Predigt vom 16. Januar 2011

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Predigt über Ex 33,17b-23, 2.Sonntag nach Epiphanias (16.1.11), Dattingen/Britzingen
Liebe Schwestern und Brüder!
Manchmal wünsche ich mir, ich könnte Gott sehen. Natürlich, ich weiß: Als Mensch kann ich
Gott nicht wissen, sondern muss an ihn glauben. Und ich weiß auch: Glaube an Gott ist wertvoller als Wissen. Denn der Glaube ist eine lebendige Beziehung zu Gott und nicht nur eine
Datei in meinem Wissensspeicher.
Und trotzdem wünsche ich mir manchmal, Gott sehen, auf ihn zeigen zu können. „Schau! Da
ist er!“ Wenn ich mich mit Menschen auseinandersetze, die Gottes Existenz bestreiten. Wenn
ich Menschen Trost spenden will, die sich mit Zweifeln herumplagen. Wenn mich meine eigenen Zweifel überwältigen wollen.
Der Wunsch, Gott sehen zu können, ist so alt wie die Bibel. Und Gott weist ihn nicht einfach
zurück. Der Psalm, den wir gebetet haben, ermutigt vielmehr dazu: „Fraget nach dem Herrn
und nach seiner Macht, suchet sein Antlitz allezeit!“ Der Predigttext für heute erzählt, wie
Mose den Wunsch, sehen zu dürfen, an Gott richtet. Und wie Gott diesem Wunsch auf seine
Weise nachkommt. Ich lese aus 2. Mose 33:
Der HERR sprach zu Mose: Auch das, was du jetzt gesagt hast, will ich tun; denn du hast
Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen. Und Mose sprach: Lass
mich deine Herrlichkeit sehen! Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte
vorübergehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des HERRN: Wem ich gnädig bin,
dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Und er sprach
weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.
Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen.
Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine
Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun
und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.
„Du darfst sehen.“ Gott gibt sich zu erkennen. In zwei Abschnitten will ich versuchen, diese
ungeheure Aussage nachzuvollziehen. Einem langen ersten und einem kürzeren zweiten Abschnitt:
Gott und Mose
Die Bibel stellt diese Begegnung wie ein Gespräch unter Freunden dar. Gott spricht mit Mose.
Er hört sich an, was der ihm zu sagen hat, und geht darauf ein.
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Dabei ist der Hintergrund des Gesprächs eigentlich wenig freundschaftlich. Kurz zuvor hat
sich das Volk den Fehltritt mit dem Goldenen Kalb geleistet. Mose war darüber so in Zorn
geraten, dass er die gerade erst geschriebenen Steintafeln mit den zehn Geboten zerschmettert
hatte. Und ob Gottes Zorn inzwischen verraucht ist, ist zu diesem Zeitpunkt keineswegs klar.
Mose jedoch wendet er sich freundlich zu.
So führt Mose das Gespräch mit Gott nicht ohne Hintergedanken. Der erste Teil, der im Predigttext nicht aufgenommen ist, zielt auf eine Fürbitte ab. Er erinnert Gott an dessen früher
gegebene Zusage, dass er, Mose, Gnade vor seinen Augen gefunden habe. Jetzt soll Gott seine
Gnade erweisen – an ihm, Mose, und an seinem Volk.
Konkret bittet Mose Gott um Leitung auf dem Weg. Das ist einerseits buchstäblich zu verstehen: Mose bittet um Leitung auf dem Weg durch die Wüste. Zugleich bittet er um Leitung auf
den richtigen Weg. Den Weg, von dem das Volk abgekommen war. Wenn Gott die Menschen
auf den richtigen Weg leitet, dann finden sie Gnade vor seinen Augen. Schon in diesem ersten
Teil geht es Mose um die Erkenntnis Gottes. Und Gott sagt Mose zu, dass er selbst vor ihnen
herziehen und sie leiten will.
Auch ich wünsche mir Erkenntnis Gottes. Dass Gott mich leiten, mir den Weg weisen möge,
der für mich der richtige ist. Buchstäblich sein Angesicht vor mir herziehen sehe ich nämlich
nicht. Seine Weisungen allerdings kann ich kennen. Sie sind in der Bibel überliefert. Nicht
nur die zehn Gebote, die Mose später ein zweites Mal aufgeschrieben hat, sondern noch viele
mehr. Und Gott hat mich mit Verstand ausgerüstet, sie zu lesen und zu deuten.
