungsmarkt stabilisiert,
gleichzeitig sind mit der wachsenden Nachfrage auch wieder steigende Mieten zu beobachten.
Trotzdem ist es weiterhin mitunter wegen der vorhandenen Fördermittel für kurzfristig kalkulierende Hauseigentümer lukrativer, ihr Haus abzureißen, als es an sanierungswillige Investoren zu verkaufen. Gebrauch von diesem Anreiz machen dabei aber weniger die langfristig
kalkulierenden privaten Hauseigentümer als vielmehr die städtische Wohnungsbaugesellschaft
LWB, aus deren Bestand 68 % aller bislang unter Fördermitteleinsatz in Leipzig abgebrochen
Gebäude stammen.
Die Wurzner Straße 56 wurde wie zahlreiche andere
Stadtforum Leipzig
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Oktober 2006
haus Friedrich-Ebert-Straße 81a/b - das sogenannte
Märchenhaus - hatte eine selbst für Leipzig einzigartig reiche Baugestalt, in der sich Stilformen
der Spätgotik und Renaissance mit solchen des
Jugendstils üppig verbanden. Nach jahrelanger
Vernachlässigung folgte auf einen Dachstuhlbrand
2006 nicht die mögliche Sicherung, sondern der
Totalabriß des insgesamt standfesten denkmalgeschützten Gebäudes - eine für Leipzig typische
Abfolge.
Baudenkmale aus der Reihe gebrochen, um durch
einen von der Stadt hier großflächig geplanten sogenannten Dunklen Wald ersetzt zu werden. Allerdings
sind mehrere der privaten Hausbesitzer nicht
bereit, diesem nur temporären Konzept (Planungshorizont etwa 10-15 Jahre) ihre Häuser zu opfern.
Dies gilt auch für die flankierenden Nachbargebäude der Wurzner Straße 56.
4 - Bericht des SRH 2005, S.170ff: „Zudem behindern
z. T. gegenläufige Interessen zwischen Wohnungsunternehmen und Kommunen die Erreichung des
Programmziels, wenn beispielsweise nach Plänen des
Wohnungsunternehmens aus wirtschaftlichen Gründen
bestimmte Gebäude abgerissen werden sollen, was
aber die Stadt aus stadtgestalterischen Gründen oder
Denkmalschutzgründen nicht befürwortet, oder wenn
Wohnungsunternehmen entgegen den Planungen des
flächenhaften Rückbaus der Stadt Bestände erhalten
und sanieren wollen.“ … „Die Prüfung hat zudem
gezeigt, daß die pauschale Förderung von 70 €/m² und
auch die ab 2005 geltende Pauschale von 60 €/m² die
tatsächlich anfallenden förderfähigen Kosten oft übersteigt und dadurch den Unternehmen Restfördermittel
verbleiben, die sie ohne Zweckbindung und staatliche
Steuerung verwenden können.“ … „Um mit insgesamt
unzureichenden Mitteln überhaupt Ziele des Stadtumbaus zu erreichen, muß das Fördergeschehen sich
auf einen flächenhaften Rückbau konzentrieren.“ …
„Die Stadtumbaugebiete müssen sich auf die Gebiete
mit erheblichen städtebaulichen Funktionsverlusten
beschränken und sollten nach Schwerpunkten räumlich getrennt werden.“
5 - Die Welt vom 20.06.2006
6 - Die Welt vom 29.12.2005
11
Zerstört
Auswahl wichtiger abgebrochener
Kulturdenkmale seit 1999
Gerichtsweg 8
Geschäftshaus im Jugendstil, reich verzierte Sandsteinquaderung im Erdgeschoß, schmiedeeisernes Treppenhaus um
einen mittigen Fahrstuhlschacht. Zusammen mit Gerichtsweg 10 wegen Straßenbau abgebrochen.
Gerichtsweg 10 (Bild rechts)
Geschäftshaus im Stil der Neorenaissance. Klinkerfassade
mit aufwendigen Sandsteingliederungen, Mittelerker aus
Sandstein mit Muschelgiebel und Balkon im 3.OG. Vor dem
Abbruch saniert und genutzt.
Schönefelder Straße 6 (Bild nächste Seite)
Jugendstilwohnhaus der Brotfabrik Gebr. Joachim Pätz&Co
mit gediegener Ausstattung, im EG Natursteinsockel, im
OG rote Klinker mit reliefiertem Putz, hofseitige Balkone,
Wohnungen mit Edelholzdielen, Stuckdecken und aufwendigen Futtertüren.
Zweinaundorfer Straße 30-34
Wohngebäudezeile mit Eckhaus an der Martinstraße, frühgründerzeitliche Gebäude mit Putzfassade und dezenten
Sandstein und Stuckelementen.
Czermaks Garten 14-16 - Kunstverlag Eckert & Pflug
Gründerzeitliche Putzbauten mit sehr geringer Gebäudetiefe, Fassaden überformt und vereinfacht, bauliche Insel nach
Zerstörungen des Krieges. Wegen Straßenbau abgebrochen.
Friedrich-Ebert-Straße 62 (Bild nächste Seite)
Spätklassizistisches Wohnhaus mit großen
Etagenwohnungen, Fassade mit feinem Stuck und
französischen Fenstern mit vorgelagerten Austritten in
den Mittelzimmern, schöne alte Kachelöfen in einigen
Wohnungen.
Talstraße 3
Ehemals eingebautes Wohnhaus mit reichen Stuckdecken.
Eines der wenigen Häuser, welches die Zerstörungen des
Krieges im Bereich des Grassi-Museums überstanden hat.
Zuletzt durch den Union-Verlag genutzt.
Pfaffendorfer Straße 5 (Bild nächste Seite)
Herrschaftliches Wohnhaus, um 1870 errichtet, mit zwei
Seitenflügeln und Etagenwohnungen. Hausflur mit ionischen
Säulen, Treppenanlage aus Eiche mit Schnitzwerk, dreiflügelige Wohnungstüren, reiche Stuckdecken, Parkett, mit
Stucksopraporten bekrönte Flügeltüren.
Markranstädter Str. 11/13 (Bild nächste Seite)
Zwei Wohngebäude an sanierte ehem. Fabrik angebaut, Jugendstilfassade mit gelben Klinkern und Vogelornamenten,
Treppenhaus im Originalzustand mit Wandmalerei. Stuckdecken, Zimmertüren mit Stucksopraporten mit floralen
Motiven – guter Gesamtzustand.
Karl-Heine-Straße 113
Fünfgeschossiges spitzwinkliges Eckhaus an einem typischen Plagwitzer Industriegleis („Bügeleisen“), Fassade aus
roten und gelben Klinkern mit Verdachungen, Gesimsen und
Konsolen aus Werkstein.
Altranstädter Straße 22, 24, 26
Nr. 24 und 26 einfache eingebaute Wohnhäuser, Nr. 22 qualitätvoller mit Natursteinsockel und Gesimsen in der Fassade, Wohnungen mit Stuckdecken, sehr guter Bauzustand.
Durch den Abbruch ist Nr. 28 nun freistehend.
Querstraße 30
Um 1880 errichtetes viergeschossiges Mietshaus mit Ladeneinbauten im EG und eleganten mittelständigen Wohnungen
mit Stuck und reichen Futtertüren, Fassade mit Sandsteinverdachungen über den Fenstern und Stuckarbeiten mit
Löwenkopfmotiven.
Dieskaustraße 79
Freistehendes Wohnhaus mit Erker, um 1910 errichtet,
zweispännig, Putzfassade mit Antragsarbeiten, Wohnungen
mit Pitchpinefußböden und Stuckdecken im Stil der Zeit,
hofseitige Balkone – guter Bauzustand, Dach und Fassaden
fördermittelgesichert.
Hentschelsiedlung (Seite 17)
In den 1930er Jahren entstandene gartenstadtartige Siedlung am südlichen Stadtrand. Die zweigeschossigen Häuser
bildeten ein Ensemble um einen begrünten Innenbereich.
12
Friedrich-Ebert-Straße 81 a/b (Bilder Seiten 11, 18, 19)
Herausragender Wohnhausbau des Architekten Robert
Röthig, Meisterwerk des Eklektizismus in Leipzig – absolut
unikate Architektur, reich gegliederte Fassade auf neogotischem Sandsteinsockel, Erker und Balkone mit übereichen
Figurenschmuck, selbst Säulenschäfte mit Masken verziert,
Hauseingänge mit Kreuzgewölbe und Mosaikfußboden,
Wände mit Marmorbändern, aufgesattelte Eichenholztreppen mit eigenwilligen reich geschnitzten Geländern,
Schablonenmalerei, in den Wohnungen unterschiedlichste
Stuckdecken im Jugendstil, Futtertüren mit aufwendigen
Bekleidungen analog des Treppenhauses.
Humboldtstraße 12 (Bild nächste Seite)
Um 1870 errichtetes elegantes Mietwohnhaus aus der ersten
Phase der planmäßigen Bebauung der inneren Vorstädte.
Putzfassade mit frühgründerzeitlichen Stuckelementen.
Ungebremster Verfall führte zum Abbruch des Denkmals.
Torgauer Straße 22 (Bild nächste Seite)
Linke Doppelhaushälfte eines axialsymmetrischen Hauses in
geschlossener Bebauung, Klinkerfassade mit vom aufkommenden Jugendstil geprägten Zierelementen. Wohnungen
mit einfachen Stuckdecken, rechte Haushälfte saniert und
bewohnt.
Lange Straße 8 und 10
Klassizistische Mietshäuser, Nr. 8 mit Eingangsportal aus
schlanken gußeisernen Säulen in profiliertes Mauerwerk
gefaßt. Nr.10 sehr hohes und schmales Haus, Wohnung im
1.OG mit gründerzeitlichen Verzierungen (hölzerne Sopraporte über den einflügeligen Türen).
Querstraße 26-28 - Thiemes Hof (Bild Seite 14)
Um 1870 errichteter Geschäftshauskomplex mit H-förmigem
Grundriß. Die Fassaden der beiden Flügel an der Querstraße
mit Erkern, reiche Innenausstattung mit Stuckdecken, Flügeltüren und Parkett. In den Erdgeschossen Verkaufs- und
Lagergewölbe. Zwei runde Treppenhäuser mit korinthischen
Innensäulen aus Eichenholz und mittigem Fahrstuhl. Spätklassizistische Putz- und Stuckfassade mit Sandsteingesimsen. Bedeutendster und größter Geschäftshofbau außerhalb
der Innenstadt.
Dittrichring 11
Um 1870 errichtetes Wohn- und Geschäftshaus gegenüber der
Thomaskirche, ehemals herrschaftliche Raumausstattungen,
besonders wertvoller Eingangsbereich mit Carrarischem
Marmor und Stuckarbeiten im klassizistischen Stil mit Neorenaissanceelementen.
Scherlstraße 10-12
Klassizistische Häuser, letzte Reste der Gebäudezeile in
welcher Friedrich Nietzsche wohnte. Imposantes zweiflügeliges Metalltor mit gußeisernen Löwenköpfen.
Augustenstraße 9 (Bild Seite 15)
Fünfgeschossiges Wohnhaus mit spätklassizistischen vollständig erhaltenen Stuck- und Sandsteinverzierungen in
der Fassade. Dachdeckung erneuert, Haus gesichert, die
nachfolgenden weniger gut erhaltenen und ihres Zierrates
beraubten Nachbarhäuser werden als Selbstnutzerobjekte
angeboten.
Eisenbahnstraße 68, 70, 72 (Bild Seite 15)
Fünfgeschossiges Gebäudeensemble von architektonisch
zusammengehörigen Wohn- und Geschäftshäusern in geschlossener Blockrandbebauung. Das Mittelhaus Nr. 70 mit
Erkern und sehr eleganten Wohnungen mit Stuckdecken,
aufgesattelte Eichenholztreppe mit vollständig erhaltenem Geländer und reich geschnitzten Antrittpilaren, aus
Wohngebäudesicherungsprogramm Dach mit Tonziegeln neu
gedeckt, Verblechungen Fassade erneuert, Hof entkernt.
Nr. 68 schon zu DDR-Zeiten als Geschäftshaus umgebaut,
Wohnungen auf den Etagen waren zusammengelegt und
mit Zentralheizung ausgestattet, Treppen sehr detailreich
in Eiche und vollständig erhalten. Nr. 72 Wohnhaus in der
Qualität wie Nr. 68. Die Gebäude Nr. 66-74 bildeten eine
bauliche Einheit, der Fassadenschmuck vom Mittelhaus Nr.
70 setzte sich nach den Seiten zu den Nachbarhäusern fort
und wurde an diesen jeweils etwas schlichter interpretiert,
so daß die Grenzen der fünf Häuser optisch ineinander
übergingen. Die Fassaden bestanden aus profilierten Sandsteingesimsen welche durchlaufend von runden und dreiekkigen Fensterverdachungen über einem oder zwei Fenstern
gegliedert waren, darunter Konsolen und Platten mit
grotesken Maskenornamenten aus Stuck. Die flankierenden
Häuser sind saniert und bilden nun einen baulichen Torso
analog willkürlicher Kriegszerstörungen. Ein derartiges
Ensemble im Stil der Neorenaissance ist in Leipzig äußerst
selten und nur noch in der Eisenbahnstraße 41-45 erlebbar.
Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Gerichtsweg 10
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13
Zerstört
14
Friedrich-Ebert-Straße 62
Humboldtstraße 12
Markranstädter Straße 11
Pfaffendorfer Straße 5
Torgauer Straße 22
Wurzner Straße 132
Hirzelstraße 17
Friedrich-Ebert-Straße 93
Schönefelder Straße 6
Braustraße 26
Thiemes Hof
Gohliser Brauerei
Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Augustenstraße 9
Köbisstraße 11
Täubchenweg 90-92
Eisenbahnstraße 68-72
Fr.-Ebert-Straße 95 a/ Waldplatz
HNO-Klinik Liebigstraße 18 a
Markranstädter Straße 11
Windorfer Straße 17 Restauration „Terrasse“
Stadtforum Leipzig
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Oktober 2006
15
Zerstört
Emilienstraße/ Karl-Liebknecht-Straße
Philipp-Rosenthal-Straße/ Johannisallee
Wurzner/ Brandiser Straße
Eisenbahnstraße
16
Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Torgauer/ Wurzner Straße
Sternwartenstraße
Gerichtsweg/ Dresdner Straße
Hentschelsiedlung
Stadtforum Leipzig
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Zerstört
Treppenhaus Fr.-Ebert-Str.81 a/b
Fassade Czermaks Garten 6
Fassade Täubchenweg 92
Fassadendetail Täubchenweg 90
geborgene Stuckornamente Braustraße 26*
Fassadendetail Täubchenweg 87
Fassade Gerichtsweg 8
Kapitellfragment Wurzner Straße 56*
Fragment Wurzner Straße 114*
* auf Privatinitiative hin aus dem Bauschutt gerettet
18
Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Fassadendetail Friedrich-Ebert-Straße 81 a/b
Stadtforum Leipzig
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19
Bedroht
Auswahl akut abbruchgefährdeter
Kulturdenkmale
Wohnanlage Buschenaustraße
Eigentümer: LWB
In sich geschlossene Wohnanlage aus den 1930er Jahren
unter Verwendung dunkelroter Klinker im Wechsel mit Putzflächen, hochwertiger Vertreter der Architektur dieser Zeit.
Aurelienstraße 56-58
Eigentümer: unbekannt, Entwicklung: TLG
Eckhaus mit Klinkerfassade direkt an den Karl-Heine-Kanal
grenzend, anschließend im Uferverlauf ein industrieller
Klinkerbau. Nr. 58 mit reicher Stuckfassade, in beiden Häusern für die Gegend auffallend detailreiche Stuckdecken,
Flügeltüren mit Sopraporten aus Stuck.
Kurt-Schumacher-Straße 43
Eigentümer: privat
siehe Seite 37
Karl-Heine-Straße 82 und 84
Eigentümer: unbekannt, Entwicklung: TLG
Zwei fünfgeschossige Häuser der Firma Rud. Sack, Klinkerfassaden mit typischer Neorenaissancegliederung, Stuckdecken, insgesamt gute Bausubstanz, die bei Neubebauung
des Areals gut integriert werden kann.
Gerichtsweg 5
Eigentümer: TLG
Pendant zum ältesten deutschen Stahlbetonbau der Drukkerei Röder in der Perthesstrasse, sollte im Interesse der
Ensemblewirkung mit dem Flügel in der Perthesstrasse
entwickelt werden.
Täubchenweg 17
Bibliographisches Institut (Bild nächste Seite)
Eigentümer: TLG
Herausragend wichtiger Ort für die Kultur der deutschen
Sprache und Allgemeinbildung (Duden, Meyers Lexikon).
Breite Straße 32
Eigentümer: privat
Spätklassizistisches Eckhaus.
Scheffelstraße 36
Eigentümer: LWB
Vornehmes Jugendstilwohnhaus, noch geprägt von der
ausklingenden Neorenaissance, mit großem Fördermitteleinsatz gesichert, gute Wohnlage. Fassade ursprünglich mit
Balkonen. Siehe auch Seite 39
Eisenbahnstraße 129 und 131 (Bild rechts)
Eigentümer: privat
An Zierat reiches mehrgeschossiges Eckhaus mit Erker
und Kuppelturm im Stile der Neorenaissance mit später
errichtetem Nachbarhaus mit bossiertem Natursteinsockel
und ebenfalls Erkern in Formen des Jugendstils. Beide
Gebäude sind unverzichtbare Dominanten am so genannten
„Torgauer Platz“. Dieser Platz ist der letzte ohne Verluste
erhaltene große gründerzeitliche Stadtplatz Leipzigs. Auch
der Neubau an der Torgauer Straße nimmt ausdrücklichen
Bezug auf diese Platzarchitektur, ein Verlust dieser Häuser
wäre nicht nur der endgültige Verlust des vollständig erhaltenen Platzes, sondern würde auch den Neubau aus seinem
städtebaulichen Zusammenhang reißen, welcher dann
ungewollt den Platz beherrscht, ohne auf ihm zu stehen.
Eisenbahnstraße 64
Eigentümer: privat und LWB
Eckhaus mit Jugendstilelementen und Erkern, die dem
Gebäude Nr. 66 noch einen städtebaulichen Zusammenhang
im Stadtteilpark Rabet verleiht.
Wohnanlage Zerbster Straße
Eigentümer: LWB
siehe Seite 40
Wurzner Straße 96
Eigentümer: privat
Fünfgeschossiges Wohnhaus mit reichem bauplastischen
Fassadenschmuck, bildet den Anfang einer baulichen Insel
von mehreren bewohnten Häusern, deren Eigentümer sich
dem „Lichten Hain“ widersetzen. Gute Entwicklungschancen durch unverbaubare Südseite mit Blick in Kleingärten,
Kindergarten in unmittelbarer Nähe.
Käthe-Kollwitz-Straße 6
Eigentümer: LWB
siehe Seite 42
Hermann-Liebmann-Straße 43
Eigentümer: privat
Wichtiges und im Zustand seiner Erbauung erhaltenes
Eckhaus am Rabet. Bildet nunmehr durch seine detailreiche Fassade und den betonenden Eckerker eine besonders
dominante Raumkante des neu entstandenen Stadtteilparks
Rabet, als Kopfbau für die die erhaltenswerte Altsubstanz
ergänzenden nachfolgenden geplanten Stadthäuser von entscheidender städtebaulicher Bedeutung.
Margaretenstraße 6
Eigentümer: privat
Sehr qualitätvolles Wohnhaus in Sichtweite des Elsaparks,
keine gegenüberliegenden Gebäude, solider Bauzustand
mit einmaligem Portal aus Zöblitzer Serpentin, Fassade mit
Halbsäulen, Fensterverdachungen und Gewänden aus Sandstein mit roten Verblendklinkern. Wohnungen mit feinen
Stuckdecken, Originaltüren mit Sopraporten, geschliffenes
Kristall -Farbglas in den Treppenhausfenstern, angrenzende
Häuser saniert und bewohnt.
20
Friedrich-Ebert-Straße 91
Eigentümer: privat
Ehemals – und nun wieder- freistehende klassizistische
Mietvilla, das nunmehr älteste noch erhaltene Baudenkmal
dieses Straßenabschnittes und vorletztes Gebäude der in
Auflösung begriffenen Straßenseite. Original erhaltene Flügeltüren mit den zeittypischen Schlössern und zapfenförmigen Fitschbändern, schlichte, gewundene und eingelassene
Eichenholztreppe, Etagenwohnungen mit partiell vorhandenem später eingebautem Deckenstuck Verwendung von
Ziegelsteinen im Klosterformat.
Konradstraße 36-38
Eigentümer: unbekannt
Reste des durch Kriegseinwirkung beschädigten Geschäftshauses Wirth an der Hermann-Liebmann-Straße. Bauwerk
aus roten Klinkern unter Verwendung von Profilklinkern,
ehemals reicher bauplastischer Schmuck – Reste davon noch
erhalten (Fratzen als Schlußsteine der Fensterstürze), sollte
in das am Rande des Stadtteilparks Rabet geplante Nahversorgungszentrum integriert werden.
Wurzner Straße 108 (Bild Seite 23)
Eigentümer: unbekannt
Jugendstilhaus mit gegliederter Klinker- und Putzfassade.
Bildet den östlichen Abschluß einer „baulichen Insel“.
Spitzwinklig verlaufende Giebelwand, die neuen Bäume des
„Lichten Hains“ sind parallel dazu gepflanzt – eine Erhaltung des Gebäudes würde das Gesamtvorhaben noch ein
wenig städtebaulich aufwerten.
Wurzner Straße 38 (Bild nächste Seite)
Eigentümer: unbekannt
Hochwertiges Eckhaus an der Roßbachstraße, Neorenaissancebau mit Eckerker in reicher Formensprache, angrenzend
ebenfalls gleichwertige, teilweise sanierte und bewohnte
mehrgeschossige Mietshäuser mit eleganten Wohnungen
mit nicht allzu großen Zuschnitten, die überwiegend
Stuckdecken aufweisen. Auch die Treppenhäuser sind von
auffallender Schönheit. Die gesamten Gebäude sind von der
Fortführung des „Dunklen Waldes“ akut bedroht.
Hofmeisterstraße 14 (Bild Seite 23)
Eigentümer: LWB
Geburtshaus des für die jüngere deutsche Geschichte
bedeutenden Komponisten Hanns Eisler, früher Vertreter
des Leipziger Mietshausbaues vom Beginn der zweiten
Bebauungswelle in den inneren Vorstädten – guter Bauzustand, sollte ursprünglich für die Umfeldgestaltung eines
innerstädtischen „Hirschgeheges“ weichen.
Ruststraße 29 und 31 (Bild Seite 23)
Eigentümer: unbekannt
Gebäudezeile zwischen Knauthainer und Eytraer Straße
(auf der Rückseite das neue Seniorenheim) bestehend aus
einfacheren Mietwohnhäusern, die um 1880 errichtet wurden. Stark verwahrloster Zustand, abgebrannte Dachstühle
und ungebremster Verfall nach abgebrochenen Sanierungen. Für den Erhalt der geschlossenen Blockstruktur im fast
vollständig konsolidierten Wohngebiet von Bedeutung.