Doch manchmal wünsche ich mir, dass ich nicht so viel nachdenken muss. Dass ich deutlicher
geführt werde. Manchmal würde ich die Verantwortung für mein Leben gerne nicht selbst
tragen müssen. Manchmal … Aber eigentlich bin ich dankbar für die Freiheit, die Gott mir
schenkt. Dass er mich nicht wie eine Marionette am Gängelband führt. Gott leitet mich, aber
eben auf seine Weise. Und oft braucht es gar nicht so nicht viel Nachdenken, um seine Weisungen zu verstehen. Dann ist der richtige Weg ziemlich klar. Ich muss ihn nur gehen.
Nachdem Gott Mose zugesagt hat, ihn und das Volk zu leiten, richtet der seine nächste Bitte
an ihn. Die Bitte, sehen zu dürfen. Dabei bittet er nicht darum, Gott selbst, das Angesicht Gottes sehen zu dürfen, sondern er möchte die Herrlichkeit Gottes sehen.
Trotzdem erklärt Gott, dass Mose sein Angesicht nicht sehen kann. Mose ist und bleibt
Mensch. Und kein Mensch kann Gottes Angesicht sehen und leben. Warum das so ist, darauf
geht Gott nicht näher ein. Vielleicht, weil Gottes unfassliche Größe, den menschlichen Geist
schlicht überfordern würde. So wie ein Computer abstürzt, wenn ihm zu viele Informationen
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auf einmal eingespeist werden. Vielleicht auch, weil wir Menschen, so wie wir auf der Erde
leben, so grundverschieden von Gott sind.
Das bedeutet jedoch nicht, dass Menschen Gott überhaupt nicht sehen können. Gott richtet es
für Mose ein, dass der ihn sehen kann. Behutsam, so dass er es vertragen kann. Die schützende Felsspalte, die Hand, mit der er Mose bedecken will: Das sind Bilder für Gottes besondere
und behutsame Zuwendung. In diesem geschützten Rahmen will Gott sich zeigen. Er will
Mose seine Güte und Herrlichkeit sehen lassen und seinen Namen mitteilen.
„Ich will dir kundtun den Namen des Herrn.“ Zuvor hat Gott bekräftigt: „Du hast Gnade vor
meinen Augen gefunden und ich kenne dich mit Namen.“ Das kommt zuerst. Gott kennt die
Menschen vom Mutterleib an mit Namen. Indem er seinerseits seinen Namen kundtut, stellt er
ein wechselseitiges Verhältnis zwischen sich und Mose, sich und den Menschen her.
„Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich
mich.“ Das ist wie ein Echo des Namens Gottes, den er Mose schon einmal, nämlich aus dem
brennenden Dornbusch mitgeteilt hat: „Ich bin, der ich bin“ oder „Ich werde mich erweise, als
der ich mich erweisen werde“. Einmal mehr wird Gottes Freiheit betont. Er ist eben ein lebendiger Gott und kein toter Götze. Deshalb zieht er auch an Mose vorüber und steht nicht
stocksteif da wie ein Standbild.
Zugleich wird ein zweites, das damals beim Dornbusch nur zart anklang, jetzt deutlicher. „Ich
werde für euch da sein. Ich bin gnädig und ich erbarme mich.“ Wie ein gütiger König oder
wie ein Vater will Gott sich seinem Volk zuwenden. Damit klärt sich auch die Frage nach
Gottes Zorn nach der Episode mit dem goldenen Kalb. Das Wort, das für erbarmen steht,
schließt Zorn aus. Das Erbarmen löst den Zorn ab, beendet ihn.
Schließlich sagt Gott Mose zu, dass er seine Herrlichkeit von hinten sehen darf. „Ich will vor
deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen.“ Güte steht in der Bibel oft in Verbindung mit dem Wort für Gnade, Liebe oder Gunst. Gottes Güte kommt seiner Schöpfung,
kommt den Menschen zu Gute. Menschen können sie sehen. Sie können Gottes Wirken in
seiner Schöpfung und an den Menschen wahrnehmen.