Dammstraße 8, Schorler-Villa
Eigentümer: privat
Auf einem Eckgrundstück stehende, sehr reich verzierte
Villa im Stil der Neorenaissance. 1891 errichtetes Wohnhaus des für die Entwicklung des Areales des alten Dorfes
Schleußig (Hüffer) zum hochwertigen Wohnstandort verdienten Architekten Schorler.
Lützner Straße 116 und 118 (Bild Seite 22)
Eigentümer: unbekannt
Zwei gut erhaltene Gebäude mit markanter Eckausbildung in
der Formensprache des ausklingenden Jugendstils. Exponierte Lage an der Gabelung der Lützner Straße gegenüber
der Einmündung der Henriettenstraße. Der KSP West sieht
an dieser städtebaulich hoch interessanten Stelle eine
belanglose Wiese vor.
Meißner Straße 60-62 (Bild Seite 22)
Eigentümer: privat
Zwischen sanierten Häusern, in exponierter städtebaulicher
Lage (schließt die Gebäudezeile zur H.-Liebmann-Straße
aus der Blickrichtung vom Stannebeinplatz). Sehr reich und
fein verzierte Sandstein- und Stuckfassade mit ebenfalls
verzierten Mansarden mit Rundbogenfenstern, welche zum
Vollgeschoß nachträglich vereinigt wurden. Doppelhaus mit
asymmetrischen Eingängen – Unikat in Leipzig. Der Block ist
in der Meißner Straße stark perforiert und z.Zt. „Bedarfsanpassungsgebiet“.
Areal Mariannenstraße - Bennigsenstraße - Torgauer
Straße - Hermann-Liebmann-Straße
Eigentümer: Streubesitz
siehe Seite 27
Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Eisenbahnstraße 129 und 131
Eisenbahnstraße 129-131/ Torgauer Platz
Stadtforum Leipzig
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Bedroht
22
Bibliographisches Institut
Eisenbahnstraße 131
Lindenauer Markt 4
Meißner Straße 60-62
Wurzner Straße 32-38
Torgauer Straße 14
Wohnanlage Karl-Jungbluth-Straße
Ostheimstraße
Delitzscher Straße 81
Lützner Straße 118
Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Bautzmannstraße 4
Wurzner Straße 104-108
Delitzscher Straße 81
Dieselstraße 7
Dohnanyistraße 1/ Hofmeisterstraße 14
Hermann-Liebmann-Straße 43
Aurelienstraße 58
Ruststraße 29
Stadtforum Leipzig
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Dieselstraße 9
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Kommunale Schrumpfungsprozesse in Deutschland
In Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern sind kommunale Schrumpfungsprozesse eines der drängendsten Probleme der Stadtentwicklung. Sie sind derzeit Gegenstand zahlreicher Studien und Fachpublikationen. So liegen mittlerweile auch übergreifende
Studien über die Reaktionen der deutschen Kommunen auf das Schrumpfungsphänomen vor1.
Ihnen zufolge gibt es in den Städten Deutschlands erhebliche Fehlentwicklungen, wobei sich
Leipzig in diesen Kontext leider nahtlos einfügt.
Die Grundfrage dabei ist, ob und mit welchen Resultaten die Städte schrumpfen. Im Mittelpunkt der Diskussion um die nachhaltige Entwicklung stehen die Steuerung der Siedlungsflächenentwicklung, die ressourcenschonende Stadtentwicklung, die sozialverträgliche
Wohnraumversorgung und die Sicherung der Infrastrukturen. Eine allgemein angestrebte
Entwicklungsrichtung zu Nachhaltigkeit in der Stadtentwicklung unter Schrumpfungsbedingungen gibt es allerdings nicht. Die Bandbreite der möglichen Entwicklungen liegt auf der
einen Seite in der Schrumpfung durch „Rückzug aus der Fläche“, also einer Stadtentwicklung
von außen nach innen. Leitbild einer solchen Stadtentwicklungspolitik wäre das traditionelle
Bild der kompakten europäischen Stadt. Dem steht auf der anderen Seite die Vorstellung
der „perforierten Stadt“ entgegen. Durch das Brachfallen von Wirtschaftsflächen oder den
Rückbau nicht weiter genutzter Wohneinheiten kann eine Auflockerung der Stadtstruktur
erreicht werden. Die genutzte Stadtfläche würde sich dabei jedoch nicht verringern, sondern nur die Einwohnerdichte weiter abnehmen. Unabhängig von diesen beiden Polen der
Entwicklung kann das Phänomen des weiteren Wachsens in der Fläche durch neue Wohn- und
Gewerbegebiete am Stadtrand auftreten.
Derzeit sehen in Deutschland etwa die Hälfte der befragten Gemeinden in der Verringerung
der Baudichte und der „besseren Versorgung mit Grün- und Freiflächen“ positive Aspekte
des Bevölkerungsrückgangs, trotz aller damit verbundenen Probleme der Kostensteigerung
für den Erhalt und Betrieb der Infrastruktur. Deutschlands Kommunen können kurzfristig
einer Auflockerung und verstärkten Begrünung ihrer Quartiere mehr abgewinnen, als einem
geordneten Rückbau der äußeren Stadtgebiete. So formulierte kaum eine der deutschen
Städte für sich das Ziel, bestehende Siedlungsflächen vollständig aufzugeben. Begründet
wird diese Politik fast durchgehend mit den Bedürfnissen der Wohnungswirtschaft, welche
die Entscheidungen über Rückbauprojekte rein betriebswirtschaftlich fällt und dabei oft zusammenhanglos im Raum verteilte Objekte zum Rückbau auswählt. Ebenfalls gibt es in den
Kommunen erhebliche Bedenken, auf entwickelte oder festgelegte Siedlungsflächen zu verzichten, da sie sich damit aus ihrer Sicht Optionen für bessere Zeiten verschließen würden.
Die Rückbauprojekte der Wohnungswirtschaft, die den Leitbildern der nachhaltigen und
behutsamen Stadtentwicklung entgegenstehen, können von den Planungsverantwortlichen
selten verhindert werden. Wirtschaftliche Bestandssicherung ist für die (kommunalen) Wohnungsträger das erklärte Ziel. Im Extremfall führt dies nicht selten zum Abriß planerisch erhaltenswerter Substanz im Innenstadtgebiet, während der stadtstrukturell sinnvolle Rückzug
am Rand von Großwohnsiedlungen nicht stattfindet. Ebenfalls muß festgestellt werden, daß
die Anpassung der Infrastruktur bisher oft nicht im erforderlichen Maße mitbedacht wird,
weshalb die Städte und die Träger der Infrastruktur höhere Kosten in Kauf nehmen müssen 2.
Häufig wird seitens der planenden Verwaltung ausgeführt, daß der Schrumpfungsprozeß und
die darauf folgenden ersten Rückbaumaßnahmen zu erheblichen Folgeproblemen geführt
haben und die Kommunalfinanzen zunehmend belastet worden sind. Beispiele dafür sind die
Unterauslastung der technischen Infrastruktur, die fehlende Bündelungsfunktion für den öffentlichen Nahverkehr und der erhöhte Kostenaufwand zur Pflege zusätzlicher Grünflächen.
Damit führt die erkennbar einseitige, durch Förderprogramme unterstützte Ausrichtung der
kommunalen Planungspraxis auf den Wohnungsmarkt zur Schaffung neuer Problembereiche.
Auflockerung und Entdichtung - so ausdrücklich das Ergebnis der hier zitierten Studie - können daher als prioritäre Zielsetzungen nicht als förderfähig angesehen werden.
24
Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Ein weiteres, besonders schwerwiegendes Manko des aktuellen Umgangs mit der städtischen
Schrumpfung ist, daß diese nach Jahren der Tabuisierung nun auch öffentlich, aber sehr einseitig diskutiert wird. Beachtung finden durch Stadtplanung, Politik und Wohnungswirtschaft
fast nur die meßbaren Größen wie Leerstand, Bevölkerungsrückgang und Brachflächen. Städtebauliche Qualität, Überlegungen zur langfristigen Nachfrage verschiedener Wohnlagen,
Denkmalschutz, Identität und nicht zuletzt stadtgestalterische und stadtkulturelle Aspekte
spielen derzeit oftmals keine oder zumindest eine nur verschwindend geringe Rolle. Dadurch
werden vielerorts ausgerechnet jene Bauten und Wohnquartiere zerstört, die auf langfristige
Sicht die Qualität der Stadt ausmachen könnten. Ihrer im Stadtbild ablesbaren Geschichte und
damit Einzigartigkeit in Teilen beraubt, sinkt der Wert der Stadt als Identifikationsort für seine
Bewohner und verliert seine Attraktivität als Zuzugsort, nicht zu sprechen vom Verlust an touristischem Potential als dem in weiten Landstrichen einzig verbliebenen aktuell wachsendem
Wirtschaftszweig.
Vollständig unreflektiert bleibt zudem, daß jedes Bauwerk für sich einen gebauten Wert darstellt, der mit dem Abriß unwiederbringlich zerstört wird. Der tatsächliche Wert zahlloser
derzeit abgerissener Bauten übersteigt dabei deutlich die für den Abriß gezahlten Summen. Da
der Eigentümer letztere jedoch als bare Prämie einstreichen kann, überwiegen für ihn - ganz
kurzfristig gedacht - die Vorteile, da der entgegenstehende Wert des Gebäudes mit diesem
verbunden und nicht sofort liquide ist.
Um Stadtschrumpfungsprozesse künftig im Sinne von Nachhaltigkeit zu steuern, müssen weitere
Parameter in die Planung dieser Prozesse integriert werden. Vor allem muß sich die Einsicht
durchsetzen, daß man auf eine rein betriebswirtschaftlich auf gegenwärtige Verhältnisse reagierende Optimierung verzichtet, um nachhaltige Lösungen zu erreichen. Diese Forderungen zu
erfüllen, bedarf es allerdings spezieller Rahmenbedingungen, die erst noch zu schaffen sind.
Letztlich muß eine ganzheitliche Sicht auf Stadtumbau- und Stadtrückbauprozesse sowie die
Integration aller zur Problemlösung notwendigen Handlungsfelder und deren Akteure gewonnen
werden.
1 - Beispielsweise die folgende Studie, auf die im nachfolgenden Text Bezug genommen wird: Beseck/Hänsch/Henckel,
Stadtplanung unter veränderten Vorzeichen. Ergebnisse einer Befragung der planenden Verwaltung schrumpfender Städte,
in: EurUP 02/2006, S. 64-71.
2 - Zur städtischen Infrastruktur insgesamt zählen u.a. die soziale Infrastruktur (Kindergärten, Schulen, etc.) und die technische Infrastruktur, wie Verkehrsinfrastruktur (Straßen, ÖPNV, Bahn, etc.) sowie die stadttechnische Infrastruktur zur Wasserversorgung (Trinkwasser, Abwasser) und Energieversorgung (Strom, Gas, Fernwärme). Ca. 80 % der anfallenden Kosten für
technische Infrastruktur sind Fixkosten. Bei Rückgang der Nachfrage steigen die Wartungskosten. Diese können sich mitunter
sogar vervielfachen. Mit dem Nachfragerückgang verbundene Qualitätseinbußen (Bsp. ÖPNV - Verringerung der Taktfrequenz; Bsp. Abwasser - Spülen der Rohre mit Frischwasser) sowie steigende Kosten bedingen wiederum einen zusätzlichen
Nachfragerückgang. Deshalb steigt der spezifische Erschließungsaufwand mit abnehmender Bebauungsdichte auch nicht
linear, sondern progressiv. In einer Beispielrechnung der TU Dresden für Infrastrukturtarife wird bei einem unmittelbar
schrumpfungsbedingten Rückgang der Nachfrager um 20 % letztlich von einem Nachfragerückgang auf 40 % ausgegangen,
der im Ergebnis zu einer Tarifsteigerung für die verbleibenden Verbraucher auf 250 % führt. (vgl. Marschke, Stadttechnische
Infrastruktur in schrumpfenden Städten. Ringvorlesung an der TU Dresden am 23. Januar 2006 (http://tu-dresden.de/die_tu_
dresden/zentrale_einrichtungen/zdw/veranstaltungen/ringvorlesung/Stadttechnische%20Infrastruktur%20in%20schrumpfen
den%20Staedten.pdf#search=%22konzessionsabgaben%20erdgas%20chemnitz%22).
Das Problem war bislang auch schon wiederholt Thema in der Presse, bsp.: VDI Nachrichten vom 28.03.02 Energie: Ostdeutsche Infrastruktur muss angepasst werden. Stadtwerke leiden unter Abriss von Wohnungen. - LVZ vom 05.02.03 „Zweite
Miete“ wird immer teurer. - FAZ vom 23.02.04 Im Stadtumbau Ost drohen hohe Folgekosten. Wirtschaftlichkeit der Versorgungssysteme ist gefährdet / Studie empfiehlt Rückbau vom Stadtrand. - www.mdr.de vom 27.10.04 Nebenkosten. Warum
sich Wassersparen im Osten kaum lohnt.
Stadtforum Leipzig
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Oktober 2006
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Die derzeitige Leipziger
Stadtplanung
Seit dem Ende der DDR konnte durch das Wirken zahlreicher Akteure in einem gewaltigen Kraftakt ein Großteil der historischen Stadtstruktur und der Baudenkmäler Leipzigs gerettet werden.
Hieran hatten Leipzigs Stadtplaner und Denkmalpfleger entscheidenden Anteil. Auch gegenwärtig laufen eine Reihe von Maßnahmen und Programmen, die eine langfristige Stärkung der Altbauquartiere zum Ziel haben. Dazu zählen Quartiersmanagement in entwicklungsfähigen, aber
unterstützungsbedürftigen Stadtteilen im Leipziger Westen und im Leipziger Osten, aber auch
die durchaus innovativen Instrumente der gezielten Förderung von Wohneigentumsbildung im
Altbau (Selbstnutzer), die Ausweisung innerstädtischer Eigenheimstandorte (Stadthäuser) oder
die Unterstützung von Zwischennutzungsprojekten (der Haushalten e.V. mit seinem Konzept
der Wächterhäuser; www.haushalten.org). Eine deutliche Aufwertung haben historische Stadtviertel auch durch die Anlage von neuen Stadtparks z. B. auf einstigen Bahnanlagen in Plagwitz
oder am ehemaligen Eilenburger Bahnhof erfahren. Seit 1999 sind in Leipzig knapp 20 Hektar
neuer Grünflächen in Stadtteilparks entstanden. Nicht zuletzt wurde noch im vergangenen Jahr
ein Gebäudesicherungsprogramm der Stadt Leipzig mit einem Volumen von 500.000 € auf den
Weg gebracht, mit dem ca. 20 gefährdete stadtbildprägende Bauten für eine spätere Sanierung
gesichert werden sollen.
Trotz dieser sehr anerkennenswerten Bemühungen sind in der Leipziger Stadtentwicklungspolitik zugleich erhebliche Fehlentwicklungen zu kritisieren, die unter Umständen zu einer
nachhaltigen Beschädigung von zukunftsfähigen Stadtstrukturen führen werden. Hatte man
in den 1990er Jahren noch die Situation, daß in den Altbauquartieren trotz wachsenden Leerstands kein nennenswerter Abriß stattfand, wird dieser seit etwa 1999 mit zunehmender Dynamik betrieben. Eine solche Abrißdynamik entwickelt sich in diesen Vierteln parallel zu einer
kontinuierlich ansteigenden Wohnraumnachfrage. Im Zeitraum 2001 bis 2004 wurde der Abriß
von 1.312 Altbauwohnungen mit öffentlichen Geldern gefördert. Zeitweilig übertraf der Abriß
im Altbaubestand sogar den Plattenbauabriß (2003: Abriß von 537 Wohnungen im Plattenbau,
gleichzeitig 888 Wohnungen im Altbau)1. Das in den 1990er Jahren zu beobachtenden Phänomen
des wachsenden Leerstands war deutschlandweit erst recht spät seitens der Stadtplanung als
ein gravierendes Problem erkannt worden. Als auf diese Erkenntnis hin in Leipzig die Ausarbeitung weitgreifender Abrißpläne erfolgte, war bereits der Punkt erreicht, an dem sich wieder
eine Nachfrage nach Wohnraum stärker zu entwickeln begann.
Die Stadtentwicklungsplanung sollte von ihrem Ansatz her langfristig angelegt sein. Im Bezug auf
Abrisse in Altbauquartieren legt die Leipziger Stadtplanung ihren Entscheidungen jedoch eher
eine Situation zugrunde, wie sie für die zweite Hälfte der 1990er Jahre charakteristisch war. Sie
geht von der nicht mehr zutreffenden Annahme aus, daß viele der Altbauquartiere ein strukturelles Leerstandsproblem hätten, und deshalb Abrisse auch in den kommenden Jahrzehnten die
Hauptwege des Stadtumbaus darstellen müßten.
„Perforierte Stadt“ als Konzept: Diese im Auftrag
der Stadt erstellte Studie für die Lützner Straße
sieht den Abriß der Wohngebäude und die Verwendung der Trümmer als Lärmschutzwand vor.
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Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Die Aufgabe der Stadtplanung in Bezug auf den Umgang mit Leerstandsphänomenen
Unzweifelhaft ist es Aufgabe der Stadtplanung insgesamt, Probleme der Stadtentwicklung zu
erkennen und nach Möglichkeit zu lösen. Dabei dürfen die Möglichkeiten der Stadtplanung aber
nicht überschätzt werden. Klassische Stadtplanung war lange Zeit einerseits Angebotsplanung
für private Vorhabenträger und andererseits konkrete Planung öffentlicher Baumaßnahmen.
Angesichts der aktuellen Schrumpfungsphänomene in weiten Teilen Europas findet diese herkömmliche Angebotsplanung vielerorts praktisch jedoch nicht mehr statt. Dafür ist Stadtplanung heute mit den Problemen von Leerständen und Umnutzungen in Gebieten konfrontiert,
die in der Vergangenheit geplant und bebaut wurden. Diskutieren kann man nun, ob es die
Aufgabe der öffentlichen Planung ist, private Hauseigentümer dazu zu bringen, ihre Gebäude
abzureißen. Grundsätzlich dürfte in einem solchen Ansatz schlicht eine Anmaßung der öffentlichen Hand gegenüber dem privaten Bürger und dem privaten Immobilienmarkt gesehen werden. Zunächst sollte es jedem Hauseigentümer überlassen bleiben, ob er aktuelle Leerstandsprobleme „auszusitzen“ versucht oder ob er auf diese mit Abriß reagiert. Eine Berechtigung
der öffentlichen Hand, in diese Überlegungen einzugreifen besteht erst dann, wenn sich mit
der Leerstandsentwicklung strukturelle Probleme verbinden, welche sich insgesamt negativ auf
die Stadt, deren Bewohner und die Entwicklungschancen der Stadt verbinden. Hierbei dürfte es
wohl unzweifelhaft in jedem Fall legitim sein, den Hauseigentümer mit verschiedenen Anreizen
oder auch Zwangsmitteln dazu zu bewegen, Gebäude von städtebaulichem und/oder denkmalpflegerischem Wert zu erhalten.
Wie bis in die zweite Hälfte der 1990er Jahre zurückreichende Beobachtungen des Leipziger
Altbaubestands erweisen, schien ein solches strukturelles Problem in einzelnen Stadtvierteln
tatsächlich zu bestehen. Die Reaktion der Stadtplanung, auf diese Probleme mit verstärkten
Abrissen zu reagieren, erschien wenn auch nicht zwingend, so aus der damaligen Situation
heraus zumindest nachvollziehbar. Seit etwa 2000 aber beginnt sich die Lage in Leipzig durch
einen stetig steigenden Zuzug in die Altbaugebiete zu verbessern. Im Gegensatz dazu konnte
die Auszugsbewegung in den Plattenneubaugebieten am Stadtrand nicht gestoppt werden,
trotzdem die Stadtplanung versuchte, diese Entwicklung in städtebaulich und sozial verträgliche Bahnen zu lenken. Nach Einschätzung der für den Stadtumbau Ost zuständigen Transferstelle in Erkner wird das Leerstandsproblem vorerst noch nicht einmal mit den insgesamt für
Abrisse vorgesehenen Mitteln gelöst werden können1. „Das Durchschnittsalter der Mieter in
den Plattenbausiedlungen steigt. Spätestens in 15 bis 20 Jahren bekommen wir einen neuen
Leerstandsschub“, so die dafür zuständige Projektleiterin. Das bedeutet, daß jeder Euro aus
Fördermitteln, der in den Abbruch eines Altbaus gesteckt wird, für die Bewältigung des Leestandsproblems im industriellen Wohnungsbau fehlt. Da etwa die Bevölkerung der Großsiedlung
Grünau kurz-, mittel- und langfristig unaufhaltsam auf ein Bruchteil ihrer ursprünglichen Größe
schrumpft, kommt man - wenn man Grünau als Stadtteil tatsächlich erhalten will - um einen
flächigen Abriß ganzer Wohnquartiere oder gar Wohnkomplexe nicht herum. Ohne flächige Teilabrisse entstehen hier strukturelle Probleme, die letztlich zu einem sozial unverantwortlichen
Niedergang Grünaus insgesamt führen werden. Mitbetroffen wären dann auch die ansonsten
überlebensfähigen Bereiche.
1 - Leipziger Volkszeitung vom 19.06.2006, siehe auch
Die Welt vom 20.06.2006
„Perforierte Stadt“ als Realität: Die Merseburger
Straße in Plagwitz. Im Wettlauf zwischen Sanierung
und fördermittelbedingtem Abbruch löst sich die
Stadt auf. Die ehemals klare Struktur des Wechsels
von geschlossener Bebauung, Straßen, Plätzen und
Grünanlagen wurde durch eine lose Abfolge von
Brandgiebeln und ungenutzten Brachflächen ersetzt. Im euphemisierenden Planerdeutsch: „Mehr
Qualität durch mehr Freiräume“ - tatsächlich
schlicht eine Abfolge von Fehlstellen.
Stadtforum Leipzig
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Oktober 2006
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„Umstrukturierungsgebiet“ Mariannenstraße. Das geschlossen erhaltene Gründerzeitquartier, das ausnahmslos aus
ausgewiesenen Baudenkmalen besteht, soll laut KSP Ost in
eine Wiese verwandelt werden.
Obwohl nicht einmal für die infolge der Flächenabrisse in den
1980er Jahren entstandenen Brachflächen eine Neugestaltung
vorgenommen wurde, beginnt man, die angrenzende noch
geschlossene Bebauung in ebensolche Brachen zu verwandeln.
Das Eckhaus Hermann-Liebmann-Straße 43/ Rabet (Bildmitte) ist zum Abbruch vorgesehen. Die stadträumliche Fassung
des gerade angelegten Stadtparks würde damit verloren
gehen.
1
2
3
4
5
6
Der „Dunkle Wald“.
Mehr „Dunkler Wald“.
Noch mehr „Dunkler Wald“.
Auszug aus dem Konzeptionellen Stadtteilplan (KSP) für den
Leipziger Osten, Stand 2003.
Quelle: Stadt Leipzig, www.leipzig.de (Stadtentwicklung)
Lediglich die hellblau und
braun angelegten Gebiete sind
als „konsolidiertes Gebiet“
bzw. „Erhaltungsgebiet“ nicht
direkt von Abriß und Perforation bedroht. Einzig die rot
markierten Gebäudezeilen genießen „Erhaltungspriorität“.
1
Die untenstehende Legende
gibt die Zielkategorien der
Stadtentw icklungspläne
wieder.
2
6
3
5
4
violett = Bestandsanpassungsgebiete,
in denen die Anpassung und Qualifizierung der Bebauung
für ein künftig realistisches Nutzungsmaß sowie die Nutzung
vorhandener oder entstehender Baulücken für die Wohnumfeldaufwertung im Mittelpunkt stehen. Gebäudesicherung
nachrangig, Teilrückbau von Gebäuden und Neuanlage von
Freiflächen vorrangig.
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hellgrün = Umstrukturierungsgebiete,
für die eine längerfristige Strukturveränderung mit teilweise noch offener Entwicklungsperspektive erforderlich ist.
Instandsetzung und Modernisierung nachrangig, Gebäudesicherung nur in Sonderfällen.
dunkelgrün = Umstrukturierungsgebiete mit Priorität,
für die eine kurz- bis mittelfristige Strukturveränderung zur
Entwicklung neuer Bebauungsstrukturen oder übergeordneter Freiräume umgesetzt werden soll.
Abbruch und Teilrückbau vorrangig,
Gebäudesicherung nachrangig.
Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Beispiel Leipziger Osten
Leipzigs Osten verfügt über eine Vielzahl von architektonisch und städtebaulich anspruchsvollen Quartieren. Gutbürgerliche gründerzeitliche Wohnlagen wechseln mit zeitgleich entstandenen Arbeiterwohnquartieren, die ebenfalls über beachtliche städtebauliche Qualitäten
verfügen. Die zur Erbauungszeit der Gebäude Ende des 19. Jh. relativ hohen Bodenpreise im
Leipziger Osten zwischen 36 bis 100 Mark (im Vergleich dazu betrugen die Kosten im Leipziger
Westen ca. 20 bis 30 Mark)1 sind ein Beleg für diese Qualität. Zudem verfügen die östlichen
Stadtteile über eine Fülle von teils sehr großen, teils kleineren Grünflächen in Form von Stadtparks und Stadtplätzen. Viele der hier befindlichen Wohnquartiere weisen großzügig begrünte
Hofbereiche auf Der Leipziger Osten geriet Ende der 1990er Jahre verstärkt in den Fokus der
Leipziger Stadtplaner. Sie erkannten frühzeitig das Problem, daß Stadtentwicklung nicht zwingend Wachstum, sondern gegebenenfalls Schrumpfung bedeuten kann. Speziell für den Leipziger Osten entwickelte man daher Instrumente, die über Leipzig hinaus ein Vorbild für jene
Städte abgeben sollten, denen die Erkenntnis des Schrumpfens noch bevorstand.
Auf dem Höhepunkt des Leipziger Bevölkerungsrückgangs und Wohnungsleerstands plante man
für die historischen östlichen Stadtteile den Abriß von ca. 30 % der vorhandenen Wohnbebauung. Diese Strategie wird seither in vollständiger Negierung der massiven Zuzüge in den Leipziger Osten (7 % vor allem junger Leute und Familien seit den letzten Jahren) verfolgt.
Zwei der Handlungsschwerpunkte sind bisher das Rabet und die Wurzner Straße. Der Flächenabriß am Rabet ist heute weitgehend abgeschlossen. Er fand in einem Bereich statt, in
dem schon zu DDR-Zeiten flächenhafte Abrisse erfolgten. Betroffen waren vorgründerzeitliche
Bauten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts mit einer zumeist sehr geringen Wohnqualität. Die
betroffenen Flächen wurden und werden von der Stadt aufgekauft und dauerhaft zu einem
attraktiven und großflächigen Stadtteilpark umgestaltet. Die umliegenden Stadtviertel konnten
so deutlich aufgewertet werden. Der Park wird von der Bevölkerung lebhaft angenommen. Diese neu entstandene Qualität wird jedoch von Seiten der Stadtplanung selbst zum Teil wieder
aufs Spiel gesetzt, indem sie weitere Abrisse innerhalb der nun den Park begrenzenden Raumkanten zuläßt bzw. selbst initiiert (Bsp. Häuserblock an Hermann-Liebmann-Straße 43).
Im Bereich der Wurzner Straße setzt die Stadt mit sehr hohem planerischem und finanziellem
Aufwand ihr Konzept des sogenannten „Dunklen Waldes“ und des „Lichten Haines“ um. Entlang
der vorhandenen Hauptstraße werden die Hauseigentümer massiv bedrängt, ihre gründerzeitlichen Wohnhäuser abzureißen und unter Beibehaltung des Baurechts eine Gestattungsvereinbarung (im Regelfall 10 Jahre) über eine Zwischennutzung mit der Stadt abzuschließen.
Zahlreiche teils unsanierte, teils teilsanierte Häuser wurden so bereits abgerissen. Andere Hauseigentümer verweigern jedoch standhaft ihre Einwilligung. Dies geschieht teilweise auch am
Rabet, etwa in der Eisenbahnstraße. Sie planen statt dessen ihre Häuser zu sanieren und nach
Möglichkeit zu vermieten, wie sie dies bereits in der Vergangenheit getan haben. In den durch
neuere Abrisse entstandenen Baulücken hat die Stadt in hoher Dichte Bäume – den sogenannten „Dunklen Wald“ – pflanzen lassen. Erreicht wurde so allein eine Perforierung der vormals
intakten Stadtstruktur. Weder ist das Konzept wegen des Widerstands der Hauseigentümer
flächig umsetzbar, noch konnten auf diese Weise wirklich attraktive Aufenthaltsräume entstehen. Zusätzlich dringt nun Verkehrslärm in vormals ruhige Innenhöfe, wodurch jetzt auch der
Wohnwert der Nachbarstraßen beeinträchtigt wird. Die verbleibenden freigestellten Gebäude
verlieren massiv an Attraktivität und Wert. Die fehlende Isolierung der freigelegten Brandwände führt zu Bauschäden. Sie beeinträchtigt die Chancen der Vermietung und muß auf Kosten
des privaten Eigentümers wieder angebracht werden (Durchschnittskosten ca. 10.000 Euro).
Mehrkosten und sinkender Wert der Gebäude setzen eine Spirale weiteren Verfalls und Abrisses in Gang. Das gesamte Viertel stellt sich mittlerweile als ein optisch zerrissener und kaum
mehr urbaner Raum dar. Potentielle Investoren meiden deshalb solche Umgestaltungs- bzw.
Rückbaugebiete, obwohl sie gerade hier dringend benötigt würden. Der latente Wertverfall der
betroffenen Grundstücke bringt nicht nur den Grundstücksmarkt partiell zum Erliegen. Es geraten auch die privaten Hauseigentümer mit ihren bereits sanierten und vermieteten Häusern
unverschuldet in größte finanzielle Schwierigkeiten, da die zur Weiterführung der Finanzierungen benötigten Beleihungswerte gegen Null tendieren.
Stadtforum Leipzig
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Oktober 2006
1 - Leipzig und seine Bauten. Hg. v. d. Vereinigung
Leipziger Architekten und Ingenieure. Leipzig 1892,
S. 364-36.
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Areal Mariannenstraße - Bennigsenstraße Torgauer Straße - Hermann-Liebmann-Straße
Dieses homogen mit hochwertigen vier- und fünfgeschossigen Mietshäusern im Jugendstil und
der Neorenaissance bebaute Areal ist bis auf zwei sich gegenüberliegenden kleinen Baulücken
in der Eisenbahnstraße nahezu im Zustand der Erbauungszeit erhalten. Durch umfangreiche Instandsetzungen gegen Ende der DDR in einem substantiell sehr guten Zustand, ist dieses einmalige Ensemble von Totalabbruch und Perforation akut bedroht. Trotz teilweiser Konsolidierung,
hier besonders die linke Seite der Mariannenstraße durchgehend, ist dieses Gebiet im KSP-Ost
als „Umstrukturierungsgebiet“ und „Bedarfsanpassungsgebiet“ ausgewiesen. Dieser unerträgliche Planungszustand führt zum dramatischen Wertverfall der betroffenen Grundstücke, damit
verbunden ihre Unverkäuflichkeit und Beleihungsunfähigkeit. Das Resultat ist ein völliges Ausbleiben jeglicher Investitionstätigkeit, obwohl das Entwicklungspotential dieser Gebäude von
den Rahmenbedingungen her als gut einzustufen ist. Insbesondere die zu DDR-Zeiten erfolgte
komplette Entkernung der Innenhöfe unter Schonung des Altbaumbestandes und wertvoller
Hintergebäude besonders in der Eisenbahnstraße, ist eine parkartige Struktur entstanden. Die
Wohnungs- und Zimmergrößen sind auch unter heutigen Bedingungen als marktfähig einzustufen. Auf Grund des guten baulichen Zustandes, welcher meist nur durch Vandalismus und Plünderung oder abgebrochene Sanierung beeinträchtigt ist, erscheint auch eine Zwischennutzung
als machbar und sinnvoll, zumal die Wohnungen in der Vergangenheit mit Innen-WCs und Bädern
versehen wurden.
Alle abgebildeten Details befinden sich an Gebäuden, die gemäß Konzeptionellem Stadtteilplan Ost
einer grünen Wiese weichen sollen.
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Ludwigstraße 127
Mariannenstraße 78
Mariannenstraße 103
Mariannenstraße 93
Ludwigstraße 127
Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Abbruch der Baudenkmale Täubchenweg 90-92
und Köbisstraße 11
Im August 2006 mußten im Stadtteil Reudnitz drei wichtige und stadtbildprägende Baudenkmale
einem geplanten Neubau eins Seniorenheims weichen. Das hinter ihnen liegende Häusergeviert
ist bereits nahezu vollständig saniert. Eine Entwicklung der Gebäude wäre machbar gewesen.
Der alte Baumbestand in dem recht geräumigen Innenhof wäre ein weiterer Standortvorteil
gewesen. Trotz weit überdurchschnittlicher Ausstattung im Innern und der Fassaden wurden
selbst minimale Standards denkmalpflegerischer Bergung von Originalfragmenten unterlassen.
Durch den gleichzeitigen Abbruch der gründerzeitlichen Gebäude Täubchenweg 85-87 auf der
gegenüberliegenden Seite der Straße im Auftrag desselben Eigentümers verschwand innerhalb
weniger Tage ein vollständiger historischer Kreuzungsbereich im Ortsteilzentrum von Reudnitz.
Das herrschaftliches Wohnhaus Köbisstraße 11 (erbaut um 1900) war eines der prachtvollsten
Wohnhäuser des Viertels überhaupt. Besonders bemerkenswert waren das repräsentative Portal und die große stuckverzierte Halle. Breite Treppen führten in die Wohnungen. Das Haus
wies Stilelemente von Jugendstil und Neurenaissance auf. In den Wohnungen fanden sich üppige Stuckdecken im Jugendstil, Parkettfußböden, Zimmertüren ein- und zweiflüglig mit in der
Mittelachse tiefen gestemmten Futtern. Die ehemalige Hausbesitzerwohnung im 2. OG war mit
einer getäfelten Holzdecke und Schiebetüren zwischen den Zimmern im Stil der späten 1920er
Jahre mit Anflügen des Art Déco ausgestattet. Die Fassade mit ihren Erkern und Mittelbalkonen
war zu DDR-Zeiten gemeinsam mit der Rückfront neu verputzt und dabei vereinfacht worden.
Das gesamte Haus war wohlerhalten und hätte lediglich einer einfachen Sanierung bedurft.
Nach Informationen des Stadtforums soll an die Stelle dieses Gebäudes später die Tiefgaragenzufahrt des Seniorenheims angelegt werden. Das nach einer Auflage der Denkmalpflege zu
bergende Portal wurde beim Abbruch zerstört, von der reichen Innenausstattung wurde noch
nicht einmal das Parkett geborgen.
Mit dem Gebäude Täubchenweg 90 (um 1900) wurde ein elegantes Jugendstilhaus mit gediegenem Interieur abgebrochen. Unter anderem hatten sich drei originale Öfen mit Gußtüren in
einem sehr guten Zustand erhalten. Obwohl nach Kriegsschäden Teile des Obergeschosses nur
unvollständig wiedererrichtet worden waren, hatte sich der äußerst prächtige Gesamteindruck
erhalten. Trotz vorhandenen Bauschäden befand sich der Bau in einem sanierungsfähigen Zustand. Hier wurden noch nicht einmal die wertvollen Öfen gesichert.
Das Eckgebäude Täubchenweg 92 (1904) hatte eine höchst bemerkenswerte Jugendstilfassade. Diese war mit reichen figürlichen Antragsarbeiten - überwiegend üppigen Frauenfiguren geschmückt. Die großzügige Treppenanlage war mit doppelten, fast mannshohen Antrittpilaren
(Treppenhaussäulen) ausgestattet, die Wohnungen mit zweiflügligen Stubentüren, Stuckdecken
und Edelholzfußböden. Bei diesem Gebäude bestand aufgrund jahrelanger Vernachlässigung
zuletzt akute Einsturzgefahr. Dennoch hätte der Erhalt wenigstens der Fassade und des Treppenhauses in Erwägung gezogen werden müssen. Völlig unverständlich bleibt, daß bei dem Abbruch keine Fassadenteile geborgen wurden. Allerdings wurde hier zumindest eine der großen
Treppenhaussäulen gesichert.
Wohlerhaltenes großbürgerliches Wohnhaus
Köbisstraße 11: vom reichen Interieur - u.a. holzgetäfelte Decken, mehrflügelige Schiebetüren mit
Ätzglasdekor, Eichenparkett - blieb nichts erhalten.
Nicht einmal das Portal (Bild oben) wurde geborgen.
Stadtforum Leipzig
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Oktober 2006
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Beispiel Grünau
Der Stadtteil Grünau ist zwischen 1976 und 1988 als drittgrößter Standort des industriellen Wohnungsneubaus in der DDR westlich der historischen Stadtgrenzen Leipzigs errichtet worden. Seit
1990 ist Grünau ein Schwerpunkt der Leipziger Stadtplanung sowie des Einsatzes von öffentlichen Fördermitteln und Steuervergünstigungen. Seit 1990 sind allein aus Mitteln der Wohnungsbauförderung und des Städtebauförderprogramms „Weiterentwicklung großer Neubaugebiete“
insgesamt weit über 50 Mio Euro zur Wohnumfeldverbesserung ausgegeben worden. Begleitet
wurden diese Maßnahmen von baulichen Aktivitäten wie dem Neubau des „Allee-Centers“ und
dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. In Anbetracht der Defizite aus DDR-Zeiten erschienen
diese Maßnahmen zunächst dringend erforderlich, ahnte doch noch niemand den künftigen
Leerstand. 1999 setzte in Grünau der Rückbau von Wohnraum ein. Inzwischen sind von den
ehemals ca. 36.000 Wohnungen etwa 3.800 abgerissen worden. Trotz dieser Bemühungen ist die
Bevölkerung im selben Zeitraum von ursprünglich knapp 90.000 Einwohnern um bereits 40.000
zurückgegangen. Diese rückläufige Tendenz hält unvermindert an. Der derzeitige Leerstand
beträgt 22 % und betrüge ohne die erfolgten Abrisse sogar 28 %.
Als im Juni 2006 in Magdeburg der Bundesverband für Wohneigentum und Stadtentwicklung
(vhw) die „Nachfrageentwicklung nach Plattenbauwohnungen in ostdeutschen Städten“ zum
Tagungsthema machte, konnte die seit 20 Jahren aus Westdeutschland bekannte Tendenz anhand neuester Milieustudien erstmals mit Prognosezahlen unterlegt werden1. Das ernüchternde
Fazit: die „Platte“ hat keine Zukunft. Benjamin Poddig von der Forschungsgruppe WohnWissen
des vhw belegte die Einschätzung mit den Ergebnissen repräsentativer Befragungen. Danach
erhält der Plattenbau bundesweit gegenüber allen anderen Gebäude- und Siedlungstypen in einer Werteskala nach dem Schulnotensystem übereinstimmend die schlechtesten Noten von den
Befragten. Betrachtet man zusätzlich die Alters- und Sozialstruktur der heutigen Bewohner, so
zeichnet sich ein Segregationsprozeß ab: Es dominiert die Generation „55 plus“, zusammengesetzt aus „traditionsbewußten“ und „DDR-nostalgischen“ Milieus, die sich als generell „immobil“ charakterisieren lassen. Poddig: „Es sind Bewohnergruppen, die ab 2015/2020 aus dem Bevölkerungsspektrum zunehmend verschwinden und ihre Werte an die Kinder nicht weitergeben
können. Junge ziehen in die Siedlungen kaum noch nach.“ Der alarmierende Tatbestand dabei:
die Sanierung der Siedlungen ändert an diesem Befund nur wenig.
Dauerhafte Zuzüge sind auch in Grünau nicht zu verzeichnen. Letztlich werden hier vor allem Rentner wohnen bleiben, doch auch dies ist ungewiß, wenn der Leerstand noch weiter
zunimmt. Absehbar ist allein, daß auf die Rentner keine Neuzuzüge folgen werden. Trotzdem
soll Grünau nach dem Willen der Stadtplaner auch weiterhin ein Schwerpunkt der Leipziger
Stadterneuerung sein. Durch die Sicherung weiterer Förderprogramme (Soziale Stadt, EFRE)
soll mit hohem Mitteleinsatz die Aufwertung und Stabilisierung weiter befördert werden. Auch
die Gebäudesanierung durch öffentliche Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften
schreitet voran. Selbst wenn seit diesem Jahr der Ansatz verfolgt wird, sich bei den künftigen
Sanierungen auf den Kernbereich des Stadtteils Grünau zu konzentrieren, erfolgen die Abrisse
weiterhin nur punktuell und keinesfalls in der Fläche. Im Ergebnis dünnt der Stadtteil Grünau
unaufhaltsam weiter aus mit allen negativen Folgen für die dortigen Bewohner, aber auch für
die Einwohner in anderen Leipziger Stadtteilen. Hierzu sei nur ein Beispiel angeführt. Während
in Leipzig-Grünau die in der Fläche vorhandenen Kindertagesstätten nicht annähernd ausgelastet sind (2002: die Kinderkrippen zu ca. 45%, die Kindergärten zu ca. 80 % und die Horte zu
ca. 75 %), kann in den vergleichsweise kinderreichen Altbauquartieren die Nachfrage oft nicht
gedeckt werden. Hier überschreitet die Auslastung regelmäßig sogar die Marke von 100 %. Zudem wird die geringe Auslastung in Grünau in vielen Fällen nicht einmal durch Kinder aus dem
direkten Wohnumfeld gewährleistet. Wegen des gravierenden Mangels an Kindertagesstätten
in den Altbauquartieren weichen viele Eltern auf die freien Kapazitäten in Grünau aus und
nehmen dafür z. T. sehr weite und zeitaufwendige Wege in Kauf.
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Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Großsiedlungen insgesamt
Während der Anteil der komplett sanierten Wohnungen in Grünau im Jahr 2000 nur bei 54 %
lag, betrug er in den anderen Großsiedlungen des industriellen DDR-Wohnungsbaus bereits 70
%. Zum Vergleich dazu lag er bei den Wohnanlagen der Zwischenkriegszeit, die in der Regel
vergleichbare Wohnansprüche befriedigen, dies jedoch im Regelfall in einem städtebaulich und
architektonisch deutlich höherwertigen Rahmen, erst zwischen 50 und 60 %. Durch die mittlerweile in allen Großsiedlungen vorgenommenen Sanierungen würde ein flächiger Abriß heute
stets auch bereits sanierte Wohngebäude betreffen. Dieser Umstand ist auf das Fehlen einer
langfristig tragfähigen - also flächenhaften - Strategie für den Umgang mit den Großsiedlungen
zurückzuführen.
Zu diesen Versäumnissen kommt das Fehlen eines planerischen Ansatzes hinsichtlich der städtebaulichen Gesamtqualität des Leipziger Stadtraums. So wurden beispielsweise die städtebaulich im hohen Maße störenden überdimensionierten 11-Geschosser im südlichen Musikviertel
aufwendig saniert, anstatt sie in der Höhe zumindest der Umgebungsbebauung anzupassen.
Ähnliches läßt sich für die 11-Geschosser in Lößnig im Bezug auf das Landschaftsbild im Umfeld
des Lößniger Erholungsparks feststellen. Durch eine massive Aufstockung mit Schrägdächern
wurden die negativen Wirkungen sogar noch zusätzlich verstärkt. Der von der Stadtplanung beschworene Mut zu kräftigen flächigen Einschnitten in die Substanz beschränkt sich bislang noch
immer auf die Altbauquartiere, vor allem auf den Leipziger Osten.
Nicht unerwähnt bleiben soll, daß es natürlich auch unter den in industrieller Fertigung errichteten Wohnquartieren solche mit vergleichsweise hoher Qualität und städtebaulichem Anspruch
gibt. Als solche Quartiere, die für die Stadtgestalt und deren bauhistorische Vielfalt insgesamt
eine ebenfalls wichtige Rolle spielen, seien z. B. die Bebauung um den Dorotheenplatz oder das
Bauensemble westlich der Straße des 18. Oktober und die Kernzone des Stadtteils Grünau um
die Stuttgarter Allee genannt.
1 - Die Welt vom 01.07.2006
Ausweisung von neuem Bauland
Trotz zahlreicher im Einzelfall auch sehr großflächiger vorhandener Brachen und Baulücken
innerhalb der gewachsenen Stadt (bedingt durch Krieg und Abbruch) wird nachwievor neues
Bauland ausgewiesen. Betroffen sind mitunter gerade auch besonders sensible Lagen, etwa
unmittelbare Randlagen des Auwaldes, die noch nie zuvor bebaut waren oder fürs Stadtklima
wichtige Kaltluftkorridore (u.a.: Auensiedlung in Böhlitz-Ehrenberg; Rosenthalterrassen an der
Stallbaumstraße mit über 170 neuen Wohnungen; Wohnsiedlung in Probstheida; Süd-Wiederitzsch
in der Aue der Nördlichen Rietzschke; Lindenthal am ehemaligen Flugfeld).