„Von hinten“ also dann, wenn Gott gewirkt hat. Das beschreibt genau die Wirklichkeit, wie
ich sie erlebe. Joseph Herman Hertz, ein jüdische Rabbi, schreibt: „Gott kann nur aus den
göttlichen ‚Fußstapfen‘ der menschlichen Geschichte und an seinen Furchen in den Seelen der
Menschen erkannt werden.“
Gott kann erkannt werden. Er lässt sich sehen. Das ist ein Grund zur Freude. Die Bibel erzählt
weiter, dass Mose einen besonderen Glanz auf dem Gesicht hatte, nachdem Gott – wie versprochen – vor seinem Angesicht vorübergegangen war. Mose strahlte über das ganze Ge3
sicht. Menschen, die Gottes Güte erlebt haben, strahlen. Sie strahlen aus, was sie erlebt haben.
Sie sind begeistert, von Gottes Geist angerührt.
Manchmal fühle ich mich ganz erfüllt von Gottes Güte. Wenn ich seine Herrlichkeit erfahren
habe – draußen auf dem Gipfel eines Berges zum Beispiel. Oder wenn ich erkenne, wie er
mich durch eine schwierige Zeit geleitet hat. Wenn er mich angerührt hat im Gebet. Wenn ich
sehe die Güte, die er an Menschenkindern tut. Und wenn ich Menschen begegne, die strahlen,
weil sie von seiner Güte erfüllt sind. In deren Seele er Furchen hinterlassen hat.
„Danket dem Herrn und rufet an seinen Namen! Verkündigt sein Tun unter den Völkern!“
Strahlt und erzählt davon, was ihr von Gott gesehen und erlebt habt! „Es freue sich das Herz
derer, die den Herrn suchen! Fraget nach dem Herrn und seiner Macht, suchet sein Antlitz
allezeit! Gedenkt seiner Wunderwerke, die er getan hat!“ Diese Worte des 105ten Psalms
könnten zu Mose gesprochen sein.
Gott in Jesus Christus
„Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit.“ In Jesus
Christus hat Gott sich auf eine neue Weise sehen lassen. Jetzt in der Epiphaniaszeit denken
wir an sein Erscheinen als Mensch unter den Menschen. Noch immer können wir sein eigentliches Angesicht, die Fülle seiner Gegenwart nicht sehen. Doch in Jesus Christus hat er sich
ein menschliches Gesicht gegeben. Die Jünger Jesu und die Menschen, die ihm begegnet sind,
konnten es sehen. Wir Nachgeborenen können es zwar nicht sehen, aber wir können es uns
immerhin vorstellen.
In Jesus Christus hat Gott sich gezeigt. In der Liebe, die Christus verkörpert und vorgelebt
hat. Der Christus, der die Kranken geheilt und den Armen die Königsherrschaft Gottes verkündigt hat. Der zu den Ausgestoßenen gegangen ist und ihnen die Liebe Gottes gebracht hat.
Der das Leben der Menschen, die ihm begegneten, verändert hat.
Und der Menschen in seine Nachfolge gerufen hat. Seither können wir Gott nicht nur von
hinten – in seinen Werken und in den Spuren in den Seelen der Menschen – sehen. Er begegnet uns in den Menschen, die uns als Christen begegnen. Er begegnet uns in Menschen, die
anderen zum Christus werden. Er begegnet uns in der Gemeinde als Christus existierend. Im
ersten Korintherbrief beschreibt Paulus die Gemeinde als Leib Christi. Das ist in der Tat ein
Grund zur Freude.
Und im selben ersten Korintherbrief schreibt Paulus, dass dieses Sehen noch nicht alles ist. Er
erinnert daran, dass Gott uns kennt. Wie er es Mose zugesagt hat: „Du hast Gnade vor meinen
Augen gefunden und ich kenne dich mit Namen.“ So wie er Mose seinerseits seinen Namen
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mitgeteilt hat, will er sich einst ganz von uns erkennen lassen. Paulus schreibt: „Wir sehen
jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“
Amen.
Arnold Glitsch-Hünnefeld
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