Stadtforum Leipzig
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Oktober 2006
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Verkehrsplanung
Seit den 1990er Jahren ist es in Leipzig gelungen, die Verkehrsinfrastruktur auf ein in jeder
Hinsicht westeuropäischen Standards entsprechendes Niveau zu heben, was von großer Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit der Stadt ist. Zahlreiche kleinere und größere Straßen wurden so
umgestaltet, daß sie den Anforderungen des fließenden und des ruhenden Verkehrs wie auch den
Bedürfnissen der Anwohner und Passanten entsprechen. Aktuellstes Beispiel ist die gerade in
diesem Jahr fertiggestellte Lützner Straße im Stadtteil Lindenau. Leider wurden jedoch bei der
Trassenplanung und Dimensionierung gerade der größeren Verkehrsachsen oftmals städtebauliche
Fragen sichtbar zurückgestellt. Mitunter bedingten nur zeitlich begrenzt zur Verfügung stehende
Finanzierungsmöglichkeiten (Bsp. WM 2006 - Olympia Sofortprogramm) unausgewogene Planungen. Einer rein verkehrstechnischen Optimierung wurde in vielen Fällen deutlich der Vorrang vor
Rücksichtnahme auf städtebauliche Gegebenheiten und städtebauliche Potentiale eingeräumt. Einige Trassen, wie etwa die neue B2 im Leipziger Osten, die innere Jahnallee oder die Georg-Schumann-Straße wurden so weitgehend aus- bzw. neugebaut, daß sie nur noch eine eingeschränkte
Aufenthaltsqualität besitzen. In mehreren Fällen sind generelle Zweifel an der Notwendigkeit
und den Dimensionen solcher Ausbaumaßnahmen angebracht. Zudem ist bereits heute absehbar,
daß sich viele ambitionierte Verkehrsplanungen der 1990er Jahre aufgrund leerer kommunaler
Kassen und des Rückgangs von Transfergeldern nicht im vorgesehenen Umfang werden umsetzen
lassen und Gefahr laufen, Stückwerk zu bleiben. Dazu gehören die Schließung des Mittleren Rings
oder der flächendeckende Ausbau der Straßenbahn als Stadtbahn. So wird seitens der Leipziger
Verkehrsbetriebe angestrebt, das bestehende und voll funktionsfähige Straßenbahnnetz für den
Einsatz von Bahnen mit einer größeren Wagenbreite neu zu errichten. Besonders schmerzlich ist,
daß bereits mehrere außerordentlich wertvolle Gebäude der Ausweitung der Verkehrsflächen
weichen mußten. Weitere Abbrüche im Denkmalbestand sind bereits geplant.
Das Beispiel Henriette-Goldschmidt-Haus und die Friedrich-Ebert-Straße
Auftakt der Vernichtung von besonders wertvollen Denkmälern im gründerzeitlichen Altbaubestand Leipzigs war der Abbruch des Henriette-Goldschmidt-Hauses im Jahr 1999. Besonders
fragwürdig wurde der Abriß dieses Gebäudes durch den Umstand, daß weder zum Abrißzeitpunkt noch heute ein verkehrstechnisches Erfordernis erkennbar war bzw. ist. Es gibt in Leipzig
Die Gebäudezeile Friedrich-Ebert-Straße 18, 16 und
14 vor dem Abbruch.
wohl kaum eine formale Hauptstraße, die selbst zu Hauptverkehrszeiten ein dermaßen geringes
Verkehrsaufkommen aufweist wie die Friedrich-Ebert-Straße.
Dem 1871 errichteten spätklassizistischen Wohnhaus kam nicht nur eine hohe Bedeutung als
Baudenkmal zu. Das Haus verband sich mit einer enormen historischen Bedeutung in Bezug auf
das ehemals reiche jüdische Leben Leipzigs wie auch bezüglich der Anfänge der Frauenbewegung. 1889 hatte das Gebäude der „Verein für Familien- und Volkserziehung Leipzig“ erworben,
den Henriette Goldschmidt 1871 gegründet hatte. Sie war eine Mitbegründerin der bürgerlichen
Frauenbewegung und eine führende Fröbelpädagogin in Deutschland. Sie lebte selbst 31 Jahre in
dem Haus. Es wurde Heimstatt eines Volkskindergartens, des Seminars für Kindergärtnerinnen,
des Lyzeums für Damen, eines Schülerinnenpensionats und eines Seniorenheims. 1921 erhielt
das Haus seinen späteren Namen und wurde in die Henri-Hinrichsen-Stiftung eingegliedert, die
der Stadt in treuhänderische Verwaltung zum Zwecke der Frauenbildung übergeben wurde.
1939 schlugen die Nationalsozialisten die Buchstaben des Namensreliefs der Jüdin Henriette
Goldschmidt über dem Hauseingang ab; 1942 ermordeten sie Henri Hinrichsen im KZ AuschwitzBirkenau. 1990 wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt. Es repräsentierte mit den
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Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
etwa zeitgleich entstandenen Gebäuden Friedrich-Ebert-Straße 14 und 18 und der noch älteren
21 die ursprüngliche Bebauung der ehemaligen Hauptgeschäftsstraße der inneren Westvorstadt.
Bereits in den 1960er Jahren wurden entsprechend dem Leitbild der autogerechten Stadt eine
teilweise, schon damals für den tatsächlichen Verkehr überhaupt nicht erforderliche Straßenaufweitung durchgeführt. Diesen Abrissen folgten weitere schmerzliche Häuserabrisse in den
1980er Jahren. Insgesamt blieb an dieser für die erweiterte historische Innenstadt wichtigen
Stelle ein heterogenes Bild. Dennoch ließen die noch vorhandenen Gebäude und Straßenführungen die stadtbaugeschichtlichen Zusammenhänge noch gut erkennen.
„Die Kulturstadt Leipzig hat, statt Besonnenheit
und Weitsicht walten zu lassen und Bürgerinteressen
ernst zu nehmen, ein wertvolles Zeugnis Leipziger
Kulturgeschichte aufgegeben. Die Stadt, die dem
Andenken der einst fünfzehntausend jüdischen
Bürgern verpflichtet ist, hat, statt eines der letzten
sichtbaren Zeichen von deren Wirken zu erhalten
und für aktive Erinnerungsarbeit zu nutzen, die
Wirkungsstätte Henriette Goldschmidts und das Stif-
In einer 1995 seitens der Stadtverwaltung vorgelegten Planung zur Umgestaltung der Friedrich-Ebert-Straße wurden nun nicht, wie allgemein erwartet, taugliche Pläne für eine urbane
Aufwertung, Wiederverdichtung und Wiederherstellung der stadträumlichen Typik der Straße
vorgelegt, sondern Pläne, welche die nur teilweise realisierte Verkehrsplanung der 1960er Jahre
konsequent zum Abschluß brachten. Neben einer maßstablosen und verkehrlich unsinnigen Straßenraumverbreiterung war der Abbruch von insgesamt sieben Baudenkmalen vorgesehen. Durch
ausdauernden Protest erreichten die Leipziger Bürger eine weitreichende Reduzierung der
Ausbaupläne wenigstens im Nordabschnitt der Straße. Für den Südabschnitt blieb es bei der von
der Verwaltung gewünschten Rückversetzung der Baukante um nicht weniger als zwölf Meter
inmitten eines gewachsenen innerstädtischen Wohnquartiers. Die dafür im Weg stehenden drei
Baudenkmale, die Häuser Friedrich-Ebert-Straße 14 und 18 sowie das Henriette-GoldschmidtHaus (Nr. 16), wurden zum Abriß freigegeben und damit die bestehenden Chancen für eine ReUrbanisierung des Straßenraumes vollends vertan.
tungsvermächtnis Henri Hinrichsen verloren.“
Friedrich Magirius, Nachruf auf ein Haus, in:
Leipziger Blätter 36, S. 58
Zahlreiche und vielfältige Rettungsversuche für das Gebäude waren vergebens. Weder der
anhaltende und breite Widerstand der Leipziger Bürger, noch die dringenden Appelle von prominenten Persönlichkeiten, wie Hildegard Hamm-Brücher oder Ignatz Bubis, vom Deutschen
Akademikerbund und vom Verband ehemaliger Leipziger Juden in Israel bewirkten ein Umdenken der Stadtverwaltung. Ebenfalls nicht akzeptiert wurde das Angebot eines engagierten Bürgervereins, das Haus aus eigener Kraft zu sanieren und es danach gemeinsam mit interessierten
Nutzern zu bewirtschaften.
Die südliche Friedrich-Ebert-Straße heute:
Eine vollkommen überdimensionierte Trasse von
herausragender Trostlosigkeit. Die dringend gebotene Verknüpfung der inneren Westvorstadt mit
dem Bachstraßenviertel wird durch die maßlose
Straßenaufweitung dauerhaft massiv erschwert.
Das Beispiel Waldplatz
Im Sommer 2005 wurde mit dem am Waldplatz gelegenen Gebäude Friedrich-Ebert-Straße 95a
erneut ein klassizistisches Baudenkmal dem Straßenausbau geopfert. Mit dem 1862 errichteten
Gebäude verlor der städtebaulich bedeutsame Waldplatz seine gesamte Südwestbebauung. Der
abgerissene Bau war das älteste Gebäude und der letzter Zeuge für die vorgründerzeitliche Stadterweiterung in diesem Gebiet. Mit dem gegenüberliegenden prachtvollen Waldplatzpalais bildete
er gleichsam das Tor zum Waldplatz, an den sich westlich die breite, weitgehend unbebaute und
baumbewachsene äußere Jahnallee anschließt. Das sächsische Landesamt für Denkmalpflege hatte nachdrücklich den Wert dieser „städtebaulich wichtige Ecksituation“ betont. Grund für den
Abriß war die Einrichtung einer separaten Abbiegespur im Zuge des Ausbaus der innerstädtischen
Jahnallee zu einer mehrspurigen Fernverkehrsstraße. Der tatsächliche Bedarf für eine solche
Abbiegespur ist jedoch nur schwer ersichtlich. Nicht nur, daß an dieser Stelle vernünftigerweise
kein übermäßiger Abbiegeverkehr zu erwarten ist, gab es an dieser Stelle bislang noch zu keinem
Zeitpunkt entsprechende Probleme. Nicht zuletzt waren in die Sicherung von Dach und Fassade
dieses Hauses erst fünf Jahre zuvor 200.000 DM Städtebaufördermittel geflossen.
Stadtforum Leipzig
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Oktober 2006
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Das Beispiel Kleine Funkenburg
Trotz mehrfach widerlegter verkehrstechnischer
Notwendigkeit mußte mit der spätklassizistischen
Kleinen Funkenburg erneut ein wertvolles Baudenkmal im Hinblick auf ausgewiesene überregionale
Bedeutung einem überdimensionierten Straßenausbau weichen. Weder andauernde massive Proteste
weiter Teile der Leipziger Bevölkerung, darunter
zahlreiche Prominente aus Kunst und Kultur, noch
der ausdrückliche Erhaltungswunsch des Bundesbauministeriums (welches den Straßenausbau
finanzierte) noch eine bundesweit kritische Berichterstattung in der Presse konnten die Leipziger
Stadtverwaltung von der Zerstörung abhalten.
Im Mai 2005 wurde unter bundesweitem Medienecho und gegen
den vielfach bekundeten Willen der
Leipziger Bevölkerung das außerordentlich wertvolle Baudenkmal Kleine Funkenburg, Jahnallee 25 abgebrochen. Der im Eigentum der städtischen
Wohnungsbaugesellschaft
LWB stehende Bau mußte im Auftrag
der Stadt Leipzig der Offenlegung
des Elstermühlgrabens sowie einer
Verbreiterung der Jahnallee weichen, genauer der von den Anwohnern vehement abgelehnten und mit einer Straßenaufweitung verbundenen Verlegung einer Straßenbahnhaltestelle.
Die Kleine Funkenburg war 1850 im spätklassizistischen Stil als bürgerliches Wohnpalais durch
den wohlhabenden Brauereibesitzer Karl Wilhelm Naumann errichtet worden und markierte
den äußeren Punkt der alten Rannischen Vorstadt. Zugleich stand ihr Bau am Beginn der großen westlichen Stadterweiterung der 2. Hälfte des 19. Jh. zum Waldstraßenviertel hin. Es war
das älteste noch erhaltene Gebäude der Jahnallee. Das Gebäude bildete zusammen mit dem
Nachbargebäude Thomasiusstr. 1 (erbaut 1865) ein geschlossenes architektonisches Ensemble
und markierte die südöstliche Begrenzung des kleinen dreieckigen Platzes mit dem Brückensprengungsdenkmal von 1863. Von der Landesdenkmalpflege und anderen Fachgutachtern
wurde dem Bau ein architektonisch-künstlerischer Wert von „überregionale Bedeutung“ zuerkannt. Diese Qualifizierung bezog sich auf den Umstand, daß Mitte des 19. Jh. im mitteldeutschen Raum nur sehr wenige Bürgerpalais dieser Größe entstanden sind und weiter, daß sich
gerade die Kleine Funkenburg noch in einem Ausmaß im Originalzustand erhalten hat, der im
weiten Umfeld ohne Vergleich war. Die Innenausstattung (aufwendig gestaltete Dielenfußböden, Türen mit historischen Messingkastenschlössern usw.) war noch in weiten Teilen original
erhalten wie auch das Treppenhaus mit seiner großartigen hölzernen Treppenspindel. Im Zuge
der Abbrucharbeiten wurden illusionistische Architekturmalereien an den Wänden freigelegt,
deren Qualität und Umfang in der sächsischen Architektur der Zeit um 1850 einzigartig waren.
Im Gegensatz zu vielen anderen Baudenkmalen war dieses Gebäude baulich nicht gefährdet,
sondern in einem guten, modernisierungsfähigen Zustand.
Mehrere Leipziger Organisationen, Vereine und Initiativen sowie zahlreiche weitere Bürger
und Prominente nicht nur aus Leipzig hatten mehrfach versucht, den Abbruch zu verhindern.
So wurden etwa durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz Pläne und Gutachten erstellt,
welche die Nutzung und die verkehrstechnisch völlig befriedigende Integration des Baudenkmals in die Straßenausbaupläne in mehreren Varianten nachwiesen. Für das Gebäude gab es
zu keinem Zeitpunkt ein Nutzungsproblem. So konnten sogar noch während der Planungsphase
des Abbruchs zwei Kaufinteressenten gefunden werden, wie es auch entsprechende
Mietangebote gab.
Der Ausbau der Jahnallee, die bei sportlichen
Großereignissen vollständig für den Fahrzeugverkehr gesperrt werden wird, konnte
mit Sonderfördermitteln des Bundes für die
Fußball-WM 2006 verwirklicht werden. Noch
während der Abbruchdebatte bekundete die
Staatssekretärin im Bundesministerium für
Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen, Frau Iris
Gleicke, daß der Bund eine Integration des
Gebäudes in die Verkehrsplanung begrüßen
würde. Trotzdem wurde der Abriß durchgeführt, weil die Stadt befürchtete, durch
eine Planänderung mit der Umsetzung der
Planung in zeitlichen Verzug zu geraten.
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Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Das Beispiel Nordvorstadt
Im Dezember 2005 stellte die Stadtverwaltung ihre Planungen für die künftige sogenannte
Nord-Tangente vor. Aus dieser Verkehrsplanung läßt sich eine Gefährdung mehrerer wertvoller
historischer Gebäude und Gartenanlagen erkennen. So würde durch die Neuerrichtung einer
künftigen Hauptverkehrsstraße südlich der Parthe u.a. das Gebäude Kurt-Schumacher-Straße 43
überplant und abgerissen werden. Das um 1875 errichtete Eckhaus ist mit seinem markanten,
halbseitig freistehenden und durch alle Geschosse gehenden kuppelbekrönten Eckturm ein markantes Baudenkmal in der durch Krieg und verfehlte Stadtplanung zu DDR-Zeiten bereits schwer
gezeichneten Nordvorstadt. Diese Form der Eckausbildung ist als einziges Beispiel erhalten geblieben. Sie war typisch für die alte Nordvorstadt. In Anbetracht des bereits sanierten Zustands
und des reich ausgestatteten Treppenhauses sowie des bildkünstlerisch aufwendig gestalteten
Eingangsportals und nicht zuletzt wegen der städtebaulich reizvollen Lage am Partheufer wäre
eine Zerstörung dieses Gebäudes wegen einer solchen Straßenbaumaßnahme ein schwerer VerKurt-Schumacher-Straße 43: Die markante Eckausbildung war einst typisch für die alte Nordvorstadt.
Das unmittelbar an die Innenstadt angrenzende
Viertel wurde bereits von den Luftangriffen des
Krieges stark gezeichnet und bis heute fehlt eine
städtebauliche Konzeption für dieses Gebiet. Nun
plant die Verwaltung das inselhaft erhaltene Bauensemble um die Kurt-Schumacher-Straße 43, dem
überdies durch seine Lage am Flüßchen Parthe ein
hohes städtebauliches Entwicklungspotential zukommt, für eine Straßenerweiterung zu beseitigen.
lust. Ebenfalls zu befürchten ist, daß man auch das sanierte Nachbargebäude und das gegenüberliegende freistehende Haus der neuen Straße opfern wird, so daß der historische Stadtraum
in diesem Bereich völlig zerstört werden würde.
Absehbar sind bereits jetzt die Folgen für das Gebiet im Hinblick auf das Investitionsverhalten
der Hauseigentümer und potentieller Investoren. Wie schon das Beispiel Friedrich-Ebert-Straße
zeigt, führt die Bekundung der Stadtplanung, in einem Stadtgebiet den Abriß von Häusern für
den Straßenbau zu erwägen, mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Ausbleiben jeglicher Investitionen. Da die neue Trasse voraussichtlich erst nach 2010 verwirklicht werden soll, hieße das
mehrere Jahre Stillstand unmittelbar nördlich der Innenstadt.
Weiter können die für die Emil-Fuchs-Straße in Aussicht stehenden Eingriffe in Vorgartenbereiche eine große Gefahr für die Attraktivität und das weitere Investitionsverhalten auch in
diesem mit hochwertigen Villen bebauten Bereich darstellen. Hier sind besonders die Folgen
für die noch nicht sanierten Villen zu berücksichtigen. Das am Rande der barocken Parkanlage
Rosenthal liegende Viertel blickt auf eine bauliche Entwicklung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Es präsentiert sich bislang als eine harmonische Einheit höchstwertiger Bauten
aus verschiedenen Architekturgeschichtsepochen, für deren Gesamtbild nicht zuletzt die herrschaftlichen Vorgärten von Bedeutung sind.
Stadtforum Leipzig
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Oktober 2006
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Die Stadt als Eigentümer - die
städtische Wohnungsbaugesellschaft LWB
Die Stadt Leipzig ist der mit Abstand größte Wohnungseigentümer der Stadt. Auch ein großer Teil der
noch unsanierten Altbauten gehört ihr. Im Jahr 2000 standen von den ca. 320.000 Leipziger Wohnungen
etwa ein Viertel im kommunalen Eigentum. Verwaltet werden die städtischen Immobilien in der zu 100
% stadteigenen Wohnungsbaugesellschaft LWB. Zu denken wäre, daß die Stadt auf diese Weise einen
erheblichen Einfluß auf die Umsetzung ihrer Stadtplanungskonzepte nehmen kann. Letztlich könnte so
die Möglichkeit bestehen, daß Leipzigs Bürger selbst über den von ihnen gewählten Stadtrat und Oberbürgermeister zu großen Teilen über ihr historisches Bauerbe mitbestimmen könnten. Insbesondere
sollte man erwarten, daß das städtische Wohnungsbauunternehmen den ihm lediglich zur Verwaltung
anvertrauten Bestand an wertvollen historischen Bauten sorgsam entwickelt bzw. diesen Bestand zu
annehmbaren Marktpreisen privatisiert, falls der LWB die Möglichkeiten zu Investitionen fehlen sollten.
Die erwiesene Zukunftsfähigkeit des Altbaubestandes insgesamt und sein derzeit stetig steigender Wert
auf den Immobilienmärkten lassen seine sorgfältige Erhaltung auch aus rein betriebswirtschaftlichen
Gründen als die richtige Strategie erscheinen. Dabei kann es für den Gesamtbestand überdies sogar
betriebswirtschaftlich angeraten sein, auch solche Einzelbestände zu sanieren, die derzeit zwar nur
eine geringe Mietnachfrage zeigen, die aber nach ihrer Sanierung deutlich den Marktwert für die umliegenden Bestände erhöhen werden. So ist es für den Eindruck eines Wohnviertels genauso entscheidend, daß auch die vorgelagerte Hauptstraße nicht desolat erscheint. Der Wohnwert der rückwärtig
gelegenen Immobilien ist deutlich höher, wenn sie nicht durch Abbruchgrundstücke an der Hauptstraße
zusätzlich verlärmt werden. Manch derzeit noch schwer vermietbares Eckgebäude gibt dem dahinterliegenden Stadtviertel erst seine Prägung und Identifikation. Auch insgesamt sind es die am wenigsten
durch Abbrüche gezeichneten, baulich geschlossenen Straßenzüge, welche einen urbanen Charakter
besitzen und als Wohnquartiere besonders nachgefragt werden.
Vor diesem Hintergrund erscheint das derzeitige Agieren des städtischen Wohnungsbauunternehmens
LWB völlig unverständlich. Unbestreitbar ist zunächst, daß große Bestände der LWB in den letzten
Jahren z.T. sehr aufwendig und denkmalgerecht saniert worden sind. Andererseits verschlechtert sich
der bauliche Zustand zahlreicher der LWB anvertrauter Bauten mit zunehmender Geschwindigkeit. Daneben betreibt sie zielstrebig den Abriß eines großen Teils ihres Altbaubestandes. Davon betroffen sind
auch Objekte, in die während der 1990er Jahre erhebliche Fördermittel zur Sicherung und Teilsanierung
geflossen sind. Die Abrißanträge der LWB beinhalten sogar ganze Häuserquartiere bzw. in sich geschlossene Wohnanlagen. Interessierte private Investoren werden mit weit überzogenen Preisforderungen
vom Kauf abgehalten. Aus Sicht der LWB ist für die Preisbestimmung nicht der Marktwert eines Gebäudes entscheidend, sondern die Fördergelder, die sie durch Abrißprämien und Altschuldenerlaß erlangen
könnte. Des weiteren besteht ein ausdrückliches Interesse, Konkurrenten vom Markt fernzuhalten. Dabei könnte ein privat sanierter ehemaliger LWB-Häuserbestand sich wertsteigernd auch auf benachbarte Häuser im LWB-Besitz auswirken: Die LWB setzt jedoch ausschließlich auf die Ausschaltung jeglichen
unternehmerischen Wettbewerbs. Diese Strategie wird ganz unverhohlen auch öffentlich vertreten. So
konnte man in der Leipziger Volkszeitung nach dem Abbruch des Hauses Karl-Heine-Straße 30 im Herbst
2004 lesen1: „Sanieren will Beck [der damalige LWB-Geschäftsführer] die Gründerzeithäuser aber nicht.
<Durch den Abriß von Plattenbauten wird der Markt gerade wieder gesund. Wenn wir jetzt die alten
Häuser an den Markt bringen, konterkarieren wir diese Entwicklung.>“.
Im Januar 2005 schlugen Leipzigs Immobilienmakler Alarm und machten die stadteigene LWB für das
aktuelle Häusersterben in den Gründerzeitvierteln verantwortlich2. Sie benannten dabei mehrere Objekte, bei denen die LWB den Verkauf an Preisforderungen, die ein Mehrfaches über den Marktpreisen
lagen, scheitern ließ und stattdessen diese Häuser dem Verfall überantworteten. Einer der Leipziger
Makler äußerte in diesem Zusammenhang den Vorwurf: „Der LWB-Geschäftsführer wolle vor allem eins:
das Wohnungsangebot verknappen. In der Branche halten viele diesen Ansatz für vermessen. <Die LWB
maßt sich eine ordnungspolitische Funktion an, die ihr einfach nicht zusteht. Dadurch zementiert der
Großvermieter sein Übergewicht am Markt - zu Lasten der Stadt und ihrer Bewohner.>“.
Durch ein zu 100 % kommunales Unternehmen werden somit Gebäude und Bauensembles vernichtet,
welche einen hohen potentiellen Wert als Immobilien haben. Es sind Werte, die letztlich Leipzigs Bürgern gehören. Sie können von der LWB erwarten, daß sie diesen kommunalen Altbaubestand sorgsam
verwaltet und bewahrt. Überdies stehen die Abbrüche in einem krassen Gegensatz zu den Zielstellungen einer behutsamen Stadtentwicklung und des Denkmalschutzes.
1 - Leipziger Volkszeitung vom 18.10.2004.
2 - Leipziger Volkszeitung vom 18.01.2005 .
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Seitens der Stadtverwaltung, der von der Leipziger Bürgerschaft gewählten Stadträte und der LWB wird
jedoch betont, daß es sich bei der LWB um ein privatwirtschaftlich ausgerichtetes Unternehmen handele. Deshalb dürfe es keine Einmischung der Stadtverwaltung in die Geschäfte der LWB geben. Wenn
dem so wäre, würde es bedeuten, daß hier ein Unternehmen entstanden ist, in dem die Angestellten
losgelöst vom Unternehmenseigentümer völlig frei in ihren Entscheidungen wären. Bei einem stadteigenen Unternehmen ist eine solche Entwicklung nicht hinnehmbar. Die Bürger haben einen elementaren
Anspruch darauf, daß das städtische Eigentum im Interesse der Bürgerschaft verwaltet und gemehrt
wird. Dieses öffentliche Interesse schließt Fragen der Baukultur und des Denkmalschutzes ein.
Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Das äußerst repräsentative Eckhaus Karl-HeineStraße 30, zugleich Kopfbau der Anschlußbebauung,
markierte durch seine Lage im Scheitelpunkt der
hier aufeinanderstoßenden beiden Hauptstraßenzüge von Plagwitz das Zentrum dieses Stadtteils.
Ein Abbruchantrag des Hauseigentümers LWB wurde
1999 aus denkmalpflegerischen und städtebaulichen
Gründen abgelehnt. Die Unterlassung der Reparatur
geringfügiger Schäden führte zur Gefährdung der
Standsicherheit des Gebäudes, so daß der Abbruch
schließlich - vorbei an der Landesdenkmalpflege
- baupolizeilich angeordnet wurde.
Das Beispiel Karl-Heine-Straße 30
Im Oktober 2004 mußte das stattliche gründerzeitliche Mietshaus Karl-Heine-Straße 30, zugleich Mittelpunkt des Stadtteils Plagwitz, aus baupolizeilichen Gründen abgerissen werden.
Das Eckgebäude war bis dahin der Leitbau der sich anschließenden Bebauung und bildete den
attraktiven Blickpunkt der sich hier kreuzenden Hauptstraßenzüge von Plagwitz. Der eigentliche Grund für den Abbruch, der ohne die erforderliche Genehmigung des Landsdenkmalamtes
erfolgte,1 war die jahrelange vorsätzliche Vernachlässigung des Hauses durch den Eigentümer
LWB. Obwohl die Mieter seit langem auf eine Reparatur des in den 1960er Jahren aufwendig mit
Naturschiefer und Zinkblech eingedeckten Daches gedrängt hatten, unterließ die LWB diese notwendigen Erhaltungsmaßnahmen. Kaufinteressenten wurden mit überzogenen Preisforderungen
abgeschreckt. Zur Erklärung des Vorgangs äußerte der Geschäftsführer der LWB gegenüber der
LVZ lapidar: „Bei Mieterlösen von vier Euro pro Quadratmeter können wir nicht Baukosten von
1.400 Euro übernehmen.“ Mit hohen Abrißkosten von mehreren zehntausend Euro wurde ein
denkmalgeschütztes Gebäude im Wert von mehreren hunderttausend Euro beseitigt. Die nach
dem Abriß auf nachdrückliches Drängen der Bevölkerung und der ansässigen Gewerbetreibenden hin erfolgte Freiflächengestaltung wurde von der Stadt finanziert. In aller Deutlichkeit stellt
sich hier die Frage, mit welchem Recht Angestellte eines städtischen Unternehmens in einem
solchen Umfang öffentliche Gelder und Werte vernichten dürfen und dies unwidersprochen als
betriebswirtschaftlich zwingende Kalkulation darstellen können.
Stadtforum Leipzig
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Oktober 2006
1 - Die Lokalpresse berichtete wiederholt und ausführlich, siehe insbesondere Leipziger Volkszeitung vom
18.10.2004.
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Das Wohnensemble Zerbster Straße ist eine Inkunabel des sozialen Wohnungsbaus im Deutschland der
1920/30er Jahre. Im sanierten Zustand wäre mit
einer Vollvermietung zu rechnen. Schon mehrere
Investoren haben sich in der Vergangenheit für die
städtebaulich und architektonisch anspruchsvolle
Anlage interessiert und es wurden Kaufangebote
zum Marktwert unterbreitet. Trotzdem will die
stadteigene LWB die baulich völlig gesicherte Anlage (u.a. komplett neues Dach) lieber abbrechen.
Beweggrund sind ausschließlich die aus öffentlichen
Mitteln zu erlangenden Abbruchprämien, die in
ihrer Summe die Abbruchkosten und den Marktwert
übersteigen.
Das Beispiel Zerbster Straße
Aktuell setzt die LWB einen neuen Schwerpunkt im Abbruch von kompletten Wohnanlagen der
1920/30er Jahre. Dies betrifft das gesamte Leipziger Stadtgebiet. Im Stadtteil Eutritzsch, nur
zwei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, plant die LWB bspw. den Abriß der denkmalgeschützten Wohnanlage Zerbster Straße. Aufgrund anhaltender Proteste der Leipziger Bevölkerung und
einer deutschlandweit kritischen Berichterstattung bat Oberbürgermeister Burkhard Jung das
städtische Unternehmen, nach einem Kaufinteressenten zu suchen. Dies wurde dem Stadtforum
mit Schreiben vom 12. Mai 2006 mitgeteilt. Völlig ungeachtet dieser Bitte verlautbart die LWB
weiter öffentlich, daß sie am Abriß festhalten wird. In der am 3. Juni 2006 erschienenen Ausgabe
des Amtsblatts der Stadt Leipzig schrieb sie den Abbruch für den Zeitraum ab 1. August 2006
öffentlich aus. Damit würde eine nicht wieder zu heilende gewaltige Lücke in die Stadtstruktur
von Eutritzsch gerissen werden.
Damit würde ohne jegliche Not ein Ensemble von architektonisch und städtebaulich hohem
Rang vernichtet werden. Errichtet wurde die Anlage 1923 durch den Architekten Alfred Liebig
(1878-1952) für das damalige Wohnfürsorgeamt der Stadt Leipzig. Liebig war ein Schüler von Paul
Wallot, dem Architekten des Berliner Reichstags. Die Zerbster Straße ist eine der ersten großen
Wohnungsanlagen des kommunalen sozialen Wohnungsbaus in Leipzig und steht am Beginn einer
bedeutenden Entwicklung, in deren Verlauf u.a. die Kroch-Siedlung in Gohlis-Nord und der Rundling in Lößnig entstanden. In Eutritzsch fügt sie sich die Bebauung an der Zerbster Straße in ein
Ensemble größerer Wohnanlagen ein, zu dem die bekannten Meyerschen Häuser von 1899/1900
ebenso gehören wie eine Reihe weiterer moderner Wohnquartiere der 1920er Jahre an der Theresienstraße.
Die in ihrem Gesamtzuschnitt attraktiven Wohnungen der Anlage Zerbster Straße würden sich für
Modernisierungsmaßnahmen geradezu ideal anbieten. Hier könnten die Belange des Denkmalschutz mit denen eines zeitgemäßen Wohnens optimal vereint werden. Auch wäre im sanierten
Zustand eine gute Vermietbarkeit dieser Häuser zu erwarten, wie dies in Leipzig für sanierten
Wohnraum der 1920/30er Jahre generell zutrifft. Nicht zuletzt ist die gesamte Anlage baulich
gesichert. Sogar die Dächer sind von er LWB bereits vollständig erneuert worden. Einsturzgefahr
ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten.
1 - Die hier genannten Zahlen entstammen weitgehend
der Berichterstattung in der Leipziger Volkszeitung, vor
allem vom 18.04.2006.
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An diesem Beispiel wird deutlich, welche fatalen Auswirkungen der Einsatz von Fördermitteln
haben kann, wenn er nicht im Einklang mit einer nachhaltigen Stadtentwicklungspolitik steht.
Die Wohnanlage Zerbster Straße wurde im Rahmen des Stadtumbau-Ost-Programms nicht etwa
als Aufwertungsgebiet, sondern als potentielles Abrißgebiet ausgewiesen. Das städtische Unternehmen LWB würde für den Abriß (175 Wohnungen mit ca. 10.000 m² Wohnfläche) 60 € Abrißförderung pro m², also ca. 600.000 € erhalten1. Dazu kämen 770.000,- € Altschuldenerlaß durch
den Bund. Nach eigenen Angaben der LWB soll die anschließende Gestaltung der Grünanlage
nicht aus ihren eigenen Mitteln finanziert werden. Demzufolge müßte die Stadt Leipzig direkt
dafür aufkommen. Bei ca. 3.000 m² Fläche und erfahrungsgemäß ca. 50 €/m² Investitionskosten wären dies etwa 150.000 €. Dazu kämen noch unbezifferte Kosten für den anschließenden
Pflegaufwand. Die tatsächlichen Abbruchkosten würden dagegen zwischen 200.000 und 250.000
Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
€ betragen. Angenommen T€ 250, würde das bedeuten, daß der LWB T€ 600 + 770 – 250 = insgesamt 1.120.000 € Gewinn verblieben. Dazu käme dann noch die städtische Investition von T€
150 für das Grundstück. T€ 600 u. T€ 770 wechseln lediglich von einer öffentlichen Kasse in die
andere. Tatsächliche Ausgaben der öffentlichen Hand wären dagegen die Kosten für den Abbruch
von T€ 250 und für die Grünanlage von T€ 150. Dazu käme der Verlust der Bausubstanz, die
aktuell einen Marktwert von 500.000 € hat. Der Verlust für die öffentliche Hand betrüge also
mindestens ca. 900.000 €. Nach eigenen Angaben der LWB soll die Anlage nun sogar 2 Mio € Wert
haben. Danach betrüge der Verlust für die öffentliche Hand 2,4 Mio €. Dazu kämen 400.000 €,
die die LWB nach eigenen Angaben in den letzten Jahren in den Unterhalt der Anlage investiert
hat, ein Aufwand, der mit dem Abriß nutzlos verloren ginge. Unberücksichtigt bleiben bei dieser
Rechnung die zukünftigen Unterhaltungskosten für die Grünanlage aus Mitteln der öffentlichen
Hand (die keinesfalls gesichert sind), sowie die ausbleibenden Einnahmen aus Grundsteuer und
Infrastrukturabgaben.
Zahlreiche Leipziger haben sich bereits öffentlich
für den Erhalt der reizvollen Anlage eingesetzt. Ein
offener Brief, Unterschriftenlisten, eine Demonstra-
Der städtebauliche Schaden und der Verlust an Denkmalsubstanz werden hier ebenfalls nicht
beziffert. Insgesamt entstünde durch den Abbruch jedenfalls unmittelbar für die öffentlichen
Kassen ein Schaden, der zwischen 1 Mio und 2,5 Mio € anzusetzen ist. Der hier nicht bezifferbare
volkswirtschaftliche Schaden und der kulturelle Verlust dürften sich auf mehrere Millionen Euro
summieren. Andererseits würden bei einem Verkauf der Wohnanlage 500.000 € in die öffentlichen
Kassen fließen. Dazu würden dann die Steuern kommen, die aufgrund der Sanierung anfallen (Gewinnbesteuerung der Baufirmen, Besteuerung der Gewinne aus Vermietung, etc.). Überdies würden die Unterhaltungskosten durch die Stadt bzw. die LWB für das Grundstück sofort entfallen.
tion sowie eine deutschlandweite kritische Berichterstattung in den Medien veranlaßten OBM Jung,
die LWB zur erneuten Suche nach einem Kaufinteressenten aufzufordern. Dem Stadtforum wurde dies
in einem Brief vom 12. Mai 2006 offiziell mitgeteilt.
Völlig ungeachtet dieser Bitte des OBM schrieb die
LWB den Abbruch in der am 3. Juni 2006 erschienen
Ausgabe des Leipziger Amtsblattes für die Zeit ab 1.
August 2006 öffentlich aus.
Als Begründung für die Genehmigung des von der LWB betriebenen Abrisses wird seitens des
Stadtplanungsamtes allein und pauschal auf den noch immer zu hohen Wohnungsleerstand in
ganz Leipzig hingewiesen. Fragen der Differenzierung des Leerstandsproblems nach Wohnlagen,
der Aspekt des Kaufinteresses durch Investoren oder gar eine eventuelle Strategie, welche den
Erhalt gerade solch wertvoller Anlagen wie in der Zerbster Straße zum Ziel haben solle, spielen
dagegen in der städtischen Argumentation keine Rolle. Wie schon beim Beispiel Karl-Heine-Straße
30 ausführlich dargelegt, maßen sich auch hier die Angestellten eines städtischen Unternehmens
an, öffentliche Gelder im Umfang von mehreren Millionen Euro zu vernichten. Dazu kommen die
Vernichtung von städtebaulichen und denkmalpflegerischen Werten, zu deren Schutz die Stadt
als der Eigentümer des Unternehmens gesetzlich verpflichtet ist und die öffentliche Mißachtung
einer ausdrücklichen Bitte des Oberbürgermeisters.
Stadtforum Leipzig
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Oktober 2006
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Das Beispiel Großer Wahrener Rundling
1 - Leipziger Volkszeitung vom 03.04.2006
2 - Leipziger Volkszeitung vom 16.03.2006
Direkt im Zentrum des Stadtteils Wahren läßt die LWB seit Jahren den sogenannten Großen
Rundling verfallen. In dem aus 22 Häusern (150 Wohnungen) bestehenden Ensemble lebten zu
Beginn dieses Jahres noch 6 Mietparteien. Nachdem die LWB seit Jahren keine Neuvermietungen
mehr vorgenommen hat, sollen nun auch die letzten Mieter ihre Häuser verlassen. Sie wären
dann unbewohnt und dem beschleunigten Verfall preisgegeben. Auch zu einer Ausschreibung
der Anlage durch die LWB ist es nicht gekommen1. Das architektonisch anspruchsvolle Wohnensemble und der vor ihm liegende runde Schmuckplatz stellen das Zentrum des Stadtteils dar. Die
Bauten entstanden 1927 nach Plänen des Stadtbaurats Hubert Ritter (1886-1967), von dem auch
der berühmte Rundling in Leipzig-Lößnig (1929/30) und die Leipziger Großmarkthalle (1928/29)
stammen. Geschickte Gliederung durch Simse, Giebel, Risalite, Portale und nicht zuletzt dezente Farbnuancen der Fassadengestaltung bewirken den Eindruck einer aus mehreren Einzelbauten bestehenden und doch zusammengehörenden Anlage. Von der Friedrich-Bosse-Straße öffnet
sich der Blick auf einen großzügigen begrünten, von Süden belichteten Innenhof. Die Grünfläche
wurde erst in den letzten Jahren mit öffentlichen Mitteln neu gestaltet und war ein Anziehungspunkt gerade für junge Familien.
Der Große Wahrener Rundling bildet zusammen mit
dem benachbarten Wahrener Rathaus das Zentrum
des Stadtteils. Die architektonisch und städtebaulich außerordentlich anspruchsvolle Anlage verfügt
über einen der großzügigsten und schönsten grünen
Innenhöfe Leipzigs. Ohne nachvollziehbare Gründe
unterblieben bis heute Sanierungsmaßnahmen oder
Verkaufsbemühungen durch den Eigentümer LWB.
Vielmehr mußten 2006 die letzten verbliebenen
6 Mietparteien ihre Wohnungen verlassen. Damit
sieht die Anlage nun einer erfahrungsgemäß auf den
Leerstand folgenden, immer schneller werdenden
Verfallsspirale entgegen. Der Abbruch scheint eine
Frage der Zeit.
LWB-Sprecher Hoffmann sagte dazu am 3. April
2006 gegenüber der Leipziger Volkszeitung, es
müsse einem „nicht bange sein um das sehr interessante Ensemble“.
Das Beispiel Käthe-Kollwitz-Straße 6
Noch im Jahr 2006 plant die Stadt Leipzig das der LWB gehörende Haus Käthe-Kollwitz-Straße
6 abzubrechen. Das Gebäude befindet sich nahe des Zentrums der Stadt und grenzt an die
Außenseite des Dittrichrings. Es ist in diesem Abschnitt der Käthe-Kollwitz-Straße das letzte
erhaltene historistische Gebäude. Entsprechend seiner prominenten Lage ist es um 1885/87
mit höchstem architektonischem Anspruch errichtet worden und hat sich in diesem Zustand bis
heute erhalten. Es besitzt eine noble Fassade im Stil der Neorenaissance, die vollständig aus
Sandstein besteht.
Seitens der LWB wurde der Bau über mehrere Jahre hinweg völlig vernachlässigt, und dies trotz
seiner immobilientechnisch hervorragenden Lage. Betrieben wurde zu keinem Zeitpunkt eine
dem Objekt und der Lage entsprechende Entwicklung, sondern lediglich die Vermarktung als
freies Baugrundstück. Der jetzt vorbereitete Abriß soll Baufreiheit für die Erweiterung einer
benachbarten Klinik schaffen.
Aufgrund der jahrelangen Vernachlässigung kann nicht mehr der Erhalt des gesamten Hauses,
sondern nur noch der Erhalt der Fassade und der Dachlandschaft sinnvoll diskutiert werden.
Nach diesem aus denkmalpflegerischer Sicht schmerzhaften Zugeständnis wurde nun im Zuge
der Abbruchplanung seitens der LWB vorgebracht, daß der Erhalt der Fassade technisch nicht
möglich sei. Daraufhin wurde im Frühjahr 2006 durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz die
Planung eines Architekturbüros vorgelegt, mit der die Machbarkeit des Erhalts nachgewiesen
wurde. Die LWB entgegnete darauf, daß der Erhalt der Fassade ohne Abstriche an der geplanten
Nutzung des Neubaus gewiß technisch möglich sei, jedoch die Mehrkosten unzumutbar wären.
42
Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Daraufhin erwirkten das Stadtforum und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz beim Regierungspräsidium Leipzig, daß dafür eine Förderung in einer Größenordnung bis zu ca. 200.000 € in
Aussicht gestellt würde. Dieses Förderangebot wurde von der LWB dann ohne nähere Begründung abgelehnt.
Dem Stadtrat war seitens der Stadtverwaltung bereits im Dezember 2005 in einer Vorlage
mitgeteilt worden, daß der Bau insgesamt wertlos und nicht zu retten sei. Belegt wurde
dies mit Innenaufnahmen besonders desolater Bauteile. Der Wert der Fassade oder relevante
städtebauliche Fragen wurden weder angesprochen, noch waren sie auf Bildern erkennbar. Als
Abrißgrund wurde den Stadträten die Notwendigkeit der Klinikerweiterung für die Fußball-WM
2006 genannt (Leipzig ist jedoch einer der größten deutschen Medizinstandorte mit einem
dichten Netz unterschiedlichster Kliniken). Noch absurder war die Verlautbarung des potentiellen Investors, das Haus müsse nun schnellstmöglich aus hygienischen Gründen abgebrochen
werden2.
Das Haus Käthe-Kollwitz-Straße 6 besitzt eine überaus
wertvolle Fassade in noblen Formen der Neorenaissance, die im Gegensatz zu herkömmlichen Stuckfassaden der Gründerzeit vollständig aus Sandstein besteht.
Zwischen Innenstadtring und Gottschedstraße gelegen,
Wie in zahlreichen anderen Fällen auch, beruft sich die LWB bei ihren Abbruchantrag auf den
derzeit desolaten Zustand des Gebäudes. Einen Zustand, den sie durch jahrelange Vernachlässigung selbst herbeigeführt hat, wobei die Mahnungen der Denkmalpflege ignoriert wurden. Durch diesen Abbruch würden eine hochwertige und immobilienwirtschaftlich wertvolle
historistische Sandsteinfassade vernichtet werden. Wenn die Stadt zuließe, daß ein Gebäude
in dieser Lage und von diesem baukünstlerischen Wert trotz angebotener Fördermittel abgebrochen würde, so gäbe es kein Argument mehr, mit dem private Abrißwünsche im städtischen
Baudenkmalbestand abgewehrt werden könnten. Ein den gesetzlichen Bedingungen entsprechender Denkmalschutz würde in Leipzig praktisch nicht mehr durchsetzbar sein.
Stadtforum Leipzig
|
Oktober 2006
ist es auf seiner Straßenseite das einzige erhaltene
historische Gebäude und läßt die einstige Pracht der
Straße erahnen. Jetzt soll der Bau einem schlichten
Klinikzweckbau weichen. Auch der von der Deutschen
Stiftung Denkmalschutz und dem Stadtforum erbrachte
Nachweis der technischen und finanziellen Möglichkeit
zur Integration zumindest der Fassade in den Neubau
können die LWB und den Klinikbetreiber nicht von
ihren Abbruchplänen abbringen.
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Beispiel Gemeinsame Gebäuderettung durch die Stadtverwaltung und HausHalten e.V.
Der Verein Haushalten e.V. vermittelt für städtebaulich bedeutsame, aber leerstehende Bauten Zwischennutzer. Hauseigentümer werden von den Unterhaltungskosten entlastet, Zwischennutzer erhalten
äußerst kostengünstig Räume für ihre Projekte (Künstler, Vereine, etc.) und das Haus erhält einen Wächter.
Mehrere Wächterhausprojekte mit LWB-Objekten
scheiterten an deren überzogenen Forderungen.
Wächterhaus Kuhturmstraße
In enger Zusammenarbeit mit dem Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung (ASW)
vermittelt der Verein HausHalten e.V. (www.haushalten.org) zwischen den Eigentümern denkmalgeschützter, aber bedrohter Häuser und Interessenten, die bereit sind, in einem einfachen
Umfeld (meist Kohleheizung und Etagentoiletten) selbst handwerklich aktiv zu werden. Die Nutzer zahlen kein Nutzungsentgelt, lediglich Nebenkosten und einen geringen Vereinsbeitrag. Sie
erhalten ein Nutzungsrecht für mindestens 5 Jahre, in denen sie als „Hauswächter“ wirken und
damit durch die Belebung und Kontrolle der Häuser zu deren Erhalt beitragen. Die Hauseigentümer werden zudem von Unterhaltungskosten entlastet.
Erste Wächterhäuser konnten mittlerweile zur allseitigen Zufriedenheit von Hauseigentümern,
Zwischennutzern und Stadt und Verein eröffnet werden. Etwa 8 Monate haben die ehrenamtlich
wirkenden Vereinsmitglieder dazu auch mit der LWB verhandelt. In dieser Zeit wurden immer
neue Vertragsentwürfe diskutiert, in die von Seiten der LWB im Laufe der Zeit immer weitere
Bedenken, insbesondere hinsichtlich (nie näher spezifizierter) Haftungsrisiken einflossen. Konkret diskutiert wurden die Gebäude Lützner Straße 6 und 18, wobei die LWB letzteres eigentlich
abreißen wollte, hierfür aber keine Genehmigung bekam. Am Ende der Verhandlungen stand
ein für den Verein unannehmbarer Vertragsentwurf, der die Instandhaltung und Instandsetzung
(originäre Eigentümerpflichten) auf HausHalten e.V. abgewälzt hätte, und zudem viele der von
der LWB in den Vertragstext eingebrachten Passagen die Nutzung und den Erhalt wesentlich
eingeschränkt hätten. Im Ergebnis haben Verein und ASW viel Zeit und Arbeitskraft verloren, mit
denen andere Objekte hätten gerettet werden können.
Das Beispiel Scheffelstraße 36
Wächterhaus Lützner Straße
Im Stadtteil Connewitz plant die LWB derzeit den Abriß des Hauses Scheffelstraße 36. Das
denkmalgeschützte, 1903 von dem Architekt H. Heusing errichtete Gebäude mit seiner schönen
Putz- und Stuckfassade sowie seiner reichen originalen Innenausstattung und seinen großzügig
geschnittenen Wohnungen ist es eines der wenigen Gebäude am Connewitzer Kreuz, die den
Zweiten Weltkrieg überstanden haben. Schon wiederholt geplant und städtebaulich erforderlich
wäre am Stadtteilzentrum Connewitzer Kreuz eigentlich eine Schließung der Kriegslücken mit
mehrgeschossigen Bauten. Stattdessen besteht nun die Gefahr, daß im Zuge der Errichtung eines
neuen Einkaufszentrums durch die staatliche TLG das baulich intakte Gebäude Scheffelstraße
36 abgerissen wird. Das Grundstück soll dabei der geringfügigen Erweiterung eines bestehenden Parkplatzes und der Neuerrichtung einer Verkaufsbude weichen. Der Abriß wäre nicht nur
ein unersetzlicher Verlust für das Stadtbild am Connewitzer Kreuz., sondern es würde auch
hochwertiger Wohnraum in einer der gefragtesten Leipziger Wohngegenden vernichtet. Nicht
zuletzt wäre damit auch eine skandalöse Verschwendung öffentlicher Gelder verbunden. Das im
Eigentum der LWB stehende Gebäude erfuhr erst in den letzten Jahren aus Mitteln des Wohngebäudesicherungsprogramms eine aufwendige Schwammsanierung, des weiteren wurde eine
Dachhälfte neu eingedeckt und eine Ausbesserung aller Außenfassaden sowie die Erneuerung der
Dachentwässerung und des Giebelputzes vorgenommen.
Wächterhaus Demmeringstraße
Scheffelstraße 36. Erbaut 1903 von Architekt H. Heusing
Kein Abriß eines Baudenkmals für Verkaufsbuden und Parkplätze!
Für den Erhalt des Jugendstilhauses Scheffelstraße 36 in Connewitz
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Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Der Abriß des Bibliographischen Instituts
Im Jahr 2005 beantragte die Treuhand-Liegenschafts-Gesellschaft (TLG), ein Nachfolgeunternehmen der Treuhandanstalt im Besitz des Bundes, für das am Täubchenweg liegende Areal des
Bibliographischen Instituts den Gesamtabriß. Das im traditionsreichen Graphischen Viertel im
Osten der Innenstadt liegende Institut ist besonders durch die Herausgabe des Dudens ein für
die Geschichte der deutschen Sprache wichtiger Ort. Zugleich ist es die letzte noch erhaltene
historische Raumkante des linksseitigen Täubchenweges zwischen „Brauerei Bauer“ und Crusiusstraße. Zum Abrißvorhaben gehörte auch der auf dem Grundstück liegende, 1898 errichtete
Erweiterungsflügel der Druckerei C.G. Röder in der Perthesstraße 3. Bei diesem schlichten, aber
durchaus charmanten Bau handelt es sich um den ältesten Stahlbetonbau Deutschlands. Zum
ersten Male wurden hier Geschoßdecken und Pfeiler in Eisenbeton ausgeführt. Nicht zuletzt
aufgrund öffentlichen Bürgerprotestes wurde die behördliche Abrißgenehmigung zumindest
für diesen Bau widerrufen. Wogegen die TLG in der Presse ankündigte1: „Wir werden uns mit
Händen und Füßen gegen den neuen Bescheid wehren.“ Die übrigen Bauten werden in jedem Fall
abgebrochen.
Grund für den beantragten Abriß ist lediglich die Freiräumung des Grundstücks für eine anschließende Vermarktung als Bauland. An eine Entwicklung der wertvollen Bauten wurde dabei
ebenso wenig gedacht, wie daran, daß vielleicht ein Investor gerade Interesse an den entwicklungsfähigen Industriedenkmalen haben könnte. Nicht zuletzt sind die zum Abriß vorgesehenen
Gebäude zwischen Perthesstraße und Gerichtsweg substantiell in einem so gutem Zustand, daß
sie bedenkenlos noch einige Jahre auf eine Neunutzung warten könnten. Besonders befremdlich
an dem Abrißvorhaben ist zudem, daß sich die TLG noch beim Ausbau des Gerichtsweges zur
neuen B 2 beharrlich geweigert hatte, Flächen für den Straßenbau abzutreten und sich dabei
u.a. ausdrücklich auf den Denkmalschutz und Entwicklungsmöglichkeiten des Grundstückes
berufen hatte. Insbesondere spielte damals das Argument der größeren denkmalpflegerischen
Bedeutung der Druckerei eine Rolle. Deshalb mußten schließlich die beiden Baudenkmale Gerichtsweg 8 (Jugendstil) und das besonders wertvolle und überwiegend sanierte Geschäftshaus
Nummer 10 (Neorenaissance) der neuen Straße weichen. Diese Opfer sind nun letztlich umsonst
gewesen.
Der Staat als Akteur der
Denkmalvernichtung das Beispiel TreuhandLiegenschaftgesellschaft
1 - Leipziger Volkszeitung vom 30.06.2006.
Völlig ohne Not mußte das klassizistische Baudenkmal der Zufahrt für einen Aldi-Markt weichen, der
hier zwischen zwei benachbarten Supermärkten
errichtet wurde. Die Braustraße 26 war der baulich
mit Abstand wertvollste Bau des gesamten Straßengevierts. Erneut ließ die staatliche TLG ein Baudenkmal für eine anspruchslose Gewerbebebauung
abbrechen, ohne einen Erhalt des Denkmals überhaupt in Erwägung gezogen zu haben.
Der Abbruch der Braustraße 26 für eine Aldi-Zufahrt
Ebenfalls 2005 wurde der TLG wunschgemäß die Abbruchgenehmigung für das 1872 errichtete
spätklassizistische Kontor- und Wohngebäude Braustraße 26 erteilt, der Abbruch ist inzwischen
vollzogen. An der Stelle des abgebrochenen Gebäudes legte die TLG die Zufahrt für einen neuen
Aldi-Markt an, der seitdem in Rufweite zwischen zwei bestehenden Märkten liegt. Das Gebäude
gehörte zu dem derzeit in Leipzig heiß diskutierten Feinkostgelände (Karl-Liebknecht-Str. 36),
dessen hinteres Areal mit dem zweiten Hof komplett gefallen ist. Der Bau in der Braustraße
war das letzte erhaltene Gebäude eines Leipziger Brauereibesitzers, in welchem zeittypische
repräsentative Wohnungen ebenso vorhanden waren, wie ein größerer Saal im Erdgeschoß (evtl.
ehem. Schanksaal). In dieser Funktion war das Gebäude mit der Kleinen Funkenburg identisch
und befand sich ebenfalls im Besitz der Brauerei C.W. Naumann.
Damit ging hier ein weiterer Baustein der Stadtgeschichte verloren. Obwohl der Brauereibetrieb
schon in den 1920er Jahren eingestellt wurde, hatte sich das Haus im Zustand seiner Entstehung
erhalten. Besonders bemerkenswert waren neben der einstmals repräsentativen Innenausstattung und dem schmiedeeisernen Tor zum Grundstück, die großartigen doppelten Kelleranlagen.
In den oberen Kellern des Grundstücks waren massive Kappengewölbe auf breiten Entlastungsbögen eingespannt, welche wiederum von extrem schlanken Gußeisensäulen getragen wurden.
Der Tiefkeller war dagegen massiv in Stein ausgeführt. Die Keller hätten sich ohne weiteres
erhalten lassen. Auch das Wohnhaus selbst war trotz starker und vom Eigner ungebremster
Verwahrlosung noch zu retten gewesen. Eine gastronomische Nutzung gerade in dieser traditionsreichen Stätte hätte eine hervorragende Ergänzung des auf dem vorderen Feinkostgelände
geplanten neuen Kultur- und Kneipenareals darstellen können.
Stadtforum Leipzig
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Oktober 2006
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Zur Entwicklung im Leipziger
Stadtzentrum
Das Gebäudeensemble des Zentralmessepalastes
während der vollständigen Entkernung. Erhalten
blieben nur die Straßenfassaden. Das Gebäude
Grimmaische Straße 12/ 14 wurde vollständig
abgebrochen.
Auch der Schutzstatus historischer Bausubstanz im Zentrum ist scheinbar beliebig einzuschränken. Das trifft selbst auf Baudenkmale erster Kategorie zu. Anstatt ein Baudenkmal grundsätzlich als Ganzes zu sehen, reduziert sich durch seinen, meist schlechten Bauzustand, durch heutige Umnutzungs- bzw. Nutzungskriterien bei maximaler Nutzflächenausbeute und nicht zuletzt
durch den Druck des entsprechende Mehrkosten scheuenden Investors der tatsächliche Schutz
immer mehr auf einzelne Bauteile, meist nur auf die Fassade. Nach beispielgebender Praxis ist
die Ausnahme mittlerweile zur Regel geworden. Das Ergebnis sind Schaukulissen, historische
Fragmente ohne Hintergrund, beraubt der Geschlossenheit des ursprünglichen Baugedankens,
beraubt auch der geschichtlichen Spuren verschiedener Umbauten und Überformungen. Die Formel Baudenkmal gleich Fassade ab 1. Obergeschoß hat sich agilen Projektentwicklern als
preisgünstiges, leicht erreichbares Ziel eingeprägt. Man orientiert sich am Äußeren, am
schönen Schein, ein oberflächliches Denk- und
Verhaltensmuster, das auf vielen Ebenen der
Gesellschaft Verbreitung gefunden hat.
Ein kritisches Hinterfragen dieser Entwicklung durch Verwaltung und Stadtrat ist nicht
erkennbar. Eine fatale Folge davon ist, daß
sich diese Sichtweise auch im öffentlichen
Verständnis festzusetzen beginnt und sukzessiv ein verflachtes Bild der Aufgabe des Denkmalschutzes geprägt wird. Der befindet sich
im Kraftfeld der Interessen und damit in der
Frage der Zumutbarkeit von Auflagen ohnehin stets in einer vergleichsweise schwachen
Position und muß um jedes Zugeständnis feilschen. Die bei Entkernungen manchmal stattfindende Bergung von Ausstattungsdetails
wird zur makabren Notrettung von Stilmustern, denen willkürlich der Zusammenhang
genommen wurde. Ist der Krater dann wieder geschlossen, suggeriert die sanierte historische
Fassade nicht nur fälschlich das komplette Gebäude, sondern auch höchste Sensibilität beim
Umgang mit dem baulichen Erbe.
Abgesehen von wenigen Bauherren, die tatsächlich mit dankenswerter Behutsamkeit zu Werke
gehen und sich auf den Ort und seine Geschichte einlassen, ist eine schonendere Gesamtentwicklung – wenn auch mehrfach auf demokratischem Wege eingefordert – noch immer nicht
erkennbar.
Zunehmend preisgegeben wird auch ein weiteres Wesensmerkmal des Stadtkerns, die Kleinteiligkeit und die damit einhergehende lebendige Vielfalt der Architektur- und Nutzungsformen. Die
Balance zwischen großen und kleinen Stadtbausteinen ist längst verloren. Parzellenschluckende
Makrostrukturen bis in Quartiergröße sind weiter auf dem Vormarsch: Karstadt (7 Parzellen), Galeria Kaufhof (13), Neumarkt 12–14 (3), Petersbogen (5), Marktgalerie (7). In ihrem Gefolge stets
der gleiche Mix aus allerorts dominanten Firmenketten. Kleinere Läden und Familienbetriebe
haben kaum Chancen daneben zu bestehen. All das wirkt sich in dem vergleichsweise kleinen
Zentrum schnell milieu- und stadtbildprägend aus. Hier muß entgegengesteuert werden.
Beispiel Karstadt
Symptomatisch für diese Entwicklung ist das aktuelle Beispiel Karstadt. Mit dem Argument
des Konkurrenzdrucks der Randmärkte abgesichert, konnte maßlos und ungebremst expandiert werden. Heute ist bis auf Stentzlers Hof das gesamte Quartier – immerhin sieben weitere Grundstücke – in der Hand des Unternehmens. Entsprechend klotzig die Planung: Tabula
rasa mit Ausnahme der Kaufhausfassade, dann drei Tiefgaragengeschosse und darüber 31.000
Quadratmeter Verkaufsfläche, davon ein Drittel für Fremdmieter. Die Baudenkmale Neumarkt
38 (1867/68, Paul Eduard Bachmann) und Neumarkt 40 (1867, Moritz Kornnagel), durften samt
Hintergebäuden bis auf die Straßenfassaden abgebrochen werden. Peterskirchhof 7 (1868/69,
Moritz Kornnagel) fiel gänzlich. Die Kopie der fein gegliederten Fassade ist zwar vorgesehen,
im Erdgeschoß brutal gekappt für die Garagenzufahrt. Wohl bleibt so dem Neumarkt die früher
erwogene Straßenrampe erspart, andererseits wird bei 430 öffentlichen Parkplätzen intensiver
Verkehr in Neumarkt, Peterskirchhof und Petersstraße gezogen.
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Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Messehaus Petershof, Petersstraße 20,
Sporergäßchen 6-10, Burgstraße 7-13,
Thomaskirchhof 9, erbaut 1928/29 von
Alfred Liebig, 2004 Abbruch, u.a. Verlust der
Rückfront, des großen Kinosaals (Capitol) und
der Treppenspindel, nur ein Teil des Lichthofes
und die Hauptfassade ab 1.OG erhalten
Thomaskirchhof 8, zu Petersstraße 16
gehörig (ehemals Messehaus Freyberg), 1996
Totalabbruch
Thüringer Hof, Burgstraße 19-23, EG und
historische Kellergewölbe 1994 abgebrochen
Klingers Haus, Petersstraße 48, Schloßgasse
2/4, erbaut 1887/88 von Arwed Roßbach,
1994 Abbruch, nur Fassade erhalten
Goldener Arm, Petersstraße 28, erbaut
1879 von Max Bösenberg, Umbau 1930/31
von Brachmann, Crämer & Petschler, 1996
Totalabbruch
Kaufhaus Karstadt, Petersstraße 25-31,
Preußergäßchen 2-14, Neumarkt 30-36,
erbaut 1914/15 von Wilhelm Kreis, 2004
Abbruch, Verlust des letzten historischen
Treppenhauses und des Haupttreppenhauses
von 1954/55, nur Fassade erhalten
Neumarkt 38 (zeitweiliger Sitz der
Handelskammer), erbaut 1867/68 von Paul
Eduard Bachmann, 2004 Abbruch einschließlich Hintergebäude, nur Fassade erhalten
Neumarkt 40, erbaut 1867 von Moritz
Kornnagel, 2004 Abbruch, einige
Ausstattungsteile für Integration in den
Neubau geborgen, Fassade erhalten
Peterskirchhof 7, erbaut 1868/69 von Moritz
Kornnagel, 2004 Totalabbruch, Wiederaufbau
der Fassade ab 1. OG als Kopie vorgesehen
(EG wird Zufahrt Tiefgarage Karstadt)
Sparkasse, Schillerstraße 5, Magazingasse
4, erbaut 1863 von Gustav Müller, 1996
Entkernung, teilweiser Verlust der
Innenausstattung, Fassaden erhalten
Magazingasse 5, 1999 Totalabbruch
Magazingasse 7/9, 1999 Totalabbruch
Ehem. Messehaus Monopol (seit 1926
mit dem Zentralmessepalast verbunden),
Grimmaische Straße 10, Architekt Emil Franz
Hänsel, 1996 Abbruch, nur Fassade erhalten
Zentralmessepalast, Grimmaische 16,
Neumarkt 2, Abbruch einschließlich des
Erweiterungsbaus von 1981 (Grimmaische
Straße 12/14), nur Fassade erhalten
Messehaus Hansahaus, Grimmaische Straße
13/15, Totalabbruch, u.a. Verlust der beiden
nördlichen Treppenhäuser, Wiederaufbau des
Lichthofes als Kopie
Messehaus Specks Hof, Reichsstraße 4-6,
Teilabbruch, u.a. Aufgabe des 1985 komplett
ausgemalten östlichen Lichthofs, Teile des
alten Passagensystems und Straßenfassaden
erhalten
Strohsack (Bursa Heinrici), Ritterstraße 7,
1995 Abbruch der vierseitigen Hofanlage,
nur Fassade des Vorderhauses bis zum 2.OG
erhalten
Oktober 2006
Baumaßnahme wurden hierbei nicht berücksichtigt.
Paulaner, Klostergasse 3, erbaut 1860/65
von Moritz Wünsch, 1991/92 Abbruch, nur
Fassade und Dach erhalten
Barfußgäßchen 10, Totalabbruch
Trifugium, Barfußgäßchen 15 (Eckhaus zum
Dittrichring), Teilabbruch (EG und 1.OG),
Wiederaufbau als Kopie mit geborgenen
Originalteilen
Barthels Hof, Markt 8, Hainstraße 1, Kleine
Fleischergasse 2, erbaut 1747-50 von George
Werner, Vorderhausumbau 1870/71 durch B.
L. Grimm, Teilabbruch, Verlust des Daches
und großer Teile der Innenausstattung;
Hoffassaden und Straßenfassade erhalten
Hainstraße 2, Entkernung, 1995 Abbruch der
Hofgebäude, Fassade erhalten
Hainstraße 4, erbaut 1775, 1997 Abbruch der
Hofgebäude, nur Fassade erhalten
Hainstraße 6, Totalabbruch, Wiederaufbau
der Fassade als Kopie
Hainstraße 8, Renaissance-Kern, Kastenerker
von 1703, Abbruch der Hofgebäude
Zum Großen Joachimsthal, Hainstraße 10,
Abbruch der Hofgebäude
Hainstraße 12, Totalabbruch, Wiederaufbau
der Fassade als Kopie
Wildschütz, Brühl 10/12, alter Kern, Umbau
1903/04 von A.+L. Stentzler, 1996 Totalabbruch
|
Baudenkmals und die Qualität der jeweiligen
Untergrundmessehalle, Markt, Totalabbruch
der 1987/88 rekonstruierten und erweiterten
Halle. Eingangsbauwerk, erbaut 1924 von Otto
Droge, für den Wiederaufbau vorgesehen
Grimmaische Straße 28, Universitätsstraße
2, 2005 Totalabbruch, Wiederaufbau der
Fassade ab 1. OG als Kopie
Stadtforum Leipzig
dient primär der Veranschaulichung der
Quantität des Verlusts, der Zustand des
Königsbau (Bamberger & Hertz), Goethestraße 1, erbaut 1910/13 von Schmidt &
Johlige, 1998 Abbruch, nur Fassade erhalten
Blauer und Goldener Stern, Hainstraße14,
1896 Umbau, 1996 Abbruch, Fassade erhalten
Universitätsstraße 4, 2005 Totalabbruch,
Wiederaufbau der Fassade ab 1. OG als Kopie
Nach 1990 entkernte oder komplett abgebrochene Baudenkmale. Die Aufstellung
Heuwaage, Ritterstraße 50 (Eckhaus zum
Brühl), 1995 Totalabbruch, Wiederaufbau der
Fassade als Kopie
Neumarkt 4, 1996 Abbruch, nur Fassade
erhalten
Grimmaische Straße 25, Eckhaus
Ritterstraße (Genth), 1994 Totalabbruch
Verlust historischer Bausubstanz im Stadtzentrum
Augustusplatz/Grimmaisches Tor,
1997 Zerstörung der archäologischen
Grabungsfunde der Befestigungsanlagen
der Grimmaischen Bastion des Neuen
Grimmaischen Tores und des Grimmaischen
Steinwegs durch Bau der Tiefgarage
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Ausgewählte Industriedenkmale
Brauerei Lützschena
Die Brauerei Lützschena zählt zu den markantesten und größten Industriedenkmalen der Stadt.
Die Anlage kann ohne Übertreibung als eine der herausragenden erhaltenen Industriebauten
des Art Deco im Leipziger Raum gelten. Die an großen Brauereibetrieben einst reiche Stadt
Leipzig verfügt nach den maßlosen Abbrüchen der jüngeren Vergangenheit mittlerweile nur
noch über drei nahezu vollständig erhaltene Standorte. Neben der ehemaligen Brauerei C.W.
Naumann in der Zschocherschen Straße – die ebenfalls einer ungewissen Zukunft entgegensieht
- und der noch im Betrieb befindlichen historischen Brauerei Bauer am Täubchenweg verdient
die Lützschenaer Brauerei besondere Aufmerksamkeit.
Der gewerbliche Braubetrieb geht mindestens auf das Jahr 1785 zurück. Seitdem erfolgten
ständige Umbauten und Erweiterungen. Die heutige imposante Gestalt, die den Stadtteil Lützschena als weithin sichtbare Landmarke prägt, entstand zwischen den beiden Weltkriegen.
Von der riesigen Anlage sind besonders das 1928 errichtete Sudhaus mit der charakteristischen
grünen kupfergedeckten Kuppel, das zur selben Zeit entstandene Werkstattgebäude mit seinem Uhrturm und der Schmiede, die große Lagerhalle mit Laderampe, das Garagengebäude
und die um 1900 errichtete alte Mälzerei gegenüber des Sudhauses hervorzuheben. Zur Anlage
zählt ebenfalls eine Gastwirtschaft mit Biergarten aus dem 19. Jahrhundert sowie alte Eiskeller
mit gemauerten Gewölben. All diese Gebäude befinden sich im Zustand des ungebremsten
Verfalls, nachdem Anfang der neunziger Jahre der Braubetrieb eingestellt wurde und, wie
leider typisch bei der Abwicklung der DDR-Industrie, alle zum Weiterbetrieb notwendigen
Maschinen und Anlagen demontiert wurden. Gefordert werden muss mindestens eine bauliche
Notsicherung besonders des Sudhauskomplexes. In der letzten Zeit entstanden große Schäden
durch Vandalismus und Plünderung an der Kupferdeckung der Kuppel und an den Dachrinnen,
die fast vollständig gestohlen wurden. Im Inneren befinden sich noch die bunt verglasten Dekkenleuchten mit dem Logo der Brauerei – aber wie lange noch? Aufsehenerregend sind auch
die Deckenkonstruktionen aus Stahlbeton in den Gebäuden der Zwischenkriegszeit, die in ihrer
strengen und gewaltigen Formgebung nicht häufig anzutreffen sind.
Die Stadt Leipzig sollte sich zu Ihrer Verantwortung gegenüber dem neuen Stadtteil Lützschena
bekennen und zeitnah Planungen für eine Neunutzung dieses traditionsreichen Areals unter
Einbeziehung und Erhaltung der historischen Substanz auf den Weg bringen.
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Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Rinderschlachthalle
Die 1936 erbaute Rinderschlachthalle an
der Altenburger Straße gehörte zu den
herausragenden Beispielen der Leipziger
Industiearchitektur. Der feinproportionierte,
streng sachliche Klinkerbau stellte die letzte
Erweiterung des 1888 eröffneten Städtischen
Vieh- und Schlachthofs dar und bildete dessen
Raumkante zur benachbarten Wohnbebauung
der Südvorstadt. Auf Betreiben des Mitteldeutschen Rundfunks, der heute das gesamte
ehemalige Schlachthofareal nutzt, wurde
die baulich intakte Rinderschlachthalle 1999
abgerissen. Ein Teil der übrigen historischen
Gebäude auf dem Gelände wurde saniert.
Stadtforum Leipzig
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Oktober 2006
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Gohliser Brauerei
Im Juli 2006 wurde die Aktienbierbrauerei Gohlis abgebrochen. 1871 gegründet, hatte sie 1872
den Betrieb in ihren Gebäuden an der Hallischen Straße (Georg-Schumann-Straße) aufgenommen. Als Baumeister zeichneten Kornagel und Oertel, als Architekt A. Einenkel, Chemnitz,
verantwortlich. Mit der effektiven Anordnung der Gebäudeteile gemäß dem Produktionsablauf
im Brauprozeß fand das beispielhafte Gebäudeensemble Einzug in die damalige Fachliteratur.
Entlang der Breitenfelder Straße stand als imposante bauliche Einheit Kontor, Malz- und Gerstelager, Darre und Sudhaus. Unter einem Großteil des Geländes erstreckten sich gewaltige,
zum Teil doppelte Gewölbekeller mit Höhen von fast 8 m.
Der Braubetrieb wurde Anfang nach 1990 mit der Abwicklung des VEB Getränkekombinat Sachsenbräu eingestellt. Wegen des Umbaus der Georg-Schumann-Straße erfolgte im Kreuzungsbereich an der Breitenfelder Straße im Jahr 2000 ein vergleichsweise aufwendiger denkmalpflegerischer Eingriff. Für den Bau eines Ampelmastes wurde die historische Einfriedung der Brauerei
versetzt und unter Verwendung geborgenen Materials neu aufgebaut. Das betraf auch einen
Teil des Metallzaunes, der nach noch erhaltenen Originalteilen rekonstruiert wurde.
2004 wurde durch ein Leipziger Architekturbüro eine Planung für dieses Gelände erstellt, die
alle von der Denkmalpflege als erhaltenswert und erhaltbar erachteten Bauteile in eine Neubauplanung integrierte, und die zudem auch erhebliche architektonische Qualitäten aufwies.
An deren Stelle erfolgt nun
eine Totalberäumung des
Areals für eine anschließende Zweckbebauung mit
einem Supermarkt durch
die Handelskette Kaufland.
Neuen Kaufland-Märkten
mußten zuvor schon an anderen Orten in Leipzig zum
Teil überaus wertvolle Baudenkmale weichen, so in
Reudnitz und in Lindenau.
Umgesetzt wird dabei das
von der Stadtplanung entwickelte Zentrenkonzept,
wonach in den Stadtteilen
große Supermärkte errichtet werden sollen, nicht
selten anstelle vorhandener Baudenkmale, so etwa auch in Connewitz. In unmittelbarer Nähe
des neuen Kaufland-Marktes in Gohlis befinden bereits zwei weitere solcher künstlicher Zentren, die noch dazu nur mäßig frequentiert sind.
Wie schon in zahlreichen anderen Fällen führte eine Teilabbruchgenehmigung zum Abbruch
des gesamten Denkmalbestands und dies ohne daß es von Seiten der Behörden erkennbare
Bemühungen gegeben hätte, den Abbruch der ungenehmigten Bauteile zu stoppen oder den
Rechtsbruch zu sanktionieren. So sollten große Teile der Fassade entlang der Breitenfelder
Straße in den Neubau integriert werden. Hinsichtlich der Mälzerei war lediglich der Abbruch
der nördlichen Teile (zur Georg-Schumann-Straße) genehmigt worden. Der Abbruch der Malzdarre mit allen ihren Teilen (u.a. mit Lisenen und einem flachen Giebel geschmückt und Achsen
differierender Fenstergrößen) war ausdrücklich nicht gestattet worden. Ein erfahrener Statiker
hatte bei einem Ortstermin noch am 14. Juli 2006 bestätigt, daß hier keine Einsturzgefahr
drohte, so daß keinerlei Rechtsgrundlage für diese Abrisse bestand.
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Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Ehemalige Kammgarnspinnerei/ Orsta-Hydraulik
Die Ausdehnung des Zoos auf das ehemalige Areal der Kammgarnspinnerei bis hin zur Pfaffendorfer Straße ist städtebaulich sinnvoll und eröffnet der Umstrukturierung des Zoos zusätzliche
neue Möglichkeiten. Konfliktpunkt ist hierbei jedoch eine für Leipzig in dieser Größe und gestalterischen Stringenz singuläre Industriearchitektur, zwei, mit einem älteren Kern verbundene
Baukörper (Färberei und Sortierungsgebäude) im Stil des Funktionalismus.
Vor dem Wettbewerb zum geplanten Tropenhallen-Projekt haben dem Vernehmen nach Untersuchungen zur möglichen Integration und Umnutzung des Industriebaus, etwa als Zoo-Hotel,
Parkhaus, o.ä. stattgefunden, wobei keine der Erhaltungsvarianten als realisierbar eingestuft
wurde. Da Stadtverwaltung, Zoo und Denkmalbehörden offenbar alle Fragen hinlänglich und abschließend beantwortet sahen, wurde für den Wettbewerb die Symbiose des vorhandenen Denkmalensembles mit der neuen Halle nicht thematisiert und die Teilnehmer durften von einem
beräumten Baufeld ausgehen. Bezeichnend ist, daß die Voruntersuchung und damit die Qualität
der Alternativbemühungen nicht öffentlich gemacht wurde. Es scheint, als sollten generell Fragen des Denkmalschutzes im Zoo eher intern abgehandelt werden, um unliebsame Diskussionen
und deren mögliche Folgen zu vermeiden.
Daß das Baudenkmal Kammgarnspinnerei und sein unbestreitbar herausragender Wert für die
Wirtschafts-, Sozial- und Architekturgeschichte Leipzigs im Abriß enden soll, ist angesichts der
beeindruckenden Ausstrahlung dieses Komplexes sowie seiner Gliederung und Fassadengestaltung, die in bewußter Korrespondenz zu den Bühringschen Klinkerarchitekturen im Zoo entwickelt wurde, nicht nachvollziehbar und nachdrücklich zu kritisieren. Im Übrigen schließt der
Entwurf des Wettbewerbssiegers HPP den Erhalt des Industriebaus keineswegs aus.
Die Kammgarnspinnerei Leipzig, 1830 als Privatfirma gegründet und 1837 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, war eine der ältesten ihrer Art in Deutschland.
Der Entwurf der Fassade der 1934 errichteten Färberei sowie die Ausgestaltung der beiden Treppenhäuser, Garderoben und Duschräume stammen vom Architekten
Erwin
Graebner,
Architekturbüro
Schilling
&
Graebner,
Dresden.
Der große Erweiterungsbau, das sogenannte Sortierungsgebäude, wurde nach Entwürfen des
gleichen Büros 1936 fertiggestellt. Die Spinnerei wurde bis 1959 betrieben.
In dem vom Deutschen Werkbund Sachsen 1998 herausgegebenen Band „Industriearchitektur
in Leipzig“, der auch eine Aufnahme der Kammgarnspinnerei enthält, verwies der damalige
sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf in seinem Geleitwort darauf, daß im Gegensatz
zu den gemeinhin genannten Eckwerten sächsischer Identität gerade jene Bauzeugnisse ein
Schattendasein fristen, die berichten, daß Sachsen lange auch eine der hochentwickeltsten
und produktivsten Industrieregionen Europas war. „Hervor treten Architekten, Ingenieure und
Bauleute, sowie – und dies mag am Ende des 20. Jahrhunderts womöglich gar als Anregung mit
Beispielcharakter taugen – die Bauherren, die solch oft richtungsweisendes Schaffen initiiert und
finanziert haben.“
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Baukultur
Belanglose Neubauten und Banalisierung des Stadtbilds - Defizite der Baukultur
„Aus der reichen Geschichte der Bürgerstadt
In den letzten Jahren sind in Leipzig Fragen der Stadtentwicklung und Architektur regelmäßig
kritisch diskutiert worden, wobei Entscheidungen des Stadtrates und der Verwaltung teilweise auf
Widerspruch seitens der Bürgerinnen und Bürger stießen. Obwohl die Sanierung eines großen Teils
der historischen Bausubstanz gelungen ist, muß selbst bei wohlwollender Betrachtung festgestellt
werden, daß das einst sehr hohe Niveau der Leipziger Baukultur in den letzten 15 Jahren nicht
annähernd erreicht werden konnte. Neben einer Vielzahl belangloser Neubauten haben rücksichtlose Umbauten, unsensible Überformungen bestehender Gebäude sowie vermeidbare Abrisse
vielerorts zu einer Banalisierung des Stadtbildes geführt. Angesichts dieser Situation muß es das
Ziel einer Kulturstadt wie Leipzig sein, in Zukunft wieder einen adäquaten baukünstlerischen Qualitätsstandard zu erreichen und vorhandene Qualität sorgsamer zu schützen.
Leipzig resultiert ein hoher Qualitätsanspruch an die Fortführung baukultureller
Traditionen in die Gegenwart und Zukunft.
Neben den Leistungen auf dem Gebiet der
städtebaulichen Planung und im behutsamen
Umgang mit der historischen Bausubstanz ist
ein solcher Anspruch insbesondere auch bei
der Gestaltung von neuen Gebäuden zu fordern und zu fördern.“
Dr. Engelbert Lütke Daldrup, Zur Förderung der
Baukultur, in: Leipziger Blätter 36 (2002), S. 60
Wie die Erfahrungen anderer Städte im In- und Ausland zeigen, haben sich mit unabhängigen
Fachleuten besetzte Beiräte für Fragen der Baukultur (häufig als „Gestaltungsbeiräte“ bezeichnet)
als ein geeignetes Instrument erwiesen, einen solchen Qualitätsstandard dauerhaft zu etablieren.
In Deutschland hat sich der seit 1998 existierende Gestaltungsbeirat in Regensburg, ursprünglich
nach Linzer Modell entstanden, als Vorbild für ähnliche Gremien in Lübeck, Halle/Saale und Köln
entwickelt. Nach dem „Regensburger Modell“ berät der in regelmäßigen Abständen tagende Beirat dabei die Verwaltung und den Stadtrat bzw. seine Ausschüsse bei städtebaulich bedeutsamen
Bauvorhaben. Nach übereinstimmender Erfahrung sind dabei die absolute Unabhängigkeit der
Mitglieder von Politik und Verwaltung sowie ihre regelmäßige Rotation von entscheidender Bedeutung für die Akzeptanz und den Erfolg eines solchen Beirates. Ein Beirat für Baukultur in Leipzig
könnte auch dazu beitragen, potentielle Konflikte zwischen Bürgern und Verwaltung im Vorfeld zu
klären und den notwendigen Diskurs über Städtebau und Architektur zu fördern.
Beiräte für baukulturelle Fragen dienen dabei der im Baugesetzbuch festgelegten Aufgabe an die
Städte und Gemeinden, die städtebauliche Gestalt und das Orts- und Landschaftsbild zu erhalten
und zu entwickeln. Durch ihren beratenden Charakter gehen diese Beiräte mit der Sächsischen
Gemeindeordnung und der Sächsischen Bauordnung konform. Gestaltungsbeiräte sind funktionierende Praxis in zahlreichen anderen Städten zur allgemeinen Zufriedenheit von Bauherren, Verwaltung
und Öffentlichkeit. Das ausdrücklich von der Bundesregierung empfohlene Instrument Baukulturbeirat
wurde bereits in zahlreichen Städten eingerichtet, und noch nirgends wieder abgeschafft.
Ziel der Einrichtung des Leipziger Beirates für Baukultur wäre es, behutsame Stadtentwicklung
zu fördern, die Architekturqualität auf einem hohen Standard zu sichern sowie städtebauliche
und architektonische Fehlentwicklungen zu verhindern. Der Beirat für Baukultur würde als unabhängiges Sachverständigengremium den Oberbürgermeister, den Stadtrat und die Verwaltung
unterstützen. Er würde Vorhaben von besonderer städtebaulicher Bedeutung in ihrer Auswirkung
auf die Stadtgestalt Leipzigs begutachten, um durch fachlich kompetente Empfehlungen eine Entscheidungsgrundlage für Stadträte und Verwaltung zu geben. Das Verfahren wurde in Leipzig mit
dem Olympiabeirat bereits in ähnlicher Form praktiziert. Die Haushaltskosten für den Regensburger Beirat belaufen sich auf 50.000 Euro jährlich.
Ein solcher Beirat könnte natürlich nicht alle Probleme lösen, aber folgende Anliegen wesentlich befördern:
1.) Bürgerbeteiligung würde tatsächlich ernst genommen werden, da der Vorschlag aus breiten Teilen der Bürgerschaft (Kultur, Kunst, Bürgervereine, etc.) kommt;
2.) Verfahren würden transparenter: Der unabhängige Beitrat tagt öffentlich und gibt zuvor den
Sitzungstermin bekannt. Jeder Bürger kann sich an ihn wenden. Verfahren werden aus einem für
den Bürger undurchschaubaren Verhandlungsprozeß innerhalb der Verwaltung herausgeholt.
3.) Stadtrat wird gestärkt. Er erhält fundierte Informationen zu anstehenden baulichen Projekten
nicht mehr allein von der Verwaltung. Bislang muß der Stadtrat der fachlich weit besser informierten Verwaltung schlicht und einfach deren Verlautbarungen glauben. Eigentlich soll er
sie aber kontrollieren und ihr Vorgaben machen können. Durch einen Beirat wird die fachliche
Grundlage für eigenständige Entscheidungen des Stadtrates in Baufragen verbessert.
4.) Verwaltung wird gestärkt. Die Verwaltung steht Investoren/Großinvestoren nicht länger allein
gegenüber: Bislang konnte ein Investor auch zum stadtunverträglichsten Projekt sagen: „So oder
gar nicht!“, und es oblag allein dem Verhandlungsgeschick der Verwaltung, Schlimmstes zu verhüten (Bsp. Kaufhof). Künftig kann die Verwaltung so auftreten, daß sie dem Investor gegenüber
weiter weitgehend kooperativ auftritt, aber darauf verweisen kann, daß am unabhängigen Beirat
eben nicht vorbeizukommen ist. Des weiteren ist die Verwaltung auch gegenüber dem Stadtrat
besser abgesichert, wenn etwa strittige Vorhaben von diesem Unterstützung finden.
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5.) Eskalationen wie der Streit um die Kleine Funkenburg können vermieden werden: Hat der Beirat
ein positives Votum für ein unter Umständen auch kontrovers diskutiertes Projekt gegeben, dann
steht auch für die Öffentlichkeit fest, daß dies nicht das Ergebnis undurchschaubarer und unter
Umständen fragwürdiger Entscheidungsprozesse ist, sondern auch die Ansicht unabhängiger
Fachleute, die für ihr Votum öffentlich einstehen müssen.
6.) Es entstehen keine Standortnachteile, keinem wird etwas genommen: Der Beirat ist allein
beratend tätig. Er hat nichts verbindlich zu entscheiden. Der Beirat ist um Konsens bemüht.
Datenschutzinteressen bleiben selbstverständlich gewahrt. Dies ist funktionierende Praxis in
zahlreichen anderen Städten zur allgemeinen Zufriedenheit von Bauherren, Verwaltung und Öffentlichkeit. Das ausdrücklich von der Bundesregierung empfohlene Instrument Baukulturbeirat
wurde bereits in zahlreichen Städten eingerichtet, und noch nirgends wieder abgeschafft. Probleme mit Beiräten sind nicht bekannt. Durch die höhere Qualität von Neubauten würde letztlich
der Standort Leipzig gewinnen (wichtiger weicher Wirtschaftsfaktor).
7.) Kosten-Nutzenverhältnis enorm positiv. Mit extrem geringem Aufwand kann ein extrem hoher
Nutzen erzielt werden. Den sehr geringen Kosten für einen solchen Beirat steht gegenüber, daß
auch millionenschwere Bauprojekte ein wirklicher Gewinn für die Stadt werden und nicht bereits
nach Fertigstellung an umfangreiche Nachbesserungen gedacht werden muß.
Nähere Informationen dazu, insbesondere
der Entwurf einer Geschäftsordnung eines
solchen Beirates für Leipzig, siehe unter:
www.stadtforum-leipzig.de „Projekte“.
Stiftung „Denkmalschutz und Baukultur Leipzig“
Zur Sicherung von gefährdeten Altbauten in Leipzig soll eine gemeinnützige Stiftung etabliert werden. Damit können Gelder von Leipziger Bürgern und die hier tätigen Privatunternehmen eingeworben werden, die sich auf diesem Gebiet engagieren wollen und ggf. an entsprechenden steuerlichen Absetzmöglichkeiten interessiert sind. Bislang besteht diesbezüglich noch keine Möglichkeit.
Mit Hilfe der Stiftung können überdies auch Fördermittel eingeworben werden, die durch die Stadt
Leipzig mit ihren Ämtern und Gesellschaften bisher nicht zu erlangen sind. Viele Fördermöglichkeiten stehen unter dem Vorbehalt einer privaten Investitionsbeteiligung, die nicht durch eine
Beteiligung aus öffentlichen Kassen ersetzt werden kann. Mit der Errichtung einer solchen Stiftung
wird daher die Möglichkeit eröffnet, zusätzliches privates Kapital in die Sicherung von Altbauten
investieren zu können und dieses Geld unter Umständen durch Fördermittel zu vervielfachen. Der
Vorschlag zur Gründung einer Stiftung ist auch bereits in den Beschluß der Ratsversammlung zum
Gebäudesicherungsprogramm vom 18.05.2005 eingegangen.
Im Einzelnen bedeutet dies die Schaffung einer selbständigen Stiftung mit Rechtsfähigkeit, d.h.
Körperschaft, die die Aufgabe hat, mit Hilfe des ihr gewidmeten Vermögens den festgelegten
Stiftungszweck dauerhaft zu verfolgen. Verbunden werden muß dies mit dem Status der Gemeinnützigkeit im Sinne des Steuerrechts, d.h. u.a. Befreiungsmöglichkeit von Steuern, bestimmten
staatlichen Gebühren und Kosten; Zuteilung öffentlicher Zuschüsse; Berechtigung zum Empfang von
Spenden, die beim Spender abzugsfähig sind.
Aufgaben der Stiftung sollen sein:
- Verwaltung der Zustiftungen und Zuwendungen; Auswahl von Förderobjekten, an die die Stiftungsmittel vergeben werden
- Stellung ggf. von Eigenmittelersatz für Förderobjekte bei im übrigen Finanzierung durch Fördermittel von öffentlichen Stellen
- Einsatz als Träger von BSI-Projekten (Beschäftigung schaffende Infrastrukturförderung) sowie
„Ein-Euro-Jobs“ für die Sicherung von Dächern, Fassaden an Förderobjekten im Zusammenarbeit
mit den zuständigen Stellen, d.h. insbesondere Agentur für Arbeit Leipzig etc.
- Erstellung einer jährlichen Liste der Objekte, die grundsätzlich gefördert werden sollen, in Zusammenarbeit mit den Bürgervereinen und der zuständigen Gremien und Ämtern der Stadt Leipzig
- Beratung von Eigentümern gefährdeter Objekte hinsichtlich eigener Sicherungsmaßnahmen, Beschaffung von Fördermitteln, etc.
- Beratung und Unterstützung von Initiativen, die sich gefährdeter Objekte annehmen, diese sichern und zwischennutzen (Bsp.: „Verein HausHalten e.V.“ an der Lützner Straße)
- Schaffung eines öffentlichen, positiven Bewußtseins (insbesondere auch der Wirtschaft) für die
besondere Werthaltigkeit der Leipziger Gründerzeitarchitektur, des Leipziger Stadtbilds und der
funktionierenden Stadtstruktur, auch vor dem Hintergrund der zukünftigen Finanzierbarkeit und
des weichen Standortfaktors „Stadtbild und Wohnqualität“
- Unterstützung oder Initiierung ggf. von Marketingmaßnahmen für den Altbaubestand in der Stadt
Leipzig (ggf. später erweiternd)
- Zusammenarbeit mit anderen Vereinen und Stiftungen (insbesondere Bürgervereine, Verein Neue
Ufer, Deutsche Stiftung Denkmalsschutz, etc.); Nutzung von Synergien
- Übernahme ggf. koordinatorischer und organisatorischer Aufgaben des geplanten Beirates für
Baukultur der Stadt Leipzig
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Einzelfragen
Der Mythos der Unvermietbarkeit von traditionellen Ausfallstraßen
Immer wieder wird behauptet, daß die traditionellen Ausfallstraßen langfristig nicht zu halten seien. Tatsächlich
sind hier die Probleme des Leerstands im Laufe der 1990er Jahre besonders offensichtlich geworden. Trotzdem
wäre eine weitere Perforation der Leipziger Ausfallstraßen nicht nur stadtplanerisch falsch, sondern auch wohnungswirtschaftlich unnötig.
Ausfallstraßen (bspw.: Georg-Schumann-Straße, Georg-Schwarz-Straße, Zschochersche Straße, Eisenbahnstraße,
Jahnallee, Gorkistraße, Bornaische Straße, Karl-Liebknecht-Straße, Dresdner Straße) stellen das städtebauliche
Grundgerüst der einzelnen Stadtviertel dar. Diese funktionieren durch den Wechsel von Verkehrsachse, an der
Einkaufen, Gastronomie und weitere öffentlichen Bedürfnisse verortet sind, und den dahinter befindlichen ruhigeren Wohnstraßen. Beide Bereiche sind zwingend aufeinander angewiesen. Die Hauptstraße findet ausreichende Nutzer nur in den Wohnbereichen und die Wohnbereiche brauchen zu ihrer Versorgung die Hauptstraßen.
Überdies sind gerade die Hauptstraßen für die lokale Identifikation unverzichtbar, befinden sich doch hier die
stadtbildprägenden öffentlichen Einrichtungen und zumeist die prachtvollsten Bauwerke des Viertels (insbesondere die Eckgebäude an Straßenkreuzungen). Wenn man diese Bereiche abreißen würde, zerstörte man das
urbane Grundgerüst. Überdies würden Verlärmung, die an der Hauptstraße traditionell vorkommt in bislang
ruhige Wohnhöfe und damit an die Bebauung der zweiten Reihe getragen. Der Wohnwert des Viertels würde in
der Fläche sinken.
Nicht zuletzt haben aber auch die Hauptstraßen durchaus eine Zukunft hinsichtlich eines befriedigenden Vermietungsstandes. Mit dem zunehmenden Auffüllen der dahinterliegenden Wohnquartiere wird sich automatisch
auch wieder die Nachfrage nach der Hauptstraße erhöhen. Für viele Nutzer überwiegen die Vorteile der Hauptstraßenlage, etwa Büros, Arztpraxen, aber auch Senioren, die das Leben vor der Haustür und dem Fenster schätzen, oder Menschen, die tendenziell preiswerteren Wohnraum suchen, beispielsweise Studenten-WGs. Geboten
ist also eine gezielte Aufwertung dieser Straßen, vor allem durch Baumpflanzungen, Einbau lärmreduzierender
Straßenbahngleise, ausschließlichem Einsatz von lärmarmen, neuzeitlichen Straßenbahnfahrzeugen etc.
Skeptiker seien hierzu nicht allein auf die Hauptverkehrsstraßen in nahezu sämtlichen westdeutschen Städten
oder im nahen Berlin verwiesen, sondern in Leipzig beispielsweise auf die hochlebendige Bornaische Straße in
Connewitz oder die gerade seit den letzten Jahren stetig aufblühende Zschochersche Straße in Plagwitz, nicht
zu sprechen von der Vorzeigestraße Karl-Liebknecht-Straße in der Südvorstadt und in Connewitz.
Der Mythos der zu großen baulichen Hülle Leipzigs
Regelmäßig wird angeführt, Leipzig sei in den 1930er Jahren eine Stadt mit 700.000 Einwohnern gewesen, da sei
nun angesichts der derzeitigen halben Million Einwohner zuviel Wohnraum vorhanden. Leipzig hat jedoch im und
in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg Tausende von Wohnungen durch Bomben und Abrisse verloren (über ein
Drittel des Bestands). Weiter haben sich aber auch die Wohnansprüche deutlich verändert. Noch in den 1930er
Jahren lebten viel mehr Personen in einer Wohnung als heute.
Die durchschnittliche Wohnfläche je Einwohner nimmt seit Jahrzehnten stetig zu. Bundesweit hat sie sich von
15 m² im Jahr 1950 auf 43 m² im Jahr 2002 fast verdreifacht1. Betrug sie in Ostdeutschland etwa 1989 noch 27,4
m²/Einwohner, waren es 1999 bereits 35,2 m²/Einwohner2.
Zur weiteren Verdeutlichung der Unbrauchbarkeit der genannten Argumentation mit Bevölkerungszahlen aus
lang vergangenen Zeiten sei noch auf das Beispiel Wien verwiesen. Hatte die Stadt Wien im Jahr 1916 eine
Einwohnerzahl von 2.239.000, so betrug diese im Jahr 1988 nur noch 1.506.201 (2005: 1.631.082) 3. Die Bevölkerungszahl sank also um ein Drittel. Dies hatte keinerlei Auswirkungen auf den Altbaubestand. Im Gegenteil,
sorgsam erhaltene Altbauten (ergänzt um oftmals anspruchsvolle Neubauquartiere) prägen bis heute das Stadtbild und dies nicht zuletzt gerade auch an den Ausfallstraßen. Die Idee eines Flächenabrisses oder der Stadtperforation hat in Wien zu keinem Zeitpunkt bestanden.
Der Mythos „Mehr Qualität durch weniger Dichte“
1 - Siehe etwa Bundeszentrale für
politische Bildung: http://www.bpb.de/
popup/popup_druckversion.html?gui
d=W4LHHY.
2 - Siehe etwa: http://ifsstaedtebauinstitut.de/HI2000/hi0100a.htm.
3 - Siehe etwa: http://
de.wikipedia.org/wiki/Wien
„Bevölkerungsentwicklung“.
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Die Behauptung, durch geringere Bebauungsdichte oder mehr „Durchgrünung“ der Stadt entstünde ein Mehr an
Wohnqualität, ist eines der zentralen Argumente der Perforationsbefürworter und hat mit dem Ziel, „Freiraumelemente“ zu schaffen, Eingang in die derzeitige Stadtentwicklungsplanung gefunden. Träfe diese Behauptung
zu, müßten nicht nur Städte wie Barcelona, Mailand oder Paris eine denkbar geringe Lebensqualität aufweisen.
Auch in Leipzig wären das Waldstraßenviertel, Schleußig oder die Südvorstadt städtebauliche Problemzonen.
Tatsächlich entsteht urbane Qualität vor allem durch einen erlebbaren Kontrast von Stadt- und Landschaftsraum
sowie durch die Einordnung hochwertiger Grünflächen in klar definierte Stadträume, nicht aber durch die Anlage
diffuser Freiflächen.
Die sich seit dem Zweiten Weltkrieg im Leipziger Stadtgefüge ausbreitenden Lücken weisen keine nennenswerten Aufenthaltsqualitäten auf. Die Menschen erholen sich - wie man täglich erleben kann - in grünen Innenhofbereichen oder in den traditionellen Stadtparks, nicht aber in den neu geschaffenen Baulücken an den
Verkehrsstraßen. Lücken in der Bauflucht und freigestellte Brandgiebel werden im Regelfall nur als eine Störung
des städtebaulichen Gefüges wahrgenommen. Ausnahmen bilden nur jene Stadtgebiete, die erhebliche Defizite
an Freiräumen und Grün aufweisen. Solche Situationen gibt es in manchen Großstädten, nicht aber in Leipzig.
Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
Insgesamt ist an der aktuellen Stadtplanung zu kritisieren:
-
Der Stadtentwicklungsplan Wohnungsbau und Stadterneuerung (STEP W+S) basiert noch
immer auf extremen Negativszenarien von 2000/ 2001, als Bevölkerungsverlust und
Wohnungsleerstand ihren Höhepunkt erreicht hatten. Die etwa im aktuellen Monitoringbericht Stadtumbau ausdrücklich genannten positiven Entwicklungen in der Kernstadt
werden nicht ausreichend berücksichtigt.
-
Viele negative Entwicklungen wurden und werden weitgehend schicksalsergeben beobachtet und hingenommen, eine - durchaus mögliche - aktive Steuerung der Stadtentwicklungsprozesse wird nicht oder nicht hinreichend unternommen. Vom (veralteten!)
Befund zunehmender Leerstands im Altbau ausgehend, wird auf die Notwendigkeit großzügigen Rückbaus orientiert.
-
Der von nahezu allen Experten geforderte konsequente flächenhafte Rückbau von außen
nach innen findet keinen Niederschlag in den Stadtentwicklungsplänen. Stattdessen wird
weiterhin die städtebaulich inakzeptable und ökonomisch unsinnige Strategie der „Perforierten Stadt“ praktiziert.
-
Belange des Denkmalschutzes spielen im Zweifelsfall ebenso eine untergeordnete Rolle
wie die Verantwortung gegenüber der Tradition der Europäischen Stadt. Eine nachhaltige, der Baukultur Leipzigs verpflichtete Stadtentwicklung wird so trotz aller partiellen
Bemühungen verhindert.
-
Erkenntnisgrundlagen für die Stadtentwicklung sind in Leipzig gegenwärtig vor allem
Statistiken, Tabellen und Diagramme. Aspekte des Stadtraums, der Architektur, von
Typologie und Maßstäblichkeit, von Stadtgeschichte und Tradition - kurz: der Baukultur
- bleiben im technokratischen Prozeß des Stadtumbaus weitgehend unberücksichtigt.
Schlußfolgerungen
Eine der Hauptforderungen des Aufbaus Ost ist: Stärken stärken.
Die noch weitgehende Geschlossenheit des historischen Stadtbildes und die gerade im Vergleich
zu den westlichen Bundesländern enorme Dichte an Baudenkmalen insbesondere aus dem 19.
und frühen 20. Jahrhundert sind einer der entscheidenden und langfristig ausbaubaren und tragfähigen Standortvorteile Leipzigs. Zunächst hat ein solches gewachsenes historisches Stadtbild
einen sehr hohen identitätsstiftenden Wert für die Bewohner. Zugleich wirkt Leipzig nicht zuletzt
wegen seines Stadtbildes sehr anziehend auf neu hinzuziehende Bürger. Ein attraktives und unverwechselbares Stadtbild mit einem hohen Denkmalbestand ist aber vor allem auch langfristig
und nachhaltig ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. In allererster Linie gilt dies ganz offensichtlich
für den Tourismus. Leipzig wird wegen seiner attraktiven Bauten und der Dichte seiner Handelsund Kultureinrichtungen gern besucht, nicht wegen der leider zunehmenden Baulücken und der
zumeist belanglosen Neubaugebiete. Nicht zu unterschätzen ist der wirtschaftliche Aspekt der
Erhaltung der Altbausubstanz im Hinblick auf die Sicherung von regionalen Arbeitsplätzen in
Handwerk und Dienstleistung.
Für die Entwicklung konkreter, der Stadt Leipzig angemessener Handlungsstrategien kommt einer
von der Bertelsmann Stiftung in diesem Jahr erstellten umfassende Studie besonderes Gewicht
zu1. In dieser Studie wurden deutsche Kommunen mit ähnlichen Problemlagen einer Clusteranalyse unterzogen. Entsprechend dieser Typisierung werden Handlungsansätze aufgezeigt,
um die „Stärken zu stärken“ und negative Entwicklungen in den Griff zu bekommen. Leipzig
zählt nach dieser Studie zu den insgesamt 7 „aufstrebenden ostdeutschen Großstädten mit
Wachstumspotentialen“. Gekennzeichnet sind diese Städte von einem künftigen Bevölkerungswachstum bei vergleichsweise etwas geringerer Alterung, durch Re-Urbanisierungstendenzen
und einen dynamischen wirtschaftlichen Strukturwandel mit hohen Wachstumspotentialen. Bei
den Handlungsempfehlungen stehen die Themen Bildung, zukunftsorientierte Seniorenpolitik,
Kinder- und Familienfreundlichkeit sowie eine demographiesensible Infrastrukturpolitik im Mittelpunkt. Diese insbesondere auch auf Leipzig zugeschnittenen Handlungsempfehlungen sind aus
fachlicher Sicht als ausgesprochen durchdacht und ausgewogen zu bezeichnen. Wenn Leipzigs
Entwicklungspotentiale ausgeschöpft und strukturelle Probleme nach Möglichkeit minimiert
werden sollen, wäre eine der derzeit wichtigsten Aufgaben für Stadtrat und Stadtverwaltung,
diese Handlungsempfehlungen zu diskutieren und weitestgehend zur Richtschnur der künftigen
Stadtentwicklungspolitik zu machen.
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1 - Esche/Große/Starmann/Schmidt (Bertelsmann
Stiftung), Wegweiser Demographischer Wandel 2020,
im Erscheinen. Als Frühwarn- und Informationssystem
für Kommunen hat die Stiftung im Februar 2006 ein
Internetportal eingerichtet, auf dem die 15 Demographietypen beschrieben und differenzierte Handlungsansätze aufgezeigt werden, siehe www.wegweiserde
mographie.de.
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Handlungsstrategien
1. Sofortige Beendigung der Förderung des Abrisses von Denkmälern in Sachsen
Mit sofortiger Wirkung darf der Abriß eines ausgewiesenen Baudenkmals nicht mehr mit Fördermitteln unterstützt werden. Damit werden die falschen und in ihrer Wirkung verheerenden Anreize für solche Abrisse genommen. Wenn Hauseigentümer am Abriß eines Denkmals kein Geld
mehr verdienen können, sondern im Gegenteil dafür die Abrißkosten selbst zu tragen haben,
werden diese Denkmalabrisse deutlich zurückgehen. Durch die derzeit praktizierte Fördermittelpolitik in Sachsen wird letztlich das Sächsische Denkmalschutzgesetz ausgehebelt. Dieser
Zustand muß sofort beendet werden.
2. Sofortiger Abrißstop in den Altbauquartieren Leipzigs
- Einstellung der öffentlichen Abrißförderung von Altbauten und
- restriktiver Umgang mit Abrißwünschen.
Stadtentwicklungsprozesse sind langwierig. Die derzeitige Stadtplanung folgt Strategien, die
in einer Momentsituation Ende der 1990er Jahre entstanden sind, als die negativen Stadtentwicklungsprozesse der 1990er Jahre ihren Höhepunkt, aber kurz darauf auch ihr Ende erreichten. Der wirtschaftliche Strukturwandel in Leipzig wurde gerade erst vollzogen. Die positiven
Auswirkungen etwa von Großansiedlungen wie der von BMW beginnen sich nun zu entfalten.
Dasselbe gilt für die Aufwertung der Gründerzeitquartiere etwa mit neuen Grünanlagen, Straßenbäumen und nicht zuletzt für die notwendige Fortführung der Gebäudesanierung . Weitere
Abrisse etwa im Leipziger Osten würden bedeuten, daß die Stadtplanung ihren eigenen Erfolgen
- etwa am Rabet, am Eilenburger Bahnhof oder am Lindenauer Markt - nicht vertraut. Hier muß
sich die Erkenntnis durchsetzen, daß sich die Situation gegenüber dem Jahr 2000 grundlegend
zum Positiven geändert hat. Was jetzt ohne wirkliche Not abgerissen wird, ist unwiederbringlich
verloren. Baudenkmale lassen sich nicht ersetzen.
Die Verantwortlichen müssen endlich erkennen, daß sie das bauliche Erbe unserer Stadt für
die Mitbürger und für die kommenden Generationen verwalten und daß dieses Erbe nicht einer
stadteigenen Wohnungsbaugesellschaft zur Disposition steht.
3. Konsequenter flächenmäßiger Stadtumbau in den Plattenbaugebieten am Stadtrand,
deren Zurückführen auf dauerhaft lebensfähige Kerne
Wenn der Rückbau im Plattenbaubestand künftig nicht wirklich in der Fläche erfolgt, kann dies
letztlich dazu führen, daß z. B. Grünau irgendwann völlig aufgegeben werden muß. Ein solches
ungesteuertes Ausbluten wäre mit schmerzhaften und teuren Nebenwirkungen für die Stadt
Leipzig insgesamt verbunden. Seitens der Stadtplanung muß endlich erkannt werden, daß der
massive Bevölkerungsrückgang in den großen Plattenbaugebieten auf Dauer nicht aufzuhalten
ist und alle gegenläufigen Maßnahmen letztlich gegen den Markt gerichtet sind und damit einer
ergebnislosen Vernichtung öffentlicher Mittel gleichkommen. In bestimmten Kernzonen kann
und soll Grünau dagegen durchaus dauerhaft bestehen bleiben, sofern sich deren Entwicklung
und Größe an einer langfristigen Wohnungsnachfrage orientiert.
4. Zuzug in die Altbauquartiere weiter massiv befördern - Leipzig muß noch familienfreundlicher werden
Der bereits bestehende stetige Zuzug in die historischen Stadtviertel muß aus den oben genannten Gründen mit allen Möglichkeiten befördert werden. Zuzug findet dabei von außen wie auch
als lokale Binnenwanderung statt. Letztere erfolgt aus den suburbanen Randgebieten und aus
den Plattenbaugebieten. Dafür müssen die Umzugsanreize deutlich erhöht werden. Periphere
Siedlungen dürfen nicht weiter auf Kosten der Zukunftsfähigkeit des urbanen Kerns mit teuren
Infrastrukturmaßnahmen (Bsp. Straßenbau) oder einem Überangebot an ÖPNV oder anderen
öffentlichen Einrichtungen (Bsp. Kindergärten) künstlich gestützt werden. Andererseits ist im
urbanen Kern alles dafür zu tun, daß hier insbesondere Familie mit ihren Kindern optimale
Bedingungen vorfinden. Neben den Familien sind es vor allem die jungen Leute, die noch keine
Kinder haben, für die die Altbauquartiere anziehender werden müssen. Ist dies in Vierteln wie
etwa der Südvorstadt oder Plagwitz/ Lindenau mittlerweile im hohen Maße der Fall, fehlt es
gerade im Leipziger Osten an einem breiteren Angebot an Kultur- und Sozialeinrichtungen sowie
Gastronomie.
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In diesem Zusammenhang können und sollen dann auch mehr Grünanlagen in der Stadt entstehen. Oberste Priorität muß dabei die Anlage und Unterhaltung von dauerhaften Grünflächen
haben sowie die weitere Begrünung der Innenhöfe geschlossener Wohnquartiere. Platz für neues
Grün soll auf Industriebrachen, insbesondere auf den ehemaligen Bahnanlagen oder durch den
Abriß von Hinterhofgebäuden und Schuppen bzw. anderer versiegelter Hofflächen entstehen.
Dafür sollten verstärkt Fördermittel eingeworben bzw. deren Einrichtung kommunalpolitisch
vorangetrieben werden. Erfahrungsgemäß sind es gerade solche grünen Höfe, die junge Familien für ihre Kinder suchen. In keinem Fall sollten weiterhin straßenseitige Wohngebäude oder
Baudenkmale (insbesondere auch Industriedenkmale) für die Anlage von Grünflächen abgerissen werden. Ausschließlich in bereits bestehenden Häuserlücken können ergänzend dazu auch
Zwischenbegrünungen betrieben und öffentlich gefördert werden. Die Anlage dauerhafter und
in ihrer Struktur nutzerfreundlicher Grünanlagen ist dabei nicht zuletzt als Stärkung der Altbauquartiere gegenüber den tatsächlich in der dieser Hinsicht oftmals defizitären Wohngebieten im
suburbanen Umfeld zu sehen.
5. Für die stadteigene Wohnungsbaugesellschaft LWB müssen Leitlinien der
Stadtentwicklung verbindlich werden
- Stadtunverträgliche Abrißvorhaben sind mit sofortiger Wirkung zu beenden.
An die Stelle einer kurzfristig kalkulierenden und letztlich auch für die benachbarten eigenen, zum Erhalt gedachten Bestände oftmals unverträglichen Abrißpolitik muß eine langfristig
kalkulierenden Geschäftspolitik treten, die den Werten und Potentialen der Altbaubestände
gerecht wird. Die kurzfristige Möglichkeit zur Mitnahme von Abrißfördermitteln darf nicht
länger zur Vernichtung finanziell viel höherer Werte und Potentiale mißbraucht werden. Wohnungsmarktregulierung durch Abriß im Altbau mit dem Ziel, privaten Anbietern die Marktlage zu
erschweren, darf nicht länger Geschäftsziel des städtischen Unternehmens sein. Im Hinblick auf
den Wirtschaftsstandort Leipzig kann es kein städtisches Ziel sein, privaten Unternehmen und
privaten Hauseigentümern wirtschaftlich zu schaden.
Es ist die Aufgabe des Stadtrates als gewählter Vertretung der Leipziger Bürger, in Zusammenarbeit mit der Verwaltung verbindliche Leitlinien für die Geschäftspolitik der LWB auszuarbeiten.
Kurzfristig ist zu gewährleisten, daß die LWB sämtliche derzeit noch laufende Abrißanträge
zurückzieht. Ab sofort darf die LWB bei Objekten in Sanierungsgebieten, in Gebieten mit Erhaltungssatzung bzw. bei vorliegendem Denkmalschutz Abbruchanträge nur einreichen, wenn
bereits im Vorfeld das Einvernehmen mit der Landsdenkmalpflege hergestellt wurde.
6. Angemessene und stadtverträgliche Verkehrsplanung
Künftige Verkehrsplanung muß strikt an dem Grundsatz ausgerichtet sein, daß sich die Straßenbauvorhaben den gewachsenen Stadtstrukturen anzupassen haben, nicht umgekehrt. Gebaute
Geschichte darf genau so wenig leichtfertig zur Disposition gestellt werden wie städtebauliche
Qualität und die in der Altbausubstanz liegenden Entwicklungspotentiale. Dies beinhaltet vor
allem auch eine absolute Zurückhaltung bei Eingriffen in die städtebaulich so wichtigen Eckgebäude, die geradezu eine klassische Tabuzone der Straßenplanung darstellen müssen.
Weiterhin muß bei der Frage nach einem weiteren Ausbau der Verkehrsinfrastruktur bei jedem
Vorhaben die Frage nach der langfristigen Finanzierbarkeit der Unterhaltung intensiv bedacht
werden. Vor dem Hintergrund der bereits jetzt seit Jahren stetig steigenden Unterhaltungskosten muß eindeutig geklärt werden, in welchen Bereichen die finanziell immer schlechter
ausgestattete Stadt künftig Einsparungen vornehmen will, und welche Bereiche sie gezielt
entwickeln will.
7. Einrichtung eines geeigneten Gremiums zur Absicherung eines baukulturellem Niveaus,
welches Leipzigs Anspruch als traditionelle Kulturstadt gerecht wird
Anknüpfend an die Erfahrung in zahlreichen Städten in und außerhalb Deutschlands sowie im
Einklang mit einer ausdrücklichen Empfehlung des Bundesbauministeriums sollte in Leipzig ein
Beirat für Baukultur eingerichtet werden. In diesem von der Stadtverwaltung unabhängigen
Gremium sollen Fachleute die Stadt in Fragen der Stadtentwicklung, Stadtgestaltung und nicht
zuletzt der Architektur von wichtigen, das Stadtbild mitbestimmenden Neubauten beraten. Für
die Bürger sollen auf diesem Weg diese Prozesse endlich transparenter werden.
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Stadtforum Leipzig
© Stadtforum Leipzig 2006
Aktuelle Fragen und Probleme der
Leipziger Stadtentwicklung
Redaktionsschluß 15.September 2006
01 | Oktober 2006
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Autoren:
Titelbild und S.37: Siegfried Kuntzsch
S.14 (Fr.-Ebert-Str.93): Frank Heinrich
S.16 oben: Frank Speckhals (2x)
S.16 Mitte links: ASW
S.18 (Gerichtsweg 8, Täubchenweg 87):
Frank Heinrich
S.19: Karsten Schmidt
S.36 unten: Wolfgang Zeyen
S.43 unten: Karsten Schmidt
S.48 oben: Hans Christian Schink
alle übrigen Abbildungen: Archiv Stadtforum
Heinz-Jürgen Böhme
Volker Eckert
Wolfram Günther
Alexander Khorrami
Stefan Riedel
Quellen (soweit nicht im Text benannt):
- Kleinräumiges Monitoring des Stadtumbaus
in Leipzig, Monitoringbericht 2005.
- Kleinräumiges Monitoring des Stadtumbaus
in Leipzig, Wohnungsmarktbarometer 2005.
- Ergebnisbericht Intervallstudie „Wohnen und
Leben in Leipzig-Grünau“ 2004.
- Stadtumbau Ost - Stand und Perspektiven.
Erster Statusbericht der Bundestransferstelle
2006.
- Stadtentwicklungsplan (STEP) der Stadt Leipzig.
- Quartalsberichte des Amts für Statistik und
Wahlen der Stadt Leipzig.- Beiträge zur Stadtentwicklung, hg. vom Dezernat Stadtentwicklung und Bau (erschienen sind bislang 43 Einzelhefte).
- Der Leipzig Atlas, hg. von Schmidt/Mayer/
Wiktorin u.a., Köln 2005.
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Stadtforum Leipzig | Oktober 2006
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